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Alte Fotos der GHH // Besucherbergwerk Elbingerode geschlossen // Montanindustrie an der Steirischen Eisenstraße // Unterirdisches Prag // Unesco-Welterbe Japan // Früher Betonbau in Ingolstadt // GAG-Preis für Industriekultur // Maler Fritz Zolnhofer // Basler Bahnhofshalle zog zweimal um // ERIH-Standorte Bergbau: Kohle, Kaolin, Zinn und Quecksilber Industriekultur 4.15 ISSN 0949-3751 · 6,95 Euro Zeitschrift des Landschaftsverbandes Rheinland / LVR-Industriemuseum und des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe / LWL-Industriemuseum Schwerpunkt Dampf-Kraft

Industriekultur 4mit ihr stand im Vergleich zur Wasserkraft auf einmal ein Vielfaches an Antriebskraft zur Verfügung, die sich außer-dem mit der Zeit immer flexibler einsetzen ließ

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Page 1: Industriekultur 4mit ihr stand im Vergleich zur Wasserkraft auf einmal ein Vielfaches an Antriebskraft zur Verfügung, die sich außer-dem mit der Zeit immer flexibler einsetzen ließ

Alte Fotos der GHH // Besucherbergwerk Elbingerode geschlossen // Montanindustrie an der Steirischen Eisenstraße // Unterirdisches Prag // Unesco-Welterbe Japan // Früher Betonbau in Ingolstadt // GAG-Preis für Industriekultur // Maler Fritz Zolnhofer // Basler Bahnhofshalle zog zweimal um // ERIH-Standorte Bergbau: Kohle, Kaolin, Zinn und Quecksilber

Industriekultur 4.15ISSN 0949-3751 · 6,95 Euro

Zeitschrift des Landschaftsverbandes Rheinland / LVR-Industriemuseumund des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe / LWL-Industriemuseum

Schwerpunkt Dampf-Kraft

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Industriekultur 4.15 · Impressum / Editorial

Industriekultur – 21. Jahrgang – 73. Heft – Ausgabe 4/2015

HerausgeberLandschaftsverband Rheinland/LVR-Industriemuseum; Landschafts-verband Westfalen-Lippe/LWL-Industriemuseum; Dr. Walter Hauser (W.H.); Milena Karabaic (M. K.); Prof. Dr. Christian Kleinschmidt (Chr. K.); Dr. Markus Krause (M. Kr.); Dr. Eckhard Schinkel (E.Sch.); Norbert Tempel (N.T.); Dirk Zache (D. Z.)

Redaktion/AnzeigenChef vom Dienst: Sven Bardua (S.B.), Brombeerweg 43, 22339 Hamburg, E-Mail: [email protected] Gilson (N.G.), Kreuzerdriesch 69, 52076 AachenSonja Meßling (some), Von-der-Goltz-Straße 39, 44143 DortmundBildredakteur: Christoph Oboth, Krayer Straße 19, 44866 Bochum

Online-RedakteurDr. Alexander Kierdorf (A.K.), [email protected], Von-Quadt-Straße 157, 51069 KölnInternet: industrie-kultur.de

KorrespondentenDr. Hans-Peter Bärtschi (HP.B.) für die Schweiz (Lindstr. 35, CH-8400 Winterthur); Wolfgang Burghart (W.B.) für Wien und Sachsen (Bahn-hofstr. 18, 08523 Plauen); Karl-Heinz Janson (khj) für den Raum Saar-Lor-Lux (Holzer Str. 84, 66265 Heusweiler); Thomas Janssen (Th.J.) für Brandenburg und Berlin (Am Tabakfeld 6, 16303 Schwedt); Dr. Martin Pries (M.P.) für Niedersachsen (Universität Lüneburg, Scharnhorststr. 1, 21335 Lüneburg); Werner Schleser (W.S.) für Frank-reich (Oestrumer Straße 20, 47228 Duisburg); Detlef Stender (D.S.)für Euregio Maas-Rhein (LVR-Industriemuseum, Carl-Koenen-Str. 25 B, 53881 Euskirchen).

Die Zeitschrift Industriekultur veröffentlicht die Mitteilungen der SGTI (Schweiz), der Arbeitsgruppe Industriedenkmalpflege, der DWhG e. V., des ERIH e. V., der Georg-Agricola-Gesellschaft für Technikgeschichte und Industriekultur e. V. (GAG) sowie des Deutschen TICCIH-National-komitees.

Verlag, VertriebKlartext Verlag, Heßlerstr. 37, D-45329 Essen,Telefon +49 (0) 201 / 8 62 06-0,E-Mail: [email protected], www.klartext-verlag.de

Satz und GestaltungAgentur Pecher, Essen

DruckGriebsch & Rochol Druck GmbH & Co. KG, Hamm

Beiträge bitte an die Redaktion senden. Wird die Rücksendungvon Manuskripten und Fotos gewünscht, bitte Rückporto beile-gen. Redaktion und Verlag übernehmen keine Verantwortungfür unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos. Namentlichgekennzeichnete Artikel geben die Meinungen der Autoren wie-der, die nicht unbedingt mit der von Redaktion und Verlag über-einstimmen. Der ERIH-Verein ist für die ERIH-Seiten in derHeftmitte verantwortlich. Alle Beiträge sind urheberrechtlichgeschützt. Der Nachdruck von Artikeln ist nur mit schriftlicherZustimmung der Redaktion und unter Nennung der Quelle ge-stattet.

AbonnementPro Jahr erscheinen vier Ausgaben der Zeitschrift Industriekultur. Das Abonnement kostet 26,– Euro für vier Ausgaben (und kann jederzeit begonnen werden). Das Abo für vier digitale Ausgaben kostet 16 Euro, das gemeinsame Abonnement von gedruckten und digitalen Heften kostet 33,60 Euro. Soweit nicht anders verein-bart, verlängert sich das Abonnement um jeweils vier weitere Hefte, wenn es nicht innerhalb von vier Wochen nach der dritten Ausgabe gekündigt wird. – Bitte benutzen Sie die beigehefteten Bestellkarten.

TitelbildIm Bahnbetriebswerk von Daranpur, einem Vorort der Stadt Patna im Nordosten Indiens, werden im Februar 1993 Trümmer zerleg-ter Dampfloks in Waggons verladen. Der breitspurige 20-Tonnen-Dampfkran war der letzte aktive Vertreter dieser Traktionsart – die dort beheimateten 35 Dampfloks waren erst wenige Wochen zuvor abgestellt worden.Foto: Christoph Oboth

Liebe Leserinnen und Leser,

Dampf-Kraft ist der klassische Antrieb der Industrialisierung. Ob die Anlagen in Fabriken, Lokomotiven und Schiffen oder die Fördermaschinen und Pumpen von Bergwerken – alles wurde einst von Dampfmaschinen angetrieben. Mit den Turbinen setzte die Dampfkraft noch einmal völlig neue Maßstäbe, auch bei vielen industriellen Prozessen geht es bis heute nicht ohne heißen Dampf. Doch die Dampf-Kraft ist seit mehr als 100 Jahren auf dem Rückzug, nicht nur wegen des Elektro- und des Verbrennungsmotors. Nun werden sogar reihenweise konventionelle, das heißt mit Dampf-Kraft betriebe-ne, Kraftwerke stillgelegt. Es ist also höchste Zeit für den vorliegenden Schwerpunkt „Dampf-Kraft“ in der Industriekultur.

Das konventionelle belgische Kraftwerk Zwevegem blieb glücklicherweise auf dem Stand nach dem Zweiten Weltkrieg erhalten und wird heute als Kulturort mit Bühne und Ausstellungsräumen genutzt (siehe S. 20). Dass solche einst alltäglichen, inzwischen aber seltenen Anlagen noch stehen, ist vielen engagierten Liebhabern geschuldet. Um solche Tatkraft zu würdigen, verlieh die Georg-Agricola-Gesellschaft (GAG) 2015 erstmals den GAG-Preis für Industriekultur. Gleich zwei Initiativen aus Berlin und Mannheim konnten überzeugen, so dass die Herausgeber der Industriekultur einen zusätzlichen Preis aus-gaben (siehe S. 36).

Die Zeche Zollern II/IV in Dortmund, heute Zentrale des LWL-Industriemuseums, wurde 1970 als erste Industrieanlage in Deutschland aufgrund ihres historischen Wertes vor dem Abriss gerettet. Das Fotografenpaar Hilla und Bernd Becher hatte sie schon im März 1969 dokumentiert und unter anderem mit einem Buch und in Ausstellungen auf den Wert dieser außergewöhnlichen Anlage hingewiesen. Ohne diese Arbeit und die Suche nach Mitstreitern für deren Erhalt, gäbe es die Zeche Zollern heute vielleicht nicht mehr. Am 10. Oktober 2015 verstarb Hilla Becher wenige Jahre nach ihrem Ehe-mann. Das Düsseldorfer Ehepaar hinterlässt außer einem umfangreichen Bildbestand zu meist längst abgebrochenen Großanlagen der Industrie eine neue Generation Foto-grafen. Zu ihren Schülern gehören unter anderen Andreas Gursky und Thomas Ruff (siehe S. 55).

Einen anderen fotografischen Blick bietet die Ausstellung „Maloche – Arbeiten auf der Gutehoffnungshütte“ in Oberhausen. Das LVR-Industriemuseum zeigt dort Werksfoto-grafien aus dem Archiv des Stahlwerks und der Maschinenfabriken der GHH. Der Ma-locher, und nicht die Anlagen, ist zwar auf allen Bildern präsent, spielt allerdings meist eine Nebenrolle (siehe S. 38).

Sonja Meßling und die [email protected]

IndustriekulturDenkmalpflege, Landschaft, Sozial-, Umwelt- und Technikgeschichte

Die nächsten Schwerpunktthemen: Heft 1.16 Rohstoff Wasser // Heft 2.16 Industrie-Hallen // Heft 3.16 Industrieregion Oberschlesien // Weitere Schwer-punkte: Industrielandschaften // Industrieregion Franken // Bier & Schnaps // Die Elbe // Schweden

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Inhalt · Industriekultur 4.15

Impressum/Editorial

Schwerpunktthema Dampf-KraftDie Dampfkraft ist ein Inbegriff des Industriezeitalters ..................................... 2Technische Mini-Denkmale: Kleinstdampfmaschinen ........................................ 6Auch Autos machen mächtig Dampf ................................................................ 8Die älteste Dampf-Fördermaschine Frankreichs in Littry (Normandie) ................ 9In schwieriger Lage: das Dampfzentrum Winterthur ......................................... 10Steinkohleförderung in Osnabrück: die Zeche Piesberg unter Dampf ................ 12Hochdruck beim Reichsschleppbetrieb: Kanalschlepper der „Bauart Schmidt“ ....... 14Von der Kesselschmiede zum Leskanpark: Walther & Cie in Köln ...................... 16In 56 Jahren nur 16 Stunden Pause: das Kraftwerk Shamrock in Wanne-Eickel .... 18Das Kraftwerk Zwevegem in Westflandern – eine geglückte Umnutzung ............ 20

Denkmal in GefahrBesucherbergwerk Drei Kronen & Ehrt in Elbingerode geschlossen ........................... 23

Reiseziele der IndustriekulturDie Montanindustrie an der Steirischen Eisenstraße ........................................ 24Rohrpost und Kolektory – das unterirdische Prag ............................................ 28

Denkmal in GefahrFrüher Betonbau und Autofabrik: das Körnerrieselmagazin Ingolstadt .................. 30

ERIH - Standorte der Europäischen Route der IndustriekulturLebendiges Silber kostete oft Leben: Bergbau-Park von Almadén, Spanien ............... 31Dampfkraft erschließt die Tiefe: Das Elsecar Heritage Centre in Yorkshire, England .... 32Feinste Porzellanerde: der Landschaftspark Wheal Martyn in St. Austell, England ...... 33Ein Spielplatz vertreibt die Stille im Revier: Heartlands in Redruth, England ................ 34

Die historische AnzeigeDampfkessel der Walther & Cie aus Köln-Kalk ....................................... Beihefter

Aus der Arbeit des LWL-Industriemuseums Gesammelte Geräusche – EU-Projekt endet .................................................... 35

Aus der Arbeit der Georg-Agricola-GesellschaftGAG-Preis für Industriekultur verliehen ............................................................. 36

Aus der Arbeit des LVR-IndustriemuseumsMaloche – Fotos von der Arbeit auf der Gutehoffnungshütte ............................. 38

Reiseziele der IndustriekulturDas neue Unesco-Welterbe in Japan ................................................................ 42

Künstlerporträt Maler des Saarreviers: Fritz Zolnhofer ............................................................ 44

Selbst vorgestellt Die Transformationen von Industriearealen – 2. Teil: Industriekultur und Stadtplanung ..................................................................... 46

Denkmal mit PerspektiveBasler Bahnhofshalle zieht ins Zürcher Oberland ............................................. 48

Industriekultur in den Regionen ................................................................ 49

Lesezeichen ............................................................................................... 63

Termine ...................................................................................................... 65

Inhalt

Seite 24

Am österreichischen Erzberg hinterlässt die Montanindustrie noch immer ihre Spuren in der Landschaft. Der Bergbau in der Steiermark ist unverändert in Betrieb, ebenso das Hüttenwerk Leoben-Donawitz. Foto: Edgar Bergstein

Seite 2

Die Menschen sind regelmäßig begeistert, wenn es dampft, raucht und zischt – also eine Dampfmaschine in Betrieb gezeigt wird. Doch überliefern die museal erhaltenen Exponate die einst sehr breite Anwendung der Dampf-Kraft nur rudimentär. Auch die von der Dampf-Kraft besetzten Nischen in der modernen Technik werden immer kleiner. Foto: Petra Dittmar

Seite 38

Das LVR-Industriemuseum bietet mit der Ausstellung „Maloche – Arbeiten auf der Gutehoffnungshütte“ Einblicke in das große Bildarchiv des Stahl- und Maschinenbaukonzerns GHH. Eindrucksvoll offenbaren die Fotografien einiges über die einstigen Arbeitsbedingungen.Foto: LVR-Industriemuseum

Seiten 42

23 Stätten gehören seit Juli 2015 zum industriellen Welterbe von Japan, wie der Werkstattbau des Stahlwerks Yawata von Nippon Steel. Die Halle war nach Entwurf und mit Material der Gutehoffnungshütte in Oberhausen gebaut worden.Foto: Barry Gamble

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oben: Dampflokomotiven faszinieren die Menschen mit ihren Wolken aus Rauch und Abdampf. Hier schieben die Dampfloks 78 468 und 52 8134 einen Sonderzug auf der Strecke von Trier nach Gerolstein durch eine der zahllosen Kurven im Kylltal. Dem Zug vorgespannt war die (nicht abgebildete) 41 018. Foto: Joachim Stübben, 2010

Die Dampfmaschine als Sinnbild der „Dampf-Kraft“ ist nicht ohne Grund die Ikone der Industrialisierung. Denn mit ihr stand im Vergleich zur Wasserkraft auf einmal ein Vielfaches an Antriebskraft zur Verfügung, die sich außer-dem mit der Zeit immer flexibler einsetzen ließ. Damit gelang die massenhafte Mechanisierung. Während statio-näre Maschinen über Transmissionsanlagen ganze Fabri-ken oder auch einzelne besonders große Arbeitsmaschi-nen – wie Bergwerkspumpen oder Walzwerkgerüste – an-trieben, wurden kleinere Exemplare für Schiffe, Lokomo-tiven und Straßenfahrzeuge entwickelt. Schließlich wur-de mit den Dampfmaschinen und ihren kurz nach 1900 eingesetzten, ungleich effektiveren Nachfolgern – den Dampfturbinen – auch Strom erzeugt.

Ohne Kessel geht es nichtWas angesichts faszinierender Dampfmaschinen oft übersehen wird: Der dafür benötigte Dampf muss in Kesseln aufwendig erzeugt werden. Auch wenn dort von einem Feuer „nur“ Wasser zu Dampf erhitzt wird, durchlief der Kesselbau eine komplexe Entwicklung. Der

dort entstehende Druck stellte zunächst eine erhebliche Gefahr dar: Kesselexplosionen waren lange Zeit eine ge-fürchtete Begleiterscheinung der Technik. Als Maßnahme der Selbstkontrolle gründete die Industrie deshalb Dampf-kessel-Überwachungsvereine, aus denen später das ge-samte Prüfwesen der heutigen Technischen Überwa-chungsvereine hervorging. Die Dampfkesselherstellung ist ein Spezialgebiet des Maschinenbaus. Von England ausgehend verbreitete sich – wie bei der Textilindustrie – das Wissen über die im deutsch-belgischen Grenzgebiet tätigen belgischen Ingenieure und Unternehmer in das Rheinland, einem Schwerpunkt des deutschen Dampfkesselbaus (siehe S. 16 und Beihefter). So gründete die aus Jupille-sur-Meuse bei Liège (Lüttich) in Belgien stammende Familie Piedbœuf in Aachen eine der ersten preußischen Kessel-bau-Fabriken. Immer ging es bei der Kesselkonstruktion darum, das Wasser möglichst effektiv zu erhitzen. In den einfachen Flammrohrkesseln wird ein Wassertank von Rohren durchzogen, durch welche die heißen Rauchgase geführt

2 Industriekultur 4.15 · Dampf-Kraft

Die Dampfkraft: Inbegriff des Industriezeitalters Um Dinge zu bewegen und Prozesse in Gang zu setzen, haben die Menschen einst nur ihre Körperkraft und die von Tieren genutzt. Erst der flächendeckende Einsatz von Wasser- und auch von Windkraft veränderte die Produktion seit dem Mittelalter grundlegend. Die Verbreitung der Dampfkraft seit etwa 1800 war erneut ein Quantensprung – und ist inzwischen schon fast wieder Geschichte. Sven Bardua, Norbert Gilson

Links• www.dordtinstoom.nl• www.menckundhambrock.de• www.spilling.info• www.steamdrive.de

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links oben: Die auf dem Dach sitzenden Brüdenschlote haben das Bild von Brikettfabriken geprägt: Hier entwich der bei der Trocknung der Rohbraunkohle entstandene Abdampf. Abgebildet ist das 1993 stillgelegte Werk Holzweißig bei Bitterfeld. Foto: Christian Bedeschinski

links unten: Das sanierte und für Büros und Wohnraum umgebaute Kessel- und Maschinenhaus war 1915/16 für die Diamalt AG in München-Allach errichtet worden. Drinnen blieb ein Kessel erhalten. Foto: Eberhard Lantz, 2015

rechts: Dampfmaschinen und -turbinen werden in großer Zahl für die Nachwelt erhalten. Dagegen werden Dampfkessel regelmäßig „übersehen“. Zu den Ausnahmen gehört ein 1936 aufgestellter Schrägrohrkessel mit Wanderrost, der im umgebauten Kesselhaus der Diamalt AG erhalten blieb. Foto: Eberhard Lantz, 2015

werden. Bei den modernen Wasserrohrkesseln wurde das Prinzip umgekehrt: Hier werden die mit Wasser gefüllten Rohre von heißen Rauchgasen umspült (siehe Heft-Rückseite). Um die Abläufe in der Feuerung und beim Schlackentransport zu vereinfachen, aber auch aus Platzgründen, wurden dann die leistungsfähigeren Kessel immer stärker in die Höhe gebaut. Außerdem wurde mit immer höheren Dampftemperaturen und -drücken gearbeitet – je nachdem was Material und die Bauart des Kessels hergaben. Damit verbesserte sich der Wirkungsgrad erheblich. Mit dem Überhitzen des Nassdampfes in extra Überhitzelementen wurde eine Tröpfchenbildung vermieden. Ebenso ließ sich mit dem Vorwärmen des Speisewassers und der Verbrennungs-luft durch die Rauchgase die Effizienz weiter steigern. Schließlich wurde aus dem vordergründig einfachen Kessel eine komplexe Maschine, in welcher mit Brennern so heißes Feuer erzeugt wird, dass das Wasser in den Rohrbündeln in kürzester Zeit mehrere hundert Grad Celsius heiß wird. Dank leistungsfähiger Speisewasser-pumpen hat der Wasser-Dampf-Strom in derartigen Zwangsdurchlaufkesseln ein hohes Tempo. So erzeugen die Kessel in modernen Kraftwerken Dampf mit einer Temperatur von etwa 550 Grad Celsius und einem Druck von 250 bar. Zum Vergleich: Um 1900 waren es etwa 350 Grad Celsius bei 10 bar. Bald verlangte diese Hochleistungstechnik auch eine einwandfreie chemische Beschaffenheit des Kesselspeise-wassers. Im Wasser vorhandene Salze rufen, falls sie nicht beseitigt werden, störende Ablagerungen hervor, den „Kesselstein“. Deshalb ging man bereits um 1900 dazu über, das Speisewasser chemisch aufzubereiten, also schädliche Inhaltsstoffe mit Hilfe von Zusätzen zu neutrali-sieren oder sie herauszuholen. Speisewasseraufbereitun-gen sind typische Betriebsteile von Dampfkraftwerken. Leider wird dem Erhalt von historischen Dampf-erzeugern viel weniger Beachtung geschenkt als den

3Dampf-Kraft · Industriekultur 4.15

Die Dampfkraft: Inbegriff des Industriezeitalters

¿ Literatur• Wolfgang Noot: Vom Kofferkessel zum Großkraftwerk – die Ent- wicklung im Kesselbau: Grund- lagen, Konstruktion, Anwendungen, Vulkan-Verlag, Essen 2010• Otfried Wagenbreth, Helmut Düntzsch, Albert Gieseler: Die Geschichte der Dampfmaschine – historische Entwicklung, Industrie- geschichte, technische Denkmale, Aschendorff Verlag, Münster 2002

Dampfmaschinen. Zu den Ausnahmen gehört ein von 2012 bis 2015 saniertes Maschinen- und Kesselhaus in München-Allach (Am Münchfeld). Hier blieb ein 1936 von L. & C. Steinmüller aus Gummersbach aufgestellter Schrägrohr-Kessel mit Wanderrost stehen. Ein Maschi-nenbau-Ingenieur hatte das Industriedenkmal zu einem Wohn- und Bürohaus umgebaut. Der 1915/16 von dem örtlichen Bauunternehmen Gebr. Rank errichtete Bau gehörte zu der Diamalt AG, einem einst bedeutenden, 1994 geschlossenen Hersteller von Backhilfsmitteln und Suppenwürze (siehe S. 63).

Die ersten „Feuermaschinen“Die 1712 von Thomas Newcomen erfundene atmosphä-rische Dampfmaschine war lange Zeit der Prototyp der Dampftechnik. Die Arbeitskraft lieferte diese Maschine mit Hilfe des gegenüber dem äußeren Luftdruck beste-henden Unterdrucks. Der bewegte den Kolben im Ar-beitszylinder, weil der eingeleitete Dampf kondensierte und so schrumpfte. Trotz des niedrigen Wirkungsgrades trieben diese „Feuermaschinen“ vielfach Entwässerungs-pumpen in Bergwerken an. Entscheidend verbessert wurde die Dampfmaschine von James Watt. So installierte er neben dem Arbeitszylinder, in dem der heiße Dampf den Kolben bewegte, einen Behälter, in dem der von einer Luftpumpe hineingezogene Dampf kondensieren konnte. Auch die Steuerung und die Kraftübertragung der Maschinen verbesserte Watt, so dass 1776 die erste von ihm entworfene Dampfmaschine in einem engli-schen Kohlenbergwerk in Betrieb gehen konnte. Nach dem Wattschen Prinzip arbeiten noch heutige Dampfmaschinen – im Detail aber immer wieder stark ver-ändert und verbessert. Im Gleichschritt mit den Kesseln wurden auch hier die Dampfparameter – Temperatur und Druck – ständig erhöht, um die Technik leistungs-fähiger zu machen. Und bei Expansionsmaschinen wird der Dampf besser ausgenutzt, weil er die Energie erst

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in einem Hochdruckzylinder abgibt und dann seine Rest-Energie in einem zweiten (Mitteldruck-)Zylinder, möglicher-weise noch in einem dritten oder sogar vierten Nieder-druckzylinder. Dieses Prinzip mit verschiedenen Druck-stufen lebt auch in Dampfturbinen weiter. Doch statt der aufwendigen Dampfmaschinen-Mechanik mit Kolben, Kolbenstange, Pleuel, Kurbelwelle und Steuerung gibt es bei der Turbine nur Schaufeln auf einer rotierenden Welle. Turbinen sind viel leistungsfähiger und kleiner als vergleichbare Dampfmaschinen. Doch Dampf wird nicht nur für den Antrieb von Kraft-maschinen gebraucht. Für die Fernheizung wird er aus den Arbeitsmaschinen ausgekoppelt oder auch eigens erzeugt. Und der Dampf war – und ist es zum Teil heute noch – für Produktionsprozesse wichtig. So werden die in Papierma-schinen laufenden Walzen ebenso mit Dampf beheizt wie die Trockner für die Rohbraunkohle in Brikettfabriken. Der Abdampf, mit Wasserdampf gesättigte Luft, verlässt dann über die markanten Brüdenschlote die Brikettfabrik. Auch Schnapsbrennereien und Raffinerien benötigen den Dampf als energiereiches Medium, um die flüssigen oder gasför-migen Rohstoffe und Zwischenprodukte durch die Kolon-nen und anderen Apparaturen zu transportieren. Dort, wo ohnehin große Mengen Prozessdampf bereit stehen muss-ten, wurden nebenbei auch kleinere Arbeitsmaschinen, wie Dampfspeicherloks, betrieben. In der Erdölraffinerie Hemmingstedt bei Heide (Holstein) arbeiteten in der ers-ten, von 1941 bis 1998 betriebenen, Destillationsanlage bis zum Schluss kleine dampfbetriebene Rohstoffpumpen.

Dampf lässt sich auch speichernUm Belastungsschwankungen im Verbrauch abzufangen, wurde energiereicher Dampf auch im großen Stil gespei-chert. Die Technik dafür hatte der schwedische Ingenieur Johannes Ruths (1879–1935) entwickelt. Die 1913 pa-tentierten Ruthsspeicher pufferten mit einer raffinierten Regelung die Dampferzeugung, so dass nicht die Kessel selbst ständig an schwankenden Verbrauch angepasst werden mussten. Kunden dieser Technik waren zunächst viele Industriebetriebe, erst relativ spät kamen Kraft-werke hinzu. 1927 waren weltweit 340 Ruthsspeicher in Betrieb, 78 davon in Deutschland. Abnehmer waren unter anderem Bahnkraftwerke, die mit schwankendem Verkehrsaufkommen zurecht kommen mussten: Als erstes nahm das für die Stadtbahn in Hamburg arbeitende Bahn-kraftwerk Altona 1922 eine solche Anlage in Betrieb. Der Berliner Stromversorger Bewag entschied sich dann für die weltweit größte Ruthsspeicheranlage, die 1929 im Kraftwerk Charlottenburg aufgestellt wurde. Während die Fernübertragung von Strom und Pump-speicherkraftwerke die Technik andernorts allmählich überflüssig werden ließ, wurde die Charlottenburger Anlage erst 1999 stillgelegt und steht unter Denkmal-schutz. Denn die „Strom-Insel“ West-Berlin war nicht in das Verbundnetz eingebunden, mit der zwischenge-speicherten Energie ließen sich Maschinenausfälle aber innerhalb weniger Sekunden kompensieren.

Dampf auf dem RückzugZunächst Elektromotoren, dann Dieselmotoren und in-zwischen ganz andere Technologien haben die Dampf-kraft aus fast allen Bereichen des Lebens verdrängt. Wie selbstverständlich sie einst war, zeigen Kleinst-dampfmaschinen (siehe S. 6) und Dampfautos (siehe S. 8). Der einst bedeutende Motorrad- und Autohersteller DKW trug die Technik sogar im Firmennamen: Das Kürzel stand für die von dem Unternehmen von 1916 bis 1921 euphorisch entwickelten Dampf-Kraft-Wagen. Doch die Dampftechnik war bereits überholt, bei der Eisenbahn schon in den 1930er Jahren. Auf den Haupt-bahnen erwies sich die elektrische Zugförderung als die modernere Variante. Und Dieseltriebwagen hatten den Verkehr auf Nebenbahnen ebenso übernommen wie im schnellen Fernverkehr. Doch statt mit großem Einsatz in Turbinen- oder Hochdrucktechnik (siehe S. 63) zu investieren, ließ die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft weiter vor allem konventionelle Dampfloks bauen. Immer-hin erreichte 1936 eine Lok der Baureihe 05 noch eine Höchstgeschwindigkeit von 200,4 Kilometern pro Stunde – bis heute Weltrekord, erbracht von einer konventionellen Dampflok.Bei den Schiffsantrieben hatte man mit Hochdruck (siehe S. 14) und nach dem Zweiten Weltkrieg mit großen Turbi-nenschiffen mit der Dampftechnik noch einen gewissen Erfolg, ehe auch hier der Aufwand im Vergleich zu den genügsamen Dieselmotoren zu groß wurde. Als Einsatz-gebiet blieb der Dampfkraft nun vor allem die Stromer-zeugung in Kraftwerken mit Turbinen übrig, welche aber fast ausschließlich auf der Verbrennung fossiler oder der Spaltung atomarer Energieträger beruht. Beide Technolo-gien gerieten aus Umweltschutzgründen erheblich unter Druck und werden aktuell durch ganz andere Verfahren ersetzt.

Dampfmotoren gibt es immer nochDoch hochmoderne Dampfkraft bieten die von der Spil-ling Technologies GmbH in Hamburg seit Jahrzehnten gefertigten Dampfmotoren: kompakte schnelllaufende Dampfmaschinen. Diese einzigartigen Aggregate gelten

4 Industriekultur 4.15 · Dampf-Kraft

oben: In diesem 1927 von Menck & Hambrock erbauten Bagger, heute in Rattelsdorf, trieben drei Dampf-maschinen mit zusammen 90 PS Ausleger, Hochlöffel und Fahrwerk an. Foto: Eberhard Lantz, 2004

rechts: Die Ruthsspeicheranlage im Heizkraftwerk Berlin-Charlottenburg war von 1929 bis 1999 in Betrieb. Die 16 Speichergefäße haben einen Inhalt von jeweils 312,5 Kubikmetern. Foto: Norbert Gilson

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als die bekannteste Innovation des 1890 als Hersteller von Schiffsmaschinen gegründeten Spilling-Werkes. Und seit 1998 kommt der Motor auch noch ohne Schmieröl aus. „Der Spilling-Dampfmotor vereint die thermodyna-mischen Vorteile einer füllungsgeregelten Dampfkolben-maschine mit den Konstruktionsprinzipien des zeitge-mäßen Dieselmotors. Insbesondere im wärmegeführten Gegendruckbetrieb oder bei schwankender Dampfpro-duktion sind die Vorteile des Spilling-Dampfmotors signi-fikant“, so die Firma. Ideal sei er damit für den Einsatz in kleinen Anlagen, dort wo sich eine Turbine nicht lohnt. Unter anderem dank eines Baukastenprinzips können die Motoren mit Leistungen zwischen 100 und 1 200 Kilowatt gut an die jeweilige Situation angepasst werden. Als Hubkolbenexpander dagegen bezeichnet die Steam-Drive GmbH in Heidenheim ihren Dampfmotor. Er wurde seit 2006 laut Voith unter der Regie der dort ansässigen Voith Turbo GmbH & Co. KG entwickelt. Im Februar 2014 sei die damit befasste Abteilung als Steam-Drive GmbH von Voith an das Management verkauft worden. Um die Technologie zielgerichtet weiterentwickeln zu können, konzentriere sich das ausgegliederte Unter-nehmen nun auf Produkte für Blockheizkraftwerke, so Voith. Ursprünglich war die Technik laut Presse auch für Schienenfahrzeuge, Schiffe und Lkw konzipiert worden. Die angebotenen Systeme erzeugen in einem Wärmetau-scher mit der Abwärme eines Gas- oder eines Diesel-motors überhitzten Dampf. Damit wird ein Dampfex-pander angetrieben, der die Leistung des Motors direkt unterstützt (Steam-Trac) oder einen Generator für die Stromerzeugung antreibt (Steam-Drive). Damit können die Systeme nach Angaben von Steam-Drive um etwa zehn Prozent effizienter arbeiten.

Spektakel mit DampfmaschinenJe mehr die Dampftechnik aus dem Alltag verschwindet, desto mehr zieht sie in Museen, auf Dampftreffen und anderen Veranstaltungen die Menschen an. Die Dampf-kraft fasziniert, weil sie ihre Energie über Geräusche und Bewegungen spürbar entfaltet. Als das größte Dampf-fest Europas gilt Dordt in Stoom: Es findet wieder vom 27. bis 29. Mai 2016 im niederländischen Dordrecht südöstlich von Rotterdam statt. Auch Wiederinbetrieb-nahmen von Dampfmaschinen werden gefeiert. So nahm die Südzucker AG in ihrem Industriedenkmal Zuckerfabrik Oldisleben in Thüringen (siehe IK 4.00, S. 37) nach eigenen Angaben im Juni 2015 die mit einer Leistung von bis zu 350 PS größte von insgesamt sechs noch vorhandenen Dampfmaschinen wieder „in Betrieb“. Doch nicht Dampf bewegt dort nun die Maschine, sondern ein kleiner Elektromotor. Dennoch sind die Beteiligten stolz darauf, dass die 1915 von der Braunschweigische Maschinenbauanstalt AG erbaute liegende Einzylinder-Maschine mit Ventilsteuerung sich nach 25 JahrenStillstand wieder dreht. Wie selektiv historische Technik erhalten wird, dafür bietet die Dampftechnik viele Beispiele. Während hunderte von Dampfloks allein in Deutschland vor der Schrott-presse gerettet wurden, ist es einer nur kleinen Bau-maschinen-Szene zu verdanken, dass es noch Dampf-bagger gibt. Zwei davon wurden 2001/04 in einem Porphyrsteinbruch in Dossenheim bei Heidelberg (siehe IK 3.06, S. 44, und IK 4.06, S. 30) geborgen. Die Firma Menck & Hambrock in Hamburg-Altona hatte sie 1927/28 erbaut. Eine betriebsfähige Aufarbeitung dieser großen Geräte mit jeweils drei Dampfmaschinen und einer Leis-tung von 90 PS ist bisher ein Traum geblieben. Immer-hin gelang Peter Meyer aus Hannover die Restaurierung eines 30-PS-Dampfbaggers, um 1935 von der Düssel-

dorfer Firma Bünger AG erbaut. Seit 2011 ist er auf Dampftreffen zu sehen – und soll der einzige funktions-fähige Dampfbagger auf dem Kontinent sein. Tatsächlich noch in Betrieb war bis Anfang 2014 auch die „Ramme II“ des Hafen-Bauhofes in Cuxhaven. Doch 2015 wurde die 1950 von Menck in Hamburg erbaute Dampframme vom Typ MR 27 nach Angaben der Niedersachsen Ports GmbH & Co. KG verschrottet.Auch eine ähnliche Ramme des Dampfmaschinenmuseumsim hessischen Frankenberg ist nur noch Schrott (siehe IK 2.15, S. 38). Damit gibt es wohl nur noch eine erhal-tene Dampframme in Deutschland: Bei dem Bauunter-nehmen Züblin in Stuttgart (Albstadtweg 3) steht ein Exemplar des Menck-Typs MR 40, teilte Züblin im Dezem-ber 2015 mit. Derartige Rohrgerüst-Dreigurt-Rammen hatte Menck & Hambrock von 1934 bis in die 1970erJahre für Dampf-, Diesel- und Elektroantrieb in großen Stückzahlen gebaut. Doch das Interesse an derartigen Spezialitäten ist – im Vergleich zu Dampfloks – gering.

5Dampf-Kraft · Industriekultur 4.15

oben: Im Führerhaus des Dampf-baggers vom Typ Menck IV mussten Kessel (rechts) und zwei Dampf-maschinen Platz finden. Der Bagger steht heute im Baumaschinenmuseum im oberfränkischen Rattelsdorf. Foto: Eberhard Lantz, 2004

unten: Bis Anfang 2014 betrieb der Bauhof Cuxhaven von Niedersachsen Ports GmbH & Co. KG die von Menck & Hambrock in Hamburg-Altona erbaute, auf einem Ponton montierte „Ramme II“ – 2015 wurde das dampfbetriebene Gerät verschrottet. Foto: Sven Bardua, 2009

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6 Industriekultur 4.15 · Dampf-Kraft

Bei Dampfmaschinen denkt man spontan an Antriebsaggre-gate für Fördermaschinen in Zechen, für Gebläsemaschinen in Hüttenwerken oder an große Schiffsdampfmaschinen. Dass es auch kleinste Dampfmaschinen mit nur wenigen Kilowatt Leistung gegeben hat, ruft vielfach Erstaunen hervor. Christian Meckbach

oben: Diese von der Maschinen-fabrik Otto Lilienthal in Berlin gefertigte, etwa einen Meter lange Maschine mit bis zu 5 PS stellt eine stationäre, doppelt wirkende Einzylinder-Kolben-dampfmaschine dar, die als hängende Wanddampfmaschine oder nach geringen technischen Veränderungen auch als liegendes Aggregat betrieben werden konnte. Sie ist heute im Otto-Lilienthal-Museum in Anklam zu bestaunen.Foto: Thomas Wiencke / Otto-Lilienthal-Museum Anklam

¿ Literatur• Gustav Bauer: Der Schiffsmaschi- nenbau, Bd. 1, München, Berlin 1923 • B. Lukasch, K.-D. Seifert, R. Weiß: Der Dampfmotor des Flugpioniers, leichte Wanddampf- maschine Nr. 137 von 1889 der Dampfkessel- und Maschinen- fabrik Otto Lilienthal, Patrimonia 271, hrsg. von der Kulturstiftung der Länder, 2005• Georg Neudeck: Das kleine Buch der Technik, ein Handbuch über die Entwicklung und den Stand der Technik nebst Angaben über technische Schulen, 30. Auflage, Stuttgart (um 1923)

Link www.lilienthal-museum.de/ olma/dampf.htm

Als Kleinstdampfmaschinen gelten Aggregate mit einem maximalen Zylinderdurchmesser von 75 Millimeter und einem Hub von nicht mehr als 100 Millimeter. Die über-wiegende Zahl dieses Maschinentyps weist 50 bis 60 Millimeter Bohrung und bis zu 75 Millimeter Hub auf, ihre Gesamtlänge liegt zwischen 40 und 80 Zentimetern und ihr Gewicht reicht von weniger als 20 bis zu 80 Kilo-gramm, wohlgemerkt ohne Kessel. Solche kleinen Antriebsmaschinen gab es etwa für Bootsantriebe. Eine vermutlich aus Schweden stammen-de Dampfmaschine, Baujahr um 1880, ausgestattet mit Welle und Schiffsschraube, wiegt nur 21 Kilogramm, hat einen Zylinderdurchmesser von 41,5 Millimeter, ei-nen Hub von 60 Millimeter und entwickelte bei fünf bar Druck eine kaum vorstellbare Leistung von gut einer Pferdestärke. Der zugehörige Dampferzeuger hatte da-gegen ein Gewicht von rund 100 Kilogramm.

Der Wirkungsgrad ist nicht allesKolbendampfmaschinen haben einen sehr geringen Wir-kungsgrad, die besten von ihnen bringen es auf rund 18 Prozent, Dampflokomotiven kamen normalerweise auf acht bis zehn Prozent. Die Kleinstmaschinen weisen sogar nur einen Wirkungsgrad von ein bis zwei Prozent auf. Aber Dampfmaschinen entwickeln schon bei nied-rigen Drehzahlen große Kräfte und haben beim Anlauf das größte Drehmoment. Das ist ihr großes Plus: Sie können unter Belastung aus dem Stillstand anlaufen. Der geringe Wirkungsgrad der Kleinstmaschinen fällt in-sofern kaum ins Gewicht, weil der Brennstoffverbrauch wegen ihrer geringen Leistung nur klein ist. Kolbendampfmaschinen sind Wärmekraftmaschinen, wobei der Dampf außerhalb der Maschine im Dampfkes-sel erzeugt wird. Er wird in die Dampfmaschine geleitet und drückt im Zylinder mal von der einen Seite, mal von der anderen Seite auf den Kolben und schiebt ihn so hin und her. Dank Pleuel und Kurbelwelle wird daraus eine Drehbewegung. Ihr niedriger Wirkungsgrad geht unter an-derem auf die hohen Wärmeverluste zurück. Trotz Isolie-

rung wird über die Kesselwandung und die Dampfleitun-gen viel Wärme abgestrahlt, ein weiterer Teil entweicht mit den Rauchgasen über den Schornstein. Kleinstdampfmaschinen gab es früher sehr häufig. Heute ist das kaum bekannt, weil nur wenige davon über-lebt haben. Im Unterschied zu den Kesseln waren die Dampfmaschinen selbst recht langlebig, da sie in der Regel in allen Bauteilen überdimensioniert waren. Trotz-dem wurden die Kleinstdampfmaschinen, kaum dass die fast wartungsfreien Elektromotoren auftauchten, ausrangiert und meistens verschrottet.

EinsatzgebieteIn Europa wurden Kleinstdampfmaschinen bevorzugt in kleinen Werkstätten als Antriebsmaschinen für Dreh-bänke oder andere Werkzeugmaschinen verwendet. Zum Antrieb einer Drehbank wurde in England um 1900 beispielsweise eine kleine, zweizylindrige Maschine mit 50 Millimeter Zylinderbohrung und 75 Millimeter Hub je Zylinder eingesetzt. In England war man viel großzügiger, wenn es um die Betriebserlaubnis für Dampfkessel und -maschinen in kleinen Betrieben ging. Dies begünstigte die weite Verbreitung von kleinen Maschinen, meist in ste-hender Ausführung, zum Beispiel auch in Molkereien und großen Viehhaltungen zum Pumpen von Milch. In Deutschland waren die Bestimmungen viel restrik-tiver. In einer Werkstatt durfte kein Dampfkessel betrie-ben werden, wenn darüber Wohnräume lagen, die von der Werkstatt nur durch eine einfache Decke getrennt waren. Der Dampfkessel stand dann in einem extra Gebäude-teil. Mini-Dampfmaschinen gab es hier in kleineren Werk-stätten oft in einer hängenden Version, wobei sich der Zylinder unten, die Kurbelwelle oben befand. Derartige Maschinen wurden an der Wand montiert. Der Flugpionier Otto Lilienthal hat eine solche Maschine entwickelt und in seiner Maschinenfabrik in der Köpenicker Straße in Berlin in Serie gebaut. Davon ist nur noch ein einziges Exem-plar bekannt, das 1997 in Australien entdeckt und nach Deutschland zurückgeholt wurde. Diese 1889 erbaute,

Technische Mini-Denkmale – Kleinstdampfmaschinen

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7Dampf-Kraft · Industriekultur 4.15

etwa einen Meter lange Maschine leistete bei einem Hub von 150 Millimetern und einem Zylinderdurchmesser von 105 Millimetern bis zu etwa 5 Pferdestärken. Kleinere Dampfmaschinen haben den Vorteil, dass sie auch mit Druckluft betrieben werden können. So gab es in Paris zum Ende des 19. Jahrhunderts eine große Ringleitung mit Pressluft, die zentral von dampf-betriebenen Kompressoren erzeugt wurde. Von dieser Ringleitung gab es Abzweige in größere Häuser. Vielfach mieteten Kleinunternehmer Räume, in denen ein Druck-luftanschluss vorhanden war, mit dem sie eine kleine „Dampfmaschine“ betreiben konnten. Problematisch war allerdings, dass die Maschinen bei längerer Laufzeit einfroren, weil sich Druckluft beim Expandieren stark ab-kühlt. Also waren Pausen zum Aufwärmen erforderlich. Derartige mit Pressluft angetriebene Maschinen sollen auch in Bergwerken unter Tage verwendet worden sein, um Arbeitsgeräte anzutreiben. Auch Karussells auf Jahr-märkten wurden um die Wende zum 20. Jahrhundert von kleinen Dampfmaschinen angetrieben, ebenso die Lauf-bänder mit Blechhasen in Schießbuden.

Erfolg in der Neuen WeltDas Hauptverbreitungsgebiet für kleine Dampfmaschinen waren die Vereinigten Staaten von Amerika (USA). Eine Ursache war die außerhalb der großen Städte sich nur langsam ausbreitende Elektrifizierung. Wasser und Brenn-material, oft Holz, standen im ländlichen Raum dagegen ausreichend zur Verfügung. Eine amerikanische Dampf-Zeitschrift berichtete, dass gegen Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts viele Heimarbeiter im Osten der USA ihre Nähmaschinen mit derartigen kleinen Dampf-maschinen antrieben. Ein aus heutiger Sicht ganz außergewöhnliches Ein-satzgebiet für kleine Dampfmaschinen war in den USA bis in die 1930er Jahre der Automobilantrieb (siehe S. 8). Dampfautos verkehrten in den USA tausendfach, die Betriebsstoffe – Lampenpetroleum und Wasser – waren in ländlichen Gegenden bequem zu bekommen. Diese Maschinen arbeiteten mit Dampfdrücken bis zu mehr als 40 bar, sie entwickelten enorme Kräfte, und das mit nur 67 Millimeter Bohrung und rund 87 Millimeter Hub bei einer Gesamtlänge von 60 Zentimeter. Eine besondere Konstruktion hat die Firma Colt ent-wickelt, besser bekannt als Revolverhersteller. Der Zylin-der der Kleindampfmaschine war komplett in den Dampf-

links oben: Die in den Vereinig-ten Staaten 2001/02 gebaute Kleinstdampfmaschine, gedacht zur Stromerzeugung, bringt es auf 550 Watt Leistung.

links unten: Diese 90 Zenti-meter lange Dampfmaschine war aufwendig verziert und diente auf Jahrmärkten als Blickfang, um Neugier für einen Kirmesstand zu wecken.

mitte oben: Diese Kleindampf-maschine gelangte in ziemlich desolatem Zustand in den Besitz des Restaurators.

mitte unten: Diese Mini-Dampfmaschine diente vermutlich als Nähmaschinenantrieb.

rechts: Die um 1880 erbaute, als Boots-Antrieb eingesetzte Mini-Dampfmaschine ist nur 46 Zen-timeter hoch und entwickelt eine Leistung von einer Pferdestärke.

