2
rits Deemter liebt es, seine Gäste zu überraschen. Deshalb serviert er Blu- men wie Kamelie oder Taglilien – oder frisch gepflücktes Laub. Mit Lindenblät- tern gefüllte Teigtaschen liegen an die- sem Abend auf den Tellern. Er nennt es „Wildgemüse“: „Die Leute haben sonst vorgefertigte Meinungen. Ich will die Zunge entscheiden lassen.“ Regelmäßig lassen der Physiotherapeut und seine Lebensgefährtin Gisela Töllner bis zu 40 Gäste in der Orangerie ihres 4,5 Hektar großen „Essgartens“ (www.essgarten.de) in Winkelsett nahe Wildeshausen, südwestlich von Bre- men, im Rahmen von Gourmetabenden F Gewächse probieren, die sonst nicht auf der Speisekarte stehen. Indianerbanane und Rosinenbaum In Deemters Garten ist vermutlich eine der bundesweit größten Sammlungen essbarer Sträucher, Gehölze und Blumen zu finden. Zumindest hat dem 59 Jahre alten Holländer noch niemand wider- sprochen, wenn er das behauptet. Über 1200 verzehrbare Pflanzen wachsen dort, darunter so exotische wie Nashibir- ne, Indianerbanane und Japanischer Ro- sinenbaum. Aber auch bekannte wie Bambus, Pfirsich und Magnolie. Oder Unkräuter wie Giersch und Brennnes- seln, die er ebenfalls gerne bei seinen Me- nüabenden anbietet. Zu den Gästen an diesem Abend gehört Gisela Meyer aus Westerstede, die mit ihrer Familie an einem der langen Ti- sche Platz genommen hat. Sie ist offen für Ungewöhnliches und isst sogar das rohe Lindenblatt, auf dem die Blätter- teigtasche drapiert ist. „Das ist eine rei- ne Kopfsache“, sagt sie. „Man muss den Gedanken ausschalten, dass man das nicht essen kann.“ Sie bereut ihren Mut nicht. Das Lindenblatt sei pikant und passe gut zu der Teigtasche. Ihr Mann traut sich nicht. Er lässt das Blatt unan- getastet liegen. Wildes Gemüse Essgarten-- Das kann man essen? Diese Frage hört Frits Deemter ziemlich oft. In seinem Garten wächst eine der vermutlich größten Sammlungen verzehrfähiger Pflanzen in Deutschland. Ein Besuch. TEXT: JANET BINDER © Hetizia / stock.adobe.com 88 > DAS PTA MAGAZIN --- Ausgabe 02-2020 < PANORAMA_ _

*OEFS0SBOHFSJFEFT&TTHBSUFOTLÚOOFOEJF(ÊTUF ......E FSO E JF4 UÅO HFM 4 JFTJO E TÛ MBTTFO TJDI USP DLO FO V O E TP E FO HBO [FO 8 JO UFSÛ C FS FTTFO i TBHU % FFN UFS 6 N N Õ HMJDI

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: *OEFS0SBOHFSJFEFT&TTHBSUFOTLÚOOFOEJF(ÊTUF ......E FSO E JF4 UÅO HFM 4 JFTJO E TÛ MBTTFO TJDI USP DLO FO V O E TP E FO HBO [FO 8 JO UFSÛ C FS FTTFO i TBHU % FFN UFS 6 N N Õ HMJDI

rits Deemter liebt es, seine Gäste zuüberraschen. Deshalb serviert er Blu-

men wie Kamelie oder Taglilien – oderfrisch gepflücktes Laub. Mit Lindenblät-tern gefüllte Teigtaschen liegen an die-sem Abend auf den Tellern. Er nennt es„Wildgemüse“: „Die Leute haben sonstvorgefertigte Meinungen. Ich will dieZunge entscheiden lassen.“Regelmäßig lassen der Physiotherapeutund seine Lebensgefährtin GiselaTöllner bis zu 40 Gäste in der Orangerieihres 4,5 Hektar großen „Essgartens“(www.essgarten.de) in Winkelsett naheWildeshausen, südwestlich von Bre-men, im Rahmen von Gourmetabenden

F Gewächse probieren, die sonst nicht aufder Speisekarte stehen.

