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Zeitschrift des Internationalen Versöhnungsbundes · Österreichischer Zweig Forum für aktive Gewaltfreiheit l Flüchtlingskrise. Was nun? l Black Lives Matter: USA und Kolumbien l Option für die Armen Titelbild: Hiroshimatag am Karlsplatz Nr. 3 Oktober 2015, 3,- 4613_15_Spinnrad3_Umschlag_wd_4613_15_Spinnrad3_Umschlag_wd 01.10.15 15:56 Seite 3

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Zeitschrift des Internationalen Versöhnungsbundes · Österreichischer Zweig

Forum für aktiveGewaltfreiheit

l Flüchtlingskrise. Was nun?

l Black Lives Matter:USA und Kolumbien

l Option für die Armen

Titelbild: Hiroshimatagam Karlsplatz

Nr. 3Oktober 2015, € 3,-

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EdItOrIal, ImprEssUm 2

EUrOpa In dEr FlüchtlIngskrIsE. Was nUn? 3von Daniel Vychytil

FOr Usa Und dIE Black lIvEs mattEr-BEWEgUng 4von Kristin Stoneking

kOlUmBIEn: Black lIvEs mattEr! 7von Michaela Söllinger

aktIv Im vErsöhnUngsBUnd 9Aktivitäten unserer Mitglieder

„WIr kOmmEn In FrIEdEn, Im gEdEnkEn an dIE 10gEtötEtEn...” IntErnatIOnalEr dIalOg „ErInnErUng,gErEchtIgkEIt Und vErsöhnUng?!“von Pete Hämmerle

das BEdIngUngslOsE grUndEInkOmmEn (BgE) 12Und dIE aktIvE gEWaltFrEIhEIt

von Robert Reischer

WE havE a drEam... 14Einladung zur Mitgliederversammlung

kOmmt dIE „OptiOn für die Armen?” 15/Ivon Peter Pober-Lawatsch

Gastkommentare müssen nicht mit der Meinung des Redaktions-teams übereinstimmen.

ImprEssUm (alle anderen ungültig):verleger, herausgeber: Internationaler Versöhnungs bund, österreichischer Zweig (IVB)

redaktion: Irmgard Ehrenberger, Pete Hämmerle,Lucia Hämmerle

adresse: Lederergasse 23/3/27, A - 1080 Wien; Tel./Fax: 01/408 53 32; Email: [email protected]

Umschlagdesign: Monika Naskau

layout: Lucia Hämmerle

hersteller: AV+Astoria Druckzentrum GmbH,Faradaygasse 6, 1030 Wien; verlagspostamt: 1080 Wien

Bankverbindung: PSK, Kto.Nr. 92022553 (BLZ 60000);

BIC: OPSKATWW, IBAN: AT94 6000 0000 9202 2553

preis der Einzelnummer: € 3,-abonnement: € 12,- (Inland), € 15,- (Ausland)Für mitglieder des IvB kostenlos!

Der IVB ist ein Zweig der internationalen gewaltfreien BewegungInternational Fellowship of Reconciliation (IFOR). IFOR hat bera-tenden Status bei ECOSOC und UNESCO. IFOR umfasst einNetzwerk von 80 Zweigen und Gruppen auf allen Kontinenten.www.ifor.org

Der Internationale Versöhnungsbund isteine Vereinigung von Menschen, diesich aufgrund ihres religiösen Glaubens oder ihrer humanistischen Grundhaltungzur Gewaltfreiheit als Lebensweg und als Mittelpersönlicher, sozialer und politischer Veränderung bekennen.

I n h a l t Liebe Leserinnen und Leser!

Uns beschäftigt im Moment so Einiges. Es passiert viel– an österreichischen Grenzen und auf Bahnhöfen, inunseren Projektländern und sowieso auf der ganzenWelt. 20 Seiten Spinnrad schaffen es nicht, das alles zufassen. Sie sind wie immer nur ein Auszug. Was die Arti-kel in der Herbstausgabe des Spinnrads verbindet istein Gedanke, der gleichzeitig Aufgabe und Auftrag ist:Das Miteinander gestalten wir!

Im Leitartikel „Europa in der Flüchtlingskrise. Was nun?“(S.3) plädiert Daniel Vychytil für Mut zum Engagementund gibt Hinweise, wie jede und jeder einzelne kon-struktiv in der Flüchtlingsfrage tätig werden kann.

Auch in der „Black Lives Matter!”-Bewegung in den USA(S.4) geht es um ein Miteinander, das nicht weiter unbe-helligt die einen zu Gunsten der anderen übervorteilt.Weil man sich auf Augenhöhe begegnen will und muss.Und wieder einmal lassen uns die Berichte begreifen,dass Veränderung manchmal schwer, aber nichtunmöglich ist. Dass es Menschen mit langem Atembraucht und dass es diese auch gibt, ja, dass sogar wirgenau diese Menschen sein können, die Missstände auf-zeigen und Brücken schlagen, auch dann noch, wennman uns Handschellen anlegt.

Manchmal geht es darum, wie in Kolumbien, Ansätzefriedlichen Zusammenlebens (Friedensdörfer undHumanitäre Zonen) mitten im Krieg zu schaffen (S.7),und manchmal, gemeinsam des Vergangenen zu geden-ken, das uns heute noch entzweit, um so ein neues Mit-einander zu ermöglichen. Vielleicht gestalten wir einMiteinander, das unsere Bedürfnisse anerkennt („DasBedingungslose Grundeinkommen und die AktiveGewaltfreiheit”, S. 12) und jenen Priorität einräumt, diederzeit noch „die Armen” sind (S. 15). Wenn wir unsdafür entscheiden. Das Miteinander gestalten wirbereits heute, zuhause, auf den Bahnhöfen und imgewaltfreien Engagement. Vor allem aber zusammen.

Lucia Hämmerle

24. Oktober 2015 um 19:00 Uhr: Die Lateinamerikaarbeit des Ver-söhnungsbundes - 3 Generationen. Mit Hildegard Goss-Mayr, Tho-mas Reininger und Michaela Söllinger. Mehr auf Seite 14!

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3 Spinnrad 3 / 2015

Ende August werden auf derA4 bei Parndorf 71 ToteFlüchtlinge in einem abge-

stellten LKW entdeckt. Die Flücht-lingssituation in Ungarn nimmtkatastrophale Zustände an. DieFlüchtlingsdramen sind endgültignach Mitteleuropa und nach Öster-reich gekommen. Die Bestürzung,aber auch die Ohnmacht sind groß.Was nun?

Wer sich mit dem Thema Fluchtintensiver auseinandergesetzt hat,dem war klar, dass dies kommenmuss. Die katastrophalen Zuständeim Lager Traiskirchen im Sommer2015 waren klare Vorzeichen dafür.Natürlich kann man sagen, die Zahlder Asylanträge schnellt in dieHöhe,(1) es sind zwar doppelt soviele wie 2014, aber es sind trotz-dem „nur“ 156 pro Tag. Im Ver-gleich haben an einem einzigenWochenende im Frühjahr mehreretausend Flüchtlinge aus Syrien dieGrenze zur Türkei überquert. DerLibanon (10.452 km2) hat bereitsca. 1,2 Millionen Flüchtlinge ausSyrien und dem Irak aufgenom-men. Auch die Staaten an der EU-Außengrenze (und das sind dieärmeren Staaten in der EU) sindmit weitaus höheren Zahlen alsÖsterreich konfrontiert.

Warum kommt es zum scheinbarenAsylnotstand? Dafür gibt es mehre-re Gründe, der Hauptgrund in Ös-terreich ist sicherlich der, dass seitJahrzehnten gegen Flüchtlinge –egal von wo sie gekommen sind –politisch gehetzt wurde. Ein/eInnenminister/in war bzw. ist dannerfolgreich, wenn die Zahl der Asyl-anträge gesunken ist. Stieg dieZahl nur leicht wurde sofortnach Maßnahmen – wie erneutenGrenzkontrollen und strengerenAsylgesetzen - gerufen. Kein

Gesetz wurde in den letzten Jahrenso oft reformiert, d.h. in diesem Fal-le verschärft, wie das Asylgesetz.Flüchtlinge werden oft als Wirt-schaftsflüchtlinge und Scheinasy-lant_innen abgestempelt.

Des weiteren ist die Flüchtlingspro-blematik auch ein Zeichen derWeltsituation. Diese ist seit der glo-balen Finanzkrise 2008, dem „ara-bischen Frühling“ 2011, dem stei-genden Terrorismus, vermehrtenKriegen (Syrien, Irak, Jemen,Libyen, aber auch die vergessenenKriege wie z.B. Südsudan…) undauch durch die immer stärkerenFolgen des Klimawandels weltweitum vieles instabiler und ungemüt-licher geworden.(2) Diese externenFaktoren spielen natürlich eine ent-scheidende Rolle und sind viel-leicht sogar die Hauptursache fürdie gefühlte Ohnmacht. Was kannich als Einzelne_r tun – gegen die-se globalen Probleme, wenn sogarunsere Politiker_innen zu versagenscheinen?

Wie soll man nun umgehen mit die-ser schwierigen Situation? Ein Wegist sicherlich falsch, der des Weg-schauens oder des Hoffens, dasssich dieses Problem wie durch einWunder von selbst erledigt odervon den Politiker_innen gelöst wird,alles beim Alten bleibt und wir inunserer „gut bürgerlichen“ Weltweiterleben können. Beides wirdnicht passieren. Das Wunder wirdnicht eintreten, dafür ist die globaleKrise bereits zu groß. Alles hängtmit allem zusammen, wie PapstFranziskus in seiner letzten Enzy-klika „Laudato si“ erwähnt: derHunger, die Kriege, die Ausbeutungvon Mensch und Natur, der Klima-wandel. Und Europa ist nicht eineInsel der Seligen, ebenso wenigÖsterreich. Wir können uns vor der

Verantwortung nicht drücken, auchwenn wir es gerne tun würden.

Aber auch die Politker_innen wer-den dieses Problem nicht lösen.Warum? Ganz einfach, weil die Kri-se zu groß und komplex ist und weildiese Krise nicht mit der üblichenWahlkampftaktik und Rhetorik derPolitik zu lösen ist. Eine Lösungkönnen nur alle gesellschaftlichenGruppen zusammen erarbeiten,also die Politik, die Behörden, dieNGOs und vor allem jede und jedereinzelne. Du und ich.

aber was ist nun zu tun? Ichschlage fünf schritte vor:

a) Empathie zeigen: Sich von denvielen Bildern und Geschichten vonFlüchtlingen sowohl hier in Öster-reich (als Beispiel sei Traiskirchenerwähnt) als auch weltweit berüh-ren lassen. Den Schmerz, die Ohn-macht, aber auch die Wut spürenund nicht gleich die Flucht ergrei-fen. In diesen Gefühlen – vor allemder Wut - liegt die entscheidendeEnergie zum Handeln.

b) handeln: Viele Menschen inÖsterreich zeigen, wie es gehenkann. Sich bei NGOs melden undehrenamtlich mitarbeiten. Bei denHotspots (zur Zeit sind das dieBahnhöfe) vorbeikommen und hel-fen, Wohnraum zur Verfügung stel-len, Zeit für Flüchtlinge schenkenoder sogar eigene Initiativen star-ten. Aber auch Sach- und Geld-spenden sind von zentraler Bedeu-tung. Das Handeln hilft uns, zumin-dest ein wenig, die Ohnmacht zuüberwinden und man bekommtauch überraschend viel zurück.Und zentral ist, dass Flüchtlingeplötzlich ein konkretes Gesichtbekommen. Begegnung wird mög-lich und das kann vieles verändern.