Fotos: Christian Meckbach

kessel versenkt, um die Wärmeverluste gering zu halten. Kurbelwelle, Schwungrad und Riemenscheibe waren ober-halb des Zylinders angeordnet. Heute existieren keine Unterlagen mehr über dieses frühe Produkt. Für Dampf-maschinensammler ist diese Colt-Maschine die „Blaue Mauritius“ unter den Dampfmaschinen. Noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde in den USA eine ganz kleine Dampfmaschine angeboten, kom-plett mit Kessel und Generator. Alle Lager sind als ge-kapselte, dauergeschmierte, wartungsfreie Kugellager ausgeführt, der Kreuzkopf, die gelenkige Verbindung zwischen der Kolbenstange und dem schwingenden Pleuel, hat ein Ölreservoir für 50 Betriebsstunden. Die Maschine erbringt bei fünf bar Kesseldruck und 600 Umdrehungen pro Minute eine Pferdestärke mechani-sche Leistung, der Generator liefert rund 550 Watt elektrische Leistung. Gedacht war das Ganze für „Aus-steiger“, die zum Beispiel in den Rocky Mountains über-leben wollten. Holz und Wasser gibt es hier reichlich, und 550 Watt reichen für Kühlschrank und Beleuchtung.

Sammeln und RestaurierenDiese kleinen und inzwischen sehr seltenen Dampf-maschinen sind für mich als Sammler erhaltenswerte technische Denkmale. Die Maschinen sind oft ziemlich verschlissen. Sie haben bei wenig Pflege viel gearbeitet. Sie wurden oft überlastet, sie waren ja so „gutmütig“ und nahmen fast nichts übel. Pflegerisch wurden sie oft vernachlässigt, weil sie auch in sehr desolatem Zustand noch funktionierten. Die Anzeichen für ein „hartes Arbeitsleben“ sind oft unverkennbar: Lager verschlissen, Zylinder unrund, Kolbenringe abgenutzt oder Stopfbuchsen undicht. Das Restaurieren einer Dampfmaschine bedeutet für mich, dem Konstrukteur mit Respekt zu begegnen und die Bewegungsfähigkeit der Maschine zu erhalten. Dies ist aber nur der halbe Weg. Es geht außerdem um die Wiederherstellung ihrer Funktion, so wie der Kon-strukteur es beabsichtigte. Die Aufgabe einer Dampf-maschine ist Kraftentfaltung. Demnach sollte es das Bestreben des Restaurators sein, die Aufgabe, die der Erbauer der Maschine einst gegeben hatte, heute wie-der zu vermitteln. Also werde ich als Restaurator alles, was die Funktion dieser Maschine beeinträchtigt, be-seitigen, und alles, was nur den „Rahmen“ bildet, so lassen wie vorgefunden.

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oben: Auch der Landmaschinen-hersteller White Sewing Machine Company in Cleveland (Ohio) begann 1902 mit der Produktion von Dampfautomobilen. Das Foto zeigt einen White Steam Car von 1904.

unten links: Recht ungewöhn-lich mutet das „Armaturenbrett“ eines Dampfautomobils an, wie hier bei einem White Steam Car.

unten rechts: Der 1906 gebaute Stanley Racer war den damaligen Automobilen mit Benzin-antrieb in der Spitzengeschwindig-keit weit überlegen.

Fotos: Jürgen Roock, 2010

Den ersten betriebsfähigen Dampfkraftwagen baute 1769 der französische Artillerie-Offizier Nicholas Cugnot: als Geschütztransportwagen. Mit einem Gewicht von etwa fünf Tonnen war er allerdings kaum lenkbar, erreichte nur eine Höchstgeschwindigkeit von rund vier Kilometern pro Stunde. Wie in einer berühmten Abbildung festgehal-ten, endete eine der ersten Demonstrationsfahrten an einer Kasernenmauer. Richard Trevithick konstruierte 1801 ein dampfgetriebenes Gefährt, genannt Puffing Devil, indem er eine kleine Dampfmaschine auf einem Räderfahrwerk montierte. Dieses Gefährt gilt auch als die erste (Straßen-)Lokomotive. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts besaßen die Ameri-kaner nicht nur einen Sinn für diese Technik, sondern auch das nötige Kapital, um Dampfkraftwagen zu bauen. Populär war einst die Automarke Stanley Steamer. Die Brüder Edgar und Freelan Stanley hatten 1897 ihr erstes Dampfauto gebaut und gründeten 1902 die Produktions-firma Stanley Motor Carriage Company. 1906 ent-stand hier der Stanley Racer. Dieses Dampfautomobil erreichte eine Spitzengeschwindigkeit von 180 Kilome-tern pro Stunde. Damalige Benzin-Wagen erreichten höchstens 135 Stundenkilometer. Nachdem die Brüder Stanley ihr Unternehmen bereits 1917 verkauft hatten, endete 1927 die Fertigung ihrer Dampfautomobile. Die Dampfmaschine eines Pkw bekommt ihren Dampf aus einem mit Petroleum oder Kerosin beheizten Kessel. Je nach Modell fasst der stehende Dampfkessel zwischen fünf und zehn Liter Wasser. Ein starker Brenner erhitzt das Wasser: Es entsteht Dampf mit einem (Mittel-)Druck von etwa 42 bar. Damit wird das Auto über eine umsteuerbare Zwei-Zylinder-Dampfmaschine

direkt angetrieben, bei den Stanley-Modellen zum Bei-spiel über eine Kette die Hinterachse. Dampfautomobile sind im Fahrbetrieb extrem leise und kommen ohne Kupplung und Schaltgetriebe aus. Da aus technologischen Gründen beim Dampfbetriebdas Drehmoment umso höher ist, je kleiner die Dreh-zahl, sind sie den Benzinautos im Hinblick auf Beschleu-nigung und Bergsteigevermögen sogar klar überlegen. Folglich können die noch vorhandenen Dampfwagen-Oldtimer im heutigen Straßenverkehr recht gut mithal-ten. Weniger gut sieht es allerdings bei den Reichweiten aus: Mit einer Wassertankfüllung kommen die Dampf-autos nur etwa 20, maximal bis zu 50 Kilometer weit.

Die letzten ihrer ArtDampfautomobile gab es als Ein- oder Mehrsitzer, so-gar als Lastkraftwagen und Omnibus. Doch ihr hoher Wasserverbrauch, ihr hohes Gewicht und die langen Aufrüstungszeiten sorgten für das Ende dieser Technik. Aber noch bis 1936 fertigte die als Lokomotivbauer bekannte Firma Henschel & Sohn in Kassel Dampf-Lkwund -Omnibusse. Die letzten Dampfwagen in Deutschland stammen von dem Soester Unternehmen B. Ruthemeyer Maschinenfabrik & Eisengießerei: Bis in die 1950er Jahre baute es Dampfwalzen. Heute sind in Europa nur noch etwa 15 bis 20 Dampf-autos fahrtüchtig. Fahrzeugliebhaber können sich von der Schönheit und der beeindruckenden Technik die-ser Oldtimer selbst ein Bild machen: Am 28. April 2016 werden etwa zehn mit Dampf betriebene Straßenfahr-zeuge auf einer Sternfahrt zum Automuseum in Melle reisen.

8 Industriekultur 4.15 · Dampf-Kraft

Auch Autos machen mächtig Dampf Nicht nur Lokomotiven und Schiffe – auch Pkw und andere Straßenfahrzeuge sind einst mit Dampf angetrieben worden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es weltweit mehr Dampf- als Benzinautos. Die Amerikaner besaßen damals nicht nur den Sinn für diese Technik, sondern auch das nötige Kapital, um dampfgetriebene Kraftwagen zu bauen. Jürgen Roock

Link www.automuseummelle.de

¿ Literatur• Beverly Rae Kimes: The Standard Catalogue of American Cars 1805–1942, Iola, Wis. 1985 • Richard J. Evans: Steam Cars, Princes Risborough 1985

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oben: Die erste Dampf-Förder-maschine Frankreichs steht heute im Musée de la mine.

mitte: Ein Exponat in dem Museum ist das detailreiche Modell der Zeche von Bruay, Fosse Nr. 5, mit der im Inneren der Maschinenhalle nachge-bildeten Dampfmaschine.

unten: Das Musée de la mine liegt auf dem Gelände der Kohlen-grube Fosse Frandemiche. Frei-gelegte Fundamente der Zeche ergänzen die Ausstellung.

Fotos: Eberhard Lantz, 2014

Dampfmaschinen ersetzten ab der Wende zum 19. Jahr-hundert nach und nach die Pferdegöpel, mit denen bis dahin die Förderung in den Bergwerken bewältigt worden war. Insgesamt hatte das Bergbauunternehmen Com-pagnie des Mines de Littry sieben Dampfmaschinen in Betrieb. Als erste in Frankreich überhaupt wurde die Dampfmaschine der Firma Frères Périer am Schacht Saint-Georges in Littry in Betrieb genommen. Es folgte 1802 eine weitere am Schacht Frandemiche und 1811 die dritte am Schacht Sainte Barbe, gebaut von dersel-ben Maschinenfabrik. Die 1802 aufgestellten kupfernen Tonnenkessel zur Dampferzeugung wurden aufgrund neuer Sicherheitsbestimmungen 1846 durch einen ein-fachen Zylinderkessel abgelöst. Ein ehemaliger Eisen-bahningenieur barg die Dampfmaschine und stiftete sie 1907 dem neu entstandenen Museum. Die Maschine wurde mehrmals umgebaut. Bestimmte Teile wie das Schwungrad, seine Bremse und die Zahn-räder stammen aber von der ersten Fördermaschine des Schachts Saint-Georges. Die Fördermaschine arbeitete doppelt wirkend. Durch Dampfkraft wurde der Kolben erst in die eine und dann in die andere Richtung im Zylinder gedrückt. Ein Hebelarm, der sogenannte Balancier, über-

trug die Kraft dieser Bewegung auf ein Schwungrad. Ur-sprünglich besaß die Maschine statt eines Balanciers ein Räderwerk mit zwei Zahnrädern. Durch das Schwungrad wurde die Trommel in Bewegung gesetzt, auf der die Sei-le mit den Förderkörben liefen. Die Seiltrommel konnte in beide Richtungen angetrieben und damit der Förderkorb auf- und abbefördert werden. Im Museum hat die Dampfmaschine keine umge-benden Bauteile mehr. Es fehlen der Kondensator, der Dampfkessel, die Dampfleitungen, die Transmissionswel-le und die Windentrommel. Sie steht auch nicht an ihrem Originalstandort, sondern wurde im Museum einfach auf den Fußboden montiert.

Das MuseumDas Musée de la mine befindet sich auf dem Gelände der Kohlengrube Fosse Frandemiche. Von 1759 bis 1864 wurde hier Steinkohle abgebaut, bevor 1907 das Museum öff-nete. Zwischen 1941 und 1950 wurde vorübergehend nochmals die Kohlenförderung aufgenommen, dann war endgültig Schluss, da der Abbau unrentabel war. Der staatliche Konzern Charbonnages de France beschloss schließlich die Stilllegung. 1997 öffnete das Museum erneut und präsentiert heute viele Originalexponate sowie ein beeindruckend detailliertes Modell der Zechenanlage von Bruay, Fosse Nr. 5. Freigelegte Fundamentreste der alten Förder- und Maschinenanlagen geben einen Eindruck von dieser ver-gleichsweise kleinen Zeche. Die Fosse Frandemiche war eine der wichtigsten Gruben im Kohlebecken von Littry in Nordfrankreich.

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Die älteste Dampf-Fördermaschine Frankreichs Im Jahr 1800 nahm das Bergbauunternehmen Compagnie des Mines de Littry die erste Dampfmaschine für die Steinkohlen-förderung am Schacht Saint-Georges im nordfranzösischen Littry in Betrieb. Heute steht sie im örtlichen Museum und gilt als erste dampfbetriebene Fördermaschine in Frankreich. Eberhard Lantz, Sonja Meßling

Kontakt Musée de la mine Rue de la Fosse Frandemiche F-14330 Le Molay-Littry Telefon: 00 33 / 2 31 22 89 10 E-Mail: [email protected]

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oben: Zehntausende von ehren-amtlichen Arbeitsstunden wurden inzwischen in die Aufarbeitung des historischen Maschinenparks investiert. Foto: Hans-Peter Bärtschi, 2012

Das DZW repräsentiert mit seinen Maschinen der Baujahre 1859 bis 1960 einhundert Jahre Technikge-schichte, darunter mit 24 Exemplaren die Blütezeit der Kolbendampfmaschine. Hervorgehoben sei hier ein 1859 in Berlin-Charlottenburg konstruiertes Maschinen-ensemble mit Dampfzylinder, Balancier, Wasserpumpe und drei Meter großem Schwungrad. Der wichtigste Schweizer Hersteller von Dampfmaschinen, Sulzer, ist mit zehn Maschinen vertreten, unter anderem mit der Dreizylinder-Verbundmaschine, die 1889 auf der Welt-ausstellung in Paris gezeigt wurde. 1911 konnte die Firma Sulzer stolz mitteilen, sie habe mehr als 4 000 Ventildampfmaschinen mit insgesamt 800 000 Pferde-stärken Leistung gebaut. Elf kleinere Dampfturbinen setzen die Geschichte der Wärmekraftmaschinen bis in die aktuelle Zeit fort.

Dampfkessel dokumentieren die Umwandlung von der Primärenergie (wie Kohle und Öl) mittels Wasser zur Sekundärenergie (Dampf). Die Umwandlung in Nutz-energie für mechanische und elektrische Anwendung ist mit 24 Generatoren gut vertreten. Die ausgestell-ten Maschinen wurden mehrheitlich in der Schweiz von der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM), Escher Wyss, Alioth oder Brown, Boveri & Cie. (BBC) entwickelt und gefertigt. Außer Maschinentei-len für die Kraftübertragung sind Arbeitsmaschinen wie Pumpen, Kompressoren, Pressen und ein großer Dampfhammer vorhanden. Die Sammlung umfasst zusätzlich Modelle, Literatur und Fahrzeuge, wie eine Halblokomobile, ein betriebsfähiger Schwimmbagger mit Eimerkette, eine Dampfwalze und eine Werkdampf-lokomotive von 1907.

Das Dampfzentrum Winterthur Im Lagerplatz-Areal der ehemaligen Maschinenfabrik Sulzer haben sich die Initiatoren des Dampfzentrums Winterthur (DZW) mit einem Verein und einer Stiftung eingemietet. Der landesweit bedeutendste historische Maschinenparkzum Thema Dampf kann seit 2012 im Zentrum der einstigen Stadt der Schwer-industrie besichtigt werden. Hans-Peter Bärtschi

Link www.dampfzentrum.ch

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oben: Neben Dampfmaschinen sind im Dampfzentrum Arbeits-maschinen zu sehen, wie das dampf-betriebene Eimerkettenbaggerschiff von 1900. Foto: Hans-Peter Bärtschi, 2012

unten: Zu den bedeutenden Sammlungsstücken gehört die drei-zylindrige Versuchsmaschine des Eidgenössischen Polytechnikums aus dem Jahre 1899. Foto: Hans-Peter Bärtschi, 2013

Von Krise zu KriseDer Kern der Sammlung des DZW geht auf die Initiative des Vereins für ein technisches Museum im Jahre 1947 zurück. Damals begann man, in einer Lagerhalle in Winterthur historisch wertvolle Maschinen einzu-lagern. 1982 konnte das Museum als „Technorama“ eröffnet werden. Im Zentrum stand das rund sieben Meter hohe Ensemble der Maggi-Dampfmaschine von Sulzer. 1996 beschloss die Museumsleitung, sich in einen Science Park umzuwandeln und die einzigartige technikgeschichtliche Sammlung zu entsorgen. Expo-nenten der Industriearchäologie engagierten sich, um die Maschinen verschiedenen thematisch ausgerich-teten Museen zuzuführen. Die Textilmaschinen gingen ins Industrie-Ensemble Neuthal-Zürich, die Dampfma-schinen ins Vaporama Thun. In den Ökonomiegebäuden des Schlosses Schadau am Thunersee wurde nun die Maschinensammlung auf mehr als einhundert Exponate ausgebaut. Doch der als endgültig vorgesehene Museumsstandort in der Buntmetallfabrik Selve kam nie zustande. Nachdem das Areal beim Schloss Schadau zwecks Wohnüber-bauung veräußert worden war, beantragte die Stiftung Vaporama Thun zu Ende Oktober 2009 bei der Stif-tungsaufsicht ihre Auflösung und entließ den langjähri-gen, hauptamtlich tätigen Spezialmechaniker. Der Autor war auch am dritten Versuch, ein schwei-zerisches Maschinenmuseum aufzubauen, maßgeblich beteiligt. In Thun erstellte er ein Inventar; alle histo-risch wertvollen Maschinen sollten geschlossen nach Winterthur überführt werden. Von einem politisch hoch-stehenden Standortkonkurrenten wurde er deswegen in einer Medienkampagne als „Taliban“ geschmäht. Dennoch kam die Sammlung mit der Räumung des Areals in Thun 2011 nach Winterthur. Das Ziel war keines-wegs, ein weiteres, kaum zu finanzierendes neues Museum zu gründen, sondern vielmehr ein Zentrum für Dampfmaschinen mit angegliederten Kleinunter-nehmen zu realisieren. Schließlich waren ausschlag-gebend die erfolgreiche Standortsuche sowie eine Million Franken, die der letzte Milliardär von Winterthur für das Projekt zur Verfügung stellte.

Die Zukunft des DZWNun sind wieder fünf Jahre verflossen. Die Vereins-mitglieder an der Front leisteten weitere Tausende von Arbeitsstunden für die Wiederinbetriebnahme von Ma-schinen und für Gruppenführungen. Die Leitung von Stiftung und Verein Dampfzentrum Winterthur (VDW) setzte sich dafür ein, einen „vorteilhafteren neuen Standort“ zu erwerben. In den Medien und gegenüber Politikern wurden aber gegensätzliche Interessen kommu-niziert. So kam ein behördlich zu bewilligender, großer Finanzierungsbeitrag aus dem Lotteriefonds nicht zu-stande. Auch wollte man sich nicht darauf einigen, ein Sponsoring für eine langfristige Mietzinsabgeltung am aktuellen Standort an Land zu ziehen, wie das etwa beim Schaubetrieb mit einer Maschinengruppe 1895 in der Nagelfabrik Winterthur der Fall ist. So fehlt denn 2016, sieben Jahre nach der Liquidierung des Vapo-ramas in Thun, nun auch dem DZW in Winterthur die Liquidität. Die hervorragende Sammlung sollte auf jeden Fall zusammen bleiben. Sie steht weiterhin für Besichtigungen offen, Gruppenführungen sind jeder-zeit willkommen.

¿ Literatur• VDW-Dampf-Info, Winterthur, Jge. 2013, 2014 und 2015• Projekt VDW, in: Industriekultur- Bulletin, Nr. 58, Winterthur 2010

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oben: Um 1874 war die Anlage am Haseschacht der Steinkohlen-zeche Piesberg voll in Betrieb.

Vor der Erfindung der Dampfmaschine gelang es wegen der in das Bergwerk eindringenden Grubenwässer und der Abhängigkeit von Wind- oder Wasserkraft beim Abpumpen nur selten, im Bergbau in größere Tiefen vorzustoßen. Als sich mit der Erfindung der atmosphärischen Dampf-maschine durch Thomas Newcomen 1712 eine Lösung dieses Problems abzeichnete, war der Kohlenabbau in Osnabrück zwar vorhanden, aber nicht sehr ertragreich. Die Weiterentwicklung der Dampfmaschine durch Techniker und Tüftler, unter ihnen James Watt, erlaubte gegen Ende des 18. Jahrhunderts schon vielfältige Nut-zungen mit höherer Effizienz. Dampfmaschinen, im eng-lischen Bergbau schon ab 1750 vermehrt eingesetzt, ermöglichten bald auch in Deutschland den Bergbau in größerer Teufe. Nun konnten mächtige Kohlevorkom-men mit dampfbetriebenen Maschinen für die Wasser-haltung, die Förderung und die Bewetterung erschlossen werden. Dampfschiffe und Dampflokomotiven verban-den sie mit den Märkten und förderten insbesondere die Eisenindustrie und den Maschinenbau.

Bergbau in OsnabrückAuch Osnabrück, eine typische Ackerbürgerstadt mit einem agrarisch geprägten Umland, war Teil dieser Ent-wicklung. Mit dem Anschluss an das Eisenbahnnetz entstand 1855 der Hannoversche Bahnhof. 1856 baute der Georgs-Marien-Bergwerks- und Hüttenverein in der nahegelegenen Gemeinde Malbergen ein Eisenhütten-werk. In Osnabrück entstanden unter anderem 1868

ein Stahlwerk, 1873 eine Draht- und Stiftfabrik und 1882 eine Fabrik für Eisenbahnbedarf. Die neue wachsende Industrie war hungrig nach Kohle, um damit Dampf für die Dampfmaschinen zu erzeugen und so den wachsenden Bedarf an Eisen und Stahl zu decken. Daher wurde die Zeche auf dem Piesberg 1857 mit einer Zweigbahn an die in der Stadt verlaufende Hannoversche Westbahn angeschlossen. In dieser Aufbruchstimmung begann man 1868 mit dem Bau des Haseschachtes und legte die erste Tiefbau-sohle an. Mit der erweiterten Ausbeutung der Kohlevor-kommen holte man sich auch ein unerwartetes Problem ins Haus: das Eindringen von Grubenwasser in großenMengen. So konnte die Förderung im Haseschacht – der 1871 mit einer dampfbetriebenen Wasserhaltungsmaschi-ne fertiggestellt wurde – wegen unerwartet großer Wasser-zuflüsse erst 1873 beginnen. Mit wachsender Nachfrage und dem fortschreitenden Tiefbau stieg die Kohleförderung stetig. 1873 begann die Stadt, die Betreiberin der Zeche, voller Zuversicht auf gute Betriebsergebnisse, mit dem Bau eines zweiten Schach-tes, des Stüveschachtes, am Nordhang des Piesberges. Wegen der immer schwieriger werdenden Wasserverhält-nisse sollten die beiden dort geplanten Wasserhaltungs-maschinen das gesamte Bergwerk trocken halten. Als dann im selben Jahr die Wirtschaftskrise begann, sank der Absatz und die Preise fielen. Außerdem gab es uner-wartet große neue Wassereinbrüche in beiden Schächten, welche die Erneuerung und den Ausbau der Wasserhaltung

Die Zeche Piesberg unter DampfNur für knapp 30 Jahre waren Dampfmaschinen in der Steinkohleförderung in Osnabrück im Einsatz. Mit Schließung der Zeche Piesberg versank das gesamte Maschineninventar unter Tage im Grubenwasser. Margret Baumann

Kontakt Museum Industriekultur Osnabrück Fürstenauerweg 171 49090 Osnabrück Tel. 05 41 / 9 12 78 45 www.industriekultur-museumos.de

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links: Die oberirdische Wasser-haltungsanlage des Stüveschachtes hatte erhebliche Ausmaße.Foto: Dr. Alois Wurm, 1896

rechts: Schwungräder und Balancier dominieren die Ansicht der beiden Dampfmaschinen im Museum Industriekultur Osnabrück. Foto: Christian Grovermann, 2006

Alle Fotos: Fotografische Sammlung des Museums Industriekultur Osnabrück

erforderlich machten. 1876 kamen die Arbeiten im Stüve-schacht vorübergehend zum Erliegen und das gesamte Bergwerk drohte abzusaufen. Diese Entwicklung zwang die Stadt zu immer neuen Ausgaben. Trotz aller Erneuerungen ließen sich die Probleme nicht in den Griff bekommen. Dazu kamen Beschwerden der Wiesenbesitzer wegen der Ableitung der stark salz-haltigen Grubenwässer in den naheliegenden Fluss, die Hase, und der Versalzung ihrer Wiesen durch die Bewässerung mit dem verschmutzten Hasewasser. Am Ende verkaufte die Stadt 1889 die Zeche an den Georgs-Marien-Bergwerks- und Hüttenverein, der sich von dem Kauf vor allem eine größere Unabhängigkeit von der westfälischen Kohle versprach.

Wasserhaltung unlösbar Der nach dem Kauf aufgestellte Betriebsplan sah für die Zeche eine Verdoppelung der Kohleförderung vor: Dafür sollten alle veralteten Anlagen modernisiert werden. Mit der weiteren Abteufung der Schächte nahm allerdings auch der Zufluss an Grubenwasser zu. Bei der Übernahme der Zeche durch den Georgs-Marien-Bergwerks- und Hüttenverein lagen die Wassermengen noch bei weniger als 15 Kubikmeter pro Minute. Dagegen arbeiteten am Haseschacht mittlerweile zwei oberirdische Wasserhal-tungsmaschinen mit 450 und 64 Pferdestärken (PS) sowie eine unterirdische Pumpe mit 340 PS Leistung an. Die Wassermengen stiegen jedoch immer weiter,1895 waren es schon mehr als 21 Kubikmeter pro Minute. Diese Entwicklung stellte die Rentabilität der Zeche in-frage, zumal auch die Wassermengen am Stüveschacht beim Aufschließen der zweiten Tiefbausohle auf die glei-che Höhe angestiegen waren. Nachdem 1893 hier die Aufstellung einer weiteren Wasserhaltungsmaschine be-schlossen worden war, standen am Stüveschacht über-tage zwei Wasserhaltungsmaschinen sowie untertage von zwei dampfbetriebenen Verbundmaschinen angetrie-bene Pumpen zur Verfügung. Zusammen beförderten sie insgesamt 36 Kubikmeter Wasser pro Minute nach oben.

Nach einem erneuten Wassereinbruch im November 1897 erhöhten sich die Wasserzuflüsse auf bis zu 47 Kubikmeter pro Minute. Die vorhandenen Maschinen zur Wasserhaltung reichten nicht mehr aus. Nach einem einge-holten Gutachten musste in Zukunft sogar mit knapp der doppelten Menge an Wasserzufluss gerechnet werden, die nur durch die Installation weiterer Dampfmaschinen zu bewältigen war. Doch die Förderung des Grubenwassers war nur ein Problem, es musste auch entsorgt werden: entweder weiter in die Hase oder über einen 50 Kilometer langen Kanal in die Ems. Dazu kam ein von der Katholi-schen Kirche unterstützter Bergarbeiterstreik für die Er-haltung von sieben katholischen Feiertagen, an denen nur auf der Zeche Piesberg die Arbeit ruhte. Das alles führte am 8. Juni 1898 zur Schließung der Zeche. Als am Abend desselben Tages das Feuer in den Kesseln der Wasserhal-tungsmaschinen gelöscht wurde, füllten sich die unterirdi-schen Räume schnell mit Wasser und das Schicksal der mit großem Aufwand und Hoffnungen angeschafften Anlagen war besiegelt.

Von der Zeche zum MuseumDie Zechengebäude verfielen, einzelne Kohleschichten wurden durch den nachfolgenden Steinbruchbetrieb freigelegt. Das Haseschacht-Gebäude wurde, wie auch einige weitere Zechengebäude, restauriert und ist seit 1994 das zentrale Ausstellungsgebäude des Museums In-dustriekultur Osnabrück. Hier stehen wieder zwei Dampf-maschinen: Die von der Maschinenfabrik J. Frerichs herge-stellte Balancier-Dampfmaschine mit 20 Pferdestärken aus der Branntweinbrennerei und Dampfmühle von Carl Gosling war eine der ersten Dampfmaschinen in Osna-brück. Die zweite Dampfmaschine, mit einer Leistung von 150 PS, hatte die Rittershaus & Blecher GmbH in Wuppertal gebaut. Sie war noch bis in die 1970er Jahre in einem Sägewerk in Beverungen in Betrieb. Beide Maschinen sind voll funktionstüchtig, werden aber im Museum mit Strom bewegt.

¿ Literatur• Hermann Müller: Der Georgs-Marien- Bergwerks- und Hütten-Verein, Osnabrück 1896• Erich Sperling: Alles um Stahl, wirt- schaftsgeschichtliche Erzählung um die Klöckner-Georgsmarienwerke AG, Osnabrück, Bremen-Horn 1956• Gerd Steinwascher (Hrsg): Geschichte der Stadt Osnabrück, Belm bei Osnabrück 2006

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Staatlicher Schleppbetrieb bedeutete: Alle Lastkähne auf Binnenschifffahrtskanälen waren auf die Kraft der staatlichen Schlepper angewiesen. Dieses Monopol, ein Steuerungsinstrument der preußischen Regierung, wurde 1914 zunächst nur auf den neuen Abschnitten des westdeutschen Kanalnetzes (Rhein-Herne- und Datteln-Hamm-Kanal sowie Mittellandkanal bis Minden) wirk-sam. Nach Reviererweiterungen während der Weimarer Republik und des „Dritten Reichs“ lag die betriebliche Organisation, die sich nun auf das gesamte westdeut-sche Kanalnetz erstreckte, bei den Schleppämtern in Duisburg, Emden, Hannover und Magdeburg. Jedes Schleppamt verfügte über eine Schlepper-flotte. Im Jahr 1938 waren es insgesamt 131 Fahrzeuge. 1943, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, hatte er sich auf Grund von Ankäufen und Neubauten auf 255 eigene und 269 angemietete, also auf insgesamt 524 Fahrzeuge vergrößert. Ihr technischer Standard war allerdings höchst unterschiedlich und zumeist veraltet. Dies, obwohl schon wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg und nach dem Übergang des Betriebs von Preußen auf das Deutsche Reich vielfältige Versuche zu einer technischen Rationalisierung der Flotte eingesetzt hatten. Dazu gehörte die Entwicklung und Einführung von Motor-Einheitsschleppern mit Dieselbetrieb, die die alten und leistungsschwachen Dampfschlepper ersetzen sollten. Dabei stand der RSB unter Druck. Mit der Erholung der Wirtschaft im Allgemeinen und der Schwerindustrie (Kohle und Stahl) im Besonderen wuchs die Nachfrage nach Massenguttransporten eben-so wie die Konkurrenz durch die privatwirtschaftliche Binnenschifffahrt, bei der die Motorisierung bereits wei-ter fortgeschritten war.

Autarkie und Renaissance des DampfesMit der nationalsozialistischen Machtübernahme er-hielt dieser Prozess eine völlig neue Richtung. Auf den Grundlagen der Vierjahresplanwirtschaft sollten die wirtschaftliche Unabhängigkeit Deutschlands vom Aus-land und Kriegsbereitschaft hergestellt werden. Auch der großenteils eingeführte Dieseltreibstoff sollte durch heimische Brennstoffe ersetzt werden. Die Anforderun-gen an die Leistungsfähigkeit des gesamten Transport-wesens, unter anderem mit dem Bau und dem Betrieb des Hüttenwerkes „Reichswerke Hermann Göring“ in Salzgitter und der Fertigstellung des Mittellandkanals, stiegen ständig. Der Transportbetrieb stieß an seine Kapazitätsgrenzen.

14 Industriekultur 4.15 · Dampf-Kraft

Hochdruck beimReichsschlepp-betrieb Entwicklung, Einführung und Durchset-zung von Technik vollzieht sich in einem dynamischen System. Die Rückwen-dung vom Diesel- zum Dampfbetrieb, verbunden mit der Einführung der Hoch-drucktechnik in der Schlepperflotte des Reichsschleppbetriebs (RSB) während der Zeit des Nationalsozialismus, ist dafür ein aufschlussreiches Beispiel. Eckhard Schinkel

oben: Heizer Willi R. an Deck des Hochdruck-Dampfschleppers D 05 (1952).

rechts: Heizer Willi R. steht zwischen den beiden Maschinen des Zwei-Schrauben-Hochdruck-Dampfschleppers D 05 (um 1955).

Alle Fotos: LWL-Industriemuseum

¿ Literatur• Eckhard Schinkel (Hg.): „Schlepper packen auf“, Erinnerungen an den Monopol-Schleppbetrieb auf den westdeutschen Kanälen, Dortmund 1996• Oberregierungs- und Baurat Koerbel: Schlepperneubauten des Reichs- schleppbetriebs, in: Zeitschrift für Binnenschiffahrt, Heft 7–8, 1938, S. 196

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und Magdeburg beheimatet. Rückblickend, so ein Ressort-leiter in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung im Jahr 1949, hätten sich die Hochdrucker „als wirtschaftliche Anlagen“ bewährt. Im Zuge der nachfolgenden betriebli-chen Rationalisierungen, unter anderem durch den Abbau von Betriebspersonal, wurden die Hochdruckschlepper schrittweise außer Betrieb genommen. Ein Hochdruckkes-sel „Bauart Schmidt“ mit den entsprechenden Maschinen für einen Kanalschlepper hat sich über das Ende des Bun-desschleppbetriebs im Jahr 1967 hinaus nicht erhalten.

Der RSB reagierte mit zwei Konzepten. Das erste sah die Entwicklung von sogenannten Gasschleppern vor, das zweite die Rückwendung von Diesel- auf Dampfbetrieb. Die bei Lokomotiven seit Längerem erprobte Dampf-Hochdrucktechnik (siehe S. 63) sollte an die Bedingun-gen des Schleppbetriebs auf Kanälen angepasst werden. In diesem Zusammenhang entwickelte die Hamburgische Schiffbau-Versuchs-Anstalt Lösungen für die Unterbrin-gung der komplexen Kessel- und Maschinenanlage in dem eng begrenzten Raum eines Kanalschleppers. In einer ersten Projektphase baute die Duisburger Werft E. Berninghaus drei Schlepper mit Zwangsumlaufkesseln nach dem Patent des Kanandiers La Mont und Dampfmaschinen der Maschinenfabrik Meer AG in Mönchengladbach. Mit einem Kessel-Betriebsdruck von 35 Atmosphärenüber-druck (atü) erzielten die drei Prototypen eine Leistung von je 250 Pferdestärken (PS, effektiv). Eine leistungs-stärkere Kessel- und Maschinenanlage entwickelte die Schmidt’sche Heißdampf-Gesellschaft m.b.H. (Kassel-Wilhelmshöhe): die Hochdruck-Maschinenanlage „Bauart Schmidt“ für Zwei-Schrauben-Schlepper. Hier bestand der Kessel aus einem ersten in sich geschlossenen Röhrensystem, dessen Dampf unter einem Druck von 100 atü stand und das ein zweites, mit einem Druck von 55 atü betriebenes System heizte. Der Brennstoff-verbrauch war vergleichsweise gering. Die Maschinen für die beiden Schrauben erreichten eine Leistung von 250 beziehungsweise 300 Pferdestärken (PS, effektiv). Der Wasserstand im Doppelkessel musste während der Fahrt kontinuierlich beobachtet werden. Eine Kesselex-plosion in den engen Räumlichkeiten hätte verheerende Folgen für Heizer und Maschinist gehabt. Deshalb wurde das Betriebspersonal für die Hochdrucker besonders geschult und erhielt in den 1950er Jahren außerdem eine Gehaltszulage. Auf Grund ihrer umständlichen Handhabung bewähr-ten sich die La-Mont-Schlepper im Fahrbetrieb nicht. Des-halb vergab der RSB Bauaufträge für zunächst 29 Hoch-druckschlepper mit Maschinenanlagen „Bauart Schmidt“ an verschiedene Schiffbaubetriebe in Deutschland. 23 wurden fertig gestellt. In der Schiffsliste des RSB wurden die Hochdrucker als eigene Gruppe geführt. Sie erhielten eine Null als Ordnungsnummer, dahinter folgte die Zahl für den jeweiligen Schlepper. Sie waren während des Zweiten Weltkriegs vorrangig bei den Schleppämtern Duisburg

oben: Der Schornstein über dem Steuerhaus des Zwei-Schrauben-Hochdruck-Dampfschleppers E 022 trägt die charakteristische Monopol-Manschette (um 1955).

links: Der Platz war knapp bemessen: Raumbedarf für die Unterkunft der Besatzung und für Kessel- und Maschinenraum an Bord eines Hochdruck-Dampf-schleppers (1938).

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oben: Aus der Vogelschau-perspektive, wie hier in einer Grafik aus den Jahren vor 1924, ist die Ausdehnung des Unter-nehmens gut zu erkennen. Abbildung aus: Schwann, Fest-schrift Walther & Cie. AG, 1924

rechts: Das Kraftwerk diente zur Eigenerzeugung elektrischer Energie für die Werkstätten. Foto: Alexander Kierdorf, 2015

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Im Jahre 1905 wurde die Röhrenkesselfabrik Walther & Cie. von Kalk nach Dellbrück verlegt (siehe „Die histori-sche Anzeige“). Beide Orte lagen damals noch im Osten außerhalb der Kölner Stadtgrenzen. Seit 1868 verband eine Eisenbahnstrecke Mülheim am Rhein mit Bergisch Gladbach. Sie erhielt auch einen Bahnhof an der Poststa-tion Dellbrück. Um diesen Bahnhof siedelten sich in den folgenden Jahrzehnten einige Industriebetriebe an, so die Salpeterwerke Traine & Hellmers, die 1856 in Mülheim gegründeten Industrieofenwerke Möhl & Cie. sowie die Kölner Marmorwerke Wings & Illtgen. Alle profitierten von der Bahn, betrieben zum Teil auch eigene Werkbahnen. Als neuer Standort der Kesselfabrik diente der östli-che Teil eines dreieckigen Geländes zwischen Eisenbahn, Diepeschrather Straße und Dellbrücker Steinweg, der heutigen Waltherstraße. Am östlichen Ende wurden, um-geben von einer Grünanlage, Verwaltung und Zeichenbüro untergebracht. Beiderseits einer Ost-West-Achse entstan-den, westlich anschließend, eine Halle beziehungsweise eine Folge von Werkstätten sowie das Kraftwerk zur Ei-generzeugung von Strom. Sicherlich diente die nicht er-haltene Kesselanlage auch als Vorführ- und Testobjekt. Die massiven, konventionell gegliederten Sichtback-steinbauten haben teilweise große, altertümlich wirkende Rundbogenfenster. Fensterrahmen und Dachtragwerke bestehen aus Eisen. Bald wurde die große Montagehalle nach Norden erweitert, zwar im gleichen Format, aber nun als Eisenfachwerkkonstruktion mit Backsteinfüllung. Eine Stützenreihe aus Profilstahl trennt Haupt- und Sei-tenschiff. Ein mit Abstand folgender, weiterer paralleler Hallenkomplex musste bereits an der Ecke abgeschrägt werden, weil die Grundstücksgrenze erreicht war.

Nicht nur DampfkesselDer explosionssichere Röhrendampfkessel war das zentrale Produkt des Unternehmens. Walther wurde auf zahlreichen Industrie- und Gewerbeausstellungen aus-gezeichnet und lieferte weltweit. Für Gebirgsgegenden in Peru, Chile, Bolivien, Argentinien oder Mexico „bauen wir die Kessel auf Verlangen so, dass das schwerste Stück 60 bis 80 Kilo nicht übersteigt und Alles bequem auf Maulthieren transportirt werden kann“, hieß es um 1900 in einer Werbeschrift. Firmenchef Wilhelm Walther bemühte sich darüber hinaus um weitere Geschäftsfelder. Als besonders erfolg-reich erwies sich die Entwicklung von selbstauslösenden Sprinklersystemen, basierend auf der Steuer- und Siche-rungstechnik der Dampfkessel sowie auf dem Wissen der Röhrenverarbeitung. In späteren Jahrzehnten baute Wal-ther auch Wanderrost-Anlagen, Bekohlungseinrichtungen sowie Mühlen für die Befeuerung von Kesseln mit Kohlen-

Von der Kesselschmiede zum Leskanpark Der ehemalige Standort des Maschinenbauers Walther & Cie. AG in Dellbrück ist eines der heraus-ragenden Beispiele erhaltender Umnutzungen von eindrucksvollen historischen Industrieanlagen in Köln. Es steht in einer Reihe mit dem Carlswerk und der ehemaligen Fabrik Lindgens in Mülheim sowie den Ruppert-Werken in Wahn. Alexander Kierdorf

¿ Literatur• Mathieu Schwann: Walther & Cie. Aktiengesellschaft, Köln-Dellbrück, 1874–1924, Köln 1924

Link• www.via-industrialis.de• www.leskan.de

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oben links: Zwei Walther-Kessel sind bis heute im Kraftwerk der Zeche Zollverein, Schacht XII, erhalten.

oben rechts: Die ehemalige Große Kesselmontagehalle ent-stand ab 1904 und besteht aus zwei, an der Front gut ablesbaren Teilen: Von dem einen ist die Fassade massiv gemauert (links), die andere hat ein Stahlfachwerk.

unten: Auch die historischen Werkstätten konnten durch Ein-beziehung in das Umnutzungs-projekt erhalten werden.

Fotos: Alexander Kierdorf, 2015

17Dampf-Kraft · Industriekultur 4.15

staub. Schon 1856 hatte Wilhelm Walther zu den Begrün-dern des Kölner Techniker-Vereins gehört, aus dem 1861 der Kölner Bezirksverein des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) hervorging. Jahrzehntelang prägte Walther die Kölner Sektion des Vereins, der für die technische und industrielle Entwicklung Kölns eine wichtige Rolle spielte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden weitere umfangrei-che Bauten errichtet, so vermutlich in den 1920 Jahren ein Betonskelettbau. Wohl nach der Übernahme des Geländes von Traine & Hellmers im westlichen Teil des Areals kam um 1935 ein weiteres Fabrikensemble hinzu, bestehend aus einer mehrschiffigen Halle sowie dem markant ge-genüber der Bahnstation platzierten neuen Kraftwerk. Die Backsteinbauten sind durch weiße Fensterrahmungen und Gesimse sowie Deckplatten aus Beton gegliedert und mit bemerkenswertem architektonischem Aufwand gestaltet. In den 1950er Jahren entstanden weitere Hallenkomplexe im Westen sowie neue Pförtnerhäuser am südwestlichen und nordöstlichen Ende des Geländes. Die wohl umfangrei-chen Verwaltungs- und Ingenieurabteilungen fanden Unter-kunft in mehrstöckigen, in zeittypischer Rasterbauweise erstellten Bürobauten. An der Diepeschrather Straße wur-den zudem ein Direktorenwohnhaus sowie eine Mietwohn-anlage für Mitarbeiter erbaut.

Neue NutzungenAnfang der 1990er Jahre zog sich die inzwischen in dem Feuerlöschgerätehersteller aufgegangene Total Walther AG von einem Teil des Geländes zurück, das als Ganzes an eine Kölner Unternehmerfamilie verkauft wurde. Da die Stadt Köln den Erhalt der Gewerbeflächen wünschte, kam eine Neubebauung durch Wohnungen, wie sie die Lage am Waldrand als denkbar erscheinen

ließ, nicht in Frage. Die Eigentümer entschieden sich deshalb dafür, die vorhandene Bausubstanz schrittweisezu sanieren und unter dem Markennamen Leskanpark für neue Nutzer herzurichten. Obwohl den Denkmalbe-hörden bekannt, wurde das Werk nicht unter Denkmal-schutz gestellt. Im Rahmen der Via Industrialis, der Kölner Version der Route der Industriekultur, ist es jedoch, zusammen mit dem Straßenbahndepot und -museum Thielenbruch und den ehemaligen Radium-Gummiwer-ken, einen Abstecher an den nordöstlichen Stadtrand wert. Die großen Hallen im Ostteil dienen noch heute teil-weise als Lager. In den Stahlfachwerk-Abschnitt ist eine Kletterhalle eingezogen. In die älteste Halle wurden nach etlichen Zwischennutzungen Büros nach dem Haus-im-Haus-Prinzip eingefügt. Die Werkstätten werden seitdem an zahlreiche Handwerker und Künstler vermietet. Zwei Hallen dienen Vermietern von historischen Autos. Darun-ter befindet sich die Firma Oldie-Rent, nach eigenen An-gaben größtes derartiges Unternehmen in Deutschland. In den Kellerräumen des Beton-Stockwerksbaus ist un-ter anderem das Kölner Radio-Museum eines privaten Vereins beheimatet. Um 2010 wurde der auffällige Kraftwerksbau für die Aufnahme von Büros umgebaut. Dabei wurden die technischen Einbauten entfernt und Decken eingezogen. Das oberste Geschoss ist teilweise als Dachterrasse geöffnet. Der Schornstein wurde zwar in der Höhe re-duziert, ist aber noch immer wichtiger Teil der architek-tonischen Komposition aus Backsteinvolumina. Zu den übergreifenden Maßnahmen gehört die Nut-zung zahlreicher Dachflächen für ein Solarkraftwerk, das flächenbezogen das größte der Stadt sein soll. Etwa im Zentrum des Geländes wurde aus der ursprüng-lich kleinen Kantine durch Anbau einer Glashalle das Bis-tro im Leskanpark geschaffen. Die historischen Spuren, wie die alten Werkbahngleise und Feuermeldeanlagen, wurden um frei aufgestellte Schaustücke, einen aus-gebauten historischen Hallenkran und alte Werkbahn-Dieselloks, ergänzt. Und nicht zuletzt erinnert der Name Leskanpark (nach dem althochdeutschen Wort „leskan“ für „löschen“) an die nach Ende des Kes-selbaus neue Hauptsparte der Firma Walther & Cie., nämlich Feuerlöschanlagen. Bis heute erhalten sind au-ßerdem die um 1930 gebauten Walther-Steilrohrkessel mit Wanderrosten im Kraftwerk der Zeche Zollverein, Schacht XII, in Essen.

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In 56 Betriebsjahren nur 16 Stunden Pause Im Frühjahr 2013 ist das Kraftwerk Shamrock der Eon Kraftwerke GmbH an der Kastanienallee im Herner Stadtteil Wanne-Eickel stillgelegt worden. Es war das letzte Sammelschienenkraftwerk der Eon AG und wahrscheinlich auch das letzte in Deutschland. Heiko Wenke

Der Name des Kraftwerks geht auf den Bergbaupionier William Thomas Mulvany zurück, der im März 1857 die Abteufarbeiten zur Zeche Shamrock einleitete. Bereits zwei Jahre zuvor hatte er im benachbarten Gelsenkirchen das Niederbringen des ersten Schachtes der Zeche Hibernia in Angriff nehmen lassen. Die Namensgebung der beiden Bergwerke ist eine Reminiszenz an Mulvanys HeimatIrland, denn Hibernia ist dessen lateinische Name und das Kleeblatt (englisch: shamrock) sein Wahrzeichen. Die beiden Schachtanlagen bildeten die Keimzelle der spä-teren Bergwerksgesellschaft Hibernia AG. Nach der Dominanz der Dampfmaschinen um die Wende zum 20. Jahrhundert gingen die Zechen des Ruhr-gebiets später – am Standort Shamrock 1907 – auch zur Nutzung von Druckluft und Elektroenergie über. JedeHibernia-Zeche erhielt in den Jahren vor dem Ersten Welt-krieg ihr eigenes Kraftwerk. Dieser Kraftwerkspark hatte eine Gesamtleistung von nur etwa 15 Megawatt, doch speiste die Hibernia AG schon überschüssigen Strom in das damals rasant wachsende öffentliche Netz ein. Seit 1938 plante die Bergwerksgesellschaft Hibernia AG ein neues Kraftwerk auf der Zeche Shamrock 3/4, nach dem damaligen Stand der Technik ein Sammel-schienenkraftwerk mit einer Leistung von 37 Megawatt, das im Verbund mit den anderen Hibernia-Kraftwerken

oben: Kraftwerk und Zeche Shamrock in Wanne-Eickel waren unmittelbar miteinander verzahnt. Hinter den Kuben des Kraftwerkes sind Kohlenwäsche, Verladung und Förderturm von Schacht 11 des Steinkohlenbergwerkes zu erkennen. Foto: Eon

rechts: Bei der Schmelzkam-merfeuerung wird glühend flüssige Schlacke abgezogen und in einem Wasserbad abgeschreckt. Das so entstandene Schlackengranulat ist ein begehrter Rohstoff in der Bauindustrie. Foto: Heiko Wenke, 2012

Link www.eon.com/de/ueber-uns/ struktur/asset-finder/kraftwerk- shamrock.html

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zur Deckung des Zechenbedarfs und der öffentlichen Stromversorgung dienen sollte. Nach Beschädigung des weit fortgeschrittenen Neubaus bei alliierten Luft-angriffen geriet das Projekt 1944 ins Stocken. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges rückte die Fertig-stellung in noch weitere Ferne, weil die Instandsetzung weniger zerstörter Kraftwerke Vorrang hatte. Bereits im Kraftwerk Shamrock installierte Aggregate wurden dorthin umgesetzt.

