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231 Stefan Schweizer Japanisch, chinesisch, italienisch, niederländisch, französisch, englisch […]: Gartenkunstgeschichte sowie Gartenhistoriographie und das Problem der Nationenstile dächern wurde anlässlich der Hochzeit des japanischen Kronprin- zen Hirohito von der Japanischen Gemeinschaſt in Taiwan gestif- tet. (Abb. 3) Spätestens an diesem Punkt wird deutlich, dass sich die Bezeich- nungen der Gartenbereiche mit nationalen Stilbegriffen auch einem politischen Konzept verdanken. Taiwan war nach jahrelangen Ver- suchen 1895 infolge des Ersten Japanisch-Chinesischen Kriegs von Japan okkupiert worden und bildete damit die erste japanische Kolo- nie. Die Errichtung eines als „taiwanesisch“ deklarierten Teepavillons in einem explizit als „japanisch“ ausgewiesenen Garten kann ohne Zweifel als politische Botschaſt des japanischen Anspruchs auf die Kolonie Taiwan gelesen werden. 2 Die bauliche Inszenierung der Ver- bundenheitsgeste der japanischen Gemeinde auf Taiwan gegenüber der kaiserlichen Familie findet in einer Pavillonarchitektur Ausdruck, die symbolisch wie ganz buchstäblich in eine japanische Landschaſt integriert wurde und damit das Bild einer natürlichen Zugehörigkeit vermielte. Ursprünglich geht der Shinjuku-Gyoen-Garten auf die Familien- residenz von Kiyonari Naito, einen lokalen Feudalherren der Edo- Zeit, zurück. 1872 wurde das knapp 60 Hektar große Areal im Auſtrag des Kaisers in einen landwirtschaſtlichen Versuchsgarten umge- wandelt. Nach einer weiteren Transformation in einen kaiserlichen Botanischen Garten entwickelte der japanische Agrarwissenschaſt- ler Hayato Fukuba ein künstlerisches Konzept für einen kaiserlichen Ziergarten, der schließlich zwischen 1902 und 1906 angelegt wurde. 3 Die gestalterischen Details lieferte der französische Landschaſtsarchi- tekt Henri Martinet, kein Geringerer als der damalige Intendant des Schlossparks zu Versailles. Ihm ist die Auſteilung in drei verschiedene Idealtypen nationaler Gartenstilistik zu verdanken. Vor diesem Hin- tergrund handelt es sich bei der Differenzierung in einen „Französi- schen Formalen Garten“, einen „Englischen Landschaſtsgarten“ und einen „Traditionellen Japanischen Garten“ auch um einen Import I. Ein Spaziergang durch die globale Gartengeschichte kann manch- mal die Sache einer halben Stunde sein. Kurz nachdem man den Ein- gang des Shinjuku-Gyoen-Parks im Zentrum von Tokio passiert hat, erreicht man nahe der neuen Gewächshäuser einen Bereich, der auf den offiziellen Plänen und Beschreibungen als „Französischer For- maler Garten“ bezeichnet wird (Abb. 1). Gestalterisch besteht die- ser „Französische Garten“ im Zentrum Tokios aus einer monumen- talen Gartenachse die von Hecken und Alleen begrenzt und in ihrer Mie von zwei im Sommer üppig mit Blumen bepflanzten Parterreflä- chen dominiert wird. Richtung Südosten endet diese Achse in einer exedrenförmigen Einfassung aus Hecken und Bäumen, deren Miel- achse weitergeführt wird. Die Raumstruktur erinnert tatsächlich an eine barocke europäische Gartenanlage, wobei Exedren dieser Art als raum- und kulissenbildende Abschlüsse auch schon im 16. Jahrhun- dert eingesetzt wurden. (Abb. 2) Zur anderen Seite grenzt der „Französische Formale Garten“ an eine große Wiesenlandschaſt, die offiziell als „Englischer Landschaſts- garten“ ausgewiesen ist. Vereinzelte Solitärbäume, sowie Baumgrup- pen strukturieren das mehrere Hektar große Areal, ein Rundweg im Stile eines Belt Walks erschließt den Bereich. Als Staffage dient ein Coage House aus dem frühen 20. Jahrhundert, das einst als kai- serliches Rasthaus diente und oberhalb eines kleinen Tals errichtet wurde. Führt man seinen Weg nach Westen fort, so verengen sich bald die Wegewindungen entlang eines zu kleinen Weihern aufgestau- ten Baches. Dem offiziellen Plan ist zu entnehmen, dass nunmehr der „Traditionelle Japanische Garten“ erreicht wurde, was durch historisierende Steinlaternen, die Steineinfassungen der Wasser- flächen sowie kunstvoll geschniene Nadelgehölze offensichtlich wird. Das Zentrum dieses Gartenbereichs wird durch ein „Taiwa- nesisches Teehaus“ markiert, errichtet 1927 als Bau des einstigen Kaiserlichen Gartens. 1 Das markante Gebäude mit seinen Schweif-

Gartenkunstgeschichte sowie Gartenhistoriographie und das ... · dert das Konzept von Region bzw. fürstlichen und königlichen Terri-torien abzulösen. So lässt sich nachweisen,

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Stefan Schweizer

Japanisch, chinesisch, italienisch, niederländisch, französisch, englisch […]:

Gartenkunstgeschichte sowie Gartenhistoriographie und das Problem der Nationenstile

dächern wurde anlässlich der Hochzeit des japanischen Kronprin-zen Hirohito von der Japanischen Gemeinschaft in Taiwan gestif-tet. (Abb. 3)

Spätestens an diesem Punkt wird deutlich, dass sich die Bezeich-nungen der Gartenbereiche mit nationalen Stilbegriffen auch einem politischen Konzept verdanken. Taiwan war nach jahrelangen Ver-suchen 1895 infolge des Ersten Japanisch-Chinesischen Kriegs von Japan okkupiert worden und bildete damit die erste japanische Kolo-nie. Die Errichtung eines als „taiwanesisch“ deklarierten Teepavillons in einem explizit als „japanisch“ ausgewiesenen Garten kann ohne Zweifel als politische Botschaft des japanischen Anspruchs auf die Kolonie Taiwan gelesen werden.2 Die bauliche Inszenierung der Ver-bundenheitsgeste der japanischen Gemeinde auf Taiwan gegenüber der kaiserlichen Familie findet in einer Pavillonarchitektur Ausdruck, die symbolisch wie ganz buchstäblich in eine japanische Landschaft integriert wurde und damit das Bild einer natürlichen Zugehörigkeit vermittelte.

