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Leseprobe Autié, Léonard Léonard, der Coiffeur der Königin Galantes, Frivoles und Extravagantes vom Hofe der Marie Antoinette Aus dem Französischen von Annette Lallemand Herausgegeben von Carolin Fischer © Insel Verlag insel taschenbuch 4167 978-3-458-35867-1 Insel Verlag

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Leseprobe

Autié, Léonard

Léonard, der Coiffeur der Königin

Galantes, Frivoles und Extravagantes vom Hofe der Marie Antoinette

Aus dem Französischen von Annette Lallemand Herausgegeben von Carolin Fischer

© Insel Verlag

insel taschenbuch 4167

978-3-458-35867-1

Insel Verlag

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Coiffeur Royale – der Klatschreporter der Königin Marie Antoi-nette

Mit verrückten, genialen Frisuren, geschmückt von Schlachtschif-fen, Vogelkäfigen und Gemüsearrangements, gewinnt der legendäreCoiffeur Léonard nicht nur die Gunst der Hofdamen, sondern ver-zückt auch Königin Marie Antoinette. Schnell steigt er zum Starfri-seur des Hofes auf und verkehrt in den innersten Kreisen. Mit sei-nem Blick durchs Schlüsselloch offenbart er intime Einblicke ineine Epoche, die zwischen politischen Ränkespielen und höfischenIntrigen dem Sittenverfall und der Maßlosigkeit frönt und mit al-lem Pomp und Gloria dem Untergang geweiht ist.

Léonard Autié, um 1746 in der Provinz der Gascogne geboren, kam1769 nach Paris und stieg zum Hofcoiffeur Marie Antoinettes auf –und revolutionierte die Mode der Zeit. In den Wirren der Franzö-sischen Revolution ging er aufgrund seiner engen Verbindung zumKönigshof und als treuer Anhänger der Bourbonen ins Exil. 1814

kehrte er nach Paris zurück, wo er 1819 starb.

Carolin Fischer studierte Komparistik und Romanistik in Berlin,Hamburg und Paris, promovierte 1993 und arbeitet heute als Do-zentin an der Humboldt-Universität in Berlin. Sie ist Spezialistinfür die französische Literatur des 18. Jahrhunderts, vor allem fürden libertinen Roman.

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Léonard AutiéLéonard, der Coiffeur

der Königin

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Erzherzogin Antonia, die spätere Marie AntoinetteÖlgemälde von Martin van Meytens, 1767/1768.

Schloss Schönbrunn/Wien

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Léonard Autié

L�onard,der Coiffeur der Königin

Galantes, Frivoles und Extravagantesvom Hofe der Marie Antoinette

/

Aus dem Französischen übertragenvon Annette Lallemand

/

Herausgegeben, mit einem Vorwortund Anmerkungen versehen

von Carolin Fischer

Insel Verlag

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Erste Auflage 2012

insel taschenbuch 4167

Insel Verlag Berlin 2012

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2009

und für die deutsche Übersetzung by edition ebersbach, BerlinLizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichenVortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen,

auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeinerForm (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet,vervielfältigt oder verbreitet werden.

Vertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch VerlagUmschlaggestaltung: bürosüd, MünchenSatz: Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn

Druck: CPI – Ebner & Spiegel, UlmPrinted in Germany

ISBN 978-3-458-35867-1

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L�onard,der Coiffeur der Königin

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Vorwort

W enn wir heute an das 18. Jahrhundert denken unduns die Damen der Zeit vorstellen, dann sehen wir

prächtige Kleider mit übermäßig weiten Röcken, vor allemaber Frisuren von einer Extravaganz, wie kaum eine ande-re Epoche sie hervorgebracht hat. Geradezu Haartürme,geschmückt mit Federn, Bändern, Juwelen oder anderen,noch erstaunlicheren Accessoires schmückten die weiblichenHäupter. Von Frisuren konnte bei diesen kunstvollen Auf-bauten nicht mehr die Rede sein, deshalb nannte man siepoufs, und diese poufs wurden zu den verschiedensten The-men gestaltet. Besonders beliebt war zur Zeit der aufkom-menden Empfindsamkeit der pouf au sentiment, der die Trä-gerin ihren emotionalen Zustand oder ihre grundsätzlicheEinstellung in Gefühlsfragen zur Schau stellen ließ. Diesgalt keineswegs nur für gewöhnliche Sterbliche, selbst dieenglische Königin Charlotte wurde von Thomas Gainsbo-rough mit einer solchen Haartracht porträtiert.