Zwei Jahrzehnte VerzögerungErst 1954 begann der Wiederaufbau des Kraftwerks unter Einbeziehung unbeschädigt gebliebener Gebäude-teile, Stahlfachwerkkonstruktionen mit Ziegelausfachung, aus den 1930er Jahren. Im Oktober 1957 ging das Kraft-werk endlich in Betrieb, ausgerüstet mit einer elektro-statisch arbeitenden Entstaubungsanlage. Mit vier Kes-seln, zwei Vorschaltturbinen und zwei Kondensationstur-binen verfügte das Hochdruckkraftwerk über eine elek-trische Leistung von 120 Megawatt und versorgte die Shamrock-Schachtanlagen 1/2 und 3/4, die dortige Zentralkokerei, das Ethylenwerk sowie das Stickstoff-werk in Wanne-Eickel mit Strom, Druckluft und Dampf. In technischer Hinsicht ist das Kraftwerk eine Beson-derheit. Während andernorts in Deutschland seit 1954 Dampfkraftwerke bereits in Blockbauweise entstanden (dabei ist jedem Turbogenerator ein Dampferzeuger di-rekt zugeordnet) wurde beim Kraftwerk Shamrock noch das ursprüngliche Konzept verwirklicht. Weil bei der Sam-melschienentechnik Dampferzeuger und Turbogenerato-ren beliebig zusammengeschaltet werden können, lassen sich Teilausfälle überbrücken und dadurch die Betriebs-sicherheit erhöhen. So war die Anlage in Wanne-Eickel ein Muster an Verlässlichkeit. In der rund 56-jährigen Be-triebszeit bis zur Stilllegung Ende April 2013 stand sie nur an 16 Stunden still.

Vorreiter bei der FernwärmeversorgungEin weiterer bedeutender Vorteil des Kraftwerks Sham-rock war seine Schmelzkammerfeuerung, mit der sich vor allem schwer verkäufliche Ballastkohlen veredeln ließen: Sie haben einen hohen Berge- und Ascheanteil und einen niedrigeren Heizwert. Der bedeutendste Mei-lenstein war jedoch 1964 die Aufnahme der Fernwärme-versorgung im Stadtgebiet von Wanne-Eickel. Die Veba Kraftwerke Ruhr AG (VKR), die nach Grün-dung der Ruhrkohle AG 1970 aus der Kraftwerkssparte der Hibernia AG entstand, baute die Fernwärmeversor-gung mit Leitungen nach Bochum und Recklinghausen weiter aus. Durch den Fernwärmeausbau und die Inbe-triebnahme einer neuen 30-Megawatt-Vorschaltturbine 1987 verbesserte sich der Wirkungsgrad des Kraft-werks deutlich. Auch die Nachrüstung von Rauchgasent-schwefelungs- und -entstickungsanlagen machten das Kraftwerk umweltverträglicher. Bezogen auf die elektrische Leistung von zuletzt 132 Megawatt lag die Effizienz des Kraftwerks bei etwa 28 Prozent. Weil aber aus jedem der vier steinkohlebefeu-erten Kessel pro Stunde 125 Tonnen Dampf oder insge-samt bis zu 300 Megawatt thermische Energie erzeugt werden konnten, ließ sich der Wirkungsgrad des Kraft-werks nahezu auf beachtliche 80 Prozent anheben. Zu den pro Jahr erzeugten rund 480 Millionen Kilowattstun-den Strom, kamen an die 700 Millionen Kilowattstunden Wärme hinzu. Hierfür wurden jährlich bis zu 270 000 Tonnen überwiegend heimischer Steinkohle verfeuert, die auf kurzen Wegen vor allem von den Zechen der Ruhrkohle AG und über den Hafen des nahegelegenen Rhein-Herne-Kanals per Bahn angeliefert wurden.

oben In der Maschinenhalle hat sich jemand einen Spaß erlaubt und die Buchstaben der von Siemens und Brown, Boveri & Cie. (BBC) erbauten Generatoren unter anderem zu „Eismens“ vertauscht. Foto: Heiko Wenke, 2012

unten: Aus der östlichen Perspek-tive ist beim Kraftwerk Shamrock deutlich der vergangene Charme der Vorkriegsarchitektur erkennbar. Foto: Heiko Wenke, 2014

Trotz dieses äußerst respektablen Wertes war aber bereits 2007, nach 50 Jahren Betrieb, das Ende für das Kraftwerk Shamrock absehbar: 2000 ging die VKR in der Eon AG auf. Das neue Unternehmen plante das moderne Großkraftwerk Datteln 4. Diese etwa 15 Kilometer nord-östlich von Herne am Dortmund-Ems-Kanal gelegene An-lage mit 1 100 Megawatt sollte die Energieversorgung der alten Kraftwerksblöcke Datteln 1–3 (siehe S. 54) sowie des Kraftwerks Shamrock ab 2013/14 ersetzen. Doch wegen des Baustopps in Datteln aufgrund des nicht abgeschlossenen Genehmigungsverfahrens ist nicht ab-sehbar, wann Fernwärme von dort in Herne ankommen wird. Auch deshalb wurde zur Besicherung der Fern-wärmeversorgung 2013 eine ölgefeuerte Spitzenlast-kesselanlage am Standort Shamrock installiert. Die Be-kohlungsanlage und die Kühltürme (siehe IK 2.15, S. 41) dagegen wurden inzwischen abgebrochen.

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Das Kraftwerk Zwevegem – eine geglückte Umnutzung Das Kraftwerk Zwevegem östlich der belgischen Stadt Kortrijk ist mit seiner weit-gehend erhaltenen technischen Einrichtung ein gelungenes Beispiel für eine Umnut-zung. Die Gemeinde vermarktet die Anlage als „Transfo“, nutzt sie unter anderem als Bühne für Ausstellungen, Konzerte und andere Kulturveranstaltungen. Der Außenbereich dient Schulklassen als Sport- und Erlebnisgelände. Edgar Bergstein

oben: Das Kraftwerk Zwevegem – hier Kesselhaus, Schornsteine und Wasserbehälter – liegt unmittel-bar am Kanal Bossuit-Kortrijk.

Foto: Edgar Bergstein, 2013

Link www.zwevegem.be/transfo/

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Die Geschichte begann mit der Elektrifizierung der Ge-meinde Zwevegem (Westflandern) und dem Bau des Kraftwerkes im Jahr 1912. Ein Jahr später konnten vier Kessel von Babcock & Wilcox und zwei Turbinen mit den entsprechenden Generatoren in Betrieb ge-nommen werden. Außerdem wurden in der Gemeinde die ersten Straßenlaternen aufgestellt, Zwevegem war damit einer der ersten Orte in Belgien mit elektrischem Licht. Die Lage des Kraftwerkes am Kanal Bossuit-Kortrijk ermöglichte es, zunächst auf einen Kühlturm zu verzichten und für die Kondensation den Kanal als Kühlwasserlieferanten zu nutzen. Auch wurden über den Kanal die Kohlen für das Kraftwerk angeliefert. 1920 übernahm die Société d‘Électricité de l‘Escaut, eine der Vorgängerinnen des heutigen Ener-

oben: Von der Kranbahn aus bietet sich ein Überblick über die Maschi-nenhalle mit einer Ljungström-Gegenlauf-Radialturbine (vorn) und drei (ebenfalls quer stehenden) klassischen Axialturbinen, jeweils mit Generatoren. Der Hallenkran ist ebenfalls vorhanden, jedoch nur mit einem kleinen Hilfskran weiterhin in Betrieb.

unten links: Der äußerst gute Erhaltungszustand der Anlage zeigt sich auch an den unbeschädigten Anzeigeinstrumenten der Dampf-turbinen.

unten rechts: An der Front der Maschinenhalle stehen kleinere Turbinensätze längs zum Bauwerk.

Fotos: Edgar Bergstein, 2013

giekonzerns Electrabel, das Kraftwerk, das in den 1920er und 1930er Jahren erweitert und modernisiert wurde. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Anlage nur leicht beschädigt. Unmittelbar nach dem Krieg setzte man auf die Kraftwärmekopplung und begann 1946 mit dem Aufbau eines Fernwärmenetzes. Der erste industrielle Abnehmer war die Textilfabrik La Fland-re. Wegen des steigenden Stromverbrauchs und der veralteten Kraftwerkstechnik der Anlage Zwevegem entschloss man sich schließlich, bei Ruien (Gemeinde Kluisbergen) ein neues leistungsstärkeres Kraftwerk zu bauen. Das alte Gelände bot auch nicht genügend Platz für eine Erweiterung. 1958 ging der Neubau in Betrieb. Zwevegem dien-te seitdem als Reserveanlage, produzierte aber noch

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bis 1999 Strom und bis 2001 Fernwärme. Die seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr modernisierte An-lage hatten Denkmalschützer schon länger ins Visier genommen, bot sie doch die Gelegenheit, ein Kraft-werk zu erhalten, dessen Baubestand aus den Jahren 1913 bis 1939 stammte. 2004 kaufte die Gemeinde Zwevegem die Anlage. Ideen für eine Nachnutzung un-ter Beibehaltung des denkmalwerten Maschinenparks holten sich die Verantwortlichen auch bei einer zwei-tätigen Studienreise ins Ruhrgebiet, unter anderem beim Besuch der Kokerei Hansa in Dortmund und der Zeche Zollverein in Essen, wie eine Mitarbeiterin der Gemeinde mitteilte. Die Kosten für den Erhalt und den Betrieb des unter dem Namen Transfo laufenden Kul-turbetriebs werden von der Gemeinde, dem Landesteil Flandern, dem Staat Belgien und der Europäischen Union getragen.

Erfolgreiche UmnutzungKernstück der Anlage ist das Turbinenhaus mit dem Turbinensaal. Der Maschinenpark mit seiner jüngsten Turbine von 1939 ist vollständig vorhanden. Der Raum

ist unverändert, er dient jetzt als Bühne und Ausstel-lungsraum. Dafür werden keine festen Installationen verwendet, sondern flexible Einrichtungen. Die unter dem Turbinensaal gelegene Bühne mit den Kondensa-toren ist unbenutzt und vollständig. Der zweite Blick-fang ist das Treppenhaus. Ohne jegliche Veränderun-gen präsentiert es sich im Bauzustand aus dem Jahr 1912. Die Nebenräume sind jedoch ausgeräumt und stehen für Ausstellungszwecke zur Verfügung. Der zweite große Gebäudekomplex ist das Kessel-haus. Es ist ebenfalls noch vollständig eingerichtet, wurde jedoch bisher noch nicht umgenutzt und ist wegen Asbest-belastung für Besucher nicht zugänglich. Vorhanden sind auch die Rauchgasreinigung, die Werkstatt und die Waschräume. Charakteristische Anlagenteile sind der aus Ziegeln gemauerte Schornstein und der Wasserturm. Ergänzt wird der Baubestand durch ein Verwaltungsge-bäude, das Wohnhaus des Werkdirektors und das Wohn-haus des Werkmeisters. Letzteres wird bis heute von einem Hausmeister und seiner Familie bewohnt. Seine ständige Anwesenheit wirkt sich positiv auf den Baube-stand und einen geringen Grad an Vandalismus aus.

oben links: Das Treppenhaus ist im Originalzustand von 1912 erhalten.

oben rechts: Sogar die Sozial-räume, hier die Duschen, sind mit ihren Wand- und Bodenfliesen einen Blick wert.

links mitte: Das Kesselhaus wurde mit vier Kesseln aus-gestattet, die 1939 in Betrieb genommen wurden. Bis 1959 wurden sie mit Kohlenstaub gefeuert und anschließend auf Betrieb mit Schweröl umgerüstet. Sie lieferten 35 bis 40 Tonnen Dampf pro Stunde bei einem Kesseldruck von 26 Kilogramm pro Quadratzentimeter und einer Dampftemperatur von bis zu 395 Grad Celsius. Wegen Asbest-belastung ist das Kesselhaus für Besucher derzeit nicht zugänglich.

unten: Zu den Erweiterungs-bauten der 1920er Jahre gehört auch das Schalthaus mit dem dahinter liegenden (auf der rechten Seite sichtbar) Maschinenhaus.

Fotos: Edgar Bergstein, 2013

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23Denkmal in Gefahr · Industriekultur 4.15

Elbingerode: Besucherbergwerk Drei Kronen & Ehrt geschlossenAm 1. November 2015 ist das Besucherbergwerk Drei Kronen & Ehrt in Elbingerode (Oberharz) geschlossen worden. Die Eisen- und Manganerz- sowie Schwefelkiesgrube wird nach Angaben der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV) seitdem zum Schutz der Umwelt dauerhaft verwahrt, also verfüllt. Sven Bardua

Das Harzer Bergwerk gab es vermutlich seit dem 10. Jahr-hundert; 1582 wurde der Bergbau am Großen Graben, so wurde die Anlage ursprünglich genannt, erstmals ur-kundlich erwähnt. Von 1861 bis 1872 fuhren die Berg-leute dann den Gräflichen Stollen zur Entwässerung der bereits in 40 Meter Teufe befindlichen Grubenbaue auf, 1887 einen zweiten Stollen. Die Grubenfelder dort wur-den 1914 zum Bergwerk Drei Kronen & Ehrt zusammen-gefasst, aber bereits 1926 stillgelegt. Mit dem Wiederauf-schluss des Bergwerkes 1935 wurde ein Hauptschacht abgeteuft. 1940 begann im großen Stil der Abbau des Pyritvorkommens (Schwefelkies), auf das man in der Ei-senerzgrube schon im 19. Jahrhundert gestoßen war. Seit 1951 hieß das Bergwerk VEB Schwefelkiesgrube Einheit und bekam ab 1959 einen neuen Schacht: den Zen-tralschacht. Er führte bis zur 15. Sohle in 460 Metern Tiefe und erschloss damit weitere 80 Meter. Drei ältere Schäch-te wurden so ersetzt. Das hier abgebaute Pyritvorkom-men war das einzige der DDR und deckte einen großen Teil ihres Schwefelbedarfs. Seit 1964 musste man jedoch auf Pyrit mit geringerem Schwefelgehalt zurückgreifen. Am 31. Juli 1990 stellte das Bergwerk den Abbau ein. 1991 begannen ehemalige Kumpel der Grube Einheit mit dem Aufbau eines unter- und oberirdischen Besu-cherbergwerkes, in dem seit 1993 Führungen angeboten wurden. Allerdings geriet das Besucherbergwerk immer mal wieder in Schwierigkeiten und musste aus verschie-denen Gründen vorübergehend geschlossen werden. Eigentümerin der Anlage war seit 1993 die Gesellschaft zur Verwahrung und Verwertung von stillgelegten Berg-werksbetrieben (GVV), die als Bereich Kali-Spat-Erz seit 2014 zur LMBV gehört.

Die LMBV hat die Nutzungsvereinbarung mit dem Besucherbergwerk nun nicht mehr verlängert, räumt die Grube aus und verfüllt sie gänzlich, um das Austreten be-lasteten Grubenwassers zu verhindern. Das Verfahren ist gemäß des Abschlussbetriebsplans und der gesetzlichen Bestimmungen zu vollenden, teilte der Harzer SPD-Land-tagsabgeordnete Ronald Brachmann mit. Danach sei die LMBV gehalten, das Objekt gänzlich zu verschließen. Das geschehe auch, um eine Mehrbelastung für den Steuer-zahler zu vermeiden. Denn nach Berechnungen der LMBV müsste für ein Ableiten des Wassers sonst eine etwa zwei Millionen Euro teure Pumpanlage eingebaut werden, mit jährlichen Folgekosten von etwa 700 000 Euro. Von drei Baracken abgesehen stehen die Übertageanlagen nach Angaben der LMBV unter Denkmalschutz und bleiben deshalb zumindest vorerst erhalten.

oben: Von 1940 bis 1990 wurde im Bergwerk Drei Kronen & Ehrt beziehungsweise der Grube Einheit im großen Stil das schwefelhaltige Pyrit abgebaut und sicherte der DDR-Wirtschaft so einen Teil des Schwefelbedarfs.

unten: Die beiden großen Schächte des Bergwerkes Drei Kronen & Ehrt mit entsprechenden Fördergerüsten entstanden 1938 und 1959 (Zentralschacht im Hintergrund).

Fotos: Christian Bedeschinski, 2015

Link www.grube-einheit.de

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24 Industriekultur 4.15 · Reiseziele der Industriekultur

Die Montanindustrie an der Steirischen Eisenstraße Bis heute ist die Montanindustrie am Erzberg aktiv. Das Gebiet liegt an der Steirischen Eisenstraße, die im Südosten von Österreich von Leoben nach Steyr führt. Montane Zentren sind der Bergbau am Erzberg und das Hüttenwerk Donawitz. Edgar Bergstein

Der Abbau von Eisenerz am österreichischen Erzberg begann spätestens mit der Besiedlung der Region durch die Wenden. Seit dieser Zeit wird dort kontinuierlich Erz gefördert. Dabei bildeten sich zwei Bergbaureviere her-aus, die durch den Gebirgspass Präbichl getrennt sind. Südlich des Präbichls und im oberen Teil des Berges lag das Vordernberger Revier, welches sein Erz nach Süden zu den Radwerken nach Vordernberg lieferte. Radwerke sind Hochöfen, deren Gebläse beispielsweise mit Was-serrädern betrieben werden. Jedem Radwerk waren ei-gene Bergrechte zugeteilt. Nördlich des Passes und im unteren Teil des Berges war das Innerberger Revier. Das Erz aus dieser Region ging an die Radwerke in Eisen-erz und zu den weiter nördlich liegende Hochöfen. Die Vielzahl von Bergrechten führte schließlich besonders im Innerberger Revier zu unübersehbaren Strukturpro-blemen. Daher wurden als staatliche Zwangsmaßnahme der Erzabbau im Innerberger Revier, die Radwerke und Hammerwerke in Eisenerz und nördlich davon zur Inner-berger Hauptgewerkschaft vereinigt. Die Zusammen-führung des Innerberger und des Vordernberger Reviers erfolgte erst im 20. Jahrhundert. Ab 1810 begann Joseph Fortunat Sybold den Erz-abbau ganzheitlich neu zu organisieren. Ein System

von Stollen und Schächten wurde angelegt. Die ersten Schienenbahnen entstanden und lösten die aufwendi-ge und wenig leistungsfähige Sackförderung ab. 1847 ging die Erzförderbahn Präbichl-Vordernberg in Betrieb. Dies war möglich, da die Vordernberger Radwerke ihren Erzabbau gemeinschaftlich betrieben. Der Anschluss an das Bahnnetz erfolgte 1872 von Süden (Bahnstre-cke Leoben-Vordernberg) und 1873 von Norden (Bahn-strecke Hieflau-Eisenerz) aus. Ab 1873 errichtete man am Fuße des Erzberges auf dem Münzboden die ersten Röstöfen, um die Erze besser verhütten zu können. Die

oben: Der Erzberg schrumpfte durch den Bergbau um 66 Meter. Im Vordergrund sind die Anlagen der Erzaufbereitung zu sehen.

rechts: Der Erzberg wurde in 12 und später 24 Meter hohe Stufen terrassiert.

Links• abenteuer-erzberg.at• eisenstrasse.co.at

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25Reiseziele der Industriekultur · Industriekultur 4.15

Förderung zwischen den verschiedenen Höhenebenen war ein großes Problem. Hierfür wurden ab 1876 ver-schiedene Schrägaufzüge, sogenannte Bremsberge, angelegt. 1891 eröffnete man die Zahnradbahn von Eisenerz nach Vordernberg und verband die bisher schon bestehenden Bahnlinien. Ab 1900 setzte man im Innerberger Revier Dampflokomotiven auf den verschie-denen Ebenen ein. Zur gleichen Zeit begann auch der elektrische Bahnbetrieb und verband das Krumpental am Fuß des Erzberges mit dem heutigen Bahnhof Erz-berg und dem Steirischen Röst. Ab 1910 ersetzten Dampfbagger die Handarbeit im Berg. 1907 war der gesamte Erzberg in Etagen von jeweils 12 Metern Höhe aufgeteilt. Doch dies war nicht von Dauer, da ab 1925 auf eine Etagenhöhe von 24 Me-ter umgestellt wurde. Ebenfalls im Jahr 1925 wurde der Berggipfel gesprengt und der Berg damit um 66 Meter kleiner. Heute schrumpft der Erzberg nicht mehr, da im oberen Bereich nicht mehr abgebaut wird. Ab 1939 wur-de aufgrund der Autarkiebestrebungen des nationalso-zialistischen Regimes der Erzabbau massiv ausgedehnt und erreichte eine Förderung von 10 000 und später 12 000 Tonnen pro Tag. Umfangreiche Sturzschacht- und Stollensysteme entstanden. Nach dem Krieg stellte die Sowjetunion Reparationsansprüche und demontierte in der Region viele damals neu geschaffene Einrichtun-gen. 1951 begann im Tagebau im Vordernberger Revier der gleislose Betrieb mit Baggern und Schwerlastkraft-wagen. Diese Technik ersetzte schließlich die oberir-dischen Grubenbahnen völlig und ist noch heute aktiv. Dagegen kam der Untertageabbau im Jahr 1986 zum Erliegen und der Grubenbahnbetrieb am Erzberg wurde eingestellt. Einige Anlagen werden noch heute für die Förderung genutzt. Nachdem das Erz geschossen wurde, verladen Radlader mit bis zu 12 Kubikmeter Schaufelinhalt Erz in Schwerlastwagen. Es wird dann zu der 1974 bis 1984 errichteten Aufbereitungsanlage gebracht. Das Erz wird aufbereitet und gelangt zur 1984 erbauten Erzverla-dung im Krumpental, von wo aus es mit der Bahn ab-transportiert wird.

Die SiedlungsentwicklungIn der Bevölkerungsentwicklung der Stadt Eisenerz spiegelt sich auch der Personalbedarf des Bergbaus wider, der von mehreren tausend Bergleuten auf wenige

oben: Mit dem Rückgang des Bergbaus schrumpfen auch die Orte in der Region. Die Siedlung Münichtal aus den 1930 und 1940er Jahren liegt direkt neben der Halde des Hüttenwerks.

hundert sank. Die Einwohnerzahl der Stadt verringerte sich daraufhin zwischen 1951 und 2010 von 12 948 auf 5 081. Im Zuge eines planmäßig geführten Stadtrück-baus wurden schon verschiedene kommunale Gebäude und Schulen abgebrochen. Die Siedlung Münichtal aus den 1930er und 1940er Jahren soll vollständig geräumt und die Bewohner auch gegen ihren Willen umgesiedelt werden. Der Erzberg wird heute touristisch vermarktet. Be-sucher können den aktiven Tagebau und den stillgeleg-ten Tiefbau besichtigen. Im Tagebau fahren die Touristen mit adaptierten Schwerlastwagen. Spezielle Führungen ermöglichen es auch bei Sprengungen dabei zu sein. Seit 1995 wird das Erzbergrodeo, ein Motorradrennen mit jährlich mehr als 10 000 Besuchern, durchgeführt. Außer am Erzberg gab es auch in dem westlich gelegenen Ort Radmer Eisenerzabbau und einen Hoch-ofenbetrieb. Letzterer wurde hier schon im 19. Jahrhun-dert eingestellt. 1940, im Zweiten Weltkrieg, wurde der Eisenerzbergbau hier wieder aufgenommen. Neben ei-nem Tagebau gab es einen Tiefbau, der auch den über-wiegenden Teil der Förderung erbrachte. 1979 kam der Bergbau endgültig zum Erliegen.

Das Hüttenwesen in EisenerzIn der zweiten Hälfte der 1890er Jahre erwiesen sich für die Österreichisch-Alpine Montangesellschaft die verbliebenen Holzkohlenhochöfen, unter anderem in Ei-senerz und Vordernberg, und die kleinen Kokshochöfen in Hieflau, Schwechat und Zeltweg als unwirtschaftlich. Daher wurde eine moderne Hochofenanlage nach neuen Gesichtspunkten errichtet. Als Standort wählte man den Ort Eisenerz. Ab dem Frühjahr 1899 errichtete die Mon-tangesellschaft im relativ breiten Grund des Münichs-tals einen Hochofen und die dazugehörigen Anlagen. Er war zur Zeit seiner Erbauung der größte Hochofen des Kontinents. Seine Solleistung betrug 350 Tonnen Rohei-sen pro Tag. 1913 wurde die Anlage um einen Hochofen erweitert. Bis 1917 waren beide Hochöfen kontinuier-lich in Betrieb. Zur Verwertung des Gichtgases errichte-te man ein Kraftwerk, das 1922 in Betrieb genommen wurde und dessen Gebäude noch heute existiert. Da die erzeugte elektrische Energie im Hüttenwerk und der Region nicht vollständig verwertet werden konnte, wurde eine Fernleitung nach Donawitz und Leoben an-gelegt. In der Zeit von 1918 bis 1925 war der Hochofen-

¿ Literatur• Michael S. Falser: Industrie – Landschaft – Kunst, der Steirische Erzberg: Entstehungsgeschichte, Invenarisation und Umnutzung in einen Ausstellungsbezirk für Land- Art, Objektkunst und Multimedia, Zweckverband Sächsisches Industrie- museum, Chemnitz 2006 (siehe IK 1.07, S. 56)• Manfred Hohn: Eisenbahnen am Steirischen Erzberg, Leykam Buch- verlagsgesellschaft, Graz 2010• Voestalpine Bahnsysteme GmbH (Hrsg.): Werk Donawitz, Entwicklung und Umfeld, 50 Jahre LD-Verfahren, Eigenverlag, Donawitz, 2002

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betrieb durch ungenügende Kokslieferungen und durch mangelnden Absatz beeinträchtigt. Der Wirtschaftskrise folgte 1930 die Stilllegung. Kurz vor Ausbruch des Zwei-ten Weltkriegs und bis Kriegsende wurden die Hochöfen wieder in Betrieb genommen. Später errichtete man auf dem Gelände eine Zentralwerkstatt für den Bergbaube-trieb des Erzberges. Erhalten blieben die Verwaltung, das Gichtgaskraftwerk, einige Werkstätten und die Schla-ckenhalde.

Die Radwerke von VordernbergDie Ursprünge des Hüttenwesens in Vordernberg und Friedauwerk reichen bis ins Mittelalter zurück. Um das Jahr 1500 existierten 14 Radwerke die zum Antrieb der Hochofengebläse Wasserräder besaßen. Jedes der Rad-werke hatte Schürfrechte am Erzberg. Erzförderung und Transport organisierte jeder Radmeister autark. 1511 schlossen sich die 14 Vordernberger Meister zur Vordern-berger-Radmeister-Communität zusammen, um sich güns-tiger mit Holzkohlen zu versorgen. Im Gegensatz zur Inner-

berger-Hauptgewerkschaft nördlich des Erzberges blieben die einzelnen Radwerke unabhängige Gesellschaften. 1759 erprobte man eine neue Verhüttungstechnik. Bisher erzeugten die Hochofen-Werke ein festes Stück Eisen, nun wurde der Weiterverarbeitung flüssiges Roh-eisen geliefert. Die Leistung der Hochöfen stieg um 50 Prozent bei nahezu gleichbleibendem Holzkohlenver-brauch. In der Folge wurden alle Hochöfen zu derartigen Floßöfen umgebaut. Die hohen Kosten für die Holzkohle und die preiswertere Eisenproduktion durch Kokshoch-öfen machten die Produktion ab etwa 1875 unwirt-schaftlich. In der Spezialisierung auf hochwertiges Eisen suchte man eine Absatznische. Doch ein Radwerk nach dem anderen musste den Betrieb einstellen. Die Öster-reichisch-Alpine Montangesellschaft kaufte 1881 sechs Radwerke von denen lediglich zwei längerfristig betrie-ben wurden. Das Radwerk III erhielt sogar einen neu-en modernen Hochofen der bis 1921 in Betrieb stand. Das Radwerk XIV beendete als letztes in Vordernberg im Jahr 1922 den Betrieb. Es war zuletzt im Besitz der Firma Böhler aus Kapfenberg. Das Radwerk XIV lieferte lange Zeit ein unentbehrliches Ausgangsprodukt für die Edelstahlproduktion in Kapfenberg. In Vordernberg sind eine Reihe Zeugen der industriellen Vergangenheit erhal-ten geblieben.

Das Hüttenwerk in Hieflau1816 nahm die Innerberger Hauptgewerkschaft das Hüttenwerk in Hieflau in Betrieb. Von den ursprünglich zwei geplanten Holzkohlehochöfen wurde wegen einer Wirtschaftskrise zunächst nur einer gebaut. Für den Standort Hieflau sprach der Holzrechen, durch den das auf der Enns gedriftete Holz aus dem Wasser ge-holt wurde. In Hieflau wurde nun auch ein „Kohlplatz“ angelegt, auf dem aus Holz in Meilern Holzkohle ge-macht wurde. Die Hütte war wirtschaftlich erfolgreich und wurde ständig erweitert. 1842 folgte ein zweiter Hochofen und 1853 ein dritter. Der Antrieb der Neben-betriebe erfolgte zunächst über Wasserräder. Nach der Übernahme der Innerberger Hauptgewerkschaft durch die Österreichisch-Alpine Montangesellschaft wurde ein Holzkohlehochofen gegen einen Kokshoch-ofen ausgetauscht. Die kostengünstiger arbeitenden Kokshochöfen ersetzten immer mehr die Holzkohle-hochöfen. Dadurch sank der Holzkohle- und Holzver-brauch und der Rechen wurde stillgelegt. In den letzten

oben: Das Hüttenwerk Donawitz wurde durch das Linz-Donawitz-Verfahren zur Stahlherstellung be-kannt. Heute werden hier Schienen hergestellt.

unten: In Vordernberg wurde seit dem Mittelalter in Radwerken Erz geschmolzen. Abgebildet ist das Ofengebäude vom Radwerk X.

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27Reiseziele der Industriekultur · Industriekultur 4.15

Betriebsjahren wurde die benötigte Holzkohle mit der Bahn nach Hieflau transportiert. Mit der Inbetriebnah-me des neuen Hochofenwerkes in Eisenerz/Münichtal legte man das Werk in Hieflau still. Der Kokshochofen wurde von 1904 bis 1917 und 1923 wegen der guten Absatzlage wieder in Betrieb genommen und produ-zierte Spezialroheisen.

Das erste Linz-Donawitz-StahlwerkMit der Gründung einer Puddelhütte 1836 durch Franz Mahr erhielt Donawitz (ein Stadtteil von Leoben) sein erstes modernes Hüttenwerk. Zuvor gab es im heuti-gen Raum Leoben-Donawitz zwar schon Hammerwerke, die aber keine besondere Bedeutung erlangten. Zuerst wurde dort das Roheisen der Radwerke zu Puddelstahl verarbeitet. 1872 erhielt das Werk einen Eisenbahnan-schluss an die Strecke Leoben-Vordernberg. Im selben Jahr erwarb die k. k. priv. Aktiengesellschaft der Inner-berger Hauptgewerkschaft das Stahlwerk, die ihrerseits 1881 in die neu entstandene Österreichisch-Alpinen

oben: In ehemaligen Lastwagen für den Tagebau können Besucher das Bergwerk besichtigen.

links: Die Windmaschine gehört zum Radwerk III in Vordernberg. Mit Hilfe von Wasserkraft wurde Luft in den Ofen geblasen.

unten: Die Vordernberger Denkmallok gehörte zu den 1942 ausgelieferten letzten Zahnrad-dampfloks für die Erzbergbahn.

Alle Fotos: Edgar Bergstein, 2010

Montangesellschaft aufging. Obwohl an einem Ausbau der Eisenproduktion interessiert, investierte das Unter-nehmen erst ab 1888 in den Standort Donawitz. Bis 1913 wurde nun das Werk massiv in allen Bereichen ausgebaut. Zwischen 1891 und 1907 wurden vier Hochöfen gebaut. Als integriertes Hüttenwerk deckte es alle Produktions-stufen vom Erz bis zum Walzprofil ab (siehe IK 4.09, S. 38). Im Jahr 1953 wurde in Donawitz das erste Stahlwerk nach dem Sauerstoffaufblasverfahren in Betrieb genommen. 1973 kam es zur Fusion mit der Vöest AG zur Voestalpine AG. Die aktuelle Produktion von Schienen mit einer Länge von bis zu 120 Metern und gehärtetem Schienenkopf ist nahezu ohne Konkurrenz und sichert dem mittlerweile restrukturierten Werk die Zukunft. Steigende Weltmarkt-preise für Eisenerz ermöglichen heute einen langfristig wirtschaftlichen Eisenerzabbau am Erzberg und den Hochofenbetrieb in Donawitz.

Die Montanuniversität LeobenIm Jahr 1849 wurde die Bergakademie in Leoben ge-gründet, der Vorläufer der heutigen Montanuniversität. Hintergrund für die Niederlassung waren nationalisti-sche Unruhen an der Bergakademie in Banská Stiavnica (heute in der Slowakei liegend) im Jahr 1848, woraufhin die deutsch-nationalen Studenten diese Bergakade-mie verließen und für sie eine neue gegründet werden musste. Die Vordernberger Lehranstalt war zu klein und so wurde ein neuer Standort in Leoben bevorzugt. Die Bibliothek der Montanuniversität gilt international als eine der besten zum Thema Berg- und Hüttenwesen. Das Leben in Leoben wird heute maßgeblich durch die Universität und ihre Studenten geprägt.

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Im Untergrund von Prag:Kolektory und RohrpostDie Passantin ist irritiert, als sich in einer Einkaufspassage eine unauffällige Tür öffnet und eine Gruppe von Männern mit Helm hervortritt. Sie sind dem Untergrund von Prag entstiegen: Denn die tschechische Hauptstadt verfügt mit der Kolektory über ein ausgedehntes Tunnelsystem für Versorgungsleitungen. Ein traditioneller Nutzer ist die Rohrpost der Stadt – ein wichtiges technisches Denkmal. Sven Bardua

Mit der Industrialisierung „verschwand“ immer mehr Infra-struktur in den Untergrund: Während es in den immer dichter bebauten und vom Verkehr stark belasteten Städten oben kaum noch voran ging, war unterirdisch oft noch viel Platz für Versorgung und Verkehr. Diese Erkenntnis, kombiniert mit leistungsfähigen pneumati-schen Systemen, führte zum Bau von Rohrpostanlagen. Die erste städtische Rohrpost arbeitete seit 1853 in London. Berlin folgte 1865. Prag nahm seine Rohrpost erst 1887 in Betrieb, eine lange Zeit nur 5,3 Kilometer lange Strecke zwischen der Hauptpost und der Prager Burg. Erst von 1927 bis 1932 wurde diese Rohrpost mit der Technik der Berliner Firma Mix & Genest auf eine Länge von etwa 55 Kilometern ausgebaut: für 400 000 Sendungen pro Jahr. Angeschlossen wurden die Post-ämter, aber auch Banken und Versicherungen. Die Leitun-gen bestehen aus verschweißten Stahlrohren mit 65 Millimeter Innendurchmesser. Die von Kompressoren erzeugte Druck- und Saugluft drückt oder zieht 200 Millimeter lange Aluminiumkapseln mit 48 Millimeter Durchmesser durch die Rohre. Sie werden dabei bis zu 36 Kilometer pro Stunde schnell. Gegen das Rohr abgedichtet sind die mit Fracht bis zu 3 Kilogramm schweren Kapseln mit Ringen und Streifen aus weichem Kunststoff.

Erst in den 1990er Jahren schwächte sich dieser Ver-kehr ab. Verheerend für die Rohrpost aber war das Moldau-Hochwasser im Jahr 2002, das etliche Maschinenräume und Rohrleitungen überschwemmte. Seitdem ist sie außer Betrieb. Doch sie gilt weltweit als einzige komplett erhaltene historische Rohrpostanlage. Deshalb will der Investor Zdenek Dražil, der sie bald nach der Stilllegung von der ehemals staatlichen Telefongesellschaft übernahm, unbe-dingt wieder als museale Anlage in Betrieb nehmen. Seit vielen Jahren kämpft er dafür und versucht Mitstreiter zu gewinnen, gibt dabei nicht auf. Nach seiner Auffassung ge-hört dieses System auf die Liste des Unesco-Welterbes.

oben: Tief unter dem Senovážné-Platz endet die Grubenbahn, mit dem gut drei Kilometer der unterirdischen Versorgungstunnel von Prag erschlossen werden.

rechts: Die von der Berliner Firma Mix & Genest installierte Prager Rohrpost – hier die Zentrale im Hauptpostamt – entstand in großen Teilen von 1927 bis 1932.

Fotos: Sven Bardua, 2015

Kontakt / Informationen• Kolektory Praha, a.s. Pešlova 341 CZ – 190 00 Prague 9 Tel. 0 04 20 / 272 184 111 www.kolektory.cz

• Rohrpostanlage Zdenek Dražil E-Mail: [email protected] prazskapotrubniposta.cz

28 Industriekultur 4.15 · Reiseziele der Industriekultur

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Die Rohrpost-Zentrale – dort wo alle Leitungen zu-sammenlaufen – befindet sich mitten zwischen Büro-räumen in dem immer noch von der Post genutzten Hauptpostamt (Jindrišská 14) in Prag, was sich nur schlecht mit stärkerem Publikumsverkehr verträgt. Dennoch können Interessierte sie ebenso besichtigen wie die Prager Kolektory: In diesen Tunnelanlagen werden zentral Gas- und Wasserleitungen, Fernwärmerohre, Strom-kabel sowie jede Art von Datenleitungen verlegt – und eben auch die Rohrpost. Das im Bau und im Betrieb aufwendige System reicht oft bis an die Hauskeller heran, so dass die Leitungen nicht vergraben werden müssen. Der große Vorteil: Bei Störfällen und Umbau-ten müssen keine Straßen aufgerissen werden, gear-beitet wird dann im Tunnel (siehe IK 3.08, S. 54). Dabei hat die Stadt Prag mit dem Bau der Kolektory erst spät begonnen: 1969 ging der erste Kollektor mit einer Länge von 128 Metern unter der Höhenstraße Chotkova nordwestlich vom Stadtzentrum in Betrieb. Anschließend wurden mit den Kollektoren vor allem das Neubaugebiet Dáblice im Norden der Stadt sowie weitere Siedlungsgebiete erschlossen, ehe seit 1974 – zunächst zaghaft – der Bau im Zentrum begann. 1975 waren in Prag die ersten sieben Kilometer Tunnel in Be-trieb, 1990 waren es fast 50 Kilometer. Heute ist dieses Tunnelsystem nach Angaben des städtischen Unterneh-mens Kolektory Praha mehr als 93 Kilometer lang. Es hat seine Betriebszentrale am Senovážné Platz 11 im Zentrum der Altstadt. Doch an dem gründerzeitlichen Wohnhaus weist nichts auf das Leben im Untergrund hin, denn der Kolektory-Betrieb wird vom Keller des Hauses aus gesteuert. Mit einem Aufzug geht es hinab zum „Betriebsbahnhof“. Von hier aus werden Personal und Material in einer Grubenbahn auf einem gut drei Kilometer langen Streckennetz zu wichtigen Stationen transportiert. Da vor allem im Zentrum von Prag auch untertage der Platz knapp ist, haben die Kolektoren zwei Niveaus: Die wichtigen Tunnel liegen etwa 20 bis 30 Meter unter der Oberfläche, einige Teile haben sogar eine Teufe von 45 Metern. Mit bis zu 4,50 Meter Breite und 4,80 Meter Höhe erreichen diese Röhren zum Teil fast U-Bahn-Dimensionen. In der Ebene darüber, etwa 4 bis 15 Meter tief, gibt es Verteilertunnel mit kleinerem Durchmesser. Doch auch diese sind mindestens 1,90 Meter breit und 2,40 Meter hoch. Aufwendig ist die Überwachungstechnik: Mit etwa 45 000 Sensoren werden in den Tunneln ständig Temperatur und Feuchtigkeit, die Zusammensetzung der Luft und eben auch die vielen versteckten Zugänge über-prüft, damit niemand unbefugt eindringen kann.

oben: Gas, Wasser, Strom und Daten fließen einträchtig neben-einander durch die Leitungender Kolektory, dem zentralen Ver-sorgungstunnelsystem in Prag.

mitte: Im Keller der Hauptpost befinden sich die Kompressoren, mit denen Druckluft und Vakuum für den pneumatischen Transport der Kapseln erzeugt wird.

unten: Zur Prager Rohrpost ge-hört auch eine aufwendige Filter-anlage, damit die verwendete Druckluft sauber und trocken ist.

Fotos: Sven Bardua, 2015

29Reiseziele der Industriekultur · Industriekultur 4.15

Versorgungstunnel in HamburgEinen Versorgungstunnel hat es einst auch in der Neustadt von Hamburg gegeben. In dem vom Architekten- und Ingenieurverein 1914 herausgegebenen Band „Hamburg und seine Bauten“ heißt es: „Einer bei der Wanderver-sammlung in Hamburg im Jahre 1890 durch den Vortrag des Stadtbaurates Dr. James Hobrecht (...) gegebenenAnregung entsprechend, wurde bei dem Durchbruch der Kaiser-Wilhelm-Straße im Jahre 1892 ein Versuch mit der Unterbringung von Leitungen in einem unterirdischenGang gemacht. Dieser Leitungsgang liegt auf der einenStraßenseite, fast unmittelbar an den Häusern, um die Hausanschlüsse ohne Aufgrabung beschaffen zu können.“ Dieser Versorgungstunnel war 455 Meter lang, „hat be-sondere Übelstände nicht verursacht; der großen Kosten wegen wurde von einer weiteren Ausführung solcher An-lagen jedoch abgesehen.“ Michael Berndt

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30 Industriekultur 4.15 · Denkmal in Gefahr

Nach dem Zweiten Weltkrieg rollten in den drei Westzonen etwa 60 000 Fahrzeuge der Auto Union über die Straßen. Dafür richtete die Auto Union Ersatzteile GmbH im Dezem-ber 1945 in Ingolstadt im Körnerrieselmagazin ein Zentral-depot ein. Die im September 1949 neu gegründete Auto Union GmbH produzierte dann auf dem Gelände Fahrzeuge der Marke DKW: Hergestellt wurden zunächst der Schnell-laster F 89 L sowie das Motorrad RT 125 W. Später diente das Magazin als Lagerhaus und als Bürogebäude unter anderem für das Archiv der Audi AG, der Nachfolgerin der Auto Union. 1997 verließ Audi diesen Standort an der Espla-nade 5–7 am östlichen Rand des Stadtzentrums. Und eine Firma von Jürgen Kellerhals übernahm die Immobilie mit dem Magazin, ließ sie aber verfallen, wie örtliche Medien berichteten. Dennoch blieben Tragwerk und Dachstuhl des Baus nahezu unverändert erhalten. Dank der modernen Bauweise hatte Audi bei einem Umbau die kleinen Fenster an den Seitenwänden durch breit laufende Fensterbänder ersetzen und ein Treppenhaus einfügen können, ohne das Tragwerk anzutasten. Als Nachnutzer etablierten sich auf dem Gewerbehof kleine Firmen und verschiedene Gruppen, zum Teil aus dem Kulturbetrieb. Ihnen wurde 2010 gekündigt, weil der Eigentü-mer dort ein Hotel und Wohnungen bauen lassen wollte. Wie die Medien weiter berichteten, entdeckte die Denkmalpflege

dann relativ spät den Bau und stellte ihn unter Schutz, woge-gen der Eigentümer juristisch vorging und in erster Instanz vor dem Verwaltungsgericht Recht bekam. Im Juli 2015 aber bestätigte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Denk-maleigenschaft des Gebäudes und damit das von der Denk-malpflege verfügte Abrissverbot, teilte die Stadt mit. Ein Abbruch sei immer noch möglich, wenn der Erhalt des Baus für den Eigentümer aus wirtschaftlichen Gründen unzumut-bar sei. Allerdings haben engagierte Bürger, die sich 2010 im Freundeskreis Industriekultur Ingolstadt (Finis) zusam-mentaten, den Bau in den Blick genommen, die Geschichte erforscht und detaillierte Vorschläge für Umnutzungen ge-macht. Nach den jüngsten Plänen könnte das Magazin nun Jugendherberge werden und wäre damit aus Sicht von Finis wirtschaftlich nutzbar. Das auf den ersten Blick unscheinbare Magazin zählt in Bayern zu den frühen Eisenbetonbauten des Unternehmens Dyckerhoff & Widmann. Die Militärbauverwaltung hatte sich 1905 bewusst für diese damals neuartige Bauweise ent-schieden, weil der Baugrund auf einem alten Festungsgraben schwierig und der Bau „bombenfest“ sein sollte. 1907/08 entstand damit für die Landesfestung Ingolstadt das vier-geschossige Lagerhaus für bis zu 2 000 Tonnen Getreide: 58,75 Meter lang und 17,50 Meter breit, mit einem giebelsei-tig vorgesetzten Treppenhaus. Der vierschiffige Eisenbeton-Skelettbau hat ein einheitliches Stützenraster (4,15 Meter) und kreuzweise bewehrte, 14 Zentimeter dicke Decken. 40 mal 40 Zentimeter dicke Stützen tragen die 20 Zenti-meter breiten, zu den Stützen hin gevouteten Unterzüge. Der Begriff Körnerrieselmagazin geht auf eine ab etwa 1900 angewendete Lagermethode von Getreide zurück. Bis dahin musste das auf Böden gelagerte Korn, um Schäd-lingsbefall und Verderb durch Feuchtigkeit vorzubeugen, mehrfach im Jahr gewendet, also umgeschaufelt werden – eine schweißtreibende und staubige Angelegenheit. Mit der neuen Technik wurde das Getreide auf den obersten Boden gefördert. Von dort ließ man es nach Bedarf durch die Decke ein Geschoss tiefer rieseln: In Ingolstadt gab es in der Decke 4 000 Löcher mit 0,04 Meter Durchmesser. So sparte man sich das Schaufeln. Derartige Systeme gab es bereits seit 1903 in Berlin und seit 1904 auf dem Oberwiesenfeld in München, weitere Beispiele sind aus Landshut, Tübingen und Ludwigsburg bekannt, berichtete Finis. Die Technik für das Magazin in Ingolstadt hätte die Straubinger Eisenfabrik Jos. Mitterer & Sohn geliefert.