Flüchtlinge

Europa in der Flüchtlingskrise. Was nun?von Daniel Vychytil

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c) sich vernetzen: Wichtig ist es,nicht einfach drauf loszuwerken,sondern zu schauen, wo es bereitsInitiativen gibt, wo meine Fähigkei-ten am besten gebraucht werden.Gleichzeitig ist die Vernetzung einweiterer Impuls das Ohnmachtsge-fühl zu überwinden, denn wir mer-ken dann, dass wir nicht die einzi-gen sind, die etwas verändern wol-len. Wir sind viele, mittlerweile sehrviele. Und außerdem ist die Vernet-zung wichtig um gute und kompe-tente Hilfe leisten zu können.

d) Informieren: Dieser Punktkommt erst jetzt, warum? Es istnicht notwendig sich im Asylgesetzauszukennen um etwas zu tun,zumindest nicht zu Beginn. Aber esist wichtig sich zu informieren umdie Komplexität der Situation zuerkennen und auch das eigeneHandeln richtig zu verorten. Ichglaube, es ist sogar eine Art Ver-pflichtung, sich immer mehr mit die-sen komplexen Themen auseinan-der zu setzen, denn es sind immerauch politische Entscheidungen,die sich ganz konkret positiv odernegativ auf die Flüchtlinge auswir-ken.

e) politisch aktiv werden: Eshängt von uns ab, ob Flüchtlinge inÖsterreich willkommen geheißenwerden oder neue Zäune - wie inUngarn - gebaut werden. Druck aufdie Politiker_innen auszuüben istganz entscheidend. Mögliche Mittel

sind Teilnahme an Demonstratio-nen, Mahnwachen, aber auch Kon-taktaufnahme mit Politiker_innen.Vor allem diejeningen, die sich fürdie Aufnahme von Flüchtlingenengagieren, gilt es zu bestärken.

Ich wünsche allen Leser_innen desArtikels Mut zum Engagement undFreude am Aktiv-Werden. Flüchtlin-ge willkommen heißen bedeutetetwas in Österreich zu verändern.Und momentan sind wir viele unddas ist gut so.

Mag. Daniel Vychytil ist langjähri-ges Versöhnungsbund-Mitglied, istseit vielen Jahren in der Flücht-lingsarbeit aktiv und Pastoralassi-stent in der Erzdiözese Wien.

1) 2013: 17.503 Asylanträge, 2014:28.027 Asylanträge und 2015 bis Juni28.311 (davon 7.692 aus Syrien, 5.749aus Afghanistan und 3.806 aus demIrak – alles Länder, in denen niemandvon uns zur Zeit auch nur einen Tagverbringen wollte).

2) Laut AKUF (www.wiso.uni-hamburg.de) herrschte in folgendenLändern 2014 Krieg: D.R. Kongo, Mali,Nigeria, Somalia, Sudan, Südsudan,Zentralafrikanische Republik, Indien(Kaschmir), Myanmar, Pakistan, Philip-pinen (Mindanao), Süd-Thailand,Afghanistan, Irak, Syrien, Jemen,Libyen, Russland (Nordkaukasus),Kolumbien und Ukraine.

Seit letztem August nimmt derUS-amerikanische Zweigdes Versöhnungsbundes

(FOR-USA) eine führende Rolle inder Black Lives Matter-Bewegung(dt: Schwarze Leben zählen) ein,die in Ferguson, Missouri, ihrenAusgangspunkt hatte. Am 9.August 2014 wurde Michael Brown,ein unbewaffneter junger Schwar-zer, von einem Beamten der Poli-zeibehörde Ferguson ermordet. Erwurde nicht in mitfühlender Weisevon der Straße, auf der er starb,weggetragen, stattdessen wurdenFamilie und Freund_innen vierStunden lang daran gehindert sichseinem Körper zu nähern, währender tot und bewegungslos dalag.

In Ferguson, wo afroamerikanischeBürger_innen litten – unter einerrassistischen Polizei, darunter,dass die städtische Wirtschaft sichdarauf stützt, dass von ihnenbegangene geringe oder angebli-che Gesetzesübertretungen mit zuhohen Geldstrafen belegt werden,was zu Entrechtung und Misstrau-en führte, unter einer hypermilitari-sierten Gesellschaft, wo die Ant-wort auf die Frage nach öffentlicherSicherheit Kriegswaffen miteinbe-zieht – war die Antwort: „No more!“In den folgenden Nächten kames zu Protesten, und FOR USAschickte Reverend Osagyefo

Sekou, FOR Freeman Stipendiatund ursprünglich aus St. Louis,Missouri, nach Ferguson auf dieStraße.

Seit damals wurden von FOR USAüber tausend Menschen in gewalt-freiem zivilen Ungehorsam ge-schult, Delegationen in Fergusongeleitet, die Erfahrungen vielerFOR Mitarbeiter_innen und Mitglie-der vor Ort mit unseren Ortsgrup-pen und Partner_innen geteilt undVerständnis für jene Problemegeneriert, um die es bei der BlackLives Matter-Bewegung geht: Ras-sismus, Einkommensungleichheit,Masseninhaftierungen und die Mili-

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Flüchtlinge

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tarisierung der Gemeinden in denVereinigten Staaten. Wir organi-sierten zwei sogenannte „Morali-scher Montag“- Proteste – direkteAktionen -, einen im Oktober 2014als Höhepunkt des „Ferguson Oct-ober“-Wochenendes und einen imAugust 2015 im Rahmen derGedenkveranstaltungen zum Jah-restag des Todes von MichaelBrown.

Der nationale Diskurs, den dieBlack Lives Matter-Bewegung überRassismus, strukturelle Ungleich-behandlung und militarisierte Ge-meinden gestartet hat, war schonlange notwendig, ist aber für dieMenschen von FOR USA nichtsNeues. In den Vereinigten Staatenwird immer mehr Menschen allerBevölkerungsgruppen bewusst,dass diese Art von Tötungen Teileines größeren systematischenMusters sind, keine Einzelfälle.Und genau dieses Bewusstseinbraucht es für zukünftige Verände-rung.

Dieses wachsende Bewusstseinzeigt sich besonders bei der wei-ßen Bevölkerung: Im Dezember2014 gaben 51% aller Befragtenbei einer Umfrage von ABC/Was-hington Post an, dass sie dieErschießungen schwarzer Men-schen für Einzelfälle hielten; bereitsim März ist diese Zahl auf 29%gesunken. Unter weißen Menschenbetrugen die Zahlen zunächst 60%,später 45% - eine Veränderung, diebezeugt, dass eine Mehrheit dieMeinung vertritt, dass tatsächlichein besorgniserregendes Musterexistiert.

In einem Bericht von März undeinem weiteren, der diesen Som-mer veröffentlicht wurde, bestätigtedas US Justizministerium (Depart-

ment of Justice - DOJ) die Meinungder Protestierenden, dass die Prak-tiken der Polizeibehörde in Fergu-son den ersten, vierten und vier-zehnten Zusatz zur Verfassungverletzen, Afroamerikaner_inneneiner Ungleichbehandlung ausset-zen und selbst, wenn sie rechtmä-ßig sind, die öffentliche Sicherheitund das Vertrauen gefährden.Zusätzlich förderten die Taktikender Polizeibehörde in Fergusonnach dem Tod von Michael Browndas bereits tief verwurzelte Miss-trauen und die Gewalt.

Obwohl diese Berichte nicht ein-deutiger hätten ausfallen können,weigert sich die Polizeibehörde inFerguson mit tiefgreifenden Verän-derungen zu reagieren. Obwohl eseinen neuen Polizeichef und einenneuen Verantwortlichen der Stadtin Ferguson gibt, die beide Afroa-merikaner sind, wurden diese nurinterimistisch auf diese Postenberufen und tragen diese Bezeich-nung auch vor ihren Titeln. Und dieTatsache, dass Fergusons Bürger-meister Knowles laut DOJ-Berichtgroße Mitschuld trägt und Rük-ktrittsforderungen trotzdem nichtnachkommen will, stellt eine wirkli-che Bereitschaft für Veränderung inFrage.

Die Protestierenden auf den Stra-ßen denken nicht, dass sich dasVorgehen der Polizei geändert hat.In der Nacht vor unserem „Morali-schen Montag“ im August wurdeein weiterer junger schwarzerMann mit einer Kugel aus der Waf-fe eines Polizisten getötet. In einersolchen Situation muss die Regie-rung die Zuständigkeit übernehmenund die Gerechtigkeit im Landsicherstellen. Das hat sie jedochnicht getan.

Unser „Moralischer Montag“-Pro-test 2015 im Rahmen der Gedenk-veranstaltungen zum Jahrestagdes Todes von Michael Brown wur-de getragen von lokalen Aktivist_innen, religiösen Persönlichkeitenund Angestellten von FOR USA.Wir engagierten uns in der fortlau-fenden Kampagne für eine Fokus-sierung auf Strafbarkeit und dieVerantwortlichkeit des Justizmini-steriums. In der Christ ChurchCathedral erklärte Reverend Osa-gyefo Sekou einer Gruppe vonmehreren hundert Menschen denPlan für die Aktion. Gretchen Hon-nold, ebenfalls von FOR USA,sammelte Unterstützungserklärun-gen für jene, die möglicherweisefestgenommen werden würden.Gegen Mittag, als die Kirchenglo-cken läuteten, führten uns Reve-rend Sekou, Dr. Cornel West undandere religiöse Führungspersön-lichkeiten aus St. Louis aus der Kir-che und zum Thomas F. EagletonGerichtsgebäude.

Unsere Parole “DOJ! Do Your

Job!” (Justitzministerium! Machdeine Arbeit!) vermittelte unsereForderung, dass das demokrati-sche System der Regierung schnellund entschieden handeln muss umdieses Leid und den Horror zuunterbinden. Es liegt in unserermoralischen Verantwortung allegewaltfreien Aktionsmöglichkeiten,die uns zur Verfügung stehen –inklusive unserer Körper - auszu-schöpfen um eine Transformationvon Systemen des Leidens und derUngerechtigkeit zu verlangen.

Wir forderten eine Unterhaltung mitStaatsanwalt Richard Callahan undwollten konkrete Pläne hören,sowie eine Zusage, dass man inallen Bereichen unserer Forde-rungsliste aktiv wird. Dies würde

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Black lives Matter

FOR-USA und die Black Lives Matter-Bewegungvon Kristin Stoneking

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auch die strukturelle Auflösung derPolizeibehörde in Ferguson bein-halten. Wir berührten uns gegen-seitig an der Stirn und tröpfeltenheiliges Öl, gebracht von RabbiSusan Talve (Central ReformCongregation in St. Louis), auf denBoden um den Ruf nach Gerechtig-keit als moralische und heiligePflicht zu benennen.

