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Nachbarn Nr. 1 / 2013 Bern Berne Bildung gegen Armut Fünf Porträts von Menschen, die dank Caritas-Projekten in der Schweiz mehr wissen.

Nachbarn 1/2013 Bern

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Bildung gegen Armut

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Page 1: Nachbarn 1/2013 Bern

NachbarnNr. 1 / 2013Bern Berne

Bildung gegen ArmutFünf Porträts von Menschen, die dank Caritas-Projekten in der Schweiz mehr wissen.

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Inhalt

Schwerpunkt

Bildung gegen Armut

Bildung ist die wirksamste Hilfe für Men-schen, die von Armut betroffen sind. Gleich-zeitig ist Bildung die beste Armutspräventi-on. Denn wer über eine hohe Bildung verfügt, findet schneller eine Stelle, verdient mehr und ist weniger gefährdet, arbeitslos zu wer-den. Fünf Porträts von Menschen, die dank Caritas-Projekten mehr wissen. Und Lö-sungsansätze, um allen einen fairen Zugang zu Bildung zu gewähren. ab Seite 6

Inhalt

2 Nachbarn 1 / 13

Editorial

3 von Dorothee GuggisbergPräsidentin Caritas Bern

Kurz & bündig

4 News aus dem Caritas-Netz

1977

12 Schulsport Bewegung dazumals

Persönlich

13 «Welche Ausbildung würden Sie heute gerne machen, wenn Sie noch- mals von vorne beginnen könnten?»

Sechs Antworten.

Caritas Bern

14 Jung, intelligent und lange ohne Ausbildung

Eine junge Frau erzählt von einem Bruch und Unterbruch und einer Zeit des Lei-dens, bis sie eine KV-Lehre fand.

15 Wenn der Weg ins Arbeitsleben steinig ist

Erich Zbinden, Leiter «FlicFlac»-Stellen- netz, beschreibt, wie Menschen wieder ins Berufsleben finden.

16 Ausbruch aus einer Welt ohne Wahl Wie Caritas gegen die Armut antritt.

17 «Das politische System ist rauer geworden»

Im Gespräch mit Thomas Studer, Ex-geschäftsleiter Caritas Bern.

Kiosk

18 Ihre Frage an uns

Gedankenstrich

19 Kolumne von Paul Steinmann

Ronaldo macht eine Attestausbildung im Caritas-Markt.

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Editorial

3

«Nachbarn», das Magazin der regionalen Caritas-Organisationen, erscheint zweimal jährlich. Gesamtauflage: 40 130 Ex.

Auflage BE: 3 000 Ex.

Redaktion: Franziska Herren (Caritas Bern)Ariel Leuenberger (national)

Gestaltung und Produktion: Daniela Mathis, Urs Odermatt

Druck: Stämpfli Publikationen AG, Bern

Caritas BernEigerplatz 5, Postfach3000 BernTel. 031 378 60 00www.caritas-bern.chPC 30–24794–2

Bildung gegen Armut: Nur wer über Bildung verfügt, kann sich Perspektiven verschaffen. Bildung ist zwar kein Blankoschein für eine Arbeitsstelle, und sie schützt nicht generell vor Er-werbslosigkeit. Aber ohne Bildung keine Chance.

Chancengleichheit ist ein Ziel der Armutsbekämpfung. Die Fä-higkeit zu lesen, zu schreiben, zu rechnen sowie Sprachen zu kennen, ermöglicht eine selbständige Lebensführung und ist eine wichtige Voraussetzung auf dem Arbeitsmarkt. Bildung gleichzusetzen mit schulischem Wissen wäre aber zu kurz ge-griffen. Bildung geht weiter. Alltagswissen setzt auch kulturelle

Kenntnisse voraus, und berufliche Integration erfordert soziale und persönliche Kompetenzen. Dazu braucht es Erfahrungsräume. Erst das Ausprobieren und Anwenden ermöglicht das praktische Lernen und fördert die Handlungsfähig-keit.

Je früher Menschen Bildung erhalten, desto grösser sind ihre Chancen im Beruf, aber auch im Leben allgemein. Frühförde-rung ist wichtig. Ebenso zentral ist die Nachholbildung. Wer einen Einstieg verpasst hat, muss später noch Chancen haben. Die zunehmende Flexibilität in der Arbeitswelt muss sich auch im Bildungswesen abbilden.

Caritas Bern setzt sich dafür ein, dass Bildung auch für Men-schen mit wenig Geld möglich ist. Dies beispielsweise in der In-tegrationsförderung im «FlicFlac»-Stellennetz. Lesen Sie dazu das Porträt einer ehemaligen «FlicFlac»-Programmteilneh-merin und das Interview mit dem «FlicFlac»-Stellenleiter auf den Seiten 14 und 15. Auch die KulturLegi ermöglicht die Teil-nahme am Bildungsangebot. Mehr dazu im Artikel «Ausbruch aus einer Welt ohne Wahl» auf Seite 16.

Herzlich

Liebe Leserin, lieber Leser

Dorothee Guggisberg Präsidentin Caritas Bern«Nur wer über

Bildung verfügt, kann sich Perspek-tiven verschaffen.»

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Kurz & bündig

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Caritas-Netz

Mit verein-ten KräftenDie Schweizer Caritas-Or-ganisationen arbeiten im Caritas-Netz eng zusam-men. Hier suchen sie nach Lösungen für sozialpoliti-sche Probleme und tau-schen Projekte aus.

In der Schweiz bestehen 16 regiona-le unabhängige Caritas-Organisa-tionen, die soziale Projekte direkt vor Ort realisieren. Gemeinsam mit Caritas Schweiz engagieren sie sich unter anderem in der Aktion «Armut halbieren», in der Schul-denberatung, den Caritas-Märkten, bei der KulturLegi und im Caritas-Netz. So können kleinere Organisa-tionen vom Know-how der grösse-ren profitieren.

Soziale Projekte können in neuen Regionen angeboten werden, die Kosten für Kampagnen werden unter den Mitgliedern des Caritas-Netzes aufgeteilt – auch dieses Ma-gazin ist ein Gemeinschaftsprojekt.Obwohl es grosse Unterschiede gibt, verfolgen doch alle Caritas-Organisationen dasselbe Ziel: Ar-mutsbetroffenen und ausgegrenz-ten Menschen zu helfen und sich für ihre Anliegen einzusetzen.

Soziale Aufgaben im ländlichen Raum

«Luege, lose, handle!» Die Welt verändert sich, auch im ländlichen Raum: Neue Lebensformen, hohe Mobilität, versteckte Armut und der wirtschaftliche Wandel sind Stich-worte dazu.

