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1 links 5.09 Klartext zur Politik im Kanton St.Gallen www.sp-sg.ch Editorial // Vor einem Jahr hielt uns der Bankencrash in Atem. Heute erinnert im Finanzsektor nicht mehr viel an die Krise. Diese hatte weltweit von den Staaten massive Interventionen erfordert, damit nicht die ganze Wirtschaft zusammenkrachte. Wer erwartet hat, dass aus diesem Absturz der Finanzbranche Konsequenzen gezogen werden, der sieht sich ein- mal mehr geprellt. Die Regulierung der Bonizahlungen von Grossbanken und Versicherungen durch die Aufsichtsbehörde Finma ist mickrig ausgefal- len. Das Bundesparlament hat auf Transparenz bei den Gehältern und auf eine Beschränkung der Grösse der Geldinstitute verzichtet. Auch wenn Boni heute schon wieder üppig fliessen, auf dem Arbeitsmarkt geht es rauh zu und her. Die Arbeitslosenrate im Kanton St.Gallen liegt bei 3.6%, die Rate der Stellensuchenden gar bei 5.7%. Langjährige MitarbeiterIn- nen werden auf die Strasse gestellt, weil sie sich getrauten, für Arbeitsplätze zu kämpfen. Die explodierenden Krankenkassenprämien werden nächstes Jahr für noch mehr Familien und Alleinstehende untragbar. Ob Boni, Löhne, Arbeitsplätze oder Krankenkassenprämien – die Bevölkerung muss das Heft in die Hand nehmen, die bürgerlichen PolitikerInnen tun es nicht. Die Abstim- mung zur Abzockerinitiative, die Lohndeckelinitiative 1:12 der Juso oder bald eine neue Initiative für eine Einheitskasse bieten dazu Gelegenheit. Wir in der SP lassen nicht locker, bis auch in den kleinen und mittleren Portemonnaies wieder mehr Geld zum Leben bleibt. Claudia Friedl, Parteipräsidentin Klartext zur Politik im Kanton St.Gallen www.sp-sg.ch Inhalt November 2009 // Nr. 5 3 Rechtsverwilderung in Rorschach 4 Die Grossverdiener beim Kanton 5 Brutalkündigungen greifen um sich 6 Abzockerinitiative der Juso gut unterwegs 7 SP debattiert Jugendgewalt 9 Krankenkassen: Es muss etwas gehen! 10 Bundesgericht gegen St.Galler Schikanen Bild links FCSG verkauft Adressen von Fans Datenmissbrauch beim FC St.Gallen: Ohne sie zu fragen, gibt der klamme Fussballclub die Adressen von Saisonkartenbesitzern an die Krankenkasse Helsana weiter. Die geht dann auf die Jagd nach «guten Risiken». D ie Krankenkasse Helsana ist Sponsorin der Ju- gendabteilung des FCSG. Das ist gut für die Krankenkasse – sie kann sich als Nachwuchsförderin präsentieren – und gut für den FC: Der erhält einen Zustupf in die Vereinskasse. Doch beide wollen mehr. Der Fussballclub mehr Geld, die Krankenkasse mehr Kundschaft. Also warum nicht ein attraktives Angebot für «treue Fans» kreieren? Zum Beispiel einen Kollek- tivvertrag für die Zusatzversicherung: Die Fans pro- fitieren von tieferen Prämien, die Helsana hat mehr KundInnen (und erst noch vorwiegend junge Männer, also «gute Risiken», wie es im Fachjargon heisst), und für den FC St.Gallen springen 2% des Nettoprämien- volumens heraus. Genau für dieses Angebot wurde im Matchprogramm und mit einem Werbeflyer als Beilage in einem Versand geworben. Anruf von Helsana // Auch ich habe dieses Schrei- ben erhalten, müde über diesen netten Versuch ge- lächelt und den Brief ins Altpapier geworfen. Wahr- scheinlich haben die meisten Umworbenen so reagiert. Die Aktion hat sich anscheinend noch nicht gelohnt. Also muss nachgehakt werden. Ende Oktober erhalte ich, wie etliche andere Saisonkartenbesitzer, einen Anruf: «Grüezi, Sie haben von der Helsana und dem FC St.Gallen ein attraktives Angebot erhalten.» Nein, danke! Es gibt in diesen wilden Zeiten schon genügend Krankenkassen, die ihr Glück mit lästigen Telefon- anrufen versuchen. Kurze Zeit später dann die Irrita- tion: Warum weiss die Helsana, dass ich eine Saison- karte des FC St.Gallen besitze? Hat der FCSG mei- ne und damit auch alle anderen Adressen verkauft? Nachfrage per Mail bei Michael Hüppi, Präsident des Fussballclubs. Die Antwort kommt postwendend: Er gehe dieser Sache nach. In der Zwischenzeit ein kur- zer Blick in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des FC St.Gallen: «7. Datenschutz: Für die Betriebs AG ist die Einhaltung der geltenden Datenschutzbestim- mungen eine Selbstverständlichkeit. Die Betriebs AG nutzt die Daten nur im Rahmen der gesetzlichen Be- stimmungen.» Die Helsana in St.Gallen geht dank dem FCSG auf die Jagd nach «guten Risiken».

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Klartext zur Politik im Kanton St.Gallen Herausgeberin: SP des Kantons St.Gallen

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E d i t o r i a l // Vor einem Jahr hielt uns der Bankencrash in Atem. Heute erinnert im Finanzsektor nicht mehr viel an die Krise. Diese hatte weltweit von den Staaten massive Interventionen erfordert, damit nicht die ganze Wirtschaft zusammenkrachte. Wer erwartet hat, dass aus diesem Absturz der Finanzbranche Konsequenzen gezogen werden, der sieht sich ein-mal mehr geprellt. Die Regulierung der Bonizahlungen von Grossbanken und Versicherungen durch die Aufsichtsbehörde Finma ist mickrig ausgefal-len. Das Bundesparlament hat auf Transparenz bei den Gehältern und auf eine Beschränkung der Grösse der Geldinstitute verzichtet. Auch wenn Boni heute schon wieder üppig fliessen, auf dem Arbeitsmarkt geht es rauh zu und her. Die Arbeitslosenrate im Kanton St.Gallen liegt bei 3.6%, die Rate der Stellensuchenden gar bei 5.7%. Langjährige MitarbeiterIn-nen werden auf die Strasse gestellt, weil sie sich getrauten, für Arbeitsplätze zu kämpfen. Die explodierenden Krankenkassenprämien werden nächstes Jahr für noch mehr Familien und Alleinstehende untragbar. Ob Boni, Löhne, Arbeitsplätze oder Krankenkassenprämien – die Bevölkerung muss das Heft in die Hand nehmen, die bürgerlichen PolitikerInnen tun es nicht. Die Abstim-mung zur Abzockerinitiative, die Lohndeckelinitiative 1:12 der Juso oder bald eine neue Initiative für eine Einheitskasse bieten dazu Gelegenheit. Wir in der SP lassen nicht locker, bis auch in den kleinen und mittleren Portemonnaies wieder mehr Geld zum Leben bleibt. Claudia Friedl, Parteipräsidentin

Klartext zur Politik im Kanton St.Gallen www.sp-sg.ch

I n h a l t November 2009 // Nr. 5 3 Rechtsverwilderung in Rorschach 4 Die Grossverdiener beim Kanton 5 Brutalkündigungen greifen um sich 6 Abzockerinitiative der Juso gut unterwegs 7 SP debattiert Jugendgewalt 9 Krankenkassen: Es muss etwas gehen!10 Bundesgericht gegen St.Galler Schikanen

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FCSG verkauft Adressen von FansDatenmissbrauch beim FC St.Gallen: Ohne sie zu fragen, gibt der klamme Fussballclub die Adressen von Saisonkartenbesitzern an die Krankenkasse Helsana weiter. Die geht dann auf die Jagd nach «guten Risiken».

Die Krankenkasse Helsana ist Sponsorin der Ju-gendabteilung des FCSG. Das ist gut für die

Krankenkasse – sie kann sich als Nachwuchsförderin präsentieren – und gut für den FC: Der erhält einen Zustupf in die Vereinskasse. Doch beide wollen mehr. Der Fussballclub mehr Geld, die Krankenkasse mehr Kundschaft. Also warum nicht ein attraktives Angebot für «treue Fans» kreieren? Zum Beispiel einen Kollek-tivvertrag für die Zusatzversicherung: Die Fans pro-fitieren von tieferen Prämien, die Helsana hat mehr KundInnen (und erst noch vorwiegend junge Männer, also «gute Risiken», wie es im Fachjargon heisst), und für den FC St.Gallen springen 2% des Nettoprämien-

volumens heraus. Genau für dieses Angebot wurde im Matchprogramm und mit einem Werbeflyer als Beilage in einem Versand geworben.