Nebendiesenhöchst persönlichenAusdrucksformenkonn-ten sich aber auch Patriotismus oder gar aufklärerisches Ge-dankengut zwischen den Locken manifestieren: So wurdebeispielsweise ein ganzes Schiff unter vollen Segeln als Auf-satz ins Haar drapiert, um einen französischen Sieg zur Seezu feiern. Die bereits von Voltaire in seinen PhilosophischenBriefen von 1734 geforderte Pockenimpfung wurde schließ-

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lich im pouf à l’inoculation von Marie Antoinette persönlichgewürdigt, als ihr Gatte sich einer solchen unterzog, nach-dem Louis XV. 1774 an dieser Krankheit verstorben war.

Sosehr diese imposanten Coiffuren in unserer Vorstellungpräsent sein mögen, letztlich waren sie nur während einerrecht kurzen Zeitspanne en vogue. Auf den Bildern Watteausaus den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts tragen die meistblonden Frauenfiguren das Haar streng zurückgekämmt undam Hinterkopf ohne großen Aufwand hochgesteckt. Diesändert sich bis über die Jahrhundertmitte hinaus wenig, wennwir beispielsweise an die Gemälde Bouchers oder die Por-träts der ungekrönten Königin von Versailles, Madame dePompadour, denken. Allerdings fällt dabei auf, dass auch jun-ge Frauen häufig mit grauen, also gepuderten Haaren zu se-hen sind.

Recht schmucklos waren auch die Frisuren Marie Antoi-nettes, als sie erst 14-jährig zur Hochzeit mit dem Thronfol-ger, dem zukünftigen Louis XVI., in Versailles eintraf. Diesentsprach keineswegs der österreichischen Mode, denn na-türlich hatte man der zukünftigen Dauphine mit dem AbbéVernon nicht allein einen französischen Lehrmeister undSchauspieler zum Erlernen der richtigen Aussprache nachWien geschickt, sondern auch einen der besten Coiffeureder Zeit, Larsenneur, der die junge Erzherzogin mit der fran-zösischen Mode vertraut machen sollte.

Allerdings war es zu keinem Zeitpunkt Aufgabe der fran-zösischen Königinnen gewesen, modische Neuerungen ein-zuführen. Dies konnten sich bestenfalls die königlichen Fa-voritinnen leisten. Zwar drückten die Hofgewänder in ihrerPracht die Vorrangstellung der Monarchin aus, auf die Mode

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hatte sie jedoch ungefähr soviel Einfluss wie heute QueenElisabeth II. Dies allerdings sollte sich mit Marie Antoinettegrundsätzlich ändern, woran zwei Personen entscheidendenAnteil hatten: die Modehändlerin Rose Bertin und LéonardAutié, seines Zeichens Coiffeur voller Phantasie und Wage-mut.

So gut die Geschäfte und die Klientel von MademoiselleBertin erforscht sind, so wenig Genaues weiß man über Léo-nard, der eng mit ihr zusammenarbeitete, um ihre Kreatio-nen um die entsprechende Haarpracht zu ergänzen. Sicherist, dass beide gemeinsam den modischen Wünschen der jun-gen Königin nachkamen und diese inspirierten, so dass siezu einer der ersten Mode-Ikonen Europas wurde. Und zumBild von Marie Antoinette gehören maßgeblich die atem-beraubenden Haaraufbauten, die Léonard auf ihrem Kopfschuf und die bald allgemein kopiert wurden. Das Vertrauender jungen Königin in Léonard war so groß, dass sie ihm ihreJuwelen zur Aufbewahrung gab, als die königliche Familienach der Revolution aus Paris zu fliehen versuchte, aber inVarennes erkannt und gefangen gesetzt wurde. Damit schienauch das Schicksal des Coiffeurs besiegelt. Es heißt, er seiverhaftet worden, und sein Name taucht auf den Listen der-jenigen auf, die unter der Guillotine ihr Leben ließen.