Als unseren Forderungen nichtnachgekommen wurde, klettertenwir über die Barrikaden zumGebäude, hakten uns unter undsetzten uns nieder. Unsere Körperbrachten so zum Ausdruck, dasswir nicht weggebracht werden woll-ten und dass wir mit den Systemen,die Menschen aufgrund ihrer Haut-farbe herauspicken, entrechten,einsperren und töten, nicht einver-standen sind. Als die Polizei von St.Louis in Formation vor einer Reihevon Marshalls der Homeland Secu-rity mit geladenen und einsatzbe-reiten Tasern kam, wussten wir,dass Verhaftungen bevorstanden.57 von uns wurden verhaftet. „Dasmuss nicht so sein“, sagte ich zudem Polizisten, der mir Handschel-len anlegte. „Der Bericht desJustizministeriums war klar und dieÜbergriffe müssen thematisiertwerden. Ich weiß, dass wir beidedas wollen.“

Nachdem jahrelang Anklagengegen Protestierende fallen gelas-sen werden mussten, weil die Iden-tität des verhaftenden Polizistennicht festgestellt werden konnte,scheint die Praxis nun zu sein,dass der verhaftende Polizist eineArt neuer Kumpel des Protestieren-den wird, indem er den/die ande-re_n aktiv wahrnimmt, was seinenHöhepunkt in einem bizzaren Fotofindet, das die Behörde macht, umdie Beziehung der beiden festzu-halten, bevor man zu einer Zelleeskortiert wird. Weil die Schlangesehr lang war, führte ich die Unter-haltung mit dem Polizisten weiter.„Es ist jetzt ein Jahr her, dass

Michael Brown erschossen wurde.Finden Sie, dass sich in ihremDepartment viel geändert hat?“

„Nun ja, immer wenn sowas pas-siert, schicken sie Referent_innenund es gibt zusätzliche Trainings.”Ich fragte mich, ob diese Bemühun-gen tatsächliche Auswirkungen hat-ten oder bloß toleriert wurden, umeine Antwort auf die Frage „Waswird getan?“ präsentieren zu kön-nen. Wir wurden wieder still und einanderer Protestierender begannspontan zu rezitieren, sprach mutigdie Wahrheit in den Raum, nanntedie Namen einiger, die im letztenJahr getötet wurden, und verlangtenach Gerechtigkeit.

„Mir reicht es mit den ganzenTötungen”, sagte ich. „Ich bin hier,weil ich will, dass das aufhört.“ DerPolizist antwortete nicht. „Wie, mei-nen Sie, sollte die Lösung aus-schauen?“, fragte ich ihn.Er zöger-te kurz und sagte dann: „Da geht esum viele Dinge. Bildung, Program-me, Eltern, die sich einbringen.“

Ich war dankbar, dass er geantwor-tet hatte, und es lag auch Wahrheitin dem, was er sagte: natürlich sindBildung, konstruktive Programmeund Unterstützung der FamilieSchlüsselelemente für Gesundheitund gutes Zusammenleben. Gand-hi meinte das Verhältnis vonobstruktivem (Protest) und kon-struktivem Programm sei 10 zu 90.

„Wir haben die Police ActivitiesLeague (PAL), wo Polizeibeamteund -beamtinnen sich freiwillig alsMentor_innen und Coaches zurVerfügung stellen, aber mancheMenschen wollen keine Hilfe.“

Wir standen nicht unbedingt ineinem Dialog: Ich war in Hand-schellen und er trug immer nochseinen Taser, aber es war eineMöglichkeit einander anzuhören.Ich sagte ihm, dass ich die PALkenne und weiß, dass dort gute

Arbeit geleistet wird, aber dassmich der Paternalismus und dieVoreingenommenheit seiner letztenAussage beunruhigen.

„Ist es nicht möglich, dass es Bar-rieren auf dem Weg zum Erfolg,oder sogar einfach im Lebendadurch gibt, wie das System nuneinmal funktioniert? Das themati-siert der Bericht des Justizministeri-ums.“

Leider hatte er keine Zeit mehr zuantworten, da wir an der Reihe fürunser Foto waren, woraufhin ich aneine weibliche Beamtin weiterge-reicht wurde, die mich durchsuchte.Ich war dankbar für unsere kurzeUnterhaltung, aber auch besorgt.Die lange Schlange gab uns dieChance unsere Situation zu ver-menschlichen, kein „wir gegeneuch“ zu werden, sondern machteuns zu zwei Individuen guten Wil-lens.

Worüber wir uns jedoch offensicht-lich uneinig waren, war unser Ver-ständnis vom strukturellen Bösenund die Verantwortung jedes/jedereinzelnen sich individuell und alsKollektiv dagegen einzusetzen.Während er dachte, dass Machtwohlwollend eingesetzt werdenkann, glaube ich, dass es in unse-rer Verantwortung liegt stetig dieMechanismen zu hinterfragen,durch die individuelle, kollektiveoder systematische Kräfte blindeFlecken für Privilegien und Tren-nungen kreiieren, die zum Leidenbeitragen.

Und so machen wir weiter. Wir sindnun im zweiten Jahr der BlackLives Matter-Bewegung und wis-sen, dass wir nur erfolgreich seinkönnen, wenn wir nicht nur beischlechten Strategien und Prakti-ken, sondern auch in den Herzenund Köpfen ansetzen.

Reverend Kristin Stoneking ist

Geschäftsführerin bei FOR USA.

Black lives Matter

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Ende Juli 2015, irgendwo inKolumbien, online. Langsambeginnt der Tag mit Kaffee

und Nachrichten - das Neueste desTages per Twitter vorselektiert.Unter den vielen #BlackLivesMatterBeiträgen erscheint plötzlich einspanischer Eintrag, mit #Buena-ventura. Bald wird klar, dass essich um ein lange drohendes, tödli-ches Attentat auf Christian Ara-

gon Valenzuela, einen 17-jährigenAfrokolumbianer handelt. Wievielzählen „schwarze Leben” in Kolum-bien?

In Kolumbien hat sich lange Zeit dieBehauptung, dass Rassismus qua-si inexistent sei, gehalten. Grunddafür war der Glaube an eineMisch- oder Mestizengesellschaft,eine Politik, die in den letztenJahrhunderten unterstützt wurde.Obwohl Ende des letzten Jahrtau-sends der Staat die rassistischeDiskriminierung der afrokolumbia-nischen Bevölkerung anerkannthat, wird die „Unsichtbarkeit” derafrokolumbianischen Bevölkerungdurch die 100% Abwesenheit vonAfrokolumbianer_innen in der ober-sten Regierungsschicht weiterhinverstärkt. Mit 11% ist die Gruppevon Afrokolumbianer_innen diezweitgrösste Ethnie nach denMestiz_innen, die mit 86% dieMehrheit bilden.(1)

In den 90er Jahren wurde mit demÜbergangsartikel 55 der politischenVerfassung und dem Gesetz 70von 1993 ein progressiver juridi-scher Rahmen für die Anerkennungder Rechte der afrokolumbiani-schen Bevölkerung geschaffen.Diese Rechte und der Schutz derafrokolumbianischen Bevölkerungsind jedoch bis heute nicht umge-setzt, wie in einem Bericht derBeobachtungsstelle für rassistischeDiskriminierung (Observatorio de

discriminación racial) von 2007 ein-drücklich zusammengefasst wird.(2)

Laut diesem Bericht sind alleArmutsindikatoren für Afrokolumbi-aner_innen deutlich höher als fürMestiz_innen. Die Sterberate fürKinder ist fast doppelt so hoch unddie Lebenserwartung afrokolombia-nischer Männer und Frauen ist sig-nifikant niedriger als jene der größ-ten Bevölkerungsgruppe. Kolum-bien hat weltweit die zweitmeisteninternen Vertriebenen und für dieafrokolumbianische Bevölkerungist die Wahrscheinlichkeit, vertrie-ben zu werden, 84% höher als fürdie mehrheitliche Mestizenbevölke-rung. Damit nicht genug, haben69% der vertriebenen afrokolomba-nischen Bevölkerung keinenZugang zu Bildung.

Buenaventura, die HeimatstadtChristian Aragons, mit dem höch-sten Anteil an afrokolumbianischer

Bevölkerung in Kolumbien - mehrals 90% - ist einer der Orte, wo die-se Statistiken noch prekärer ausfal-len. Buenaventura ist die größtekolumbianische Hafenstadt amPazifik mit einem immensen wirt-schaftlichen Wachstum. Trotzdemist die Bevölkerung der Stadt eineder ärmsten im Land. 80% lebenunter der Armutsgrenze, und 43%leben in extremer Armut. Mit einerArbeitslosenrate von 40% wird dernationale Durchschnitt um dasVierfache überschritten.(3)

Die Stadt Buenaventura teilt sich inzwei Teile: den kontinentalen Teilund eine Inselzone. Vor allem dieInselzone beherbergt viele internVertriebene aus den umliegendenruralen Gebieten, die vor denGefahren durch neo-paramilitäri-sche Gruppen, BACRIMS, Guerril-lagruppen und Operationen deskolumbianischen Militärs geflohensind. Zwischen 2008 und 2015 ist

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koluMBien

Kolumbien - Black Lives Matter!von Michaela Söllinger

In Buenaventura

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die Zahl der Bevölkerung auf derInselzone von 30.000 auf bis zu110.000 Personen angestiegen.Nun sollen die Vertriebenen, diesich mit ihren Pfahlbauten immermehr aufs Meer ausbreiten, neuer-lich für ein ehrgeiziges Tourismus-projekt auf der Stadtinsel Platzmachen.(4)

Gleichzeitig terrorisieren seit Jah-ren bewaffnete Gruppen, die sichaus alten paramilitärischen Struktu-ren entwickelt haben, ihre Einwoh-ner_innen. In den letzten Jahrenhaben vor allem sogenannte Zer-stückelungshäuser, in denen Per-sonen durch Zerstückelung zuTode gefoltert werden, internationa-le Aufmerksamkeit erregt(5), undPräsident Manuel Santos kündigtedaraufhin 2014 an mit spezifischenOperationen die öffentliche Sicher-heit zu verbessern und Nachfolge-gruppen der Paramilitärs zu zer-schlagen. Bis dahin hatte der Staatauf die ansteigende Gewalt vorallem mit Militarisierung reagiert.Jüngste Berichte machen jedochdeutlich, dass für Verbrechen ge-gen die afrokolumbianische Bevöl-kerung Buenaventuras nach wievor de facto Straffreiheit herrscht.So hat es zum Beispiel in den über400 Fällen von Vermissten der letz-

ten Jahre bis zum Februar 2015nur fünf Verhaftungen gegeben.(6)

In diesem Umfeld war es, dass am19. Juli der 17-jährige Afrokolumbi-aner Christian Aragon Valenzuelaund sein Freund Sol Angel im Vier-tel La Playita der Inselzone getötetwurden. Christian Aragón Valen-zuela und seine Familie hattenzusammen, wie viele andere afro-kolumbianische Familien, seit Jah-ren versucht, gewaltfreie Alternati-ven für die Jugendlichen der Stadtzu entwickeln und zu unterstützen.Unter anderem unterstützten siedie Gründung des humanitärenRaumes von Puente Nayero imApril 2014.