Ursprünglich geht der Shinjuku-Gyoen-Garten auf die Familien-residenz von Kiyonari Naito, einen lokalen Feudalherren der Edo-Zeit, zurück. 1872 wurde das knapp 60 Hektar große Areal im Auftrag des Kaisers in einen landwirtschaftlichen Versuchsgarten umge-wandelt. Nach einer weiteren Transformation in einen kaiserlichen Botanischen Garten entwickelte der japanische Agrarwissenschaft-ler Hayato Fukuba ein künstlerisches Konzept für einen kaiserlichen Ziergarten, der schließlich zwischen 1902 und 1906 angelegt wurde.3 Die gestalterischen Details lieferte der französische Landschaftsarchi-tekt Henri Martinet, kein Geringerer als der damalige Intendant des Schlossparks zu Versailles. Ihm ist die Aufteilung in drei verschiedene Idealtypen nationaler Gartenstilistik zu verdanken. Vor diesem Hin-tergrund handelt es sich bei der Differenzierung in einen „Französi-schen Formalen Garten“, einen „Englischen Landschaftsgarten“ und einen „Traditionellen Japanischen Garten“ auch um einen Import

I.

Ein Spaziergang durch die globale Gartengeschichte kann manch-mal die Sache einer halben Stunde sein. Kurz nachdem man den Ein-gang des Shinjuku-Gyoen-Parks im Zentrum von Tokio passiert hat, erreicht man nahe der neuen Gewächshäuser einen Bereich, der auf den offiziellen Plänen und Beschreibungen als „Französischer For-maler Garten“ bezeichnet wird (Abb. 1). Gestalterisch besteht die-ser „Französische Garten“ im Zentrum Tokios aus einer monumen-talen Gartenachse die von Hecken und Alleen begrenzt und in ihrer Mitte von zwei im Sommer üppig mit Blumen bepflanzten Parterreflä-chen dominiert wird. Richtung Südosten endet diese Achse in einer exedrenförmigen Einfassung aus Hecken und Bäumen, deren Mittel-achse weitergeführt wird. Die Raumstruktur erinnert tatsächlich an eine barocke europäische Gartenanlage, wobei Exedren dieser Art als raum- und kulissenbildende Abschlüsse auch schon im 16. Jahrhun-dert eingesetzt wurden. (Abb. 2)

Zur anderen Seite grenzt der „Französische Formale Garten“ an eine große Wiesenlandschaft, die offiziell als „Englischer Landschafts-garten“ ausgewiesen ist. Vereinzelte Solitärbäume, sowie Baumgrup-pen strukturieren das mehrere Hektar große Areal, ein Rundweg im Stile eines Belt Walks erschließt den Bereich. Als Staffage dient ein Cottage House aus dem frühen 20. Jahrhundert, das einst als kai-serliches Rasthaus diente und oberhalb eines kleinen Tals errichtet wurde.

Führt man seinen Weg nach Westen fort, so verengen sich bald die Wegewindungen entlang eines zu kleinen Weihern aufgestau-ten Baches. Dem offiziellen Plan ist zu entnehmen, dass nunmehr der „Traditionelle Japanische Garten“ erreicht wurde, was durch historisierende Steinlaternen, die Steineinfassungen der Wasser-flächen sowie kunstvoll geschnittene Nadelgehölze offensichtlich wird. Das Zentrum dieses Gartenbereichs wird durch ein „Taiwa-nesisches Teehaus“ markiert, errichtet 1927 als Bau des einstigen Kaiserlichen Gartens.1 Das markante Gebäude mit seinen Schweif-

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westlicher Geschichtsbilder sowie eine daran anschließende asiati-sche Erweiterung des Konzepts von Nationalstilen.

Die zeitliche Nähe der Umgestaltung von Shinjuku Gyoen zum Japanisch-Russischen Krieg bildet gewiss eine Koinzidenz. Kein Zufall war es aber, dass die Eröffnung dieser japanisch interpretier-ten ‚globalen’ Gartenlandschaft 1906 zugleich als Feier des Sieges im Japanisch-Russischen Krieg im Beisein des Meiji-tennō veranstaltet wurde. So wie man mit dem gewonnenen Krieg die Landkarte der Weltpolitik betreten hatte, so inszenierte man Japan im Shinjuku-Gyoen-Garten nun als gleichwertigen nationalen Protagonisten einer globalen, auf nationalen stilistischen Idealtypen beruhenden Garten-geschichte. Diese Szenographie bildete das Tokioter Gegenstück zu den massiven Versuchen des Kaiserreichs, den „Japanischen Garten“, besser gesagt: die reduktionistische und entzeitlichte Konstruktion eines solchen auf Weltausstellungen als künstlerischen Repräsentan-ten einer Nation und einer nationalen Kultur zu stilisieren.3

Der Shinjuku-Gyoen-Park erlitt schwere Verluste während der flä-chendeckenden Bombardierungen Tokios im Zweiten Weltkrieg. In den ersten Nachkriegsjahren rekonstruiert, wurde die Anlage 1949 als Shinjuku-Gyoen-Nationalgarten wieder eröffnet und ist seither der Öffentlichkeit zugänglich. Das Konzept des Nebeneinanders nati-onaler Stile im Park findet im Übrigen seinen botanischen Widerpart in einer großen dendrologischen Vielfalt. Ein Bezug zwischen den

fremden Gehölzen und ihrer natürlichen geographischen Verbreitung sowie den einzelnen, nationalstilistisch codierten Gartenbereichen wurde jedoch nicht hergestellt.

II.

Die Bedeutung von Nation für die historiographische Deutung von Kunst wie für die Kunstproduktion der Moderne ist oft konstatiert worden.4 Im Zuge der Nationalstaatenbildung des 19. Jahrhunderts gehörte es weltweit zum ideologischen Anspruch, eine als natio-nal klassifizierte Kunst hervorzubringen, um als national geltenden Eigenarten und Besonderheiten künstlerisch Ausdruck zu verleihen.5 Zugleich, dies war und ist letztlich die andere Seite derselben Medaille, wurde die Kunst der eigenen Vergangenheit (oder dessen, was dafür gelten konnte) historiographisch als nationales Erbe beschworen und beansprucht. Kunstgeschichte trat als identitätsstiftendes Konstrukt in den Dienst politischer Legitimationsrhetorik. Diesem allgemeinen und auch in einer globalen Perspektive zu beobachtendem Befund (von höchster Aktualität) zum Trotz, wird oft übersehen, dass für kein zweites Genre der Kunst neben der Gartenkunst eine proto- bzw. vor-nationale Stilsemantik bereits in der Frühen Neuzeit entwickelt wor-den war. Diese noch zu beleuchtenden diskursiven Stilkonstrukte verdankten sich zunächst höfischen, z. T. auch staatlichen Distinkti-

onsversuchen und wurden mit der Moderne, darin liegt das eigent-liche Problem, in ein historiographisches System nationaler Stile der Gartenkunst überführt, das bis heute seine Wirkung entfaltet.