Die Caritas Luzern hat deshalb bei der Hochschule Luzern - Soziale Arbeit eine Studie in Auftrag gegeben unter dem Titel «Soziale Aufgaben im ländlichen Raum». In der Folge lud sie zu-sammen mit den Landeskirchen an drei Orten zu Diskussionsfo-ren ein. Hier wurden die Resultate der Studie diskutiert und an den eigenen Erfahrungen gemessen.Man stellte etwa fest, dass es die Nachbarschaftshilfe immer noch gibt, dass aber die sozialen Netze kleiner geworden sind. Viele junge Familien wohnen nicht mehr im direkten Umfeld ihrer Ursprungsfamilien. Allzu oft liegen Arbeits- und Wohnort weit auseinander. Zudem arbeiten meist beide Elternteile. So wird die ausserfamiliäre Kinderbetreuung auch in ländlichen Gebieten immer wichtiger, und es braucht Hilfsangebote für Fa-milien in Überlastungssituationen. Für die Zukunft wurden verschiedene Handlungsansätze festge-halten: Armut in ländlichen Gebieten ist oft versteckt, Betroffene suchen meist erst im letzten Moment um Hilfe. Hier gilt «Luege, lose, handle» beiderseits, für Betroffene wie das Umfeld. Man war sich einig, dass es zwar viele Initiativen und Angebote gibt, dass es aber auch zunehmend wichtiger wird, Netzwerke zu stär-ken und zu koordinieren. Zur besseren Integration von Migran-tinnen und Migranten wünscht man sich vermehrt gegenseitige Kulturvermittlung sowie Sprachförderung. Nicht zuletzt gilt es den wirtschaftlichen Wandel kritisch zu hinterfragen und auch politisch Partei zu nehmen für Benachteiligte.

eigenständige Caritas-Organisationen

In der Schweiz gibt es

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Kurz & bündig

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Regionale Caritas-Organisation

Solothurn startet neu Mit einem Caritas-Markt, einer Beratungsstelle und der KulturLegi startet Caritas Solothurn neu, nachdem sie vor zehn Jahren die Tätigkeit einstel-len musste.

Mit dem Wiederaufbau wurde Caritas Aargau beauftragt. So können Erfahrung und Wissen optimal genutzt werden. Als Geschäftsführerin verantwortet Regula Kuhn-Somm die neuen Projekte. Eine ihrer grossen Herausforderungen ist das Knüp-fen eines lokalen Netzwerks. Neben dem Caritas-Markt in Olten wird im September in Solothurn eine Beratungsstelle für Hilfe-suchende eröffnet. Geplant ist weiter, die KulturLegi im ganzen Kanton einzuführen. Am 8. Mai 2012 hatte die Mitgliederversammlung den Wieder-aufbau von Caritas Solothurn beschlossen; schon am 1. Juni nahm die Geschäftsstelle der regionalen Caritas-Organisation den Betrieb auf. Caritas Solothurn blickt auf eine bewegte Ge-schichte zurück. Nach einem breiten Engagement in den 1990er-Jahren musste sie jedoch 2003 ihre Tätigkeiten einstellen – ein grosser Leistungsauftrag ging verloren, was zu finanziellen Problemen führte. Ehrenamtlich engagierte sich der Vorstand weiter und eröffnete 2009 den Caritas-Markt in Olten. Dadurch stiess das ehrenamtliche Engagement an Grenzen. Ein intensi-ver Strategieprozess führte zum Entscheid, den Neustart einer regionalen Caritas-Organisation zu wagen. www.caritas-solothurn.ch

NEWS In guten Händen

30 000 Betreuerinnen arbeiten illegal und schlecht bezahlt in Schweizer Haus-halten. Darum bietet Caritas Schweiz neu das Projekt «In guten Händen» an: Ausgebildete Rumäninnen und Rumänen helfen älteren, gebrechlichen Menschen. Die Partnerorganisation vor Ort wählt Betreuungspersonen aus, bereitet sie vor und beschäftigt sie nach dem Schweiz-Einsatz weiter. Die Einsatzleiterin von Caritas Schweiz klärt den Bedarf mit den Betroffenen ab, führt die Betreuungsper-sonen im Haushalt ein und begleitet sie während ihres Einsatzes.

Internetzugang im Caritas-Markt Chur

Neu bietet der Caritas-Markt Chur ein In-ternet-Café für alle an. Zwei Computer ste-hen dafür zur Verfügung. Der Preis ist mit einem Franken für 30 Minuten Nutzung günstig. Das Angebot richtet sich vor allem an Armutsbetroffene, die sich zuhause kei-nen Internetanschluss leisten können.

Weihnachtsessen für Alleinstehende

Für alleinstehende, armutsbetroffene und einsame Menschen organisiert Cari-tas Zürich seit 1932 die Caritas-Weih-nacht: ein feines Essen mit einem Ge-schenk für alle Anwesenden. Auch 2012 kamen über 350 Personen ins Volkshaus. Sie liessen sich von der festlichen Atmo-sphäre und den Weihnachtsliedern, ge-sungen von Alina Amuri, verzaubern. Und konnten so einige glückliche Stunden in einer schwierigen Zeit verbringen.

Rorschach startet «FemmesTISCHE»

Caritas St. Gallen-Appenzell führt in der Ostschweiz mit Erfolg «FemmesTISCHE», das Elternbildungsprogramm mit Mig-rantinnen, durch. 2012 fanden 179 Veran-staltungen in 14 verschiedenen Sprachen statt. An den Gesprächsrunden nahmen insgesamt 1116 Frauen teil. Im Januar 2013 hat nun auch die Stadt Rorschach das Projekt gestartet. Im Mai sollen die ersten Gesprächsrunden in mehreren Sprachen durchgeführt werden.Auch in Solothurn können Menschen mit knappem Budget bald von den

Vergünstigungen der KulturLegi profitieren.

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Rubrik

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Malice B.: «Dank ‹schulstart+› kann ich die Zukunft meiner Kinder – und auch meine eigene – besser planen.»

