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132 Fortsehri~te der Kieferor~hol?idie ]~d. 20 It. 2 (1959) Aus der Abteilung ffir Kieferorthop$die (Leiter: Prof. Dr. H. Briickl) der Universititgklinik und Poliklinik ftir Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten der Charit6 Berlin (Direktor: Prof.Dr. Dr. J. M/inch) und der Universi*$tsklinik und PoliMinik ffir Zahn-, 3~und- und Kieferkr~nkheiten Halle (Direktor: Prof. Dr. Dr. E. I~eiehenbaeh) Oftener BiB und Fernr6ntgenbild 1) Von Prof. Dr. tIans Briiekl, Berlin, und Dr. habil. Walter Rudolph, Halle 5Iit 15 Abbildungen Der offene Bi~ Jst die Anomalie, fiber die das GebiBebenenmodell am wenJgsten Auskunf~ geben kann. W~hrend es uns bei anderen Dysgnathien fiber die hier vorherrscheaden sagittalen und transversalen Abweichungen weitgehend unter- richter, ist die einwandfreie Beurteilnng der beim offenen Bifl besonders inter- essierenden vertikMen u kanm mSglich. Desh~lb hat u. a. R ei che n- bach d~rauf hingewiesen, dab gerade zur Klirung dieser Anomalie das Gnatho- statmodelt besondere Vorteile bietet. Abet auch dieses kann uns neben der Orbital-Eekzahnrel~tion nur fiber den Verlauf der Kauebene in bezug auf die Frankfurter !Iorizontale unterriehten, ohne fiber die versehiedenen Komloonenten , die zu der behn 'offenen Bill meistens feststellbaren Steilstelhmg der Kauebene ffihren, Aufsehh6 zu geben. Die Profilaufnahme sehlieSlieh zeigt beim offenen Bill eine ErhShung des Untergesiehts und aueh eine Vergr61]erung des Kieferwinkels kann an ihr, ebenso wie am Patienten se]bst, festgestellt werden. I)amit sind aber die lVISgliehkeiten auch dieses diagnostisehen tIilfsmittels ersehSpft. So ist gerade beim offenen BiB die FernrSntgenaufnahme allein in der Lage, uns fiber die versehiedenen die Anomalie verursaehenden Abweiehnngen im GebiB-, Kiefer-, Gesiehts- nnd Schgdelbereich zu unterriehten. Diese Tatsaehe kommt auch im Sehrifttnm znm Ausdruck. So hat Kork- haus schon im Bruhnschen IIandbueh auf die Bedeutnng der FernrSntgen- uufnahme bei diesem Krankheitsbild hingewiesen und als I-lauptsymptome kurz zus~mmengefaB~ folgende genannt: 1. die bei raehitisehen Z~hnen verkfirzten Wurzeln und damit aueh ver- kfirzten Alveolarforts~tze, 2. die Aufbiegung des Unterkiefers am Kieferwinke], 3. eine damit einhergehende steile Ausbildung der Kompensationskurve, 4. ehle Verkfirzung des aufsteigenden Astes des Unterkiefers, 5. in vielen F~Lllen ~ueh eine Verkfirzung des horizontalen Unterkieferastes. Aueh Bj6rk, Hoffer, Johnson, Sassouni, A. ~. Sehwarz, Wylie u. a. hubert sich mi~ dem Problem des offenen Bisses befM~t und kommen zu ~hnliehen Ergebnissen. Sassouni weist zus~Ltzlieh noeh auf einen konvexen Verlauf der Spinaebene hin, der wohl ein Zeiehen ftir eine Verkfirzung des Oberkiefers sein dfirfte. SehlieBlieh hat Korkhaus noeh einmal im ,,Club International de Mor- photogie Faeiale" dazu Stellung genommen nnd betont, dal3 die Sehuld im wesent- lichen in der Aufbiegung des Kieferwinkels und der Verkfirzung des aufsteigenden Unterkiefers zu suchen sei. l) Vortrag, gehMten auf der gemeinsamen wissensehaftlichen Tagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft zur Erforsehung der Parodontopathien (Arpa) nnd der Deu~Sehen Gesellsehaft ffir Xieferorthopidie am 30. 5. 1958 in Bonn.