Wenn heute unter Landschaftsarchitekten und Gartenkunsthis-torikern wie selbstverständlich von einem ‚italienischen’, einem ‚nie-derländischen’, einem ‚französischen’ und von einem ‚englischen’ Stil gesprochen wird, so kann sich das keinesfalls auf die Stilsemantik des 17. oder 18. Jahrhunderts berufen, denn hier wurden höfische Ord-nungsmodelle als Referenzen verhandelt, nicht jedoch nationale oder nationalistische Konzepte, wie sie erst die Moderne in Nationalstaats-modellen etablierte.6 Am Beispiel des im 17. und 18. Jahrhundert in England zu verzeichnenden Diskurses über den sogenannten „nieder-ländischen“ Stil hat jüngst David Jacques die protonationale Dimen-sion solche Zuschreibungen als pure Rhetorik entlarvt: „[...] garden design, even nineteenth-century historicism, was always more com-plex than the selection of some pure expressions of a national style. People did not think in terms of English designs being ‚Dutch’ in the late seventeenth or early eighteenth centuries – this came about post-hoc as a rhetorical device to contrast English irregular and natural gar-dens from the earlier formal gardens.“7 Dasselbe kann im Übrigen für die Semantik des ‚Englischen’ in der Gartenkunst als Stil vorgeblich liberaler Weltanschauungen in Abgrenzung von ‚Französischer‘ Sti-listik als vorgeblichem Ausdruck königlich-feudaler Gesellschaftsvor-stellungen gesagt werden.8

Mit der Moderne wurde die nationale Codierung von Gartensti-len zu einem globalen Phänomen. Nun setzen asiatische Staaten wie Japan (seit der Meji-Dynastie) und China (das ja innerhalb der euro-päischen Geschichte mit einer protonationaler und in diesem Falle exotistischen Vorgeschichte, der sogenannten ‚anglo-chinoisen’ Gar-tenkunst im 18. Jahrhundert vertreten ist)9 das Konzept des Natio-nalstils im Zeichen staatlicher Globalvermarktung verstärkt nach dem Zweiten Weltkrieg ein (zur vergleichbaren Situation im heutigen Sin-gapur siehe den Beitrag von Christof Baier). Auch in Deutschland und in den Vereinigten Staaten lassen sich im 19. Jahrhundert Bemü-hungen beobachten, einen nationalen Stil hervorzubringen bzw. his-toriographisch zu entdecken.10

Bei diesen modernen Nationalisierungen von Gartenstilen ging und geht es stets um die puristische und statische Verkürzung eines Stils auf seine Ursprungsnation unter vollständiger Negierung der Vorstel-lung von stilistischen Hybriden, stilistischen Übergängen, Entwicklun-gen, Varianzen oder auch nur der Reflexion der terminologischen Pro-blematik, einen ‚Französischen Garten’ im Zentrum Tokios oder einen ‚Japanischen Teegarten’ in San Franciscos Golden Gate Park als Ver-äußerung einer authentischen nationalen Idee anzuerkennen.11 Diese nationale Semantik ernst zu nehmen hieße, auch ein x-beliebiges fran-zösisches Restaurant, etwa in Sidney, zum authentischen Repräsentan-ten der französischen Nation und ihrer Kultur zu erklären.

Längst könnte die Gartenkunstgeschichte wissen, um welche Art der Konstruktion und Semantisierung es sich hierbei handelt, denn auch auf dem Feld der Gartenhistoriographie sind Arbeiten entstan-den, die Anlass geben, die Sinnhaftigkeit und das Erkenntnisvermö-gen unseres Stilsystems anzuzweifeln. Fundamental ist etwa eine Stu-die Ann Helmreichs über das Verhältnis von The English Garden and National Identity im 19. Jahrhundert,12 in der die Autorin nachweist, wie komplex und widersprüchlich sich die Konflikte um eine als „eng-lisch“ deklarierte moderne Gartenkunst darstellen. Grundlegend für

das Generalthema ist der von Gerd Groening und Uwe Schneider her-ausgegebene Band über Gartenkultur und nationale Identität.13

Für die australische Gartengeschichte verdanken wir Geor-gina Whitehead eine Essay-Sammlung unter dem Titel Planting the Nation, in der die Funktionalisierung der Botanik im Zuge der förde-ralistischen Politik um 1900 thematisiert wird.14 Die darin diskutier-ten Beispiele einer Nationalisierung botanischer Phänomene schlie-ßen nahtlos an europäische Diskussionen des 18. bis 20. Jahrhunderts an, in denen Baumarten oder Landschaftstypen nationalsymbolisch instrumentalisiert wurden.15 Schließlich sei auf Christian Tagsolds Studie zur Konstruktion des Japanischen Gartens und seiner westli-chen Verbreitung verwiesen.16

Gleichsam als eine Fügung der Globalisierung kann man beobach-ten, dass es die bereits vor Jahrhunderten existierende Vernetzung auf dem Gebiet von Gartenkunst, Botanik, Gartenbau und Landschafts-kultur mittlerweile zu verbieten scheint, der Gartenhistoriographie unbegrenzt und unreflektiert weitere Nationalstile hinzuzufügen. Als ein Resultat ist die Pariser Ausstellung zu den Jardins d’orient im Som-mer 2016 zu bezeichnen, die im Untertitel über zahllose Ländergren-zen hinweg de l‘Alhambra au Taj Mahal gleich drei Kontinente ein-schließt.17 Damit wurde nicht nur ganz nebenbei der problematische Terminus des „islamischen Gartens“ ad acta gelegt,18 sondern mit Blick auf ein Gebiet zwischen dem südspanischen Granada und dem afghanischen Kabul auch die globale Geschichte der Gartenkunst, ihre Interkulturalität, ihre Transfersysteme und ihre Adaptionsfähig-keit stärker in den Fokus gerückt.

III.