Puente Nayero ist im Grunde eineStraße in La Playita, deren Bevöl-kerung sich zusammengeschlos-sen hat und versucht ihre Straßevon illegalen bewaffneten Gruppenfreizuhalten. Dieser Aktivismusmachte die Familien Aragon undValenzuela zum Feind der vorherr-schenden bewaffneten Gruppen,und nach mehreren Drohungenverließen die Familien letztes Jahrvorübergehend Buenaventura.Christian war nur wenige Wochenvor dem tödlichen Attentat, das nurca. 500 m von Puente Nayero ent-

fernt statt fand, mit seiner Familienach Buenaventura zurückgekehrt.Nur Tage nach dem Attentat wur-den mehrere FamilienmitgliederChristians neuerlich bedroht.(7) DieFamilien Aragón und Valenzuelasind keine Einzelfälle, wie der neu-este Human Rights Watch-Berichtzeigt.(8)

Mit einer de facto Straffreiheit fürVerbrechen gegen Afrokolumbia-ner_innen stehen die Chancen füreine Ahndung der Verbrechengegen die hauptsächlich afrokol-umbianische Zivilbevölkerung inBuenaventura sehr gering und eineVerbesserung des Schutzes ihrerGrundrechte scheint weit entfernt.Da die afrokolumbianische Bevöl-kerung besonders hart vom inter-nen bewaffneten Konflikt betroffenist, fordern nationale und internatio-nale Menschenrechtsorganisatio-nen neben einer aktiven Bekäm-pfung der Straffreiheit der Verbre-chen gegen Afrokolumbiener-_innen unter anderem eine Einbin-dung der afrokolumbianischenBevölkerung in die laufenden Frie-densverhandlungen in Havanna.(9)

Michaela Söllinger hat in den letz-ten 2.5 Jahren in verschiedenstenTeilen Kolumbiens als Menschen-rechtsbeobachterin gearbeitet undist zur Zeit Koordinatorin derinternationalen Begleitung vonFOR Peace Presence (http://www.peacepresence.org) in Ko-lumbien. Das Begleitprojekt vonFOR Peace Presence wird vomInternationalen Versöhnungsbund -österreichischer Zweig, unterstützt.

Fußnoten siehe s. 9 (rechts)

8 Spinnrad 3 / 2015

koluMBien

Gedenkfeier von Gewaltopfern in La Playita

Werde jetzt aktiv! Unterstützeunsere Briefkampagne! Unter

www.versoehnungsbund.at/ko lumbien-neo-parami l i ta rs

könnt ihr euch gegen die Straffrei-heit und für die Unterstützung deshumanitären Raums Puente Nay-ero einsetzen.

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gEFlüchtEt Flüchtlingwerden Flüchtling sein

Von 28. - 30. August 2015 fand dasvon den Versöhnungsbund-Mitglie-dern Cornelia Stanzel und Marion

Schreiber (VB-Vorstandsmitglied)organisierte Austauschwochenen-de in Salzburg statt.“Das Austauschwochenende aufder Erentrudisalm bot Gelegenheit,in entspannter Atmosphäre undwunderschöner Umgebung ge-flüchtete Menschen kennenzuler-nen und dabei Freundschaften zuschließen, sowie in kleiner Rundezu diskutieren und nebenbei auchein bisschen Urlaub zumachen."

Caroline

Auch nächstes Jahr soll es EndeAugust wieder ein gemeinsamesWochenende geben!

9 Spinnrad 3 / 2015

Fußnoten zu kolumbien - Blacklives matter!

1.ht tp : / /www.odrac ia l .org / f i les /r2_actividades_recursos/fi_name_archivo.269.pdf

2.ebd.

3.http://justiciaypazcolombia.com/Buenaventura-El-despojo-para-la

4.ebd.

5.https://www.hrw.org/report/2014/03/20/crisis-buenaventura/disappearan-ces-dismemberment-and-displace-ment-colombias-main

6.Colombia: New Killings, Disappea-rances in Pacific Port: https://www.hrw.org/news/2015/03/04/colombia-new-killings-disappearances-pacific-port

7.http://peacepresence.org/2015/08/05/background-on-recent-threats-in-buenaventura

8.siehe Fußnote 6

9.http://www.wola.org/commentary/for_a_lasting_peace_afro_colombi-ans_need_a_seat_at_the_table

Amanuel, Lucia, Carmen, Marion, Said, Cornelia, Angelika, Maria

Valerie, Omran, Caroline, Tariq

hiroshimatag: 6. august 2015

Die zum 70. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima abgehalte-ne Veranstaltung am Stephansplatz wurde vom Versöhnungsbund mitorga-nisiert. Lucia Hämmerle hielt die Rede für die Veranstalter_innen und vie-le Versöhnungsbund-Mitglieder nahmen aktiv an der Gedenkfeier teil.

Alois Reisenbichler vom Wiener Friedensbüro

Aktiv im Versöhnungsbund

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vB aktiv

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Im Juni dieses Jahres fand aufEinladung unserer Partnerorga-nisation Centre for Nonviolent

Action (CNA) und in Zusammenar-beit mit drei deutschen Organisatio-nen (Bundesstiftung zur Aufarbei-tung der SED-Diktatur, Global Lea-dership Academy der Gesellschaftfür Internationale Zusammenarbeit/GIZ und Archiv BürgerbewegungLeipzig) eine internationale Konfe-renz in Sarajewo statt. Der Dialogwar gleichzeitig eine von mehrerenVeranstaltungen im Rahmen der„Nelson Mandela Dialogues“,sodass rund 50 Menschen u.a. ausSüdafrika, Argentinien, Uruguay,Sri Lanka, Kanada, Deutschlandsowie den Nachfolgestaaten desehemaligen Jugoslawien teilnah-men, die alle in Prozessen desUmgangs mit und der Aufarbeitungvon Vergangenheit in den Konflik-ten ihrer jeweiligen Herkunftsländerengagiert sind.

Aufgrund des Gastgeberlandesstand in den drei Tagen v.a. dieSituation in Bosnien-Herzegowinabzw. in der Region des „Westbal-kans“ im Mittelpunkt, anhand dererein internationaler Austausch überFragen wie die folgenden stattfand:

Wie ist die Beziehung zwischenTransitional Justice („Gerechtigkeitund Rechtsstaatlichkeit in Über-gangssituationen“) und Erinne-rungsarbeit in verschiedenen sozia-len Kontexten? Was kann unsereNachkriegsgesellschaften heilen?Welche Konzepte haben sich alserfolgreich erwiesen, welche sindgescheitert? Stecken wir imUmgang mit der Vergangenheit festund was bedeutet das für Versöh-nung?

Nenad Vukosavljević von CNABelgrad sieht die Gesellschaften in

der Region an einer Wegkreuzung:Setzen die Menschen den „Krieg inden Köpfen“, die gegenseitigenSchuldzuweisungen und stereoty-pen Feindbilder fort, oder kann eszu Dialog, Selbstreflexion und einerBefreiung der eigenen und deranderen Seite kommen, zum Bau-en von Brücken über die Gräbenhinweg und somit vielleicht zu Ver-söhnung? Die Fakten – also das,was tatsächlich in den Kriegen der1990er Jahre passiert ist – sindmittlerweile gut dokumentiert, wiez.B. Vesna Teršelič vom kroati-schen Zentrum „Dokumenta“betonte, aber das allein genügtnicht, um ein Gefühl der Sicherheitund des Vertrauens anstelle eines„Es könnte jederzeit wieder passie-ren“ herzustellen. Auch wenn sichviele nicht-staatliche Organisatio-nen und Initiativen um die Aufarbei-tung der Vergangenheit und einenneuen Umgang miteinander bemü-hen, sind doch die Spannungen aufpolitischer Ebene und v.a. in denjeweils vorherrschenden Narrativenin den jeweiligen Staaten oft nochimmer bestimmend. Aber es gibtauch Zeichen der Hoffnung – Ver-söhnungsgesten und –initiativenzwischen Politiker_innen ehemali-ger Kriegsparteien (Kroatien – Ser-bien – Kosovo), neue Formen vonAktivismus gegen soziale Missstän-de (Bosnien-Herzegowina) und vie-le wirklich brücken- und friedensbil-dende Maßnahmen auf trans-regio-naler, gesellschaftlicher Ebene.

Der zweite Tag der Dialogveranstal-tung war dem Besuch des Friedho-fes und des Potočari-Gedenkzen-trums in Srebrenica gewidmet, wodie Erinnerungsstätte an die über8000 Toten des Genozids 1995einen tiefen Eindruck auf die Teil-nehmer_innen hinterließ. Den

Schritt von der Trauer und derBetroffenheit über die Opfer diesesin Europa nach dem 2. Weltkrieggrößten Massenmordes zum Blickauf die Opfer auf allen Seiten die-ses und jedes Krieges, derenmenschliches Leid und die Nicht-Aufrechenbarkeit menschlichenLebens, versuchten die Teilneh-mer_innen bei der abendlichenReflexionsrunde miteinander zutun, und so eine tiefe Verbunden-heit zwischen Menschen, die in denKämpfen gegen Rassismus undApartheid in Nordamerika und Süd-afrika, gegen Militärdiktaturen inLateinamerika, angesichts ethno-politisch-religiöser Konflikte in SriLanka und Ex-Jugoslawien und inder Zeit der Nazi-Diktatur inDeutschland und Österreich aktivsind, entstehen zu lassen.

Der dritte Tag war der Arbeit vonCNA mit Kriegsveteranen verschie-dener Seiten im Konflikt gewidmet,die nunmehr bereits seit 13 Jahrenin unterschiedlichen Formen durch-geführt wird. Bevor vier ehemaligeSoldaten der bosniakischen, derkroatischen, der serbischen (RS)und der Nationalen VolksarmeeJugoslawiens über ihre Erfahrun-gen im Krieg und über ihre jetzigeArbeit der Friedensstiftung berich-teten, führte Adnan Hasanbego-

vić, selbst Veteran der Armee Bos-nien-Herzegowinas in Sarajewound seit vielen Jahren Mitarbeiterim CNA, in den Ansatz der Frie-densarbeit mit Kriegsveteranen ein:

Gemeinsame Gedenkveranstaltun-gen für die im Krieg Getöteten aufallen Seiten sind Teil des Versöh-nungsprozesses, lassen Hass ver-schwinden und erobern neue Räu-me der Freiheit in unseren Gesell-schaften. Dieser Prozess ist nochrelevanter und symbolträchtiger,

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WestBalkan

„Wir kommen in Frieden, im Gedenken an die Getöteten…“

Internationaler Dialog „Erinnerung, Gerechtigkeit und Versöhnung?!“

von Pete Hämmerle

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wenn er von ehemaligen Soldatenund Kriegsveteranen getragenwird. Der Versöhnungsprozessbeinhaltet nicht, den Übeltäter_innen zu vergeben, denn Verge-bung ist ein persönlicher Akt, denwir nicht an Stelle eines/r Anderendurchführen können, aber erbedeutet, gegen die systematischeSchuldzuweisung an ganze Grup-pen oder Nationalitäten aufzutre-ten.(…)