Indianerbanane und RosinenbaumIn Deemters Garten ist vermutlich eineder bundesweit größten Sammlungenessbarer Sträucher, Gehölze und Blumenzu finden. Zumindest hat dem 59 Jahrealten Holländer noch niemand wider-sprochen, wenn er das behauptet. Über1200 verzehrbare Pflanzen wachsendort, darunter so exotische wie Nashibir-ne, Indianerbanane und Japanischer Ro-sinenbaum. Aber auch bekannte wieBambus, Pfirsich und Magnolie. OderUnkräuter wie Giersch und Brennnes-

seln, die er ebenfalls gerne bei seinen Me-nüabenden anbietet.Zu den Gästen an diesem Abend gehörtGisela Meyer aus Westerstede, die mitihrer Familie an einem der langen Ti-sche Platz genommen hat. Sie ist offenfür Ungewöhnliches und isst sogar dasrohe Lindenblatt, auf dem die Blätter-teigtasche drapiert ist. „Das ist eine rei-ne Kopfsache“, sagt sie. „Man muss denGedanken ausschalten, dass man dasnicht essen kann.“ Sie bereut ihren Mutnicht. Das Lindenblatt sei pikant undpasse gut zu der Teigtasche. Ihr Manntraut sich nicht. Er lässt das Blatt unan-getastet liegen.

Wildes GemüseEssgarten-- Das kann man essen? Diese Frage hört Frits Deemter ziemlich oft. In seinemGarten wächst eine der vermutlich größten Sammlungen verzehrfähiger Pflanzen inDeutschland. Ein Besuch.

TEXT: JANET BINDER

1000 Besucher im JahrMindestens ein Bestandteil der Pflanzenin Deemters Garten ist zum Verzehr ge-eignet: Neben den Früchten sind dashäufig die Triebspitzen, die Rinde, diejungen Blätter, die Blüten und manchmaldie Wurzeln. „Beim Japanischen Rosi-nenbaum sind es nicht die Früchte, son-dern die Stängel. Sie sind süß, lassen sichtrocknen und so den ganzen Winter überessen“, sagt Deemter.Um möglichst vielen Menschen zuvermitteln, dass es nicht immer nurTomaten, Gurken und Möhren seinmüssen, bietet er von Mai bis Oktobereinmal im Monat Gartenführungen an.„Die Leute lassen sich gerne inspirie-ren“, sagt Deemter. Zweimal im Monatserviert er zudem ungewöhnliche Ge-richte wie Stockrosen-Lasagne oderBerberitzenreis in Feigenblatt. Rund1000 Besucher kommen so jedes Jahr inseinen Garten.

Null Ahnung, viel EnergieDemnächst will er seinen Job als Physio-therapeut an den Nagel hängen und sichnur noch seinem Garten widmen. Ange-fangen hat alles vor über 20 Jahren. DerHolländer lebte mit seiner Familie inBremen, hatte aber keine Lust mehr aufStadtleben. Die Familie kaufte ein Haus

auf dem Land mit viel Brachfläche drumherum, Deemter begann Samen von 500Arten auszusäen: „Ich hatte null Ahnung,aber viel Energie.“ Er las viele Bücher,auch darüber, was Urvölker zum Essenaus der Natur nahmen.Denn er wollte möglichst alles aus sei-nem Garten auch essen können. Inzwi-schen wächst sogar chinesischer Szechu-anpfeffer bei ihm. Als besonders leckerstellten sich die Knospen der Taglilie he-raus. „Jedes Jahr freuen wir uns auf dieerste gedünstete Knospenpfanne“, soDeemter. Seine Familie ernährt sich fastausschließlich aus dem reichen Angebotdes Gartens. Irgendwann merkte er:„Wir sind nie krank.“