Der Umgang mit protonationalen Stilmodellen, seien sie integrativ im Rahmen eines globalen Modells verstanden worden oder seien sie Ausdruck einer kompetitiven Sichtweise, kann in Europa auf eine lange Tradition zurückblicken. Nation als Narrativ, so die These, begann zumindest auf der normativen Diskursebene bereits im 17. Jahrhun-dert das Konzept von Region bzw. fürstlichen und königlichen Terri-torien abzulösen. So lässt sich nachweisen, dass in italienischen Gär-ten des 16. Jahrhunderts vielfach die Idee einer Abbreviaturisierung von Landschaften und Regionen die Gartenkunst bestimmte – ganz ähnlich im Übrigen den religiösen Abbreviaturmodellen in der vom Buddhismus und vom Hinduismus bestimmten Landschaftsarchitek-tur und Gartenkunst der Khmer sowie Chinas und Japans.19

Bereits die römische Antike kennt ein herausragendes Beispiel für die ikonographische Inszenierung von Landschaften in einem Gar-ten: die Villa Hadriana nahe Tivoli. Obgleich bereits seit dem 16. Jahrhundert archäologisch erschlossen, hätte die Klassische Archäo-logie die einzelnen landschaftlichen Inszenierungen ohne den expli-ziten Hinweis in der Historia Augusta kaum dechiffrieren können.20 Demnach schuf Hadrian „mit der Villa von Tibur ein wundervolles Ensemble, und zwar so, dass er darin die berühmtesten Provinzen und Orte mit Namen benannte, wie etwa das Lykeion (Athen), die Akade-mia (Athen), das Prytaneion (Ephesos), den Kanopos (Ägypten), die

Abb. 1: Shinjuku Gyoen National Garden, offizieller Parkplan, Fotografie Stefan Schweizer, 2015.

Folgende Doppelseiten:Abb. 2: Shinjuku Gyoen National Garden, „Französischer Garten“, Fotografie Stefan Schweizer 2015.Abb. 3: Shinjuku Gyoen National Garden, Taiwanesische Teehaus im „Traditionel-len Japanischen Garten“, Fotografie Stefan Schweizer 2015.

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Poikile (Athen), das Tempe-Tal (Thessalien). [...]“.21 Die Heterogeni-tät der ikonographischen Verweise war kaum dazu geeignet als Vor-bild zu dienen, doch wurde auch die neuzeitliche Gartenkunst mehr-fach von ganz ähnlichen Modellen geleitet.

Das einfachste und älteste Modell und wohl auch der Ausgangs-punkt solcher ikonographischen Bestrebungen stellen Flussgötter dar, geradezu klassische Beispiele der Gartenskulptur.22 Mit der Per-sonifikation des Tiber fand das prominenteste Beispiel Aufstellung im päpstlichen Cortile del’ Belvedere.23 Wie der Tiber angesichts sei-nes Verlaufs über die Stadtgrenzen von Rom hinausweist, so wird der landschaftlich-territoriale Bezugsrahmen etwa auch bei der Sta-tue des Flussgotts Mugnone in der Villa Medicea in Pratolino greif-bar.24 Großherzog Francesco de’Medici verortet seinen Garten damit im Ursprungsland seiner Familie, dem Mugello, durch das der Mug-none, in unmittelbarer Nähe zu Pratolino fließt, ehe er in Florenz in den Arno mündet.

Monumentaler gerieten die Allegorien von landschaftsbestim-menden Gebirgen, wie dem Apennin. Fällt die Version Bartolomeo Ammannatis in der Villa Medicea in Castello in Form eines frieren-den nackten bärtigen Mannes fast noch bescheiden aus, so steigert Giovanni da Bologna seine 1580 vollendete Apennin-Skulptur in Pra-tolino ins Gigantische (Abb. 4).25 Der kauernde Riese gleicht einem

Berg, den er in einem übertragenen Sinn symbolisieren soll. Die räum-liche Identität von Darstellung und Dargestelltem kennzeichnet auch den Rometta-Brunnen in der Villa d’Este in Tivoli.26 Die Szenogra-phie einer Rom-Miniatur wurde an der Stelle des Gartens arrangiert, von der aus die Stadt Rom im Panorama und realiter zu sehen war und ist. In unmittelbarer Umgebung befinden sich Personifikationen des Tivoli mit Wasser speisenden Flusses Anio, des Tibers in einer Grotte sowie, nun als Jüngling in Atlantenpose, des Apennin.

Die in den Medici-Villen in Castello und Pratolino sowie in der Villa d’Este in den Jahren zwischen 1550 und 1580 entstandenen Inszenierung landschaftlicher Miniaturen und Symbole entfalteten ikonographisch nördlich der Alpen Wirkung. Während landschaftli-che Abbreviaturen wie der Apennin die Ausnahme blieben (von zahl-reichen sich der antiken Mythologie verdankenden Parnasshügeln abgesehen), spielten lagernde Flussgötter, wie sie Salomon de Caus mit Rhein und Neckar um 1618 auch für den Heidelberger Schloss-garten ausführen ließ, um das kurpfälzische Territorium zu symbo-lisieren, die Hauptrolle.27 Derartige Ausstattungskonzepte zielten darauf, in einem buchstäblich überschaubaren Gartenraum Fluss- und Gebirgspersonifikationen in Szene zu setzen, um ganze Land-schaften zu versinnbildlichen, die zugleich als politische Territorien codiert waren. Es bedurfte lediglich kleiner Veränderungen, um die-

ses Modell des Gartens als Abbreviatur für naturgegebene Landschaft auf Fürstentümer, Königreiche und seit dem 19. Jahrhundert auch auf Nationen zu übertragen.

Eines der prägnantesten ikonographischen Skulpturenprogramme in einem Garten, das territoriale Versatzstücke schließlich in einen protonationalen höfischen Kontext überführte, bildet das heute noch existierende Wasserparterre in Versailles (Abb. 5). Die unmittelbar vor der Gartenfassade des Schlosses liegende Fläche war seit 1661, dem Beginn der monumentalen baulichen und gärtnerischen Transforma-tion von Versailles, mehrfach verändert worden und zwischenzeitlich Ort ambitionierter wie staatstragender royaler Programmatik.28 Das zwischen 1683 und 1685 verwirklichte Wasserparterre wird nach der Umgestaltung durch André le Nôtre und Jules Hardouin-Mansart aus zwei langgestreckten Bassins gebildet, die fast die gesamte Tiefe des Bereichs zwischen Fassade und der zum Latona-Parterre hinabführen-den Treppe einnehmen. Mit dem Skulpturenschmuck beauftragte die königliche Verwaltung die wichtigsten Hofbildhauer der Zeit, darun-ter Jean Baptiste Tuby, Antoine Coysevox, Thomas Regnaudin, Pierre Legros und Philippe Magnier. Die von ihnen angefertigten Wachsmo-delle gossen zwischen 1687 und 1691 die Brüder Keller.