Offener Biß und Fernröntgenbild

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Page 1: Offener Biß und Fernröntgenbild

132 Fortsehri~te der Kieferor~hol?idie ]~d. 20 It. 2 (1959)

Aus der Abteilung ffir Kieferorthop$die (Leiter: Prof. Dr. H. Briickl) der Universititgklinik und Poliklinik ftir Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten der Charit6 Berlin (Direktor: Prof.Dr. Dr. J. M/inch) und der Universi*$tsklinik und PoliMinik ffir Zahn-, 3~und- und

Kieferkr~nkheiten Halle (Direktor: Prof. Dr. Dr. E. I~eiehenbaeh)

Oftener BiB und Fernr6ntgenbild 1) Von Prof. Dr. tIans Briiekl, Berlin, und Dr. habil. Walter Rudolph, Halle

5Iit 15 Abbildungen

Der offene Bi~ Jst die Anomalie, fiber die das GebiBebenenmodell a m wenJgsten Auskunf~ geben kann. W~hrend es uns bei anderen Dysgnathien fiber die hier vorherrscheaden sagittalen und transversalen Abweichungen weitgehend unter- richter, ist die einwandfreie Beurteilnng der beim offenen Bifl besonders inter- essierenden vertikMen u kanm mSglich. Desh~lb ha t u. a. R ei che n- b a c h d~rauf hingewiesen, dab gerade zur K l i rung dieser Anomalie das Gnatho- statmodelt besondere Vorteile bietet.

Abet auch dieses kann uns neben der Orbital-Eekzahnrel~tion nur fiber den Verlauf der Kauebene in bezug auf die Frankfur ter !Iorizontale unterriehten, ohne fiber die versehiedenen Komloonenten , d ie zu der behn 'offenen Bill meistens feststellbaren Steilstelhmg der Kauebene ffihren, Aufsehh6 zu geben.

Die Profilaufnahme sehlieSlieh zeigt beim offenen Bill eine ErhShung des Untergesiehts und aueh eine Vergr61]erung des Kieferwinkels kann an ihr, ebenso wie am Patienten se]bst, festgestellt werden. I )amit sind aber die lVISgliehkeiten auch dieses diagnostisehen tIi lfsmittels ersehSpft.

So ist gerade beim offenen BiB die FernrSntgenaufnahme allein in der Lage, uns fiber die versehiedenen die Anomalie verursaehenden Abweiehnngen im GebiB-, Kiefer-, Gesiehts- nnd Schgdelbereich zu unterriehten.

Diese Tatsaehe k o m m t auch im Sehrif t tnm znm Ausdruck. So ha t K o r k - h a u s schon im B r u h n s c h e n I Iandbueh auf die Bedeutnng der FernrSntgen- uufnahme bei diesem Krankheitsbi ld hingewiesen und als I - lauptsymptome kurz zus~mmengefaB~ folgende genannt :

1. die bei raehitisehen Z~hnen verkfirzten Wurzeln und dami t aueh ver- kfirzten Alveolarforts~tze,

2. die Aufbiegung des Unterkiefers am Kieferwinke], 3. eine damit einhergehende steile Ausbildung der Kompensat ionskurve, 4. ehle Verkfirzung des aufsteigenden Astes des Unterkiefers, 5. in vielen F~Lllen ~ueh eine Verkfirzung des horizontalen Unterkieferastes. Aueh B j 6 r k , H o f f e r , J o h n s o n , S a s s o u n i , A. ~ . S e h w a r z , W y l i e u. a.

hubert sich mi~ dem Problem des offenen Bisses befM~t und kommen zu ~hnliehen Ergebnissen. S a s s o u n i weist zus~Ltzlieh noeh auf einen konvexen Verlauf der Spinaebene hin, der wohl ein Zeiehen ftir eine Verkfirzung d e s Oberkiefers sein dfirfte.

SehlieBlieh hat K o r k h a u s noeh einmal im ,,Club In te rna t iona l de Mor- photogie Faeiale" dazu Stellung genommen nnd betont, dal3 die Sehuld im wesent- lichen in der Aufbiegung des Kieferwinkels und der Verkfirzung des aufsteigenden Unterkiefers zu suchen sei.

l) Vortrag, gehMten auf der gemeinsamen wissensehaftlichen Tagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft zur Erforsehung der Parodontopathien (Arpa) nnd der Deu~Sehen Gesellsehaft ffir Xieferorthopidie am 30. 5. 1958 in Bonn.