Früher Betonbau und Autofabrik: das Körner-rieselmagazin Ingolstadt Ein Eisenbetonskelett bildet das Tragwerk des 1907/08 für die Festung Ingolstadt erbauten Körnerrieselmagazins. 1945 brachte die Auto Union darin ihr westdeutsches Ersatzteillager unter, bevor sie hier seit 1949 Autos und Motorräder produ-zierte. Nun verhinderte ein Gericht den Abbruch des interes-santen Baudenkmals – zumindest vorläufig. Sven Bardua

oben: Das 1907/08 erbaute Körner-rieselmagazin zeigt nach außen hin deutlich sein Tragwerk:ein Eisenbeton-skelett. Eine derartige Gestaltung war noch bei Bauten der 1950er/60er Jahre ein typisches Architekturmerk-mal. Ansatzweise hat das Bauunter-nehmen Dyckerhoff & Widmann das ebenfalls bei den zwischen 1906 und 1918 entstandenen und erhaltenen Bauten des Opel-Werkes I in Rüssels-heim umgesetzt. Foto: Viktoria Lukas-Krohm / Bayeri-sches Landesamt für Denkmalpflege

¿ Literatur• Thomas Erdmann: Auf den Spuren der Auto Union (in Ingolstadt), Bielefeld 2006• Klaus Staffel, Joachim Hägel, Harald Kneitz (für Finis): Das Offensichtliche sieht man nicht – oder: Was haben Monier-Eisen mit dem Ingolstädter Körnerrieselmagazin zu tun? in: Das Jurahaus, Heft 17, 2011/12• Knut Stegmann: Das Bauunter- nehmen Dyckerhoff & Widmann – zu den Anfangen des Betonbaus in Deutschland 1865–1918, Tübingen 2014

Page 33: Industriekultur 4mit ihr stand im Vergleich zur Wasserkraft auf einmal ein Vielfaches an Antriebskraft zur Verfügung, die sich außer-dem mit der Zeit immer flexibler einsetzen ließ

Parque Minero de AlmadénCerco San Teodoro13400 Almadén, SpanienTel. 00 34 / 92 6 / 26 50 00www.parqueminerodealmaden.es

Fotos: Standort

Sie waren 2 000 Jahre lang in Betrieb: die Minen von Almadén. Ein Drittel des gesamten Quecksilbers, das die Menschheit je verwendet hat, stammt von hier. Schätzungen zufolge wurden in der Gegend mehr als 250 000 Tonnen des silbrigen Metalls abgebaut. Allein diese Tatsache hebt Almadén unter den vielen aktiven und ehemaligen Berg-baustandorten hervor. Die Quecksilberminen 200 Kilo-meter südlich von Madrid zeugen von der großen Bedeu-tung dieses Metalls für die moderne Wirtschaft und die technologischen Innovationen, die sich aus dem Bergbau entwickelten. Dass die Europäische Union bei der Schlie-ßung der Minen im Jahr 2003 ihren Teil dazu beitrug, diesen historischen Montankomplex in einen Kulturerbe-Park umzuwandeln, war nur konsequent: Sie sind Denk-male der europäischen Industriegeschichte. Und auch die Vereinten Nationen würdigten das Bergwerk als Meilen-stein der menschlichen Zivilisation. Die Abbaustätte wurde 2012 gemeinsam mit dem slowenischen Bergwerk Idrija in die Liste des Unesco-Welterbes aufgenommen und steht damit in einer Reihe mit den Pyramiden von Gizeh, der chinesischen Mauer und dem Kölner Dom. Argentum vivum, lebendiges Silber, nannten es die Römer. Quecksilber ist das einzige Metall, das unter Normalbedingungen flüssig ist. In Messinstrumenten wie Thermometer und Manometer, in Leuchtstoffröhren und elektrischen Geräten wurde es gebraucht, früher auch in Arzneimitteln und Kosmetika. Meist findet man es als Mineral in Form von Zinnober, einer Verbindung von Quecksilber und Schwefel. In der Nähe von Almadén, einer Gemeinde in der spanischen Provinz Ciudad Real, befinden sich die größten Zinnobervorkommen der Erde. Seit der Antike wurden diese zur Quecksilberge-winnung abgebaut. Im 12. Jahrhundert, zu Zeiten der maurischen Herrscher, gab es in der Gegend bereits ein Bergwerk, das 450 Meter hinab reichte und mehr als 1 000 Arbeiter beschäftigte.

Die Fugger führten mitteleuropäische Bergbautechnik einBesondere Bedeutung erlangte das Bergwerk im 16. Jahr-hundert, als große Mengen Quecksilber zur Weiterverar-beitung von Gold und Silber nach Amerika verschifft wur-den. Die Quecksilberminen befanden sich zu dieser Zeit im Besitz der Fugger, der Finanz- und Kaufmannsdynastieaus Augsburg, die in jenen Jahren zu einem der mächtigsten Handelshäuser Europas aufstieg. Die Fugger waren es auch, die in Almadén mitteleuropäische Bergbautechniken einführten. Ungeachtet dessen blieb der Abbau des Queck-silbers gefährlich. Von 1566 bis 1801 wurden dafür unter anderem Strafgefangene eingesetzt, von denen jeder vierte vor Vollendung der Strafzeit an Quecksilbervergif-tungen starb. Auch Sklaven aus Nordafrika mussten hier zeitweise schuften. Eine Zäsur stellt das Jahr 1755 dar. Ein Feuer brach aus, das zwei Jahre lang nicht gelöscht werden konnte. Währenddessen lief der Bergbau auf Sparflamme. Mit dem Eintreffen deutscher Bergwerksexperten und der Errichtung einer Bergwerkschule 1777 kam der Erzab-bau indes wieder in Schwung. Als 1835 die Rothschilds an-

fingen, in London regelmäßige Quecksilberversteigerungen zu etablieren, brachen gar goldene Zeiten an. Ihren Zenit erreichte die Produktion 1941. In ihrer Hochphase be-schäftigte die Mine 2 000 Menschen und sicherte das Überleben der 13 000 Einwohner von Almadén. Neue EU-Restriktionen bedeuteten im Jahr 2000 das Aus für den Bergbau. Nach Stilllegung der Grube befanden sich darin noch etwa 3,5 Millionen Tonnen Abfall, die eine Gefahr für die Umwelt darstellten. Die Halden mussten saniert werden. Um das Erbe der Region zu wahren, investierte der Euro-päische Fonds für regionale Entwicklung zwischen 2002 und 2007 knapp 1,5 Millionen Euro in das Projekt.

Quecksilber ist in Almadén noch allgegenwärtigIn Almadén ist das Quecksilber beziehungsweise die Rolle, die es für den Ort gespielt hat, in der Architektur, den Ge-bräuchen und Traditionen noch allgegenwärtig. Aus die-sem Grund umfasst die Unesco-Ernennung auch die Alt-stadt von Almadén, seine sechseckige Stierkampfarena, das Königliche Bergmannshospital von 1752, das heute das Archiv der Erzgrube beherbergt, und das Königliche Zwangsarbeitergefängnis für Strafgefangene, die ihre Strafen als Arbeiter in den Bergwerken von Almadén ver-büßten. Eine Installation im Besucherzentrum lässt fast vier Tonnen Quecksilber in einen Teich regnen – hinter Glas. Hier ist der Ausgangspunkt um das örtliche Berg-bauerbe zu erkunden. Zuerst geht es in einem Förderkorb hinab in das Berg-werk, das 700 Meter in die Tiefe reicht. Zugänglich ist die erste Sohle in 50 Meter Tiefe. Die Tour führt durch Stollen, die im 16. und 17. Jahrhundert betrieben wurden. Das bemerkenswerteste Exponat ist ein hölzerner Göpel, wie er im Bergbau seit dem ausgehenden 13. Jahrhun-dert zum Einsatz kam. Mit einer Grubenbahn geht es wieder ans Tageslicht. Die Anlage, in der das Quecksilber aufbereitet wurde, ist von einer hohen Mauer umgeben. Durch ein Tor anno 1795, das Tor Karls IV, zogen einst die Ochsenkarren und Packpferdekarawanen, um das Queck-silber ins 200 Kilometer entfernte Sevilla zu bringen, wo es nach Übersee verschifft wurde. In die Mauer eingelassen sind zwei Schmelzöfen, mit denen das Quecksilber aus dem Zinnober geschmolzen wurde. Zwei Museen ver-vollständigen das Bild dieser Region. Das eine, unterge-bracht in einem Gebäudekomplex aus den 1920er Jahren einschließlich Gebläsehaus und Werkstätten, präsentiert die örtliche Bergwerkstechnik. Ein weiteres Museum er-läutert die geologischen Voraussetzungen und physikali-schen Eigenschaften von Quecksilber.

31Ankerpunkt der Europäischen Route der Industriekultur · Industriekultur 4.15

Lebendiges Silber kostete oft Leben Bergbau-Park von Almadén, Spanien Frieder Bluhm

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32 Industriekultur 4.15 · Ankerpunkt der Europäischen Route der Industriekultur

Sie ist der ganze Stolz des Elsecar Heritage Centre in Süd Yorkshire: eine Newcomen-Dampfmaschine anno 1795. Sie ist nicht nur original erhalten, sondern wohl auch die einzige Dampfmaschine dieses Typs weltweit, die noch am originalen Standort steht. Mithin zählt sie zu den be-deutendsten Zeugnissen der Industriellen Revolution. Der Standort selbst, ein kleines Dorf südlich von Barnsley, war mehr als zwei Jahrhunderte ein regionales Zentrum der Bergbau- und Hüttenindustrie. Aus dieser Zeit sind einige Gebäude erhalten. Vorbildlich restauriert beherbergen sie heute Künstlerateliers, Antiquariate, kleinere Werkstätten, ein Kinder-Indoor-Zentrum und eine Ausstellungshalle, in der das ganze Jahr über Sonderveranstaltungen stattfin-den. Eingebettet in eine wunderschöne Landschaft, ist das Elsecar Heritage Centre eine Attraktion für die ganze Fami-lie und ebenso ein Brennpunkt gewerblicher Aktivitäten – so wie schon 200 Jahre zuvor. Bergbau hat es in Elsecar schon gegeben, bevor William Wentworth-Fitzwilliam (1748–1833), der vierte Earl Fitzwil-liam, 1782 das Erbe seines Onkels, des zweiten Marquis von Rockingham, antrat und damit das Heft im Steinkoh-lenrevier in die Hand nahm. Der Earl war der erste in einer Reihe von Großindustriellen in der Familie, die zeitweise bis zu 2 000 Arbeiter in ihren Gruben beschäftigte. Das beste-hende Bergwerk modernisierte er, indem er die von einem Pferd angetriebene Winde durch eine dampfbetriebene ersetzte, was die Produktivität erheblich steigerte. Um die Förderkapazitäten auszuweiten, ließ er 1795 ein neues Bergwerk anlegen. Dieses verfügte über drei Schächte: zwei Förderschächte und einen Pumpenschacht. Hierbei setzte der Earl auf die Newcomen-Dampfmaschine als eine bewährte Errungenschaft seiner Zeit

Grundwasser war das Problem aller BergwerkeDas Problem, mit dem alle Bergwerke zu kämpfen hatten, war das eindringende Grundwasser. Um es aus den Schächten zu pumpen, wurden pferdegetriebene Göpel und Wasserkünste eingesetzt, wie sie seit der Antike bekannt waren. Mit zunehmender Größe und Tiefe der Bergwerke wurde die Entwässerung zum begrenzenden Rentabilitätsfaktor. Ende des 17. Jahrhunderts meldete der englische Ingenieur und Erfinder Thomas Savery (1650–1715) ein Patent auf eine kolbenlose Dampfpumpe an, die er „Miner‘s Friend“ (des Bergmanns Freund) nannte. Savery war von der Leistungsfähigkeit seiner Maschine überzeugt. Sie hatte jedoch einige gravierende Mängel: Sie konnte die Wassersäule nur um zwölf Meter heben. Für größere Tiefen mussten mehrere Pumpen hintereinander geschaltet werden. Der benötigte Dampfdruck war an der Grenze des damals Machbaren, wofür außer den Lötstellen auch der Stahl und die damals verwendeten Vernietungen verantwortlich waren. Der endgültige Durchbruch gelang schließlich dem erfolgreichen Eisenhändler und technisch begabten Schmied Thomas Newcomen (1663–1729) aus Dartmouth in Südwestengland, der 1712 mit dem Bau der ersten einsatzfähigen atmosphärischen Kolbendampfma-schine den eigentlichen Beginn des Zeitalters der Dampf-maschine einläutete.

Die Schächte des neuen Bergwerks von Elsecare reichten zunächst rund 37 Meter tief – tiefer als jede andere Zeche zuvor in diesem Gebiet. 1822 kam eine weitere Pumpmaschine hinzu, als die Schächte in noch größere Tiefe vorangetrieben wurden. Die Grube erlaubte es den Fitzwilliams, die Abbaumengen erheblich zu stei-gern und gleichzeitig beim Verkauf der Kohle die Vorteile zu nutzen, die der neue Abzweig des Dearne-and-Dove-Kanals mit sich brachte, der Elsecare 1799 erreichte. In der Nähe der Zeche errichtete man zur selben Zeit eine Eisenhütte, deren Reste noch heute in der Nähe des Heritage Centre zu sehen sind. Eisenerz wurde in der unmittelbaren Umgebung abgebaut, allerdings stammte das beste Erz aus Tankersley und wurde vor Fertigstel-lung des Kanals auf Pferdefuhrwerken angeliefert, seit 1850 auch mit der Eisenbahn. Verwendet wurde es zur Herstellung von Schienen für Bergwerksloren sowie Fensterrahmen, wie sie heute noch an verschiedenen Gebäuden in der Umgebung zu sehen sind.

Alte Industriegebäude sind im Dorf kein FremdkörperDas Heritage Centre ist in der ehemaligen Gießerei und den einstigen Werkstätten der Zeche untergebracht. Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut, waren sie bis in die 1980er Jahre in Betrieb, bis nach 230 Jahren die letzte Mine in Els-ecar schloss. Innerhalb des denkmalgeschützten Dorfes bilden die alten Industriegebäude keine Fremdkörper, denn deren Architekten entwarfen auch die Häuser der Dorfbe-wohner. Der örtliche Bahnhof war ein Privatgebäude des Earl Fitzwilliam, der häufig Privatzüge auf der eigentlich für den Frachtverkehr vorgesehenen Strecke verkehren ließ. Die ehrenamtlich von Eisenbahnenthusiasten betriebene Elsecar Heritage Railway ermöglicht es, wie anno dazumal in einem Dampfzug eine Meile auf der 1984 offiziell stillge-legten Strecke zurückzulegen. Die Newcomen-Dampfmaschine arbeitete von 1795 bis 1923. Fortan übernahmen elektrisch betriebene Pumpen ihre Aufgabe. 1928 war sie noch einmal kurz im Einsatz, als die Elektropumpen von einem Hochwasser überfordert waren. Ihre Höchstleistung lag bei 600 Gal-lonen pro Minute. Heute funktioniert die Dampfmaschine nicht mehr, doch es gibt Pläne, sie wieder instandzuset-zen. Zu besichtigen ist sie nur während spezieller Tage der offenen Tür oder bei vorheriger Buchung. Wegen steiler Treppen ist der Zutritt in das Gebäude für Kinder unter sieben Jahre nicht gestattet, für Kinder ab sieben Jahren nur in Begleitung von Erwachsenen.

Dampfkraft erschließt die TiefeDas Elsecar Heritage Centre in Yorkshire, England Frieder Bluhm

Elsecar Heritage CentreWath Road, ElsecaBarnsley, South Yorkshire, S74 8HJ, GBTel. 00 44 / 12 26 / 74 02 03www.elsecar-heritage.com

Fotos: Wolfgang Ebert

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33Ankerpunkt der Europäischen Route der Industriekultur · Industriekultur 4.15

Das Zinn hat Cornwalls Platz in der Geschichte der Industri-alisierung quasi in Erz gegossen. Schon die Römer wussten um den Zinnreichtum des südwestlichen Zipfels der briti-schen Insel. Der Bergbau prägte für knapp 400 Jahre das Gesicht dieser Gegend. Das Revier von Camborne und Redruth war das größte Cornwalls. Wohl nirgendwo sonst auf der Welt wurde mehr Erz abgebaut als hier. Auf neun Quadratkilometern drängten sich gut hundert Bergwerke. Kleine und große Maschinenhäuser mit ihren Schornstei-nen, wuchtige Fördergerüste und ein Geflecht aus Win-den, Kabeln und Leitungen überzogen die Landschaft. Inzwischen ist es still geworden in dem einst so ge-schäftigen Revier. Als letztes der cornischen Bergwerke schloss 1998 die South Crofty Mine in Pool, einem Ort zwischen Camborne und Redruth. Heute befindet sich hier Heartlands, ein Landschaftspark, der ein idealer Ausgangspunkt ist, um das Erbe der einstigen Bergbau-region zu entdecken. Mit seinem Botanischen Garten, den interaktiven Ausstellungen und Kunstgalerien sowie dem größten Abenteuerspielplatz im Südwesten Englands ist die Anlage Besuchermagnet und Welterbestätte in einem. Ursprünglich war das fünf Kilometer entfernte Red-ruth eine unbedeutende Marktstadt, bis im 18. Jahrhun-dert eine stark anziehende Nachfrage nach Kupfererz einsetzte. Das in den cornischen Zinnminen gewonnene Kupfererz war bis dahin meist ungenutzt geblieben. Mit der einsetzenden Industriellen Revolution änderte sich das, Kupfer wurde als Ausgangsmaterial für Messing ein gefragter Rohstoff. Redruth war von Kupfererz-Lagerstät-ten umgeben und stieg schnell zu einer der größten und reichsten Bergbaustädte Großbritanniens auf, die Ein-wohnerzahl wuchs rasch an. Die meisten Bergarbeiterfa-milien profitierten allerdings nicht vom neuen Reichtum: Sie blieben arm. Die Lebensbedingungen waren hart. Rauch verpestete die Luft und verdunkelte den Himmel. Die Maschinenhäuser, Baracken und Aufbereitungsanla-gen vermischten sich mit der Wohnbebauung, und in der Enge breiteten sich Cholera, Typhus, Diphtherie, Tuber-kulose und alle Arten von Hautkrankheit aus. Mehr als die Hälfte der Kinder starb vor dem fünften Lebensjahr.

Bergbaubezirk erlangte internationale BedeutungZugleich war Redruth aber auch ein innovativer Ort. Der Bergbaubezirk erreichte wegen der hier gemachten weg-weisenden technologischen Fortschritte internationale Be-deutung. Dazu gehören die Dampfmaschinen von Richard Trevithick, William Bickfords Erfindung der Sicherheits-zündschnur, die das Leben unzähliger Bergleute rettete, und das Haus von William Murdoch, das 1792 weltweit als erstes mit Gas beleuchtet wurde. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte der Niedergang des cornischen Bergbaus ein. Großbritannien importierte mittlerweile den Großteil seines Kupfers aus dem Ausland. Viele der Bergarbeiter wanderten in die neuen Bergbaugebiete Amerikas, Asiens, Australiens und Südafrikas aus. Als der Zenit des cornische Bergbaus längst über-schritten war, schlug die Stunde des Robinson-Schachtes. Zwischen 1900 und 1908 wurde er zum Hauptschacht

der South Crofty Mine, die sich anschickte, ihre südlichen Zinnlagerstätten auszubeuten. Eine Reihe technischer In-novationen kamen zum Einsatz. So ermöglichte es eine dampfbetriebene Pumpe, den Abbau bis in eine Tiefe von 435 Metern voranzutreiben. 1967 wurde die Anlage noch einmal umgebaut, da sie nun nur noch Menschen und Aus-rüstung transportieren musste, während das Erz durch einen neuen Schacht ans Tageslicht befördert wurde. För-derturm und Maschinenhaus des Robinson-Schachtes bil-den heute das Herz von Heartlands. Die Idee, die Indust-riebrache rund um die Ende der 1990er Jahre stillgelegte Zeche nicht einfach sich selbst zu überlassen, erhielt neu-en Auftrieb, als die Unesco 2006 die Bergbaulandschaft von Cornwall und West Devon als Welterbe anerkannte. Mithilfe von Millionen aus dem Lotteriefonds, öffentlichen Fördergeldern und EU-Mitteln entstand ein 19 Hektar großer Landschaftspark, der in einzigartiger Weise Erho-lungswert und Wissensgewinn kombiniert. Im März 2012 wurde er eröffnet.

Ehemalige Bergarbeiter schildern Schwerstarbeit im StollenEine 270-Grad-Projektion nimmt den Besucher mit auf eine Reise durch Cornwalls Bergbaugeschichte, von der etliche technische Relikte zeugen, darunter elektrische und dampfbe-triebene Fördermaschinen und kolossale Dampfkessel. Der Pumpenantrieb des Robinson-Schachtes ist ein grandioses Beispiel für eine cornische Balancierdampfmaschine. Sie arbeitete an dieser Stelle mehr als 50 Jahre, von 1903 bis 1955 – und war damit die letzte Maschine ihrer Art, die in einem cornischen Bergwerk zum Einsatz kam. Wie schwer die Arbeit der Bergleute war, schildern diese mittels Klanginstallationen selbst. Sie berichten von der Hitze untertage und den Initiationsriten, die jeder neue Kumpel über sich ergehen lassen musste. Interaktive Versuchstafeln laden dazu ein, mehr über die Geologie Cornwalls zu erfahren und herauszufinden, wie die Erze aus dem Felsgestein extrahiert wurden.Ob in Australien, Neuseeland, Südafrika oder Amerika: Bergleute aus Cornwall waren bei der Erkundung und Ausbeutung neuer Lagerstätten weltweit gefragt. Daran erinnert ein Botanischer Garten. Denn die Auswanderer nahmen nicht nur ihre Kenntnisse, Kultur und Techno-logien mit in ihre neue Heimat, sondern auch Pflanzen. Umgekehrt brachten Heimkehrer unbekannte Pflanzen mit nach Hause. Der Garten enthält beides: exotische Gewächse aus Übersee, aber auch heimische Arten, die erfolgreich in fremde Erde verpflanzt wurden.

Spielplatz vertreibt Stille im Revier Landschaftspark Heartlands in Redruth, Cornwall Frieder Bluhm

Heartlands Robinson‘s Shaft Dudnance Lane, PoolRedruth, Cornwall, TR15 3QY GroßbritannienTel. 00 44 / 12 09 / 72 23 20www.heartlandscornwall.com

Fotos: Standort

Industriekultur 4.15 · Abonnement/Themenhefte

Malakowtürme in Mitteleuropa // Tunnel der Elektropolis Berlin // Seltener Ziegelofenin Essen verfällt // Detroit: Fabriken im Wandel // Industriekultur in Chemnitz // Ausstellung zur Arbeiterbewegung // Der Maler Karl Hock // Das Heddernheimer Kupferwerk // Zur Kulturgeschichte des Nutzgartens // ERIH: Automuseen in Europa

Industriekultur 1.15ISSN 0949-3751 · 6,95 Euro

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Schwerpunkt Automobilindustrie

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Tuchwerk Aachen eröffnet // Kohlengruben in Lens // Schornsteine von J. Ferbeck // Stahl-Reste in Esch-sur-Alzette // „Hütten-Werk“ von Herbert List // Industriebilder von Hans Paul Gestermann // Kran-Unfall in Heilbronn // Eisenbahn und Denkmalpflege // ERIH: Kohle auf Sardinien, Fabriken in Lodz, Dampfmaschinen in Medemblik und Bier aus Kopenhagen

Industriekultur 4.14ISSN 0949-3751 · 6,95 Euro

Zeitschrift des Landschaftsverbandes Rheinland / LVR-Industriemuseumund des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe / LWL-Industriemuseum

Industrieregion Sachsen-Anhalt

Themenhefte

Industriekultur …

3.2015 Länderschwerpunkt Dänemark

2.2015 Länderschwerpunkt Nordfrankreich

1.2015 Automobilindustrie

4.2014 Industrieregion Sachsen-Anhalt

3.2014 Länderschwerpunkt Schottland2.2014 Brücken1.2014 Naturstein4.2013 Länderschwerpunkt Spanien3.2013 Hochspannung – Strom übertragen und verteilen

2.2013 Industrierevier Saar-Lor-Lux

1.2013 Das Rückgrat der Bahn

4.2012 Nahrung und Genuss

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Neue Welterbestätten // Malakowtürme in West- und Südeuropa // Museum Gesenkschmiede Plettenberg // Das Industriemuseum Lauf // Fußball und Migration // Die Macht der Mode // Kupferbergbau in Namibia // Semmeringbahn // Sulzer in Winterthur // Transformationen historischer Industrieareale // Kühltürme von Balcke // ERIH: Industriekultur in Dänemark

Industriekultur 3.15ISSN 0949-3751 · 6,95 Euro

Zeitschrift des Landschaftsverbandes Rheinland / LVR-Industriemuseumund des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe / LWL-Industriemuseum

Länderschwerpunkt Dänemark

Industriekultur3-15_14092015.indd 1 15.09.15 09:39

Page 36: Industriekultur 4mit ihr stand im Vergleich zur Wasserkraft auf einmal ein Vielfaches an Antriebskraft zur Verfügung, die sich außer-dem mit der Zeit immer flexibler einsetzen ließ

32 Industriekultur 4.15 · Ankerpunkt der Europäischen Route der Industriekultur

Sie ist der ganze Stolz des Elsecar Heritage Centre in Süd Yorkshire: eine Newcomen-Dampfmaschine anno 1795. Sie ist nicht nur original erhalten, sondern wohl auch die einzige Dampfmaschine dieses Typs weltweit, die noch am originalen Standort steht. Mithin zählt sie zu den be-deutendsten Zeugnissen der Industriellen Revolution. Der Standort selbst, ein kleines Dorf südlich von Barnsley, war mehr als zwei Jahrhunderte ein regionales Zentrum der Bergbau- und Hüttenindustrie. Aus dieser Zeit sind einige Gebäude erhalten. Vorbildlich restauriert beherbergen sie heute Künstlerateliers, Antiquariate, kleinere Werkstätten, ein Kinder-Indoor-Zentrum und eine Ausstellungshalle, in der das ganze Jahr über Sonderveranstaltungen stattfin-den. Eingebettet in eine wunderschöne Landschaft, ist das Elsecar Heritage Centre eine Attraktion für die ganze Fami-lie und ebenso ein Brennpunkt gewerblicher Aktivitäten – so wie schon 200 Jahre zuvor. Bergbau hat es in Elsecar schon gegeben, bevor William Wentworth-Fitzwilliam (1748–1833), der vierte Earl Fitzwil-liam, 1782 das Erbe seines Onkels, des zweiten Marquis von Rockingham, antrat und damit das Heft im Steinkoh-lenrevier in die Hand nahm. Der Earl war der erste in einer Reihe von Großindustriellen in der Familie, die zeitweise bis zu 2 000 Arbeiter in ihren Gruben beschäftigte. Das beste-hende Bergwerk modernisierte er, indem er die von einem Pferd angetriebene Winde durch eine dampfbetriebene ersetzte, was die Produktivität erheblich steigerte. Um die Förderkapazitäten auszuweiten, ließ er 1795 ein neues Bergwerk anlegen. Dieses verfügte über drei Schächte: zwei Förderschächte und einen Pumpenschacht. Hierbei setzte der Earl auf die Newcomen-Dampfmaschine als eine bewährte Errungenschaft seiner Zeit

Grundwasser war das Problem aller BergwerkeDas Problem, mit dem alle Bergwerke zu kämpfen hatten, war das eindringende Grundwasser. Um es aus den Schächten zu pumpen, wurden pferdegetriebene Göpel und Wasserkünste eingesetzt, wie sie seit der Antike bekannt waren. Mit zunehmender Größe und Tiefe der Bergwerke wurde die Entwässerung zum begrenzenden Rentabilitätsfaktor. Ende des 17. Jahrhunderts meldete der englische Ingenieur und Erfinder Thomas Savery (1650–1715) ein Patent auf eine kolbenlose Dampfpumpe an, die er „Miner‘s Friend“ (des Bergmanns Freund) nannte. Savery war von der Leistungsfähigkeit seiner Maschine überzeugt. Sie hatte jedoch einige gravierende Mängel: Sie konnte die Wassersäule nur um zwölf Meter heben. Für größere Tiefen mussten mehrere Pumpen hintereinander geschaltet werden. Der benötigte Dampfdruck war an der Grenze des damals Machbaren, wofür außer den Lötstellen auch der Stahl und die damals verwendeten Vernietungen verantwortlich waren. Der endgültige Durchbruch gelang schließlich dem erfolgreichen Eisenhändler und technisch begabten Schmied Thomas Newcomen (1663–1729) aus Dartmouth in Südwestengland, der 1712 mit dem Bau der ersten einsatzfähigen atmosphärischen Kolbendampfma-schine den eigentlichen Beginn des Zeitalters der Dampf-maschine einläutete.

Die Schächte des neuen Bergwerks von Elsecare reichten zunächst rund 37 Meter tief – tiefer als jede andere Zeche zuvor in diesem Gebiet. 1822 kam eine weitere Pumpmaschine hinzu, als die Schächte in noch größere Tiefe vorangetrieben wurden. Die Grube erlaubte es den Fitzwilliams, die Abbaumengen erheblich zu stei-gern und gleichzeitig beim Verkauf der Kohle die Vorteile zu nutzen, die der neue Abzweig des Dearne-and-Dove-Kanals mit sich brachte, der Elsecare 1799 erreichte. In der Nähe der Zeche errichtete man zur selben Zeit eine Eisenhütte, deren Reste noch heute in der Nähe des Heritage Centre zu sehen sind. Eisenerz wurde in der unmittelbaren Umgebung abgebaut, allerdings stammte das beste Erz aus Tankersley und wurde vor Fertigstel-lung des Kanals auf Pferdefuhrwerken angeliefert, seit 1850 auch mit der Eisenbahn. Verwendet wurde es zur Herstellung von Schienen für Bergwerksloren sowie Fensterrahmen, wie sie heute noch an verschiedenen Gebäuden in der Umgebung zu sehen sind.

Alte Industriegebäude sind im Dorf kein FremdkörperDas Heritage Centre ist in der ehemaligen Gießerei und den einstigen Werkstätten der Zeche untergebracht. Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut, waren sie bis in die 1980er Jahre in Betrieb, bis nach 230 Jahren die letzte Mine in Els-ecar schloss. Innerhalb des denkmalgeschützten Dorfes bilden die alten Industriegebäude keine Fremdkörper, denn deren Architekten entwarfen auch die Häuser der Dorfbe-wohner. Der örtliche Bahnhof war ein Privatgebäude des Earl Fitzwilliam, der häufig Privatzüge auf der eigentlich für den Frachtverkehr vorgesehenen Strecke verkehren ließ. Die ehrenamtlich von Eisenbahnenthusiasten betriebene Elsecar Heritage Railway ermöglicht es, wie anno dazumal in einem Dampfzug eine Meile auf der 1984 offiziell stillge-legten Strecke zurückzulegen. Die Newcomen-Dampfmaschine arbeitete von 1795 bis 1923. Fortan übernahmen elektrisch betriebene Pumpen ihre Aufgabe. 1928 war sie noch einmal kurz im Einsatz, als die Elektropumpen von einem Hochwasser überfordert waren. Ihre Höchstleistung lag bei 600 Gal-lonen pro Minute. Heute funktioniert die Dampfmaschine nicht mehr, doch es gibt Pläne, sie wieder instandzuset-zen. Zu besichtigen ist sie nur während spezieller Tage der offenen Tür oder bei vorheriger Buchung. Wegen steiler Treppen ist der Zutritt in das Gebäude für Kinder unter sieben Jahre nicht gestattet, für Kinder ab sieben Jahren nur in Begleitung von Erwachsenen.

Dampfkraft erschließt die TiefeDas Elsecar Heritage Centre in Yorkshire, England Frieder Bluhm

Elsecar Heritage CentreWath Road, ElsecaBarnsley, South Yorkshire, S74 8HJ, GBTel. 00 44 / 12 26 / 74 02 03www.elsecar-heritage.com

Fotos: Wolfgang Ebert

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33Ankerpunkt der Europäischen Route der Industriekultur · Industriekultur 4.15

Das Zinn hat Cornwalls Platz in der Geschichte der Industri-alisierung quasi in Erz gegossen. Schon die Römer wussten um den Zinnreichtum des südwestlichen Zipfels der briti-schen Insel. Der Bergbau prägte für knapp 400 Jahre das Gesicht dieser Gegend. Das Revier von Camborne und Redruth war das größte Cornwalls. Wohl nirgendwo sonst auf der Welt wurde mehr Erz abgebaut als hier. Auf neun Quadratkilometern drängten sich gut hundert Bergwerke. Kleine und große Maschinenhäuser mit ihren Schornstei-nen, wuchtige Fördergerüste und ein Geflecht aus Win-den, Kabeln und Leitungen überzogen die Landschaft. Inzwischen ist es still geworden in dem einst so ge-schäftigen Revier. Als letztes der cornischen Bergwerke schloss 1998 die South Crofty Mine in Pool, einem Ort zwischen Camborne und Redruth. Heute befindet sich hier Heartlands, ein Landschaftspark, der ein idealer Ausgangspunkt ist, um das Erbe der einstigen Bergbau-region zu entdecken. Mit seinem Botanischen Garten, den interaktiven Ausstellungen und Kunstgalerien sowie dem größten Abenteuerspielplatz im Südwesten Englands ist die Anlage Besuchermagnet und Welterbestätte in einem. Ursprünglich war das fünf Kilometer entfernte Red-ruth eine unbedeutende Marktstadt, bis im 18. Jahrhun-dert eine stark anziehende Nachfrage nach Kupfererz einsetzte. Das in den cornischen Zinnminen gewonnene Kupfererz war bis dahin meist ungenutzt geblieben. Mit der einsetzenden Industriellen Revolution änderte sich das, Kupfer wurde als Ausgangsmaterial für Messing ein gefragter Rohstoff. Redruth war von Kupfererz-Lagerstät-ten umgeben und stieg schnell zu einer der größten und reichsten Bergbaustädte Großbritanniens auf, die Ein-wohnerzahl wuchs rasch an. Die meisten Bergarbeiterfa-milien profitierten allerdings nicht vom neuen Reichtum: Sie blieben arm. Die Lebensbedingungen waren hart. Rauch verpestete die Luft und verdunkelte den Himmel. Die Maschinenhäuser, Baracken und Aufbereitungsanla-gen vermischten sich mit der Wohnbebauung, und in der Enge breiteten sich Cholera, Typhus, Diphtherie, Tuber-kulose und alle Arten von Hautkrankheit aus. Mehr als die Hälfte der Kinder starb vor dem fünften Lebensjahr.

Bergbaubezirk erlangte internationale BedeutungZugleich war Redruth aber auch ein innovativer Ort. Der Bergbaubezirk erreichte wegen der hier gemachten weg-weisenden technologischen Fortschritte internationale Be-deutung. Dazu gehören die Dampfmaschinen von Richard Trevithick, William Bickfords Erfindung der Sicherheits-zündschnur, die das Leben unzähliger Bergleute rettete, und das Haus von William Murdoch, das 1792 weltweit als erstes mit Gas beleuchtet wurde. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte der Niedergang des cornischen Bergbaus ein. Großbritannien importierte mittlerweile den Großteil seines Kupfers aus dem Ausland. Viele der Bergarbeiter wanderten in die neuen Bergbaugebiete Amerikas, Asiens, Australiens und Südafrikas aus. Als der Zenit des cornische Bergbaus längst über-schritten war, schlug die Stunde des Robinson-Schachtes. Zwischen 1900 und 1908 wurde er zum Hauptschacht

der South Crofty Mine, die sich anschickte, ihre südlichen Zinnlagerstätten auszubeuten. Eine Reihe technischer In-novationen kamen zum Einsatz. So ermöglichte es eine dampfbetriebene Pumpe, den Abbau bis in eine Tiefe von 435 Metern voranzutreiben. 1967 wurde die Anlage noch einmal umgebaut, da sie nun nur noch Menschen und Aus-rüstung transportieren musste, während das Erz durch einen neuen Schacht ans Tageslicht befördert wurde. För-derturm und Maschinenhaus des Robinson-Schachtes bil-den heute das Herz von Heartlands. Die Idee, die Indust-riebrache rund um die Ende der 1990er Jahre stillgelegte Zeche nicht einfach sich selbst zu überlassen, erhielt neu-en Auftrieb, als die Unesco 2006 die Bergbaulandschaft von Cornwall und West Devon als Welterbe anerkannte. Mithilfe von Millionen aus dem Lotteriefonds, öffentlichen Fördergeldern und EU-Mitteln entstand ein 19 Hektar großer Landschaftspark, der in einzigartiger Weise Erho-lungswert und Wissensgewinn kombiniert. Im März 2012 wurde er eröffnet.

Ehemalige Bergarbeiter schildern Schwerstarbeit im StollenEine 270-Grad-Projektion nimmt den Besucher mit auf eine Reise durch Cornwalls Bergbaugeschichte, von der etliche technische Relikte zeugen, darunter elektrische und dampfbe-triebene Fördermaschinen und kolossale Dampfkessel. Der Pumpenantrieb des Robinson-Schachtes ist ein grandioses Beispiel für eine cornische Balancierdampfmaschine. Sie arbeitete an dieser Stelle mehr als 50 Jahre, von 1903 bis 1955 – und war damit die letzte Maschine ihrer Art, die in einem cornischen Bergwerk zum Einsatz kam. Wie schwer die Arbeit der Bergleute war, schildern diese mittels Klanginstallationen selbst. Sie berichten von der Hitze untertage und den Initiationsriten, die jeder neue Kumpel über sich ergehen lassen musste. Interaktive Versuchstafeln laden dazu ein, mehr über die Geologie Cornwalls zu erfahren und herauszufinden, wie die Erze aus dem Felsgestein extrahiert wurden.Ob in Australien, Neuseeland, Südafrika oder Amerika: Bergleute aus Cornwall waren bei der Erkundung und Ausbeutung neuer Lagerstätten weltweit gefragt. Daran erinnert ein Botanischer Garten. Denn die Auswanderer nahmen nicht nur ihre Kenntnisse, Kultur und Techno-logien mit in ihre neue Heimat, sondern auch Pflanzen. Umgekehrt brachten Heimkehrer unbekannte Pflanzen mit nach Hause. Der Garten enthält beides: exotische Gewächse aus Übersee, aber auch heimische Arten, die erfolgreich in fremde Erde verpflanzt wurden.

Spielplatz vertreibt Stille im Revier Landschaftspark Heartlands in Redruth, Cornwall Frieder Bluhm

Heartlands Robinson‘s Shaft Dudnance Lane, PoolRedruth, Cornwall, TR15 3QY GroßbritannienTel. 00 44 / 12 09 / 72 23 20www.heartlandscornwall.com

Fotos: Standort

Die historische Anzeige · Industriekultur 4.15

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32 Industriekultur 4.15 · Ankerpunkt der Europäischen Route der Industriekultur

Sie ist der ganze Stolz des Elsecar Heritage Centre in Süd Yorkshire: eine Newcomen-Dampfmaschine anno 1795. Sie ist nicht nur original erhalten, sondern wohl auch die einzige Dampfmaschine dieses Typs weltweit, die noch am originalen Standort steht. Mithin zählt sie zu den be-deutendsten Zeugnissen der Industriellen Revolution. Der Standort selbst, ein kleines Dorf südlich von Barnsley, war mehr als zwei Jahrhunderte ein regionales Zentrum der Bergbau- und Hüttenindustrie. Aus dieser Zeit sind einige Gebäude erhalten. Vorbildlich restauriert beherbergen sie heute Künstlerateliers, Antiquariate, kleinere Werkstätten, ein Kinder-Indoor-Zentrum und eine Ausstellungshalle, in der das ganze Jahr über Sonderveranstaltungen stattfin-den. Eingebettet in eine wunderschöne Landschaft, ist das Elsecar Heritage Centre eine Attraktion für die ganze Fami-lie und ebenso ein Brennpunkt gewerblicher Aktivitäten – so wie schon 200 Jahre zuvor. Bergbau hat es in Elsecar schon gegeben, bevor William Wentworth-Fitzwilliam (1748–1833), der vierte Earl Fitzwil-liam, 1782 das Erbe seines Onkels, des zweiten Marquis von Rockingham, antrat und damit das Heft im Steinkoh-lenrevier in die Hand nahm. Der Earl war der erste in einer Reihe von Großindustriellen in der Familie, die zeitweise bis zu 2 000 Arbeiter in ihren Gruben beschäftigte. Das beste-hende Bergwerk modernisierte er, indem er die von einem Pferd angetriebene Winde durch eine dampfbetriebene ersetzte, was die Produktivität erheblich steigerte. Um die Förderkapazitäten auszuweiten, ließ er 1795 ein neues Bergwerk anlegen. Dieses verfügte über drei Schächte: zwei Förderschächte und einen Pumpenschacht. Hierbei setzte der Earl auf die Newcomen-Dampfmaschine als eine bewährte Errungenschaft seiner Zeit

Grundwasser war das Problem aller BergwerkeDas Problem, mit dem alle Bergwerke zu kämpfen hatten, war das eindringende Grundwasser. Um es aus den Schächten zu pumpen, wurden pferdegetriebene Göpel und Wasserkünste eingesetzt, wie sie seit der Antike bekannt waren. Mit zunehmender Größe und Tiefe der Bergwerke wurde die Entwässerung zum begrenzenden Rentabilitätsfaktor. Ende des 17. Jahrhunderts meldete der englische Ingenieur und Erfinder Thomas Savery (1650–1715) ein Patent auf eine kolbenlose Dampfpumpe an, die er „Miner‘s Friend“ (des Bergmanns Freund) nannte. Savery war von der Leistungsfähigkeit seiner Maschine überzeugt. Sie hatte jedoch einige gravierende Mängel: Sie konnte die Wassersäule nur um zwölf Meter heben. Für größere Tiefen mussten mehrere Pumpen hintereinander geschaltet werden. Der benötigte Dampfdruck war an der Grenze des damals Machbaren, wofür außer den Lötstellen auch der Stahl und die damals verwendeten Vernietungen verantwortlich waren. Der endgültige Durchbruch gelang schließlich dem erfolgreichen Eisenhändler und technisch begabten Schmied Thomas Newcomen (1663–1729) aus Dartmouth in Südwestengland, der 1712 mit dem Bau der ersten einsatzfähigen atmosphärischen Kolbendampfma-schine den eigentlichen Beginn des Zeitalters der Dampf-maschine einläutete.

Die Schächte des neuen Bergwerks von Elsecare reichten zunächst rund 37 Meter tief – tiefer als jede andere Zeche zuvor in diesem Gebiet. 1822 kam eine weitere Pumpmaschine hinzu, als die Schächte in noch größere Tiefe vorangetrieben wurden. Die Grube erlaubte es den Fitzwilliams, die Abbaumengen erheblich zu stei-gern und gleichzeitig beim Verkauf der Kohle die Vorteile zu nutzen, die der neue Abzweig des Dearne-and-Dove-Kanals mit sich brachte, der Elsecare 1799 erreichte. In der Nähe der Zeche errichtete man zur selben Zeit eine Eisenhütte, deren Reste noch heute in der Nähe des Heritage Centre zu sehen sind. Eisenerz wurde in der unmittelbaren Umgebung abgebaut, allerdings stammte das beste Erz aus Tankersley und wurde vor Fertigstel-lung des Kanals auf Pferdefuhrwerken angeliefert, seit 1850 auch mit der Eisenbahn. Verwendet wurde es zur Herstellung von Schienen für Bergwerksloren sowie Fensterrahmen, wie sie heute noch an verschiedenen Gebäuden in der Umgebung zu sehen sind.

Alte Industriegebäude sind im Dorf kein FremdkörperDas Heritage Centre ist in der ehemaligen Gießerei und den einstigen Werkstätten der Zeche untergebracht. Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut, waren sie bis in die 1980er Jahre in Betrieb, bis nach 230 Jahren die letzte Mine in Els-ecar schloss. Innerhalb des denkmalgeschützten Dorfes bilden die alten Industriegebäude keine Fremdkörper, denn deren Architekten entwarfen auch die Häuser der Dorfbe-wohner. Der örtliche Bahnhof war ein Privatgebäude des Earl Fitzwilliam, der häufig Privatzüge auf der eigentlich für den Frachtverkehr vorgesehenen Strecke verkehren ließ. Die ehrenamtlich von Eisenbahnenthusiasten betriebene Elsecar Heritage Railway ermöglicht es, wie anno dazumal in einem Dampfzug eine Meile auf der 1984 offiziell stillge-legten Strecke zurückzulegen. Die Newcomen-Dampfmaschine arbeitete von 1795 bis 1923. Fortan übernahmen elektrisch betriebene Pumpen ihre Aufgabe. 1928 war sie noch einmal kurz im Einsatz, als die Elektropumpen von einem Hochwasser überfordert waren. Ihre Höchstleistung lag bei 600 Gal-lonen pro Minute. Heute funktioniert die Dampfmaschine nicht mehr, doch es gibt Pläne, sie wieder instandzuset-zen. Zu besichtigen ist sie nur während spezieller Tage der offenen Tür oder bei vorheriger Buchung. Wegen steiler Treppen ist der Zutritt in das Gebäude für Kinder unter sieben Jahre nicht gestattet, für Kinder ab sieben Jahren nur in Begleitung von Erwachsenen.