Alle Opfer des Krieges verdienenRespekt, sowohl zivile wie militäri-sche. Allen Getöteten Respekt zuerweisen bedeutet nicht, ihre Zielegutzuheißen, sondern stellt statt-dessen einen Ausdruck desAnstands und der Trauer für denVerlust menschlichen Lebens dar.Für die Veteranen selbst ist dieIdee, gemeinsam der Toten zugedenken, einerseits etwas, wasihrem Herzen nahe ist, ruft aberauch Angst hervor, missverstandenund als Verräter in ihren eigenenGemeinschaften angesehen zuwerden. Anklage und Mangel anVerständnis passieren genau dann,wenn die Gemeinschaft fälschlicherWeise annimmt, dass der Respektgegenüber Opfern der anderenSeite die Verunglimpfung der eige-nen Opfer inkludiert und die Kriegs-handlungen der anderen Seite

befürwortet. (...) Die Botschaft ist,den Opfern Respekt zu erweisenund den Lebenden zu zeigen, dasswir nicht länger Feinde sind, dasswir sie als Menschen, als Nach-bar_innen betrachten, ihrenSchmerz, ihr Leiden und ihre Trau-er verstehen, die durch den Kriegverursacht wurden. Wenn wir Ortedes Tötens besuchen, kommen wirin Frieden, im Gedenken an dieGetöteten und als Warnung dage-gen, dass sich die Geschichtewiederholt. Wir nehmen an Veran-staltungen nur auf Einladung undmit der Unterstützung lokaler Vete-ranenverbände der Stadt oder derRegion teil. Wir sind offen für Dia-log und Kritik, und bereit unsereAktionen und Ansichten zu über-denken. (…)

Wir leben in Gesellschaften, wo es„normal“ ist, dass Empathie dieLinie zwischen „uns“ und „denen“nicht überschreitet. Deshalb ermu-tigt ein gemeinsamer Ausdruck vonEmpathie ein Überdenken der„üblichen“ Arten von Gedächtnisund Gedenken. Wir sind unsbewusst, dass unsere Anwesenheitanderen Gefühle des Unwohlseinsverursachen mag, weil sie nichtverstehen, warum Feinde kommenund denen Respekt erweisen könn-ten, an deren Tod sie die Schuld

tragen. In Wahrheit sind es nichtdiese Individuen, denen die Schuldfür die Übeltaten zugesprochenwerden kann, selbst wenn dieUntaten im Namen ihrer ethnischenGruppe verübt wurden. Genau so,wie viele Taten auch im Namenunserer ethnischen Gruppe began-gen wurden, und wir nicht dafürbeschuldigt werden können, son-dern diese Übel sogar verabscheu-en.

Die Angst, die wir empfinden, wirdvon der Überzeugung überwunden,dass wir das Richtige tun, wenn wirallen Opfern des Krieges unserenRespekt erweisen, und dass dasdie Basis all unserer Gespräche,unserer Zusammenarbeit undunseres Lernens aus unserer jüng-sten, schwierigen Geschichte ist.Wir glauben daran, dass unsereEinheit in unserer gemeinsamenMenschlichkeit entscheidend fürein Leben in Frieden, gegenseiti-gem Respekt, Sicherheit und Wür-de ist.

Die langjährige Kooperation vonCNA Belgrad und Sarajewo, Ver-söhnungsbund und DiakonieAustria wird in einem gemeinsa-men, von der Austrian Develop-ment Agency (ADA) gefördertenProjekt mit dem Titel „Frieden auf-bauen: Vertrauen - Dialog –Zusammenarbeit“ in den Jahren2016-18 fortgeführt. Zum Auftaktdes Projekts findet in Wien im Früh-jahr 2016 eine Fotoausstellungzum „Umgang mit der Vergangen-heit und Erinnerungsarbeit in Bos-nien-Herzegowina anhand vonMonumenten“ statt, in deren Rah-men es auch die Möglichkeit gebenwird, die Arbeit des Centre for Non-violent Action bei einem Workshopund einer Podiumsdiskussionselbst kennenzulernen.

Pete Hämmerle arbeitet im Ver-söhnungsbund seit vielen Jahrenzum ehem. Jugoslawien und nahmam Internationalen Dialog im Juniin Sarajewo teil.

Spinnrad 3 / 2015 11

WestBalkan

Teilnehmer_innen des Internationalen Dialogs beim Potočari-Gedenkzentrum in Srebrenica

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Das derzeit vorherrschendeWirtschafts- und Gesell-schaftssystem der profit-

orientierten Marktwirtschaft zwingtdie Menschen in eine Abhängigkeitvon Erwerbsarbeit oder Kapitalver-wertung. Kreative Freiheit undSelbstverwirklichung sind demRegime des Geldverdienens unter-geordnet und lassen kaum Spiel-räume für andere Lebensentwürfe.

Nach Johan Galtung ist Gewalteine Beeinflussung von Menschen,die deren Möglichkeiten auf dieaktuelle Realität reduziert. Im Falledes genannten gesellschaftlichenZwanges ist dies strukturelle Ge-walt, wenn es von vielen als Nor-malität gesehen wird, ist es auchkulturelle Gewalt. In der Praxis istdieser Zwang oft Ursache fürunvereinbare Pflichten gegenüberFamilie, Kindern und Pflegebedürf-tigen, Geldmangel und darausresultierende Ehestreitigkeiten.

Die Loslösung der materiellen Exis-tenzsicherung von Erwerbsarbeitoder deren Ausbeutung kann einwesentlicher Beitrag zur Verringe-rung dieser strukturellen und kultu-rellen Gewalt sein. Das BGE wäreein gutes Modell, weil es weltweiterforscht, diskutiert und ausprobiertwird.

die prinzipien des BgE

• allgemein muss das BGE sein,damit es nicht diskriminierend wirkt.

• Individuell heißt, dass alle ineinem Land lebenden Menscheneinen persönlichen Rechtsan-spruch auf ein BGE haben.

• Bedingungslos heißt ohne Ver-pflichtung zu Erwerbs-, Familien-und sonstiger Arbeit oder zu gesell-schaftlichen Verhaltensmustern.

• ausreichend für die finanzielle

Absicherung von Existenz und Teil-habe am gesellschaftlichen Leben(materiell, sozial, kulturell).

• Emanzipatorisch, weil die finan-zielle Abhängigkeit der Frauen undKinder deutlich reduziert wird.

• garantiert und in der Verfassungverankert.

Etliche Ansätze, sowohl aus philo-sophisch-wirtschaftlichen Überle-gungen als auch als praktischeArmutsbekämpfung, gab es in Eng-land und Amerika schon im 18.Jahrhundert. Manche gehen in derWurzelsuche bis in biblische Zeiten(z.B. Witwenversorgung, gleicherLohn für ungleiche Arbeit) zurückund sogar die allgemeine Verfüg-barkeit der Natur in der Ur-Zeitdient als Grundlage dieses Gedan-kens.

Seit den Anfängen der neuerenDiskussion über ein BGE in Öster-reich, die von Lieselotte Wohlge-

nannt und Herwig Büchele 1985in der Katholischen Sozialakade-mie begonnen wurde(1), hat sicheiniges verändert und weiterentwik-kelt. BGE wird weltweit diskutiert,regional in verschiedenen Ausfor-mungen ausprobiert und von Wis-senschaftler_innen begleitend er-forscht.(2)

• So gab es in Otjivero, einem Dorfin namibia, einen geringen Betragmonatlich ausbezahlt, die Ergeb-nisse sind aber beeindruckend:

Die Armutsrate ist drastisch gesun-ken. Dorfbewohner_innen nutztendas BGE als Startkapital, um Brotzu backen, Kleider zu nähen oderZiegel herzustellen, die sie verkau-fen konnten. Das Untergewicht beiKindern reduzierte sich von 42 auf10 Prozent innerhalb eines Jahres,die Quote der Schulabbrüche fiel

von 40 auf beispielhafte 0 Prozent.Eltern zahlten das Schulgeld unddie vier Namibia-Dollar für dieKrankenstation, was sie sich jetztleisten konnten. Die örtliche Poli-zeistation registrierte einen Rück-gang der Kriminalität, wovon auchdie weißen Farmer profitierten:Viehdiebstähle nahmen um knappdie Hälfte ab. Der damalige Leiterdes Projektes ist heute Minister fürArmutsbekämpfung in Namibia.

• In Brasilien gibt es eine finanziel-le Unterstützung für Familien, wennderen Bedürftigkeit vom Bürger-meister_in bestätigt wird.

• Im indischen Bundesstaat had-hyr pradesh begleitet Guy Stan-ding, Professor für InternationaleEntwicklung an der School ofOriental and African Studies in Lon-don, ein Pilotprojekt, das in 9 Dör-fern von UNICEF finanziert wird.(3)

• In china präsentierte SarathDavala, der gemeinsam mit GuyStanding die indischen BGE-Expe-rimente wissenschaftlich begleite-te, in der Chinesischen Akademieder Sozialwissenschaften dieErgebnisse.

Die Prinzipien des BGEs sind alsZiel formuliert und werden in kei-nem derzeitigen Modellprojektgänzlich erreicht.

In der Schweiz und in der EUerreichte eine Bürgerinitiative, dieBGE als Menschenrecht ansieht,eine deutliche Zustimmung derBürger_innen.

In Österreich geht die Diskussionüber verschiedene Finanzierungs-modelle und über mögliche Teil-schritte zur Verbesserung der der-zeitigen Situation:

• Einheitliche Mindesthöhe für Min-destsicherung, Arbeitslosengeld,

Spinnrad 3 / 201512

grundeinkoMMen

Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) und die aktive Gewaltfreiheitvon Robert Reischer

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13 Spinnrad 3 / 2015

Notstandshilfe, Sozialhilfe, Min-destrente, Studienbeihilfe

• Personenbezogener Auszah-lungsmodus

• Anhebung der Familienleistungen

Aber auch über Schritte zu einerUmsetzung des BGE wird gespro-chen. Die Ideen gehen von gerin-geren Beträgen für alle bis Auszah-lung an ausgewählte Gruppen miteingeschränkten Bedingungen:

• Einführung des BGE in besondersbenachteiligten Regionen

• Einführung für Kinder, Jugendli-che in Ausbildung, ältere Erwerbs-lose, Alleinerziehende, Behinderteusw.

• Auszahlung an kleine Gewerbe-treibende in strukturschwachenGebieten

Schritte zum vollwertigen BGE

• Einführung pro Jahrgang: Alleerhalten das BGE auf Lebenszeit,sobald sie das 18. Lebensjahrabgeschlossen haben. In weitererFolge dann auch deren Kinder

• BGE für alle ab einem bestimmtenGeburtsdatum

• Alle Neugeborenen ab Stichtag x

Das österreichische Netzwerk BGEund sozialer Zusammenhalt(4)

diskutiert derzeit einen Betrag vonetwa 1.000€/Person. Die Erwar-tung, dass ein großer Teil diesesGeldes unmittelbar in den Konsumund damit in den Wirtschaftskreis-lauf fließt, beruht auf der Annahme,dass auf Erwerbseinkommen dannhöhere Steuern und Abgaben kom-men und dass größere Vermögens-zuwächse einen deutlichen Beitragzum Staatsbudget leisten müssen,

sodass ein BGE de facto den ärme-ren Menschen zu Gute kommt, dieentsprechende Konsumbedürf-nisse haben.

In der Diskussion um die Finanzie-rung stehen die Berechnungen aufGrundlage der derzeitigen Wirt-schaftsform, die der Ruhigstellungder Armutsgefährdeten dienen undden Profit der „Fleißigen und Tüch-tigen“ verbessern sollen, jenengegenüber, die durch ein BGE eineVeränderung der gesellschaftlichenParadigmen und damit der Mög-lichkeiten zur Finanzierung bewir-ken wollen.

Eine Besteuerung von sehr hohenEinkommen und Vermögen könntedie Ressourcen für preistreibendeSpekulationen reduzieren unddamit eine Verbesserung der Situa-tion der besonders Armen in allerWelt einleiten.