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Hans Briick[ Uad Walter t~udolph, Oftener Big und FemrSntgenbild 133

Wenn wir nun untersuchen wollen, in wieweit die l%rnrSntgenaufnahme beim offenen BiG fiir die kiefer0rthopadisehe Praxis yon Bedeutung ist, so ergibt sich daraus eine zweifaehe Fragestellung:

1. Welehe dutch die FernrSntgenaufnahme zu klarenden Besonderheiten sind ffir den offenen BiG typiseh und in allen l~ l len zu finden?

2. Gibt es dariiber hinaus F~ille yon offenem BiB,die durch eine Verstarkung oder Verminderung bes t immter einzelner Symptome, die mi t I-Iilfe der Fern- rSntgenaufnahme gekl~trt werden k6nnen, andere, gfinstigere oder ungfinstigere therapeutische oder prognostische MSglichkeiten aufzeigen?

Die Beantwortung der ersten Frage ist yon Interesse, m n d e m Prakt iker sagen zu kSnnen : Beim offenen BiB liegen best immte Veranderungen im Sehadel- gesiehtsaufbau vor, die immer wieder gefunden werden. Eine Fernr6ntgenauf- nahme jedes einzelnen offenen Bisses ware, wenn die gleiehen Vergnderungen immer festzustellen sind, nicht erforderlieh, da sie ja dann als bekannt voraus- gesetzt werden kSnnten.

Wenn aber die zweite Frage, ob beim offenen BiB aueh 6fter Verst~rkungen oder Absehwgchungen best immter Einzelsymptome vorkommen, positiv beant- wortet werden kSnnte, so ware damit die Notwendigkeit gegeben, in allen F~llen yon offenem BiB FernrSntgenaufnahmen herzustellen, besonders wenn diese Einzelsymptome unseren therapeutisehen MaBnahmen zug~nglieh sind.

Zur Kl~rung dieser Frage war es erforderlieh, eine groi~e Zahl yon offenen Bissen fernrSntgenologiseh zu untersuehen. Nun gehSrt aber der offene Big dank der in Deutschland weitgehend ausgebauten Raehitisprophylaxe zu den selteneren kieferorthop~tdisehen Krankheitsbildern. So weist das umfangreiche Krankengut der Berliner and der tIallenser Klinik unter mehr als 3000 Pat ienten nur etwa 50 offene Bisse auf, die yon uns ausgewertet werden konnten. Dabei ist bemerkens- wert, dab auch yon diesen nut ein Dri t te l starkere raehi~ische Vergnderungen an den Z~hnen zeigte.

Der raehitisch offene BiB ist demnaeh wirklieh sehr selten geworden. Unter unserem Material fanden sich abet sehr s tark ausgepr~gte offene Bisse ohne raehitiseh vergnder~e Zghne, die auch kliniseh - - Abstumpfung des Kieferwinkels, erhShtes Untergesieht, s tarke l~etrogenie - - sehr dem typisehen rachitiseh offenen Big ~hnlieh waren und deren fernrSntgenologisehe Untersuehung yon beson. derem Interesse w a r .

Die Aufnahmen wurden in beiden Kliniken bei einem Abstand yon 4 m und mit dem EinsteIlger~t naeh t ~ n d o l p h hergestellt. Die Auswertung erfolgte naeh der Nethode yon A. IV[. S c h w a r z. Besonders ingeressieren mnit ten dabei (Abb. 1) der Kieferwinkel, der Verlanf der Kauebene, das Verhgltnis yon Unterkiefer- k6rper zu Ast, Oberkiefer zu Unterkiefer, die Aehsenrichtung der Sehneidezghne und das Verh~ltnis yon Kiefer- und Nasendrittel , wghrend die kraniometrisehen BeNnde in diesem Zusammenhang weniger yon Bedeutnng sind.

Besonders schwierig ist naeh nnserer ~e inung beim offenen Big die Bestim- mnng der K~uebene, da man hier eigentlieh fiberhanpt nicht Yon e i n e r Kauebene sprechen kann. I m Oberkiefer verl~uft sie, bedingt dutch die s tarke AUsbildung der Kompensationskurve and die Verldirznng der Sehneidez~hne fas t kreisbogen- fS~tmig, im Ungerkiefer dagegen meistens in einer Geraden naeh vorn unten. Wir haben uns im aUgemeinen bei der Einzeiehnung nach der bekannten Anweisung von A. ~ . S e h w a r z gehalten, aber uns manchmal bei zu s tarker Kri immung der oberen etwas mehr naeh der unteren geriehtet.