Giersch und BrennesselnDeemter schrieb gemeinsam mit seinerEx-Frau Heike Deemter ein Kochbuch,2018 gewann es den „Deutschen Garten-buchpreis“. Darin befindet sich auch einRezept mit Giersch und Brennnesseln.Gisela Meyer ist nun angefixt: „Wir ha-ben immer so viel Giersch im Garten.“Ständig sei sie dabei, das Unkraut zu zup-fen. Nun will sie es in der Küche nutzen.„Wenn man einmal Giersch aus dem ei-genen Garten gegessen hat, sieht manihn plötzlich mit ganz anderen Augen.“Meyer will es ausprobieren – und ihrMann verspricht ihr, das Gericht dannauch zu essen.

Quelle: dpa

In der Orangerie des Essgartens können die Gästeregelmäßig Gewächse probieren, die sonst nicht aufder Speisekarte stehen.

VERMEINTLICHESUNKRAUT KANN SEHRPIKANT SCHMECKEN

© F

rits

Dee

mte

r, Es

sgar

ten

| ©

Mr.S

tock

/ st

ock.

adob

e.co

m |

© M

orph

art /

sto

ck.a

dobe

.com

© H

etiz

ia /

stoc

k.ad

obe.

com

> DAS PTA MAGAZIN - - - Ausgabe 02-2020 < 88 88 > DAS PTA MAGAZIN - - - Ausgabe 02-2020 <

PANORAMA__

Page 2: *OEFS0SBOHFSJFEFT&TTHBSUFOTLÚOOFOEJF(ÊTUF ......E FSO E JF4 UÅO HFM 4 JFTJO E TÛ MBTTFO TJDI USP DLO FO V O E TP E FO HBO [FO 8 JO UFSÛ C FS FTTFO i TBHU % FFN UFS 6 N N Õ HMJDI

rits Deemter liebt es, seine Gäste zuüberraschen. Deshalb serviert er Blu-

men wie Kamelie oder Taglilien – oderfrisch gepflücktes Laub. Mit Lindenblät-tern gefüllte Teigtaschen liegen an die-sem Abend auf den Tellern. Er nennt es„Wildgemüse“: „Die Leute haben sonstvorgefertigte Meinungen. Ich will dieZunge entscheiden lassen.“Regelmäßig lassen der Physiotherapeutund seine Lebensgefährtin GiselaTöllner bis zu 40 Gäste in der Orangerieihres 4,5 Hektar großen „Essgartens“(www.essgarten.de) in Winkelsett naheWildeshausen, südwestlich von Bre-men, im Rahmen von Gourmetabenden

F Gewächse probieren, die sonst nicht aufder Speisekarte stehen.

Indianerbanane und RosinenbaumIn Deemters Garten ist vermutlich eineder bundesweit größten Sammlungenessbarer Sträucher, Gehölze und Blumenzu finden. Zumindest hat dem 59 Jahrealten Holländer noch niemand wider-sprochen, wenn er das behauptet. Über1200 verzehrbare Pflanzen wachsendort, darunter so exotische wie Nashibir-ne, Indianerbanane und Japanischer Ro-sinenbaum. Aber auch bekannte wieBambus, Pfirsich und Magnolie. OderUnkräuter wie Giersch und Brennnes-

seln, die er ebenfalls gerne bei seinen Me-nüabenden anbietet.Zu den Gästen an diesem Abend gehörtGisela Meyer aus Westerstede, die mitihrer Familie an einem der langen Ti-sche Platz genommen hat. Sie ist offenfür Ungewöhnliches und isst sogar dasrohe Lindenblatt, auf dem die Blätter-teigtasche drapiert ist. „Das ist eine rei-ne Kopfsache“, sagt sie. „Man muss denGedanken ausschalten, dass man dasnicht essen kann.“ Sie bereut ihren Mutnicht. Das Lindenblatt sei pikant undpasse gut zu der Teigtasche. Ihr Manntraut sich nicht. Er lässt das Blatt unan-getastet liegen.