Robert Reischer ist VB-Mitglied undarbeitet im Bereich Delogierungsprä-vention und Wohnungssicherung.

grundeinkoMMen

aktIv sEIn Im vErsöhnUngsBUnd!

Jedes Engagement zählt - wir freuen uns, wenn du unsere Arbeit für Frieden und Gewaltfreiheit unterstützen willst!

• mItglIEd WErdEn! –Als Mitglied beim Internationalen Versöhnungsbund-österreichischer Zweig setzt du einZeichen für die Gewaltfreiheit. Du bekommst am Anfang des Jahres unseren Jahresbericht und vierteljährlichunsere Zeitschrift „Spinnrad" zugesandt. Außerdem halten wir dich durch unseren monatlichen Email-Newslettersowie durch Veranstaltungstipps auf dem Laufenden, damit du immer weißt, was bei uns im Moment los ist(Mitgliedsbeitrag €45, ermäßigt €30 pro Jahr).

– Bist du noch kein Mitglied? Unter http://www.versoehnungsbund.at/mitglied-werden/ kannst du das ändern!

– Du bist bereits Mitglied? Vielleicht kennst du ja Menschen, die ebenfalls an Gewaltfreiheit interessiert sind undbeim VB Mitglied werden oder das „Spinnrad" abonnieren wollen!

• spEndEn! - Eine Spende ermöglicht unsere Arbeit für Frieden, Gerechtigkeit und Menschenrechte! Als unab-hängiger Verein wird die Arbeit des Versöhnungsbundes zum größten Teil durch Beiträge und Spenden unsererMitglieder, Förderer und Förderinnen finanziert, dabei zählt jeder Beitrag (Kontoinformationen können dem beilie-genden Zahlschein entnommen werden)!

• Möglichkeiten zur freiwilligen mItarBEIt! - Wir freuen uns immer über Menschen, die sich mit ihren Interessenund Fähigkeiten bei uns einbringen wollen. In folgenden Bereichen würden wir uns derzeit über helfende Händefreuen – auch wenn die Mitarbeit nur gelegentlich stattfindet:

– Spinnrad: Die Möglichkeiten sich bei der 4x im Jahr erscheinenden Zeitschrift einzubringen sind vielseitig: Ver-sandtätigkeit im Büro, Verfassen von Artikeln, Redaktion und Lektorat. Melde dich einfach bei uns!

– Friedensnachrichten: 1x im Monat erscheint unser Newsletter, dessen Layoutierung und Versand via mailchimp.com auch von zuhause erledigt werden kann.

Bei Interesse bitten wir um Kontaktaufnahme unter E-mail: [email protected] tel.: 01 - 408 5332

1) Grundeinkommen ohne Arbeit;Europaverlag 1985; ISBN 3-203-50898-2

2) http://www.basicincome.org

3) https://youtu.be/MtYtwiG-uAM

4) http://www.BGE.at

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… lautete der Titel eines Artikels imSpinnrad vor rund zwei Jahren, indem der Versöhnungsbund zur Mit-arbeit am Prozess der Organisa-tionsentwicklung einlud und dieAufgaben dafür beschrieb. Jetzt istes soweit – wir haben die Grundla-gen und Wurzeln des Versöh-nungsbundes im Entwurf eines

neuen Leitbilds zusammenge-fasst, wir haben die Arbeitsfelder

und Programme neu definiert

und in einem Arbeitsplan genauerausgeführt, und wir haben dieStrukturen und die Zusammenar-beit im VB-Ö nach innen undaußen beschrieben und in den Ent-wurf für neue Statuten eingearbei-tet. Alle diese Neuerungen werdennun im Kreis der Mitglieder unddarüber hinaus zur Diskussiongestellt und sollen im Rahmeneiner außerordentlichen mitglie-derversammlung am 24. und 25.Oktober in Wien offiziell beschlos-sen werden!

Dieses Treffen soll jedoch nicht nurdie formell notwendigen Beschlüs-se beinhalten, sondern darüberhinaus einen spannenden Einblickin die intensive Arbeit der letztenbeiden Jahre bieten und auch Inter-essierte, die (noch) nicht Mitgliederdes Versöhnungsbundes sind, zurMitarbeit an den geplanten Aktivitä-ten und zum Mitdiskutieren an-regen. Einen Höhepunkt desWochenendes stellt dabei sicher-lich das Podiumsgespräch amSamstag Abend dar, in dem Hilde-

gard Goss-Mayr, die Ehrenpräsi-dentin des Int. Versöhnungsbun-des, Thomas Reininger vomLateinamerika-Komitee und Micha-

ela Söllinger, freiwillige Begleiterinim Projekt Friedenspräsenz inKolumbien von 2013-15, über dieErfahrungen von drei Generationenin der gewaltfreien Arbeit in und mitLateinamerika sprechen werden.Eine interaktive Präsentation desProzesses und der Ergebnisse derOrganisationsentwicklung, ein

„Weltcafe“ und Arbeitsgruppen zumArbeitsprogramm und den Möglich-keiten der Mitwirkung daran sowieeine spirituelle Feier runden dasProgramm ab.

Wie kann man sich einbringen?

• kommen und teilnehmen: Diedirekteste Möglichkeit ist am24./25. Oktober bei der MGV dabeizu sein, am Programm teilzuneh-men und sich dort in die zukünftigeArbeit des Versöhnungsbundeseinzuklinken.

• mitdenken und mitentscheiden:Die Vorschläge für das Leitbild unddie neuen Statuten haben schoneinen längeren Diskussionspro-zess hinter sich. Für alle, die sienoch nicht zugeschickt bekommenhaben, stehen die beiden Texte ab1. Oktober 2015 auf unserer Home-page zur Verfügung. Auf Wunschsenden wir sie auch gerne inPapierform zu!

Bei der Mitgliederversammlungselbst streben wir Beschlussfas-sung durch Konsens an. Damit die-ser Anspruch eingelöst werdenkann, ist eine konstruktive Mitarbeitaller sowie eine gute Vorbereitungnotwendig, deren erste Phase mitder Vorstandssitzung am 19. Sep-tember zu Ende ging, bei der dieendgültigen Anträge an die MGVbeschlossen wurden.

• mittragen: Alle, denen die Arbeitdes Versöhnungsbundes ein Anlie-gen ist, bitten wir diesen Prozessmitzutragen, auch wenn sie per-sönlich nicht an der Veranstaltungteilnehmen können!

Wir freuen uns drauf, möglichst vie-le Leser_innen des Spinnrads imOktober in Wien zu treffen undgemeinsam weitere Schritte inRichtung unserer Vision einer fried-licheren und gerechteren gewalt-freien Welt zu machen!

14 Spinnrad 3 / 2015

einladung

We have a dream...Einladung zur außerordentlichen Mitgliederversammlung des IVB-ÖZ

anmEldUng ZUr a.o. mItglIEdErvErsammlUng

Jetzt unter www.versoehnungsbund.at/?p=3228

Wir freuen uns auf euch!”

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War es im November 2013schon das Schreiben„Evangelii gaudium“

(EG) von Papst Franziskus, wel-ches nach Jahren der innerkirch-lichen Ausgrenzung als Rehabilita-tion der Befreiungstheologie gese-hen werden konnte, so hat dieSeligsprechung von Erzbischof

Oscar Arnulfo Romero am 23.Mai Jubel nicht nur in El Salvador,nicht nur in Lateinamerika und nichtnur unter Katholiken und Katholi-kinnen ausgelöst. „Das Martyriumvon Msgr. Romero ist so nicht nurBeispiel und Inspiration für El Sal-vador und die Kirche in diesemLand, sondern für alle Christ_innenweltweit. Seine Seligsprechungträgt zur Heilung der Wunden auchim ökumenischen Sinn bei. DieArbeit der ökumenischen Bewe-gung für Gerechtigkeit, Frieden undVersöhnung hat durch sein Zeugniseine großartige Ermutigung erhal-ten“, schreibt der Generalsekretärdes Weltkirchenrates, Rev. Dr. OlavFykse Tveit, an Kardinal Koch.

Für die Kirche ist die „Option für dieArmen“ in erster Linie eine theolo-gische Kategorie und erst an zwei-ter Stelle eine kulturelle, soziologi-sche, politische oder philosophi-sche Frage. Gott gewährt ihnen»seine erste Barmherzigkeit«.[EG163] Diese göttliche Vorliebe hatKonsequenzen im Glaubenslebenaller Christ_innen, die ja dazu beru-fen sind, so gesinnt zu sein wieJesus (vgl. Phil 2,5). Von ihr inspi-riert, hat die Kirche eine Option fürdie Armen gefällt, die zu verstehenist als »besonderer Vorrang in derWeise, wie die christliche Liebeausgeübt wird; eine solche Optionwird von der ganzen Tradition derKirche bezeugt«. [EG 164] … Ausdiesem Grund wünsche ich mireine arme Kirche für die Armen. Siehaben uns vieles zu lehren. Sie…

kennen außerdem dank ihrer eige-nen Leiden den leidenden Christus.Es ist nötig, dass wir alle uns vonihnen evangelisieren lassen. Dieneue Evangelisierung ist eine Ein-ladung, die heilbringende Kraftihrer Leben zu erkennen und sie inden Mittelpunkt des Weges der Kir-che zu stellen. Wir sind aufgerufen,Christus in ihnen zu entdecken,uns zu Wortführern ihrer Interessenzu machen, aber auch ihre Freun-dinnen und Freunde zu sein, sieanzuhören, sie zu verstehen unddie geheimnisvolle Weisheit anzu-nehmen, die Gott uns durch sie mit-teilen will.

Das sagt der neue Papst in seinemSchreiben „Evangelii Gaudium“den Christ_innen und schließt sichund die kirchliche Hierarchie ein, sowie ein Oscar Arnulfo Romero undandere lateinamerikanische Bi-schöfe vor ihm gesagt haben: „DieArmen haben mich evangelisiert!“

die „Option für die armen“ alskern der Befreiungstheologie

Der Begriff der „Option für dieArmen“ oder „Bevorzugten Optionfür die Armen“ entsteht in den1960er Jahren angesichts vonMassenarmut und großen Einkom-mensgegensätzen in Lateinameri-ka. Inhaltlich bestimmt sie dieII.Generalversammlung des latein-amerikanischen Bischofsrates (CE-LAM) 1968 in Medellín (Kolum-bien), wörtlich taucht sie erst Jahrespäter im Abschlussdokument derIII.Generalversammlung, 1979 immexikanischen Puebla, auf. DieMehrheit der Kirchenvertreter inMedellín benennt die Situationextremer Armut von großen Teilender Bevölkerung als Skandal, demes mit mehr als nur einer karitativenHaltung entgegenzutreten gilt. DieVersammlungen übernehmen dasKonzept der „strukturellen Gewalt“,

das vom Friedensforscher JohanGaltung unter dem Namen „institu-tionelle Gewalt“ geprägt wurde. Eskomme darauf an, die Perspektiveder Armen einzunehmen. Dabeiwussten die Bischöfe Papst PaulVI. auf ihrer Seite und bezogen sichab 1975 auf dessen Enzyklika„Evangelii Nuntiandi“, in dem „Hun-ger, chronische Krankheiten, Anal-phabetismus, Armut, Ungerechtig-keit in den internationalen Bezie-hungen und besonders im Handel“als „Situationen eines wirtschaft-lichen und kulturellen Neokolonia-lismus“ bezeichnet werden.