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134 Fortschritte der Kieferorthopgdie Bd. 20 It. 2 (1959)

Neben dem Abstand der Kan ten der oberen und unteren Schneidezi~hne und der Kaufl~tchen der Molaren yon ihren Grundebenen haben wir auch den Abstand ihrer Wurze]n yon den Grundebenen untersucht, um evtl. eine Verktirzung oder Erh6hung der KieferkSrper feststellen zu kSnnen.

Am auff~tl]igsten war die Vergr513erung des Kieferwinkels, der beim offenen BiB durohsohnitttich 1370 betrug, bei einem Maximum yon 1450 und einem Minimum yon 128 ~ Auch der UnterkieferkSrper zeigte im Vergleich zum Ober- kiefer eine Verkiirzung. Die Verhgltniszahlen betrugen im Durchschnit t 2 : 2,8, wobei zu beriicksiohtigen ist, dab in den meisten Fgllen schon eine Verkiirzung

!

Abb, 1. Schematische Darstelhmg der ha.uptsgchlichsten Kieferverbildungen beim offenen :Bi~ (dtinne Linien: normale E]eferform, dicke Linien: rachitische Kiefers

des 0berkiefers vorlag, so da~ verglichen mit der I~orm die Relation noch un- gfinstiger wird. Die Verkiirzung des aufsteigenden Astes t ra t dagegen, vergliehen mi t dem UnterkieferkSrper nicht in Erscheinung. Er diirfte abet doch verkiirzt sein, d~ ja, wie festgestellt, der UnterkieferkSiper anch verkiirzt ist.

Abweichend yon anderen I)ysgnathien zeigte sich das obere Schneidezahn- gebie~, gemessen yon der Schneidekante his zur Spinaebene, bei offenen Bissen verkiirzt. Das untere Schneidezahngebiet, sowie das obere und nntere 6-Jahr- mola~'engebiet wies bei einem Vergleich zwischen sonstigen Anomalien und offenen Bissen keine wesentlichen GrSl3enunterschiede auf.

Auffgllig war jedoch, dgl~ der Abstand der Wurzelspitzen der oberen Sechser yon der Spit~aebene im Durchschnit t um mehr als 1 m m grSl~er war. Daraus kSnnte geschlossen werden, dal~ wit es mit einer ~3berhShung des 0berkiefers im Molaren- gebiet oder einer Verkfirzung der Molarenwurzeln zu tun h~ben. Besonders im- ponierte die fast immer feststellbare Inversion der unteren Front, die ira Durch- schni~t mehr als 5 o betrug, wghrend die oberen Schneidez~hne eine Vorkippung yon durchschnittlich 3 o aufwiesen.

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Hans Brtickl und Walter I~udolph, Oftener BiB tmd FernrSntgenbild 135

Trotzdem zeigten die versehiedenen ~ernr6ntgenaufnahmen so weitgehende Unterschiede, dM~ man kaum yon einer gleichm~gigen Ansbildung sowohl der aus dem Schrift, tum bekannten, Ms aueh der oben erw~hnten Symptome spreehen kann. Neben den bereits erw~hnten F~llen ohne Schmelzhypoplasien, aber mit ~llen anderen typischen und rSntgenologisch nachweisb~ren Ver~nderungen der Kiefer g~b es auch w i d e r F~lle, bei welchen auf Grund der Anamnese und der Sehmelzhypoplasien sioher eine l%~ehitis vorgelegen h~tte, die FernrSntgen~uf- nalime aber weder eine Vergr6BerUng des Gonion- und Grundebenenwinkels, noeh die anderen oben genannten Ver~n- derungen erkennen liel3. Die Fern- rSntgenaufnahme des einzelnen FMles gew~hrt uns also doeh einen viel tiefe- ten Einbliek in die jeweiligen Beson- derheiten, wie die folgenden ]~eispiele zeigen.

