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Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern Freiburger Ausbildungsinstitut für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (FAKiP) 23. November 2012 Prof. Dr. phil. Markus Landolt Universitäts-Kinderspital Zürich, Schweiz [email protected] Universität Zürich Inhalt Ausgangslage Interventionen bei Traumafolgestörungen Notfallpsychologische Interventionen (sekundäre Prävention) Übersicht über Verfahren Evidenz Traumatherapie (tertiäre Prävention) Übersicht über Verfahren Evidenz Fazit

Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

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Page 1: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

Freiburger Ausbildungsinstitut für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (FAKiP)

23. November 2012

Prof. Dr. phil. Markus Landolt Universitäts-Kinderspital Zürich, Schweiz

[email protected]

Universität Zürich

Inhalt

◼ Ausgangslage ◼ Interventionen bei Traumafolgestörungen ◼ Notfallpsychologische Interventionen (sekundäre Prävention) ◼ Übersicht über Verfahren ◼ Evidenz

◼ Traumatherapie (tertiäre Prävention) ◼ Übersicht über Verfahren ◼ Evidenz

◼ Fazit

Page 2: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

Ausgangslage

Page 3: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

Dimensionen von Traumata

Typ I Typ II

Interpersonelle Gewalt

Ueberfall Vergewaltigung

Sex. Ausbeutung Krieg, Folter Chron. familiäre Gewalt

Unfall Erdbeben Brand

Dürre, Hungersnot AKW-Unglück

Akzidentelle Traumata

(Landolt, 2012)

Schw

ereg

rad

der T

raum

afol

gest

örun

g

Zeitdauer nach Trauma  Trauma  

resilient  sich erholend  

chronisch  

Landolt, 2012, S. 74

Prototypischer Störungsverlauf

Page 4: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

Psychotrauma

Akute Belastungsreaktion Akute Belastungsstörung

Anpassungsstörungen Affektive Störungen

Posttraumatische Belastungsstörung

Komplexe Störungen Bindungsstörung, Dissoziative Störung, somato-forme Störung, andauernde Persönlichkeitsän-

derung nach Extrembelastung, DESNOS, Entwicklungsbezogene Traumafolgestörung, usw.

(Landolt, 2008)

Interventionen bei Traumafolgestörungen

Page 5: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

Akute Reaktionen

Längerdauernde Traumafolgestörungen

Sekundäre Prävention =

Psychologische Erste Hilfe Notfallpsychologie

Primäre Prävention =

Vermeidung von

Traumatisierungen

Tertiäre Prävention =

Psychotherapie

Trauma

Zeitlicher Kontext von Interventionen

Notfallpsychologische Interventionen

Page 6: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

Trauma 1 Woche 4 Wochen 3 Wochen 2 Wochen

Akute Interventionen

Psychotherapeutische Interventionen

Notfallpsychologische Interventionen

Frühe Interventionen

Zehnder, D., Hornung, R. & Landolt, M.A. (2006). Notfallpsychologische Interventionen im Kindesalter. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 55, 675-692.

Zeitlicher Kontext traumabezogener Interventionen

Grundsätze und Ziele früher Interventionen

◼ Nach Abklingen der Schockphase ◼ Rekonstruktion des Ereignisses ◼ Kognitive Einordnung, „roter Faden“, Narrativ

◼ Psychoedukation

◼ Vermittlung hilfreicher Bewältigungsstrategien (Skills) ◼ Ablenkung, Vermeidung auslösender Reize ◼ Körperliche Aktivität

◼ Sozialer Austausch ◼ Feste Tagesstruktur, Beibehaltung der Routine

◼ Identifizierung besonders gefährdeter Traumaopfer

Page 7: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

Spezifische Interventionen

◼ Pharmakologie ◼ Psychologische Interventionen

Pharmakologische Interventionen

◼ In der Praxis Einsatz von Benzodiazepinen und SSRI‘s, allerdings ohne Evidenz für Wirksamkeit

◼ Studien bei brandverletzten Kindern (keine RCTs)  Saxe et al. (2001): höhere initiale Morphindosierung reduziert