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Schwerpunkt

alice B. und ihr Mann stammen aus kosovo-al-

banischen Familien. Die Bürokauf-frau und der Projektleiter Metallbau haben zwei kleine Söhne (3 und 5). Malice B.: «Ich bin in München auf-gewachsen. Meine Erinnerungen an die eigene Schulzeit sind schön. Auch wenn wir daheim Albanisch redeten – so wie ich es jetzt auch mit den eigenen Kindern halte –, hatte ich von Anfang an nie Probleme, dem Unterricht zu folgen. Ich war eine gute Schülerin. Dass ich eine Einführung ins Schweizer Schul-system sinnvoll fand, mag auf den ersten Blick erstaunen. Aber die Un-terschiede zwischen dem deutschen und dem schweizerischen Bildungs-wesen sind grösser, als man denkt, und so war ich dankbar, als eine Kollegin mich auf <schulstart+> aufmerksam machte. Der Kurs war toll. Stufe um Stufe lernte ich dort, wie das Schulwesen funktioniert. Nun werde ich meine Söhne besser unterstützen können, und ich habe auch für mich selber sehr profitiert. Im Kurs haben wir unter anderem Besuch aus dem BIZ bekommen; ich werde mich nun dort über den be-ruflichen Wiedereinstieg und die Weiterbildungsmöglichkeiten in-formieren. Und mit den Söhnen werde ich in der Waldspielgruppe, die ich bei <schulstart+> kennen-lernte, schnuppern gehen!»

«schulstart+»: Elternbildungs-kurs, der Familien ausländischer

Herkunft auf den Schuleintritt der Kinder vorbereitet. Der 8-wöchige Kurs vermittelt Informationen zum Schweizer Schulsystem und Tipps für die Unterstützung und Begleitung der Kinder.

Ronaldo M. und Milenko S. absolvieren im Caritas-Lebens-mittelladen die zweijährige Aus-bildung zum Detailhandelsassis-tenten. Die Eltern von Ronaldo M. stammen aus Angola. Dass er nicht

der einzige Lernende im Betrieb ist, sondern mit Milenko S., dessen Familie bosnischer Herkunft ist, einen Kollegen hat, freut ihn sehr. Ronaldo M.: «Ich gehe die Dinge positiv an. Freizeit heisst für mich: Spass haben, tanzen, Musik hören. Als ich mich 2011 für die Lehrstelle bewarb, hat man mir erzählt, dass

arbeitslose Leute oder Asylsuchen-de im Lebensmittelladen einen Arbeitseinsatz machen und dass es deshalb immer wieder Wechsel gibt. Man muss flexibel sein und Freude an neuen Leuten haben, damit es einem hier gefällt. Für mich ist das bestens. Es läuft mir gut in der Lehre. Wir haben gute Chefs, die uns auch genügend Zeit gewähren, um für die Schule zu ler-nen.» Milenko S.: «Eigentlich habe ich Logistiker werden wollen. Aber meine Schulnoten lagen zu tief. Im zehnten Schuljahr hat mich der Berufscoach dann auf die Attest-lehren bei der Caritas aufmerksam gemacht. Mir gefällt es hier. Ich lerne viel – über die Lebensmittel, über ihre richtige Lagerung, über Hygiene. Und jetzt beginnen Ro-naldo und ich uns bereits auf die Lehrabschlussprüfung vorzube-reiten. Wenn unsere Vorgesetzten mal unterwegs sind, haben nun wir die Verantwortung im Laden. Was ich nach dem Lehrabschluss ma-chen möchte, weiss ich noch nicht genau. Auf jeden Fall will ich eine Vollzeitstelle.»

Attestlehre Die Caritas bietet Ausbildungsmöglichkeiten in unterschiedlichen Bereichen an, unter anderem Attestlehren im Caritas-Markt. Diese zwei Jahre dauernden Ausbildungsgänge eröffnen Jugendlichen mit Migrati-onshintergrund berufliche Zu-kunftsperspektiven.

Bildung macht stark Bildung ist Selbstverwirklichung und führt zu mehr Selbstbestimmung. Fünf Menschen, die dank Caritas-Projekten neue Ideen, neue Möglichkeiten, neue Freunde gefunden haben, erzählen.

Text: Ursula Binggeli Bilder: Urs Siegenthaler

M

Ronaldo M. und Milenko S.: «Unser Lehr-betrieb ist speziell, weil der Caritas-Markt sozial ist.»

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Schwerpunkt

Regina B.Seit langer Zeit kämpft Regina B. mit Depressionen. Dennoch hat sie als alleinerziehende Mutter viele Jah-re alle Herausforderungen bewältigen können. Als ihre Tochter in die Pubertät kam, fürchtete Regina B. dann aber, dem Mädchen nicht ausreichend Grenzen setzen zu können. Deshalb lebt dieses heute in einem Schulheim. Regina B.: «Seit fünf Jahren sind meine De-pressionen so stark, dass ich grosse Mühe habe, alleine unterwegs zu sein. Ohne meinen Hund Bubi, der mich überallhin begleitet und sehr kontaktfreudig ist, hätte ich mich auch nicht in den Italienischkurs getraut, den ich letztes Jahr besuchen konnte. Mit der KulturLegi der Caritas gab es 50 Prozent Rabatt, und der Sozial-dienst hat den Restbetrag übernommen. Den Kursbe-such habe ich sehr genossen. Ich lernte dort gute Leute kennen, und es machte mir Spass, mich mit der italie-nischen Sprache auseinanderzusetzen. Seit drei Jahren habe ich einen lieben Partner, mit ihm kann ich auch Ausflüge unternehmen. Er hat Bekannte in Italien,

Regina B.: «Der von der KulturLegi ermöglichte Italienischkurs hilft mir, auf Leute zuzugehen.»

und letztes Jahr sind wir zu diesen in die Ferien ge-gangen. Es freut mich, zu wissen, dass ich mich beim nächsten Mal besser mit ihnen werde verständigen können. Bubi ist mittlerweile 10 Jahre alt. Aber dass sein braunes Fell auf dem Rücken weiss geworden ist, hat sicher nicht mit dem Alter zu tun, sondern damit, dass ich ihn so oft streichle!»

KulturLegi: Ein Angebot für Personen, die nachweis-lich am oder unter dem Existenzminimum leben. Mit der KulturLegi gibt es in den Bereichen Bildung, Kultur, Sport und Freizeit einen Rabatt von mindes-tens 30 Prozent auf über 1300 Angeboten in der ganzen Schweiz.

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Schwerpunkt

nahen Verwandten, die im Iran getötet worden sind, und die Wände sind noch fast kahl. Ich traue mich nicht, sie zu schmücken, weil ich nach wie vor Angst habe, alles wieder zu verlieren. Das Gefühl von Sicher-heit ist noch nicht zurückgekehrt. Aber ich will meinen Weg gehen. Aktuell arbeite ich als Pflegehelferin. Mein Ziel ist es, Fachfrau Gesundheit zu werden.»

Kompass: Ein Deutsch- und Integrationskurs für erwerbslose anerkannte Flüchtlinge mit B- oder F-Bewilligung sowie vorläufig Aufgenommene nach Abschluss des ersten Deutschkurses. Der Kurs umfasst 15 Lektionen pro Woche und dauert acht Monate.