So lg{]t sehon der offene BiB im ~ilehgebig des 5jahrigen 5i/~dehens Gisela H. (Abb. 2) die im bleibenden Gebil3 feststellbaren Faktoren deutlieh erkennen. Es f~llt ve t allem ein Kiefer- winkel yon 1420 auf, wobei abet zu be- riieksiehtigen ist, dab der Kieferwinkel bei Kleinkindern an sich etwas ver- grgBert ist. Aueh die Neigung der Kauebene, die mit der Spinaebene einen Winkel yon 2I ~ s tar t 80 bildet, sowie die Einziehung am ?r ansatz ist bemerkenswert . Der Abstand untere S e h n e i d e k a n t e - Unterkiefer- ebene, erseheint sehr groB, der Ober- kiefer verkiirzt. Das Verh~ltnis Unter- Abb. 2. Fernr6ntgenaufnahme eines 5j~hrigen l~I~d- kieferkSrper zu Ast ist mi t 7 : 4,7 nicht, ehens, Oisela H., dienenbereitSBissesallezeigtSymptome des offe-

wesentlieh gestSrt. Dureh die Auf- biegung des Unterkieferwinkels ist der Grundebenenwinkel auf 440 erhSht. Auff~illig ist die s tarke VergrSBerung des Kieferdrittels, das im Vergleieh zum Nasendrittel yon 40 mm 60 mm m igt.

Diese Symptome kSm~ten den Gedanken n~he bringen, mi t Itilfe einer Kopf- Kinnkappe mit vertikalem Gummizug eine Verkleinerung des Kieferwinkels zu versuehen und damit eine Veranderung der nnteren Kanebene zu erreiehen. Dabei k6nnte man die Wirkung dureh einen Aktivator, der im ?ffolarengebiet mit Auf- bissen versehen ist, verstgrken, wie wir dies naeh der ehirurgisehen Behandlung des offenen Bisses durchffihren.

Diese Behandlungsmethode diirfte abet aueh ohne Studium der 1%rnrSntgen- autnahme hier das lV[ittel der Wah ! sein, so dab damit also keine die Therapie beeinflussenden Erkenntnisse gewonnen werden.

Ahnlieh wie im vorhergehenden Fall zeigt aueh der Fall Gisela K. (Abb. 3) einen raehitiseh offenen BiB, hier im Weehselgebil?. Nut die ersten/vIolaren haben Kontakt . Die ErhShung des Grundebenenwinkels um 100 st nicht besonders auf- f~llig, dagegen ist der Goniomvinkel immerhin um 150 vergrSBert; das Verh~ltnis yon UnterkieferkSrper zu Ast mit 7 : 4 zeigt eine Verktirzung des aufsteigenden

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136 Fortschritte der Kiefero1~hop~die Bd 20 H. 2 (1959)

Abb. 3. FernrSntgenaufnahme e~nes 9jEhrigen i~fEd- chens, Gisela K. Auff/tIlig ist der verkfirzte aufstei-

gende UK-Ast [md vergr6gerte Gonionwinkel

Abb. 5. FernrSntgenaufnahme eines 12jghrigenJungen, ]-Ielfried P. iBesonders auffgllig ist die Verkt~rztmg des aufsteigenden UK-Astes und der vergr6gerte untere

Sehneidezatmwinkel

Abb. ~. Niodelle des Falles der Abb. 3 Abb. 6. "GnathostatmodeIle des Falles der Abb. 5

Astes. Die unteren Sehneidezahne sind invertiert, die oberen s tark vorgekippt, der Interinzisalwinkel betr~gt nur 120 ~

Die I-I6henverhaltnisse der Sehneidez~hne zu den ~o la ren in beiden Kiefern entsprieht fast der Norm. Die Erh6hung des Kieferdrittels gegeniiber dem Nasen- dri t tel ist mit 57 : 46 nieht so auff~llig wie im vorigen Fall.

An dem GebiBebenenmodell (Abb. 4) kommt naturgem~B der Verlauf der Elauebene zum Sehadel nieht zum Ausdrnek, doeh dtirfte in diesem Falle die Tkierapie, die wohl der des vorigen Falles ~hnlieh sein mfil3te, allein sehon dutch die lV[odelldiagnose geklart sein.

Von dem Fall Helfried P. wurden uns FernrSntgenaufnahme und Gnathostat- modelle yon L i g n i t z zur Verfiigung geste!lt. Es handelt sieh wieder um einen

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Hans BrficM und WMter l~udolph, Oftener-BiB und-FemrSntgenbild 137