Auf der Marmoreinfassung der beiden parterreförmigen Bassins fanden insgesamt 24 Bronzegruppen Aufstellung: an den Schmalsei-

ten je ein weiblicher und ein männlicher lagernder Flussgott (süd-liches Bassin: Loiret, Saone, Rhône und Loire; nördliches Bas-sin: Dordogne, Marne, Seine und Garonne), an den Längsseiten je zwei Nymphen sowie an den Ecken je eine dreifigurige Putten-gruppe. Ursprünglich war für die Bassins je eine zentrale Skulptur von Venus sowie Thetis vorgesehen, die jedoch nicht ausgeführt wur-den. Obgleich sich damit das ikonographische Programm auf König (Thetis mit Bezug zu Apoll) und Königin (Venus) bezogen hätte, so ergänzte doch die staatlich-territoriale Symbolik der Flussallegorien die visuelle Repräsentation des französischen Königreichs im Garten von Versailles. Ungeachtet vieler Ungereimtheiten in der Überliefe-rung hatte bereits Gerold Weber diese Inszenierung als „Allusion auf Person und Territorium des französischen Königs“ gedeutet.29

Aus dem zwischenzeitlichen kosmologischen Programm Le Bruns war eines der Staatsrepräsentation im Bild des durch Flüsse konturier-ten Territoriums Frankreichs geworden – das Bild eines Königreichs wie eines Staates,30 was insofern nicht verwundert, als Versailles seit 1682 als Residenz des französischen Königs in Anspruch genommen wurde.

Sicher kam nur den allerwenigsten Gärten dieser Rang von Ver-sailles zu und damit bildeten protonationale Ikonographien dieser Art auch eine Ausnahme. Doch lassen sich auch in Landschaftsgär-

Abb. 4: Pratolino, Giovanni da Bologna, Allegorie des Apennin, Fotografie Stefan Schweizer, 2009. Abb. 5: Versailles: Parterre d Eau, Jean Baptiste Tuby, Personifikation der Rhone, Fotografie Stefan Schweizer, 2012.

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ten des 18. Jahrhundert, nun unter dem Vorzeichen eines europaweit erwachenden Nationalpatriotismus, protonationale Programmatiken beobachten – in Großbritannien, in Deutschland und in Polen, aber auch in den Vereinigten Staaten.

In Stowe war es Lord Cobham, der dem Temple of Ancient Virtues (1736) in den sog. Elysian Fields in unmittelbarer Nähe zum Land-haus die architektonisch-skulpturale Inszenierung einer politischen und intellektuellen Tradition Großbritanniens gegenüberstellte.31 Ein verlorengegangener ruinöser Bau bildete als Monument der mora-lisch verkommenen Modern Virtues das Gegenbild. Als Synthese bei-der war der von William Kent konzipierte Temple of British Worthies angelegt, ein nationales Geschichtsmonument par excellence, das die Büsten von 16 Persönlichkeiten der britischen Geschichte und Gegen-wart umfasst (Abb. 6): Acht Büsten zählen zu einer kontemplativen Gruppen, darunter William Shakespeare, John Locke, Isaac Newton und Francis Bacon; acht Büsten stellen Personen der Tat dar, darun-ter König Alfred, Königin Elizabeth I. und Frances Drake. Die Insze-nierung stand innerhalb des Gartens in einem politischen Bezugsrah-men, der in Form einer Skulpturengruppe der Saxon Deities auch auf angelsächsische Mythologie, antike Geschichte oder in Form eines Reiterdenkmals auf König George I. usw. verwies.32

In Deutschland könnte man auf die gerade in Gärten ausgelebte Mittelaltermanie und ihre Neogotik verweisen,34 aber auch auf die Hermann dem Cherusker gewidmeten Eichen, deren frühestes Exem-plar wohl im Seifersdorfer Tal aufgestellt worden war.35

IV.

Diese hier geschilderten protonationalen Dimensionen frühneuzeitli-cher Gartenkunst fallen in eine Zeit, in der sich in unterschiedlichen Diskursen durchaus protonationale Ideen nachzeichnen lassen.36 Besonders Anderson hat die Entstehung von Nationalbewusstsein an Landessprachen und den Buchdruck sowie die damit verbun-dene Verbreitung von Schriften geknüpft.37 Hinsichtlich staatlicher Organisationsformen sei daran erinnert, dass mit dem Friedensver-trag von Münster und Osnabrück 1648 im Westfälischen Frieden die Idee staatlicher Integrität geboren wurde, die für das spätere Kon-zept von Nation grundlegend war.38 Der 1694 publizierte Diction-naire de L’Académie française versteht unter dem Lemma „Nation“ eine Gemeinschaft, die durch Einwohnerschaft im selben Staat, das-selbe Rechtssystem und dieselbe Sprache charakterisiert sei.39 In der vierten Auflage aus dem Jahr 1762 kennt der Dictionnaire bereits die Begriffspaare „französische“, „spanische“, „englische“ und immerhin auch „deutsche Nation“!40 Einschränkend verweist das Lemma aber auch auf die Differenz zwischen Staat und Nation: Da Italien in ver-schiedene Staaten und Regierungen unterteilt sei, lasse sich eigentlich nicht von einer italienischen Nation reden.

Analog zu dieser normativen Textsorte und jenseits der Garten-realitäten lassen sich auch in den kunsttheoretischen und gartentheo-retischen Diskursen der Frühen Neuzeit Versatzstücke vornationaler Deutungsperspektiven nachweisen, die einerseits lange zurückrei-chen und auf dem Feld der Gartenkunst eine ganz besondere Viru-lenz erlangten. Bereits im 16. Jahrhundert griffen kunsttheoretische Autoren zur Bestimmung von Stil auf nationale Erklärungsansätze zurück. Die Rhetorik des Nationalen diente zur systematischen Diffe-renzierung, was sich zwar oft als pure Behauptung darstellte, aber eine

gewisse Wirkungsmacht entfaltete. Insbesondere Architekturdiskurse schienen geeignet, nationale Eigenarten als Basis für Konkurrenzver-hältnisse anzeigen zu können. Giorgio Vasari benutzt in der einleiten-den Vorrede der Lebensbeschreibungen 1568 den Terminus „maniera tedesca” und „maniera gotica” synonym. Vasari griff auf das Nationale als Bezugsrahmen wohl zurück, um die Degeneration der Architektur seit dem Ende des Römischen Reiches beklagen zu können. Indem er die Römer als Nation klassifizierte, kann er für den Verfall der Bau-kunst die „barbarischen Nationen“ verantwortlich machen.41 Im Kern ging es ihm um ein Modell, in dem die Toskaner (Italiener) als legi-time Erben der römisch-antiken Kunst und Architektur auftreten.