Bahar E.Mahabad heisst die kurdische Stadt im Nordwesten des Irans, in der Bahar E. lebte, bevor sie mit ihrem Mann und den Kindern (heute 12 und 17) wegen ihres politi-schen Engagements via Irak und Türkei in die Schweiz fliehen musste. Bahar E.: «Als ich vor fünf Jahren in die Schweiz kam, erschrak ich ob der Distanz, mit der man hier Fremden begegnet. Wir Kurdinnen und Kur-den haben ein heisses Herz, wie man bei uns sagt. Ich habe dann begonnen, aktiv auf Menschen zuzugehen. So trat ich dem Frauenturnverein der Ortschaft bei, in welcher meine Familie und ich nach fast zwei Jahren in Asylunterkünften nun unsere eigene Wohnung haben. Seit wir die B-Bewilligung besitzen, stehen uns viel mehr Möglichkeiten offen. Ich konnte auch den Kom-pass-Kurs der Caritas besuchen und mich dort gut auf den Einstieg in die Arbeitswelt vorbereiten. Das war sehr hilfreich. Der Übergang ins neue Leben ist nicht einfach für mich. Ich trage viele schmerzliche Erinne-rungen in mir. In unserer Wohnung stehen Fotos von

Bahar E.: «Der Kompass-Kurs erleichtert mir den schwierigen Übergang ins neue Leben.»

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10 Nachbarn 1 / 13

Schwerpunkt

igentlich ist die Schule für alle da. Doch nur wenn der Zugang zu Schule und Bil-dung für alle gleich ist, haben alle die gleichen Chancen. Dem ist heute nicht so. Obwohl in der Schweiz die Investitionen in

das Bildungswesen knapp im Durchschnitt der OECD-Länder liegen, bestehen bei uns nach wie vor Lücken im Zugang zur Bildung. Diese treffen vor allem Perso-nen, die wegen ihrer Herkunft sowie wegen fehlender finanzieller Ressourcen ohnehin schon benachteiligt sind. Damit festigt das schweizerische Bildungssys-tem die bestehenden sozialen Ungleichheiten.

Zahlen sprechen eine deutliche SpracheDabei ist es offensichtlich, dass fehlende Bildung in einer Wissensgesellschaft wie jener der Schweiz das Armutsrisiko massiv erhöht. So belegen Zahlen, dass zwei Drittel der Sozialhilfeempfängerinnen und -emp-fänger über keine nachobligatorische Ausbildung ver-fügen – bei den jugendlichen Sozialhilfeempfängern sind es fast 70 Prozent. Vor diesem Hintergrund wirkt die Tatsache stossend, dass 17 Prozent der 15-Jährigen nur mangelhafte Lesekompetenzen aufweisen, sodass ihre weiter Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten eingeschränkt sind.

Mit Bildung gegen ArmutFehlende Bildung ist in der Schweiz das Armutsrisiko Nummer eins – wer keinen Berufsabschluss hat, findet kaum einen Job. Caritas fordert einen nationalen Bildungsplan.

Text: Iwona Swietlik Illustration: Patric Sandri

E

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Schwerpunkt

Ein nationaler BildungsplanDie bestehenden Lücken und Hindernisse im Zugang zu Bildungsaktivitäten sind zu einem grossen Teil Resultat des schweizerischen Föderalismus. Sie sind durch das Fehlen eines allgemeinen Bildungsplans er-klärbar, wie ihn bereits die OECD oder schweizerische Institutionen wie die Arbeitsgruppe «Zukunft Bil-dung Schweiz» empfehlen. Auch Caritas kommt zum Schluss: Ein nationaler Bildungsplan muss das Kon-zept des lebenslangen Lernens auf politischer Ebene verankern. Er soll den Kantonen klare Rahmenbedin-gungen für die Umsetzung aufzeigen. Zentral ist ein besserer Zugang zu Bildungsaktivitäten für benachtei-ligte Personen.Mit der KulturLegi, dem Patenschaftsprojekt «mit mir» und dem Elternbildungsprojekt «schulstart+» erleichtert Caritas armutsbetroffenen Menschen den Zugang zu Bildung bereits heute.

Links und Publikationen

Kampagne «eigentlich». Die regionalen Caritas-Organisationen machen auf Probleme im Bildungsbereich aufmerksam und zeigen Lösungsansätze auf. Details unter www.gegen-armut.ch

Sozialalmanach 2013. Das Caritas-Jahrbuch zur sozialen Lage der Schweiz mit dem Schwerpunkt «Bildung gegen Armut». Zu bestellen unter www.caritas.ch/sozialalmanach

LösungsansätzeCaritas fordert, dass alle Zugang zu Bildung haben, unabhängig von Alter, Herkunft und finanziellen Ressourcen.

Konkret empfehlen wir:– die Frühförderung zu verbessern – denn

zurzeit ist es eher zufällig, ob ein Kind von einem familienergänzenden Angebot pro-fitiert oder nicht. Dabei werden die Wei-chen für die Bildungslaufbahn bereits im frühen Alter gestellt.

– die Elternarbeit zu stärken – denn gerade benachteiligte Familien leiden unter sozi-aler Isolation und mangelhaften Informa-tionen. Elternarbeit soll als Teil der Interg-rationsförderung und des Bildungswesens verstanden werden – durch Bildungsange-bote für Eltern sowie Einsatz von kulturel-len Übersetzerinnen und Übersetzern.

– den Illettrismus zu bekämpfen – 800 000 Menschen im Alter zwischen 16 und 65 Jahren in der Schweiz können kaum le-sen. Es müssen Bildungsstrukturen ge-schaffen werden, welche die Integration benachteiligter Personen fördern (z. B. Tagesstrukturen) und informelle Angebo-te gestärkt werden (z. B. offene Jugendar-beit).

– die Berufsbildung zu sichern – denn über 15 Prozent der Menschen im Erwerbsalter haben keinen Berufsabschluss. Ihre Er-werbslosenquote ist doppelt so hoch wie jene von Personen mit Abschluss. Auch die Working-Poor-Quote ist fast dreimal so hoch. Die Berufsbildung kann durch Sti-pendien, Berufsbildungsfonds und Steuer-abzüge für Lehrbetriebe gefördert werden.