Dampfkraft erschließt die TiefeDas Elsecar Heritage Centre in Yorkshire, England Frieder Bluhm

Elsecar Heritage CentreWath Road, ElsecaBarnsley, South Yorkshire, S74 8HJ, GBTel. 00 44 / 12 26 / 74 02 03www.elsecar-heritage.com

Fotos: Wolfgang Ebert

In einem der ersten Kölner Maschinenbaubetriebe, der 1856 gegründeten Kölnischen Maschinenbau-AG in Bayenthal südlich von Köln, war auch Wilhelm Walther (1823–1908) tätig. Der in der Südeifel geborene Tech-niker hatte an der Gewerbeschule in Trier studiert und dann unter anderem im belgischen Liege (Lüttich) ge-arbeitet. Von Bayenthal wechselte er zur Vulkan-Werft in Stettin, war bei Van der Zypen & Charlier in Deutz und dann erneut in Bayenthal tätig. Schließlich gründe-te er in Kalk die erste deutsche Röhrendampfkessel-Fabrik. Auch andere Techniker und Ingenieure nutzten die Möglichkeit, im Umfeld der 1856 gegründeten Maschinenbauanstalt Humboldt eigene Betriebe aufzu-bauen, so der Profilwalzspezialist Louis Mannstaedt. Humboldt-Generaldirektor Martin Neuerburg finanzierte die Gründung der Walther & Cie. AG im Jahre 1874 mit. Wichtiger Teilhaber war außerdem die Familie Poensgen aus Düsseldorf, die Röhrenwalzwerke betrieb. Auf-grund der vielen technischen Neuerungen, die Walther entwickeln konnte, überstand das Werk die folgenden, konjunkturell eher stagnierenden Jahrzehnte.

Werkansicht vor dem Umzug Eine um 1900 entstandene Ansicht des Kalker Werks von Walther & Cie. (siehe Vorderseite) zeigt links ein Verwaltungsgebäude, dann zwei kompakte, mehr-stöckige, giebelständige Backsteinbauten, in denen man Konstruktionsbüros und Werkstätten vermuten darf. Daran schließen sich nach rechts parallel zur Straße zwei langgestreckte Hallen an, in denen die

teils großformatigen Kessel hergestellt werden konnten. Der Ausschnitt oben rechts zeigt diese wohl bereits um 1875 errichteten Hallen mit hölzernen Innenstützen und Dachtragwerken. Nur die Mittelstützen unterhalb des Oberlichtbandes bestehen aus Gusseisen. Kurze Kranbahnen erleichterten das Umlagern der Kessel auf eine die Halle in Längsrichtung durchlaufende Werk-bahn. Entlang der Außenwand waren über Transmission angetriebene Werkzeugmaschinen aufgestellt. Hinter den Werkstätten und Hallen erkennt man mehrere Kraft-werke mit Schornsteinen sowie einen weiteren Fabrik-hof mit abgestellten Waggons. Ein kleines, in Brand stehendes Gebäude könnte ein Versuchsbau sein. Wei-tere ausgedehnte Hallen mit Längs- und Sheddächern und zahlreichen Kaminen umgeben das Werksgelände. Grafische Darstellungen dieser Art sind bekannter-maßen oft künstlerisch übertrieben. Realistisch darge-stellt ist jedoch die erhebliche Enge im Kalker Ortskern. Eingeschlossen von Eisenbahnlinien, konkurrierten hier Wohnbebauung, öffentliche Einrichtungen und Industrie um die begrenzten Flächen. Deshalb entschloss man sich um 1900, Walther & Cie. weiter ins nordöstliche Umland, an den Bahnhof Dellbrück (ab 1914 Köln-Dellbrück) zu verlegen: 1905 zog die Fabrik um (siehe S. 16). Ähnlich wurde mit zwei Ausgründungen der Maschinenfabrik Humboldt verfahren. Faconeisenfabrikant Mannstaedt verlegte sein Unternehmen 1912/13 nach Troisdorf, die Trieurfabrik Mayer ihren Betrieb um die gleiche Zeit nach Heumar.

Industriekultur 4.15 · Die historische Anzeige

Dampfkessel aus Köln-Kalk Im rechtrheinischen Kalk (1910 nach Köln eingemeindet) siedelten sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts, außerhalb des preußischen Befestigungsrings um die Domstadt, zahlreiche Unternehmen an und machten aus dem ländlichen Ort innerhalb weniger Jahre eine industrielle Mittelstadt. Hier startete auch der spätere Kesselbau-Unternehmer Wilhelm Walther. Alexander Kierdorf

oben: Die Rückseite des um 1900 entstandenen, im neben-stehenden Text beschriebenen Werbeblattes der Firma Walther & Cie. zeigt einen Wasserröhren-Dampfkessel des Systems Alban – wohl eine Hommage auf den mecklenburgischen Dampftechnik-Pionier Ernst Alban (1791–1856). Seine Arbeiten zur Hochdruck-Dampftechnik waren international anerkannt. Entscheidend dafür war ein explosionssicherer Kessel, für den eine Batterie aus engen Wasserröhren, die an der Stirn-seite miteinander und mit einem Oberkessel verbunden waren, entwickelte.

Vorderseite: Die um 1900 entstandene Werbegrafik der Firma Walther & Cie. zeigt außer mehreren Röhrenkesseln, den Spezialprodukten der Firma, die Ansicht des Werks in Kalk, kurz vor der 1905 umgesetzten Ver-legung nach Dellbrück, die mit einer Modernisierung und Er-weiterung der Produktionsanlagen einherging. Anzeige: Archiv Kierdorf

Page 39: Industriekultur 4mit ihr stand im Vergleich zur Wasserkraft auf einmal ein Vielfaches an Antriebskraft zur Verfügung, die sich außer-dem mit der Zeit immer flexibler einsetzen ließ

33Ankerpunkt der Europäischen Route der Industriekultur · Industriekultur 4.15

Das Zinn hat Cornwalls Platz in der Geschichte der Industri-alisierung quasi in Erz gegossen. Schon die Römer wussten um den Zinnreichtum des südwestlichen Zipfels der briti-schen Insel. Der Bergbau prägte für knapp 400 Jahre das Gesicht dieser Gegend. Das Revier von Camborne und Redruth war das größte Cornwalls. Wohl nirgendwo sonst auf der Welt wurde mehr Erz abgebaut als hier. Auf neun Quadratkilometern drängten sich gut hundert Bergwerke. Kleine und große Maschinenhäuser mit ihren Schornstei-nen, wuchtige Fördergerüste und ein Geflecht aus Win-den, Kabeln und Leitungen überzogen die Landschaft. Inzwischen ist es still geworden in dem einst so ge-schäftigen Revier. Als letztes der cornischen Bergwerke schloss 1998 die South Crofty Mine in Pool, einem Ort zwischen Camborne und Redruth. Heute befindet sich hier Heartlands, ein Landschaftspark, der ein idealer Ausgangspunkt ist, um das Erbe der einstigen Bergbau-region zu entdecken. Mit seinem Botanischen Garten, den interaktiven Ausstellungen und Kunstgalerien sowie dem größten Abenteuerspielplatz im Südwesten Englands ist die Anlage Besuchermagnet und Welterbestätte in einem. Ursprünglich war das fünf Kilometer entfernte Red-ruth eine unbedeutende Marktstadt, bis im 18. Jahrhun-dert eine stark anziehende Nachfrage nach Kupfererz einsetzte. Das in den cornischen Zinnminen gewonnene Kupfererz war bis dahin meist ungenutzt geblieben. Mit der einsetzenden Industriellen Revolution änderte sich das, Kupfer wurde als Ausgangsmaterial für Messing ein gefragter Rohstoff. Redruth war von Kupfererz-Lagerstät-ten umgeben und stieg schnell zu einer der größten und reichsten Bergbaustädte Großbritanniens auf, die Ein-wohnerzahl wuchs rasch an. Die meisten Bergarbeiterfa-milien profitierten allerdings nicht vom neuen Reichtum: Sie blieben arm. Die Lebensbedingungen waren hart. Rauch verpestete die Luft und verdunkelte den Himmel. Die Maschinenhäuser, Baracken und Aufbereitungsanla-gen vermischten sich mit der Wohnbebauung, und in der Enge breiteten sich Cholera, Typhus, Diphtherie, Tuber-kulose und alle Arten von Hautkrankheit aus. Mehr als die Hälfte der Kinder starb vor dem fünften Lebensjahr.

Bergbaubezirk erlangte internationale BedeutungZugleich war Redruth aber auch ein innovativer Ort. Der Bergbaubezirk erreichte wegen der hier gemachten weg-weisenden technologischen Fortschritte internationale Be-deutung. Dazu gehören die Dampfmaschinen von Richard Trevithick, William Bickfords Erfindung der Sicherheits-zündschnur, die das Leben unzähliger Bergleute rettete, und das Haus von William Murdoch, das 1792 weltweit als erstes mit Gas beleuchtet wurde. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte der Niedergang des cornischen Bergbaus ein. Großbritannien importierte mittlerweile den Großteil seines Kupfers aus dem Ausland. Viele der Bergarbeiter wanderten in die neuen Bergbaugebiete Amerikas, Asiens, Australiens und Südafrikas aus. Als der Zenit des cornische Bergbaus längst über-schritten war, schlug die Stunde des Robinson-Schachtes. Zwischen 1900 und 1908 wurde er zum Hauptschacht

der South Crofty Mine, die sich anschickte, ihre südlichen Zinnlagerstätten auszubeuten. Eine Reihe technischer In-novationen kamen zum Einsatz. So ermöglichte es eine dampfbetriebene Pumpe, den Abbau bis in eine Tiefe von 435 Metern voranzutreiben. 1967 wurde die Anlage noch einmal umgebaut, da sie nun nur noch Menschen und Aus-rüstung transportieren musste, während das Erz durch einen neuen Schacht ans Tageslicht befördert wurde. För-derturm und Maschinenhaus des Robinson-Schachtes bil-den heute das Herz von Heartlands. Die Idee, die Indust-riebrache rund um die Ende der 1990er Jahre stillgelegte Zeche nicht einfach sich selbst zu überlassen, erhielt neu-en Auftrieb, als die Unesco 2006 die Bergbaulandschaft von Cornwall und West Devon als Welterbe anerkannte. Mithilfe von Millionen aus dem Lotteriefonds, öffentlichen Fördergeldern und EU-Mitteln entstand ein 19 Hektar großer Landschaftspark, der in einzigartiger Weise Erho-lungswert und Wissensgewinn kombiniert. Im März 2012 wurde er eröffnet.

Ehemalige Bergarbeiter schildern Schwerstarbeit im StollenEine 270-Grad-Projektion nimmt den Besucher mit auf eine Reise durch Cornwalls Bergbaugeschichte, von der etliche technische Relikte zeugen, darunter elektrische und dampfbe-triebene Fördermaschinen und kolossale Dampfkessel. Der Pumpenantrieb des Robinson-Schachtes ist ein grandioses Beispiel für eine cornische Balancierdampfmaschine. Sie arbeitete an dieser Stelle mehr als 50 Jahre, von 1903 bis 1955 – und war damit die letzte Maschine ihrer Art, die in einem cornischen Bergwerk zum Einsatz kam. Wie schwer die Arbeit der Bergleute war, schildern diese mittels Klanginstallationen selbst. Sie berichten von der Hitze untertage und den Initiationsriten, die jeder neue Kumpel über sich ergehen lassen musste. Interaktive Versuchstafeln laden dazu ein, mehr über die Geologie Cornwalls zu erfahren und herauszufinden, wie die Erze aus dem Felsgestein extrahiert wurden.Ob in Australien, Neuseeland, Südafrika oder Amerika: Bergleute aus Cornwall waren bei der Erkundung und Ausbeutung neuer Lagerstätten weltweit gefragt. Daran erinnert ein Botanischer Garten. Denn die Auswanderer nahmen nicht nur ihre Kenntnisse, Kultur und Techno-logien mit in ihre neue Heimat, sondern auch Pflanzen. Umgekehrt brachten Heimkehrer unbekannte Pflanzen mit nach Hause. Der Garten enthält beides: exotische Gewächse aus Übersee, aber auch heimische Arten, die erfolgreich in fremde Erde verpflanzt wurden.

Spielplatz vertreibt Stille im Revier Landschaftspark Heartlands in Redruth, Cornwall Frieder Bluhm

Heartlands Robinson‘s Shaft Dudnance Lane, PoolRedruth, Cornwall, TR15 3QY GroßbritannienTel. 00 44 / 12 09 / 72 23 20www.heartlandscornwall.com

Fotos: Standort

Page 40: Industriekultur 4mit ihr stand im Vergleich zur Wasserkraft auf einmal ein Vielfaches an Antriebskraft zur Verfügung, die sich außer-dem mit der Zeit immer flexibler einsetzen ließ

34 Industriekultur 4.15 · Ankerpunkt der Europäischen Route der Industriekultur

Als William Cookworthy 1746 in der Gegend von St. Aus-tell die alles entscheidende Entdeckung machte, da ahnte er wohl kaum, dass diese dereinst eine eigene Land-schaft formen würde: die cornischen Alpen. So nannte man die riesigen weißen Hügel, die der Abbau von Kaolin mit sich brachte. Kaolin – Porzellanerde – spielt auch 250 Jahre später eine große Rolle. Die gewaltigen Ton-gruben um St. Austell und entlang der Eisenbahnlinie von Par nach Newquay bilden heute eine dramatische Kulisse im Schatten konisch aufragender Abraumkegel, die von der Geschichte einer zweieinhalb Jahrhunderte überdauernden Industrie zeugen. Es handelt sich um die größten Kaolinvorkommen der Welt, die hier seit Gene-rationen ausgebeutet werden, nicht selten unter harten Bedingungen. Davon erzählt der 26 Hektar große Land-schafts- und Themenpark Wheal Martyn. Er erinnert an die Anfänge einer Industrie, die bis heute nichts von ihrer Bedeutung verloren hat. Die Porzellanherstellung war mehr als tausend Jahre ein Monopol der Chinesen. Denn in China gab es die einzigen bis dahin bekannten Vorkommen der weißen Tonerde, die nach ihrem historischen Fundort Gaoling im Nordwesten der heutigen Provinz Jiangxi benannt ist. Erst Anfang des 18. Jahrhunderts gelang es, den als China Clay bekannten Rohstoff auch in Europa und Amerika ausfindig zu machen. 1746 entdeckte der Apo-theker und Töpfer William Cookworthy (1705–1780) bei St. Austell Lagerstätten, die an Qualität alle anderen europäischen Fundstätten in den Schatten stellten und die englische Keramikproduktion komplett veränderten. Cookworthy selbst hatte daran maßgeblichen Anteil: Als Erstem in England gelang es ihm, ein Porzellan her-zustellen, das es an Erscheinungsbild und Qualität mit chinesischem Porzellan aufnehmen konnte. 1768 wurde ihm dafür ein Patent erteilt.

7 000 Arbeiter bauten in der Umgebung von St. Austell Ton abUm die 70 regionale Porzellanhersteller überschwemmten 150 Jahre später den Markt mit eher minderwertigen Er-zeugnissen. Die Landschaft hatte sich verändert, neue Siedlungen waren entstanden. Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Porzellanproduktion eine lokale Kleinindustrie, nicht zuletzt, weil die Verkehrsinfra-struktur unzureichend ausgebaut war. Das änderte sich mit dem Kupferbergbauboom, der nach 1820 einsetzte. Neue Häfen wurden gebaut und das Gebiet via Schiene an das industrielle Hinterland angebunden. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts kamen in den Tongruben Trockenöfen zum Einsatz; Schornsteine wurden zu einem vertrauten Anblick. Die Folge: Zwischen 1840 und 1860 stieg die Pro-duktion um das Fünffache. 7 000 Arbeiter bauten in der Umgebung von St. Austell Jahr für Jahr 65 000 Tonnen Kaolin ab. Um die Wende zum 20. Jahrhundert waren es be-reits eine halbe Million Tonnen jährlich – etwa die Hälfte der weltweiten Produktion. 75 Prozent gingen in den Export. Überproduktion und geringe Qualität der Produkte trugen dazu bei, dass die Arbeitsbedingungen in der englischen Porzellanbranche notorisch schlecht und die

Löhne niedrig waren. Indes war zu diesem Zeitpunkt der größte Abnehmer für Kaolin bereits die Papierindustrie, die bis heute weiße Tonerde als Füllstoff und Aufheller verwendet. Derzeit gehen lediglich rund 12 Prozent der in Cornwall geförderten Porzellanerde in die Keramik-herstellung. Den Löwenanteil von 80 Prozent nehmen Papierfabriken ab, der Rest findet sich in Farben, Kosme-tika, Gummi, Kunststoffen und pharmazeutischen Erzeug-nissen wieder. Die Firma English China Clays, zu der sich nach dem Ersten Weltkrieg die drei führenden Kaolinpro-duzenten zusammenschlossen, gehört zu Englands größ-ten Privatunternehmen. Für Cornwall ist der vielseitig ver-wendbare Rohstoff heute wichtiger als Kupfer und Zinn.

Ausstellung präsentiert Maschinen, geologische Proben und PorzellanobjekteVor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Wheal Martyn nicht nur die Geschichte einer vergangenen Epoche er-zählt. Der Themenpark befindet sich auf dem Gelände zweier ehemaliger Tongruben. Eine historische Pumpan-lage zur Trockenlegung der in der Gegend verbreiteten Moore gibt es hier zu entdecken. Man trifft sogar auf eine vollständig erhaltene viktorianische Porzellanfabrik samt Maschinen, Ofenanlagen und Dampflokomotive. Zu bestaunen ist auch Cornwalls größtes noch betrie-benes Wasserrad. Gut zehn Meter im Durchmesser, diente es einst der Entwässerung von Tongruben. Ein interaktives Besucherzentrum lässt den dereinst harten Arbeitsalltag von Männern, Frauen und Kindern leben-dig werden, widmet sich aber auch der Gegenwart und Zukunft der Branche. Die Ausstellung präsentiert Ma-schinen, Werkzeuge, geologische Proben, Porzellanob-jekte und Alltagsgegenstände, die – um Tonaufnahmen, Filmdokumente und rund 2 000 Fotografien ergänzt – dokumentieren, wie Abbau und Weiterverarbeitung des Bodenschatzes einst vonstattengingen. Die für die Region so typischen Abraumkegel hat die Natur längst zurückerobert. Sie sind heute Lebensraum für zahlreiche Tiere und Pflanzen. Ihre beachtliche Arten-vielfalt bildet einen scharfen Kontrast zur weißen Wüste des benachbarten modernen Tagebaus, der unmittelbar an die Parklandschaft grenzt. Von einer Besucherplatt-form kann man einen Blick in die mehr als 100 Meter tiefe Grube werfen. Mit ihren Hochdruckschläuchen und Pumpanlagen führt die Grube die technische Entwicklung einer Industrie vor Augen, die heute mit vergleichsweise wenig Personal auskommt. Rund 120 Millionen Tonnen Kaolin wurden abgebaut, seit William Cookworthy 1746 die Vorkommen entdeckte. Die Reserven reichen für min-destens weitere 100 Jahre.

Irdener Schatz brach Chinas Monopol Landschaftspark Wheal Martyn in St. Austell, Cornwall Frieder Bluhm

Wheal Martyn Carthew St Austell, Cornwall, PL26 8XG, GroßbritannienTel. 00 44 / 17 26 / 85 03 62www.wheal-martyn.com

Fotos: 1,5 Rainer Klenner; 2–4 Standort

Page 41: Industriekultur 4mit ihr stand im Vergleich zur Wasserkraft auf einmal ein Vielfaches an Antriebskraft zur Verfügung, die sich außer-dem mit der Zeit immer flexibler einsetzen ließ

35Aus der Arbeit des LWL-Industriemuseums · Industriekultur 4.15

Die Projektpartner aus sechs Ländern sammelten mehr als 600 Tonaufnahmen in dem Online-Archiv. Das Klangspektrum reicht vom Schnaufen der Dampfloko-motive über das Klingeln analoger Wecker bis hin zum Kreischen des Zahnarztbohrers und dem Stampfen von Metallpressen. Häufig wurden für die Aufnahmen Museumsexponate wieder in Betrieb genommen. Die Feldforscher besuchten auch laufende Betriebe und Industrieanlagen, um Geräusche für die Datenbank einzufangen (siehe IK 2.15, S. 27). Mit Projektende wurden alle Klänge auf die Plattformen von „Work with Sounds“ und der digitalen Bibliothek Europeana ge-stellt und sind nun frei zugänglich. Die so konservierten Klänge sollen nicht in den Datenbanken verbleiben, sondern ihren Weg in die Öffentlichkeit finden und genutzt werden. Museale Anwendungen erarbeitete das deutsche Projekt-Team vom LWL-Industriemuseum zusammen mit Koopera-tionspartnern aus dem Kunst-, Medien- und Bildungs-bereich. Auf der Zeche Zollern können Besucher an einer vom Medien-Künstler Florian Hartlieb gestalteten Klangstation aus Tonaufnahmen ihre eigene Klang-landschaft bauen. Ein Geräuschquiz testet das „Klang-Wissen“ der Museumsbesucher. Grundschüler halfen dem Museum eine Anwendungssoftware (App) zu entwickeln, mit der man eine Art Geräuschjagd durch die Zeche machen kann. In einem Klangzentrum auf der Zeche Zollern können die Schüler, mit Computer-Tablets ausgestattet, Tonaufnahmen von typischen Geräuschen der Zechenarbeit abspielen. In Kleingruppen ordnen sie dann die Klänge auf dem Museumsgelände historischen Objekten wie einer Dampflok oder einer Schachtglocke zu. Auch außerhalb des LWL-Industriemuseums ent-standen Projekte, um mit Tonaufnahmen Industriege-schichte über Klänge erlebbarer zu gestalten. So hat „Work with Sounds“ den französischen Musiker Alix Tucou zu dem Projekt „Technology and Bones“ ange-regt, das musikalisch nach dem Zusammenhang von Menschheit und industrieller Technologie fragt. Auf Grundlage der Feldaufnahmen komponierte Tucou fünf

Musikstücke. „Learn Line“, eine vom Schulministerium Nordrhein-Westfalen angebotene Internetsuchmaschine für Bildungs- und Lernmaterialien, hat „Work with Sounds“ in seine Sammlung aufgenommen. Und auch aus dem Bereich der Filmproduktion gab es Anfragen: Für die Vertonung des von Adolf Winkelmann regiege-führten Ruhrgebietfilms „Junges Licht“ (2016) suchte die Produktionsfirma das Geräusch einer ganz be-stimmten Fördermaschine und wurde im Archiv fündig. Zur Abschlusskonferenz im LWL-Industriemuseum Zeche Zollern kamen Vertreter von Museen, Archiven, Universitäten, Kunst und Medien zusammen: 80 Teil-nehmer aus Europa diskutierten über die Erforschung und Vermittlung von Klängen.

Gesammelte Geräusche – EU-Projekt endet Das LWL-Industriemuseum sammelte gemeinsam mit fünf Museen im Rahmen des EU-Projekts „Work with Sounds“ Klänge der industriellen Arbeitswelt in Europa. Nach zwei Jahren endete das Projekt mit einer Tagung im August 2015. Ein Thema war die weitere Nutzung der gesammelten Geräusche. Konrad Gutkowski

oben: Schüler können mit einer App typische Geräusche der Maschinen auf dem Gelände des LWL-Industriemuseums abspielen. Foto: Konrad Gutkowski

mitte: An der Klangstation können Museumsbesucher ihre eigene Klanglandschaft bauen. Foto: Walter Fischer

unten: Ein Ergebnis des Projekts „Work with Sounds“ ist dieses Geräuschquiz des LWL-Industrie-museums. Foto: Walter Fischer

Links• www.workwithsounds.eu• www.europeana.eu • technologyandbones.bandcamp. com• www.learnline.schulministerium. nrw.de

Kontakt Dr. Dagmar Kift LWL-Industriemuseum Zeche Zollern Grubenweg 5 44388 Dortmund Tel. 02 31 / 69 61–1 40 E-Mail: [email protected]

Page 42: Industriekultur 4mit ihr stand im Vergleich zur Wasserkraft auf einmal ein Vielfaches an Antriebskraft zur Verfügung, die sich außer-dem mit der Zeit immer flexibler einsetzen ließ

Aufgrund der Bewerbungslage hat sich das Preiskomitee, bestehend aus je einem Vertreter der Georg-Agricola-Gesellschaft (GAG), der Herausgeber der Zeitschrift In-dustriekultur und von TICCIH Deutschland, entschlossen, zusätzlich zum erstmals für 2015 ausgeschriebenen „GAG-Preis für Industriekultur“ den „Sonderpreis der Her-ausgeber der Zeitschrift Industriekultur“ zu stiften. Auch in den nächsten Jahren wird der GAG-Preis zur Bewer-bung ausgeschrieben. Beide Preise wurden während der Jahrestagung der Georg-Agricola-Gesellschaft im August 2015 im fränkischen Lauf überreicht. Der Industriesalon Schöneweide in Berlin und der Verein Rhein-Neckar-Indus-triekultur e. V. aus Mannheim konnten sich qualifizieren.

Der Industriesalon SchöneweideDer Berliner Verein wurde 2009 gegründet, um das kleine Museum, das aus dem ehemals größten Werk in Schöneweide hervorging, vor dem Ende zu retten. Bis 1990 arbeiteten etwa 25 000 Menschen in den fünf Werken von Schöneweide. Die große Tradition der AEG in Oberschöneweide war allerdings zu DDR-Zeiten plan-mäßig in Vergessenheit geraten und die Jubelberichte aus den nachfolgenden volkseigenen Betrieben ließen wenig Rückschlüsse auf ihre tatsächliche Bedeutung zu. Angehörige des Werkes für Fernsehelektronik (WF) richteten dennoch in den 80er Jahren ein Museum ein. In dem vom Architekten Peter Behrens 1916 entwor-fenen Bau der ehemaligen NAG-Autofabrik war es als „Technik im Turm“ bis 1992 „das höchste Museum Berlins“. Dann kaufte Samsung die Immobilie und das Museum wurde geschlossen. Berliner Bürger, lokale Unternehmen und der Studien-gang Museumskunde an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) unterstützten von Anfang an den Industriesalon Schöneweide. Inzwischen konnte eine Halle saniert und mit Lottomitteln eine Dauerausstel-lung zur Geschichte des Industriestandortes realisiert werden. Nach diesem Erfolg nahm sich der Verein das nächste große Werk vor: das Kabelwerk Oberspree (KWO). Einst von der AEG unter Emil Rathenau aufge-baut, ist dieses Werk ein bedeutendes Gründerzent-rum der Berliner Elektropolis. Das Technikmuseum Berlin übernahm 1996 das Archiv, konnte aber bisher nur einen kleinen Teil aufarbeiten. Der Industriesalon fand etwa 20 Zeitzeugen aus dem KWO die bereit waren, gemeinsam eine Ausstellung zur Geschichte des Werkes zu erarbeiten. 2012 wurde der Verein Industriesalon dann Träger einer durch den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung geförderten „Wirtschaftsdienlichen Maß-nahme“ (WDM). In Kooperation mit der Wirtschaftsför-derung des Bezirks wurden dabei Möglichkeiten für die Tourismusentwicklung in der Industriekultur aus-gelotet und die Weiterentwicklung des Industriesalons

36 Industriekultur 4.15 · Aus der Arbeit der Georg-Agricola-Gesellschaft

GAG-Preis für Industriekultur verliehen Für 2015 hat die Georg-Agricola-Gesellschaft erstmals den „GAG-Preis für Industriekultur“ ausgeschrieben, um ehrenamt-liches Engagement zu würdigen. Unter den Bewerbungen sah das Preiskomitee zwei herausragende Projekte als gleichwertig an, so dass zwei Preise verliehen wurden. Sonja Meßling

oben: Die ehemaligen Gebäude der genossenschaftlichen GEG im Mannheimer Industriehafen werden heute von einer Spedition genutzt. Foto: Barbara Ritter

rechts: Zwei Räume mit Technik sind im Silogebäude des historischen Malzkaffeewerks der GEG in Mannheim erhalten. Foto: Annette Schrimpf

Page 43: Industriekultur 4mit ihr stand im Vergleich zur Wasserkraft auf einmal ein Vielfaches an Antriebskraft zur Verfügung, die sich außer-dem mit der Zeit immer flexibler einsetzen ließ

oben: Bei der Führung durch die Schöneweider Industriekultur begeistert das 1895–97 an der Wilhelminenhofstraße 78 gebaute, zur AEG-Fabrik gehörende Drehstrom-Kraftwerk Oberspree. Foto: Susanne Reumschüssel, 2015

zu einem Besucherzentrum angestoßen. Nun werden Konzepte für die Inszenierung der lokalen Industriekultur entwickelt.

Der Verein Rhein-Neckar-IndustriekulturDer Verein Rhein-Neckar-Industriekultur qualifizierte sich für den Industriekultur-Preis mit seiner Arbeit am Silobau des Kaffeewerks der GEG im Mannheimer Industriehafen, der „Genossenschaftlichen Burg“ (siehe IK 3.14, S. 35). Die Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumvereine hatte hier von 1928 bis 1931 ein Malzkaffeewerk, eine Teigwarenfabrik und eine Getreidemühle im Stil der Neu-en Sachlichkeit und auf dem damals technisch höchsten Stand bauen lassen. Die genossenschaftlichen Betriebe haben sozialgeschichtlich eine hohe Bedeutung für Mann-heim mit seiner starken Arbeiterbewegung – sie produ-zierten fast bis zum bitteren Ende der genossenschaftli-chen Konsum- und Co op-Geschichte. Seit der Stilllegung werden die Gebäude von der Spedition Wetlog im We-sentlichen als Lager genutzt. Wetlog ist auch Eigentümer des denkmalgeschützten Ensembles. Die dunkelrot ge-klinkerten Gebäude sind äußerlich gut erhalten, aus den meisten Gebäuden wurden jedoch die Produktionsanla-gen entfernt. Im Silogebäude des historischen Malzkaf-feewerks blieben jedoch zwei schmale Räume auf zwei Böden in ihrem ursprünglichen Zustand bestehen. Der Verein Rhein-Neckar-Industriekultur hat sich mit dem Inhaber verständigt, die beiden Räume mitsamt der Technik zu erhalten, um sie gelegentlich Besuchern zeigen zu können. Dabei steht nicht die Instandsetzung der Maschinen, sondern der Schutz vor Vandalismus oder einer leichtfertigen Verwahrlosung im Fokus. Die Atmosphäre des verlassenen Ortes soll jedoch nicht zerstört werden. Um die Räume überhaupt sicher zu-

37Aus der Arbeit der Georg-Agricola-Gesellschaft · Industriekultur 4.15

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Die Ausstellung entsteht in enger Zusammenarbeit mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und dem Westfälischen Heimatbund.

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gänglich zu machen, reparierte der Verein im Treppen-haus zunächst einige Stufen. Die Funktionen der einzel-nen Maschinen werden dokumentiert. Es sind im Prinzip die gleichen Maschinen, die in anderen Industriemühlen bis vor wenigen Jahrzehnten benutzt wurden. Möglicherweise können hier weitere Fundstücke aus der Geschichte der Mannheimer GEG-Werke oder des Konsums ausgestellt werden, wie beispielsweise Sack-karren, Verpackungen, Mitgliedskarten oder Reklame-marken des Konsumvereins. Im Treppenhaus sollen zukünftig Ausstellungsbanner zur Geschichte der Ge-nossenschaftlichen Burg und insbesondere zum Malz-kaffeewerk angebracht werden. Leider kann sich wegen der räumlichen Enge im Silogebäude jedoch immer nur eine kleine Anzahl von Besuchern aufhalten.

Links• www.industriesalon.de• www.rhein-neckar- industriekultur.de

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38 Industriekultur 4.15 · Aus der Arbeit des LVR-Industriemuseums

Maloche – Arbeiten auf der GutehoffnungshütteDas LVR-Industriemuseum gibt bis zum 2. Oktober 2016 Einblick in die Arbeitswelt echter Malocher. Am Schauplatz St. Antony-Hütte in Oberhausen öffnet das Museum das umfangreiche Bildarchiv der örtlichen Gutehoffnungs-hütte (GHH). Daniel Sobanski

AusstellungMaloche – Arbeiten auf der GutehoffnungshütteBis 2. Oktober 2016LVR-IndustriemuseumSchauplatz St. Antony-HütteAntoniestraße 32–3446119 Oberhausenwww.industriemuseum.lvr.de

oben: Der 1939 aufgenommene Arbeiter beim Hochofenabstich auf der Eisenhütte Oberhausen I bot ein spannendes Motiv, mit dem sich das Hüttenwerk auf Messen präsentierte.

¿ Literatur• Rudolf Kania: Der Sammlungs- bestand der St. Antony.Hütte, in: Landschaftsverband Rheinland (Hrsg.): St. Antony – die Wiege der Ruhrindustrie, Aschendorff Verlag, Münster 2008, S. 134–137• Stephan Sensen: Fotografie für die Industrie, das Beispiel Gutehoff- nungshütte 1864–1992, in: Akkumulation 3 (1993), S. 1-6

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39Aus der Arbeit des LVR-Industriemuseums · Industriekultur 4.15

Mit der Ausstellung „Maloche – Arbeiten auf der Gute-hoffnungshütte“ beginnt das LVR-Industriemuseum eine Ausstellungsreihe, die den umfangreichen Fotobestand der Gutehoffnungshütte in all seinen Facetten präsen-tieren soll. Auch wenn die einzelnen Arbeiter nur selten im Mittelpunkt stehen, offenbaren die Fotografien ei-niges über die Arbeitsbedingungen. Sie zeigen Hitze, Staub, Funkenflug und das Tragen schwerer Lasten. Die Bandbreite der fotografierten Motive ist ge-nauso vielfältig wie die Arbeit in einem integrierten Stahl- und Maschinenbauunternehmen. Die Aufnahmen geben auch Einblicke in Bereiche, die nichts mit der ei-gentlichen Produktion zu tun haben und dem vermeint-lichen Bild des Malochers gar nicht entsprechen. So sind Szenen aus der Verwaltung, wie das Sortieren der täglichen Post ebenso überliefert, wie die Arbeit auf dem werkseigenen Gutshof Fernewald. Die Werksfotografie erstellte Produktfotos und An-sichten der Werke für Werbung und Außendarstellung sowie für die Werkszeitschriften und die interne Doku-mentation. Aus allen Produktionsschritten innerhalb des inte-grierten Montankonzerns sind Aufnahmen überliefert – von den Zechen über die Eisen- und Stahlwerke bis zu den Maschinenbauwerkstätten. Viele Fotografien zei-gen Arbeit.

oben: Arbeiter vernieten Bauteile. Das Foto entstand in der Abteilung Kesselbau in Sterkrade (1939).

rechts: Ein Hüttenwerker arbei-tet 1938 in der Werkabteilung Sterkrade im Bereich Stahlhoch-bau an einem elektrisch beheizten Stahlofen.

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40 Industriekultur 4.15 · Aus der Arbeit des LVR-Industriemuseums

Der Arbeiter selbst steht allerdings nur selten im Zentrum der Aufnahme. Bilder mit Fokus auf den „Ma-locher“, beispielsweise beim Hochofenabstich, wurden wohl speziell angefertigt, um auf Messen oder in Pu-blikationen spektakuläre Aufnahmen mit glühendem Eisen und sprühenden Funken zeigen zu können. Dage-gen sind es meist die Erzeugnisse, die im Mittelpunkt stehen. Zum Beispiel lag bei Aufnahmen von Förder-maschinisten der eigentliche Fokus auf den Maschinen aus der Produktpalette der Gutehoffnungshütte. Der Maschinist steuerte den Antrieb der Förderkörbe, mit

unten links: Zur Gutehoffnungs-hütte gehörte auch die Landwirt-schaft auf dem Gutshof Fernewald (1928).

unten rechts: In der Stahl-gießerei in Sterkrade wurden große Werkstücke in Formgruben hergestellt. Der flüssige Stahl wurde in eine derartige Grube gegossen, das Gussstück anschließend herausgeholt und gereinigt.

oben: Der Arbeiter wurde oft als Maßstab eingesetzt, wie hier in der Abteilung Sterkrade der Gute-hoffnungshütte. Auf dem 1951 gemachten Foto soll ein für das Osnabrücker Kupfer- und Draht-werk bestimmter Jochrahmen zu sehen sein. Tatsächlich dürfte es sich um ein anderes Bauteil handeln, möglicherweise eine Art Spule zum Aufwickeln von Kabel oder Draht, bei dem noch das konisch geformte Innengerüst fehlt.

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41Aus der Arbeit des LVR-Industriemuseums · Industriekultur 4.15

denen die Bergleute zur Arbeit ins Bergwerk einfuhren und die Kohle zu Tage gefördert wurde. Er erscheint auf Fotos als Teil der gesamten Anlage. Mensch und Maschine sind in der Logik des Produktionsprozesses kaum voneinander zu trennen. Ähnlich wirken dokumentarische Aufnahmen von Arbeitsplätzen in der Eisen- und Stahlerzeugung. In den Stahlwerken, die dort standen, wo sich heute die Neue Mitte Oberhausens befindet, wurde aus dem vor Ort er-zeugten Roheisen Stahl hergestellt und anschließend zu Halbzeugen, Draht oder Schienen gewalzt. Die Hitze der Öfen wird auf den Fotografien beinahe spürbar. Die Mehrzahl der überlieferten Fotografien stammt indes aus den Stahlbau- und Maschinenbauwerken in Oberhausen-Sterkrade. Manche Bildserie macht ganze Produktionsschritte, wie die Arbeit in der Stahlgieße-rei, nachvollziehbar. Um große Werkstücke zu gießen, wurde zunächst eine Formgrube mit speziellem Sand vorbereitet und dann der Stahl dort hineingegossen. Anschließend musste das Werkstück aus der Guss-form befreit und empor gehoben werden, um von Guss-putzern gereinigt zu werden. Die meisten Bilder sind Produktfotografien, die mit Arbeitern lebendiger gestaltet wurden. Auf anderen Fotos dienen die Männer schlicht als Größenvergleich. Oft zeigen die Bilder auch eine Dokumentation der letzten Verarbeitungsschritte wie Reinigen, Schweißen oder Nieten. Als sich seit dem Ende der 1920er Jahre zusam-men mit allgemeinen Rationalisierungsbestrebungen eine planmäßige, betriebliche Ausbildung etablierte,

wurden die Lehrwerkstätten und Ausbildungsstollen beliebte Motive der Werksfotografie. Mit solchen Auf-nahmen wollte man das Engagement der Gutehoff-nungshütte in diesem Bereich belegen sowie Lehrlinge anlocken und motivieren.

Das Archiv der GutehoffnungshütteDie ausgestellten Aufnahmen gehören zum Werksar-chiv der Gutehoffnungshütte. 1808 wurde die erste Eisenhütte des Ruhrgebiets, die St. Antony-Hütte in Oberhausen-Osterfeld, mit ihren beiden Nachbarhüt-ten vereinigt. Damit war der Grundstein für eines der größten Stahl- und Maschinenbauunternehmen des Ruhrgebiets gelegt, die Gutehoffnungshütte. Die Produktionsschwerpunkte verlagerten sich bald nach Sterkrade und zum neuen Walzwerk an der Emscher. In das Kontorhaus der 1877 stillgelegten St. Antony-Hütte zog 1975 schließlich das Werksarchiv der Gutehoffnungshütte ein, das 1995 vom LVR-Industrie-museum übernommen wurde. In diesem Archiv befand sich auch die Überlieferung der 1888 gegründeten werksfotografischen Abteilung der Gutehoffnungshütte. Teile des umfangreichen Bildarchivs werden nun auf der St. Antony-Hütte ausgestellt.

oben links: Die Zeichenschü-lerinnen wurden während des Reichsberufswettkampfes 1944 fotografiert. Frauen mussten bei diesem Wettkampf zusätzlich zu ihrem beruflichen Können auch ihre hauswirtschaftlichen Fähig-keiten beweisen.

oben rechts: Ein Fördermaschi-nist steuert 1950 auf der Zeche Osterfeld den Aufzugsbetrieb mit den Förderkörben.

unten links: Seit Ende der 1920er Jahre wurden Lehrlinge betrieblich ausgebildet und zu einem beliebten Fotomotiv. Dieser Schweißerlehrling wurde 1939 in der Werkschule in Sterkrade aufgenommen.

unten rechts: Auch die Post-abfertigung in der Hauptverwal-tung war ein Arbeitsbereich der Gutehoffnungshütte (1929).

Alle Fotos: LVR-Industriemuseum

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42 Industriekultur 4.15 · Reiseziele der Industriekultur

23 industrielle Stätten in der Region Kyushu-Yamaguchi im Südwesten Japans und auf der Hauptinsel Honshu gehören seit Juli 2015 zum Unesco-Welterbe. Sie be-legen die schnelle Industrialisierung Japans und damit auch den bemerkenswerten Wandel des Landes von ei-ner geschlossenen Feudalgesellschaft in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer modernen Industrienation im frühen 20. Jahrhundert. Die früh aufstrebenden Schwerindustrien von Eisen und Stahl, Schiffbau und Kohlenbergbau prägten den Wandel. In Japan fand der erste erfolgreiche Transfer der westlichen Industriali-sierung auf eine nicht-westliche Nation statt, der sich strikt nach Japans Maßstäben und ohne Kolonialisie-rung entwickelte. Das feudale Japan, durch die Verteidi-gung seiner Inselnation angetrieben, suchte anfänglich Technologietransfer aus Europa ohne westliche Beteili-gung. Dies geschah oft nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Ab den späten 1850er Jahren und vor allem nachdem die kaiserliche Macht unter Kaiser Meiji 1868 wiederhergestellt worden war, öffnete sich Japan westlichen Ländern und importierte ihre Technologie. Ausländische Ingenieure wurden angeworben, um Anlagen zu installieren und zu betreiben sowie neue industri-elle Prozesse und Managementsysteme einzuführen. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war die Industrialisierung schließlich in vollem Gange.

Historische ÜbersichtZwei historische Ereignisse förderten den Transfer: die Opiumkriege 1840/42 zwischen Großbritannien und China und die Ankunft der Flottille der „Black Ships“ der US-amerikanischen Marine unter Commodore Perry in Japan 1853. Das Tokugawa-Shogunat, eine Samurai-Dynastie, öffnete das Land um die Eisenherstellung

Das neue Unesco-Welterbe in JapanIm Juli 2015 schafften es 24 neue Stätten auf die Unesco-Welterbeliste. Unter dem Titel „Japans Industrielle Revolution der Meiji-Ära – Eisen und Stahl, Schiffbau und Kohlenbergbau“ stufte die Unesco-Welterbe-Kommission eine Serie industrieller Anlagen im Südwesten Japans als Welterbe ein. Barry Gamble

oben: Die Bergwerksinsel Hashima vor der Küste Japans war weltweit der dichtest besiedelte Ort. Foto: Nagasaki Prefecture

rechts: Bis 1974 war die Berg-werksinsel Hashima bewohnt. Heute stehen Ruinen auf der Insel. Foto: Norbert Tempel, 2014

Links • whc.unesco.org/en/list• www.japansmeijiindustrialrevolution. com• www.kyuyama.jp/e

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43Reiseziele der Industriekultur · Industriekultur 4.15

und den Schiffbau zu entwickeln und letztlich eine hoch-seetüchtige Flotte zu bauen. Zu der Zeit war Japan eine hochorganisierte Feudalgesellschaft, die von Adels-familien unter der strengen Aufsicht des Shogunates, einem Anführer der Samurai, regiert wurde. Besonders die Adelsfamilien des Südwestens begannen westliche Technologie nach Büchern zu kopieren. Nur unter Ver-wendung der Übersetzung eines holländischen Hand-buches über die Kanonengießerei bauten Shogunat und Adelsfamilien beispielsweise Flammöfen. Unter-dessen stand das Shogunat unter dem Druck, Kohle für die Dampfschiffe der westlichen Mächte zu liefern – ein Schlüsselprodukt für die Industrialisierung, das Japan in Fülle besaß. Dem Kohlenbergbau folgten der Schiffbau und die Eisenherstellung. Die Meiji-Restauration, vorangetrieben von der Satsuma-Choshu-Allianz zweier früher opponierender Adelsfamilien, prägte die erste Hälfte der Meiji-Zeit, die für das Entstehen des modernen Japans im frühen 20. Jahrhundert verantwortlich war. Ein Beispiel für den direkten Import westlicher Technologie ist die Kosuge Helling in Nagasaki, 1869 erbaut von der schottischen Firma Hall Russell & Company. Aber es war die Übernahme weitgespannter westli-cher Technologien zur Jahrhundertwende, die den Wandel stark beschleunigte. Japan war bereits Anfang des 20. Jahrhunderts eine von westlichen Ländern aner-kannte Industrienation.

Die BewerbungInsgesamt wurden 24 Stätten 2015 in die Welterbeliste aufgenommen, darunter waren auch fünf industrielle Stätten (siehe IK 3.15, S. 38). Die Bewerbung von Japans Industriellem Erbe dauerte sechs Jahre und verlief nicht immer reibungslos. Das große Erdbeben in Ostjapan (Tohuku Erdbeben 2011) mit seinem ver-heerenden Tsunami unterbrach das Verfahren. Korea protestierte zunächst gegen die Nominierung, da der Einsatz von Koreanern im Krieg nicht benannt wurde. Koreanische Zwangsarbeiter waren während des Zweiten Weltkrieges ebenso wie chinesische Arbeiter und Kriegs-gefangene in einigen der Werke eingesetzt worden. Zu-künftig soll das Thema in einem Informationszentrum dargestellt werden. Ein unübliches Merkmal dieses Welterbes ist, dass einige der Industriestätten aus dem frühen 20. Jahr-hundert als aktive Einrichtungen fortbestehen. Dazu gehören beispielsweise das Trockendock Nummer 3 und der riesige Hammerkopfkran – 1909 von der Firma Applebys Ltd. in Glasgow (Schottland) hergestellt – der Mitsubishi Werft Nagasaki, der weltweit der älteste derartige Kran ist, der betrieben wird. Auch die Repa-ratur- und Schmiedewerkstätten der ehemaligen Kaiser-lichen Stahlwerke in Yawata, nach Entwurf sowie mit Stahl und Ausrüstung der Gutehoffnungshütte in Ober-hausen im frühen 20. Jahrhundert erbaut, sind heute Teilvon Nippon Steel und noch in Betrieb.

oben links: Der Dampfantrieb der Kosuge Hellinganlage blieb mit Dampfmaschine (links), Kessel (hinten rechts) und Getriebe (vorn) erhalten.

oben rechts: Die Kosuge Hellinganlage in Nagasaki wurde 1869 von der schottischen Firma Hall Russell & Company gebaut.

unten: Der 1909 erbaute Hammer-kopfkran (rechts) des schottischen Herstellers Applebys Ltd. (Glasgow) ist auf der Mitsubishi-Werft in Nagasaki bis heute unverzichtbar. Er hat eine Tragfähigkeit von 150 Tonnen.