Im Zusammenhang mit Nationalarchitektur sei auch auf den Ver-such des französischen Architekten Philibert Delorme verwiesen, den Kanon der aus der Antike bekannten Säulenordnungen um eine „französische“ Ordnung zu erweitern. Delorme beruft sich dabei aus-drücklich auf dem Umstand, dass die antiken Ordnungen Ausdruck ihrer Entstehung in verschiedenen Nationen und Ländern gewesen seien.42 Obgleich die Stilreferenz auf Nation allem Anschein nach französische Wurzeln besitzt, kann man in der gesamten Frühen Neu-zeit ähnlich gelagerte Versuche einer Nationalisierung von einzelnen Elementen der Baukunst beobachten: begonnen bei einer als spanisch deklarierten Balusterordnung Diego de Sagredos (1526) bis zu Niko-laus Sturms „deutscher Ordnung“.43

Auch die Korrelation zwischen Gartenkunst und Nation kann als französische Erfindung gelten und basiert auf einem für alle schöp-ferischen Gebiete gültigen Herrschaftsanspruch. Der französische Agronom Olivier de Serres verwendet die nationale Stereotypik in seinem 1600 publizierten Traktat Le theatre d’agriculture, um den hohen Stand der französischen Gartenkunst besonders im Verhält-nis zur Gartenkunst in Italien darzustellen. Vor allem in den königli-chen Gärten erkennt de Serres den Beleg dafür, dass die französische Gartenkunst die italienische übertreffe: „Es ist nicht notwendig, nach Italien oder anderswohin zu reisen, um die schöne Anordnung von Gärten zu sehen, denn unser Frankreich riss den Triumph über alle Nationen an sich, seien diese gering oder groß [...].“44 Da der eigene Bezugsrahmen die imaginäre französische Nation bildete, war de Ser-res genötigt die als französisch ausgegebenen Standards denjenigen anderer Nationen gegenüberzustellen. Ehe also etwa Gärten der Spät-renaissance im Umland von Florenz oder Rom von Historiographen als ‚italienisch‘ im Sinne eines Stiltypus‘ apostrophiert wurden, hatten französische Autoren mit enger Bindung zum französischen Königs-hof wie de Serres sie in einem protonationalen Konkurrenzverständ-nis bereits auf einen Nationaltypus reduziert.45 Dies geschah, wohlge-merkt, ohne nähere Kennzeichnung stilistischer Eigenarten. Lediglich die von de Serres selbst vorgestellten Ausstattungselemente, etwa Bro-derien, wurden implizit als ‚französisch‘ chiffriert.

Als der niederländische Hofgärtner und Autor Jan Van de Groen 1669 in seinem Hausvätertraktat den Versuch unternahm, einen nieder-ländischen Gartenstil zu definieren, etablierte er erfolgreich eine histo-riographische Struktur, die das Modell der Nationalstile begründete. Nach Van de Groen habe Italien die römische-antike Gartenkultur wie-der zu neuem Leben erweckt; die Italiener seien aber in ihrer Bedeutung für den Fortgang der Gartengeschichte nunmehr von Frankreich über-flügelt worden.46 Für den Rang der als ‚französisch‘ bestimmten Gar-tenkunst verweist Van de Groen auf königliche Gärten wie Fontaine-bleau und Saint-Germain-en-lay. Es fällt ihm jedoch schwer, den Typus

des ‚niederländischen‘ Gartens von diesen offenbar als modern ange-sehenen Anlagen stilistisch zu unterscheiden. So verweist er auf noble Landhausgärten in seiner Heimat wie Rijswijk und Honselersdijk, die sich von den französischen Vorbildern nur darin unterschieden, dass sie weniger prachtvoll ausfielen. Obgleich sich für Van de Groen der ‚nie-derländische‘ Garten also nur als stilistische Variante des ‚französischen‘ Gartens bestimmen lässt, hält er am Konzept nationaler Stiltypen fest. Nation, bzw. dasjenige, was man im 17. Jahrhundert darunter verstehen konnte, bleibt das Unterscheidungskriterium, wobei die niederländi-schen Beispiele von ökonomischer Vernunft geleitet seien und damit zum bürgerlich-republikanischen Gegenmodell der königlichen Gärten Frankreichs erklärt werden.

Es ist für unsere Perspektive eine grundlegende Beobachtung, dass das Konzept der nationalen Stiltypen als Narrativ bereits Jahr-zehnte vor der Idee von einem „englischen Garten“ geboren wurde. Der einschneidenste stilistische Wandel frühneuzeitlicher Garten-kunst löste also gerade nicht das Narrativ eines Nationenstilsystems aus, sondern führte eine Differenzierung nach altem Muster fort.

Als Grundlage des Erfolgs ist die quasistaatliche Indienststellung der Gartenkunst auf der Diskusebene zu konstatieren. Angesicht des enormen materiellen und finanziellen Aufwands war Gartenkunst nicht nur eine nahezu exklusive Gattung des Adels, sondern wurde

auch regelmäßig als fürstliches bzw. königliches Genre klassifiziert. Sie bedurfte der Höfe zu ihrer Entfaltung. Es kann als ein signifikantes Zeichen bewertet werden, dass die Mehrzahl der theoretischen Gar-tentraktate des 17. und frühen 18. Jahrhunderts Staatsmännern, Köni-ginnen und Könige eingeschlossen, gewidmet wurde.47

V.

Im frühen 21. Jahrhundert steht die Gartengeschichtsschreibung vor der Aufgabe, globale Perspektiven zu entwerfen.48 Damit könn-ten die bislang vernachlässigten Praktiken globaler Vernetzungen, wie sie die Frühe Neuzeit in einer erst im letzten Jahrzehnt neu beobach-teten Vielfalt kennt, genauer beobachtet und systematisiert werden. Interkulturelle Bezüge gilt es ebenso herzustellen, wie kulturanthro-pologische Vergleiche anzustellen. Schließlich müsste eine solche Ausrichtung auch zur kritischen Selbstreflexion westlicher Deutungs-modelle Anlass bieten. Dass dies kompliziert ist, hat das Beispiel des Shinjuku Gyoen Parks eingangs des Beitrags bereits angedeutet, denn längst wird das westliche Nationenmodell der Gartengeschichte auch in Asien als tragfähig erachtet, wie die Beiträge dieses Bandes verdeutlichen. Die Kategorisierung von Stilen, Ausstattungsformen, Pflanzensystemen und dergleichen als national erweist sich nach wie

Abb. 6: Stowe, Temple of British Worthies, Fotografie Stefan Schweizer, 2012.