A n r u f v o n H e l s a n a // Auch ich habe dieses Schrei-ben erhalten, müde über diesen netten Versuch ge-lächelt und den Brief ins Altpapier geworfen. Wahr-scheinlich haben die meisten Umworbenen so reagiert. Die Aktion hat sich anscheinend noch nicht gelohnt. Also muss nachgehakt werden. Ende Oktober erhalte ich, wie etliche andere Saisonkartenbesitzer, einen Anruf: «Grüezi, Sie haben von der Helsana und dem FC St.Gallen ein attraktives Angebot erhalten.» Nein, danke! Es gibt in diesen wilden Zeiten schon genügend Krankenkassen, die ihr Glück mit lästigen Telefon-anrufen versuchen. Kurze Zeit später dann die Irrita- tion: Warum weiss die Helsana, dass ich eine Saison-karte des FC St.Gallen besitze? Hat der FCSG mei-ne und damit auch alle anderen Adressen verkauft? Nachfrage per Mail bei Michael Hüppi, Präsident des Fussballclubs. Die Antwort kommt postwendend: Er gehe dieser Sache nach. In der Zwischenzeit ein kur-zer Blick in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des FC St.Gallen: «7. Datenschutz: Für die Betriebs AG ist die Einhaltung der geltenden Datenschutzbestim-mungen eine Selbstverständlichkeit. Die Betriebs AG nutzt die Daten nur im Rahmen der gesetzlichen Be-stimmungen.»

Die Helsana in St.Gallen geht dank dem FCSG auf die Jagd nach «guten Risiken».

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Die Antwort von Rechtsanwalt Michael Hüppi trifft eine Woche später per Mail ein. Ich sei im Sep-tember schriftlich über den Kollektivvertrag zwischen der FC St.Gallen AG und der Helsana informiert wor-den, und mir sei mitgeteilt worden, dass ich mich mel-den könne, falls ich von diesem Angebot nicht profi-tieren möchte. Da muss also ich reagieren, wenn ich etwas, das ich nie bestellt habe, nicht möchte. Ein üb-ler Marketingtrick, mit dem die Helsana schon früher Negativschlagzeilen gemacht hat.

V e r w e d e l u n g s v e r s u c h e // Weiter schreibt Hüppi: «Den Anruf, welchen Sie geschildert haben, hat nicht die Helsana gemacht. Wir haben diese Kundenanfrage auf eine Drittfirma übertragen. Es sind keinerlei Adres-sen direkt an Helsana weitergegeben worden.» Und weiter: «Der FC St.Gallen hat selbstverständlich Ihre Adressdaten nicht weiterverkauft.» Ich bin halbwegs beruhigt. So schlimm scheint es um meinen Fussball-club also doch noch nicht zu stehen. Die Adressen der treuesten Anhänger wurden nicht in Bares getauscht. Aber ich will Gewissheit haben. Ein kurzer Rück-ruf auf die Nummer, von der ich den Anruf erhalten habe, ergibt folgendes Resultat: «Helsana St.Gallen, grüezi...» Die Mitarbeiterin ist freundlich und bestä-

tigt mir, dass sie bei der Helsana angestellt ist und dass diese Aktion für mich und den FC St.Gallen nur Vor-teile bringen würde. Also doch. Der FC St.Gallen ver-kauft Adressdaten! Nachfrage bei Hüppi: «Wer hat das zu verantworten? Welche Konsequenzen werden da-raus gezogen?» Die Antwort lässt dann auf sich warten. Erst nach einer erneuten Nachfrage gibt Hüppi dann zu, dass seine erste Antwort nicht korrekt war: Die An-frage sei an ein Call-Center der Helsana übergeben worden. Im Weiteren versteckt sich der Präsident des FC St.Gallen hinter formaljuristischen Argumenten: Alles sei aus datenschützerischer Sicht korrekt abge-laufen, da mit der Helsana vertraglich vereinbart wur-de, dass die Adressen nach dieser Aktion gelöscht wer-den. Michael Hüppi hält an seiner Aussage fest, dass der FCSG die Adressdaten nicht verkauft hat: «Die FC St. Gallen AG kann Ihnen garantieren, dass keine Adressdaten verkauft wurden.» Das kann Hüppi schon so sehen, wenn er möchte. Die Fakten sprechen ei-ne andere Sprache: Die Helsana ist Partnerin des FC St.Gallen, bezahlt für diese Partnerschaft einen Betrag und darf als Gegenleistung die rund 10'000 Saisonkar-tenbesitzerInnen anrufen. Das ist der Deal, und bei diesem Deal floss Geld. Also doch: Der FCSG hat seine treuesten Fans verkauft! Peter Olibet

Die Freiheit des Wortes

Mit einem gewichtigen Buch feiert die religiös-soziale Bewegung ihr gut hundertjähriges Bestehen. St.GallerInnen prägen sie bis auf den heutigen Tag.

Für die Freiheit des Wortes» lautet der programma-tische, gegen Zensur jeglicher Art gerichtete Titel

des 430seitigen Werks, mit dem die Zeitschrift «Neue Wege» auf ihr über hundertjähriges Bestehen zurück-

blickt. Im Jahr 1906 noch vor dem Ersten Weltkrieg gegründet, war die Zeitschrift das Organ der religiös-sozialen Bewegung, einer Strömung innerhalb der Linken, die auch in der SP bis auf den heutigen Tag aktiv ist. Wenige wissen, dass sie im st.gallischen Degersheim gegründet wurde. Im Oktober 1906 traf sich eine kleine Gruppe von refor-mierten Theologen und Seelsorgern. Ihnen allen war die Überzeugung gemein, dass das Reich Gottes auf Erden verwirklicht werden müsse und dass krasse soziale Ungleich-heit nicht geduldet werden dürfe. Mitgrün-der war der Bündner Pfarrer und Theologe

Leonhard Ragaz (1868-1945), der später diese Be-wegung personifizierte. Mitgewirkt haben auch der Degersheimer Pfarrer Hans Bader und der St.Galler Kantonsschullehrer Johann Georg Hagmann. Ragaz sympathisierte mit der damals noch antikapitalis- tischen SP, die als neue, machtvolle Kraft die poli-tische Bühne betrat und den Hoffnungen auf eine bes-sere, gerechtere Gesellschaft Ausdruck gab. In seiner berühmten Maurerstreikpredigt im Jahr 1903 bezich-tigte Ragaz das offizielle Christentum, es schaue «kalt und verständnislos dem Werden einer neuen Welt» zu. Von Revolution und gewaltsamem Umsturz wollte der Pazifist allerdings nichts wissen.

I n S t . G a l l e r H a n d // Heute, 103 Jahre später, er-freut sich die religiös-soziale Bewegung anhaltender Vitalität. In dem kritischen Monatsheft «Neue Wege» finden auch Nichtreligiöse, aber an politischen Fragen Interessierte vielfältige Denkanstösse (www.neue-wege.ch). Geblieben ist der st.gallische «Stempel»: Mit Rolf Bossart hat seit kurzem ein St. Galler die Nach- folge des langjährigen Redaktors Willy Spieler über-nommen. Neuerdings ist auch die grüne Zürcher ex-Stadträtin Monika Stocker dabei. Der Herausgeber-verein wird von alt-Nationalrätin Pia Hollenstein präsidiert. Wer sich über die Bedeutung der religiös- sozialen Bewegung ins Bild setzen möchte, kann sich nun in dem opulenten Band «Für die Freiheit des Wortes» von Willy Spieler, Stefan Howald und Ruedi Brassel-Moser (Theologischer Verlag Zürich) einge-hend informieren. Anhand der Geschichte der «Neuen Wege» lässt sich das ganze 20. Jahrhundert und seine politischen Themen und Kämpfe besichtigen. (rh)

Willy Spieler, Stefan Howald, Ruedi Brassel-Moser, Für die Freiheit des Wortes. Neue Wege durch ein Jahrhundert im Spiegel der Zeitschrift des religiösen Sozialismus, Theologischer Verlag, Zürich 2009, Fr. 48.–

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Wildwest in Rorschach

Wer in Rorschach illegal Bäume fällt, darf auf Straflosigkeit hoffen – und auf den Segen des Stadtpräsidenten. Dieses Fazit legt der jüngste Ökoskandal in der Hafenstadt nahe.