Doch Léonard Autiés Memoiren zeugen von einem er-freulicheren Schicksal. Nach der gescheiterten Flucht fühlteauch er sich in Paris nicht mehr sicher und ging wie vielefranzösische Adelige nach London, wo er, ganz nach demMuster des pikaresken Romans, Julie, die Theaterfee, seineerste Geliebte, wiedertrifft und sie ausführlich von ihremSchicksal berichtet. So werden in diesen Memoiren histori-

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sche Fakten, chronique scandaleuse, üble Nachrede und ebenfiktionale Elemente miteinander verwoben. Sicher sind auchdie Abenteuer, die Léonard nach der Trennung von der Kö-nigin erlebt, nicht uninteressant: Er bleibt den Bourbonentreu, folgt dem Bruder Ludwigs XVI. ins Exil, siedelt dannnach Sankt Petersburg über, wird wie selbstverständlich vomZaren empfangen, kehrt aber nach der Abdankung Napo-leons 1814 an die Seine zurück, wo er nach mehreren Pe-titionen ein niederes Amt bei Hofe bekleidet, bis er 1819

stirbt.Weit faszinierender als der bewegte Lebenslauf des Coif-

feurs sind indes die zahllosen Indiskretionen, die er aus deminnersten Kreis um Marie Antoinette auszuplaudern weiß.Dies umso mehr, als er die verschiedenen Ebenen und Anek-doten elegant miteinander verknüpft, und dies – bei allemRespekt für Ihre Majestäten – in einer äußerst lockeren, ge-witzten Sprache.

Bei einer so brillanten Feder drängt sich die Frage auf,ob sie tatsächlich von einem Lockendreher geführt wurde.Im Vorwort der ersten Ausgabe von 1838 heißt es, dass einenach Wien emigrierte Comtesse sich dieser Memoiren an-genommen habe, wo der Herausgeber sie ausfindig machenkonnte, um sie nun dem Publikum zu präsentieren. Geradedie Leser jener Zeit wussten nur zu gut, was sie von solchen»Funden« zu halten hatten. Doch war die reale Figur deskleinen Provinzfriseurs, der es geschafft hat, die Haarmodein ganz Europa zu revolutionieren und im wahrsten Sinndes Wortes zu ungeahnten Höhen aufzubauschen, spannendgenug, als dass man seine Autorschaft hätte in Frage stel-len wollen, zumal der Ich-Erzähler dieser Memoiren der-

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artig sympathisch auftritt, dass man ihm unbedingt Glau-ben schenken möchte. So geht auch das Mitglied der Aca-démie française, Jules Claretie, in seinem Vorwort zu einerAusgabe der Souvenirs zu Beginn des 20. Jahrhunderts ele-gant über diese Frage hinweg, indem er schreibt: »Es zähltallein, dass dieses Buch amüsiert, und es steht mir nicht zu,die Authentizität der Anekdoten zu bewerten.«

So hielt man noch 2007 für eine französische Neuauflagean der charmanten Vorstellung fest, dass der TausendsassaLéonard tatsächlich Worte ebenso kunstvoll zu ordnen ver-stand wie Haare, doch bereits die Zeitgenossen der Erstaus-gabe wussten es besser, und der Katalog der Pariser Natio-nalbibliothek nennt für eines der Exemplare – ohne Gnadefür unseren Figaro – den Namen des realen Autors: GeorgesTouchard-Lafosse. 1780 geboren, wurde er unter NapoleonOffizier, nahm am Russlandfeldzug teil, arbeitete nach 1815

als Journalist und verfasste eine Vielzahl an Romanen, so1820 eine Nachahmung von Cazottes Le diable amoureux.Als exzellenter Kenner der historischen Ereignisse sowie derRomane, Chroniken und Pamphlete des 18. Jahrhundertsveröffentlichte er um 1830 in acht Bänden Les Chroniquespittoresques et critiques de l’Œil-de-bœuf, bei denen es sichangeblich um die Memoiren einer alten Gräfin handelt. Œil-de-bœuf heißt eigentlich schlicht Rundfenster (entsprechenddem deutschen »Bullauge«), doch bezeichnet es hier denRaum, durch den man in Versailles von der Spiegelgaleriein das Schlafgemach des Königs gelangt. Wenn man nun be-denkt, dass die allmorgendliche Zeremonie des lever du roieines der wichtigsten Augenblicke des höfischen Protokollswar, kann man sich lebhaft vorstellen, dass dieses Vorzimmer

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die Gerüchtebörse par excellence darstellte, und eben sämt-liche Ondits über die Herrschaft von Louis XIII. bis hin zuLouis XVI. hat Touchard-Lafosse in diesen Chroniken zu-sammengetragen. So war er bestens gerüstet, um auch überdie Gattin des Letzteren aus Sicht ihres Coiffeurs zu schrei-ben, was ihm alle möglichen Freiheiten ließ. Zwar hat er sichzu diesem Werk nie ganz bekannt, der Zuschreibung abernie widersprochen und zwei Jahre vor seinem Tode 1847 zu-mindest für die Chroniques die offizielle Vaterschaft über-nommen.