– Nachhol- und Weiterbildung für Armuts-betroffene zu ermöglichen – denn der Wei-terbildungsmarkt festigt die bestehenden Ungleichheiten. 80 Prozent der am besten ausgebildeten Personen besuchen Wei-terbildungen – im Vergleich zu lediglich 20 Prozent der Personen ohne nachobliga-torische Ausbildung. Finanzielle Hürden abbauen und informelle Bildungsleistun-gen anerkennen hilft, damit sich auch be-nachteiligte Personen weiterbilden kön-nen.

0 10 20 30 40 50 60

Anteil gesamte Bevölkerung in %

Anteil Sozialhilfebezüger in %

Ausbildung

Berufsausbildung oderMaturitätsschule

Universität oderhöhere Fachausbildung

Sozialhilfebezüger haben besonders oft keine berufliche Ausbildung (Quelle: Bundesamt für Statistik BFS).

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Schulsport

Körperlicher Ausgleich war seit je Teil der Schulprogramms. 1970 sagte das Schweizer Stimmvolk Ja zur Förderung von Turnen und Sport auf allen Alter-stufen, was zu einer Ausweitung des Sportunterrichts auf die Berufsschulen führte. Heute finden Bewegungspro-gramme auch im Arbeitsalltag, auf der Baustelle, in Beschäftigungsprogram-men Einzug.

Bild: Bodenübungen im Turnunterricht © Emanuel Ammon. In seinem im Buch «70ER» sind weitere Fotografien aus den 1970er Jahren zu sehen. www.aura.ch

1977

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Persönlich

Marieli Gerber, Rezeptionis-tin im Spital, Schiers:Da ich ein sehr offener Mensch bin und gerne auf fremde Men-schen zugehe und mich mit Ihnen unterhalte, würde ich eine Ausbil-

dung wählen, bei der ich mit vielen Leuten auch aus anderen Ländern und Kulturen in Kontakt komme, wie zum Beispiel im Hotelfach, Reiseleiterin oder in einem Reisebüro. Auch würde ich unbedingt Spra-chen lernen, damit ich mit den heutigen Möglichkei-ten die Welt bereisen könnte.

Lobsang Zatul, Sachbear- beiter und Tibetischlehrer, Horgen:In meiner Freizeit unterrichte ich die tibetische Sprache und Schrift. Das ist meine Passion und mein

bescheidener Beitrag, unsere Kultur am Leben zu erhalten. Wenn ich heute nochmals neu beginnen könnte, würde ich eine Ausbildung machen, die mit der tibetischen Kultur zu tun hat. Dann könnte ich mein Hobby zum Beruf machen.

Florian Studer, Arbeitsuchen-der, Luzern:Ich würde Agronom werden wol-len. Es gibt vielseitige Tätigkei-ten in der Landwirtschaft. Das Entwickeln und Erforschen neuer

Methoden gefällt mir. Am liebsten möchte ich einen landwirtschaftlichen Betrieb führen. Ich möchte in der Forschung aktiv sein und selbst Pflanzen züchten und eine artgerechte Haltung von Nutztieren führen. Seit kurzem habe ich ein Studium abgeschlossen und bin zurzeit auf Arbeitsuche.

Tsega Bahta Desta, Flücht-lingsfrau, Ennetturgi:In meiner Heimat Eritrea bin ich nur drei Jahre zur Schule gegan-gen. Mit 13 musste ich die Schule verlassen und in einer Textilfa-

brik arbeiten, um unsere Familie zu unterstützen. Wenn ich noch einmal die Chance hätte, dann würde ich weiter die Schule besuchen und dann eine Ausbil-dung als Kauffrau in einer Bank machen. Das wäre mein Traum gewesen.

Catrina Mugglin, Ärztin, Bern:Ich würde die Piratenakademie besuchen, Weltumseglerin wer-den, als Doppelagentin in gehei-mer Mission Verschwörungen

aufdecken und Geschichtenerzähler am Ende der Welt aufspüren, um mich als professionelle Zuhöre-rin ausbilden zu lassen. Aber in der Realität würde ich doch nicht viel anders machen. Mein Alltag als Ärztin ist voller Abenteuer, Rätsel, Geschichten und Wunder.

«Welche Ausbildung würden Sie heute gerne machen, wenn Sie nochmals von vorne beginnen könnten?»

Markus Hiltebrand, eidg. dipl. Maurer, Basel:Ursprünglich bin ich Maurer und habe auch drei Jahre auf dem Be-ruf gearbeitet. Dann wechselte ich zu einer Temporärfirma, wo ich

Abteilungsleiter wurde. Schliesslich übernahm ich die Betriebsleitung in der Reinigungsbranche. Heu-te würde ich direkt die Ausbildung zum technischen Kaufmann anstreben und mich berufsbegleitend zum Betriebsleiter weiterbilden, da mir der Umgang mit Menschen sehr zusagt.

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Caritas Bern

Jung, intelligent und lange ohne AusbildungMit dreizehn wollte sie Archäologin werden. Später wäre sie gerne als Schauspielerin oder Musikerin auf der Bühne gestanden. Heute macht Sibel Keser* eine kauf-männische Lehre. Um später beruflich weiterzugehen.

Text: Franziska Herren Bild: Urs Siegenthaler

in Strahlen setzt sich in das Gesicht der 22-jährigen Sibel Keser, wenn sie von ihren In-

teressen und Sehnsüchten erzählt. Von ihrer Faszination für Ruinen und Arenen. Von ihrem Traum, in ferne Länder zu reisen. Nach Alas-ka oder Ägypten zum Beispiel. Mit vierzehn schrieb sie Gedichte. Spä-ter spielte sie in einer Jugendband Gitarre. Auf der Bühne zu stehen gefiel ihr. Sie hätte sich vorstellen können, Schauspielerin zu werden. Seit je ahmte sie Leute gut nach. Doch trotz all ihrer Interessen und

Träume wurden Beruf und Ausbil-dung zu Reizwörtern, vor denen sie in Gedanken davonrannte.

Als die Motivation verschwand«Bei meinen Verwandten in der Türkei hiess es immer, <Mach eine gute Ausbildung!>, sagt Sibel Keser. Sie folgte diesem Ratschlag und ging aufs Gymnasium. In den Sprachen und der Geschichte lief es gut. Doch Mathematik und Physik bereiteten ihr Kopfschmerzen. «Ich bin einfach kein Zahlenmensch», sagt Sibel Keser. Sie erreichte die

E

Arbeitsintegrationsprogramme können ein Sprungbrett sein für den Einstieg in eine Lehrstelle. Dieses Bild zeigt nicht die im Text erwähnte KV-Lernende.

geforderten Noten nicht und muss-te das Gymnasium abbrechen. «Das war die grösste Enttäuschung in meinem Leben», resümiert sie heute. Die Zeit danach war, als hätte je-mand das Licht in ihrem Leben ausgelöscht. Sibel Keser blieb lan-ge zu hause. Ohne Motivation. Und ohne Antrieb, sich um Berufliches zu kümmern. «Ich war einfach nicht parat.» Sie machte den Tag zur Nacht und die Nacht zum Tag. Sie fotografierte. Und sie nähte Kleider nach Vorbildern aus japa-nischen Comics. Zwischendurch schnupperte sie in Betrieben, ohne dass sich daraus etwas ergeben hätte.