Hohe Bäume verstellten den AnwohnerInnen an der Scholastikastrasse über dem Rorschacher Haupt-

bahnhof die Seesicht. Vor zwei Jahren schritten sie zur Tat und liessen eine ganze Böschung abroden. Eine Bewilligung zum Fällen der geschützten Bäume hat-ten sie nicht. Die Böschung gehört der SBB. Diese hatte den Anwohnern lediglich erlaubt, niedrige Gewächse zu entfernen. Der Fall war sonnenklar. Das Baugesetz sieht für solche Fälle Bussen bis zu 30'000 Franken vor. Doch anscheinend haben die Täter gute Beziehungen ins Rathaus. Der Stadtrat verzichtete nämlich auf eine Busse: Den Leuten sei nicht bewusst gewesen, dass es sich um einen geschützten Baumbestand handle. «Die Fehlbaren wurden geschont, obwohl sie äusserst dreist gehandelt haben», empörte man sich nicht nur in der örtlichen SP. Der Stadtrat kam nicht darum herum, eine Wie-derherstellungsverfügung zu erlassen. Drei Waldkie-fern, fünf Hainbuchen, fünf Feldahorne und fünf Ei-ben müssen neu gepflanzt werden, und zwar innert einer Vollzugsfrist von sechs Monaten, spätestens bis zum 31. August 2008. Somit hätte neun Monate nach der illegalen Abholzung aufgeforstet werden müssen,

spät genug. Noch heute aber, zwei Jahre nach der Tat, ist kein müder Halm gepflanzt worden. «Die Sache wird mit System verzögert und verschleppt», stellt SP-Präsident Max Bürkler fest. Auch eine kostenpflichtige Ersatzvornahme wurde nicht verfügt. Weshalb nicht? Wieso darf man in Rorschach illegal Bäume fällen, oh-ne etwas befürchten zu müssen? Ist die Hafenstadt ein Paradies für Umweltfrevler? Eine kleine Bananenrepu-blik am See? F a l s c h e H o f f n u n g e n // Am letztjährigen Stadt-apéro musste sich Stadtpräsident Thomas Müller (CVP) erstmals in der Sache erklären. Und es kam ans Licht, dass er gar keine Ersatzpflanzung will. Grund: Die Stadler Rail AG ziehe unterhalb der Böschung den Bau einer Abfertigungshalle in Betracht, und wenn die Böschung zur Baustellenzufahrt werde, müsse man ja die Neuanpflanzung wieder abroden. Das stellte sich bald als falsch heraus, denn Stadler baut nicht in Ror-schach, sondern im thurgauischen Erlen. Trotzdem wurde weiterhin keine Ersatzvornahme angeordnet. Ein genervter Anwohner alarmierte darauf die GPK. Diese erhielt von Müller zur Antwort, dass er das Ge-spräch mit den Betroffenen suche. Gespräch statt Stra-fe – das passt so gar nicht zum Stadtpräsidenten, der als Nationalrat gegenüber Kriminellen und Ausländern gerne den Hardliner gibt. Im vergangenen Juli platzte der SP Rorschach endgültig der Kragen. Wegen Müllers widerrechtlicher Untätigkeit reichte sie Aufsichtsbeschwerde beim Bau-departement ein: Es müsse sofort aufgeforstet werden. Der Stadtrat beantragte Ablehnung und warf der SP Missbrauch für parteipolitische Zwecke vor. Verkehrte Welt: Die Opposition verlangt den Vollzug von Anord-nungen, während die Stadt ihre eigenen Verfügungen nach Kräften hintertreibt. Seldwyla pur, würde man meinen und glauben, dass der Kanton nun wenigstens per Aufsicht den Rechtsstaat wiederherstellt. Doch weit gefehlt. Das (freisinnige) Baudepartement lehnte An-fang Oktober die SP-Anzeige sowie diejenige eines An-wohners, der sich ebenfalls aufregt, ab. Der Trick da-hinter geht so: Nachdem das Argument mit Stadler Rail wegfiel, liess Müller verlauten, der Stadtrat wolle das Schutzkonzept der Stadt überprüfen und Anpassungen vornehmen, da es in Rorschach eine «Nachfrage nach Wohnungen mit Seesicht» gebe. Was das für die Natur heisst, kann man sich denken. Gleichzeitig stellte die SBB als Grundeigentümerin des Tatorts ein Wiederer-wägungsgesuch und reichte zudem ein Baugesuch für die Rodung und Aufforstung der Parzelle ein. Hinten-herum hatten sich Täter, SBB und Stadt also darauf ge-einigt, die rechtsverbindliche Aufforstung zu umge-hen – mit einer «gezielten Pflege» des Bestandes. Damit werde «das Gehölz gefördert» und «das Grünelement erhalten». «Eine Billigvariante mit Seesicht», kommen-tiert Max Bürkler nicht ohne Sarkasmus. Das Baudepartement sieht keinen Anlass mehr, aufsichtsrechtlich durchzugreifen, da ja eine Wieder-erwägung im Gange sei. Fatal ist vor allem das Signal, das dieser Skandal aussendet: Umweltfrevel bleibt in Rorschach nicht nur straflos, sondern man darf dabei noch auf die gütige Mithilfe des Stadtoberhaupts zäh-len. Eine Verwilderung, die an Berlusconis Italien erin-nert. Wer stellt den Rechtsstaat in der Hafenstadt wie-der her? (sp)

Tatort Rorschach: An der Scholastikastrasse wurden Bäumeabgeholzt – ohne Folgen für die Täter.

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200 Ärzte und Professoren sahnen ab

Auch beim Kanton gibt’s Grossverdiener. Die Mitglieder der Regierung mit gut 250'000 Franken pro Jahr sind dagegen Waisenknaben. Das zeigt die neue, so genannte «Exzedenz-versicherung».

Derzeit organisiert der Kanton St.Gallen die Pen- sionskasse für sein Personal und für die Lehrkräf-

te neu. Die beiden bisher getrennten Kassen werden zusammengelegt, und die so entstehende «St.Galler Pensionskasse» wird verselbständigt. Auf die grossen technischen Probleme dieses Grossprojektes soll hier nicht eingegangen werden. Hier nur einige Eckdaten: Rund 21’000 Personen sollen der neuen Pensionskasse angehören. Die Versicherten erreichen die volle Ren-te – wie ihre Kollegen und Kolleginnen in der Privat-wirtschaft – mit 65 Jahren (die Lehrkräfte bisher mit

63), und sie müssen höhere Prämien zahlen als bisher, weil die Versicherten im Durchschnitt älter werden und länger Rente beziehen. Weil die bisher vom Kan-ton geführten Kassen die Finanzkrise nicht unbescha-det überstanden haben, startet die neue Kasse mit Un-terdeckung. Die Höhe des Fehlbetrags hängt von den Börsenkursen ab. Im Moment wird er also täglich klei-ner. Eine «Staatsgarantie» des Kantons sorgt für Si-cherheit, bis die St.Galler Pensionskasse in drei auf-einanderfolgenden Jahren einen Deckungsgrad von 120% erreicht. Bis das der Fall ist, verzinst der Kanton den Fehlbetrag.

D i e Z u - v i e l - V e r d i e n e r // Ein spezielles Problem stellen indessen Staatsangestellte dar, die «zu viel» verdienen. Im Rahmen der Pensionskasse heisst das mehr als das 12-fache einer AHV-Rente, und im Klar-text: mehr als 328'320 Franken pro Jahr. Um Schaden von den Normalverdienenden abzuwenden (z.B. für den Fall, dass ein Grossverdiener frühinvalid wird und dann über Jahre hohe Leistungen bezieht), soll der Teil ihres Lohnes, der über diese Summe hinausgeht, durch eine so genannte «Exzedenzversicherung» ab-gedeckt werden. Auch für diese gibt es eine Obergren-ze, das sogenannte «BVG-Maximum». Dieses beträgt rund 820’000 Franken. Nach Auskunft von Finanzchef Martin Gehrer fallen im Kanton St.Gallen etwa 200 Personen in diese Kategorie. Sie arbeiten in den Kan-tonsspitälern oder an der Universität. Es handelt sich also um Chefärzte oder HSG-Professoren. «links» wollte Näheres über diese Grossver-diener beim Kanton herausfinden. Doch die Recher-chen waren eher mühsam. Das Gesundheitsdeparte-ment gibt sich zugeknöpft. Der Schutz von Daten von Grossverdienern in den st.gallischen Spitälern ge-niesst offensichtlich höhere Priorität als jener von Pa-tientendaten. In der Verordnung zur Besoldung von Kaderärzten vom September 2006 ist immerhin fol-gendes nachzulesen: «Die Besoldung einer Kaderärztin oder eines Kader-

