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MAINZ 3|19 MAINZ 3|19 1 2 FRIEDENSKONZERT IN ST. STEPHAN IM FOKUS | Musikalische Vision von Krieg und Frieden V ON J ÜRGEN B REIER | Anlässlich des 80. Jahrestages des Beginns des Zweiten Weltkrieges und zum zehnjährigen Jubiläum des ersten Läutens der neuen Glocken von St. Stephan fand in der Kir- che ein Friedenskonzert statt. Auf dem Programm stand „The Armed Man“ von Karl Jenkins. E s war ein eindrucksvolles Bild, das sich dem Publi- kum am 1. September in St. Stephan bot. Rund 130 Sän- gerinnen und Sänger sowie Musizierende hatten sich im Chor der Kirche formiert, um Karl Jenkins‘ „e Armed Man – A Mass for Peace“ auf- zuführen. Der vorangegan- gene Einmarsch des Chores zum rhythmischen Klang ei- ner Trommel und die wech- selnde Beleuchtung des Innen- raumes machten das Konzert zu einer Inszenierung. Das Aufführungsdatum war wohl gewählt. Auf den Tag genau vor 80 Jahren begann mit dem Überfall der Wehrmacht auf Polen der Zweite Weltkrieg, an dessen Ende 60 Millionen Tote, zerstörte Städte und traumatisierte Menschen stan- den. So war das Konzert als ein Projekt gegen das Verges- sen konzipiert. Über viele Wochen hatte Chordirektorin Birgit Ens- minger-Busse das Werk mit dem Chor Capriccio einstu- diert. Sie übernahm, zusam- men mit ihrer Tochter Anto- nia Busse, auch die Solopar- tie. Der Konzertchor und die Musiker des Orchesters Ca- merata Risonanza standen unter der Leitung von Prof. Dr. Helmut Freitag. Vor dem eigentlichen Konzert begrüßte Stefan Schäfer, Pfarrer von St. Ste- phan, die rund 600 Besucher, unter ihnen Bundesministe- rin Julia Klöckner und Ober- bürgermeister Michael Eb- ling. Schäfer erinnerte auch an das Wirken seines Vorgän- gers im Amt, Monsignore Klaus Mayer. „Ihm ist es we- sentlich zu verdanken, dass diese Kirche nach dem Bom- benhagel als die Gebetsstätte des Friedens wieder auferstan- den ist“. Schäfer ging auch auf die Spende des Mainzer Tech- nologiekonzerns Schott ein, die die Anschaffung von drei neuen Glocken ermöglichte. Diesen Aspekt betonte auch der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, Dr. Frank Heinricht, in seinem Gruß- wort. Er bezeichnete das ge- sellschaftliche Engagement von Schott als Teil der Fir- menphilosophie, und „was könnte nachhaltiger sein, als eine Investition in Glocken, die, wie wir alle hoffen, noch in Jahrzehnten, vielleicht so- gar in Jahrhunderten ihren Dienst versehen“. Der rhein- land-pfälzische Kulturstaats- sekretär Dr. Denis Alt hob in seinem Grußwort hervor, dass der Krieg die Heimstätten des gesellschaftlichen und kirch- lichen Lebens in Mainz und in vielen anderen Städten weitgehend zerstört hatte. „Nicht zerstört wurden die Hoffnungen der Überleben- den auf Frieden und Versöh- nung. Dies zeigt sich beson- ders in den Fenstern von Marc Chagall“. Der Waliser Karl Jenkins, Jahrgang 1944, hat sein Werk unter dem Eindruck des Krie- ges im Kosovo 1998/99 ge- schrieben, bei dem nicht zu- letzt religiöse Konflikte zwi- schen Muslimen und Christen eine große Rolle spielten. Mu- sikalisch führt das Werk den Spannungsbogen von der Ver- herrlichung des Krieges über die Tragödie der Zerstörung zur Vernichtung hin, wie sie im Einsatz der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki gipfelten. Die Zuhörer konn- ten musikalische Rückgriffe auf das Mittelalter, die Kom- positionstechniken der Re- naissance, aber auch die Klangfarben der Moderne er- kennen. Hineingestreut hat der Komponist auch den Ge- betsruf des Muezzins. Uner- wartet erklang im zweiten Stück von der Empore des Westchors „Allahu akbar“. Erst gegen Ende der Friedens- messe entwickelte sich aus dem Chaos und dem fas- sungslosen Anschauen die sanfte a-capella-Verheißung, wonach Gott alle Tränen ab- wischen werde. Speziell im leisen Finale klagen sie pro- phetisch: „Läutet hinaus die tausend vergangenen Kriege, läutet ein tausend Jahre Frie- den“. Spätestens mit dem Ein- setzen des Geläuts der Glo- cken von St. Stephan erreichte das Konzert einen emotiona- len Höhepunkt, der noch lange bei den Konzertbesu- chern nachhalte. 1. In der voll besetzten Kirche unterstützten wechselnde Lichteffekte das Klangerlebnis. 2. Die beiden Sopranistinnen Birgit Ensminger-Busse (r.) und Antonia Busse übernahmen die Solo-Partien. 3. Musikalische Friedensbotschafter: Konzertchor Capriccio und Orchester Camerata Risonanza unter der Leitung von Prof. Dr. Helmut Freitag © ALEXANDER SELL Konzert gegen das Vergessen 1 3 2

IM FOKUS FRIEDENSKONZERT IN ST. STEPHAN Konzert ......Der Waliser Karl Jenkins, Jahrgang 1944, hat sein Werk unter dem Eindruck des Krie - ges im Kosovo 1998/99 ge-schrieben, bei dem

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F R I E D E N S K O N Z E R T I N S T . S T E P H A NI M F O K U S

| Musikalische Vision von Krieg und Frieden

Vo n J ü r g e n B r e i e r | Anlässlich des 80. Jahrestages des Beginns des Zweiten Weltkrieges und zum zehnjährigen Jubiläum des ersten Läutens der neuen Glocken von St. Stephan fand in der Kir-che ein Friedenskonzert statt. Auf dem Programm stand „The Armed Man“ von Karl Jenkins.