Der Traum erfüllte sichAls eine Sozialarbeiterin sie an das «FlicFlac»-Stellennetz der Caritas Bern vermittelte, rückte das Thema «Beruf» wieder in den Vordergrund. Durch das Stellennetz erhielt sie einen Praktikumsplatz in einem Quartierzentrum. «Das gefiel mir sehr gut, und ich hoffte fest, die frei werdende Lehrstelle im Kauf-männischen zu bekommen.» Sibel Kesers Wunsch ging in Erfüllung. Seit letztem Sommer stellt sie im Quartierzentrum an drei Tagen als Lernende unter anderem SBB-Tageskarten aus oder sie ist für Telefondienste verantwortlich. Die restlichen zwei Tage geht sie zur Schule mit dem Ziel, die Berufsma-tur abzuschliessen. «Ich habe mich sehr auf die Lehre gefreut. Nun muss ich es richtig machen», sagt Sibel Keser. Die Ausbildung im Kaufmänni-schen sieht sie als Sprungbrett. Ihr Traum wäre es, eines Tages im Tou-rismus zu arbeiten. Am liebsten als Reiseleiterin, wo sie den Touristen über Statuen und alte Arenen er-zählen kann. «Ich bin so neugierig auf andere Kulturen, und wenn ich Bilder von fremden Ländern sehe, geht mir das Herz auf.»

*Name von der Redaktion geändert

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Caritas Bern

Nachbarn: Die Sozialarbeitenden des «FlicFlac»-Stellennetzes unterstützen jährlich 215 Perso-nen bei der Arbeitsintegration. Welche Lebens-geschichten stecken hinter dieser Zahl?Erich Zbinden: Viele Programm-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer bringen ein Flüchtlingsschicksal mit. Diese Menschen haben auf langen Fluchtwegen Kon-tinente überquert und möchten hier ein neues Leben anfangen. Sie bringen unterschiedliche Vorbildungen mit. Diese reichen vom Fischer bis zum Juristen. Die Aufgabe des «FlicFlac»-Stellennetzes ist es, diese Men-schen zu fördern, bis sie beruflich Tritt fassen können.

Aber auch Menschen, die in der Schweiz aufge-wachsen sind, finden zum Teil lange keine Stelle. Was ist bei ihnen der Grund?Einige haben einen Beruf gelernt, den es nicht mehr gibt. Schriftenmaler oder Schuhmacher zum Beispiel. Andere haben gescheiterte Beziehungen hinter sich. Oft sind es Mütter, die vorwiegend zu ihren Kindern ge-schaut haben und die nun wieder in das Arbeitsleben einsteigen wollen oder müssen. Bei wieder anderen Langzeiterwerbslosen steht Suchtmittelmissbrauch im Vordergrund.

Das berufliche Spektrum der Programmteilneh-menden ist breit gefächert. Viele haben aber eine tiefe Bildung. Und bei der Arbeitssuche heisst es ja häufig «Ohne Bildung – kein Job.» Was tut das «FlicFlac»-Stellennetz im Bereich Bildung?Nach Bedarf bieten wir Computerkurse oder Deutsch-unterricht an. Bei jüngeren Leuten mit tiefer Bildung versuchen wir, mit Vorlehren, Praktika oder Attest-lehren den Zugang zu Bildung zu erschliessen. Unser Kerngeschäft besteht darin, dass wir den Programm-Teilnehmenden befristete Arbeitseinsätze in einer

Firma vermitteln. Am meisten Bildung kommt ihnen am Einsatzplatz zu. Denn dort lernen sie, wie bei uns gearbeitet wird.

Nach diesem befristeten Arbeitseinsatz findet jede zweite Person eine Stelle. Was begünstigt es, dass jemand einen Job findet? Die Teilnehmenden haben die Chance, sich im Arbeits-einsatz mit all ihren Fähigkeiten zu zeigen. Die besten Aussichten auf eine Arbeitsstelle haben Menschen, die sich anpassen und öffnen können. Und Menschen, die gesundheitlich, psychisch und sozial stabil sind. Na-türlich spielt auch das Glück eine Rolle. Dass jemand zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort ist.

Weitere Informationen unter: www.flicflac-stellennetz.ch

Erich Zbinden, Leiter «FlicFlac»-Stellennetz. Er fördert im Programm der Caritas Bern Menschen, bis sie beruflich Tritt fassen können.

Wenn der Weg ins Arbeitsleben steinig istDas «FlicFlac»-Stellennetz der Caritas Bern macht langzeiterwerbslose Menschen fit für den Arbeitsmarkt. Erich Zbinden, Leiter «FlicFlac»-Stellennetz, beschreibt, wie Menschen wieder ins Berufsleben finden.

Interview: Franziska Herren Bild: Susanne Moser

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Caritas Bern

Ausbruch aus einer Welt ohne WahlArmut trifft vor allem Kinder. Auf ihr Leben wirft sie einen langen Schatten. Denn wer arm ist, bleibt es meist ein Leben lang. Ein paar Beispiele, wie Caritas gegen die Armut antritt.

Text: Franziska Herren Bild: Erich Zbinden

A

Am Licht- und Tonspektakel «Rendez-vous Bundesplatz» in Bern sammelte die Caritas für die KulturLegi Geld.

rmut findet meistens hin-ter verschlossenen Türen statt. Am Familientisch

beispielsweise, wenn Eltern ihren Kindern anvertrauen, dass das Geld nicht reicht. Weder für den Ballett-unterricht mit den Freundinnen noch für den Judokurs mit den Kol-legen. Oder dass es in den nächsten Monaten kein Paar neue Schuhe und keinen Familienausflug geben wird. Im Kanton Bern leben 24 000 Kinder in einer solchen Situation.