arztes darf insgesamt nicht überschreiten:a) Fr. 700’000.– im Spitalverbund Kantonsspital St.Gal-

len b) Fr. 500’000.– in den übrigen Spitalverbunden und den

medizinischen Labors c) Fr. 350’000.– in den Psychiatrischen Diensten.»Aus dem Gesundheitsdepartement war lediglich zu hören: «Von den erwähnten 200 ist wahrscheinlich die Mehrheit bei uns.» Es muss sich um eine überwälti-gende Mehrheit handeln, denn nach diversen Telefon-gesprächen und Rückfragen erhielten wir von der HSG folgende Auskunft: «Ein ordentlicher Professor an der Universität St.Gallen erhält in der obersten Lohnstu-fe ein Salär von CHF 223'771.60. In der Exzedenzver-sicherung, wie sie im neuen Pensionskassengesetz des Kantons vorgesehen ist, ist aktuell keiner unserer Professoren versichert.» Dies steht nun allerdings im Widerspruch zu den Angaben von Finanzchef Martin Gehrer, demzufolge auch Professoren zu den Gross-verdienern gehören. Das Rätsel löst sich bei näherem Hinsehen: Die neue Pensionskasse gibt es noch gar nicht, die Exzendenzversicherung ist erst vorgesehen. Also kann aktuell kein Professor dort versichert sein. Soviel zum Realitätsgehalt von Botschaften aus un-serer Universität. Hansueli Baumgartner

S P - S e k r e t ä r S u l z e r i m A m tDer neue SP-Sekretär Dario Sulzer, Nachfolger von Pe-ter Olibet, hat sein Amt angetreten. Zusammen mit Ariana Krizko und Ruben Schönenberger bildet er das aktuelle SP-Team im Parteisekretariat im «Palace» am Blumenbergplatz in St. Gallen.

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Brutale Rausschmisse häufen sich

In der Wirtschaft greifen Wildwest-methoden um sich. Verantwortungslose Kündigungen häufen sich. Jetzt machtder Stromkonzern Alpiq in St.Gallenvon sich reden.

Wir erinnern uns: Der 56jährige Maschinenmon-teur Ernst Gabathuler wurde im letzten April

nach 39 Jahren Betriebstreue von der deutschen Karl Mayer AG in Uzwil (ex-Benninger) einfach auf die Strasse gestellt. Er war Mitglied der Betriebskommis-sion des Textilmaschinenherstellers und aktiver Ge-werkschafter. Der brutale Rausschmiss löste grosse Empörung aus: Gabathuler kam im «Zischtigsclub» des Schweizer Fernsehens. Kollegen sammelten knapp zweitausend Unterschriften für eine Petition und for-derten seine Wiedereinstellung. Doch mit dem Elektrosanitär Ernst Bianchi aus St.Gallen kommt’s noch dicker. Im letzten April feierte er noch den 60. Geburtstag. Zwei Monate später flat-terte ihm der blaue Brief des Arbeitgebers Alpiq InTec Ost AG auf den Tisch. Er macht «wirtschaftlichen Grün-de» für den Rausschmiss geltend. «Das war ein Ham-mer», erzählt Bianchi. «Ich konnte es nicht glauben.» Er musste zum Arzt, der ihm Tabletten verschrieb, da-mit er den Schock verdaute. Bianchi arbeitet seit der Lehre, das heisst seit 44 Jahren, in derselben Firma. 1965 lernte er in der damaligen Elektrosanitär AG, dem bekanntesten Sanitärunternehmen in St.Gallen, das Handwerk. Er war Mitglied des SMUV, tüchtig und be-liebt. Als bauleitender Monteur und Leiter des Service-teams baute er in der Ostschweiz einen grossen Kun-denstamm auf und betreute zahllose Sanitäranlagen in Privathäusern, aber auch in Grossobjekten wie dem Hallenbad Blumenwies. In den Neunzigerjahren griff der Stromkonzern Aare-Tessin AG (Atel) zu und ver-leibte sich die St. Galler Firma ein.

M a n a g e r v e r s a g e n // Missmanagement führte da-zu, dass die Ostschweizer Filiale immer mehr an Bo-den verlor. «Alte, erfahrene Leute wurden entlassen und durch Neulinge ersetzt», erzählt Bianchi. Mit fa-talen Konsequenzen, denn die Gekündigten nahmen den Kundenstamm mit sich, der Alpiq nun fehlt. Im letzten Halbjahr wurden Stellen abgebaut. Im Juni traf es dann Bianchi. Dies obwohl er wenige Jahre vor der Pensionierung steht und im Zwischenzeugnis nur gu-te Noten hat. Ein Sozialplan existiert nicht. Bianchis Anwalt Paul Rechsteiner intervenierte ganz oben beim CEO von Alpiq, Giovanni Leonardi: Eine Kündigung

in diesem Alter und vor diesem Hintergrund sei miss-bräuchlich. Doch Leonardi rechtfertigte den Raus-schmiss als rechtens und verwies auf die Reorganisa-tion des Sanitärbereichs. Unglaublich: Alpiq scheffelt trotz Krise viel Geld. Allein im ersten Halbjahr 2009 fuhr der Konzern 327 Millionen Gewinn ein. Die Fusion von Atel zu Alpiq im letzten Frühjahr wurde mit einem verschwende-rischen Fest gefeiert. 2'500 Mitarbeitende waren ein-

geladen und fuhren in Sonderzügen ins Kongresszen-trum nach Neuenburg. Dort wurden sie von Hostessen empfangen und mit einem üppigen Lachs-Büffet und Live-Shows bedient. «So etwas habe ich noch nie gese-hen», kam Ernst Bianchi aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Show begann damit, dass CEO Leonardi und Verwaltungsratspräsident Hans Schweikhardt auf der Bühne die Trommel schlugen. Wie aus Zau-berhand fuhren für alle Teilnehmer Trommeln auf. Nun wurde eine halbe Stunde lang rhythmisch die ge-meinsame Zukunft beschworen. An den Wände waren Visuals aller Anwesenden projiziert. Die Fotografen hatten sie zuvor in den Zügen diskret abgelichtet.

S t r o m k o n z e r n u n t e r D r u c k // Unia-Mitglied Bianchi ficht nun die Kündigung an. Die Gewerk-schaft unterstützte ihn Ende Oktober mit einer Flug-blatt-Aktion vor der Alpiq-Niederlassunng in St.Fiden: «Nein zur Konzern-Arroganz gegenüber dem Perso- nal – Solidarität mit Ernst Bianchi.» Ein Beitrag im «Kassensturz» setzte den Stromkonzern zusätzlich unter Druck. CEO Leonardi sah in dem Beitrag alt aus, als er eingespielt wurde, wie er anlässlich der Fusion beteuert hatte, man werde keine Stellen ab-, sondern im Gegenteil ausbauen. Alpiq ist nun bereit, über Bianchis Abgang nochmals zu reden. Wer aber ist Alpiq? Kurz gesagt ein europäischer Energiegigant und der grösste in der Schweiz dazu (noch vor Axpo). Alpiq macht mit 10'000 Beschäftigten 16 Milliarden Umsatz und kauft aggressiv kleinere En-ergieversorger vor allem in Osteuropa auf. In Olten hat Alpiq kürzlich beim Hauptbahnhof eine pompöse neue Zentrale errichtet. Man fährt mit dem Intercity nach Bern daran vorbei. Die Kantone Solothurn und Freiburg sowie die Stadt Lausanne sind Aktionäre von Alpiq. Wenn in Kürze der Skizirkus losgeht, werden bald alle Alpiq kennen, denn die Strombarone spon-sern neu das Schweizer Skiteam. (rh)

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sDer St.Galler Ernst Bianchi (60), nach 44 Jahren vom Arbeitgeber auf die Strasse gesetzt.

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Der Abzockerei einen Riegel schieben

Niemand soll in einem Jahr weniger verdie- nen als ein Manager des gleichen Unter- nehmens im Jahr. Das ist die Forderung der neuen 1:12-Volksinitiative der Juso.

Die Löhne sind in der Schweiz ein heikles Thema, oftmals ein Tabu. Lohntransparenz fehlt weitge-

hend. Damit werden nicht nur Lohndiskriminierung gegenüber Frauen und AusländerInnen ermöglicht, sondern auch grosse Lohnungleichheiten in einzelnen Unternehmen vertuscht. Zumindest einen gewissen Einblick in die Lohnstruktur haben wir aber, und der ist erschreckend: durchschnittliche Lohnbandbrei-ten von 1:56 und eine negative Verteilungsbilanz in den letzten Jahren. Negative Verteilungsbilanz heisst, dass die Produktivität stärker gestiegen ist als die Re-allöhne. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Ka-pitalbesitzerInnen und Top-ManagerInnen auf Kosten aller anderen einen immer grösseren Anteil am gesell-schaftlich produzierten Reichtum für sich abschöpfen. So verwundert es auch nicht, dass die Schweiz eine Vermögensverteilung aufweist, die denen der Dritt-

weltländer ähnelt. Diese Entwicklung ist nicht nur volkswirtschaftlich bedenklich, sondern hat auch rein gar nichts mit gerechten Löhnen zu tun.