PTBS nach 6 Monaten  Meighen et al. (2007): 3 Case reports über erfolgreiche

Verwendung von Risperidone  Robert et al. (2008): Imipramin und Fluoxetine sind beide nicht

wirksamer als Placebo in der Behandlung der ABS

 Studie mit früher Gabe von Betablockern  Nugent et al. (2010): Keine Effekte bei verunfallten Kindern

Page 8: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

Psychologische Interventionen

◼ Keine einheitlichen, evidenzbasierten Interventions-konzepte vorhanden

◼ Verwendung von Elementen der KVT (narrative Exposition, Psychoedukation, Skills)

◼ Teilweise Einbezug der Eltern

◼ Teilweise rein webbasierte Interventionen

◼ Unterschiedliche Sitzungszahl

◼ Divergierender Interventionszeitpunkt

◼ Universelle Intervention vs. Intervention nur bei Kindern mit erhöhtem Risiko für Langzeitprobleme

Fazit frühe Interventionen bei Kindern (1)*

Zum Teil positive Effekte in einzelnen Studien, keine negativen Effekte im Gegensatz zum Erwachsenenalter

* Kramer, D.N. & Landolt, M.A. (2011). Characteristics and efficacy of early psychological interventions in children and adolescents after single trauma: a meta-analysis. European Journal of Psychotraumatology, 2, 7858.

Page 9: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

Fazit frühe Interventionen bei Kindern (2)*

◼ Sehr unterschiedliche Interventionsmethoden und Settings ◼ Wahrscheinlich wichtig:

◼ Präsenz der Eltern ◼ Psychoedukation ◼ Vermittlung von Coping-Skills

◼ Unklar ◼ Notwendigkeit eines Traumanarratives? ◼ Anzahl Sitzungen und Zeitpunkt der Intervention? ◼ Intervention für alle Kinder oder nur mit high-risk Kindern? ◼ Vorgehen bei Kindern im Vorschulalter? ◼ Kombination psychologische u. pharmakologische

Interventionen

* Kramer, D.N. & Landolt, M.A. (2011). Characteristics and efficacy of early psychological interventions in children and adolescents after single trauma: a meta-analysis. European Journal of Psychotraumatology, 2, 7858.

Vorschlag für Vorgehen bei Kindern in der frühen Phase: Die EPICAP-Intervention

Landolt, M.A. & Kramer, D.N. (2009). Early psychological intervention in children after psychological trauma (EPICAP): manual, ages 2-16 years. Zurich: University Children’s Hospital. [unpublished]

Page 10: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

Risikoscreening

Niedriges Risiko Hohes Risiko

Schriftliche Psychoedukation Abgabe von Kontaktadressen

Durchführung von 2-3 Sitzungen Einbezug der Eltern Psychoedukation

Rekonstruktion des Ereignisses Vermittlung von Copingskills

Bei anhaltender Symptomatik Einleitung einer Psychotherapie

nach 4-6 Wochen

Psychotherapeutische Interventionen

Page 11: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

Akute Reaktionen

Längerdauernde Traumafolgestörungen

Sekundäre Prävention =

Psychologische Erste Hilfe Notfallpsychologie

Primäre Prävention =

Vermeidung von

Traumatisierungen

Tertiäre Prävention =

Psychotherapie

Trauma

Zeitlicher Kontext von Interventionen

Ausgangslage

 Traumatisierte Kinder stellen keine homogene Gruppe dar  Monotrauma vs. multiple Traumata  Einfache PTBS vs. komplexe Störungen  Komorbidität

 Notwendigkeit einer entwicklungspsychopathologischen Sichtweise

Grosse Vielfalt an eingesetzten Verfahren

Page 12: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

1.  Stabilisierung (körperlich, affektiv, sozial)

2. Traumabearbeitung

3. Integration

Phasen der Traumatherapie

Ansatzpunkte der Traumatherapie

INDIVIDUUM Verbesserung der Fähig-keiten zur Affektregulation und Exposition (Narrativ)

UMFELD Optimale Bedingungen für die Traumabewältigung sicher stellen

  Eltern / Familie   Peers   Schule   Beratungsstellen   Behörden

Page 13: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

TRAUMA

KIND SOZIALES UMFELD

BEWERTUNGEN

PSYCHO-SOZIALES BEFINDEN

1 2

3

4

COPING

Interventionsfelder der Traumatherapie

[Landolt, 2003]