Wildes GemüseEssgarten-- Das kann man essen? Diese Frage hört Frits Deemter ziemlich oft. In seinemGarten wächst eine der vermutlich größten Sammlungen verzehrfähiger Pflanzen inDeutschland. Ein Besuch.

TEXT: JANET BINDER

1000 Besucher im JahrMindestens ein Bestandteil der Pflanzenin Deemters Garten ist zum Verzehr ge-eignet: Neben den Früchten sind dashäufig die Triebspitzen, die Rinde, diejungen Blätter, die Blüten und manchmaldie Wurzeln. „Beim Japanischen Rosi-nenbaum sind es nicht die Früchte, son-dern die Stängel. Sie sind süß, lassen sichtrocknen und so den ganzen Winter überessen“, sagt Deemter.Um möglichst vielen Menschen zuvermitteln, dass es nicht immer nurTomaten, Gurken und Möhren seinmüssen, bietet er von Mai bis Oktobereinmal im Monat Gartenführungen an.„Die Leute lassen sich gerne inspirie-ren“, sagt Deemter. Zweimal im Monatserviert er zudem ungewöhnliche Ge-richte wie Stockrosen-Lasagne oderBerberitzenreis in Feigenblatt. Rund1000 Besucher kommen so jedes Jahr inseinen Garten.

Null Ahnung, viel EnergieDemnächst will er seinen Job als Physio-therapeut an den Nagel hängen und sichnur noch seinem Garten widmen. Ange-fangen hat alles vor über 20 Jahren. DerHolländer lebte mit seiner Familie inBremen, hatte aber keine Lust mehr aufStadtleben. Die Familie kaufte ein Haus

auf dem Land mit viel Brachfläche drumherum, Deemter begann Samen von 500Arten auszusäen: „Ich hatte null Ahnung,aber viel Energie.“ Er las viele Bücher,auch darüber, was Urvölker zum Essenaus der Natur nahmen.Denn er wollte möglichst alles aus sei-nem Garten auch essen können. Inzwi-schen wächst sogar chinesischer Szechu-anpfeffer bei ihm. Als besonders leckerstellten sich die Knospen der Taglilie he-raus. „Jedes Jahr freuen wir uns auf dieerste gedünstete Knospenpfanne“, soDeemter. Seine Familie ernährt sich fastausschließlich aus dem reichen Angebotdes Gartens. Irgendwann merkte er:„Wir sind nie krank.“

Giersch und BrennesselnDeemter schrieb gemeinsam mit seinerEx-Frau Heike Deemter ein Kochbuch,2018 gewann es den „Deutschen Garten-buchpreis“. Darin befindet sich auch einRezept mit Giersch und Brennnesseln.Gisela Meyer ist nun angefixt: „Wir ha-ben immer so viel Giersch im Garten.“Ständig sei sie dabei, das Unkraut zu zup-fen. Nun will sie es in der Küche nutzen.„Wenn man einmal Giersch aus dem ei-genen Garten gegessen hat, sieht manihn plötzlich mit ganz anderen Augen.“Meyer will es ausprobieren – und ihrMann verspricht ihr, das Gericht dannauch zu essen.

Quelle: dpa

In der Orangerie des Essgartens können die Gästeregelmäßig Gewächse probieren, die sonst nicht aufder Speisekarte stehen.

VERMEINTLICHESUNKRAUT KANN SEHRPIKANT SCHMECKEN

© F

rits

Dee

mte

r, Es

sgar

ten

| ©

Mr.S

tock

/ st

ock.

adob

e.co

m |

© M

orph

art /

sto

ck.a

dobe

.com

> DAS PTA MAGAZIN - - - Ausgabe 02-2020 < 89