W e r t l o s e A r g u m e n t e // Lohnbandbreiten von 1:720, wie bei Novartis, werden gewöhnlich durch Ar-gumente wie Markt, Leistung und Verantwortung ver-teidigt. Die Wirtschaftskrise hat aber bewiesen, dass diese Argumentation wertlos ist. Abzockergehälter sind eine reine Selbstbedienung der Manager auf Kosten al-ler anderen. Damit ist jetzt Schluss! Die 1:12-Initiative beendet das scheinheilige Gerede von Verantwortung und setzt einem falsch verstandenen Leistungsprin-zip ein Ende. Sie setzt der sich öffnenden Lohnschere klare Grenzen und sorgt für gerechte Löhne unten und oben. Niemand soll in einem Jahr weniger verdienen als ein Manager im gleichen Unternehmen in einem Monat: Damit stoppt die Initiative die Abzocker-Saläre der Manager und sorgt für einen positiven Druck auf die unteren sowie mittleren Löhne zugleich. Weiter bringt die Initiative Lohntransparenz, stärkt die Binnennachfrage und setzt neues Investi-tionsvolumen frei. Die Lohnsumme wird neu verteilt. Dadurch setzt die Initiative bei der Quelle des Abzo-cker-Problems an, denn sie macht Schluss mit der Um-verteilung von unten nach oben. Staatliche Umver-teilung ist ein wichtiges Instrument zum Ausgleich von Ungleichheiten. Sie hat aber Grenzen und packt das Problem nicht an der Wurzel an. Die 1:12-Initia-tive hingegen macht genau das! Sie sorgt dafür, dass auch «einfachere» Arbeit wieder ihren Wert erhält. Wer 40 Stunden oder mehr in der Woche arbeitet, soll da-für auch einen gerechten Lohn erhalten. Es gibt kei-nen Grund, warum die Arbeit eines Managers 720 Mal mehr wert sein soll als die Arbeit einer Sekretärin.

G e m e i n s a m f ü r g e r e c h t e L ö h n e // Die Wirt-schaft hat in diesem Land eine unglaubliche Macht. Viele bürgerliche PolitikerInnen sind gesponsert von der Banken- und Pharmalobby. Diese Interessensver-treterInnen haben die Mehrheit in unseren Parlamen-ten und bestimmen die Politik. Die 1:12-Initiative zeigt genau auf, was den Neoliberalen ein Dorn im Auge ist: Nicht die Wirtschaft soll über die Politik bestimmen, sondern umgekehrt die Politik über die Wirtschaft. Das Volk muss die Spielregeln festlegen, nach denen die Wirtschaft zu funktionieren hat. Die Politik muss endlich wieder das Zepter in die Hand nehmen. Also, nehmen wir unsere Verantwortung wahr und kämpfen wir gemeinsam für gerechte Löhne!

Vo n d e r P a r t e i z u r B e w e g u n gAm 6. Oktober, 10 Uhr morgens in Bern, fiel mit der Pres-sekonferenz der Juso der Startschuss für die 1:12-Initia-tive. Das war nicht nur der Beginn einer Serie von Sams-tagen, an denen die Juso in der ganzen Schweiz auf der Strasse steht. Nein, das war Ausdruck einer Entwicklung der Juso von einer Jungpartei zu einer Bewegung. Der Ent-wicklungsprozess ging einher mit der 1:12-Initiative. Vom Entscheid, eine Initiative zu lancieren, bis zum 6. Okto-ber änderte sich viel: Die Juso wurde grösser, stärker, prä-senter und mutiger. Aber nicht nur bei der Juso änderte sich einiges. Mit der 1:12-Initiative wurde in der Schweiz eine neue Diskussion entfacht. Die Debatte um die Frage «Was sind gerechte Löhne?» wurde neu lanciert.

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Monika Simmler,Juso St.Gallen

St.Galler Juso auf der Strasse beimUnterschriftensammeln

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Die SP und die Jugendgewalt

Die Jugendgewalt ist ein Thema, dem sich auch die SP stellen muss. Der Strafrechtler Prof. Martin Killias war unlängst in St.Gallen zu Gast. «links» fasst einige Eindrücke zusammen.

Gewalt in jeder Form dominiert unsere Welt: Kriege, Terroranschläge und Putsche, Krawalle in und

um Sportstadien, Überfälle auf Strassen und Plätzen, häusliche Gewalt – es scheint, dass wir uns nirgends mehr sicher fühlen können. Nun ist aber unter Fachleu-ten durchaus umstritten, wie stark die Gewaltdelikte in den letzten Jahren und Jahrzehnten zugenommen haben. Gleichwohl fühlen sich viele Menschen in un-serem Land nicht mehr sicher. Sie sind überzeugt, dass die Bedrohung zugenommen hat. Sie glauben auch zu wissen, wer für die Gewalttaten in unserem Land ver-antwortlich ist: Es sind Männer, Ausländer, Jugendli-che mit «Migrationshintergrund». Ihrer Meinung nach helfen nur harte Strafen, auch gegen Jugendliche, und die Ausschaffung der «ausländischen Kriminellen». Die SVP beutet dieses Unbehagen schamlos aus, ja sie schürt mit ihrer Politik die Angst und den Fremden-hass. Neuestes Beispiel: die Initiative für ein Verbot des Baus von Minaretten. Die Tatsache, dass es bei den Tätern überdurch-schnittlich oft um Sympathieträger der SP, um junge

Menschen, um Ausländer oder «Secondos» geht, hat dazu geführt, dass wir uns nicht gern mit diesen Pro-blemen beschäftigen – mit dem Resultat, dass wir den Scharfmachern das Feld überlassen haben. Um eine Diskussion über dieses Thema in unserer Partei in Gang zu bringen, luden zwei Fachkommissionen (Bil-dung sowie Sicherheit und Recht) der SP des Kantons St.Gallen Prof. Martin Killias von der Universität Zü-rich (Lehrstuhl für Straf- und Prozessrecht) am 27. Ok-tober zu einer Podiumsveranstaltung nach St.Gallen ein. Mit ihm diskutierten Beat Fritsche von der Jugend-anwaltschaft Winterthur und Annegret Wigger, Leite-rin des Instituts für Soziale Arbeit an der Fachhoch-schule St.Gallen.

2 4 - S t u n d e n - G e s e l l s c h a f t // Am Institut von Mar-tin Killias ist die Studie über Jugenddelinquenz im Kanton St.Gallen verfasst worden, die bei ihrer Ver-öffentlichung für grosses Aufsehen gesorgt hat. Etwa ein Viertel der Schülerinnen und Schüler im 9. Schul-jahr haben in einer Online-Befragung angegeben, kri-minelle Delikte begangen zu haben. Jugendliche mit Migrationshintergrund sind auch nach dieser Studie überdurchschnittlich oft TäterInnen. In der Diskussion mit seinem Publikum for-derte SP-Mitglied Martin Killias, unsere Partei müsse klar machen, dass die «24-Stunden-Gesellschaft», der totale Konsum mit all seinen negativen Folgen, das Umfeld für die wachsende Jugenddelinquenz darstel-le. Oft seien es gerade die Parteien, die am lautesten ein hartes Durchgreifen gegen jugendliche Straftä-ter forderten, die sich gegen jede Einschränkung der Wirtschafsfreiheit wehrten. Beat Fritsche betonte, das Strafrecht sei wirksam, es brauche keine Verschär-fung des Jugendstrafrechts. Die Rückfallquoten seien bei uns wesentlich tiefer als z.B. in Deutschland. Nur mit etwa 10% der Täter habe man gröbere Probleme. Annegret Wigger verwies auf die Bedeutung des so- zialen Umfelds der Jugendlichen und auf ihre (meist mit Misserfolgen verbundenen) Schulerfahrungen.

I n t e g r a t i o n m e h r f ö r d e r n // Eine Veranstaltung zu einem schwierigen Thema bringt noch keine defi-nitiven Resultate. «links» fasst einige provisorische Schlussfolgerungen zusammen: • Integrationmussintensivgefördertundunterstützt

werden, bei Kindern schon bevor der Kindergarten beginnt. Das Geld, das hier ausgegeben wird, ist gut angelegt.