Die Entstehung und Verbreitungder „Basisgemeinden“ ging in derlateinamerikanischen Kirche dieserNeuorientierung an der Spitze derHierarchie voraus. In diesen klei-nen kirchlichen Gemeinden entwi-ckelt sich die Praxis der Konfronta-tion von Leben und Evangeliumund des Rückschlusses für dasHandeln. Das bedeutete eine Ver-änderung im Vergleich zu jenerZeit, in der die Kirche weithin Pas-sivität des armen Volkes und dieAufrechterhaltung des politischenStatus Quo gefördert hatte. DieBibelstellen, welche Antrieb undZielrichtung für die angestrebtenVeränderungen liefern, sind derExodus („Ich habe den Schrei mei-nes Volkes gehört“), der den Auf-bruch des Volkes Israel aus derägyptischen Sklaverei nach Kanaa/Palästina, dem „Gelobten Land“von Wohlstand und Selbstbestim-mung, beschreibt und als Verhei-ßung schon für dieses Leben ver-standen wird, ebenso wie das„Magnificat“, in dem Maria besingt,wie Gott „die Gewaltigen vomThron stürzt und die Niedrigenerhebt“. – Die Sicht von Maria, alsFrau aus dem Volk, die die Befrei-ung verkündet, verleiht im Übrigender Marienverehrung einen ganz

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Kommt die „Option für die Armen“?von Peter Pober-Lawatsch

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anderen Charakter. – Ein Indizdafür ist, dass katholische undevangelische Basisgemeinden ge-meinsame Treffen am großen bra-silianischen MarienwallfahrtsortAparecida durchführen.

In einer geschichtlichen Situation,in der einerseits der „Kalte Krieg“herrschte und die USA ihre Interes-sen durch Unterstützung zahlrei-cher werdender Diktaturen vertra-ten, andererseits die kubanischeRevolution Hoffnung auf Selbstbe-stimmung weckte, entschieden sichviele Theolog_innen und Geistlichefür die marxistische Gesellschafts-analyse, die Unterstützung linkerParteien oder sogar den bewaffne-ten Kampf gegen die nationaleOberschicht. Ein bekanntes Bei-spiel ist der selbst aus der kolumbi-anischen Oberschicht stammendecharismatische Priester Camilo

Torres Restrepo, der eine ähnli-che Ausstrahlung entwickelt wieChé Guevara. Umgekehrt gab esmilitante katholische Gruppen undkirchliche Spitzenvertreter, welcheden Sturz demokratischer Regie-rungen unterstützten, wie 1964 inBrasilien durch die Massendemon-

stration städtischer konservativerSchichten, den „Marsch der Familiefür Gott und Freiheit“, und dieRadioansprache eines Kardinals,der vor einer kommunistischenMachtübernahme warnte. Zwi-schen den Polen der Unterstützungder Diktatur, des passiven Zurück-ziehens oder Ertragens und derOption des bewaffneten Widerstan-des entstand innerhalb (aber auchaußerhalb) der Kirche die „gewalt-freie Bewegung“, nicht zuletztdurch Seminare und Begegnungenvon Jean Goss und Hildegard

Goss-Mayr, welche Kardinal Hel-

der Cámara, prägende Gestalt desCELAM-Treffens in Puebla, undweitere kirchliche Protagonistenvon der Option der „aktiven Gewalt-freiheit“ als Weg zu Frieden durchGerechtigkeit überzeugten. In derFolge trugen Teile der Kirche in ver-schiedenen lateinamerikanischenLändern durch die Verteidigung derMenschenrechte und den Kampfgegen die Folter (in Brasilien: dieKampagne „Nunca más“ - „Nie wie-der“) zur Demaskierung undschließlich Ablösung der Diktaturenbei.

herausforderung für den vatikan

Den Vatikan verstörte neben derzum Teil real bestehenden, zumTeil auch nur fälschlich vermutetenNähe der Befreiungstheolog_innenzum marxistischen Weltbild be-sonders die Kritik an der Gestaltder Kirche selbst, wie sie der brasi-lianische (Ex-)Franziskaner undprominente BefreiungstheologeLeonardo Boff in seinem Buch„Kirche – Charisma und Macht“geübt hat. Nachdem er zur Recht-fertigung nach Rom zitiert wordenwar, legte er nach: „Die Kirche derReichen für die Armen verneint dieMacht des Volkes, sich zu be-freien.“ Die Kurie verweigere denDialog mit dem Volk selbst; europä-isch geprägte Theolog_innen könn-ten die reale Glaubenserfahrungder Armen in den Slums nicht nach-vollziehen. Ihre Dominanz könnenur zu weiterer Marginalisierungder Armen, politischer Machtkon-zentration und kirchlich-institutio-neller Hybris führen. Dagegen woll-te er die Macht der Kirche im„Dienst“ der lebendigen, sich ver-ändernden Kirche der Armen, dieihr Leben mit dem Volk teilt und Pri-vilegien abbaut, begründen (zitiertin Wikipedia). Boff wurde von sei-nem kirchlichen Vorgesetzen, Kar-

dinal Arns, nach Rom begleitetund unterstützt. In vielen DiözesenLateinamerikas besteht trotz derdurch Jahrzehnte über Bischofser-nennungen vorangetriebenen kon-servativen Wende vieles vomdamaligen Geist und von seinerzeitentstandenen „volksnahen Struktu-ren“ bis zum heutigen Tag.

Erfahrungen aus dem süden imkirchlichen Erneuerungsprozess

bei uns

Im Zusammenhang mit der „Neu-evangelisierung Europas“ und denlaufenden Strukturreformen richtetsich der Blick wieder auf die dyna-mischen Kirchen des Südens, nachLateinamerika oder auch auf die„Kleinen Gemeinschaften“ in Afrika.In dem 2008 gestarteten Prozess

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In San Salvador auf der Plaza Salvador del Mundo zur Seligsprechungvon Oscar Arnulfo Romero

Foto: Luis Astudillo C. / Cancillería del Ecuador Flickr (CC BY-SA 2.0)

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der diözesanen Erneuerung inWien haben auch Priester mit lan-ger Erfahrung in Ecuador, unterihnen insbesondere Herbert

Leuthner, der diözesanen Steue-rungsgruppe Vorschläge vorgelegt.Die florierende Kirche Lateinameri-kas (z.B. Ecuadors) ist ja arm, auchwas die Anzahl der Priester betrifft– so sind manche Pfarrer in Ecua-dor für 20-40.000 Gläubige„zuständig“, wogegen die „Knapp-heit“ in Europa lächerlich genanntwerden muss. Aus der Sicht vonHerbert Leuthner muss in derGestaltung der Strukturen eineMentalitätsänderung zum Ausdruckkommen. Die Schlüsselworte ausden CELAM-Dokumenten von Pue-bla (1979) und Aparecida (2007)lauten: Kommunion und Partizipa-tion. Herbert Leuthner warnt vorder Zentralisierung: Je größer dieSeelsorgegebiete sind, desto wich-tiger, dass die kleinen Einheitenlebendig sind – vor allem hier aufder untersten Ebene der Kirchemuss Beheimatung, Zugehörigkeitund Partizipation stattfinden, unddies entspricht auch dem Subsidia-ritätsprinzip. Wesentlich ist, dassdie kleinen Einheiten (Bewegun-gen, Dienste, Kleine Gemeinschaf-ten, etc.) durch Vernetzung in dieCommunio (vor allem auf pfarr-licher Ebene) integriert sind –anderenfalls drohe die Gefahr,dass sie Irrwege einschlagen oderzu Sekten werden.

mission als Bekehrung der kir-che zur „Option für die armen“

Aber die Schaffung einer neuenStruktur wäre nicht der erste undauch nicht der entscheidendeSchritt, sondern stünde am Endedes Prozesses. Vielmehr müsstees im Sinne des Dreischritts „Mis-sion First – Jüngerschaftsschule –Strukturreform“ darum gehen, dieStrukturreform auf die Aufgaben(Mission) aller in der Diözese aus-zurichten. Und hinsichtlich „Mis-sion“ ist für die Vertreter_innen der„Option für die Armen“ klar, dass es

nicht um Proselytismus gehenkann, also das An- bzw. Abwerbenvon Menschen mit anderenBekenntnissen für den Katholi-zismus, sondern in hohem Maß umdie Evangelisierung derer, diesich Christ_innen oder Katholiken_innen nennen, mit dem Ziel derUmgestaltung der Welt in dem vonGott gewollten und von Jesus vor-gelebten Sinn: „Die Kirche wächstnicht durch Proselytismus, sonderndurch Anziehung“ (EG 14). Schonim Abschlussdokument der großenBischofssynode von 2012 zur Neu-evangelisierung, die noch vonPapst Benedikt und von der Sorgeum den Verlust von Glauben undKirchenbindung (besonders in denwestlichen Gesellschaften) geprägtwar, wurden als Voraussetzung fürdiese Evangelisierung das Eintre-ten von Kirche und Gläubigen fürdie Achtung der Menschenrechte,für Frieden und Versöhnung sowiefür menschenwürdige Grundbedin-gungen genannt, aber auch dieBekehrung der Kirche selbst. Mis-sion ist also als Evangelisierungoder Neuevangelisierung zu ver-stehen, und Evangelisierung erfor-dert zuerst Bekehrung derer, die

Verantwortung tragen. Der PriesterHerbert Leuthner fordert auf Basisder lateinamerikanischen Erfahrun-gen: „Bekehrung von der Zweiklas-senkirche (Redende und Hören-de…) zum Gemeinsamen Priester-tum“. Die Laien, in Ecuador „fuer-zas vivas“ - „lebendige Kräfte“ –genannt, gehen wie alle anderen indie „Jünger_innen-Schule“, aberihre Stimme zählt von Beginn an:„Wenn einer nämlich wirklich dieihn rettende Liebe Gottes erfahrenhat, braucht er nicht viel Vorberei-tungszeit, um sich aufzumachenund sie zu verkündigen; er kannnicht darauf warten, dass ihm vieleLektionen erteilt oder lange Anwei-sungen gegeben werden.“ (EG120) – Das ändert die Verhältnissein der Kirche. Als geeigneten Wegfür das Vorgehen (auch in den klei-nen Einheiten) sieht Leuthner dengemeinsamen Prozess von „Sehen– Beurteilen – Handeln – Revision– Feiern (Gebet).“ Das „Sehen“bedeutet v.a. eine umfassendeRealitätsanalyse, welche beson-ders die Herausforderungen imgesellschaftlichen Umfeld und kei-nesfalls nur eine kirchliche Innen-sicht umfassen dürfen. Insgesamtsollte ein Prozess diözesanerErneuerung sehr langfristig ange-legt werden (in Ecuador waren es30 Jahre), aber von Beginn an diezukünftige Entwicklung im Augehaben (z.B. jene von der Mehr-heits- zu einer Diaspora-Kirche).

Im Wiener Dekanat 15 besteht einebesondere Möglichkeit, an Erfah-rungen und Vorbilder aus Latein-amerika anzuschließen. Sind dochin der Pfarre Akkonplatz eineBasisgemeinde von Lateinamerika-ner_innen und zwei deutschspra-chige Basisgemeinden beheimatet.Sie stehen über Projekte mit Zen-tralamerika (Nicaragua) in intensi-ver Beziehung. Immer wieder hates dort auch Veranstaltungen undTreffen zu El Salvador gegebenund hat man sich an den salvado-ranischen Märtyrern der Option fürdie Armen orientiert.