Abb. 8. iVloclelle des Falles dor Abb, 7

kbb. 7. FernrSntgenaufn~hme eitms 12js Mgd- ehens, Ellen It. Besonders auff~lHg is~ nut die starke

i)berh/3hung im oberen Nolarengebiet

raohitisch offenen BiB im fr~hen WechselgebiB. ])as Gnathosta tmodel l (Abb. 6) laBt abet auch nicht wesentlich mehr erkennen als das GebiBebenenmodell des vorigen Falles. Die raehitischen mit t leren unteren Schneidez~hne sind nur zum Teil durchgebroehen und erscheinen gegentiber den sei~lichen wesentlich verkiirzt. Die Steilstellung derKauebene k o m m t auch auf dem Gnathostatmodel l nicht iiber- zeugend zum Ausdruck. Die FernrSntgenaufnahme (Abb. 5) zeigt eine ErhShung des Kieferwinkels urn nur 10 ~ dagegen des Grundebenenwinkels mn 27 ~ Der Unterkieferast ist hier wesentlieh verktirzt. Das Verhgltnis des UnterkieferkSrpers zu Ast betragt 7 : 3,7. Die unteren Schneidezghne sind s tark invert iert , die oberen vorgekippt, der Interinzisalwinkel nur um 10 ~ verkleinert. Die Best immung der I-IShenverh~ltnisse ergibt eine Verktirzung im ~olaren- bzw. eine Verlgngerung im Sehneidezahnbereieh. Trotz der feststellbaren Untersehiede ira Vergleieh zum vorigen Fall diirfte die Therapie ganz ~hnlieh sein. Diese Unterschiede wirken sieh also auf die Therapie nieht aus und damit isg aueh hier aus der FernrSntgen- aufnahme N r die Therapie nicht mehr zu entnehmen als aus dem )/[odellsgudium.

Bei dem Fall Ellen tI . (Abb. 7) isg eb a~falls ein s tarker oftener BiB fesgzustellen , bei dem aber der Gonionwinkel yon 1260 noch durchaus im Bereieh der normalen Variationsbreite liegt. Aueh der Grundebenenwinkel entspricht mi t 200 der Norm. Die FernrSntgenaufnahme zeigt, dab aueh nile iibrigen ~ a g e fast normal sind und lggt erkeunen, dab der offene Big nur dutch sine starke ~berhShung der ersten 3/J[olaren bedingt ist, dab also. in diesem FalI allein dutch Einsehleifen dieser ZiLlme eine wesentliehe Besserung erreieht werden kann. Dm'eh die Erh6hung der Molaren und den damit verbundenen offenen Big ist eine IjberhShung des Kiefer- drittels yon 65 mm gegeniiber 52 m m Nasendrit tel festzustellen.

Das Modell (Abb. 8), das einige Zeit vor der FernrSnt.genaufnahme hergestellg wurde, zeigt, dab es sieh, wie aueh aus der Anamnese hervorgeht, um einen rachitiseh offenen Big handelt, da auch an den Z~hnen s tarke rachitisehe An- zeiehen festzustellen sind. Wir haben also hier einen Fall yon raehitiseh offenem :Portschrit~e der Kieferorthop~die Bd. 20 H. 2 10

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188 For~schritte der Kieferor~hop~die Bd, 20 tt. 2 (1959}

Abb. 10

Abb. 9. tSernr6ntgenaufhahme eb~er 20js l"atieu- tin, Luise S. ]3esonders ~affgllig is~ die ~JberhOhung im E[ol~rengebiet, der vergrOflerte ~ufsteigende UK-Ast

und die Vergrbflerung des Xieferdrittels

Abb. 10 und 11, ~Iodelle des :Falles der Abb. 9

Abb. 11

Bil3, bei we]ohem die Anolnalie sioh nut auf die Alveolarforts~tze besohI ' inkt wghrend die Kiefer nicht beteiligt sind.

Die FernrSntgenanfnahme macht hier die s tarke Beteiligung der ersten Molaren deutlicher als das Model1.

Ganz andere Verhiltnisse zeigt wieder der Fall Luise S. (Abb. 9). I-Iier f i l l t auf den ersten Blick eine s tarke ~berhShung der lVIaf~e yon der Kauebene zu den Kiefergrundebenen, sowohl im Ober- wie Unterkiefer, besonders ira Molaren- gebiet auf. Diese massiven Xiefer, die eine ErhShnng des Xieferdrittels nm 25 m m auf 80 ram gegeniiber dem lXT~sendrittel yon 55 mm ergeben, sind besonders ein- drucksvoll. Diese ?jTberhShung diirfte auch das Verhaltnis yon UnterkieferkSrper zu Ast, das bier mi t 64 : 66 mm einen l ingeren aufsteigenden Ast zeigt, ver- ursachen. Der Gonionwinkel ist mi t 127 ~ kaum vergrSl3ert. Der Verl~uf der Kau- ebene is~ hier interessanterweise fast, normal. Der Interinzisalwinkel yon 101 ~ is t vor allem durch eine s tarke Vorkippung der oberen Schneidez~hne verursacht.