Page 7: Gartenkunstgeschichte sowie Gartenhistoriographie und das ... · dert das Konzept von Region bzw. fürstlichen und königlichen Terri-torien abzulösen. So lässt sich nachweisen,

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vor als erfolgreich, obwohl deren Charakter als ideologische und oft auch politische Konstruktion evident ist. Um so wichtiger erscheint es, dass kritische Gartenhistoriographie heute mehr denn je, die Sinn-

haftigkeit ihrer Analysemodelle zum Gegenstand machen muss und das schließt ein, von Perspektiven ohne Erkenntnisgewinn Abschied zu nehmen.

Kunsttheorie. Eine Einführung in die Lebensbeschreibungen hg. u. eingel. v. Mat-teo Burionie und Sabine Feser, Berlin 2004, S. 64f.

42 Philibert De l’Orme: Le Premier Tome de l’Architecture, Paris 1667, Buch VII, Kap. 13.

43 Hanno Walter Kruft: Geschichte der Architekturtheorie. Von der Antike bis zur Gegenwart, München 1995, S. 136, 200f.

44 Olivier de Serres: Le Théâtre d’agriculture et mesnage des champs, Paris 1600, S. 895; hierzu: Stefan Schweizer: Die Erfindung der Gartenkunst. Gattungsautono-mie – Diskursgeschichte – Kunstwerkanspruch, München 2013, S. 164-171.

45 Zur Konstruktion des ‚italienischen Gartens‘ siehe: Raffaella Fabiani Gianetto: „Grafting the Edelweiss on Cactus Plants“: The 1931 Italian Garden Exhibition

and its Legacy, in: Mirka Beneš/Michael G. Lee (Hg.): Clio in the Italian Garden. Twenty-first-Century Studies in Historical Methods and Theoretical Perspectives, Washington D.C. 2011, S. 55-77.

46 Jan van de Groen: Der Niederländische Gärtner / Das ist / Eine Beschreibung allerhand Fürstlicher / Herren Höfen / und Lustgärten […] Durch Johan von der Groen / bestalten Gärtner / Ihrer Durchl. des Printzen von Oranien, Amsterdam 1669, S. 13; hierzu: Schweizer (wie Anm. 44), S. 171-177.

47 Hierzu Schweizer (wie Anm. 44), S. 312ff.48 Als verdienstvoller Versuch ist John Dixon Hunt: A World of Gardens, London

2012, zu bewerten, doch wird es in Zukunft neben der geographischen Offen-heit auch auf eine problemorientierte Verschränkung der Perspektiven ankom-men.

Anmerkungen

1 Zur Geschichte der Anlage Stephen Mansfield: Japan’s Master Gardens. Lessons in Space and Environment, Tokyo 2012, S. 15-20; Pierre-André Lablaude: Le Shinjuku Gyoen national garden, in: Fleurs impériales au Grand Trianon, Begleit-heft zur Ausst. im Grand Trianon 2014, S. 17-19; des Weiteren beziehe ich mich für die Geschichte auf: www.env.go.jp/garden/shinjukugyoen, letzter Abruf am 17.6.2016.

2 Reinhard Zöllner: Geschichte Japans: Von 1800 bis zur Gegenwart, Stuttgart 2013, S. 275f.

3 Hayato Fukuba war international tätig. 1904 trat er als Berater der Internationalen Kunst- und Großen Gartenbau-Ausstellung in Düsseldorf in Erscheinung; Hein-rich Frauberger (Hg.): Internationale Kunst- und Große Gartenbau-Ausstellung 1904, Düsseldorf 1905, S. 58.

4 Christian Tagsold: Spaces of Translation. Japanese Gardens in the West, Habilitati-onsschrift, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 2012; demnächst in der Reihe „Penn Studies in Landscape Architecture“, Philadelphia 2016.

5 Wolf Tegethoff: Art and national identity, in: Jacek Purchla/ders. (Hg.): Nation, style, modernism, Cracow 2006, S. 9-23.

6 Michaela Marek: Kunst und Identitätspolitik. Architektur und Bildkünste im Pro-zess der tschechischen Nationsbildung, Köln 2004; Michela Passini: La fabrique de l‘art national. Le nationalisme et les origines de l‘histoire de l‘art en France et en Allemange 1870-1933 (Passagen / Passages 43), Paris 2012; Matthias Krüger/Isa-bella Woldt (Hg.): Im Dienst der Nation. Identitätsstiftungen und Identitätsbrü-che in Werken der bildenden Kunst, Berlin 2011.

7 Siehe hierzu: Christian Jansen/Henning Borggräfe (Hg.): Nation, Nationalität, Nationalismus, Frankfurt a.M. 2007; unter den zahlreichen einschlägigen Arbei-ten habe ich mich auf die Klassiker zum Thema gestützt: Benedikt Anderson: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt a.M. 2005 (Erstausgabe 1983) sowie Eric J. Hobsbawm: Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780, Frankfurt am Main 1991.

8 David Jacques: Who Knows What a Dutch Garden Is?, in: Garden History, Vol. 30, No. 2, 2002, S. 114-130, hier: 129.

9 Hierzu: Stefan Schweizer: L’identité par l’alterité: Modèles d’évaluation de l’art du jardin „français“ entre stéréotypes nationaux et représentations historiques sci-entifiques au xixe siècle en allemagne, in: Hildegard Haberl/Anne-Marie Pailhès (Hg.): Gartenkultur du XIXe au XXIe siècle : à la recherche du jardin allemand, Paris 2014, S. 17-31.

10 Zum Einfluss der aus Reiseberichten bekannten bzw. imaginierten chinesischen Gartenkunst auf England im 18. Jahrhundert: Christina Kallieris: Inventis addere. Chinesische Gartenkunst und englische Landschaftsgärten: Die Auswirkung von Utopien und Reisebeschreibungen auf gartentheoretische Schriften Englands im 18. Jahrhundert, Worms 2012; Bianca Maria Rinaldi: Ideas of Chinese Gardens. Western Accounts, 1300-1860, Philadelphia 2016.

11 Vgl. die diesbezüglichen Beiträge in: Gert Gröning/Uwe Schneider (Hg.): Garten-kultur und nationale Identität. Strategien nationaler und regionaler Identitätsstif-tung in der deutschen Gartenkultur, Worms 2001; als frühes Exempel: Karl Gott-lob Rössig: Kurze Darstellung der verschiedenen Arten des Nationalgeschmacks in den Gärten, in: Monatsschrift für Deutsche, 1800 , 3.Bd., S. 53-58; sehr spät: Carl Hampel: Die Deutsche Gartenkunst. Ihre Entstehung und Einrichtung mit besonderer Berücksichtigung der Ausführungsarbeiten und einer Geschichte der Gärten bei den verschiedenen Völkern, Leipzig 1902; für die Vereinigten Staaten sei pauschal auf Frederick Law Olmsted und seine gestalterischen Inszenierungen „amerikanischer Landschaften“ in öffentlichen Parks verwiesen.