Es war ein eindrucksvolles Bild, das sich dem Publi-

kum am 1. September in St. Stephan bot. Rund 130 Sän-gerinnen und Sänger sowie Musizierende hatten sich im Chor der Kirche formiert, um Karl Jenkins‘ „The Armed Man – A Mass for Peace“ auf-zuführen. Der vorangegan-gene Einmarsch des Chores zum rhythmischen Klang ei-ner Trommel und die wech-selnde Beleuchtung des Innen-raumes machten das Konzert zu einer Inszenierung. Das Aufführungsdatum war wohl gewählt. Auf den Tag genau vor 80 Jahren begann mit dem Überfall der Wehrmacht auf Polen der Zweite Weltkrieg, an dessen Ende 60 Millionen Tote, zerstörte Städte und traumatisierte Menschen stan-den. So war das Konzert als ein Projekt gegen das Verges-sen konzipiert.

Über viele Wochen hatte Chordirektorin Birgit Ens-minger-Busse das Werk mit

dem Chor Capriccio einstu-diert. Sie übernahm, zusam-men mit ihrer Tochter Anto-nia Busse, auch die Solopar-tie. Der Konzertchor und die Musiker des Orchesters Ca-merata Risonanza standen unter der Leitung von Prof. Dr. Helmut Freitag.

Vor dem eigentlichen Konzert begrüßte Stefan Schäfer, Pfarrer von St. Ste-phan, die rund 600 Besucher, unter ihnen Bundesministe-rin Julia Klöckner und Ober-bürgermeister Michael Eb-ling. Schäfer erinnerte auch an das Wirken seines Vorgän-gers im Amt, Monsignore Klaus Mayer. „Ihm ist es we-sentlich zu verdanken, dass diese Kirche nach dem Bom-benhagel als die Gebetsstätte des Friedens wieder auferstan-den ist“. Schäfer ging auch auf die Spende des Mainzer Tech-nologiekonzerns Schott ein, die die Anschaffung von drei neuen Glocken ermöglichte. Diesen Aspekt betonte auch

der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, Dr. Frank Heinricht, in seinem Gruß-wort. Er bezeichnete das ge-sellschaftliche Engagement von Schott als Teil der Fir-menphilosophie, und „was könnte nachhaltiger sein, als eine Investition in Glocken, die, wie wir alle hoffen, noch in Jahrzehnten, vielleicht so-gar in Jahrhunderten ihren Dienst versehen“. Der rhein-land-pfälzische Kulturstaats-sekretär Dr. Denis Alt hob in seinem Grußwort hervor, dass der Krieg die Heimstätten des gesellschaftlichen und kirch-lichen Lebens in Mainz und in vielen anderen Städten weitgehend zerstört hatte. „Nicht zerstört wurden die Hoffnungen der Überleben-den auf Frieden und Versöh-nung. Dies zeigt sich beson-ders in den Fenstern von Marc Chagall“.

Der Waliser Karl Jenkins, Jahrgang 1944, hat sein Werk unter dem Eindruck des Krie-

ges im Kosovo 1998/99 ge-schrieben, bei dem nicht zu-letzt religiöse Konflikte zwi-schen Muslimen und Christen eine große Rolle spielten. Mu-sikalisch führt das Werk den Spannungsbogen von der Ver-herrlichung des Krieges über die Tragödie der Zerstörung zur Vernichtung hin, wie sie im Einsatz der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki gipfelten. Die Zuhörer konn-ten musikalische Rückgriffe

auf das Mittelalter, die Kom-positionstechniken der Re-naissance, aber auch die Klangfarben der Moderne er-kennen. Hineingestreut hat der Komponist auch den Ge-betsruf des Muezzins. Uner-wartet erklang im zweiten Stück von der Empore des Westchors „Allahu akbar“. Erst gegen Ende der Friedens-messe entwickelte sich aus dem Chaos und dem fas-sungslosen Anschauen die

sanfte a-capella-Verheißung, wonach Gott alle Tränen ab-wischen werde. Speziell im leisen Finale klagen sie pro-phetisch: „Läutet hinaus die tausend vergangenen Kriege, läutet ein tausend Jahre Frie-den“. Spätestens mit dem Ein-setzen des Geläuts der Glo-cken von St. Stephan erreichte das Konzert einen emotiona-len Höhepunkt, der noch lange bei den Konzertbesu-chern nachhalte.

1. In der voll besetzten Kirche unterstützten wechselnde Lichteffekte das Klangerlebnis.2. Die beiden Sopranistinnen Birgit Ensminger-Busse (r.) und Antonia Busse übernahmen die Solo-Partien.3. Musikalische Friedensbotschafter: Konzertchor Capriccio und Orchester Camerata Risonanza unter der Leitung von Prof. Dr. Helmut Freitag

© ALEXANDER SELL

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