Um nun zu verstehen, in welche Welt die 14-jährige öster-reichische Erzherzogin Antonia durch ihre Hochzeit mitdem französischen Thronfolger gelangte, ist ein kurzer Blickauf die Genealogie des Gatten sicher hilfreich. Die franzö-sische Thronfolge war streng nach dem Salischen Gesetz ge-regelt, die nur männliche Erben zuließ, doch oft genug gingdie Krone nicht vom Vater auf den Sohn über. Zehn Jahrelang hatten Henri II. und seine Gattin Caterina de Mediciauf Nachkommen warten müssen, bis sich reicher Kinder-segen einstellte, indes waren keinem ihrer Söhne, von de-nen nicht weniger als drei hintereinander zu französischenKönigen gekrönt wurden, Erben beschieden. So löschte derMord an Henri III. im Jahre 1589 das Haus Valois aus. DerName seines Nachfolgers, Henri IV., suggeriert zwar einenreibungslosen Übergang, doch war der erste Bourbone nurein entfernter Cousin, vor allem aber Protestant, der sichmit dem geflügelten Wort »Paris ist eine Messe wert« zumKatholizismus bekehrte, die Macht über das Land auch tat-sächlich erringen und es nach schier endlosen Religionskrie-gen befrieden konnte. Doch fiel auch er wie sein Vorgänger

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einem religiösen Fanatiker, Ravaillac, zum Opfer. Sein SohnLouis XIII. aber und stärker noch sein Enkel Louis XIV. konn-ten in den folgenden 105 Jahren eine absolute Monarchie er-richten. Von 1643 bis 1715 dauerte die Herrschaft des Son-nenkönigs, der sich nach glorreichen Jahrzehnten zum Endedurch verlorene Kriege, ruinierte Finanzen und Bigotterieverhasst gemacht hatte. Mehrere Dauphins, Thronfolger derersten und zweiten Generation, hatte er überlebt, sein Uren-kel Louis XV. wurde fünfjährig zum König, für den sein On-kel Philippe d’Orléans die Regentschaft übernahm, eine Epo-che, die als Régence für ihre zügellose Freizügigkeit in dieAnnalen eingegangen ist. 1723 kam der junge Monarch selbstan die Macht, war zunächst so beliebt, dass man ihm den Bei-namen Louis le Bien-Aimé, der Vielgeliebte, gab. Doch auchseine Regierungszeit währte zu lang, der verlorene Sieben-jährige Krieg (1756-1763) zehrte an seinem Ruhm wie ander Staatskasse, vor allem aber erwies Louis XV. sich als wür-diger und somit für den Thron unwürdiger Schüler seinesOnkels. Zwar waren königliche Maitressen geradezu eineInstitution und niemand nahm wirklich Anstoß an der klu-gen Madame de Pompadour. Doch richtete sich die Majes-tät unweit des Schlosses Versailles im Parc-aux-cerfs ein Pri-vatbordell ein, hatte ein Verhältnis mit den drei SchwesternNesle, das als inzestuös erachtet wurde, und ging schließ-lich die lange und mehr als unstandesgemäße Liaison mitMadame Dubarry ein.

1725 war Louis XV. beinahe überstürzt mit Maria Leszc-zynska, der sieben Jahre älteren Tochter des abgesetzten pol-nischen Königs, verheiratet worden, was am Hofe als Me-salliance betrachtet wurde, aber aus Sorge um die schlechte

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Gesundheit des 17-jährigen Königs wollte man, dass er mög-lichst schnell einen Thronfolger zeugen möge. Das jungePaar ist zunächst auch sehr glücklich miteinander, und in nurzehn Jahren bringt die Königin zehn Kinder zur Welt, davonaber nur zwei Söhne, die überdies früh verstarben. Nach die-ser Zeit wendet sich der noch immer sehr junge König ande-ren, jüngeren Gefährtinnen zu, was seine Gemahlin, die wei-terhin sämtliche Repräsentationspflichten auf sich nimmtund sich der Erziehung ihrer Kinder widmet, geduldig er-trägt. Die vielen Mädchen, allesamt Tanten Ludwigs XVI.,bleiben mit einer Ausnahme ledig und somit am VersaillerHof. Dort üben sie einen erheblichen Einfluss aus, allen vo-ran Adélaide, die Ludwig, der früh seine Eltern und den ältes-ten Bruder verliert, gewissermaßen die Mutter ersetzt. Selbstnach seiner Krönung mischt sie sich sowohl in seine Politikals auch in sein Privatleben ein, indem sie Marie Antoinettebei ihm anschwärzt, worauf Léonard in der Aurora-Episodeanspielt. Madames les tantes nehmen die junge Dauphinezunächst aber unter ihre Fittiche und vermitteln dieser ihreausgeprägte Abneigung gegen die Dubarry.