Fotos: Norbert Tempel, 2014

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44 Industriekultur 4.15 · Künstlerporträt

oben: Arbeiter vor Werksgelände, undatiert, cirka 30 × 40 Zentime-ter groß, Gouache

rechts: Vorm Stoß, 192625 × 21 Zentimeter groß, Federzeichnung

Fritz Zolnhofer stellte auf zahlreichen Bildern die Ar-beitswelt in der Industrie in der Zeit von 1930 bis 1965 dar. Seine Motive umfassten vor allem das Saarre-vier. Zolnhofers Malerei, die man als konservativ be-zeichnen kann, ist geprägt durch die Darstellung des Menschen in einer eher düsteren und bedrohlichen Ar-beitswelt. Zolnhofer zeichnete den Alltag der kleinen Leute ohne Pathos und malte sich so in die Herzen der Saarländer. In seinen Bildern drückte er die Schwere der harten Arbeit in den Bergwerken und Eisenhütten aus; in den Gesichtern seiner Figuren kommen oft Leere, Schmerz, Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit zum Ausdruck. Erst in seinem Spätwerk findet er zu modernen Formen der Malerei wie Expressionismus und Surrealismus. Längst ist der Name Fritz Zolnhoferzum Synonym des saarländischen Industriemalers ge-worden. Fritz Zolnhofer war 1896 als Sohn eines Gruben-steigers geboren worden. Als Vierjähriger war er bereits Waise und kam in den Bergbauort Sulzbach-Schnappach, wo er bei seiner Großmutter aufwuchs.

Maler des SaarreviersFritz Zolnhofer porträtierte als Maler die industrielle Arbeitswelt im Saarrevier. Seit 2001 vergibt die Gemeinde Sulzbach den Fritz-Zolnhofer-Preis an regionale Künstler. Thomas Janssen

Dieter Staerk: Der Maler Fritz Zollnhofer, in: Sulzbach/Saar, Eine Stadt im Wandel der Zeit und Sulzbacher „Kostbarkeiten“, Saarbrücken 1993

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45Künstlerporträt · Industriekultur 4.15

links: Bergbaumotive, 1963 cirka 18 × 30 Zentimeter groß, Holzschnitt(Sparkasse Neunkirchen)

oben rechts:Revierlandschaft 2, undatiert40 × 50 Zentimeter groß,Öl auf Leinwand

unten rechts: Revierlandschaft 1, 196380 × 60 Zentimeter groß, Öl auf Leinwand

Hier lernte er später auch seine Ehefrau Heidi, eine Steigerstochter kennen. Bereits frühzeitig entdeckte er seine künstlerischen Talente und ging nach einer Malerlehre 1913 an die Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Danach nahm er 1918 ein Studium bei Otto Weil in München auf, das er 1920 an der Akademie der Bildenden Künste in München bei Professor Karl Casper fortsetzte. Im Ersten Weltkrieg setzte er als Soldat seine Ausbildung aus. In München reifte er im Laufe der Jahre zum Meisterschüler und akademischen Kunstmaler heran. 1931 kehrte Zolnhofer zurück ins Saarrevier, wo er in der Schwerindustrie die Motive für seine Malerei fand. Er lebte und arbeitete bis zu seinem Tod 1965 in Saarbrücken. Beigesetzt wurde er auf dem Burbacher Waldfriedhof, wo ihm der Rat der saarländischen Hauptstadt im Jahr 2007 ein Ehrengrab an exponierter Stelle einrichtete. Bereits 1935 erhielt Zolnhofer den Albert-Weisgerber-Preis, der später von den National-sozialisten in Westmark-Preis umbenannt wurde. 1961 erhielt er als erster Industriemaler den Kunstpreis des Saarlandes, die wichtigste kulturelle Auszeichnung der Region. Im Jahr 2000 wurde der Festplatz des Stadtteils Schnappach nach ihm benannt und seit dem Jahr 2001 vergibt die Stadt Sulzbach jährlich den Fritz-Zolnhofer-Preis an regionale Malerpersönlichkeiten. Außer meh-reren Ausstellungen im Saarlandmuseum in Saar-brücken hatte er 1978 eine Ausstellung in der saar-ländischen Vertretung in Bonn. Zolnhofer wurde ferner bekannt als Mitbegründer der pfälzischen Sezession, einer Künstlervereinigung, die nach dem Zweiten Welt-krieg eingerichtet wurde.

Im 20. Jahrhundert gab es außer Fritz Zolnhofer auch Walter Bernstein, der seinen Schaffensschwer-punkt auf die saarländische Schwerindustrie konzen-trierte und dabei überregional bekannt wurde. Auch das 1961 von Ferdinand Selgrad geschaffene Fenster-Tryptichon im Treppenhaus der ehemaligen Berg-werksdirektion in Saarbrücken (siehe IK 1.06, S. 40) zählt zu den herausragenden Kunstwerken, die der Saarbergbau hervorgebracht hat. Doch auch heute befassen sich noch viele saarländische Künstler mit dieser Materie. So wurden bereits Benno Breyer (siehe IK 4.07, S. 48) und Gaetano Gross (siehe IK 1.10, S. 32) mit dem Fritz-Zolnhofer-Preis der Stadt Sulzbach aus-gezeichnet.

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Das industrielle Erbe zeugt einerseits von der histo-rischen Nutzung und Stadtentwicklung, andererseits liegen ehemalige Industrieareale heute häufig in dicht bebauten Gebieten und sind damit Teil gegenwärtiger Stadtplanung. In dem Forschungsprojekt sind Ziele und Konzepte im Umgang mit der Industriekultur an Fallbei-spielen aus verschiedenen Städten analysiert worden. Das Forschungsprojekt greift sozialwissenschaftliche Ansätze auf, um Konflikte über Konzepte und Ziele zu verstehen. Hierbei sind die Werte der unterschiedlichen planerischen Perspektiven (Diskurse) wichtig. Werte sind Letztbegründungen in Argumentationsketten und Entscheidungsfindungen. Die Ergebnisse fasst das Projekt „Die Transformationen historischer Industrie-areale“ zusammen.

Der Hafen von LiverpoolDas historische Hafengebiet von Liverpool ist seit 2004 Unesco-Welterbe (siehe IK 1.08, S. 43). Einen großen Teil des Geländes nimmt der historische Hafen mit seiner bedeutenden Schleusentechnik und seinen Hafen- und Lagerbauten, sowie den repräsentativen Gebäuden des Pier Heads ein. Der nördliche Teil des historischen Geländes liegt überwiegend brach und einige Hafenbecken wurden schon vor Jahrzehnten zugeschüttet. Hier soll ein neuer Stadtteil entstehen, der den industriellen Niedergang überwindet und eine schrumpfende Stadt in eine prosperierende verwan-delt. Dieses städtebauliche Großprojekt „Liverpool Waters“ ist Streitpunkt und gefährdet den Welterbe-Titel. Somit ist das Zusammenspiel von Stadtentwick-lung, neuer Architektur und Kulturerbeschutz an den zentralen Werten der denkmalgerechten Erhaltung – der visuellen Integrität und Authentizität – (vorläufig)

46 Industriekultur 4.15 · Selbst vorgestellt

Industriekultur und Stadtplanung Historische Industrieareale gehören ebenso zur Industriekultur wie zur Stadtplanung. Hier entstehen Konflikte, aber auch Potenziale für beide Bereiche. Um Fallbeispiele aus Liverpool, Oslo, Mailand und Winterthur geht es im vorliegenden 2. Teil der Artikelserie zu dem aktuellen Forschungsprojekt „Die Transformationen historischer Industrieareale“ (siehe IK 3.15, S. 50). Heike Oevermann

gescheitert. Dennis Rodwell ist Architekt und Berater im Bereich Denkmalschutz. Er hat den Konflikt für das Forschungsprojekt analysiert. Als „historic urban landscape“ (historische Stadtlandschaft) könnte laut Rodwell die Industrie- und Hafenstadt behutsam und entsprechend der aktuellen Nutzung erneuert werden. Dabei ist auch die Betrachtung der gesamtstädtischen Entwicklung von Bedeutung.

Das Areal Kabelgaten in OsloDas Beispiel Kabelgaten (Skandinavische Kabel- und Gummifabrik) in Oslo zeigt eine andere Herausforde-rung: Die Stadt wächst und es fehlt Raum für Wohnen und Arbeiten. Da liegt es nahe, die historischen Indus-trieareale in der Innenstadt umzunutzen. Dabei wider-spricht das städtebauliche Leitbild einer kompakten und grünen Stadt Oslo der baulichen Gestalt und dem industriellen Charakter des historischen Industrieare-als. Den Wert des „Grünen“ finden Stadtgesellschaft

oben: Die neue Bebauung auf dem Areal „Mann Island“ in Liverpool verdeckt den Blick auf den historischen Hafen. Foto: Dennis Rodwell, 2011

rechts: Auf dem ehemaligen Falck-Areal in Sesto San Giovanni in Mailand stehen große Stahl-skelette. Das Gelände ist aufgrund der guten Gleisanbindung für Investoren interessant. Foto: Heike Oevermann, 2013

Kontakt Dr. Heike Oevermann Georg-Simmel-Zentrum für Metropolenforschung Humboldt-Universität Berlin E-Mail: heike.oevermann@ gsz.hu-berlin.de

¿ Literatur Heike Oevermann, Harald A. Mieg (Hrsg.): Industrial Heritage Sites in Transformation, Clash of Discourses, Routledge, ISBN 978-0-415-74528-4, New York 2015

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und Vertreter der Stadtplanung wichtiger als die eigene Industriekultur. Der Wert steht dem für Denkmalschützer wichtigen Wert der Authentizität-Integrität entgegen. Even Smith Wergeland ist norwegischer Architektur-historiker, arbeitet als Erbemanager für die Stadt Oslo und hat dieses Spannungsfeld untersucht. Auch das vielversprechende Kulturerbemanagementsystem in der Stadtverwaltung kann diese Konflikte zwischen un-terschiedlichen Werten nicht auflösen. Für das Kabel-gatenareal bleibt zu hoffen, dass sich in der konkreten Architekturproduktion eine für die Industriekultur sen-sible Gestaltung durchsetzen kann.

Das Sulzer-Areal in WinterthurDie Schweizer Planungstradition und ihr sehr hoher Anspruch an architektonische Qualität helfen bei der Lösung von Konflikten. Auch das Areal des Maschinen-bauunternehmens Sulzer und der Schweizer Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM, 1961 mit Sulzer fusioniert) in der Stadtmitte soll durch die Umnutzung zu einem lebendigen, durchmischten Stadtteil werden (siehe IK 3.15, S. 48). Wie in allen historischen Industriearealen fehlte das städtische Grün – ein Mangel, den die intel-ligenten Interpretationen der Freiraumarchitekten be-heben. Andreas Hofer setzt sich bei dem Forschungs-projekt als Architekt mit der Umnutzung des großen Industrieareals in Winterthur auseinander und sieht die Stadt sich durch die Planung neu erfinden. Nach einem großen Eklat zu Beginn der 1990er Jahre – Sulzer wollte als Eigentümer eine Neuplanung des Areals nach einem Komplettabriss aller Bauten und Anlagen durchsetzen – haben die Akteure aus Stadtverwaltung und städtischen Vereinigungen sowie Eigentümer, Architekten und Kon-servatoren einen langen Dialog begonnen. Sie legten schützenswerte Objekte fest, gaben andere zum Teila-briss frei und führten umfangreiche Testplanungen für jeden Entwicklungsschritt durch. In dem seit 20 Jahren andauernden Prozess wird ein Stadtteil generiert, der zugleich seine industriekulturelle Prägung zeigt und sie doch soweit verändert, dass Wohnen, Arbeiten, Lernen und Freizeit Raum bekommen.

Porta Genova und Falck-Areal in MailandZwei Beispiele aus der Mailänder Stadtregion erforschte Giovanna Fossa, Professorin für Stadtplanung am Polytechnikum in Mailand. Die vergleichenden Fallbei-

oben: Das ehemalige Sulzer-Areal im schweizerischen Winterthur ist heute durch Grün- und Wasser-flächen aufgelockert. Foto: Heike Oevermann, 2010

unten: Im ehemaligen Industrie-viertel entlang der Mailänder Porta Genova können sich unterschied-liche Firmen ansiedeln, da die kleinteilige Struktur verschiedene Gebäudeformen bietet. Foto: Heike Oevermann

47Selbst vorgestellt · Industriekultur 4.15

spiele führen zwei weitere wichtige Aspekte in die Diskussion ein: erstens die Unterschiedlichkeit der städtebaulichen Strukturen historischer Industrieareale und die damit unterschiedlichen Potenziale für Umnut-zung und zweitens die Kreativindustrie als neue Nut-zer historischer Industrieräume. Die Kreativindustrie mit Modemachern und anderen Designern ist in die alten Fabriken entlang der Porta Genova gezogen. Ei-gentümer und Nutzer eigneten sich das Areal mit der kleinteiligen Stadtstruktur ausgehend von den eigenen Ansprüchen in sogenannten Bottom-up-Prozessen an. Die von der Stadtverwaltung weit interpretierte Nut-zungsfestlegung als Industriequartier vereinfacht die Umnutzung. Viele kleine Firmen verbinden hier Arbeiten und Wohnen. Ausstellungsräume liegen neben der Pro-duktion und guten Restaurants. Das überzeugt Kunden und Kreative, die zwischen Arbeitszeit und Freizeit kaum unterscheiden. Das ehemalige Falck-Areal in Sesto San Giovanni an der Stadtgrenze von Mailand hat eine ganz andere Basis. Wenige, riesige Stahlskelette ehemaliger Fabrik-hallen ragen als Industriedenkmale über die weiträumige Brache. Wo früher Stahlrohre hergestellt wurden, ist heute die Gesundheitsbranche mit einem großen Gesundheitszentrum der erste neue Nutzer und will die historisch bedingte, gute Anbindung an die Bahn-strecke Mailand-Monza weiterentwickeln. Während in Mailand die kleinteilige Industriestruktur als urbane Ressource funktioniert, könnte sich in Sesto die Schie-nenanbindung als Potenzial erweisen.

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48 Industriekultur 4.15 · Denkmal mit Perspektive

Basler Bahnhofshalle zieht ins Zürcher OberlandDie erste Bahnhofshalle der Stadt Basel zog in das Zürcher Oberland und wurde auch dort in Bauma im September 2015 erneut eingeweiht. Die 150 Jahre alte Halle dient dort auch der Museumsbahn des Dampfbahn-Vereins Zürcher Oberland als Bahnhof. Yvonne Scheiwiller

Baudenkmale sollen an ihrem ursprünglichen Standort erhalten bleiben – so der Kanon der Denkmalpflege. Aber nicht alle Baudenkmale sind als Immobilien erstellt worden. Die mittelalterlichen Häuser der Zentralschweiz waren zum Beispiel Mobilien mit nummerierten Balken, die einfach ab- und wieder aufgebaut werden konnten. Manchmal gehen auch Bahnhofshallen oder Bahnhöfe auf die Reise. Der erste Bahnhof von Zug steht heute zum Beispiel in Zürich-Wollishofen und der Chaletbahnhof von Cham bei Zug im schwyzerischen Bäch am Zürichsee. Im September 2015 wurde die erste Bahnhofshalle von Basel in Bauma wieder eröffnet. Sie stammt von Lud-wig Maring, dem damaligen Chefarchitekt der Schweize-rischen Centralbahn (die später in der Schweizerischen Bundesbahnen AG, SBB, aufging). Die Halle im damals po-pulären Schweizer Holzstil ist nicht direkt von Basel nach Bauma gelangt. Dazwischen diente sie mehr als 100 Jah-re als Lagerschuppen und Schreinerwerkstatt den SBB-Werkstätten in Olten. 1860 war die Bahnhofshalle als eine von zwei Hal-len des Basler Centralbahnhofs errichtet worden; als der heute noch stehende „neue“ Bahnhof entstand, wurde sie dort 1905 ab- und in Olten wieder aufgebaut. Es ist gro-ßes Glück, dass der Wert der Halle von den SBB erkannt

oben: Am 6. September 2015 wurde die 1860 in Basel errichtete Halle in Burma zum dritten Mal in Betrieb genommen.

links unten: Holzschnitzerei im sogenannten Laubsägestil verziert die Hallenfront.

rechts unten: Eine Dampflok der ehemaligen Schweizerischen Central-bahn fährt in die Bahnhofshalle. Die neue Halle in Bauma ist der Bahnhof der Museumsbahn der DVZO.

Fotos: Yvonne Scheiwiller, 2015

wurde und sie mit den Maßen 101 Meter mal 17 Meter genau auf das Bahnareal von Bauma passt. Die filigrane Bahnhofshalle wurde für die erhöhte klimatische Bean-spruchung in Bauma und die Erfüllung der neuen Sicher-heitsnormen nachgerüstet. Zudem fehlten einige Teile und ein Drittel der Holzelemente war nicht mehr brauchbar. Holzschnitzereien im sogenannten Laubsägestil, gussei-serne Elemente und die Dampflaterne (Laternendach) auf dem Dach wurden rekonstruiert. Bauma ist zwar nur ein Nebenbahnhof der SBB (der Linie Rüti-Winterthur), aber quasi der Hauptbahnhof der Museumsbahn des Dampfbahn-Vereins Zürcher Oberland (DVZO), die durch die neue Halle ein Dach erhielt. Der Ver-einszweck des DVZO ist der Erhalt historischer Dampf- und Elektrolokomotiven, weiteren Rollmaterials sowie der Bahnstrecke Bauma-Hinwil. Für die Revitalisierung des al-ten Industriegebietes Zürcher Oberland mit seinen Indust-rielehrpfaden und Museumsfabriken ist die Museumslinie quasi die Hauptschlagader geworden. Es gibt noch eine historische Bahnhofshalle, welche auf eine Wiederinbetriebnahme wartet. Die Halle des Bahnhofs Herzogenbuchsee wurde unter Schirmherr-schaft der Denkmalpflege des Kantons Bern eingelagert und wartet auf einen neuen Einsatz.

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49Industriekultur in den Regionen · Industriekultur 4.15

Baden-Württemberg

Kuchen

Route der Industriekultur eingeweiht Der Verband Region Stuttgart hat im Juli 2015 die Route der Industriekultur im Filstal offiziell eingeweiht. Der Festakt nach zweijähriger Vorbereitungszeit (siehe IK 1.14, S. 48) fand in der sanierten Arbeitersiedlung des Textilfabrikanten Arnold Staub in Kuchen statt, teilte der Verband mit. Gleichzeitig stellte das Landesamt für Denk-malpflege (Esslingen) dort ein neues Arbeitsheft zur Industriedenkmalpflege vor. Auch zu der Route im Filstal ist eine Broschüre erschienen, die von der Website industriekultur-filstal.de heruntergeladen werden kann. Das Filstal ist eine bedeutende Keimzelle der frühen Industrialisie-rung in der Region Stuttgart: Wassermühlen, erste industrielle Betriebe und der Bau der Eisenbahn kennzeichnen den Weg zum Wohlstand ent-lang der Fils. Der Verband Region Stuttgart und die 16 Gemeinden des Filstals – unter anderem Plochingen, Göppingen und Geislingen – haben sich zusammengetan, um diesen Schatz mit einer Route der Industriekultur noch stärker ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. S.B.

Bayern

Unsleben

Dampfsägewerk stellt Betrieb ein Der Kesseldampfmaschine der in Konkurs geratenen Nordbayerischen Holzindustrie GmbH in Unsleben in der Rhön droht die Verschrottung. Holzhändler haben Teile des Unter-nehmens übernommen und dürfen die Maschine zum Beheizen der Tro-ckenkammern noch bis Ende 2015 betreiben, teilte der Insolvenzver-walter Dean Didovic (Schwartz Rechtsanwälte) im November 2015 in Würzburg mit. Anschließend würde die Maschine verwertet – also ver-kauft oder verschrottet, hieß es. Darum kümmere sich die Hanseatische Industrie-Consult Holger Haun & Tom Thomsen KG in Hamburg (www.ht-kg.de). Das unterfränkische Furnier- und Sägewerk hatte im März 2015 In-solvenz anmelden müssen, weil die 1862 gegründete Firma nach Anga-ben des Insolvenzverwalters mit ihren Preisen nicht mehr mit Herstel-lern aus Osteuropa und Furnier-Imitaten aus Kunststoff konkurrieren konnte. Der Betrieb hätte in Unsleben zuletzt 63 Beschäftigte gehabt. Bei der gepflegten Dampfmaschine handelt es sich um eine 1961 von der Maschinenfabrik Buckau R. Wolf AG in Grevenbroich erbaute Loko-mobile mit 350 PS (siehe IK 4.09, S. 46, und IK 4.07, S. 42). Sie verfeuerte typischerweise Holzreste, erzeugte damit Strom und Prozessdampf. S.B.

Berlin

Schultheiss-Brauerei wird Einkaufszentrum Die ehemalige Schultheiss-Brauerei in Berlin-Moabit und benachbarte Grundstücke werden bis Ende 2016 zu einem Einkaufs- und Dienstleistungszentrum mit etwa 150 Geschäften und Gastronomiebetrieben umgebaut. Zusätzlich werden Büros, ein Hotel und Parkplätze errichtet, teilte die HGHI Schultheiss Quartier GmbH & Co. KG weiter mit. Derartige Projekte seien in anderen Stadtbezirken bereits die Regel, konstatierte die Berliner Zeitung Der Tagesspiegel. Nur die Brauerei in Moabit habe lange kaum jemand beachtet, nun verschwinde auch hier ein Stück Kiezkultur. Nachdem Schultheiss den Standort 1980 stillgelegt hatte, zogen hier Fitnessstudios, Gastronomie,

Werkstätten und Läden ein. 2013 hätte dann Harald Huth, der bereits wegen seiner „Mall of Berlin“ in die Schlagzeilen geriet, das Areal erworben. An-wohner hätten gegen das Moabiter Projekt geklagt – und recht bekommen: 2014 kippte das Oberverwaltungsgericht den Bebauungsplan. Doch das Bezirksamt hatte nach Angaben der Zeitung einen Tag vor dem Urteil eine Baugenehmigung erteilt – deshalb dürfe gebaut werden. Der bis in das Jahr 1826 zurückreichende Brauerei-Komplex zählt zu den markantesten Industriedenkmalen Moabits. Zu den ältesten Bauten gehört das imposante Sudhaus, das 1872–74 nach den Plänen von Friedrich Koch errichtet wurde. Für die Gestaltung der Schauseite an der Stromstraße verwendete der Architekt einen mittelalterlich-wehrhaften Burgenstil mit vorspringenden Ecktürmen. Für die Neubauten wurden im Sommer 2015 auch einige ältere Bauten – wie Gründerzeit-Wohnhäuser – abgerissen. Das Sudhaus und andere denkmalgeschützte Gebäudeteile sollen integriert werden. Allerdings verschwanden dort drei denkmalgeschützte Braukessel aus Kupfer – auf „rätselhafte Weise“, wie Medien berichteten. Marc Schnell

Von dieser im 19. Jahrhundert errichteten Halle auf dem Hof der ehemaligen Schultheiss-Brauerei in Moabit soll nur eine Wand übrig bleiben – die neue „Shopping Mall“ verdrängt die Kiezkultur. Foto: Marc Schnell, 2015

Gaswerk Grünau saniert Das kleinste von ehemals 33 Berliner Gas-werken ist 2014/15 aufwendig saniert und zu einem Wohnhaus umge-baut worden: Die 1899 in der damaligen Gemeinde Grünau errichtete Anlage war nur etwa 30 Jahre in Betrieb, diente seit 1934 einer Gießerei und steht seit 1997 unter Denkmalschutz. Dies geht aus einer 2007

Etwas eingeklemmt zwischen altem Kontorhaus an der Regattastraße und neuem Mehr-familienhaus (rechts) ist das Ofenhaus des Gaswerkes Grünau aufwendig saniert worden. Foto: Corinna Nickel, 2015

Industriekultur in den Regionen

Page 56: Industriekultur 4mit ihr stand im Vergleich zur Wasserkraft auf einmal ein Vielfaches an Antriebskraft zur Verfügung, die sich außer-dem mit der Zeit immer flexibler einsetzen ließ

50 Industriekultur 4.15 · Industriekultur in den Regionen

ketten- und Schaufelradbagger. 2008 wurden dort laut Vattenfall noch etwa 4 Millionen Tonnen Rohbraunkohle gefördert. Die zweite Förderbrücke war bereits zu Beginn der 1990er Jahre stillgelegt und 1995 gesprengt worden. Heiko Wenke

Eberswalde

DDR-Wirtschaftsgeschichte online Auf Initiative der Gesellschaft zur Erforschung und Förderung der Märkischen Eiszeitstraße e. V. hat sich nach eigenen Angaben vom November 2015 eine Gruppe von etwa 20 Menschen aus Eberswalde zusammengefunden, welche die Wirt-schaftsgeschichte der Stadt in der Zeit von 1945 bis 1990 am Beispiel wichtiger Betriebe aufarbeitet. Sie wird unter anderem auf der Internet-seite wirtschaftsgeschichte-eberswalde.de präsentiert. In der Gruppe arbeiten viele Leute mit, welche einst in leitenden Funktionen tätig waren und somit aus eigenem Erleben berichten können. Es geht unter ande-rem um das Walzwerk Finow, den Kranbau Eberswalde, die Chemische Fabrik Finowtal und den Rohrleitungsbau Finow sowie die Verkehrsbe-triebe und eine Reihe von landwirtschaftlichen Betrieben. S.B.

Premnitz

Keimzelle der Chemieindustrie abgebrochen Mit einem Festakt hat die Stadt Premnitz den schon im Frühjahr 2015 begonnenen Abriss der ehemaligen Viskose-Anlage im September offiziell gestartet. Nun wurde mit dem Abbruch der gewaltigen Hallen und der beiden großen Schornsteine begonnen, berichtete die Tageszeitung Märkische Allgemeine weiter. Bis Februar 2017 würde die zehn Hektar große „Viskose-Brache“ für etwa zehn Millionen Euro revitalisiert, also für In-vestoren neu erschlossen. Bei dem Abbruch bis in eine Tiefe von 3,50 Meter würden wohl 150 000 Tonnen Bauschutt anfallen. Die bis 2002 genutzte Fabrik sei die letzte große Industriebrache der Havelstadt gewesen und war Keimzelle der chemischen Industrie dort und damit Grundlage des modernen Premnitz, welches mit seinem Chemiefaser-werk „Friedrich Engels“ für die DDR eine große Bedeutung hatte. Hier entstanden die Kunstfasern Dederon (seit 1954) , Wolpryla (1960) und Grisuten (1961) – fast Synonyme für die Chemieindustrie der DDR. Die Viskose-Anlage war ein beeindruckender Bau, deren wuchtige Architektur deutlich sichtbar auf die Bauzeit verwies: Sie entstand seit 1915 als Werk der Köln-Rottweiler Pulverfabrik, um Schießbaumwolle aus Nitrozellulose herzustellen. Damals hatte Premnitz nur etwa 650 Einwohner, nun musste es etwa 4 000 Arbeiter für den Aufbau der Indus-triestadt aufnehmen: Bereits 1917 waren hier 7 500 Menschen ansässig. Nach dem Ersten Weltkrieg schwenkte das Werk rasch auf Friedenspro-duktion um und stellte 1920 mit der Vistra die erste Zellwolle der Welt her. Das später zur IG Farben gehörende Unternehmen wurde dann ein wichtiger Baustein der DDR-Wirtschaft und beschäftigte in den 1980er Jahren etwa 6 500 Menschen, bevor es ab 1990 stark umstrukturiert wurde und in Resten als Märkische Faser AG weiter besteht. S.B.

Mit ihren Schornsteinen und gewaltigen Hallen machte die ehemalige Viskose-Anlage in Premnitz bis zum Schluss großen Eindruck. Foto: Sven Bardua, 2013

von der Fachgruppe Historische Bauforschung an der Technischen Uni-versität Berlin veröffentlichten Masterarbeit von Sybille Frank und Corinna Janßen (verheiratete Nickel) hervor. Die Anlage an der Regattastraße stehe repräsentativ in der Nähe der Grünauer Brücke an dem Beginn des von der Dahme abzweigenden Teltowkanals. Sie bestehe aus dem Ofenhaus mit einem westlich angebauten Apparatehaus und einem 1941 von der Gießerei errichteten Anbau auf der Ostseite. Der Komplex war stark mit Schadstoffen belastet und befand sich schließlich in einem desolaten Zustand. Trotzdem wurden er saniert. Wie aus anderen Archi-valien hervorgeht, hatte dort die Eisengießerei Karl Eitner (seit 1965 Kunstgießerei Behr, seit 1972 VEB Kunstschmiede Berlin) ihren Sitz. Wie die Gratis-Zeitung Berliner Woche berichtete, wurden in das Gas-werksgebäude fünf Wohnungen eingebaut. „Die Sanierung ist in meinen Augen gelungen“, lobte eine Autorin der Masterarbeit, Corinna Nickel, im September 2015 das Bauvorhaben. Der kleine neue Anbau auf der Westseite passe gut dazu – zumal an der selben Stelle zu DDR-Zeiten ein aus unterschiedlichem Material hergestellter Anbau gestanden hat. Aller-dings stehe der Wohnhaus-Neubau zu nah am Altbau, stellte sie fest. Unabhängig davon wurde das ehemalige Kontorhaus des Gaswerkes an der Regattastraße 10 von einer Familie instandgesetzt. S.B.

Brandenburg

Cottbus

Tagebaubetrieb beendet Der Energiekonzern Vattenfall hat im August 2015 die Förderung im Braunkohlentagebau Cottbus-Nord beendet. Es war der letzte Tagebau in Deutschland, in welchem die Bagger die Roh-kohle direkt in Eisenbahnzüge verluden, die damit über die Tagebausohle zum Kraftwerk fuhren. Das damit versorgte Kraftwerk Jänschwalde bekommt seine Kohlen in Zukunft allein vom gleichnamigen Tagebau in der Nachbarschaft, teilte die Vattenfall Europe Mining AG mit. Im Restraum des Tagebaus Cottbus-Nord entstehe bis zum Jahr 2030 der größte See Brandenburgs: Der Cottbuser Ostsee soll eine Fläche von 1 900 Hektar haben. In dem etwa fünf Kilometer nordöstlich der Stadt Cottbus gelegenen Tagebau wurde das 2. Lausitzer Flöz abgebaut, das hier nach Angaben von Vattenfall unter einer etwa 32 bis 40 Meter starken Überlagerungeine Mächtigkeit von etwa 8,50 bis 11,00 Metern erreichte. Am 8. April 1981 fuhr von hier der erste Kohlenzug in das Kraftwerk Jänschwalde. Aber erst mit der Inbetriebnahme von zwei Abraumförderbrücken des Typs F34 in den Jahren 1983 und 1985 erreichte der Tagebau seine volle Kapazität von etwa 6 bis 7 Millionen Tonnen pro Jahr. Während Bagger des Typs Es 1120 das Flöz freilegten und die etwa 300 Meter lange F34 diesen sandigen Boden auf die ausgekohlte Seite des Tage-baus verkippte, arbeiteten in der Rohbraunkohle bis zuletzt Eimer-

Schaufelrad- und Eimerkettenbagger befüllten im Tagebau Cottbus-Nord die in das Kraft-werk Jänschwalde fahrenden Kohlenzüge. Foto: Heiko Wenke, 2015

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51Industriekultur in den Regionen · Industriekultur 4.15

Hamburg

Neues Hafenmuseum mit dem Großsegler „Peking“ Es ist eine Sensation: Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat im November 2015 in Berlin 120 Millionen Euro für ein neues Hafenmuseum in Hamburg sowie die Restaurierung der historischen Viermastbark „Peking“ bewilligt. Vorher aber muss der 1911 auf der Hamburger Groß-werft Blohm & Voss gebaute Großsegler noch mit einem Spezialschiff aus New York über den Atlantik gebracht werden, wie norddeutsche Zei-tungen im November außerdem berichteten. Die „Peking“ ist einer der legendären Flying-P-Liner der Hamburger Reederei Laiesz – als schnelle und große Frachtschiffe wurden sie für lange Touren nach Südamerika gebaut. Dazu zählen auch die in Lübeck-Travemünde liegende „Passat“, die „Pommern“ in Mariehamn (Ålandinseln) sowie die unter russischer Flagge fahrende „Kruzenshtern“ (1926 als „Padua“ vom Stapel gelaufen). Die „Peking“ gehört seit langem zum Schifffahrtsmuseum im New Yorker Stadtteil Manhattan. Die Amerikaner sind bereit, das 115 Meter lange, arg ramponierte Segelschiff zu verschenken. Doch bisher fehlte den Hambur-gern für die Folgekosten das Geld. Für die Förderung aus Berlin hatten sich viele Jahre die Hamburger Bundestagsabgeordneten Rüdiger Kruse (CDU) und Johannes Kahrs (SPD) stark gemacht. Kruse stellte das zukünftige Hafenmuseum auf eine Stufe mit der Zeche Zollverein in Essen und der Völklinger Hütte im Saarland. Mit der „Peking“ wird das Hafenmuseum an den 50er-Schuppen (bisher Teil des Museums der Arbeit) aus Sicht der Hamburger Kulturbehörde neu ausgerichtet, so die Presse. Nun würde dafür ein Konzept erarbeitet. Erst-mals soll damit ein eigenständiges großes Museum für die Wirtschafts- und Kulturgeschichte des Hafens entstehen. S.B.

Was wird aus Schuppen 29? Der prominent auf dem Baakenhöft ste-hende Westteil des Hafenschuppens 29 soll eine „Kultur- und Eventhalle“ in der Hamburger Hafencity werden. Dies kündigte die Hafencity GmbH laut regionaler Medien 2013 an. Doch dann lagen die Pläne für den Um-bau der 8 000 Quadratmeter großen Halle vorerst auf Eis, berichtete der Norddeutsche Rundfunk (NDR). Denn der Schuppen hätte einem Besucher-zentrum weichen sollen, wenn die Stadt den Zuschlag für die Olympischen Sommerspiele 2024 erhalten hätte. Doch in Hamburg wird nun nach der Volksbefragung im November 2015 nichts aus Olympia, deshalb sollen die Umbaupläne wieder aus der Schublade geholt werden. Angestrebt werde laut Medien allerdings nur eine Zwischennutzung, weil die Stadt den expo-nierten Bauplatz auf Dauer nicht aus der Hand geben wolle. Der von 1969 bis 1971 erbaute Schuppen 29 zählt zu den wenigen historischen Bauten in der Hafencity und fällt wegen seines von Mittelstützen abgehängten Dachtragwerkes sowie der gewaltigen Ausmaße auf. Denn dieser „zentrale Großschuppen“ des damals neuen Afrika-Terminals nahm auf der Landzun-ge zwischen Baakenhafen und Norderelbe den Platz von zwei klassischen Hafenschuppen ein. Er repräsentiert außerdem das Auslaufen des Stück-

Von dem Schuppen 29 im Hamburger Hafen blieb nur der Westteil stehen. Er soll eine Veranstaltungshalle werden. Foto: Sven Bardua, 2014

gutumschlages. Die Reederei Deutsche Afrika-Linien hatte dort nach starkem Umschlagwachstum das Afrika-Terminal gebaut, schreibt der Künstler Christian Terstegge auf seiner Internetseite www.christian-terstegge.de. Dazu waren die alten Schuppen 29 bis 32 abgerissen und eine Kaimauer verlängert worden. 1975 wurde das Terminal erweitert und 1979 die erste Containerbrücke aufgestellt. Seitdem diente es auch dem Umschlag von Containern, Schwergut sowie Ladung im Ro-Ro-Verkehr. 1985 übernahm die Stauerei Gerd Buss die Anlage, ehe sie von 2003 bis 2012 von dem Baustoffgroßhändler OAM für den Bau der Hafencity genutzt wurde. S.B.

Röstturm als „Denkmal“ der Joachim-Herz-Stiftung Mit ihrem im Juni 2015 eingeweihten Neubau hat die Joachim-Herz-Stiftung in Hamburg einen Altbau zum „Denkmal“ gekürt: den 1953 errichteten und später zu einem Bürohaus umgebauten Turm der Kaffeerösterei Pabel & Co. (Slogan: „Pedro Kaffee – mit diesem Hut ist Kaffee gut.“). Wie die Gratis-Zeitung Ham-burger Wochenblatt weiter berichtete, war der Kaffee-Großhändler Tchibo 1968 bei Pabel eingestiegen; Tchibo-Miterbe Joachim Herz führte vom Dach des Turms aus seine Geschäfte. 2008 starb Herz. Bald darauf wurde die Stiftung gegründet, die mit einem Vermögen von mehr als 1,3 Milliarden Euro zu den größten in Deutschland zählt. Sie fördert Wissenschaft und For-schung in den Naturwissenschaften sowie Persönlichkeitsbildung von jungen Menschen. Für den Verwaltungsneubau für bis zu 80 Beschäftigte sowie für Veranstaltungsräume wurden an der Langenhorner Chaussee 384 die alten Lagerhallen der Rösterei abgebrochen, doch der Röstturm – ein schlichter Stahlskelett-Rotstein-Kubus – sollte mitten in dem sonst beliebig wirkenden Gewerbegebiet stehen bleiben. Daraus entwickelten Kitzmann Architekten ein überzeugendes Konzept, woraufhin der Architekten- und Ingenieurverein (AIV) Hamburg nach eigenen Angaben das Ganze zum Bauwerk des Jahres kürte. „Um dieses ‚Ausrufungszeichen‘ herum ‚mäandert‘ der Ge-bäudekomplex, und damit dieses Zeichen den  Betrachter auch anspricht, ihn anrührt, wurde es wirkungsmächtig in Szene gesetzt“, lobte der AIV. In den Turm eingezogen ist ein Auditorium und die Stiftungsbibliothek. S.B.

Dampfbarkasse „Otto Lauffer“ wird restauriert Die Restaurierung der mit Dampf betriebenen Polizeibarkasse „Otto Lauffer“ ist gesichert. Die Wirtschafts- und die Kulturbehörde in Hamburg haben erklärt, sich an den Kosten des Projektes mit 490 000 Euro zu beteiligen, teilte der Eigner des denkmalgeschützten Schiffes, der Museumshafen Oevelgönne e. V., im November 2015 in Hamburg mit (www.museumshafen-oevelgoenne.de). Auf Initiative der örtlichen SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs und Matthias Bartke habe der Bund bereits aus dem Sonderprogramm Denkmalschutz 400 000 Euro für das Projekt zur Verfügung gestellt. Damit sei die Zukunft der einzigen erhaltenen Dampfbarkasse gesichert. Die Ge-neralrestaurierung werde wohl 2016 beginnen: Unter anderem werde das Schiff einen neuen Dampfkessel erhalten. Anfang der 1980er Jahre war es zwar auf der Werft Blohm & Voss aufwendig restauriert worden, doch 2003 erlosch die Betriebserlaubnis für den irreparablen alten Kessel; eine begon-nene Grundsanierung des Schiffes ruht seit 2010.

Von 1928 bis 1968 fuhr die „Otto Lauffer“ in Hamburg als Polizeibarkasse unter dem Namen „Hafenpolizei VI“. Foto: Archiv Museumshafen Oevelgönne e. V.

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52 Industriekultur 4.15 · Industriekultur in den Regionen

Sitz des Museums ist ein für die Kornhaus Genossenschaft Einbeck errichteter Getreidespeicher aus dem Jahr 1898, der 1914 erweitert wurde. Dieser Anbau stürzte 1933 ein und wurde in ähnlichem Stil neu aufgebaut. Der schließlich 1961 daneben errichtete Silobau soll ebenfalls für das Museum genutzt werden. 2009 hatte der Einbecker Kaufmann Karl-Heinz Rehkopf das Kornhaus übernommen, um darin nach Angaben des Museums den nun von einer Stiftung getragenen PS-Speicher zu verwirklichen. Zwischen 2012 und 2014 sei es denk-malgerecht restauriert und umgebaut worden. Ein Förderverein unter-stütze das Projekt. Ulrich Schildberg

Mit kraftvollem Sound und cirka 250 PS von Sittensen nach Einbeck: eine etwa 1962 von Krupp gebaute Zugmaschine des Typs 1080 mit charakteristischem Hauben-Führerhaus. Foto: Peter Nalik, 2015

Helmstedt

Braunkohle-Revier wird abgewickelt Die Mitteldeutsche Braunkohlen-gesellschaft mbH (Mibrag) in Zeitz wickelt das erst 2013 übernommene Helmstedter Revier ab, um einen Beitrag für die Klimaschutzziele der Bundesregierung zu leisten. Dies teilte die Tochtergesellschaft Helm-stedter Revier GmbH im Oktober 2015 mit, nachdem sich Mibrag und Bundeswirtschaftsministerium in der Hinsicht verständigt hatten. Somit werde das Kraftwerk Buschhaus zum 1. Oktober 2016 für vier Jahre in die Sicherheitsbereitschaft genommen und dann stillgelegt. Die Helm-stedter Revier GmbH (einst Braunschweigische Kohlen-Bergwerke AG, BKB) wollte den benachbarten Tagebau Schöningen planmäßig auskohlen und das Kraftwerk Buschhaus anschließend noch bis 2030 mit Brenn-stoff aus den mitteldeutschen Tagebauen Profen und Schleenhain der Mibrag versorgen. Vor diesem Hintergrund hatte die Mibrag 2013 der Eon Kraftwerke GmbH die BKB abgekauft. Die hatte Kraftwerk und Tagebau eigentlich schon 2017 stilllegen wollen.

1984 nahm die Braunschweigische Kohlen-Bergwerke AG den von Orenstein & Koppel erbauten Bagger 44 im Tagebau Schöningen in Betrieb. Foto: Sven Bardua, 2002

Die städtische Schifffahrtspolizei hatte die Dampfbarkasse 1928 als „Hafenpolizei VI“ auf der Hamburger Werft H. C. Stülcken Sohn bau-en lassen und betrieb sie bis 1968. Im folgenden Jahr übernahm der Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte, Walter Hävernick,die Barkasse in seine Sammlung – als von Ehrenamtlichen betriebenes Museumsschiff. Das war damals ein neuartiges Konzept. Zu Ehren des ersten Museumsdirektors wurde sie in „Otto Lauffer“ umbenannt und ist seitdem der erste deutsche Museumsdampfer. S.B.

Weiterer Traditionszug der S-Bahn Die S-Bahn Hamburg GmbH und der Verein Historische S-Bahn Hamburg e. V. haben im Oktober 2015 einen neuen Traditionszug der S-Bahn vorgestellt: Der dreiteilige Triebwa-genzug mit den Nummern 470 128-0, 870 128-6 und 470 428-4 ist nach neun Jahren Arbeit wieder in Betrieb genommen worden. Dies teilten DB Mobility Logistics AG und der Verein (www.hish.de) mit. Der 1969 abge-lieferte Zug ist ein typischer Vertreter der Nachkriegszeit mit runden Formen und Panoramaverglasung. Seit 1959 hatte die Hamburger S-Bahn 45 dieser Triebwagenzüge beschafft. Der Traditionszug befand sich bis 2002 im regulären Einsatz und wurde noch einmal für Sonderfahrten bis 2006 hervorgeholt. Seitdem wurde er im S-Bahn-Werk Ohlsdorf aufwendig in-standgesetzt, dabei der Zustand von 1993 wiederhergestellt. Nun steht er für Sonderfahrten zur Verfügung. S.B.

Stilecht mit alten Uniformen präsentierten der Verein Historische S-Bahn Hamburg e. V. und die S-Bahn Hamburg GmbH in der Station Othmarschen ihren neuen Traditionszug. Foto: DB Mobility Logistics AG

Niedersachsen

Einbeck

Zuwachs für Oldtimer-Museum Der PS-Speicher in Einbeck bei Nort-heim hat Zuwachs erhalten. In einem fast zwei Kilometer langen Konvoi wur-den 44 historische Nutzfahrzeuge im September 2015 von Sittensen bei Hamburg nach Einbeck überführt. Das teilte das Oldtimer-Museum (Tiedexer Tor 3, 37574 Einbeck, Tel. 0 55 61 / 92 32 00, Internet: ps-speicher.de) mit. Die Fahrzeugpalette des Korsos reichte vom Hanomag-Dreirad bis zum Schwerlastzug. Viele der Fahrzeuge stammten aus der privaten Sammlung des verstorbenen Bauunternehmers Emil Bölling aus Castrop-Rauxel. Sie stand lange Zeit in dem von Bölling betreuten Mobilen Fahr-zeugmuseum des Gebrauchtfahrzeug-Händlers Alga in Sittensen. Um die neuen Exponate in Einbeck ausstellen zu können, soll nach Angaben des Museums eine weitere Halle errichtet werden. Im Oktober hätte neben dem PS-Speicher bereits der Bau einer Multifunktionshalle begonnen. Der PS-Speicher biete auf einem Areal von etwa 25 000 Qua-dratmetern einen Erlebnis- und Ausstellungspark: eine Dauerausstellung mit etwa 300 Exponaten, eine zweite Fläche für Sonderausstellungen, Gastronomie und einen Fahrsimulator. Im November 2015 ist ein Hotel hinzugekommen.

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53Industriekultur in den Regionen · Industriekultur 4.15

Mit dem Aus für das Kraftwerk Buschhaus endet die mehr als 200 Jahre dauernde Geschichte des Helmstedter Reviers (siehe IK 3.02, S. 43, IK 4.02, S. 26, und IK 2.06, S. 56). Das 1985 in Betrieb genommene Kraft-werk war Symbol für heftige Auseinandersetzungen in Sachen Umwelt-schutz. Denn die BKB wollte die schwefelhaltige Salzkohle aus dem Tagebau Schöningen zunächst ohne eine Rauchgasentschwefelungsanlage verbren-nen. Schließlich verfügte der Deutsche Bundestag am 31. Juli 1984 einen Kompromiss, wonach das Kraftwerk bis zur Inbetriebnahme einer Rauchgas-reinigung nur mit schwefelarmen Kohlensorten betrieben werden durfte. Die Anlage in Büddenstedt hat eine Bruttoleistung von 390 Megawatt und einen der höchsten Schornsteine in Deutschland: Der Schlot ist nach Angaben des Betreibers 300 Meter hoch. S.B.