Die FernrSntgenanfnahme zeigt, dal~, auch wenn es gelingen sollte, nach Extr~kt ion der oberen 4er and Dehnnng des Oberkiefers den offenen Bif~ zu be- seitigen, nicht mit einer Verktirzung des Kieferdrittels gerechnet werden kann.

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Hans Brfiekl uad Walter Rudolph, Oftener BiB und Fernr6ntgenbild 139

Bei der Betraehtung der ~odel le (Abb. 10 und 11) weist die kurze apfl~ale Basis ebenfalls anf die Ext rak t ion der oberen 4er bin. Die Aufsieht zeigt, dab der Oberkiefer t rotz dieser Ext rak t ion zur Angleiehnng an den Unterkiefer noch stgrker gedehnt werden muB. Erfatlrungsgem~tB ist durch die Ext rak t ion der Prgmolaren, Dehnung des Kiefers nnd die Retrnsion der oberen Front mi t einer SchlieBung des offenen Bisses zn reehnen. Die FernrSntgenauihahme gibt also aneh hier keine Hinweise, die aus der 1Viodelldiagnose gewonnenen Erkenntnisse zu korrigieren.

Der raehitiseh offene BiB yon Fall Ilse S. (Abb. 12) zeigt ebenfalls keine be- sonders starke Vergr6Berung des Gonionwinkels, auch das Verh~Itnis yon Unter- kieferk6rper zu Ast ist normal, clagegen ist die untere Kauebene stark naeh vorn unten geneigt, w~thrend die obere eine augerordentlich starke Anspr~gung der Kompensationskurve und Aufbiegung im Frontzahnbereieh zeigt und so fast einen Kreisbogen darste]It.

Infolge des Gelenkhoehstandes yon 15 ~ einer Retroinkli~/ation yon 12 0 und einer l%etroposition yon 7 0 ergibt sehon das Sollprofil ein stark nach hinten schiefes lgfickgesicht, das natfirlich durch den I)istalbil~ und die Aufbiegung des Kieferwinkels noeh verst~rkt wird, abet therapeutisch kaum zu beeinflussen sein dtirfte.

Die FernrSntgenaufnahme kann uns hier vor allem auch in bezug auf den oberen Zahnaehsenwinkel, der s ta r t 70 o nut 380 betrggt, wertvoUe Hinweise geben. Hier zeigt das GebiBebenenmodell (Abb. 13) wieder seine Unzulanglich- keit. An ihm ist die Vorkippung der Z~hne in diesem Umfang nieht zu erkennen, wenn aueh die kurze Oberkieferbasis und natfirlieh aueh der s tarke Eekzahn- hochstand unbedingt fiir die Ext rak t ion der oberen ersten Pramolaren sprechen. So wird hier die Therapie durch die Answertung der Fernr6ntgenanfnahme nicht beeinfluBt.

Besonders interessant ist aueh der Fall Barbara E. Wie die ~odel le (Abb. 15) zeigen, besteht ein oftener BiB, bei dem nut die 1Vfolaren in K o n t a k t stehen, wobei aber keine transversMen und nur unbedeutende sagittale Abweichungen fest- gestellt werden, t~achitisehe Anzeiehen an den Z~hnen liegen nicht vor. Die Ano- malie dfirfte wohl auf abnorme Zungengewohnheiten zuriiekznfiihren sein.

Die FernrSntgenaufnahme (Abb. 14) zeigt nun eine Vergr6gerung des Gonion- winkels, er betr~gt 135 ~ der Grundebenenwinkel yon 250 ist dagegen nieht ver- grSgert. Der Unterkiefer ist im Vergleieh zum Oberkiefer verkfirzt (2,7 : 2), der aufsteigende Unterkieferast dagegen zum Unterkieferk6rper verNingert (7 : 6).

Dieser Fall wurde ehirurgiseh behandelt, da kieferorthop~idisehe Mal3nahmen aueh wegen des Alters der Pat ient in keinen Erfolg verspraehen.