Die Verbindung des 58-jährigen, verwitweten Monarchenmit einer Modeverkäuferin, die er als Maitresse von Jean-Baptiste du Barry kennenlernte, war schon an sich skandalösgenug. Doch durchkreuzte sie auch die Pläne des Duc deChoiseul, eines der wichtigsten Minister Ludwigs XV., dergern eine Dame seiner Einflusssphäre im königlichen Bettegesehen hätte. Daraus erklärt sich die ablehnende HaltungChoiseuls, die sicher auch einige der obszönen Pamphleteinspiriert hat, die aus der unkeuschen Modeverkäuferin eineehemalige Prostituierte machten. Kein Wunder also, dass die

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Favoritin dem Minister wenig gewogen war und die Parteiseiner Gegner stützte, die 1770 Choiseuls Absetzung unddie Ernennung des Duc d’Aiguillon erreichte. Die erotischeMotivation der Dubarry hingegen, die ihr in Léonards Me-moiren unterstellt wird, entstammt wohl eher der Phantasieihrer Verleumder.

Zuvor war Choiseul sein wichtigster Coup gelungen. Umdie traditionelle Rivalität zwischen Frankreich und dem Hau-se Habsburg zu beenden, hatte er bereits als Botschafter inWien die erfolgreiche Heiratspolitik Maria Theresias unter-stützt, deren Krönung die Verbindung ihrer jüngsten Toch-ter Marie Antoinette mit dem Dauphin darstellte: eine Ehezwischen fast Gleichaltrigen, die aus rein politischen Mo-tiven geschlossen wurde, als die beiden gerade vierzehn res-pektive fünfzehn Jahre alt waren.

Von klein auf war die Erzherzogin Antonia, wie sie in ih-rer Heimat genannt wurde, dazu bestimmt, eine große Rolleauf der europäischen Bühne zu spielen, doch gelang es auchdem aus Frankreich entsandten Abbé Vermont nur mäßig,das Mädchen auf ihre Zukunft vorzubereiten. FranzösischeKöniginnen wurden nicht gekrönt, ihre Aufgabe war es,Thronfolger zu gebären, und tatsächlich blieben sie meistim Hintergrund, wenn sie nicht die Regentschaft für ihre un-mündigen Söhne übernahmen wie Maria de Medici.

Die junge Dauphine hatte von Anfang an einen schwe-ren Stand in Versailles: Sie litt unter dem strengen Protokoll,während man ihr als der »Österreicherin« mit Misstrauenbegegnete. Tatsächlich hat Maria Theresia ihre Tochter im-mer wieder beschworen, die französische Politik zu Gunstender Habsburger zu beeinflussen. Sehr viel ernster war indes,

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dass die Ehe des Thronfolgerpaares über viele Jahre nichtrechtmäßig vollzogen wurde, also jederzeit hätte annulliertwerden können. Dies führte zu einem weiteren Autoritätsver-lust der Krone, die durch den schlechten Ruf Ludwigs XV.und seiner Maitresse ohnehin an Glanz eingebüßt hatte. Dawog es umso schwerer, dass die Dauphine sich an der rigidenEtikette des überalterten französischen Hofes, der schließ-lich derjenige ihres Schwieger-Großvaters war, stieß und di-verse Regeln der Schicklichkeit missachtete. Vor allem dieEskapaden mit ihrem jüngeren Schwager, dem Comte d’Ar-tois, ein 13-jähriger Knabe bei ihrer Hochzeit, sorgten fürGerede und ein erstes Pamphlet, Les Amours de Charlot etToinette. Dass Charles, der jüngste der drei Brüder, dann1775 als Erster Vater wurde, noch dazu eines Knaben, mach-te die Position Marie Antoinettes, zu jenem Zeitpunkt seiteinem Jahr Königin, noch heikler und ließ in der Folge bös-artige Gerüchte ob der Vaterschaft ihrer Kinder kursieren,deren erstes acht Jahre nach der Hochzeit zur Welt kam.