• EsgibtkeineeinfachenRezepteimUmgangmit ju-gendlichen Straftätern. Es sind unterschiedliche, ja gegensätzliche Interessen zu berücksichtigen: Schutz der Gesellschaft, Anspruch eines jugend-lichen Täters, dass nicht eine einmalige «Entglei-sung» sein ganzes Leben verbaut.

• DasJugendstrafrechtisteingutesInstrument,auchwenn Detailkorrekturen nötig sind (etwa bei der Verteilung der Kosten). Hier dürfen wir uns nicht durch rechte Scharfmacher verunsichern lassen.

Die Diskussion über das Thema Jugendgewalt hat begonnen, sie muss weitergehen. Die angeregten Gespräche nach dem Ende der Veranstaltung haben gezeigt, dass das Interesse vorhanden ist. Wer organi-siert die nächste Veranstaltung? Hansueli Baumgartner

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Ein Schulprojekt im Slum von Nairobi

Peter Baumgartner, ex-Afrika-Korrespon-dent des «Tages-Anzeigers», engagiert sich für eine Primarschule in einem Elendsquartier von Nairobi. Im Folgenden gibt er einen Einblick in das Projekt.

In diesen Regentagen stauen sich die Kinder am of-fenen Eingang zur Gentiana Primary School in Nai-

robi. Bevor sie den gekiesten Schulpatz betreten, strei-fen sie an den Kratzeisen den roten Dreck von den Schuhen. Knöcheltief liegt der Schlamm auf den bei-den von Abfall und stinkenden Wässern gesäumten Zufahrtsstrassen. Am Rande des Gewirrs von Blech-hütten gelegen, ist die Gentiana Primary School eine helle, kinderfreundliche Oase im rasant wuchernden Slumgebiet Kawangware, das vom offiziellen Kenia ge-nau so vernachlässigt wird wie die übrigen «shanty-towns» der Hauptstadt Nairobi. Hierher verirren sich keine Politiker. Oder höch-stens in Vorwahlzeiten, wenn sie, 100-Shilling-Scheine verteilend, für Stimmenkauf unterwegs sind und das Blaue vom Himmel herunter versprechen. Die Leute nehmen das Geld und glauben – oder wollen glauben, was ihnen vom Geländewagen herab in der ganzen Palette von mehr Arbeitsplätzen, geteerten Strassen,

kleineren Schulklassen oder fliessendem Wasser ver-heissen wird. Die Hoffnung auf bessere Zeiten ist der Bodensatz, auf dem der zähe Überlebenswille gedeiht.

V o n d e r H a n d i n d e n M u n d // Hier in Kawang-ware sind die Menschen hart im Nehmen, müssen es sein. Unsereiner wundert sich immer wieder über die vielen lachenden Gesichter, über die Heiterkeit der Menschen. Sie sind geeicht im Umgang mit Unbill aller Art, morgen ist es vielleicht besser. Hier in Kawangwa-re ist das Leben von der Hand in den Mund die Norm; die Monatsanfänge sind die hohe Zeit des Borgens, wenn die Miete der Blechhütten fällig ist, rund 1’500 Shilling, 22 Franken. Von den 130 Eltern der Gentia-na-Kinder haben 12 eine feste Anstellung, die übrigen schreiben in der Rubrik «Berufe»: casual, Gelegen-heitsarbeiter. Drei Väter arbeiten als Nachtwächter, zu einem Lohn von 3'000 Shilling, 55 Franken. Der Parla-mentarier, dem sie alle vier Jahre zuwinken, verdient 450 Mal mehr, 25'000 Schweizer Franken pro Monat, oder immer noch 70 Mal mehr als die Lehrkräfte der Gentiana Primary School, denen monatlich umge-rechnet 350 Franken aufs Konto überwiesen wird. Ein Drittel davon geht allein weg für das Zweizimmerap-partment in einem Wohnblock. Es sind diese sozialen Ungerechtigkeiten, die einem in Afrika zu schaffen machen. Auf der einen Seite die schmale Elite der herrschenden Klasse, die den Staat als Selbstbedienungsladen betrachtet und schamlos abzockt, die ihre Kinder im Ausland studie-ren und ihre Krankheiten in Europa oder den USA ku-rieren lässt. Am anderen Ende der sozialen Skala sind die Habenichtse, die sich in Slums wie Kawangware sammeln und ein unerschöpfliches Reservoir an bil-ligen Arbeitskräften abgeben. Um mehr als 6 Prozent wächst Nairobi jährlich, der Zustrom vom Land ist un-gebrochen.

A k t i v G e g e n s t e u e r g e b e n // Alle Hoffnungen ru-hen auf den Kindern, sie sollen es besser haben. 247 Eltern drängten sich am letzten Oktobersamstag in der Gentiana Primary School, um einen Platz für ihr Kind in der ersten Klasse zu ergattern. Sie hat einen guten Ruf als Schule. Es hat sich längst herumgespro-chen, dass sie Schulabgängern Stipendien für höhere Schulen oder die Berufsausbildung gibt, eine Elektri-kerabteilung führt und in grössten Notfällen beschei-dene Hilfe leistet. Es wurde ein harter Tag für die Leh-rerInnen. Nur 25 Erstklässler wurden aufgenommen, sorgfältig ausgewählt: die Ämsten, die Behinderten, die Waisen und Kinder von alleinerziehenden Müt-tern, und alle müssen sie lernschwach sein. Jene Kin-der eben, die in den mit 60 bis 90 Schülern überfüllten Klassen der staatlichen Schulen durch jeden Raster fal-len, zumal bei dem meist prekären sozialen und fami-liären Umfeld. Die Gentiana bietet ihnen eine Chance: Wer beim Schuleintritt lernschwach ist, muss es nicht bleiben. Dank der engagierten Lehrkäfte und der mo-dernen (schweizerischen) Lehrmethoden gehört die Gentiana zu den zehn besten der 78 Primarschulen des Dagoretti Distrikts. Fördere ich nicht indirekt die sich bereichende Elite und die Korruption, wenn ich ein Hilfsprojekt in Afrika unterstütze? Das ist die Frage, die ich im-mer wieder höre in der Schweiz. Afrika braucht

Eine Bildungsoase im Slum: Die Gentiana Primary School in Nairobi

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Offener Brief an die St.Galler Regierung

Linksparteien und Gewerkschaften haben sich zu einem «Komitee gegen die Krise» zusammengeschlossen. In einem Offenen Brief werden sofortige Verbesserungen bei der Verbilligung der Krankenkassenprämien verlangt.

Noch im vergangenen Herbst stellte sich der St.Galler Kantonsrat taub: Die

bürgerliche Mehrheit, insbesondere FDP und SVP, lehnten von der SP geforderte Mass-

nahmen zur Milderung der Prämienlast ka-tegorisch ab. Sie waren nicht einmal bereit,

darüber zu diskutieren. Nichts demonstriert besser die soziale Kälte, die inzwischen im Kan-

tonsparlament eingezogen ist. Jetzt sind die teils massiven Prämiensteigerungen von bis zu

zehn und mehr Prozent fürs Jahr 2010 bekannt. Manche Haushalte werden in echte Not gera-

ten. Die rein finanzpolitisch motivierte Knaus-rigkeit des Kantons St.Gallen bei der Prämienver-

billigung ist vollends unhaltbar geworden. Es kann nicht sein, dass viele Haushalte finanziell in Be-

drängnis geraten, und in der Pfalz legt man die Hän-de in den Schoss. SP, Gewerkschaften und weitere Organisationen sind nun mit einem Offenen Brief an die Regierung und an den Kantonsrat gelangt. «links» dokumentiert nachfolgend die Forderungen.