12 Hierzu im Allgemeinen grundlegend: Hans Manfred Bock: Nation als vorgege-bene oder vorgestellte Wirklichkeit? Anmerkungen zur Analyse fremdnationaler Identitätszuschreibung, in: Ruth Florack (Hg.): Nation als Stereotyp. Fremdwahr-nehmung und Identität in deutscher und französischer Literatur, Berlin 2013, S.

11-36. 13 Anne Helmreich: The English Garden and National Identity: The Competing Sty-

les of Garden Design, 1870-1914, Cambridge 2002.14 Gröning/Schneider (wie Anm. 11).15 Georgina Whitehead (Hg.): Planting the Nation, Melbourne 2001.16 Gröning/Schneider (wie Anm. 11); zu Russland: Anna Annanieva: Russisch

Grün. Eine Kulturpolitik des Gartens im Russland des langen 18. Jahrhunderts, Bielefeld 2010.

17 Tagsold (wie Anm. 4).18 Jardins d’Orient. De l’Alhambra au Taj Mahal, Ausst.-Kat. Paris 2016.19 Die Gärten des Islam, Ausst.-Kat. Berlin 1993.20 Vgl. die Beispiele in: Quiao Yun: Alte chinesische Gartenkunst, Leipzig 1986;

Qingxi Lou: Chinese Gardens (Introductions to Chinese Culture), Cambridge 2011; Maggie Keswick: The Chinese Garden, London 2013; Karl Hennig: Japa-nische Gartenkunst. Form, Geschichte, Geisteswelt, Köln 1980; Marilia Albanese: Angkor, Hamburg 2014, S. 44-65.

21 Vgl. William Lloyd MacDonald: Hadrian’s villa and its legacy, New Haven 1995.22 Historia Augusta, Hadrianus 26,5.23 Zur Genese in der Antike: Sylvia Klementa: Gelagerte Flussgötter des Späthelle-

nismus und der römischen Kaiserzeit, Köln 1993; Claudia Lazzaro: The Italian Renaissanc Garden. From the Comventions of Planting, Design, and Ornament, New Haven 1990, S. 146-150.

24 Francis Haskell/Nicholas Penny: Taste and the Antique. The Lure of Classical Sculpture 1500-1900, New Haven 1994, S. 7-15 und 310f.

25 Wunder und Wissenschaft. Salomon de Caus und die Automatentechnik in Gär-ten um 1600. Ausstellungskatalog Stiftung Schloss und Park Benrath, Düsseldorf 2008, S. 138-155.

26 Zuletzt: Luke Morgan: The Monster in the Garden. The Grotesque and the Gigan-tic in Renaissance Landscape Design, Philadelphia 2016, S. 116.

27 Lazzaro (wie Anm. 23), S. 215-242.28 Wunder und Wissenschaft (wie Anm. 25), S. 180-191.29 Zu den Konzepten Le Bruns: Pablo Schneider: Die erste Ursache. Kunst, Reprä-

sentation und Wissenschaft zu Zeiten Ludwigs XIV. und Charles Le Bruns, Berlin 2011; grundsätzlich: Gerold Weber: Brunnen und Wasserkünste in Frankreich im Zeitalter von Louis XIV, Worms 1985; S. 13-16, 271-273; Michel Baridon: A His-tory of the Gardens of Versailles, Philadelphia 2006, S. 162-64.

30 Weber (wie Anm. 29), S. 16.31 Siehe auch: Chandra Mukerji: Territorial ambitions and the gardens of Versailles,

Cambridge 1997, S. 257, 304-309.32 Hierzu: John Martin Robinson: Temples of Delight. Stowe Landscape Garden,

London 1990, S. 84-95; zum politischen Kontext Tim Richardson: The Arcadian Friends. Inventing the English Landscape Garden, London 2008, bes. S. 306-328.

33 Grundlegend zu Formen und Funktionen der Geschichtsimagination im Land-schaftsgarten: Karin Stempel: Geschichtsbilder im frühen englischen Garten: Fields of remembrance – Gardens of delight, 2. Bde., Münster 1982.

34 Adrian von Buttlar: Das Nationale als Thema der Gartenkunst des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Gröning/Schneider (wie Anm. 11), S. 21-34.

35 Adrian von Buttlar: Der Landschaftsgarten. Gartenkunst des Klassizismus und der Romantik, Köln 1989, S 152-157.

36 Grundlegend zum narrativen Charakter des Konzepts Nation: Homi K. Bhabha (Hg.): Nation and Narration, New York 1990; Klaus Garber (Hg.): Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit, Tübingen 1989.

37 Anderson (wie Anm. 7), S. 44-54.38 Johannes Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg 1618–1648, Frankfurt a.M. 1992.39 Dictionnaire de L‘Académie française, Paris 1694, S. 110.40 Dictionnaire de L‘Académie française, Paris 1762, S. 197.41 Giorgio Vasari: Vorrede der Lebensbeschreibungen, in: ders.: Kunstgeschichte ud

Stefan SchweizerJapanese, chinese, italian, dutch, french, english […]: Garden History as well as Historiography and the problem of nation styles

For the past four centuries, the history of garden art has been a con-cept of national terms, a particularity that sets it apart from most of the other species of art. While the comparably early systematization of styles into proto-national terms can be derived from the distinguished formulae of European courts – French vs. Italian, Dutch vs. French, and English vs. French –, the historiography of the nineteenth century fits in with this fad seamlessly. With the dawn of modern times, how-ever, gardens were exclusively used for models of national representa-tion, either in a prospective fashion with regard to historic examples or as the requirement of the maintenance of allegedly national pecu-liarities for current designs. Along with the first tendencies of global-ization starting in the late nineteenth century, even Asian states like Japan and China adapted the model of national stiles in order to locate themselves within the globalization history of garden art on the one hand and to make use of specific garden styles as means of national

representation on the other. This contribution refers to the connection between the discursive

semantization of garden styles as representatives of proto-national and national characters and the potential of gardens to render the abbrevi-ations of landscapes possible. The possibility of presenting landscapes, lordly territories like dukedoms, kingdoms and states as natural spaces has been put into practice in gardens since the 16th century. Abbrevi-ations of this kind form an important requirement for the stylization of gardens as symbolic representatives of territories and also collective concepts such as nations.

Basically, this contribution sees itself as an impulse to stop pro-jecting national categories onto global garden history in a non-reflective way since the global interlacing of the 20th and 21st cen-tury continually reduce national garden constructions to absurdity anyway.