Interventionsfeld 1

 Einzelpsychotherapeutische Verfahren (fast immer kombiniert mit Interventionsfeld 2)  Traumazentrierte Spieltherapie  Narrative Expositionstherapie für Kinder (KIDNET)

 Entspannungsverfahren  Hypnotherapie

 EMDR

 Psychodynamische, tiefenpsychologische Verfahren

 Pharmakotherapie (supportiv)

Page 14: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

Spieltherapie

 Traumazentriert - nicht unspezifisch!  Im Vorschulalter oft sehr wichtig (vgl. traumatisches

Spiel)

 Bei hohem Angstniveau bei Konfrontation mit traumatischen Inhalten

  Literatur: Weinberg, D. & Hensel, T. (2012). Traumazentrierte Spieltherapie. In M.A. Landolt & T. Hensel (Hrsg.). Traumatherapie bei Kindern und Jugendlichen (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe

Narrative Expositionstherapie für Kinder (KIDNET)

 Kombination verhaltenstherapeutischer Expositionstherapie und Testimony Therapy

 Traumatische Erfahrungen werden im Kontext der gesamten Biografie bearbeitet

 Erstellung eines kohärenten Narrativs mit Verbalisierung der Gefühle

 Seil als Lifeline, Blumen und Steine für gute und schlechte Erfahrungen

 Zeichnungen als Hilfsmittel zur Erstellung des Narrativs

  Literatur: Ruf et al. (2012). Narrative Expositions-therapie für Kinder. In M.A. Landolt & T. Hensel (Hrsg.). Traumatherapie bei Kindern und Jugend-lichen (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe

Page 15: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

Hypno-/gestalttherapeutische Techniken

 Imagination eines sicheren Ortes  Magische „Helfer“

 Therapeutische Geschichten, Metaphern und Rituale

 Teilearbeit

 Imaginative Traumaexposition (im Jugendalter)   Literatur: Signer, S. (2012). Hypnotherapeutische Methoden

der Traumatherapie im Kindesalter. In M.A. Landolt & T. Hensel (Hrsg.). Traumatherapie bei Kindern und Jugendlichen (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe

EMDR

 Eye movement desensitization and reprocessing

 Unvollständig verstandener Wirkungsmechanismus

 Adaptierte Behandlungsprotokolle für das Kindesalter

 Literatur: Hensel, T. (2007). EMDR mit Kindern und Jugendlichen. Ein Handbuch. Göttingen: Hogrefe.

Page 16: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

Psychodynamische Verfahren

 Eher indiziert bei komplexen Traumafolgestörungen  Konzepte für stationäre Therapie  Psychodynamisch imaginative Traumatherapie (PITT)

 Kindermanual: Krüger, A. & Reddemann, L. (2007). Psychodynamisch imaginative Traumatherapie für Kinder und Jugendliche. PITT-KID - Das Manual. Stuttgart: J.G. Cotta‘sche Buchhandlung.

 Mehrdimensionale psychodynamische Traumatherapie (MPTT)  Dreiner, M. (2012). Die Mehrdimensionale psychodynamische

Traumatherapie in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen. In M.A. Landolt & T. Hensel (Hrsg.). Traumatherapie bei Kindern und Jugendlichen (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe

Pharmakotherapie

 Keine evidenzbasierten Empfehlungen für das Kindesalter möglich

 Supportive Anwendung z.B. zur Behandlung von Schlafstörungen

 Sinnvoll bei Komorbidität mit Angst und Depression (SSRI‘s)

  Literatur: Marti, D. (2012). Pharmakotherapie. In M.A. Landolt & T. Hensel (Hrsg.). Traumatherapie bei Kindern und Jugend-lichen (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe

Page 17: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

TRAUMA

KIND SOZIALES UMFELD

BEWERTUNGEN

PSYCHO-SOZIALES BEFINDEN

1 2

3

4

COPING

Interventionsfelder der Traumatherapie

[Landolt, 2003]

Interventionsfeld 2 ◼ Zentrale Bedeutung der Familie/des Umfeldes in der

Traumabewältigung ◼ Traumatisiertes Kind <-> Familie ◼ Optimales familiäres Umfeld für traumatisiertes Kind sicher stellen (ev.