D r i n g e n d e r H a n d l u n g s b e d a r f // «Sehr viele KantonseinwohnerInnen haben seit der Krise und den nun stark erhöhten Prämien grosse Schwierig-keiten, die Prämienzahlungen zu leisten. Es gibt Leute im Kanton, welche die Unterstützung aus Unwissen-heit nicht beantragen. Solche Ausfälle fallen in Kan-

tonen weg, in denen die Verbilligungen antragslos gewährt werden (z.B. Appenzell Innerrhoden). Auch beim Selbstbehalt werden zwar tiefe Einkommen mit 6% weniger belastet als höhere, allerdings sind die 6% für Leute mit tiefen Einkommen immer noch zu hoch. Ein weiteres Übel besteht beim Festsetzen der Refe-renzprämien. Diese sollten bekanntlich der Durch-schnittsprämie der fünf billigsten Krankenkassen ent-sprechen. Dieser Wert ist nach unseren Berechnungen nicht erreicht. Die Prämienverbilligung bemisst sich damit an einem fiktiven, unerreichbar tiefen Wert. Sie baut zudem auf dem ungesunden Kassenwechselsys-tem auf, welches seinerseits prämientreibend wirkt. Als zusätzlicher sozialer Ausgleich zur ungerechten Kopfprämie, die ja wahrscheinlich einzigartig in Eu- ropa ist, hat der Bund bekanntlich im Krankenversiche-rungsgesetz vorgeschrieben, dass die Kinderprämien bis zu einer Obergrenze des Einkommens mindestens zu 50% verbilligt werden müssen. Der Kanton hat die-se Obergrenzen mit 40’600 Franken für Alleinstehende mit einem Kind oder 111’400 Franken für Verheirate-te mit vier oder mehr Kindern sehr tief angesetzt, und zudem gewährt er nur die 50% Kinderprämienverbilli-gung statt der bis 100% möglichen Verbilligung. Aus all diesen Gründen stellen wir folgende For-derungen: Antragslose Gewährung, tieferer Selbstbe-halt, höhere Referenzprämien und höhere Obergrenzen des mittleren Einkommens, auch wenn dazu der Art. 14bis des Einführungsgesetzes zur Bundesgesetzge-bung über die Krankenversicherung geändert werden muss. Dort wird der Gesamtbetrag für die Prämienver-billigung auf 152 bis 162 Millionen Franken festgelegt, wobei dieser Betrag 2010 sowieso erhöht werden muss (prozentual zum erhöhten Bundesbeitrag). Allerdings liesse sich dieser Betrag durch eine Gesetzesänderung so erhöhen, dass die Eckwerte grosszügiger gehand-habt werden könnten. Wir fordern die politisch Verantwortlichen drin-gend auf, die durch Krise und exorbitante Prämiener-höhungen verursachten finanziellen Sorgen der wirt-schaftlich schwächeren Personen im Kanton St.Gallen ernst zu nehmen und die nötigen Gesetzesanpas-sungen schnell anzugehen. Bei dieser Gelegenheit kri-tisieren die unterzeichnenden Organisationen auch den unsäglichen Wettbewerb, der Krankenkassen und das Angebot der Billigkassen, die dem System Geld entziehen. Beides führt zu den kostspieligen Kassen-wechseln, die letztlich auch aus Prämiengeldern finan-ziert werden müssen. Das Ganze führt dazu, dass die Allgemeinheit die Zeche zahlen muss und solche For-derungen um grosszügigere Prämienverbilligungen überhaupt nötig werden.» (red.)

etwas Zeit, bis sich die BürgerInnen kontrollierend und bestimmend zu Wort melden können. Aktive Zivilgesellschaften wachsen nicht so schnell. Grade darum nimmt die Gentiana Primary School die Kinder ernst und stärkt durch einen offenen Umgangston das Selbstbewusstsein der SchülerInnen. Der Unterricht und die ausserschulischen Aktivitäten fördern selb-ständiges Denken und eigenverantwortliches Han-deln. Sexual- und Aids-Aufklärung gehören genau so zum Schulstoff wie Familienplanung und Erziehung zu Gewaltlosigkeit. Die Folgen der Korruption werden

genau so thematisiert wie soziales Verhalten und Soli-darität. Es sind viele Hürden zu überwinden, vor allem finanzielle. Abseitsstehen wäre bestimmt viel ein-facher. Peter Baumgartner

Die gesamten Jahreskosten der Schule belaufen sich auf 140’000 Franken und werden hauptsächlich durch Spenden aus der Schweiz finanziert. Spenden sammelt der Verein Freundinnen und Freunde der Gentiana Primary School, Co’d’Föra 10, CH- 6808 Torricella TI, Postkonto 65-94071-0, www.gentiananairobi.org.

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Bundesgerichtverbietet St.GallerSchikanen

Das Unterschriftensammeln ohne Stand braucht laut Bundesgericht auch in der St.Galler Innenstadt keine Bewilligung der Gewerbepolizei. Eine Schlappe für die«Saubere Stadt»-Ideologen.

Wer einem Ausländer das Funktionieren der di-rekten Demokratie in der Schweiz erklären will,

der kann mit ihm die Klamauk-Arena im Schweizer Fernsehen anschauen. Oder aber, er macht mit ihm einen samstagnachmittäglichen Rundgang durch die Stadt St.Gallen. Im November dieses Jahres hätten un-sere Politspaziergänger beispielsweise die folgenden Beobachtungen machen können: Die Juso macht Standaktionen für ihre 1:12-Initiative, zu denen so viele freiwillige Helfer kommen, dass man sich fragt, ob sich so eigentlich noch sinnvoll Unterschriften sammeln lassen. Auch die EDU scheint eine Jugend-abteilung zu haben, die sich mit dem Verteilen von Flugblättern für die Minarett-Initiative in Szene setzt. Am Stand der GSoA wird mit Käse und Schokolade für ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten Werbung ge-macht. Die bürgerlichen Mitteparteien sind meistens nur vor Wahlen sichtbar. Diese Beispiele zeigen: Die direkte Demokra-tie wird auf der Strasse gelebt. Von dieser politischen Kultur im öffentlichen Raum lebt unsere Demokra-tie. Werden diese Begegnungszonen für die politische Meinungsbildung geschlossen, so steigt nur noch die Bedeutung der massenmedialen Berichterstattung und der PR-Abteilungen und Financiers der Parteien. Die Qualität der politischen Diskussion würde da-durch weiter schwinden.

A n g s t v o r d e r M e i n u n g s v i e l f a l t ? // Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, weshalb sich die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) vehement wehr-te, als sie sich im Zuge der Unterschriftensammlung für ihre Kriegsmaterial-Initiative im Herbst 2006 mit der St.Galler Gewerbepolizei herumzuschlagen hat-te. Diese hatte ihr nämlich beschieden, dass man in St.Gallen für das Sammeln von Unterschriften eine Bewilligung einzuholen habe, auch dann, wenn man das ohne Stand, einfach mit einem Klemmbrettchen und einem Kugelschreiber tut. Zudem dürfe eine po-litische Organisation maximal sechsmal pro Monat in der Innenstadt Unterschriften sammeln. «Geht’s eigentlich noch?», dachte man sich bei der GSoA und legte Rekurs ein. Es kann ja nicht angehen, dass sich ein paar Schreibtischtäter bei der Gewerbepolizei in

die Ausübung der politischen Rechte einmischen. Im Laufe des Rechtsverfahrens offenbarte sich dann im-mer deutlicher die Mentalität der Saubermänner Nino Cozzio (Sicherheitsdirektor) und Pius Valier (Komman-dant der Stadtpolizei), die aus St.Gallen die «sauberste und sicherste Stadt im Bodenseeraum» machen wol-len. Dass bei dieser Städtereinigung gleich auch noch ein paar Grundrechte den Gulli runtergespült werden, ist in diesen Kreisen kaum der Rede wert. Die Stadt St.Gallen begründete die Bewilli-gungspflicht für Unterschriftensammlungen damit, dass die Gewerbepolizei wissen müsse, wer wann was in der St.Galler Innenstadt treibt. Sie müsse koordinie-rend eingreifen, wenn verschiedene Nutzungsansprü-che aufeinander treffen. Ansonsten bestehe etwa die Gefahr, dass rivalisierende politische Gruppierungen gleich nebeneinander für ihre Anliegen werben. Wa-rum das ein Problem sein soll, das konnte nicht ein-mal die Gewerbepolizei genau sagen. Wird der Wähler etwa verwirrt, wenn er zwei verschiedene politische Positionen sieht? Oder befürchtete die Gewerbepolizei etwa, dass es plötzlich zu wüsten Massenschlägereien zwischen Grünliberalen und SVPlern kommt?

P r o b l e m e , d i e e s g a r n i c h t g i b t // Nach dem Kanton St.Gallen und dem kantonalen Verwaltungs-gericht hat Mitte Oktober nun auch das Bundesge-richt der GSoA Recht gegeben. Für das Unterschriften-sammeln von Gruppen bis zu drei Personen brauche es keine Bewilligung. Jedermann kann also jederzeit durch die St.Galler Innenstadt ziehen und dort Unter-schriften für sein Anliegen sammeln. Das Bundesge-richt weist den von der St.Galler Gewerbepolizei be-haupteten Koordinationsbedarf zurück und trifft mit seiner Begründung den Nagel auf den Kopf: «Insoweit erweisen sich die Bedenken der Stadt St.Gallen als hypothetisch und vermögen daher kein aktuelles öf-fentliches Interesse an einer Einschränkung von Un-terschriftensammlungen und einer entsprechenden Steuerung mit einem Bewilligungsverfahren zu be-gründen». Es brauchte einen dreijährigen Rechtsstreit, um dieses für die Gewerbepolizei bindende Urteil zu be-kommen. Cozzio und Valier haben gehörig eins aufs Dach bekommen. Es ist zu hoffen, dass sie sich daran erinnern werden, wenn sie den nächsten Einschnitt in die Grundrechte mit ihrem eigenen Sicherheitswahn begründen wollen. Felix Birchler

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‹Hitler ist wie ein Bazillus›

In seinem neuen Roman «Bedroh-liche Tage» blickt Schriftsteller Turi Honegger in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurück.