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Foto: Luis Astudillo C. / Cancilleríadel Ecuador

Flickr (CC BY-SA 2.0)

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romero und die gewaltfreiheit

„Er war nicht ohne weiteres Pazi-fist. Seinem Wesen nach war er einfriedliebender Mensch. Aber alsErzbischof war er ein Friedensstif-ter im engeren Sinn des Wortes,einer, der Frieden macht“, sobeschreibt ihn der ihm eng verbun-dene Jesuit Jon Sobrino. „Undgerade darum, weil er die gerechteGewalt vermenschlichen wollte,erinnerte er beständig an alle ande-ren notwendigen Mittel zum Aufbaudes Friedens: Gerechtigkeit, Dia-log, Wahrheit und Großmut.“ Er hatsich intensiv und fortgesetzt mit derFrage der Gewalt und ihren Ursa-chen beschäftigt. Er beschreibt die„institutionalisierte Gewalt“, die„aufrührerische oder terroristischeGewalt“ (die jede Art von Dialog zurLösung sozialer Konflikte ablehnt),die „spontane Gewalt“ (die aus derHoffnungslosigkeit entspringt, abernichts zu einer gerechten Lösungder Konflikte beiträgt). Und er lässtRaum für die „Gewalt als legitimeSelbstverteidigung“ (zur Abwehreines ungerechten Angriffs):„Mittels Gewalt versuchen sie eineunmittelbar bevorstehende, ernst-hafte und ungerechte Gefahr ab-zuwenden oder zumindest unterKontrolle zu bringen“.

Er vertritt aber auch die evangeli-sche „Macht der Gewaltlosigkeit“und er lässt keinen Zweifel, dassdies der Weg der Kirche ist: „ZumAbschluss dieser Aufzählung musszu Recht auch die Wirksamkeit desGewaltverzichts erwähnt werden,der heute eifrige Verfechter undAnhänger findet. Die Empfehlungdes Evangeliums, einem ungerech-ten Angreifer auch die andere Wan-ge hinzuhalten, ist weder Passivitätnoch Feigheit, sondern Ausdruckeiner großen moralischen Kraft, dieden Angreifer besiegt und gedemü-tigt zurücklassen kann. Der Christist 'fähig zu kämpfen, aber er ziehtden Frieden vor' heißt es in Medel-lin unter Hinweis auf die moralischeKraft des Gewaltverzichts.“

In der Praxis ist sein Leben ein fort-gesetzter Kampf gegen die Gewalt– nicht nur des Militärs und parami-litärischer Gruppen oder der imGuerilla-Kampf Engagierten, son-dern auch von Gruppen, derenAnliegen er prinzipiell als gerechtanerkennt: „Sie laufen Gefahr, liebeBrüder (und Schwestern) in denVolksorganisationen, in jene Verab-solutierungen, die ich in meinemHirtenbrief anklage, zu verfallen. ...Machen Sie Gebrauch von ihrersozialen Kraft, aber gebrauchen siekeine militärische Kraft. Das kannautomatisch andere militärischeAktionen auslösen. Ich glaube,dass die Besetzungen von Ministe-rien und Kirchen im Augenblick kei-nen Sinn haben, noch viel wenigerdie Geiselnahmen. Durch Familien,die mir ihre Ängste mitgeteilthaben, wird mir bewusst, welchgroßes Übel Sie mit dieser Verhaf-tung von 200 Geiseln im Wirt-schafts- und Arbeitsministeriumverursachen. … Sie, die sich Ver-teidiger der Menschenrechte nen-nen, glauben Sie nicht, dass Siedie Rechte von 200 Männern undFrauen mit Füßen treten?“

Auch seine letzte Predigt – wohlletzter Auslöser für seine Ermor-dung – war dem unbeugsamenKampf gegen die Gewalt gewid-met, indem er es wagte, die Ange-hörigen der bewaffneten Kräfte desStaates zur Verweigerung unmora-lischer Befehle aufzufordern: „Ichmöchte besonders an die Männerder Streitkräfte und konkret an dieBasis der Nationalgarde, der Poli-zei und der Kasernen appellieren:Brüder! Ihr seid Teil unseres Vol-kes. Ihr tötet in den Campesinoseure eigenen Brüder und Schwes-tern! Aber über jedem Tötungsbe-fehl, den ein Mensch erteilen kann,steht das Gesetz Gottes, welchesda lautet: Du sollst nicht töten! KeinSoldat ist gezwungen, einemBefehl zu gehorchen, der dem gött-lichen Gesetz widerspricht. Nie-mand muss ein unmoralisches

Gesetz erfüllen. Es ist an der Zeit,dass ihr eurem Gewissen folgt undnicht sündigen Befehlen! Die Kir-che als Verteidigerin der RechteGottes, des göttlichen Gesetzes,der menschlichen Würde und derPerson kann angesichts solcherGräuel nicht schweigen. Wir wün-schen, dass die Regierung ernst-lich begreift, dass Reformen wert-los sind, wenn sie mit so viel Blutbefleckt wurden! Im Namen Gottesund im Namen dieses leidendenVolkes, dessen Klageschreie Tagfür Tag lauter zum Himmel steigen,bitte ich euch, flehe ich euch an,befehle ich euch: Beendet dieUnterdrückung!“

Friede und gerechtigkeit

Das Thema der Gerechtigkeit istbei Romero vielleicht sogar nochvorrangig gegenüber jenem desKampfes gegen die Gewalt. „DerFriede, an den wir glauben, istjedoch die Frucht der Gerechtig-keit, 'opus iustitiae pax' (Gerechtig-keit schafft Frieden). Wie eine ein-fache Analyse unserer Strukturenzeigt und wie die Geschichte bestä-tigt, verschwinden gewaltsameKonflikte nicht, solange nicht diezugrundeliegenden Ursachen be-seitigt werden. Wenn deshalb dieUrsachen unserer gegenwärtigenMisere und die Unversöhnlichkeitder herrschenden Minderheit, diesich selbst den geringfügigstenÄnderungen widersetzt, weiterbe-stehen, dann wird es erneut Aus-brüche von Gewalt geben.“ Rome-ro zeigt Verständnis für die Anwen-dung von Gewalt, wenn sie als Ant-wort auf schreiendes (strukturelles)Unrecht geschieht – auch wenn ersie nicht als Weg der Kirche sieht.Dieses Verständnis findet sichauch im Schlussdokument vonPuebla (1979): „Der 'stummeSchrei' von Menschen, die nacheiner Befreiung rufen, die nieerfolgte, ist jetzt 'klar vernehmlich,seine Stärke wächst, er ist heftigund zuweilen drohend'. Er resultiertaus blutgetränkten, tragischen

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Erfahrungen. - Jeglicher Gewaltliegt soziale Ungerechtigkeitzugrunde, genauer gesagt STRUK-TURELLE GEWALT, die unser der-zeit größtes Übel ist. ... Wir habenuns in diesem Punkt ganz den pa-ckenden Worten von Papst Johan-nes Paul II. angeschlossen: „Es istunumgänglich, die Ungerechtigkeitbei ihrem wahren Namen zu nen-nen: die Ausbeutung von Men-schen durch andere, die Ausbeu-tung des Volkes durch den Staat,durch die Strukturen von Wirt-schaftssystemen oder durch Regi-me, die kaltblütig vorgehen. Es istunumgänglich, jede soziale Unge-rechtigkeit, jeden Akt der Diskrimi-nierung oder Gewalt an Menschen,ob an ihrer Person, ihrem Geist,ihrem Gewissen oder ihrer Über-zeugung, anzuprangern'“. Gestütztauf Worte von Johannes Paul II.erklärt Romero: „Der Welt nicht insAuge zu sehen, wäre eine Sündeder Kirche gegen ihre eigene Iden-tität.“ Zwar darf kein_e Christ_inauf eine parteipolitische Option ver-pflichtet werden, und es ist natür-lich auch die Kirche selbst nichteine politische Organisation, aberer gesteht ihr nicht das Recht zu,neutral zu bleiben. „Es ist Aufgabeder Kirche, alles Menschenmögli-che zu tun, um die Sache und denKampf des Volkes, insbesondereder Armen, zu unterstützen. DieKirche identifiziert sich mit denArmen, wenn diese ihre legitimenRechte geltend machen. ... DieSolidarisierung mit den gerechtenZielsetzungen ist nicht an bestimm-te Organisationen gebunden. Obsie sich nun christlich nennen odernicht, ob sie kraft Gesetzes oder defacto von der Regierung unterstütztwerden, oder ob sie regierungsun-abhängig sind und zur Regierung inOpposition stehen, die Kirche for-dert nur eines: dass die Ziele desKampfes gerecht sind.“

patron der gemeindeerneuerung

Erzbischof Romero war in seinerErzdiözese nicht als isolierte Ein-

zelpersönlichkeit unterwegs. Er warnicht der erste Märtyrer der salva-dorianischen Kirche: So wird seine„Bekehrung zur Option für dieArmen“ mit dem Tod des befreun-deten Priesters Rutilio Grande inVerbindung gebracht. Die Kircheleistete in den Siebziger- und Acht-ziger-Jahren einen enormen Blut-zoll, so wie das salvadorianischeVolk insgesamt. Vor allem aber warihm die Gemeindeerneuerung inseiner Diözese – im Geiste desZweiten Vaticanums und nach denin Medellin ausgearbeiteten Richtli-nien – ein brennendes Anliegen.„Während der pastoralen Woche inSan Salvador wurde dieses Bemü-hen um Erneuerung in unserer Erz-diözese definiert. Die Hauptthemenwaren: Die vorrangige Option füreine Evangelisierung auf allen Ebe-nen, die als ernstzunehmend, drin-gend und notwendig zu gelten hat.

Die notwendige Erneuerung allerverfügbaren Mittel zugunsten einerangemessenen Evangelisierungohne Einschränkungen oder ober-flächliches Vorgehen. Das dringen-de Anliegen, pastorale Arbeitskräf-te, vor allem Lai_innen auszuwäh-len und entsprechend auszubilden.Die Stärkung christlicher Gemein-den als ein notwendiges Ziel, daswir im Auge behalten müssen,wenn wir die Kirche neu belebenwollen. Die Schaffung adäquaterund dynamischer Mechanismenzur Aktivierung und Ausführungdieser Optionen. Meine erste pas-torale Sorge galt der Verwirkli-chung dieser von der Vorsehungbestimmten Anliegen....“. Vielleichtkann sein Vorbild auch hierortsmahnen und helfen, in der diözesa-nen Erneuerung die „Option für dieArmen“ umzusetzen.

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We can make a difference

The damage of war

Pockmarked landscape,

Fresh wounds

Unclosed.

Lies and silences

Lying beneath,

Fresh wounds

Unclosed.

The courage to open

The rotten truth,

Will be with those who have borne witness

Opened.

Fresh summer flowers

Dependable as night becomes day

Sunshine snow, dark light,

Open to change…

We can make a difference

Unclosed, open,

I rededicate my life

To this work!

Shirley Gunn (Südafrika), Juni 2015

geschrieben nach einem Besuch in Bosnien und Herzegowina

DVR 0583031 Zulassungsnummer: GZ 02Z032555M

P.b.b.Internationaler VersöhnungsbundLederergasse 23/Hof2/St.3/Tür 27A-1080 Wien

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