Die Eheprobleme boten einen reichen Nährboden für dieverschiedensten Spekulationen und Verleumdungen. Da ihrGatte seinen ehelichen Pflichten offenkundig nicht genügte,unterstellte man Marie Antoinette, sich anderenorts Trostzu suchen. Einerseits schrieb man ihr neben ihrem Schwagerdiverse Liebhaber zu, wobei einzig ihre innige seelische Ver-bundenheit zu dem schwedischen Grafen Fersen belegt ist.Auf der anderen Seite wurde ihr ein Hang zum eigenen Ge-schlecht unterstellt, für den die immensen Zuwendungen anihre Favoritin, die zur Herzogin erhobene Yolande de Poli-gnac, und deren Familie einen Beleg zu liefern schienen. Eineganze Fülle pornographischer Pamphlete gegen die Königin

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erschien während der Revolution und ihre Verschwendungs-sucht trug ihr den wenig schmeichelhaften Titel »Madamedéficit« ein.

Viele Echos dieser Schmähschriften finden sich in Léo-nards Memoiren, doch weit weniger als Marie AntoinettesHang zu kostbarem Schmuck und prächtigen Toiletten scha-dete ihr wohl das Aufbegehren gegen die Zwänge der Rolle,aus denen sie sich so oft es ging in die weitgehende Privatheitdes Trianon-Schlösschens am Rande der Versailler Parkan-lage flüchtete.

Wie im Buch beschrieben, gab Marie Antoinette nachder Geburt ihrer Kinder die Turmfrisuren zugunsten einerneuen Natürlichkeit, der coiffure à l’enfant, auf, die ihr Pen-dant in einfachen Mousseline-Kleidern fand. Hatte man sichüber den extrem aufwändigen Aufputz der Königin zu em-pören gewusst, erregte sie nun in dieser Schlichtheit einenechten Skandal: Ein entsprechendes Gemälde von ElisabethVigée-Lebrun, das Marie Antoinette als eine hübsche Frauim luftigen weißen Kleid zeigt, musste aus dem Salon von1783 entfernt werden, da eine solche Darstellung sich nichtmit der Würde vereinbaren ließ, die die Gattin des franzö-sischen Monarchen zu jeder Zeit verkörpern musste. So istes vielleicht weniger ihre vielgescholtene Liebe zum Prunkals vielmehr der Wunsch nach einem ›normalen‹ Leben alsFrau und Mutter, der wesentlich dazu beigetragen hat, dassdie französische Königin Marie Antoinette am 16. Oktober1793 als »Witwe Capet« guillotiniert wurde.

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Editorische Notiz

Die Souvenirs de Léonard, coiffeur de la reine Marie Antoi-nette erschienen zum ersten Mal 1838 in zwei Bänden bei Le-vasseur in Paris. In der Einleitung ist zu lesen, dass Léonardpersönliche Aufzeichnungen hinterlassen habe. Nach lan-ger Suche fand der Herausgeber diese Papiere in den Hän-den einer nach Deutschland emigrierten Comtesse, die ihmfreundlicherweise den ersten Teil schickte und den zweitenTeil in Aussicht stellte. Bereits im selben Jahr erschien diezweite Auflage, für die die erste einschließlich der Einlei-tung identisch nachgedruckt, aber um zwei weitere ebensoumfangreiche Bände erweitert wurde. In ihnen beschreibtLéonard sein Leben von der Revolution bis zu seinem Todim Jahr 1819, von dem ein kurzer Epilog Kenntnis gibt. Die-se beiden Ausgaben sind extrem rar und im Gesamtkatalogaller französischen Bibliotheken lediglich in der Pariser Bi-bliothèque Nationale verzeichnet.

Eine reich illustrierte Auswahlausgabe, die kurz nach Léo-nards Ankunft in Paris einsetzt und mit der missglücktenFlucht der königlichen Familie endet, erschien 1905 in der»Collection historique et anecdotique« bei Fayard. Eineweitere stark gekürzte Fassung in schlichter Aufmachung er-schien 1950; diese wurde 2007 fast identisch neu aufgelegt.Der zweibändige Privatdruck einer englischen Übersetzungerschien 1897 in London.

Für diese erste deutsche Übersetzung wurden vor allemdie Episoden ausgewählt, die vom Leben Léonards, seinemtriumphalen Aufstieg und seinen Diensten für Marie Antoi-nette berichten und mit dem erzwungenen Auszug des Kö-

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