Der Titel ist Programm: In «Bedroh-liche Tage» schildert Turi Honegger, seit

59 Jahren SP-Mitglied und in Krummenau wohnhaft, die gespannte Zeit unmittelbar vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Wie immer tut er dies aus einer kritischen Per-

spektive. Vom Vormarsch des Faschismus blieb auch die Schweiz nicht unberührt. Die einheimischen Bewunderer von Adolf Hitler und Benito Mussolini sahen ihre Zeit ge-kommen. Honegger schildert in seinem Roman die Aufmär-sche und Saalschlachten der Fröntler, die deutsche Ein-flussnahme auf die Schweiz

und die Verführungskraft der braunen Gar-den, denen nicht wenige erlagen. Der 1924 in St. Gallen geborene Hon-egger kann auf eigene Erinnerungen zurück-greifen. Die Personen in seinem Buch hät-ten alle gelebt, versichert er am Anfang: «Sie haben andere Namen gehabt, aber sie haben genau so gehandelt, wie in diesem Buch be-schrieben.» Er bezeichnet sein Werk denn auch als dokumentarischen Roman, der den LeserInnen die Realitäten des Jahres 1939 vor

Augen halten soll. Ein Satz zieht sich wie ein Leitmo-tiv durchs Buch: «Hitler ist wie ein Bazillus und keiner ist immun dagegen.» Der Schriftsteller hält damit sei-ner eigenen Aktivdienstgeneration einen Spiegel vor, was wohl nicht alle goutieren werden: Entgegen dem Mythos der faschismusresistenten Schweiz befand sich der Feind längst im Land, nämlich in den Köpfen derer, die sich vom Inszenierungspomp des National-sozialismus blenden liessen. Mit «Bedrohliche Tage» hat Honegger einen Roman verfasst, der den histo-rischen Erkenntnissen gerecht wird und Verdrängtes an die Oberfläche holt. (rh)

Arthur Honegger, Bedrohliche Tage, Verlag Huber Frauenfeld, 2009, Fr. 36.-

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Turi Honegger

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AZB9000 St.Gallen

S e r v i c eLinks Nr. 1/2010 Redaktionsschluss: 19. Januar Erscheinen: 12. Februar

SP Kanton St.Gallen8. Januar, 18.30 Uhr, Neujahrs-begrüssung, Grabs, Rest. Schäfli

SP Altstätten/Oberes Rheintal19. Februar 2010, Hauptversamm-lung, Altstätten, Rest. Hopfenstube, 19.30 Uhr

SP St.Gallen14. Dezember 2009, Winterabend-wanderung (mit Aufwärmen bei

Impressum «links». // Klartext zur Politik im Kanton St.Gallen. Erscheint mindestens 5x jährlich. Herausgeberin: SP des Kantons St.Gallen, Postfach, 9001 St.Gallen, Tel. 071 222 45 85, [email protected] An dieser Nummer haben mitgearbeitet: Hansueli Baumgartner, Felix Birchler, Fredy Fässler, Ralph Hug, Ruben Schönenberger, Dario Sulzer u.a. Markus Traber: Gestaltung, Layout Druck: Tschudy Druck AG, St.Gallen

AZB9000 St.Gallen

M a i l b o x

Kundelas), Treffpunkt St.Gallen, Busendstation Riethüsli, 20 UhrSP Rapperswil-Jona9. Dezember 2009, Roter Stamm, Jona, Rest. Johanna, 19.30 Uhr

SP Toggenburg8. Januar 2010, Neujahrsbegrüs-sung, Lichtensteig, 19.00 Uhr

SP Wil29. November 2009, Wahlapéro Schulratswahlen, Wil, Rest. Signal, 16 Uhr;15. Januar 2010, Neujahrsbegrüs-sung, Besuch bei den Wiler Integra-tions- und Präventionsprojekten wipp, Wil, Toggenburgerstrasse 82

Aktuelle Termine und ungekürzte Communiqués auf unserer Home-page: www.sp-sg.chVorstösse aus der Septembersession

Einfache Anfragen:SP-Fraktion: 371 Lehrabgänge-rinnen und Lehrabgänger stehen auf der Strasse. Die Regierung hat zugeschaut!; SP-Fraktion: Fragwür-diger SVA-Direktor; Bachmann-St.Gallen: Organisation des Vermitt-lungsdienstes für interkulturelle Übersetzungen (Verdi); Hartmann-Flawil: Region Wil-Uzwil: Strategie der öV-Erschliessung überprüfen; Bachmann-St.Gallen: Asylsuchen-

de bereits nach 1-2 Monaten in den Gemeinden

N i c h t S P - l i k eZum Artikel «Höpli weg – was nun?», «links» 4/2009Hinter den angeblich gemobbten Inlandredaktor, der in meiner Amtszeit als Leiter der Inlandredaktion ei-nen zunehmend doktrinären und ziemlich lupen-reinen SP-Kurs verfolgte, hatte ich mich mehrfach gegen zum Teil massive Kritik von aussen zu stellen. Dass ich Andersdenkende, andere Meinungen im Tag-blatt immer wieder zu verteidigen hatte, zum Teil auch vor Gericht, hätte Ihnen andere Kollegen sagen kön-nen (wenn Sie’s nicht schon gewusst haben). Ressort-chef (!) Langenegger hat das Tagblatt verlassen, weil er eine ihm politisch gemässere Funktion fand, in der er sich nicht mehr mit anderen Positionen auseinander-setzen muss. Ist nun beim Tagblatt personell alles anders ge-worden oder alles gleich geblieben? «links» behauptet: beides. Eins von beiden muss falsch sein. Sehen Sie sich doch einfach mal das Impressum an. Nicht einmal ich dachte bisher, dass die SP Sip-penhaftung betreibt. «links» schafft das mit der bös-artigen Bemerkung über die Redaktorin, die natürlich nicht gefährdet sei. Dass sie vielleicht eine der talen-tiertesten Kräfte auf der Lokalredaktion ist, die man besser nicht verliert (auch wenn sie nur ein Teilpen-sum hat), ist «links» anscheinend gar nicht in den Sinn gekommen. Die Sippenhaftung ist auf jeden Fall unap-petitlich, beleidigend und nicht SP-like. Gottlieb F. Höpli, St.Gallen

O f f e n e r B r i e f a n P e t e r S u t t e rIch hatte Freude an Ihrem Artikel «Die historische Chance einer neuen Linken» im letzten «links». Hier spricht wieder einmal ein Roter. Jedoch sollten wir nicht so tun, als wäre es ein Leichtes, Alternativen zur kapitalistischen Gesellschaft zu entwickeln. Sodann behaupte ich, dass unsere Gesellschaft und unser Staat mit dem ökonomischen und übrigens polemischen Begriff Kapitalismus nicht erschöpfend beschrieben sind. Unser Staat? Ich riskiere jetzt, dass Sie mich naiv nennen, und behaupte: Er ist immer noch ein leidlich funktionierender demokratischer Rechtsstaat. Den sollte man nicht verachten. Die Linke profitiert von ihm. Er ist ihr Kapital. Ihm muss unsere Sorge gelten. Sie sprechen von der Linken. Als ob es die ein-fach so gäbe. Die Linke ist doch nicht homogen und auch nicht scharf gegen ihre Umwelt abgegrenzt. Sonst wäre sie ja eine Sekte. Und das wollen wir doch zu al-lerletzt sein. Überhaupt: Was eine Linke oder einen Linken ausmacht, ist wohl nicht klar und abschlies-send zu definieren. Wir wissen das mehr intuitiv. Im allgemeinen bin ich für Emanzipation und Autonomie. Das ist eigentlich alles, was ich sagen kann. «Die histo-rische Chance einer neuen Linken»? Das könnte auch eine grandiose Illusion sein. Die «Neue Linke» sollte sich nicht zu viel einbilden und sich nicht überneh-men. Und wir von der SP sollten uns wohl vor Über-heblichkeit und lärmender Militanz hüten. Beat Weber, St. Gallen