Wie diese Auswahl yon FernrSntgenaufnahmen yon offenen Bissen zeigt, kSnnen zwar die eingangs erw~hnten haupts~ehliehen Symtome in den meisten Fgllen festgestellt werden, doeh finden sieh immer wieder andere, bei welehen diese Symptome nieht zu finden sird.

So gab es aueh Falle mi t kan'm vergrSgertem Kieferwinkel, des weiteren konnten F~ille gefunden werden, bei welehen der aufsteigende Ast nieht verkfirzt, sondern verNingert war. Aueh die Feststellung des Interinzisalwinkels, der 13ber- h6hung im Bereieh der ersten ~o la ren und anderer Einzelsymptome sind fiir den Kieferorthop~den yon Interesse und geben ihm einen genauen Einbtick in das Wesen der vorliegenden Anomalie.

Das Interessanteste an der Auswertung unserer F~lle ist vielleieht die Tatsaehe, dal3 der offene BiB mit seinen typisehen Vergnderungen offenbar nieht .nur auf

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140 Fortschrit*e der Kieferorth0pgdie Bd. 20 H. 2 (1959)

Abb. 12. FernrSntgenaufnahme einer 19j'~hrigen Pa- tientin, Ilse S. :Besonders anff~llig ist die starke Aus- prgglmg der oberen Kompensationskurve, w~hrend die

Xauebene im UX nach vorn unten geneigt ist

Abb. 14. Fernr6ntgenaufnahmc einer 18j~ihrigen Patientln, Barbara E. Besonders auff~llig ist die

Verkt~rzung des UK-X~Srpers

Abb. 13. 5iodelle des Falles der Abb. 12 Abb. 15.5ioclelle des ~alles der Abb. 14

rachitischer Basis entsteht. Wir konnten, wie bereits eingangs erwghnt, stgrkere fiir den sog. rachitisch offenen BiB typische Kieferverbildungen ohne rachitische Anzeichen an den Z~hnen und ebenso rachitisch offene Bisse ohne diese typischen zusgtzlichen Kieferverbildungen finden, ebenso wie es ja auch rachitische Gebisse mit normaler Okklusion oder sogar Deckbisse, bei welchen rachitische Ver~nde- rungen vorliegen, gibt. Es liegt deshalb die Vermutung nahe, dai~ nicht die t~achitis allein, sondern ungfinstige funktionelle Einfliisse die Hauptschuld fiir

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Hans Briicld und W~lter l~udolph, Oftener BiB und FernrSntgenbild 141

die Ents tehung des offenen Bisses ?,;agen, wenn aueh die t~achitis sicher als zu- satzlicher, die Anom~lie begfinstigender Fal~tor anzusehen ist.

Wir glauben, dab dab~i vor ~llem die Zunge als gebiSformender Faktor , aber auch die 1Vlundatmung, auf deren EinfiuB auch A. M. S e h w u r z hinweist, vor- nehmlieh an der Ausbildung der Anomalie beteiligt sein dfirfte.

�9 Darch cl~s Stadium der FernrSntgenaufnahmen werden die einzelnen, die Anomalie becli~lgenden Ver~nderungen, die, um auf die Fragestellung zu Beginn des l~efevates einzugehen, durehaus nieht bei allen Fallen gleich sind, geklErt. Aber es muB, urn die Fr~ge vollst~udig zu beantworten, festgestellt werden, dab diese verschiedenen Abweiehungen doch unseren therapeutisehen MaBnahmen so wenig zug~nglich sind, dab ihre Kenntnis keinen stErkeren best immenden EinfluB auf die Therapie ausfiben k~nn.

Die Therapie des offenen Bisses gehSrt ja bekanntl ich z~i den sehwierigstei~ Problemen in der Kieferorthop~die. Das genaue Studiurn der FernrSntgenauf- nahme erweitert zwar unsere Erkenntnis in jedem einzelnen Fall bedentend, doch im Bezug auf die Therapie und die Prognose kann es uns nur wenig weiterhelfen.

Wenn es, wie K o r k h a u s sehon in seinem I-tandbuch erwahnt, erst mSglich isL dutch FernrSntgenaufnahmenin verschiedenen Altersstufen die Ents tehung des offenen Bisses genauer darzustellen, werden sicher durch dieses Hilfsmittel unsere Erkenntnisse fiber die Genese weiter gef6rdert werden kSnnen, und dann kSnnten vielleicht daraus auch geeignete MaBnahmen, vo r allem ffir die Frfihbehandlung und Prophylaxe; gefunden werden.

Schrifttum

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