Preten

Alte Bahnstrecke in ungestörter Natur Die ehemalige Eisenbahn-brücke über die Sude in Preten (Landkreis Lüneburg) ist baufällig, wes-halb die Sperrung für Fußgänger und Radfahrer droht. Eine Sanierung würde zwischen etwa 167 000 Euro (Wanderwegnutzung weiter mög-lich) und 577 000 Euro (Komplettsanierung) kosten. Dies ergaben von einem Bauingenieur ermittelte Schätzungen, berichtete das Hagenower Kreisblatt im März 2015. Seitdem setzen sich die Bürger in der Region für „ihre“ Brücke ein, informieren die Öffentlichkeit über die Probleme und hoffen auf übergeordnete Hilfe. Als Stützpunkt dient das in der Nähe der Brücke gelegene Empfangsgebäude der ehemaligen Bahnstation Preten, in dem heute das Café „Schwarzes Schaf“ sitzt. Die Brücke gehört zur 1912 eröffneten Kleinbahn zwischen dem an der Berlin-Hamburger Eisenbahn gelegenen Brahlstorf (Mecklenburg) und Neuhaus in der niedersächsischen Elbniederung. Große Teile der Trasse werden als Wanderweg genutzt: Ein Tour darauf abseits des Straßenverkehrs durch die Flussniederung bietet vor allem reizvolle Erlebnisse in ungestörter Natur. Aussichtstürme an der Trasse bieten den Besuchern Einblicke in das Biosphärenreservat. Der Bahnbau in der nassen Niederung war einst aufwendig gewesen, lohnte aber. Vor allem Getreide, Vieh, Holz, Brenn- und Baustoffe wurden auf den Gleisen transportiert. 1968 wurde der Personenverkehr eingestellt, 1972 auch der Güterverkehr. Aber viele Bauten blieben entlang der 10,67 Kilometer langen Strecke erhalten. Das größte Bauwerk ist die 79 Meter lange Brücke in Preten: Mit drei großen Parallelträgern aus Stahlfachwerk quert der 1911 von der Firma Louis Eilers (Hannover) errichtete Bau die Sude. S.B.

Das größte Bauwerk der Kleinbahn Brahlstorf–Neuhaus war die Brücke über die Sude in Preten. Foto: Sven Bardua, 2015

Wilhelmshaven

Schnellboot für das Marinemuseum Ein Schnellboot der Klasse 143 A, das „S 71 Gepard“, ist im Oktober 2015 in das Marinearsenal nach Wil-helmshaven überführt worden. Es wird demilitarisiert und zieht dort in das Deutsche Marinemuseum ein. Dies teilte der 1999 gegründete Förderverein Museums-Schnellboot e. V. (www.foerderverein-museums-schnellboot.de)

mit. Das Schiff mit Holzrumpf und Leichtmetallaufbauten ist dann das wich-tigste Exponat zur fast 100jährigen Geschichte der deutschen Schnell-boote. Die im Dezember 2014 in Rostock-Warnemünde außer Dienst ge-stellte „S 71 Gepard“ ist das erste Schiff der von 1982 bis 1984 auf der Lürssen-Werft in Bremen-Vegesack und der Kröger-Werft in Rendsburg gebauten zehn Einheiten der Gepard-Klasse, die aus der Albatros-Klasse 143 entwickelt wurde. Die Gepard-Boote sind 57,60 Meter lang, haben eine Verdrängung von 390 Tonnen und einen Tiefgang von bis zu 2,60 Meter. Die vier Dieselmotoren mit je 3 300 Kilowatt beschleunigen sie auf bis zu etwa 42 Knoten. Bis Ende 2016 sollen die verbliebenen Schiffe als letzte Schnellboote der Bundesmarine ausgemustert werden, weil sie nicht mehr in das Konzept passen. Der Verein hatte mehrere Anläufe gestartet, um ein Boot zu bekommen. 2004 wollte er ein Schnellboot des Typs „Seeadler“ von der griechischen Marine zurückholen, das der Bund in den 1970er Jahren dorthin verkauft hatte. Nach zwei Jahren war klar: Es war mit seinem Holzrumpf schlicht verrottet. Auch das einst im Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremer-haven liegende Boot des Typs „Kranich“ war zu sehr heruntergekommen – es wurde 2008 in Dänemark abgewrackt. Und die beiden in Wilhelmshaven aufliegenden und völlig abgetakelten Boote der Klasse 143, „S 62 Falke“ und „S 67 Kondor“ taugten nicht, weshalb die Vereinsmitglieder sich nun über das Ergebnis sehr freuen. S.B.

Nordrhein-Westfalen

Bochum

Wasserturm wieder in Betrieb Die Sanierung und der Ausbau des Eisenbahnmuseums Bochum-Dahlhausen schreiten voran (siehe IK 3.15, S. 55): Nun ist der 1914 am Lokschuppen errichtete Wasserturm herge-richtet worden, um die vom Museum betriebenen Dampfloks versorgen zu können. Dieser Betrieb wäre aus Sicht des Museums sonst gefährdet gewesen. Die Sanierung des 90 000 Liter fassenden Behälters sowie des Schornstein-Mauerwerks kostete etwa 170 000 Euro, teilte die Stif-tung der Sparkasse Bochum im Oktober 2015 mit. Sie hätte das Projekt zusammen mit der Stadt Bochum finanziell gefördert. Der Wasserturm ist ein Schornsteinbehälter: Hier war um den Schornstein herum ein Stahlbehälter des Typs Intze angesetzt worden. Ulrich Schildberg

Der Wasserturm des Eisenbahnmuseums Bochum-Dahlhausen ist ein Schornsteinbehälter des Typs Intze. Foto: Ulrich Schildberg

Datteln

Haard-Schacht verfüllt Ein erst drei Jahrzehnte altes Prestigeob-jekt des Steinkohlenbergbaus im Ruhrgebiet verschwindet: der 1983 in Betrieb genommene Schacht An der Haard 1 in Datteln-Ahsen. Die Anlage geht auf die nach zwei Ölkrisen forcierte Nordwanderung des Ruhrkohlenbergbaus zurück. Aus der einstigen Zeche Ewald Fortsetzung

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Bald wird nichts mehr an den Haard-Schacht in Datteln-Ahsen erinnern: Die Tagesanlagen des einstigen Prestigeobjektes werden abgebrochen. Foto: Heiko Wenke, 2015

hervorgegangen, sollte der 1 116 Meter tiefe Schacht als Anschluss-bergwerk dienen – allerdings nur für Bewetterung, Seilfahrt und Mate-rialförderung zu den darunter gelegenen Kohlenfeldern. Denn die Haard ist Landschaftsschutzgebiet, weshalb kein vollständiges Bergwerk mit Aufbereitungsanlagen errichtet werden durfte. Die unter dem Waldgebiet gewonnene Kohle wurde untertage per Bandanlagen und Gruben-bahn zu den Förderschächten nach Oer-Erkenschwick und Wanne-Eickel (Bergwerk General Blumenthal) gebracht, wo ältere Standorte über die nötige Infra-struktur verfügten und weitergenutzt werden konnten. Der Schacht An der Haard 1 zählte zu den weltweit ersten mit einer Zehn-Seil-Koepefördermaschine. In seinem Großraum-Förderkorb ließen sich Lokomotiven, Maschinen und Ausbaueinheiten unzerlegt trans-portieren. Auch das 46 Quadratkilometer große Abbaugebiet Olfen sollte von hier aus erschlossen werden. Doch die veränderte Kohle-politik führte schon 1999 zur Stilllegung der Bergwerksanlage. Die Ruhrkohle AG (RAG) verschloss den Schacht provisorisch mit einem Betonpfropfen, um ihn bei Bedarf erneut in Betrieb nehmen zu können. Mit dem von der Bundesregierung beschlossenen Ausstieg aus dem deutschen Steinkohlenbergbau bis Ende 2018 wird es dazu nicht mehr kommen. Der Schacht wurde 2015 dauerhaft standsicher verfüllt, so die RAG. Nun würden die Tagesanlagen abgebrochen. Heiko Wenke

Kraftwerk im Abbruch Seit dem Sommer 2015 ist von außen sicht-bar, dass das alte Steinkohlenkraftwerk Datteln abgerissen wird. Mit der Demontage der Ventilatorkühltürme fallen die Arbeiten ins Auge. Zum Kraftwerk gehörten drei zwischen 1964 und 1969 in Betrieb genommene Blöcke mit einer Bruttostromleistung von zusammen gut 319 Megawatt und einer Fernwärme-Leistung von mehr als 250 Megawatt: Dafür nutzten

Die Ventilatorkühltürme des alten Kraftwerkes Datteln bestanden vor allem aus verklei-deten Stahlfachwerkgerüsten, dessen oberer Teil bei diesem bereits demontiert ist. Foto: Heiko Wenke, 2015

sie zunächst vor allem die Steinkohle des benachbarten BergwerkesEmscher-Lippe, später aus anderen Gruben. Bis zur Stilllegung im Februar 2014 produzierte der Energiekonzern Eon hier Bahnstrom für die Deut-sche Bahn. Schon 2011 sollte auf dem gegenüberliegenden Ufer des Dortmund-Ems-Kanals als Ersatz für drei alte Kraftwerke in der Region das neue Kraftwerk Datteln IV mit einer elektrischen Bruttoleistung von 1 100 Megawatt (380 Megawatt Fernwärme), in nur einem Kesselblock erzeugt, in Betrieb gehen, berichteten Medien. Doch nach Problemen mit der Genehmigung und der veränderten energiepolitischen Gesamtsituation sei die Inbetriebnahme auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Heiko Wenke

Dortmund

Zechen-Lichtlöcher unter Denkmalschutz Die LWL-Archäologie für Westfalen hat vier Lichtlöcher der Zeche Christine & Schöndelle in Dortmund-Hacheney unter Denkmalschutz gestellt. Dies geht aus einer Ratsvorlage der Stadt Dortmund vom April 2015 hervor. Derartig deutlich erhaltene Schachthalden des frühen Steinkohlenbergbaus entlang der Ruhr seien sehr selten geworden. Nur in Waldgebieten konnten sich diese obertägigen Relikte erhalten, die einst entlang der Ruhr in großer Zahl vorhanden gewesen sein müssen. Die unter Schutz gestellten Pingen und (Auswurf-)Halden der Lichtlöcher (Luftschäch-te) finden sich in dem kleinen Waldstück nördlich der Zillestraße und östlich des Dortmunder Zoos, berichtete Michael Tiedt aus Wuppertal auf seiner Internetseite www.ruhrkohlenrevier.de. Die Bodendenkmale gehören zu dem zwischen 1746 und 1800 an-gelegten Erbstollen der Zeche. Er liegt unter dem heutigen Zoo, verläuft bis zum Schacht Caroline an der Straße Heideblick in gut 20 Metern Tiefe und ist 1 120 Meter lang. Die Lichtlöcher dienten der Bewetterung. Das 1955 zugemauerte Mundloch des Erbstollens befand sich an der Mergelteichstraße in unmittelbarer Nähe des Zoohaupteingangs. Der Vortrieb nach Südosten erfolgte mit leichter Steigung, um den Abfluss des Grubenwassers in die Schondelle zu ermöglichen. Der Stollen war als Teil der Wellinghofer Tiefbauzeche Crone bis 1893 in Betrieb. S.B.

Tiefbau ist Geschichte In Dortmunder Stadtteil Huckarde wird ein bedeutendes Kapitel Industriegeschichte abgeschlossen: Mit den Schächten Hansa 2 und 3 sollen bis Ende 2015 die letzten von einst hunderten von Bergbauschächten im Stadtgebiet verfüllt werden, teilte die Ruhrkohle AG (RAG) mit. Die Kohlenförderung war hier bereits Anfang der 1980er Jahre eingestellt worden. Doch die RAG ließ die beiden Schächte zuletzt bis zur 4. Sohle in etwa 540 Metern Tiefe offen, um Pumpen kontrollieren zu können. Wegen des neuen Wasser-haltungskonzeptes benötige die Ruhrkohle aber die beiden Schächte in ihrer jetzigen Form nicht mehr zum Abpumpen von Grubenwasser. Deshalb werden auch keine Bergleute mehr in die seit 1868 und 1908 abgeteuften Schächte einfahren. Die Röhren werden dauer-

Die Schächte Hansa 3 (links) und Hansa 2 sind die letzten Tiefbauschächte der Zechen-stadt Dortmund gewesen. Foto: Heiko Wenke, 2015

54 Industriekultur 4.15 · Industriekultur in den Regionen

Page 61: Industriekultur 4mit ihr stand im Vergleich zur Wasserkraft auf einmal ein Vielfaches an Antriebskraft zur Verfügung, die sich außer-dem mit der Zeit immer flexibler einsetzen ließ

haft standsicher verfüllt. Die RAG will nach eigenen Angaben noch weitere Wasserhaltungen aufgeben beziehungsweise von Schacht- auf Brunnen-betrieb mittels Tauchpumpen umrüsten. Dies soll auf lange Sicht Kosten sparen. Heiko Wenke

Weiterer Scheibengasbehälter gesprengt Am 18. Oktober 2015 ist der etwa 150 000 Kubikmeter fassende Scheibengasbehälter in Dort-mund-Lindenhorst gesprengt worden. Die Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH (DEW) hatte den Turm 2013 außer Betrieb genommen und will durch die Beseitigung des rund 1 600 Tonnen schweren Bauwerks langfristig Geld sparen. Laut DEW sei der fast 1,1 Million Euro teure Abbruch deutlich günstiger als der Erhalt, für den man etwa 200 000 Euro jährlich veranschlagte. Für den gezielten Einsturz des Stahlbehälters sorgten fünf Kilogramm Sprengstoff, der auf 98 Schneidladungen verteilt war. Der 1956 von dem örtlichen Stahlbauunternehmen August Klönne nach eigenem Patent errichtete Gasbehälter war 82,90 Meter hoch und hatte einen Durchmesser von 51,20 Metern. Er diente zur Spei-cherung von Stadtgas, war Teil eines von mehreren Kokereien betrie-benen Gasverbundnetzes, bevor er als Vorratsbehälter für Erdgas ver-wendet wurde. Doch während der riesige Gasbehälter von 1956 nur für etwa 28 Millibar Überdruck konzipiert war, halte der benachbarte, relativ kleine Kugelgasbehälter von 1972 dank seiner Bauart und mit der 30 Millimeter starken Hülle Drücke bis zu 16 bar aus, so die DEW. Zudem könne sie im neuen Untergrundspeicher (ehemalige Salzkavernen) in Epe bei Gronau etwa die tausendfache Gasmenge vorhalten. Nach dem Abbruch gibt es im Stadtgebiet nur noch den genannten Kugelgasbehälter sowie einen Scheibengasbehälter auf dem 1999 stillgelegten Hoesch-Hüttenwerk Phoenix-West. Dieser zählt zu den ver-bliebenen sechs Klönne-Behältern in Europa. Seit 1990 waren in Dort-mund bereits die Scheibengasbehälter auf der Museums-Kokerei Hansa (Bauart MAN) sowie der Zechen-Kokereien Minister Stein (Bauart Klönne) und Gneisenau (Bauart MAN) abgerissen worden. Heiko Wenke

Etwa zwei Sekunden nachdem das Dach des Dortmunder Gasbehälters gesprengt wurde und in das Innere fiel, zündeten die außen angebrachten, feuerspeienden Schneidladungen. Foto: Heiko Wenke, 2015

Düsseldorf

Die Fotografin Hilla Becher ist tot Hilla Becher, der weibliche Part des international bekannten Künstlerpaares Bernd und Hilla Becher, ist im Oktober 2015 im Alter von 81 Jahren gestorben. Sie hatte das Werk nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 2007 fortgesetzt (siehe IK 4.07, S. 26, und IK 1.14, S. 26). Das Ehepaar widmete sein Leben der Fotografie von Industrie-bauten, machte weltweit Schwarz-Weiß-Aufnahmen unter anderem von Bergwerken, Wassertürmen, Hochöfen und Fabrikhallen. Susanne Lange, ihre Biografin, spricht von einem Jahrtausendwerk. Die meisten dieser Objekte sind heute nicht mehr vorhanden. „Im Grunde ist unsere Photographie eine Art Geschichtsschreibung“, beschrieb Hilla Becherden dokumentarischen Wert. Und: „Als wir merkten, daß die Industrie-

Zuletzt erhielt Hilla Becher, hier an der Moldau in Prag, 2014 für ihr Werk den Rheinischen Kulturpreis. Foto: Marianne Kapfer, 2012

bauten verschwinden, haben wir sie mit dem Fotoapparat festgehalten. Es war wie eine Verpflichtung für uns.“ Aber es war mehr als Dokumen-tation: Ihre serielle Fotografie von Zweckbauten, die die Objekte aus den Zusammenhängen freistellte und sachlich in Szene setzte, arbei-tete ihren ästhetischen Reiz heraus und machte sie zu Kunstwerken. In ihrer ordnenden Präsentation von Typologien wird zudem augen-fällig, dass einer Funktion eine Formenvielfalt im Detail entsprechen kann. Hilla Becher, geborene Wobeser, ausgebildet im renommierten Photographen-Atelier Eichgrün in Potsdam, hat mehr als fünf Jahr-zehnte professionell fotografiert. Frühes Vorbild war ihre Mutter, eine ausgebildete „Photographin“, die zeitweise in dem Beruf arbeitete und sie bei der Betreuung von Sohn Max unterstützte. Hilla Bechers erste Aufnahme einer Industrieanlage, das Gaswerk von Potsdam, entstand 1954 für ihre Abschlussprüfung als Fotografin. Sie war fas-ziniert von der Industrie im Ruhrgebiet und sie liebte das Reisen. Ingrid Telsemeyer

Duisburg

Schwanentorbrücke keine Hubbrücke mehr In Duisburg gibt es 650 Brücken. Drei davon sind Hubbrücken, deren mittleres Feld an-gehoben werden kann, um Schiffen eine Durchfahrt zu ermöglichen. Während die Hubbrücke in Homberg vom Abbruch bedroht ist (siehe IK 3.15, S. 56), wird die Schwanentorbrücke über dem Innenhafen ab 2016 für etwa 4,4 Millionen Euro saniert. Allerdings wird sie danach keine Hubbrücke mehr sein. Das hat der Rat der Stadt Duisburg im September 2015 beschlossen. Aus Sicht der Stadt werden damit Kosten gesenkt, weil es im Innenhafen keinen Güterumschlag mehr gibt und

Die Schwanentorbrücke führt neben dem umgebauten RWSG-Speicher, der das Landes-archiv beherbergt, über den Innenhafen von Duisburg. Foto: Werner Schleser, 2015

55Industriekultur in den Regionen · Industriekultur 4.15

Page 62: Industriekultur 4mit ihr stand im Vergleich zur Wasserkraft auf einmal ein Vielfaches an Antriebskraft zur Verfügung, die sich außer-dem mit der Zeit immer flexibler einsetzen ließ

Haniel in Bottrop und Ibbenbüren (Tecklenburger Land) betrieben: Sieschließen 2018. Danach ist „Schicht im Schacht“ für den deutschen Stein-kohlenbergbau. In einem umfangreichen Projekt arbeitet das Montanhis-torische Dokumentationszentrum des Deutschen Bergbaumuseums in Bochum (www.montandok.de) derzeit das bergbauhistorische Erbe auf. Die Schachtanlage AV 1/2 war 1907 abgeteuft worden, um mit der Kohle in den Kesselhäusern des benachbarten Chemiewerks vor allem Prozessdampf zu erzeugen. Bis 1991 betrieb deshalb der Chemiekonzern

Das 1927 in Groningen erbaute, heute polnische Gütermotorschiff „Megan“ wird im Sep-tember 2015 im Hafen der Zeche Auguste Victoria mit Kohle beladen, die das Schiff zur Zuckerfabrik Uelzen bringen wird. Ein auf Ketten fahrender, kleiner Kran bewältigte zuletzt den Kohleumschlag, nachdem die beiden Schienenkrane nach Kabeldiebstahl stillgelegt worden waren. Foto: Joachim Stübben, 2015

BASF die Zeche, bevor sie von der Ruhrkohle AG übernommen wurde. Bemerkenswert ist, dass von 1938 bis 1962 außer Steinkohle auch Bleierz abgebaut wurde. Charakteristisch ist das Fördergerüst des am Datteln-Hamm-Kanal gelegenen Schachtes 8 in Form eines großen A. Zurzeit wird die Nachnutzung des Betriebsgeländes geplant. Ulrich Schildberg

Oberhausen

Postkarten-Grüße aus Oberhausen 1870 wurde die Correspon-denz-Postkarte im Deutschen Reich eingeführt, um sich bald darauf zu einem der beliebtesten Kommunikationsmittel zu entwickeln. Be-achtung finden historische Postkarten heute vor allem aufgrund der Bilder, die sie transportieren: Es war oft die einzige Möglichkeit, Ein-drücke von Städten oder Landschaften zu vermitteln. Die Auswahl der Sehenswürdigkeiten auf Postkarten prägte also das Image eines Or-tes. Diesen spannenden Quellen der Alltagsgeschichte widmet sich die Ausstellung „Grüße aus Oberhausen“ vom 3. Dezember 2015 bis zum

3. Juli 2016 im LVR-Indust-riemuseum Zinkfabrik Alten-berg in der Hansastraße 20 in Oberhausen. Die rasante Verbrei-tung der Postkarte ist eng mit dem Entstehen der Indus-triegesellschaft im 19. Jahr-hundert verbunden. Die Wan-derungsbewegungen vom Land in die Industriestädte sorgten für einen steigenden

die Weiße Flotte auf eine Durchfahrt verzichtet habe. Denn die ver-altete Elektrotechnik müsse für die Sanierung ausgebaut werden, habe dann keinen Bestandsschutz mehr. Eine Neuinstallation aber sei aufwendig. Zudem habe die Denkmalpflege zugestimmt. Bei der Sanierung werde auch das Mauerwerk der Hubtürme entfernt, um die dahinter liegende Stahlkonstruktion konservieren zu können. Nach Angaben der Stadt werde der Wiederaufbau dann nicht originalgetreu erfolgen, sondern „in einer von der Stahlkonstruktion abgesetzten Geometrie“, um zukünftige Bauwerksprüfungen zu erleichtern. Die 1950 in Betrieb genommene Hubbrücke ersetzte eine im Zweiten Weltkrieg zerstörte Klappbrücke. Das mittlere Brückenfeld mit einer Spannweite von 19,50 Meter und einer Breite von 22 Meter kann bis zu 9,20 Meter angehoben werden. Die relativ aufwendige, von nur einem Elektromotor in Gang gesetzte Mechanik mit Führungen, Seilen und Gegengewichten befindet sich in den vier charakteristi-schen Hubtürmen. Bereits 2006 wurden schwere Schäden an dem Bauwerk festgestellt, 2014 kamen Zweifel an der Standsicherheit auf. Die Stadt musste handeln, weil die Verkehrsader zwischen der Innen-stadt und Ruhrort mit dem Hafengebiet über die Brücke verläuft. W.S.

Herten

Oldtimerzentrum auf Zeche Ewald In der ehemaligen Zentralschacht-halle des stillgelegten Bergwerks Ewald in Herten soll ein Oldtimerzentrum nach dem Vorbild der „Meilenwerke“ eingerichtet werden. Dies meldeten die Stadt Herten und die RAG Montan Immobilien GmbH im September 2015. Ein Gelsenkirchener Investor wolle dort mehr als 10 Millionen Euro investieren. Bereits seit längerem finden Oldtimertreffen auf dem Gelände statt. Das Steinkohlenbergwerk Ewald war von 1871 bis 2000 in Betrieb und nach eigenen Angaben zeitweise die größte Schachtanlage des Ruhrgebiets. Das Doppelbockgerüst und die Schachthalle des Zentral-schachtes 7 wurde 1955 nach Plänen des Architekten Fritz Schupp errichtet. Nach der Stilllegung gelang es Stadt und RAG Montan die meisten Gebäude zu erhalten und einer neuen Nutzung zuzuführen. Un-ter anderem findet sich dort ein Revuetheater. Mit der benachbarten Halde Hoheward bildet die ehemalige Zeche nun ein bei Touristen beliebtes Ensemble. Auf dem übrigen Grubengelände siedelten sich überwiegend Logistikfirmen an, so dass hier nach Angaben der Stadt wieder 1 300 Men-schen arbeiten. Ulrich Schildberg

Charakteristisch für das stillgelegte Bergwerk Ewald in Herten ist das 1955 aufgestellte Doppelbock-Fördergerüst über Schacht 7. Foto: Christoph Oboth, 2010 / 2013

Marl

Förderung auf Auguste Victoria eingestellt Auf dem Steinkohlenberg-werk Auguste Victoria (AV) in Marl wird der Betrieb am 18. Dezember 2015 eingestellt, berichteten Medien im Oktober 2015. Anschließend beginnen die verbliebenen Bergleute mit dem „Rauben“ der noch verwendbaren Geräte und den im Abschlussbetriebsplan vorgeschriebenen Arbeiten zur sicheren Stilllegung. In Deutschland werden dann nur noch die Zechen Prosper-

56 Industriekultur 4.15 · Industriekultur in den Regionen

Auch moderne technische Errungen-schaften waren ein Motiv für Post-karten-Grüße, hier er 1897 erbauteWasserturm in der Mülheimer Straße in Oberhausen. Ansichtskarte: LVR-Industriemuseum

Page 63: Industriekultur 4mit ihr stand im Vergleich zur Wasserkraft auf einmal ein Vielfaches an Antriebskraft zur Verfügung, die sich außer-dem mit der Zeit immer flexibler einsetzen ließ

Bedarf an Kommunikationsmitteln. In den Städten passte sich das Leben dem Rhythmus der Fabriken an. Die Postkarte war dafür hervorragend geeignet. Denn anders als einen Brief, konnte man eine Postkarte in Eile verfassen und so, trotz wenig Freizeit, den Kontakt mit entfernt lebenden Freunden oder Verwandten aufrechterhalten. Auf den Oberhausener Post-karten findet man Botschaften über alle Bereiche des täglichen Lebens – Arbeit, Freizeit, Krankheit oder Reisen. Und Feldpostkarten vermitteln klei-ne Eindrücke vom Leben der Soldaten in der Etappe oder den Sorgen der Angehörigen. Daniel Sobanski

Rheinberg

Hafen Momm ohne Salzfracht Der Transport auf einer An-schlussbahn vom Salzbergwerk der European Salt Company (Esco) in Borth zum Hafen Momm bei Rheinberg-Ossenberg am linken Nieder-rhein ist Geschichte. Im April 2015 begannen die Abbrucharbeiten der direkt am Strom gelegenen Verladeeinrichtungen. Bisher waren die mit losem Salz beladenen Waggons auf einer Grubenanschlussbahn nach Momm gebracht und dort mit Greifern auf Schiffe verladen wor-den. Nach dem Bau einer neuen Umgehungsstraße und einer Rhein-brücke wird die Salzfracht nun auf der Straße zum Stadthafen Wesel gebracht, teilte der Betreiber des Bergwerkes, die Esco, mit. Dafür hätte man etwa acht Millionen Euro investiert. Die Lkw würden in ei-nen Tiefbunker entleert und das Salz über Förderbänder und Lose-belader auf Binnenschiffe verladen. Bis zu etwa 400 000 Tonnen pro Jahr werde so über den Rhein verschifft. Heiko Wenke

Der auf einer Holzkonstruktion direkt am Rhein erbaute Anleger für die Salzschiffe bleibt wohl vorerst stehen, weil das Gleis noch für den Rangierbetrieb in den benachbarten Kohlehafen benötigt wird. Dahinter befinden sich zahlreiche Fabrikhallen. Foto: Heiko Wenke, 2015

Solingen

Was passiert mit Rasspe-Gelände? Die Wirtschaftsförderung Solingen GmbH & Co. KG hat in einem Bieterverfahren des Bau- und Liegenschaftsbetriebes NRW das Grundstück der Firma Rasspe in Solin-gen übernommen, berichtete der Solinger Bote im Juli 2015. Damit könne die Industriebrache mit diversen Hallen reaktiviert werden. Die Stadt will auf dem 6,6 Hektar großen Grundstück an der Straße Stöcken Platz für etwa zwölf Gewerbebetriebe schaffen. Das sehe der Entwurf für einen Bebauungsplan vor, berichtete die Tageszeitung. Ob Altbauten erhalten werden, ist unklar. Das RasspeGelände sei nach der Pleite der Vorbesitzer quasi herrenlos, weshalb die Wirtschaftsförderung es übernehmen konnte, nach Angaben des Solinger Boten aber noch Grundschulden ablösen müsse. Der Landwirt und Kleineisenschmied Peter Daniel Rasspe hatte 1827 seine Stiefeleisen-Schmiede gegründet und bald darauf nach Stöcken verlegt. Seine Söhne Johann Abraham und Peter Isaak vergrößerten die Fabrik rasch. Dies geht aus der Internetseite landtechnik-historisch.de hervor. Damals hätte Rasspe die Produktion auf zahlreiche Messer für die Landwirtschaft ausgedehnt, stellte schließlich auch andere

Zubehörteile für Landmaschinen her. In Schwierigkeiten geriet die Firma, weil immer mehr Landtechnikhersteller die Ersatzteile selbst produzierten: 1999 war sie pleite. Die nachfolgende Rasspe System-technik GmbH & Co. KG straffte das Programm und produziert vor allem Schneidwerksteile für Mähdrescher, Messer für Häcksler und Kreiselmäher, Federzinken für die Heuwerbung sowie Knoter für Stroh- und Heu-Pressen. Um den Betrieb zu rationalisieren, zog die Systemtechnik mit ihrer Schmiede 2008/09 nach Wermelskirchen.Seitdem liegt der alte Standort brach. S.B.

Das Bürogebäude an der Straße Stöcken in Solingen erinnert noch an die Firma Rasspe, einem Hersteller von Messern und anderen Teilen für Landmaschinen. Foto: Norbert Tempel, 2015

Rheinland-Pfalz

Trier

Wertvolle, aber marode Brücken Die Stadt Trier betreibt 146 Brücken und Unterführungen. Und wie in vielen anderen deutschen Kommunen gibt es hier einen erheblichen Sanierungsstau. Dies be-richtete die Tageszeitung Trierischer Volksfreund im Februar 2015. Dazu gehört mit der Römerbrücke über die Mosel die älteste Brücke Deutschlands. Sie ist zusammen mit Kirchen und römischen Bau-denkmalen seit 1986 Teil des Unesco-Welterbes. Die Pfeiler dieser Steinbogenbrücke entstanden zwischen den Jahren 142 und 150, die Bögen erst zwischen 1190 und 1490, wobei sie 1689 gesprengt und bis 1718 neu aufgebaut wurden. Die Brücke soll mit Hilfe eines Förder-programms des Bundes saniert werden, weshalb die Arbeiten daran

Während des Dampfspektakels an Mosel und Saar zu Ostern 2010 fuhr die Schnellzug-Dampflok 01 118 östlich vom Hauptbahnhof Trier unter der für den Verkehr bereits gesperrten Zementbrücke durch. Foto: Joachim Stübben

57Industriekultur in den Regionen · Industriekultur 4.15

Page 64: Industriekultur 4mit ihr stand im Vergleich zur Wasserkraft auf einmal ein Vielfaches an Antriebskraft zur Verfügung, die sich außer-dem mit der Zeit immer flexibler einsetzen ließ

Das „Saarpolygon“ auf der Bergehalde Ensdorf, ein Denkmal für den Saarbergbau (www.bergbauerbesaar.de), soll nach einen Bericht des Saarländischen Rundfunks nun erst 2016 fertig werden. Seine Form ist außerdem in der Bevölkerung umstritten. Auch mit einer vom ehemaligen Ministerpräsidenten Rainer Klimmt vorangetriebenen „Bergbaustraße“ soll an diesen Industriezweig erinnert werden. Wie die Presse berichtet, ist dazu nun nach etlichen Diskussionen eine Broschüre mit Vorschlägen für 25 Ob-jekte erschienen und eine Internetseite soll entstehen. Parallel dazu ge-staltet der saarländische Museumsverband gemeinsam mit den Knappen-vereinen eine „Straße des Saarbergmanns“. Doch während in Lothringen mit dem Besucherbergwerk Carreau Wendel ein eindrucksvolles Museum für den lothringischen Bergbau entstanden ist und in Völklingen mit dem Weltkulturerbe Völklinger Hütte ein solches für die Eisenindustrie der Saar, führt der wichtigere Saarbergbau in puncto Industriekultur eher ein stief-mütterliches Dasein. khj

Sachsen

Freiberg

Stadtbibliothek zog in Kornhaus Die bisher auf drei Standorte ver-teilte Stadtbibliothek von Freiberg ist im September 2015 in das frisch sanierte Kornhaus in die Korngasse 14 gezogen. Dies teilte die Stadtver-waltung mit. Das spätgotische Lagerhaus mit 4 000 Quadratmeter Brutto-geschossfläche war bis Mai 2015 für 7,3 Millionen Euro instandgesetzt und umgebaut worden, berichteten die örtlichen Planer des BBF Baubüro Freiberg und Benedix Architekten + Ingenieure. Im 19. Jahrhundert war das Haus zur Reit- und Sporthalle der Garnison umgebaut worden, so die Sächsische Zeitung. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe es unter anderem als Theater, Kino, Bibliothek und Archiv gedient. Bei dem Umbau sollten viele Teile der 1508-11 erbauten Konstruktion erlebbar bleiben. Andererseits muss der Bau heutigen Anforderungen genügen. Deshalb gingen die Planer nach eigenen Angaben respektvoll mit der mittelalterlichen Bausubstanz um und eröffneten dem langlebigen Gebäude dennoch eine Zukunft. So wurden alle historischen Holzkonstruk-tionen erhalten, dazwischen ein neues Tragwerk aus schlanken Stützen und Decken aus Stahlbeton eingefügt. In die unteren zwei Etagen zog eine Krankenkasse. Darüber erstreckt sich über drei Etagen bis in das steile Dach hinein die Stadtbibliothek. Alle Geschosse werden über ein zentrales Treppenhaus mit Aufzug erschlossen. Nach außen wirkt das Kornhaus, bedingt durch teilweise sehr kleine Fenster, niedrig und verschlossen. Dem steht im Inneren ein offener und großzügiger Raumeindruck entgegen. S.B.

Grimma

Retten Fledermäuse die Papierfabrik? Die Bürgerinitiative zum Erhalt der historischen Papierfabrik Golzern kämpft weiter gegen den Abbruch des Industriedenkmals in Grimma. Dies berichtete die Leipziger Volkszeitung im September 2015. Dabei hatte die Landesdirektion Sachsen den Abriss im November 2014 denkmalrechtlich genehmigt und dies mit Erfordernissen des Hochwasserschutzes begründet (sie-he IK 4.14, S. 44). Doch diese Argumente seien aus Sicht der Initiative vorgeschoben, weshalb sie an die Stadt Grimma appelliert, die Abbruchentscheidung rückgängig zu machen, so die Zeitung weiter. Hintergrund sei unter anderem eine Masterarbeit des Architekturstudenten Marius Zwigart aus Leipzig. Er widerlege darin die Behauptung, dass ein Abriss der Papierfabrik in Golzern auch nur annähernd eine mögliche Hoch-wasserlage für Grimma und Dorna entschärfen würde. Dagegen würde eine Öffnung des Wehrs und des in den 1950er Jahren mit Braunkohle-asche verfüllten Mühlgrabens ein Hochwasser in Golzern um mehr als einen Meter senken. Schließlich erhalte das Bündnis Rückendeckungder Naturschützer: Das Gutachten eines Leipziger Büros hätte bestätigt, dass in der alten Fabrik besonders geschützte Fledermausarten be-droht sind. Das und Formfehler im Abrissantrag würden jetzt den Weg für Klagen von Naturschutzvereinigungen ebnen. S.B.

zugunsten der maroden Kaiser-Wilhelm-Brücke verschoben wurden, so der Volksfreund. Letztere, eine mit Natursteinen verkleidete Bogen-brücke aus Eisenbeton, werde ab 2016 instandgesetzt. Das werde zu-dem teuer – wie teuer, das sei noch unklar. Das Bauwerk war 1912/13 nach dem Entwurf von Paul Meissner errichtet worden, wurde 1945gesprengt, im alten Stil wieder aufgebaut und dabei leicht verbreitert. Als erbärmlich galt der Zustand der 1994 übernommenen sieben Eisen-bahnüberführungen, schrieb der Volksfreund weiter. Sie seien das ungelieb-te Geschenk der Deutschen Bahn, die sich damals dank Gesetz von dieser Last befreien durfte. Einige Brücken wurden inzwischen abgebrochen, zu-erst 2011 das „Zementbrücke“ genannte Bauwerk zwischen Am Grüneberg und Metternichstraße, bei der ein „irreparabler Verfall“ festgestellt worden war. Dabei hätte diese 1925 erbaute Stabbogenbrücke aus Beton ein he-rausragendes Baudenkmal sein können (siehe IK 3.14, S. 55). In besse-rem Zustand befindet sich laut Volksfreund die 1892 erbaute Sandstein-Gewölbebrücke über der Bahn am Petenweg im Ortsteil Quint: Sie soll saniert werden. S.B.

Wissen

Germania-Brauerei verschwunden Im Jahr 1875 ist der Grund-stein für die Sieg-Rheinische Germania-Brauerei in der Stadt Wissen (Kreis Altenkirchen) gelegt worden – im September 2015 wurde der zentrale Bau, das Sudhaus, abgerissen. Ein Erhalt des turmartigen, historisierend reich geschmückten Backsteingebäudes wäre wirt-schaftlich nicht vertretbar gewesen, berichtete die Rhein-Zeitung (Koblenz). Ein Jahr zuvor hatten die Investoren das Gebäude nach An-gaben des AK-Kuriers, der regionalen Internetzeitung, dagegen noch in ihr vier Millionen Euro teures Bauprojekt „Hotel- und Erlebnisgastro-nomie Brauwerk Wissen“ einbezogen. Nun wurde das Gebäude als „Schandfleck“ tituliert: Es sei zu winzig, um daraus noch etwas Ver-nünftiges zu gestalten, hieß es. Und der Denkmalschutz lasse einen Abriss offenbar zu, schrieb der AK-Kurier weiter. Dieser Behörde hätten die Investoren ausdrücklich für die vertrauensvolle Zusammenarbeit gedankt: „Ohne die Genehmigung wäre das Projekt gescheitert, bevor es begonnen hätte.“ Auch der Flaschenkeller wurde entfernt. Nur der Pferdestall der bis 1990 betriebenen Brauerei bleibe erhalten und werde zu einem Lager umfunktioniert. S.B.

Saarland

Illingen

Das Ende der Wurstfabrik Höll Seit Oktober 2015 werden die Ge-bäude der ehemaligen Wurstfabrik Höll im Stadtzentrum von Illingen abgerissen. Der Name Höll stand einst für feine und qualitative Wurst-waren im Saarland. Gegründet wurde das Unternehmen 1910 als Dorf-metzgerei im nahen Dirmingen. Wegen der stetig steigenden Produktion wurde ab 1962 in Illingen eine neue Fabrik errichtet, welche in Glanz-zeiten mehr als 500 Beschäftigte hatte. Zu Beginn der 1990er Jahre investierte Höll laut Presseberichten in eine weitere Fleischverarbeitung in Brandenburg und zog zur Jahrtausendwende nach Saarbrücken um. Dort hätten wirtschaftliche Schwierigkeiten begonnen, die 2011 in eine Insolvenz geführt hätten. 2013 übernahm ein Konkurrent einige Beschäf-tigte und den Markennamen, hieß es. Das Illinger Areal stand 14 Jahre leer, wurde nun nach eigenen Angaben von der Stadt erworben, welche die Fabrik bis auf kleine denkmalgeschützte Teile abreißen lässt. Auf dem Gelände soll mit der „erweiterten Mitte“ ein Geschäftszentrum un-ter anderem mit Einzelhandel und Pflegeheim entstehen. khj

Saarbrücken

Schwieriges Bergbau-Erbe Schwer tut sich das Saarland mit dem Erbe seines Steinkohlenbergbaus. Die als Vorzeigeprojekt konzipierte Ausstellung „Erbe“ im ehemaligen Bergwerk Reden hat sich nicht als Be-suchermagnet erwiesen und wird Ende des Jahres 2015 geschlossen.

58 Industriekultur 4.15 · Industriekultur in den Regionen

Page 65: Industriekultur 4mit ihr stand im Vergleich zur Wasserkraft auf einmal ein Vielfaches an Antriebskraft zur Verfügung, die sich außer-dem mit der Zeit immer flexibler einsetzen ließ

59Industriekultur in den Regionen · Industriekultur 4.15

Die Papierfabrik Golzern an der Mulde soll wegen des Hochwasserschutzes abgebrochen werden – aus Sicht der für den Erhalt kämpfenden Bürgerinitiative ist dies unnötig. Foto: Gerhard Weber, 2014

Schleswig-Holstein

Elmshorn

Zweites Museumsschiff im Hafen Im Hafen von Elmshorn hat nach dem 1898 erbauten Ewer „Gloria“ ein zweites, für das Revier des Elbe-Nebenflusses Krückau typisches Museumsschiff festgemacht: das Motor-schiff „Klostersande“. Im Sommer 2015 stellte der örtliche Förderverein MS Klostersande e. V. (www.klostersande.com) das Schiff der Öffentlich-keit vor. Der Verein benötigt weiter Spenden, damit es umgebaut und auf Dauer betrieben werden kann. Mit ihrem 40 Meter langen Frachtraum soll die „Klostersande“ in Zukunft für Kulturveranstaltungen genutzt werden. Im Juli 2013 hatte der Verein das Schiff für 55 000 Euro gekauft und erhält so ein Stück Stadtgeschichte, berichtete das Hamburger Abendblatt.

Die Linien des von Kurt Oehlmann aus Travemünde entworfenen Gütermotorschiffes „Klostersande“ erinnern an eine Yacht. Foto: Sven Bardua, 2015

Die „Klostersande“ markiert das Ende der Frachtschifffahrt nach Elmshorn (siehe IK 1.01, S. 49). Im Jahr 2000 stellte die dort ansässige Peter Kölln KGaA den Betrieb mit ihrer „Klostersande“ wegen Unwirt-schaftlichkeit ein. Gebaut hatte sie die Werft Büsching & Rosemeyer in Uffeln (Weser) 1968 für die Köllnflockenwerke, nachdem sich die Elms-horner Großmühle mit gebrauchten Gütermotorschiffen vom Frachtmarkt unabhängiger gemacht hatte. Der Yacht-Konstrukteur Kurt A. H. Oehl-mann aus Lübeck-Travemünde hatte das neue Schiff entworfen. Kölln setzte die „Klostersande“ überwiegend zum Seehafen Hamburg ein, um sich mit Rohstoffen – vor allem Hafer – zu versorgen. Sie fuhr aber auch mit fremder Fracht zwischen Rhein und Nord-Ostsee-Kanal. Doch der Lkw-Verkehr machte der Schifffahrt so starke Konkurrenz, dass Kölln seine Schiffe schrittweise verkaufte. Damit wurde auch die Krückau nicht mehr ausgebaggert. Angesichts der geringeren Tauchtiefe wurde die Güter-schifffahrt nach Elmshorn dann endgültig unwirtschaftlich. S.B.

Kiel

Chaussee Altona–Kiel im Blick Nach dem Erscheinen des Buches zur Chaussee Altona–Kiel geht es darum, durch Sammlung und Veröffent-lichung historischen Materials, Veranstaltungen, Beschilderungen undeiner „Wieder-Sichtbarmachung“ historischer Objekte die Geschichte der wichtigen Landstraße im Blick zu halten. Darauf wies Heinrich Kautzky, im Ruhestand lebender technischer Angestellter der Stadt Neumünster, im Juli 2015 in Kiel hin. Er ist Mitherausgeber eines entsprechenden Buches (siehe S. 64), das durch die von ihm für die Stadt Neumünster herausge-gebene Doppel-CD (siehe IK 4.12, Editorial) ergänzt wird. Weiteres Material gibt es auf der Internetseite www.alt-bramstedt.de. Und auch der Schleswig-Holsteinische Heimatbund baut mit www.altona-kiel.de eine entsprechende Internetseite auf. Die erste Kunststraße des Landes war 1833 in Betrieb genommen worden. Davon blieben Brücken, Chaussee-häuser, Meilensteine, später erbautes Kopfsteinpflaster, aber auch die Trasse, Bepflanzungen und viele kleine Details erhalten. S.B.

Das größte erhaltene Bauwerk der Chaussee Altona–Kiel ist die Friedrichsbrücke in Bad Bramstedt; das Geländer von 1833 blieb ebenso erhalten wie das Straßenpflaster von 1926. Foto: Sven Bardua, 2014

Thüringen

Neubleicherode

Kalischacht verwahrt Im thüringischen Südharz-Revier wird der Kali-schacht Neubleicherode (Eichsfeld) bis Ende 2015 verwahrt. Gleichzeitig werden die verbliebenen Tagesanlagen abgebrochen, teilte die Schachtbau Nordhausen GmbH im Oktober 2015 mit. Das Fördermaschinenhaus steht schon seit 2013 nicht mehr; das Fördergerüst wurde noch für die jüngsten Schachtarbeiten genutzt. Der Schacht Neubleicherode hatte eine Teufe von 680 Metern, war aber nach Einstürzen längere Zeit nur noch 534 Meter tief, berichtete die Thüringer Allgemeine. In der Sohle darüber war zu DDR-Zeiten ein Durchstoß zum Bergwerk Bischofferode angelegt worden, seit-dem diente Neubleicherode, das ursprünglich mal ein förderndes Bergwerk gewesen war, noch als Wetterschacht. Die Anlage Neubleicherode ist der 23. Schacht des Kali- und Steinsalz-bergbaus, den die Schachtbau Nordhausen GmbH seit 1990 gesichert und dauerhaft verschlossen habe; in diesem Fall zusammen mit der Bergsicherung Ilfeld GmbH, teilte das Unternehmen weiter mit. Auf-traggeber sei die Gesellschaft zur Verwahrung und Verwertung von stillgelegten Bergwerksbetrieben mbH (GVV). Die 22. Schachtver-wahrung hätte die Anlage Ludwigshall bei Wolkramshausen (Kreis Nord-hausen) betroffen, deren Abschluss im Juni 2013 gefeiert wurde, nachdem das Grubenfeld nach einer Pause von mehr als 30 Jahren noch einmal befahren worden war. In einer Kammer dort hatte sich 1942 ein Explo-sionsunglück ereignet, bei der 145 Frauen und Männer der dort arbeiten-den Heeresmunitionsanstalt ums Leben kamen. Die Kaliförderung war hier schon 1924 eingestellt worden. Ein nach Angaben der Thüringer Allge-meinen von dem Kunstschmied Lutz-Martin Figulla (Tel. 03 63 34 / 5 32 60) im Sommer 2014 gegründeter Verein will die Geschichte dieses 1905 ab-geteuften Bergwerkes erforschen. S.B.

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Das Museum ist in der Schachthalle und Nebengebäuden des Schachtes Marie untergebracht. Er wurde 1848 auf 234 Meter abgeteuft und diente zuletzt als ausziehender Schacht. 1920 wurde der Schacht 1 als Förder-schacht abgeteuft, hatte schließlich eine Teufe von 530 Metern. Der 1942 bis 1948 darüber errichtete Stahlbetonförderturm dient heute der Seil-fahrt. Den Besuchern werden verschiedene Abbautechniken auf Sohlen in 30 und 60 Metern Tiefe präsentiert. Die Inbetriebnahme eines Pressluft-bohrers demonstriert Arbeitsbedingungen. Die Gästeführer sind ehemalige Bergleute, die die schwere Arbeit unter Tage authentisch schildern. Eine Besichtigung der Kohlenwäsche erschließt dem Besucher die Kohleaufbe-reitung, die Besichtigung der Anlage zum Transport des Abraums kann mit einem Spaziergang auf die Bergehalde verbunden werden. W.S.