Armut von Kindern ans Licht bringen«Armut überwinden heisst Aus-bruch aus einer Welt ohne Wahl», sagt Walter Schmid, Präsident der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe. Caritas Bern setzt sich dafür ein, dass Menschen einen Weg finden, aus der Armut auszu-brechen. Mit ihrer Kampagne «Ab-seits» brachte die Caritas im letzten Jahr das Thema «Kinderarmut» an die Öffentlichkeit. Das Thema rüt-telte auf und wurde von nationalen und lokalen Medien aufgegriffen. Auch mit Projekten setzt sich Cari-tas Bern für Menschen mit wenig Geld ein. Zum Beispiel mit der Kul-turLegi. Diese gewährt Menschen mit kleinem Budget verbilligte Eintritte zu Kultur-, Bildungs- und Sportanlässen und holt sie damit aus einer sozialen Isolation. Im letzten Jahr führten drei neue Ge-meinden im Kanton Bern die Kul-

turLegi ein – Langenthal, Nidau und Port. Insgesamt wurden 4500 KulturLegis im Kanton ausgestellt – 1000 mehr als im Vorjahr. Die Ca-ritas sammelte als Partnerin des Licht- und Tonspektakels «Rendez-vous Bundesplatz» Geld für die KulturLegi. «Dank der KulturLegi kann ich mir Erlebnisse gönnen, die vorher nicht möglich waren. Auf der einen Seite ist es traurig, dass wir in der Schweiz so etwas brau-chen, auf der anderen Seite fantas-tisch, dass es die KulturLegi gibt», sagt ein KulturLegi-Nutzer.

Integration hautnah erleben«Ich bin als Flüchtling gekommen. Ich bin zwar jetzt Schweizer Bürger.

Aber dieses Erlebnis, als Flücht-ling hierher zu kommen, kann man nicht vergessen», sagt Yahya Dalib Ahmed. Am letzten Flüchtlingstag stellte die Caritas Bern zusammen mit anderen Hilfswerken im Kan-ton ein interaktives Labyrinth auf den Berner Bundesplatz. In ihm konnten die Besucherinnen und Besucher den Weg der Integrati-on hautnah erleben. Auch in der täglichen Arbeit der Caritas Bern bildet die Integration anerkannter Flüchtlinge einen Schwerpunkt. Der Flüchtlingsdienst unterstütz-te im letzten Jahr 990 anerkannte Flüchtlinge bei der sozialen Inte-gration.

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Caritas Bern

Thomas Studer ist als Geschäftsleiter der Caritas Bern zurückgetreten.

Wie sah die Caritas Bern aus, als Sie die Ge-schäftsleitung übernommen haben?Thomas Studer: Ich trat in ein Hilfswerk ein, das vom «Übervater» Toni Hodel geprägt war. Eine Herausfor-derung! Caritas Bern ist, auf dem soliden Fundament der Arbeit der früheren Generation, zu einem erfolgrei-chen KMU-Hilfswerk mit rund 70 Mitarbeitenden an-gewachsen (38 waren es im Jahre 2007).

Was waren die Freuden in Ihrer Caritas-Zeit?All die Kontakte mit Institutionen im Kanton Bern, im Caritas-Netz und einzelne Begegnungen mit Menschen am Rande der Gesellschaft waren für mich immer wie-der berührend! Highlights waren die Armutskampag-ne «Armut halbieren» im 2010; das 25-Jahre-Jubiläum mit der Filmreihe «Randsichten»; der Flüchtlingstag 2012, die IKAS-Tagung «Menschenwürde – ein Lu-xus?».

Und was die Leiden?Am meisten zu schaffen machen mir die gesellschaft-lichen Entwicklungen. Aus meiner Sicht ist das politi-sche Klima in der Schweiz in den letzten fünf Jahren rauer geworden. Sozialhilfe-, IV-Bezüger/innen, Mi-grantinnen und Migranten sowie Asylsuchende sind gesellschaftliches Freiwild – politisch zum Abschuss freigegeben. In der Arbeitswelt geht der Mensch oft verloren und fällt durch die Maschen des Wohlfahrts-staates. Hier sind wir, die Kirchen und Hilfswerke, ge-fordert, für Arbeitslose, Migrantinnen und Migranten oder Armutsbetroffene einzustehen.

Und was wünschen Sie der Caritas Bern für ihre Zukunft?Möge sich die Caritas Bern an neue Projekte wagen, die neben dem Austauschnetz «Arbeitswelt» auf die eben-so wichtigen Austauschnetze «Freizeit und Sozialzeit» verweisen: mit Lebensentwürfen, in denen nichtmate-rielle Werte an Wert gewinnen. Und möge sie weiterhin an der Seite der Menschen am Rande der Gesellschaft für ein Leben in Würde und Zuversicht einstehen!

«Das politische System ist rauer geworden»Thomas Studer hat die Caritas Bern nach einer fünfjährigen Tätigkeit als Geschäftsleiter verlassen. In dieser Zeit ist das Hilfswerk stark gewachsen, und die Situation für Armutsbetroffene im Kanton Bern ist härter geworden.

Interview: Franziska Herren Bild: Christoph Wider

Wechsel in der Geschäftsleitung

Die neue Geschäftsleiterin von Caritas Bern heisst Clau-dia Babst. Sie führt seit Anfang März das Berner Hilfs-werk. Claudia Babst war unter anderem während zwölf Jahren Geschäftsführerin von Insieme Schweiz und hatte wäh-rend mehrerer Jahre die Leitung der Wohnheime und Ta-gesstätten der Stiftung für Schwerbehinderte in Luzern inne. (fhe)

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Kiosk

AGENDA

Einführungskurs in die Freiwilligenarbeit

Caritas Bern bietet interessierten Perso-nen die Möglichkeit eines freiwilligen En-gagements, zum Beispiel im Caritas-Markt, in der Begleitung von anerkannten Flüchtlingen und in zwei Patenschafts-projekten. Nächster Einführungskurs: Samstag, 27. 4. 2013, nachmittags.Informationen unter www.caritas-bern.ch/freiwilligenarbeitAuskünfte unter Telefon 031 378 60 33

Delegiertenversammlung der Caritas Bern

An der Delegiertenversammlung der Ca-ritas Bern ist der Rechenschaftsbericht mit der Jahresrechnung Thema. Mittwoch, 5. 6. 2013, Bern

Flüchtlingstag

Der Flüchtlingstag 2013 steht unter dem Motto «Gemeinsam schaffen wir es». Der Flüchtlingstag will zeigen, was Wirtschaft und Gesellschaft gewinnen, wenn Flücht-linge bei uns nicht nur Schutz, sondern auch Arbeit finden.Samstag, 15. 6. 2013

«Eine Million Sterne»

An der traditionellen Kerzenaktion der Caritas werden auf Plätzen und vor öf-fentlichen Gebäuden Kerzen angezün-det. Jede Kerze steht als Zeichen der So-lidarität mit schwächeren Menschen. Weitere Informationen unter www.einemillionsterne.chSamstag, 14. 12. 2013,in verschiedenen Ortschaften im Kanton Bern.