Behandlung der Eltern nötig) ◼ Folgen für nicht traumatisierte Geschwister bedenken ◼ Psychoedukation, Erziehungsberatung, Familientherapie ◼ Spezielle Konzepte bei intrafamiliärer Gewalt (Kinderschutz)

◼ Systemische Ansätze der Traumatherapie (z.B. Trauma Systems Therapy von Saxe et al.)

◼ Mutter-(Eltern)-Kind-Therapie bei ganz jungen Kindern (z.B. Child-Parent-Psychotherapy von Lieberman)

◼ Spezifische Ansätze für komplex traumatisierte Kinder (z.B. Blaustein & Kinniburgh)

Page 18: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

TRAUMA

KIND SOZIALES UMFELD

BEWERTUNGEN

PSYCHO-SOZIALES BEFINDEN

1 2

3

4

COPING

Interventionsfelder der Traumatherapie

[Landolt, 2003]

Interventionsfelder 3 und 4

◼ Zentrale Bedeutung von kognitiven Bewertungen in der Traumabewältigung

◼ Korrektur und Restrukturierung dysfunktionaler Kognitionen

◼ Korrektur dysfunktionaler Bewältigungsstrategien (Verhalten)

Trauma-fokussierte kognitiv-behaviorale Therapie

Page 19: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

Komponenten der TF-KVT*

Psychoedukation und Elternfertigkeiten

Relaxation (Entspannung)

Affektregulation

Kognitive Bewältigung und Verarbeitung

Traumanarrativ

In-vivo-Bewältigung von Traumahinweisreizen

Conjoint (gemeinsame Kind-Eltern-Sitzungen)

Erleichtern (enhancing) künftiger Sicherheit und Entwicklung

*Cohen, J., Mannarino, A. & Deblinger, E. (2009). Traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie bei Kindern und Jugendlichen (S. 27-48). Heidelberg: Springer

Evidenz Traumatherapie bei Kindern

 Heterogene Studienlage  Diverse Studien noch nicht publiziert bzw. im Gang  KBT: viele Studien, qualitativ gut  EMDR: viele Studien, qualitativ uneinheitlich  Andere Verfahren: ungenügende Studienzahl bzw. qualitativ

schlechte Studien

 Unterschiede betreffend der untersuchten Trauma-population  Art des Traumas  Ausschlusskriterien betr. Komorbidität  Alter  Setting (naturalistisch vs. wissenschaftlich)

Page 20: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

Stufe 1

•  1a: Trauma-fokussierte KBT (einzeln, Gruppe), EMDR

•  1b: KIDNET*

Stufe 2

•  2b: Traumabezogene Spieltherapie, Child-Parent-Psychotherapy (Lieberman)

Stufe 3

•  Familien-/systemtherapeutische Verfahren (z.B. Trauma Systems Therapy)

Stufe 4

•  Psychodynamische und hypnotherapeutische Verfahren

Evidenz der einzelnen Verfahren (Landolt, 2010)

(* bislang auschliesslich Studien bei traumatisierten Flüchtlingen)

Fazit

 Das Spektrum an Traumafolgestörungen ist auch im Kindesalter breit

 Im Bereich der Notfallpsychologie nach Monotrauma ist die Studienlage noch ungenügend, es gibt aber erste Evidenz bezüglich hilfreicher Interventionen

 Es gibt hochwirksame, traumatherapeutische Verfahren für das Kindesalter  Verfahren der ersten Wahl: Tf-KBT, EMDR, KIDNET

 Ungenügend ist die Evidenz bezüglich komplexer Störungen und bezüglich Kinder im Vorschulalter

Page 21: Evidenzbasierte Methoden der Traumatherapie bei Kindern

Ausbildung

 Zertifikat „Spezielle Psychotraumatherapie für Kinder und Jugendliche“ der DeGPT (www.degpt.de)

 Ausbildung: www.kindertraumainstitut.de

Literatur

Landolt M.A. (2012). Psychotrauma-tologie des Kindesalters: Grundlagen, Diagnostik und Interventionen (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe

Landolt M.A. & Hensel T. (2012). Traumatherapie bei Kindern und Jugendlichen (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.