Eupen

Neue Nutzung für alten Schlachthof Der alte Schlachthof von Eupen im Osten von Belgien ist zu einem 2 000 Quadratmeter großen Kultur-zentrum umgebaut worden. Im September 2015 ist der Gebäudekomplex am Rotenbergplatz 19 unter anderem mit einer Ausstellung zur Geschichte des Schlachthofes und der Stadt Eupen eingeweiht worden (www.alter-schlachthof.be). Nun sollen dort nach Angaben des Kulturzentrums in dichter Folge Konzerte und andere Veranstaltungen stattfinden. Gebaut wurde der Schlachthof, wie aus der Ausstellung hervorgeht, von 1901 bis 1903. Geplant hatte die damals hochmoderne Anlage der Architekt Walter Freese. Er plante einen Schlachthof, deren Backsteinbauten stark an einen Fabrikkomplex erinnern, arbeitete Elemente des Jugendstils in die Schlachthalle für Großvieh ein. 1991 endete der Schlachthofbetrieb, ohne dass die Gebäude stark verändert worden waren. Seit 1993 gab es hier kulturelle Veranstaltungen.

Die Schlachthalle für Großvieh (links) ist der zentrale Bau des Kulturzentrums Alter Schlachthof in Eupen. Foto: Edgar Bergstein, 2015

Walter Freese (vielfach auch Frese geschrieben) war ein vor allem auf Schlachthöfe spezialisierter Architekt. Er wurde am 17. Januar 1872 in Laucha (Unstrut) geboren und starb am 14. Januar 1949. Er arbeitete zunächst als Bautechniker und Bauführer in den Bauämtern der Städte Halle, Breslau, Augsburg und Düren. In Düren leitete er unter anderem den Bau des neuen Schlachthofes und machte sich 1902 als Architekt selbstständig. Bis 1932 projektierte er mit seinem Büro 70 Schlachthöfe im In- und Ausland, unter anderem in den Städten Elberfeld, Essen, Bochum, Godesberg, Duisburg, Meiderich, Hamborn, Agram (Zagreb), Moers, Neuss und Bottrop sowie Viehöfe, Kühl- und Gefrieranlagen. Er wirkte an der Verbesserung der Schlachthoftechnik mit und plante die Anlagen so, dass eine Erweiterung mit geringem Aufwand möglich war. Edgar Bergstein

Kortrijk

Register für historische Hafenkrane Die mit ihrer Geschäftsstelle in Kortrijk im belgischen Flandern ansässige E-Faith, die Europäische Gemeinschaft von Initiativen des Industrie- und Technik-Erbes, baut ein zentrales Register historischer Hafenkrane auf. Es wird auf der englisch-sprachigen Internetseite harbourcranes.eu veröffentlicht, die Lenkungs-gruppe präsentiert sich hier: industrialheritage2015.eu/cranes. Dies teilte E-Faith (p/a Vredelaan 72, B-8500 Kortrijk, www.e-faith.org) im Oktober 2015 mit. Die Datenbank soll alle Krane an See- und Binnen-

Arktis

Longyearbyen

Ende für den Steinkohlenbergbau auf Spitzbergen? Dem norwegi-schen Steinkohlenbergbau auf dem arktischen Archipel Spitzbergen (Sval-bard) droht das Ende. Dieses berichteten die norwegische Internetzeitung Nord-24 und die Wochenzeitung Svalbardposten im Oktober 2015 unter Berufung auf die Bergbaugesellschaft Store Norske (SNSK, www.snsk.no). Danach soll die Förderung auf dem bei Longyearbyen (siehe IK 2.06, S. 42) gelegenen Bergwerk Gruve 7 sowie auf der etwa 60 Kilometer südlich davon gelegenen Zeche Svea Nord bereits 2016 eingestellt werden. In der Gruve 7 werden etwa 60 000 Tonnen Steinkohle pro Jahr gefördert, in Svea Nord sind es etwa 1,2 Millionen Tonnen pro Jahr. Auch die 2013 begonnenen Arbeiten zur Erschließung des Lunkefjell-Kohlenfeldes am Van Mijenfjord mit etwa 7,6 Millionen Tonnen förderbarer Kohle sollen gestoppt werden, so die Medien. SNSK hätte bereits angekündigt, die Belegschaft von 270 Beschäftigten auf nur noch 100 zu reduzieren. Hintergrund für diese Maßnahmen sei unter anderem der fallenden Kohlepreis auf dem Weltmarkt. Das norwegische Parlament hätte bereits im letzten Jahr Sub-ventionen in Höhe von 500 Millionen Norwegischen Kronen (45 Millionen Euro) für den Bergbau auf Spitzbergen bewilligt. Ob das Geld auch weiter-hin fließt, sei unsicher, da unter anderem der norwegische Staatsfonds einen Ausstieg aus der Kohlendioxid-Wirtschaft beschlossen hat. Hingegen plant die russische Bergbaugesellschaft Artikugol unbestätigten Berichten zufolge die Ausweitung ihrer Aktivitäten in Barentsburg, etwa 40 Kilometer westlich von Longyearbyen. Ulrich Schildberg

Belgien

Blegny

Kohlenbergwerk als Besucher-Magnet Das Steinkohlenbergwerk Blegny-Mine nordöstlich von Liège (Lüttich) ist heute ein Besucherberg-werk, welches nach Angaben des Betreibervereins pro Jahr von etwa 90 000 Menschen besucht wird (www.blegnymine.be). Es war das letzte aktive Kohlenbergwerk in Belgien. Unmittelbar nach der 1980 umgesetz-ten Stilllegung übernahm die Provinz die Zeche, um sie für den Touris-mus umzunutzen. So konnten die Anlagen original erhalten werden und wurden zu Beginn der 1990er Jahre der Öffentlichkeit zugänglich ge-macht. Die museale Präsentation wurde laufend verbessert. Schließlich wurde es 2012 mit den ehemaligen wallonischen Zechen Le Bois du Cazier, Bois-du-Luc und Grand-Hornu in die Welterbe-Liste der Unesco aufgenommen (siehe IK 3.12, S. 30).

Neben der Kohlenwäsche (links) steht der Stahlbeton-Förderturm über Schacht 1 des belgischen Steinkohlenbergwerks Blegny-Mine. Foto: Werner Schleser, 2015

60 Industriekultur 4.15 · Industriekultur in den Regionen

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schifffahrtsstraßen umfassen, die mehr als 30 Jahre alt sind. E-Faith ruft alle Freunde der Industriekultur auf, dem Register Fotos und Daten derartiger Krane zur Verfügung zu stellen. Auch unvollständige Angaben seien möglicherweise hilfreich. S.B.

Frankreich

Grenoble

Wasserkraft am Fluss Romanche Südöstlich der Stadt Grenoble fließt der Fluss Romanche aus den französischen Alpen. Er führt viel Wasser und bietet zum Teil ein beachtliches Gefälle, das seit mehr als 100 Jahren für die Stromproduktion genutzt wird. Erbauer der dortigen Wasserkraftwerke waren unter anderem die Eigentümer von elektrome-tallurgischen Werken. In dem Abschnitt zwischen Livet und Gavet waren im Sommer 2015 sechs Wasserkraftwerke in Betrieb: die Anlage Livet stammt von 1898-99 und 1905, Vernes von 1918, Roberts von 1915 und Rioupéroux von 1917, die beiden Teile des Werkes Clavaux nahmen 1905 und 1921 ihren Betrieb auf und das jüngste Wasserkraftwerk – Pierre-Eybesse – arbeitet seit 1924 beziehungsweise der zweite Teil seit 1959.

Das 1917 eindrucksvoll in die Alpenlandschaft hinein gebaute Wasserkraftwerk Rioupéroux soll mit vier anderen Anlagen abgebrochen werden. Foto: Edgar Bergstein, 2015

Das Wasserkraftwerk Livet entstand 1899 und wurde 1905 ergänzt. Hier erzeugen sechs Francis-Turbinen bis zu 15,8 Megawatt Strom. Foto: Edgar Bergstein, 2015

1946 übernahm der Staat die Kraftwerke und gliederte sie in den Energiekonzern Électricité de France SA (EDF) ein, welcher die Anlagen später auf automatischen Betrieb umbaute. Inzwischen gelten die Kraft-werke als veraltet. Deshalb will EDF die sechs genannten Wasserkraft-werke durch eine einzige Anlage ersetzen, heißt es in Medienberichten. 2010 begannen die Planungen, 2012 die Bauarbeiten. Und 2017 soll das neue Wasserkraftwerk Romanche Gavet in Betrieb gehen, die Alt-anlagen dann abgebrochen werden. Lediglich das seit 1994 unter Denk-malschutz stehende Kraftwerk Vernes soll auf Dauer erhalten bleiben, es wurde 2015 auch renoviert. Die S. des établissements Keller & Leleux hatte diese Anlage einst bauen lassen. Es besitzt zwei Francisturbinen und hat eine elektrische Leistung von 5 Megawatt. Edgar Bergstein

Hayange

Kein Käufer für Schienenwalzwerk Der Verkauf des Schienen-walzwerkes Tata Steel France Rail SAS im lothringischen Hayange an den amerikanischen Investor A. Gary Klesch ist vorläufig gescheitert. Die 475 Beschäftigten in Hayange reagierten mit Erleichterung. Aller-dings zitierte die Zeitung Republicain Lorrain den Chef von Tata Steel France, Gérard Glas, im August 2015: „Der Verkauf der Langprodukte bleibt auf der Tagesordnung“. Zunächst werde im Werk ein zweijähri-ger Kostensenkungsprozess gestartet. Im Oktober 2014 hatte Tata Steel beschlossen, die Standorte für Langprodukte in Europa zu ver-kaufen. Davon betroffen sind Werke in Großbritannien sowie das Schie-nenwalzwerk in Hayange. Die Familie de Wendel hatte es 1891/92 für das Hüttenwerk St. Jacques errichten lassen, um die Nachfrage nach Schienen aus Thomasstahl befriedigen zu können. Die fran-zösische Firma Usinor verkaufte das Werk 1999 an den britisch-niederländischen Stahlkonzern Corus, der acht Jahre später von dem indi-schen Konzern Tata Steel übernommen wurde. Dank des treuen Großkunden SNCF, der staatlichen französi-schen Eisenbahngesellschaft, die für eine Grundauslastung des Wer-kes sorgt, wurden bisher alle Eigentümerwechsel gut überstanden. Seit 2011 walzt das Werk die SNCF-spezifischen 108-Meter-Schienen,

An der Einfahrt des Schienenwalzwerkes Hayange befinden sich ein historischer Wasser-turm sowie die Werkhalle für die Endabnahme. Foto: Werner Schleser, 2015

auch 120-Meter-Schienen sind möglich. Durch Inbetriebnahme eines In-duktionsofens zur Wärmebehandlung im Jahr 2013 hat das Werk Hayange seine Beziehung zur SNCF weiter verbessert. Die Produktionskapazität für Schienen hoher Festigkeit wurde auf 120 000 Tonnen pro Jahr erhöht. Etwa zwei Drittel der Jahresproduktion von 330 000 Tonnen exportiert das Schienenwalzwerk, unter anderem nach Indien, Singapur und Südafrika. Die dafür benötigten Stahlblöcke bezieht das Werk von Tata Steel im nordeng-lischen Scunthorpe. W.S.

Österreich

Linz

Bürger für Neubau der Donaubrücke Die Stadt Linz bekommt eine neue Eisenbahn- und Straßenbrücke über die Donau. Das hat eine Volksbe-fragung im September 2015 ergeben, wie die österreichische Tageszeitung „Die Presse“ berichtete. Demnach stimmten 68 Prozent für den Neubau der Brücke und Abriss der alten. Nur knapp ein Drittel waren für die Variante, nach der die bestehende Brücke saniert und für Rad- und Fußgänger herge-richtet wird. Gleichzeitig hätte parallel dazu eine neue Brücke für Bahn und Autos gebaut werden müssen. Der jahrelang Streit über Sanierung oder Abriss (siehe IK 3.13, S. 60, IK 3.12, S. 60, und IK 2.10, S. 53) war auch Thema im jüngsten Kommunalwahlkampf. So hatten SPÖ und Grüne den Abriss beschlossen, gegen den sich ein überparteilicher Widerstand – unter-stützt von Mitte-Rechts-Parteien – formierte. Die Initiative „Rettet die Linzer

61Industriekultur in den Regionen · Industriekultur 4.15

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62 Industriekultur 4.15 · Industriekultur in den Regionen

Eisenbahnbrücke“ (www.rettetdieeisenbahnbruecke.at) sammelte genug Unterschriften für eine Volksbefragung, die sie zudem erfolgreich einklagte, nachdem Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) sie nicht zulassen wollte. Als es jetzt doch zur Abstimmung kam, erklärte er bereits vorab das Ergebnis als bindend. Als genietete Eisenfachwerkkonstruktion ist das 1900 in Betrieb genommene Bauwerk ein selten gewordener, typischer Vertreter des Eisen-bahnbrückenbaus. Erbaut hatte sie die Wiener Firma E. Gartner nach einem Entwurf von Anton Biro. S.B.

Die drei Felder der Strombrücke mit ihren Halbparabelträgern haben eine Spannweite von jeweils 83,20 Meter, insgesamt aber ist die Donaubrücke Linz etwa 400 Meter lang, Foto: Rolf Höhmann, 2010

Polen

Bukowiec

Gedenken an den Grafen Friedrich Wilhelm von Reden In Schlesien führt eine zunehmend unverkrampfte Rückbesinnung auf regionale Identi-täten seit einigen Jahren auch zu einer Würdigung der industriellen Pionier-leistungen unter preußischer Herrschaft. Das betrifft namentlich den Grafen Friedrich Wilhelm von Reden (1752–1815), der als Direktor des Schlesischen Oberbergamts bereits 1788 die Dampfmaschine im Erzbergbau Oberschle-siens einführte. 1795 folgte dort die erste Dampfmaschine im Steinkohlen-bergbau, 1796 der erste mit Steinkohlenkoks betriebene Hochofen. In Chorzow (Königshütte) wurde 2002 das 1945 zerstörte Reden-Denk-mal wieder errichtet, in Katowice (Kattowitz) erinnert das neue Schlesische Museum (siehe IK 3.15, S. 44) an die Verdienste Redens. Am Schloss Buko-wiec (Buchwald) im Riesengebirge, dem Wohnsitz Redens, wurde am 19. September 2015 aus Anlass seines 200sten Todestages eine Gedenktafel enthüllt. Anschließend wurde ein Gedenkstein am nahe gelegenen Mau-soleum, der historischen Grabstätte Redens und seiner Frau Friederike, eingeweiht. Diese Feierlichkeiten wurden durch ein anspruchsvolles Kultur-programm ergänzt, das als deutsch-polnisches Kooperationsprojekt vom Verband der Riesengebirgsgemeinden (PL) und dem Deutschen Kulturfo-rum östliches Europa (Potsdam) vorbereitet worden war.

Das restaurierte Schloss Buchwald (heute Bukowiec) war seit 1785 der Wohnsitz von Graf Friedrich Wilhelm von Reden. Foto: Thomas Parent, 2015

Nach einer umfangreichen Restaurierung dient Schloss Buchwald heu-te als kommunales Kulturzentrum. Auch der weitläufige Park ist nach jahr-zehntelanger Verwilderung inzwischen weitgehend in seinen Ursprungs-zustand zurückversetzt worden. Friedrich Wilhelm von Reden hatte die Anregung zur vorbildlichen Gestaltung dieser Parklandschaft auf einer seiner Englandreisen gewonnen, die in erster Linie der Industriespionage dienten. Thomas Parent

Schweiz

Luzern

Seltener Motor im Vierwaldstättersee geborgen Im Oktober 2015 ist ein seltener Schiffsmotor aus dem Vierwaldstättersee geborgen und in das Verkehrshaus der Schweiz in Luzern überführt worden. Wie das Museum weiter mitteilte, waren für die Bergung des Petrol-motors umfassende Vorarbeiten notwendig. Die mit Petroleum betrie-bene Maschine stehe technikgeschichtlich für den Übergang von der Dampfmaschine zum Benzinmotor und ergänze die Sammlung ideal. Schon vor 1900 hatten mit Benzin betriebene Aggregate die Petrol-motoren wieder verdrängt, weil sie einen höheren Wirkungsgrad auf-wiesen und Benzin schließlich auch billiger war als Petroleum. Das Tauchteam Blue Water Search von Daniel Bernhard hatte das Schiffs-wrack des Transport-Nauens „Flora“ (ein seetypisches Frachtschiff) mit dem Motor im Jahr 2000 zufällig in 66 Metern Tiefe entdeckt. Bei weiteren Tauchgängen wurde der Motor freigelegt und seine Bergung vorbereitet. Aufgrund der Tauchtiefe konnte jeweils nur 15 Minuten am Wrack gearbeitet werden. Der 27 Meter lange, um 1800 für eine Tragfähigkeit von etwa 40 Tonnen erbaute Transport-Nauen „Flora“ hatte am 9. Dezember 1899 um vier Uhr morgens den Ort Buochs in Richtung Seeburg mit einer Ladung Sand verlassen. Das Baumaterial war für die Erweiterung des Hotels Seeburg vorgesehen. Damals wehte ein starker Nordwind über dem See. Beim Kreuztrichter (zwischen Zinnen und Meggenhorn im Küssnachtersee) sank das Schiff aus bis heute ungeklärten Gründen. Dabei kamen die fünf Mann Besatzung ums Leben. Erst im Unglücks-jahr war der Nauen mit dem jetzt geborgenen Zwei-Zylinder-Petrolmotor mit einer Leistung von 12 PS ausgerüstet worden. Hersteller der Maschine war die Adolph Saurer AG in Arbon am Bodensee. S.B.

Im Oktober wurde der 1899 erbaute Petrolmotor der „Flora“ aus dem Wasser des Vierwaldstätter-sees gezogen und in das Verkehrshaus der Schweiz gebracht. Foto: Pius Koller / Photopress, 2015

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Dirk Winkler: Hochdruck- und Turbinen-lokomotiven der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft, EK-Verlag, Freiburg 2008, 176 S. mit 287 S/W-Abb., Format 21 × 29,7 cm, geb., ISBN 978-3-88255-108-2, 35 Euro

Obwohl schon sieben Jahre alt, sei hier im Hinblick auf das Schwerpunktthema „Dampf-Kraft“ ausdrücklich auf dieses Buch verwie-sen, weil sich Technikgeschichte ja anhand von anspruchsvoller Technik und Versuchen be-sonders interessant erzählen lässt. Das Buch beschreibt die zwischen den beiden Weltkrie-gen entstandenen Turbinen- und Hochdruck-Dampflokomotiven T18 1001, T18 1002 und T38 3255 sowie H02 1001 und H17 206 der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft (DRG). Mit ihnen haben DRG und Industrie einen ökonomi-scheren Dampfbetrieb erprobt; zunächst woll-ten sie vor allem den Kohleverbrauch senken. Der Autor zeichnet die Geschichte und Technik dieser außergewöhnlichen Maschinen nach, er-wähnt zum Teil auch internationale Entwicklun-gen. Außerdem werden die vielen nicht realisier-ten deutschen Projekte und die Vorhaben nach dem Zweiten Weltkrieg erläutert. Ein Blick auf die Versuche mit acht DRG-Mitteldrucklokomo-tiven ergänzt das Ganze. In Verbindung mit den Zeichnungen und interessanten Fotos hat der gut lesbare Text viel Lesefreude bereitet, auch wenn eine gewisse Affinität zur Dampf- und Lo-komotivtechnik vorausgesetzt wird. S.B.

Stefan Lauscher, Gerhard Moll: Jung-Loko-motiven – Lokomotivfabrik in Jungenthal 1885–1987, Band 2: Bauarten und Typen,EK-Verlag, Freiburg 2014, 384 S. mit 607 S/W-Abb., Format 21 × 29,7 cm, Festeinband, Lieferliste und weitere Abbildungen auf DVD, ISBN 978-3-88255-798-5, 49,90 Euro

Nun liegt der zweite Band der gewichtigen Mono-graphie der Lokomotivfabrik Jung vor. Stefan Lauscher und der inzwischen verstorbene Lok-führer und Eisenbahnenthusiast Gerhard Moll haben in Ergänzung zum ersten Band (siehe IK 4.13, S. 48) ein solides Kompendium der Jung-Bauarten und Typen erstellt: Länderbahn- und Reichsbahnloks, Zahnradlokomotiven, Feuer-lose Maschinen, die legendären Typenfamilien für Dampf- und Diesel-Feldbahnlokomotiven, schmalspurige E-Lok-Veteranen, Kleinbahnloks, Grubenlokomotiven, Brigade- und Heeresfeld-bahnloks und vieles mehr. Für den Rezensenten ist die Darstellung der Typenprogramme für In-dustrie- und Kleinbahnloks besonders wertvoll. Ein besonderer Erfolg war die Fertigung einer Serie von 62 Zweikraftlokomotiven für den „Ge-meinschaftsbetrieb Eisenbahn und Häfen“ in Duis-burg-Hamborn, die sich bis zu fünf Jahrzehnte lang im harten Hüttenbahn-Einsatz bewährten. Einige Exemplare blieben erhalten, unter ande-

rem auf dem Museumsbahnsteig in Oberhausen Hauptbahnhof und beim LWL-Industriemuseum in Dortmund. Hunderte bisher unveröffentlichte Fotos, da-runter auch viele schöne Einsatzbilder, werden durch Zeichnungen und Tabellen ergänzt. Zu-sätzlich enthält das Buch eine DVD mit einer vollständigen Liefer- und Verbleibliste aller etwa 13 000 bei Jung gebauten Lokomotiven sowie umfangreiches Bonusmaterial in Form von wei-teren Fotos, Filmausschnitten und Zeichnungen. Besonders hervorzuheben ist, dass das Werk weit mehr bietet als eine Aneinanderreihung von Lokporträts: Verbindende Darstellungen der Anforderungen und Einsatzzwecke, konstrukti-ve Entwicklungslinien, Bewährung im Betrieb – kurzum: Überblick, Vergleich und Einordnung – überaus lesbar geschrieben mit fundierter Fach-kenntnis, die ihresgleichen sucht. N.T.

Christian Böse, Michael Farrenkopf: Zeche am Strom – die Geschichte des Bergwerks Walsum, Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 199, zugleich Schriften des Bergbau-Archivs, Nr. 28, Bochum 2015, 514 S. mit vielen Abb., Format 23 × 29 cm, Festeinband, ISBN 978-3-937203-71-3, 25 Euro

Als letzte Duisburger Zeche stellte das Berg-werk Walsum im Jahr 2008 die Kohleförderung ein. „Zeche am Strom“ ist ein doppeldeutiger Titel: Das Bergwerk lag unmittelbar am Rhein, baute auch unter dem Strom und linksrheinisch ab, besaß auch einen eigenen Hafen. Gegründet als Versorgungspfeiler der Stahlindustrie wurde sehr schnell die Nähe zu den benachbarten Kraft-werken Walsum und Voerde das bestimmende Merkmal der Zeche, die Verstromung der Kohle sicherte jahrzehntelang ihre Existenz. Spannend zu lesen ist die lange Vorgeschichte als Außenanlage der Gewerkschaft Deutscher Kaiser des Thyssen-Konzerns. Nachdem bereits 1904 die Genehmigung für die Schachtanlage er-teilt wurde und 1909 erste Versuchsbohrungen gestartet waren, begannen erst 1927 die Teufar-beiten und 1930 die Förderung auf Walsum. 1957 wurde eine Jahresförderung von 2,5 Millionen Tonnen erreicht, 1975 eine Tagesförderleistung von 12 000 Tonnen. Unter Ägide der Ruhrkohle AG expandiert die Zeche gen Norden: 1987 wird im Beisein von Johannes Rau der Schacht Voerde in Betrieb genommen. Gut 20 Jahre später ist dann „Schicht im Schacht“. Die beeindruckende Geschichte des Berg-werks Walsum war Gegenstand eines größeren Forschungsprojektes im Montanhistorischen Doku-mentationszentrum beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum. Die schwergewichtige, reichlich bebilderte Publikation bringt den Lesern die Histo-rie des Bergwerks in allgemeinverständlicher und ansprechender Form nahe, bietet hohe Qualität zum Schnäppchenpreis: Sofort kaufen! N.T.

Ralf Piorr: Flottmann, eine Geschichte des Reviers,Klartext-Verlag, Essen 2015, 160 S. mit zahlr. farb. Abb., Format 21,3 × 26,9 cm, Broschur, ISBN 978-3-8375-1229-8, 16,95 Euro

Überall dort, wo gebuddelt und gebohrt wurde, kannte man das Markenzeichen der Maschi-nenfabrik Flottmann: Der laufende Mann mit dem Bohrhammer auf der Schulter stand für technischen Fortschritt und weltweites Re-nommee. Auch die Verstrickung des Firmen-eigners in den Nationalsozialismus von der ersten Stunde an hat der Autor präzise recher-chiert und dargestellt. Mit dem Strukturwan-del und unglücklicher Firmenpolitik ging das einst so stolze Familienunternehmen unter, die Flottmann-Hallen in Herne aber wurden ge-rettet und sind heute ein bedeutender Kultur-standort im Revier. N.T.

Thomas Pflaum: Fotografieren im Ruhr-gebiet,Verlag Rheinwerk, Bonn 2015, 379 S. mit ca. 350 farb. Abb., Format 21 × 24 cm, Festeinband, ISBN 978-3-8362-2805-3, 29,90 Euro

Thomas Pflaum, Autor und selbstständiger Bildjournalist, beschäftigt sich seit den 1990er Jahren fotografisch mit dem Ruhrgebiet und dessen Entwicklung. Mit seinem ungewöhnli-chen Ansatz eines „Fotoreiseführers“ nimmt er Leser und ambitionierte Fotografen auf eine kleine Reise durch das Ruhrgebiet mit, beschreibt dabei Vorgehensweise und Machart sowie die anschließende digitale Bearbeitung. Außer über gut in Szene gesetzte Orte der In-dustriekultur berichtet er über Alltagsleben und Events, hat immer wieder geschickt die „blaue Stunde“ genutzt und damit Ergebnisse erzielt, die sich mit keiner noch so pfiffigen Bildbear-beitung nachträglich erzielen lassen. N.T.

Walter G. Demmel: Die Diamalt AG, ein Bei-trag zur Münchener Industriegeschichte,Allitera-Verlag, 198 S. mit zahlr. Abb., Format 17 × 22,2 cm, Klappenbroschur, ISBN 978-3-86906-741-4, 16,90 Euro

Die von der Wiener Stadlauer Malzfabrik (Stamag, ehemals Hauser & Sobotka) 1902 gegründete Deutsche Diamalt Gesellschaft mbH in München ist ein bedeutender Hersteller von Backhilfs-mitteln, Suppenwürze und Malzbonbons ge-wesen. Der Firmenname geht auf den dias-tatischen Malzextrakt zurück – ein reich mit Enzymen durchsetztes Malz, mit dem Stärke in Zucker umgewandelt wird. Es diente als tra-ditionelles Backhilfsmittel wie auch für techno-logische Problemlösungen in der Textil-, Leder-, Papier- und Waschmittelindustrie. So effektiv die Produkte, so stark war der Gestank bei der Herstellung: Er war schon seit 1912 ein ständiges

63Lesezeichen · Industriekultur 4.15

Lesezeichen

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64 Industriekultur 4.15 · Lesezeichen

Thema für die Nachbarschaft in München-Allach.1994 geriet das Unternehmen in Konkurs, es entstand eine Industriebrache. Erst seit 2010 tut sich wieder etwas auf dem Gelände: Das von 1916 stammende Kesselhaus wurde – zum Teil mit technischem Innenleben – aufwendig saniert (siehe S. 4). Die Alte Suppenwürze von 1903/08 mit dem markanten fünfgeschossigen Lagerhaus und weitere Gebäude dagegen warten noch auf eine Umnutzung. Sie sollen Anker-punkte in einem neu entstehenden Stadtquar-tier werden. Der Autor steigt mit der Geschichte von Al-lach ein: Denn mit der Diamalt wurde das Dorf zu einem Industriestandort, in dem sich später auch Krauss-Maffei, Siemens, MAN und MTU ansiedelten. Engagiert, anschaulich und infor-mativ erzählt er dann die Geschichte der Fabrik, schöpft korrekt aus Quellen und benennt auch Widersprüche. Dabei zeichnet er ein differen-ziertes, allerdings auch persönliches Bild, ordnet es in das große Ganze ein, schweift dabei manch-mal auch ab und doziert, ist aber unvollständig. Die dahinter steckende Technikgeschichte erläu-tert er leider nur am Rande. Dennoch ist ihm ein Buch gelungen, das weit über das sonst übliche Niveau von Chroniken herausragt. Zudem wurde es reich bebildert und gut gestaltet. S.B.

Burkhard von Hennigs, Heinrich Kautzky (Hrsg.): Die Chaussee Altona–Kiel, die erste Kunststraße in Schleswig-Holstein,Beiträge zur Denkmalpflege in Schleswig-Hol-stein, Bd. 4, Verlag Ludwig, Kiel 2015, 312 S. mit 333, z. T. farb. Abb., Format 22 × 27 cm, Broschur, ISBN 978-3-86935-243-5, 34,90 Euro

Mit dem Bau der ersten „Kunststraße“ zwischen Kiel und dem heute zu Hamburg gehörenden Altona von 1830 bis 1833 gelang den Herzogtümern Schleswig und Holstein relativ spät der Sprung in die Moderne – denn eine dem wachsenden Handel dienende Verkehrsinfrastruktur wurde erst durch den Chausseebau im Lande möglich. 1844 übernahm die zwischen Hamburg und Kiel, mit einem deutlichen Abstand zur Chaussee, er-baute Eisenbahn allerdings wichtige Funktionen. Dennoch blieb die spätere Bundesstraße 4 eine wichtige Magistrale im Land. Einzelne Elemente der Chaussee stehen seit langem im Fokus der Denkmalpflege. Die vorliegende Publikation soll dazu beitragen, dieses Gesamtwerk der Straßen-baukunst zu verstehen und seine Entwicklung nachvollziehen zu können. In 43 gut lesbaren Beiträgen erläutern 22 Autoren die historischen Voraussetzungen sowie Planung und Bau, die späteren Veränderungen und viele interessante „am Rand“ liegende Aspekte. Themen im Detail sind dann beispielsweise die schwere Arbeit der Straßenbauer genauso wie Umfahrungen, welche Fuhrleute gern nutzten um Chausseegeld zu sparen. Ausführlich dargestellt werden Elemente wie die Chausseewärter- und die Chausseeeinnehmerhäuser, die Brücken und

Meilensteine, die ebenfalls für das System Straße wichtige Bepflanzung sowie die Pflasterung der ursprünglich als Schotterpiste nach der Maka-dam-Bauweise hergestellten Chaussee. Gast-häuser und die Poststation in Quickborn sowie die mit der Chaussee entstandene Straßenbau-verwaltung sind weitere Themen. Das Ganze wurde mit guten Fotos ansprechend gestaltet, allerdings gibt es das Buch nur in Broschur. Und leider fehlt eine detaillierte Karte für die gesamte Strecke. Andererseits gibt es ein Register, viele Literaturhinweise und eine detaillierte Liste der heute noch bestehenden historischen Objekte. Unter dem Strich ist es ein also ein schönes und informatives Buch geworden. S.B.

Jörg Schilling: Baudenkmal Krankenhaus Ochsenzoll, Hamburger Bauheft 12, Reihe hrsg. von Florian Afflerbach und Jörg Schilling, Schaff Verlag, Hamburg 2015, 43 S., mehr als 40 farb. Abb., Format 21,0 × 14,8 cm, ISBN 978-3-944405-18-6, 7 Euro

Seit 2012 erscheinen die Hamburger Bauhefte die sich – lobenswert – mit eher abseits des Massengeschmacks liegenden Architekturthemen der Stadt beschäftigen, beispielsweise mit dem Oberlandesgericht von 1912, den Esso-Häusern von 1961 (siehe IK 1.12, S. 54) und dem City-Hof von 1956 (siehe IK 3.15, Editorial), ebenso wie mit den Bauten des U-Bahn-Ringes und den Schuppen 50–52 im Hafen. Das Krankenhaus Ochsenzoll im Norden der Stadt ist Thema des vorliegenden Heftes. Ab 1890 geplant, bis 1914 ausgebaut und später ergänzt, ist die einstige „Irren-Anstalt“, seit lan-gem eine psychiatrisch-psychotherapeutische Klinik, die Nachfolgerin der Irren-, Heil- und Pflegeanstalt Friedrichsberg im Stadtteil Eilbek (siehe IK 4.14, S. 39) gewesen. Das parkähnliche Gelände bietet ein einzigartiges Ensemble an Krankenhausarchitektur. Die heutige Klinik ar-beitet im nördlichen Teil des Geländes weiter. Seit 2012 werden im südlichen Bereich die Krankenpavillons sowie Betriebsgebäude unter Denkmalschutzauflagen saniert und unter der Regie der Patrizia Immobilien AG zu Eigentums-wohnungen umgebaut. Außerdem entstehen neue Wohnhäuser, die den Charakter des Gelän-des stark verändern. Unklar ist die Zukunft des 1911 erbauten, vollständig erhaltenen Wasser-turms ebenso wie des Kesselhauses. Letzteres ist mit dem asymmetrischen, auf Stahlbetonbin-dern ruhenden Satteldach ein bemerkenswerter Bau von 1967. Trotz einer Förderung des Heftes durch die Patrizia setzt sich der Autor deutlich für den Erhalt dieser selten gewordenen Indus-triearchitektur ein: Mit dem Verschwinden des Kesselhauses „würde sich wieder einmal be-wahrheiten, dass bei Neunutzungen denkmalge-schützter Bauten und Ensembles vor allem der ‚Anmutszauber der Geschichte‘ zählt.“ Das Heft aber bietet insgesamt nur stark geraffte Geschichte, weil der äußerst knappe

Text (etwa zwölf Seiten Text und 28 Seiten Ab-bildungen) mit vielen großformatig abgebilde-ten Plänen und Fotos ergänzt wird. Allerdings erleichtern zahlreiche Literaturangaben das Weiterforschen und die Zeichnungen bieten viel Information. Damit bietet das Heft einen sinnvoll-soliden Überblick zum Thema. S.B.

Stefan W. Krieg, Dieter Pommer und Säch-sisches Wirtschaftsarchiv e. V. (Hrsg.): Max Pommer – Architekt und Betonpionier,Sax-Verlag, Markkleeberg 2015, 176 S. mit zahlr. Abb., Format 19 × 27 cm, geb., ISBN 978-3-86729-148-4, 29,80 Euro

Der Leipziger Architekt Max Pommer hat von 1879 bis 1912 im Südosten von Sachsen mit seinem Büro nicht nur etwa 100 Häuser – Villen, Geschäftshäuser und Industriebauten – gestal-tet, sondern entwickelte auch Mietshäuser für die Armen und war schon sehr früh im Betonbau aktiv. Mit seinem 1898 gegründeten Bauunter-nehmen schuf er unter anderem den ältesten erhaltenen Stahlbetonbau in Deutschland, das Druckereigebäude der Firma C.G. Röder (siehe IK 3.05, S. 18), und in Markersdorf 1900/01 die erste Rahmenbrücke nach dem System Hen-nebique in Deutschland (siehe IK 3.10, S. 27). Schließlich gestaltete er als Stadtverordneter und Stadtrat die Entwicklung seiner Heimat mit. Die Vielfalt seines Schaffens, sein Engagement und sein sicher auch schwieriger Charakter machen ihn als Thema für das vorliegende Buch so reizvoll. Das Buch enthält außer einem Bauten-Verzeichnis sowohl des Architekten wie des Bauunternehmers, eine Kurzbiografie und vier ausführliche Beiträge: Stefan W. Krieg be-schäftigt sich mit der Architektur und Dieter Pommer mit dem Betonbau von Max Pommer. Thomas Adam hat die sozialreformerischen, architektonischen und betriebswirtschaftlichen Entwürfe für die Meyerschen Häuser in Leipzig, der vom Verleger Herrmann J. Meyer initiierten zweitgrößten Wohnungsbaustiftung in Deutsch-land, als Thema. Und Anett Müller beschreibt die Tätigkeit Pommers als Stadtverordneter und Stadtrat. Im Ergebnis entstand ein schönes Buch mit kleinen Schwächen: So hätte den vielen interes-santen und sauber gedruckten Fotos ein größerer Abbildungsmaßstab gut getan, ebenso wäre ein größeres Buchformat wünschenswert ge-wesen. Dann fehlt beim Betonbau ein wenig der technische Hintergrund. Auch orientieren sich die Texte oft stark an den Quellen; immer-hin werden mehr als 450 Fußnoten gesetzt. Doch trotz einer offensichtlich streckenweise schwierigen Quellenlage gelang den Autoren ein mit Informationen dicht gepacktes, inhalt-lich sauber differenziertes Werk mit stark dokumentarischem Charakter. Keine Frage: Dieser Band setzt Maßstäbe und sei jedem interessierten Leser empfohlen. S.B.

Page 71: Industriekultur 4mit ihr stand im Vergleich zur Wasserkraft auf einmal ein Vielfaches an Antriebskraft zur Verfügung, die sich außer-dem mit der Zeit immer flexibler einsetzen ließ

Bis 15. Oktober 2016 Sonderausstellung: Für Leib und Seele – von der Kultur des Essens und Trinkens

Technoseum – Landesmuseum fürTechnik und ArbeitMuseumsstraße 1, 68165 MannheimTel. 0621/42 98-0, www.technoseum.de

19. Februar bis 24. Juli 2016 Sonderausstellung: Bier – Braukunst und 500 Jahre deutsches Reinheits-gebot

Industrie- und Filmmuseum WolfenChemiepark, Areal ABunsenstraße 4, 06766 Bitterfeld-WolfenTel. 03494/636741, www.ifm-wolfen.de

Bis 24. Januar 2016 Sonderausstellung: Über-lagert – das Fotografieren mit überlagertem Film im Stil der Lomografie

Museum IndustriekulturHaseschacht, Fürstenauer Weg 17149090 Osnabrück, Tel. 0541/9127845www.industriekultur-museumos.de

Bis 13. März 2016 Sonderausstellung: Mode, Möbel, Motorräder – Einblicke in die Sammlung des Museums Industriekultur

Industrie-Museum LohneKüstermeyerstraße 20, 49393 LohneTel. 04442/730380, www.industriemuseum-lohne.de

Bis 6. November 2016 Sonderausstellung: Zug um Zug – die Eisenbahn als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung in der Region, 130 Jahre Eisenbahnge-schichte im Landkreis Vechta

Museum der ArbeitWiesendamm 3, 22305 HamburgTel. 040/428133-0, www.museum-der-arbeit.de

Bis 3. April 2016 Sonderausstellung: Zwangs-arbeit – die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg, Wanderausstellung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora

Verkehrsmuseum DresdenAugustusstraße 1, 01067 Dresden Tel. 0351/8644–0, www.verkehrsmuseum-dresden.de

Bis 3. April 2016 Sonderausstellung: Als der Tod das Fliegen lernte – Luftfahrt in Europa vor Aus-bruch des Ersten Weltkrieges, in Kooperation mit dem Canada Aviation and Space Museum

LWL-Industriemuseum

Zeche ZollernGrubenweg 5, 44388 DortmundTel. 0231/6961–111, www.zeche-zollern.de

26. Februar bis 16. Oktober 2016 Sonderaus-stellung: Kumpel Anton, St. Barbara und die Beatles – Leitbilder im Ruhrgebiet nach 1945, mit 250 Expo-naten zur Nachkriegszeit im Revier

10. Januar, 15 Uhr Zeitzeugen-Vortrag: Manfred Hildebrandt berichtet von seiner Arbeit als Gruben-wehr-Oberführer

7. Februar, 15 Uhr Zeitzeugen-Vortrag: Der Aus-bau- und Ankeringenieur Wolfgang Büse berichtet über die Ausbautechnik im Steinkohlenbergbau

8. März, 19.30 Uhr Bildvortrag: Kohle, Stahl & Dampf – DB-Dampfloks im Dienste der Montanin-dustrie der 1970er Jahre, von Dietmar Beckmann

Zeche NachtigallNachtigallstraße 35, 58452 Witten-BommernTel. 02302/93664–0, www.zeche-nachtigall.de

Bis 30. Juni 2016 Sonderausstellung: Vorstoß ins Ungewisse, 300 Jahre Bergbau am Hettberg

Bis 30. Juni 2016 Sonderausstellung: Schwarzes Porzellan – Produkte der Kohlekeramischen Anstalt der Zeche Hannover (Bochum), die Sammlung Jürgen Huesmann

Henrichshütte HattingenWerksstraße 31–33, 45527 HattingenTel. 02324/9247-140, www.henrichshuette-hattingen.de

Bis 3. April 2016 Sonderausstellung: Historischer Streifzug durch das chemische Labor, in Kooperation mit dem Carl Bosch Museum Heidelberg

6. Januar, 19 Uhr Filmabend „Chemical Trash“ mit „Der verrückte Professor“ (USA 1963, 103 Min.) und „Das Labor des Grauens“ (GB 1974, 92 Min.)

29. Januar, 18.30 Uhr Vortrag: Forschung und Entwicklung in der deutschen Stahlindustrie bis zum Zweiten Weltkrieg, von Manfred Rasch

26. Februar, 18.30 Uhr Filmvortrag: „Labor Hochofen“ – über ein spektakuläres Forschungs-projekt, das den Hochofen zum Labor machte, von Kornelia Rennert

Schiffshebewerk HenrichenburgAm Hebewerk 2, 45731 Waltrop, Tel. 02363/9707-0,www.schiffshebewerk-henrichenburg.de

Bis 3. April 2016 Sonderausstellung: Wander-arbeit: Mensch – Mobilität – Migration

Ziegeleimuseum LageSprikernheide 77, 32791 LageTel. 05232/9490-0, www.ziegelei-lage.de

Bis 31. Mai 2016 Sonderausstellung: Gaststätten und Kneipen in Lage – Gastronomie-Geschichte in zehn Beispielen

LVR-Industriemuseum

Informationen zu den Schauplätzen des LVR-Industriemuseums bei der Kulturinfo Rheinland: Tel. 02234 /9921-555, www.industriemuseum.lvr.de

Schauplatz Oberhausen – Zinkfabrik AltenbergHansastraße 20, 46049 Oberhausen

Bis 5. Juli 2016 Sonderausstellung: Grüße aus Oberhausen – Einblicke in die Postkarten-Welt

Schauplatz Oberhausen – St. Antony-HütteAntoniestraße 32–34, 46119 Oberhausen

Bis 30. September 2016 Sonderausstellung: Maloche – schwere Arbeit auf der Gutehoffnungs-hütte, Fotos aus dem Bestand der GHH

Schauplatz Ratingen – Textilfabrik CromfordCromforder Allee 24, 40878 Ratingen

Bis 30. Oktober 2016 Sonderausstellung: Die Macht der Mode – zwischen Kaiserreich, Erstem Weltkrieg und Weimarer Republik

Schauplatz Solingen – Gesenkschmiede HendrichsMerscheider Straße 289–297, 42699 Solingen

15. Januar bis 23. August 2016 Experimentier-Ausstellung: Ist das möglich?

Schauplatz Bergisch GladbachPapiermühle Alte DombachAlte Dombach, 51465 Bergisch Gladbach

Bis 31. Januar 2016 Sonderausstellung: Stadt, Land, Garten – zur Kulturgeschichte des Nutzgartens

Schauplatz Euskirchen – Tuchfabrik MüllerCarl-Koenen-Straße 25b, 53881 Euskirchen

Bis 3. April 2016 Sonderausstellung: Das Pepita-Virus, Herstellung und Verbreitung eines Stoffmusters

Oberschlesisches LandesmuseumBahnhofstraße 62, 40883 RatingenTel. 02102/9650, www.oslm.de

Bis 3. Februar 2016 Sonderausstellung: Made in Kattowitz – Entwicklung des oberschlesischen Industrieortes zu einer modernen Großstadt

65Termine · Industriekultur 4.15

Termine Aktuelle Termine und Links siehe auch: www.industrie-kultur.de und www.industriekultur-nrw.de

Page 72: Industriekultur 4mit ihr stand im Vergleich zur Wasserkraft auf einmal ein Vielfaches an Antriebskraft zur Verfügung, die sich außer-dem mit der Zeit immer flexibler einsetzen ließ

Hanomag-Steilrohrkessel im Pumpwerk HattersheimSchon Heinrich Spoerl ließ den Lehrer Bömmel in seinem 1933 erschienenen Roman „Die Feuerzangenbowle“ rätseln: „Also, wat is en Dampfmaschin? Da stelle mehr uns janz dumm. Und da sage mer so: En Dampfmaschin, dat is ene jroße schwarze Raum, der hat hinten un vorn e Loch. Dat eine Loch, dat is de Feuerung. Und dat andere Loch, dat krieje mer später.“ Die Zusammenhänge zwischen Kessel und Dampfmaschine sind eben nur wenigen Menschen vertraut, das Innenleben eines für die Zeit zwischen den Weltkriegen typischen Steilrohrkessels noch viel weniger. Hier hilft ein Blick auf die 1928 gezeichnete Grafik weiter. Sie hängt in dem Pumpwerk der Hessenwasser GmbH & Co. KG an der Wasserwerkallee in Hat-tersheim bei Frankfurt am Main. Drei derartige Kessel – von Fachleuten auch „Dampferzeuger“ genannt – versorgten hier eine Dampfmaschine, mit der Trinkwasser gepumpt wurde. Dieser Teil der Trinkwasserversorgungsanlage wurde 1995 stillgelegt und wird seitdem museal erhalten.Übrigens: In dem 1944 gedrehten Film „Die Feuerzangenbowle“ hat Drehbuchautor Spoerl (1887–1955) den Text und damit auch den Sinn leicht verändert und lässt Bömmel sagen: „Dat eine Loch, da kömmt der Dampf rein, und dat andere Loch, dat kriegen wa später…“ – bezieht sich damit also stärker auf die Maschine. Im Roman hat er wohl eine Lokomotive oder Lokomobile im Sinn gehabt, wo der Kessel mit der Feuerung und die Dampfmaschine als eine Einheit wahrgenommen werden. S.B.

Foto: Eberhard Lantz