Weitere Informationen zu Veranstaltun-gen der Caritas Bern finden Sie auf www.caritas-bern.ch/veranstaltungen

Mit Legaten Lebensperspektiven verbessern

Die Caritas Bern hat kürzlich eine grosszügige Spende in Form eines Legats erhalten. Legate sind für die Caritas Bern wichtig, weil sie damit Projekte für armutsbetroffene Menschen im Kanton Bern fi-nanzieren kann. Projekte für Menschen in Krisensituationen wie Ar-beitslosigkeit, Scheidung oder Todesfall. So schenken Patinnen oder Patenpaare im Caritas-Patenschaftsprojekt «mit mir» Kindern aus Familien in einem Engpass Zeit und Aufmerksamkeit. Caritas Bern öffnet mit ihren Projekten Lebensperspektiven. Für weitere Informationen oder ein persönliches Gespräch steht Ihnen Regula Sibylle Schweizer (Tel. 031 378 60 10 oder E-Mail [email protected]) gerne zur Verfügung.

?

Ihre Frage an uns

Die Zahl der Working Poor geht zurück. Löst sich also das Problem der Armut von selbst?

Marianne Hochuli, Leiterin Bereich Grundlagen bei Caritas Schweiz: «Zwischen 2008 und 2010 ist die Armutsquote der er-werbstätigen Bevölkerung laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) etwas gesunken. Dazu mag die verbesserte Arbeitsmarkt-lage der Jahre zuvor beigetragen haben. Denkbar ist aber auch, dass ein Teil der Working Poor ausgesteuert wurde und darum gar nicht mehr in der Statistik erscheint. Im Jahr 2010 waren nach BFS 120 000 Personen im Erwerbsalter arm, obwohl sie ar-beiteten. Da diese Working Poor grösstenteils in Mehrpersonen-haushalten leben, sind auch ihre Kinder von dieser Art von Ar-mut betroffen – das ergibt eine Summe von mindestens 270 000 Personen, was für die reiche Schweiz viel zu viel ist.Um diese Zahl zu senken, fordert Caritas faire Löhne, die Verein-barkeit von Beruf und Familie sowie Aus- und Weiterbildungen

für alle. Mit Frühförderprojekten oder Mentoring von jungen Menschen in der Ausbildung setzen wir uns auch konkret dafür ein, dass armutsbetroffene Men-schen die Chance erhalten, ihr Leben selbstbewusst in die Hand nehmen zu können.»

Haben Sie auch eine Frage an uns? Gerne beantworten wir diese in der nächsten Ausgabe von «Nachbarn». Senden Sie Ihre Frage per E-Mail an [email protected] oder per Post an:

Redaktion NachbarnCaritas Zürich Beckenhofstrasse 16, Postfach8021 Zürich

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Gedankenstrich

Engel

Paul Steinmann wohnt in Rikon. Nach einem Theologiestudium war er im Theater tätig, zuerst als Schauspieler, dann als Regisseur, er arbeitet jetzt vor allem als Autor. Er pendelt zwischen Freilichttheater und Kabarett, Musical und Kinderstücken. Aktuelles unter www.paulsteinmann.ch

Illustration: Patric Sandri

ie erwachte in ihrem Bett. Noch liegend versuchte sie sich an ein Gesicht von ges-

tern zu erinnern. Dann stand sie auf und wunderte sich, dass sie die Kleider schon anhatte. Die Schuhe musste sie suchen. Sie standen auf dem Fernsehkasten. Beide akkurat nebeneinander. Mit einer Bürste fuhr sie sich durch die graublonden Haare. Sie hatte Kopfschmerzen. Mit jedem Bürstenstrich wurden sie grösser. Sie blickte nicht in den Spiegel, als sie auf die Toilette ging. Sie setzte sich auf die Schüssel, pinkelte und zog dann den Man-tel an, den sie einst in einem Klei-dersack gefunden hatte. Man sah, dass er einmal hell gewesen war. Jetzt schimmerte er in einem leicht speckigen Graubraun. Für sie war er aber noch immer «mein weisser Mantel». Dann ging sie die Treppe hinun-ter, schaute in ihren Briefkasten, nahm die Gratiszeitung heraus und schaute schnell die Bilder an. Manchmal buchstabierte sie sich ein Wort zusammen. Vor allem, wenn sie wissen wollte, wie der Mensch hiess, der sie aus der Zei-tung heraus freundlich anlächelte. Sie speicherte den Namen. Sie spei-cherte das Gesicht. Dann ging sie los. Ihre Sachen erledigen.Wenn sie gefragt wurde, was sie hier mache, am Bahnhof oder auf dem Marktplatz, dann dachte sie nach und sagte schliesslich immer: «Ich muss schauen, dass nichts passiert.» Wenn man nachfragte, fügte sie manchmal leise hinzu: «Ich bin ein Engel. Aber du darfst

es nicht weitersagen.» Dazu nick-te sie nachdrücklich mit dem Kopf und suchte in einem ihrer Plastik-säcke eine Zigarette.Sie kannte viele Leute vom Sehen. Sie hatte eine Menge Gesichter und Namen gespeichert. Am liebsten waren ihr jene Leute, die ihr ab und zu eine Zigarette vorbeibrachten. «Ich bin ein Engel, der sich seine Wolke selber macht», lachte sie beim Rauchen. Und dann sah man, dass sie nicht mehr so viele Zähne hatte. Sie war einfach immer dort in ihrem graubraunen Mantel, mit ihren Plastiksäcken und schau-te, dass nichts passierte. Sie war dort und doch nicht ganz dort. Sie erledigte ihre Sache. Sie war nicht dumm. Aber sie teilte sich nicht mit. Sie sah alles und hörte alles und tat nichts und wollte nichts. Ausser ab und zu eine Zigarette. Niemand fragte sie nach ihrer Mei-nung. Niemand wollte ihr etwas verkaufen.

Wenn es dunkel wurde, kaufte sie sich einen Liter Rotwein und manchmal etwas Brot und ging dann wieder zurück in ihre Woh-nung. Dort zog sie die Schuhe aus, hängte ihren Mantel an einen Na-gel, öffnete die Flasche und trank einen Schluck. Und noch einen. Und noch einen.

S

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www.gegen-armut.ch

SMS

5 Franken spenden:

Armut 5

an 227

Einfach per

SMSEinfach

eigentlich wissen wir alle, was richtig ist. Tun wir es.

Bildungschancen verbessern: Teil unserer Arbeit gegen Armut.

eigentlich ist die Schule für alle da.