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1 Panorama 3 Nr. 59 vom 27.05.2014 Wettlauf um die Jüngsten: Versteckte Werbung an Schulen Anmoderation Susanne Stichler: Kinder, die sich in der Schule bewegen, Sport machen, Spaß haben - das finden wohl die meisten Eltern gut. Mehr davon, möchte man manchmal sagen. Hinter diesem Hütchenrennen steckt aber schlicht Werbung. Auf den ersten Blick nicht zu sehen, aber auf den zweiten. Wir haben über die Aktion Speed 4 bereits vor ein paar Monaten berichtet, nachdem sich bei uns viele verärgerte Eltern gemeldet hatten. Und nun in den letzten Wochen haben wir erneut Post erhalten, viele beschweren sich, dass Speed4 einfach weiter macht, die Schulbehörden nichts unternehmen. Was ist da los? Wir haben nachgehakt. Hamburg vor zwei Wochen. Die kleine Mia kommt von der Schule nach Hause. Angekündigt für diesen Schultag war ein Sportprojekt, doch Mia liefert bei der Mutter nicht nur verschwitzte Sportsachen ab. O-Ton Vanessa Mohnke: „Sie kam nach Hause und hat mir Bons mitgebracht, so Abreißzettelchen hier, wie man sie von der Kasse kennt. Und da steht dann drauf, wie sie gelaufen ist. Ja, und die Werbepartner stehen da unten eben drauf.“ Zwei Bons mit gleichem Werbelogo: dafür gibt es ein Geschenk. Abzuholen im Laden. Die Schulkinder sollen offenbar in Geschäfte gelockt werden, die Eltern am besten gleich mit. O-Ton Vanessa Mohnke: „Das hat an der Schule überhaupt nichts zu suchen. Ich achte ja zu Hause auch darauf, dass sie keine Fernsehprogramme guckt, wo Werbung dazwischen kommt.“ Werbung an Schulen? Bereits vor Monaten hat der NDR über das fragwürdige Sportprojekt berichtet. O-Ton „Guten Morgen, liebe dritte Klasse. Mein Name ist Sina, das ist die Astrid und wir möchten heute ganz viel Sport mit euch machen und ganz viel Spaß haben. Habt Ihr Lust?“ Kinder: „Jaaa!“ Die Firma Speed-4 ist zu Gast. Parcours-Laufen als vermeintlicher Sportunterricht an einer Hamburger Grundschule. Das Unternehmen organisiert kostenlose Laufwettbewerbe - von Werbepartnern finanziert. Dabei ist Werbung an Schulen eigentlich verboten.

Panorama Drei 1328 - Skript

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Versteckte Werbung an Schulen - NDR Manuskript

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Panorama 3 Nr. 59 vom 27.05.2014 Wettlauf um die Jüngsten: Versteckte Werbung an Schulen Anmoderation Susanne Stichler: Kinder, die sich in der Schule bewegen, Sport machen, Spaß haben - das finden wohl die meisten Eltern gut. Mehr davon, möchte man manchmal sagen. Hinter diesem Hütchenrennen steckt aber schlicht Werbung. Auf den ersten Blick nicht zu sehen, aber auf den zweiten. Wir haben über die Aktion Speed 4 bereits vor ein paar Monaten berichtet, nachdem sich bei uns viele verärgerte Eltern gemeldet hatten. Und nun in den letzten Wochen haben wir erneut Post erhalten, viele beschweren sich, dass Speed4 einfach weiter macht, die Schulbehörden nichts unternehmen. Was ist da los? Wir haben nachgehakt. Hamburg vor zwei Wochen. Die kleine Mia kommt von der Schule nach Hause. Angekündigt für diesen Schultag war ein Sportprojekt, doch Mia liefert bei der Mutter nicht nur verschwitzte Sportsachen ab. O-Ton Vanessa Mohnke: „Sie kam nach Hause und hat mir Bons mitgebracht, so Abreißzettelchen hier, wie man sie von der Kasse kennt. Und da steht dann drauf, wie sie gelaufen ist. Ja, und die Werbepartner stehen da unten eben drauf.“ Zwei Bons mit gleichem Werbelogo: dafür gibt es ein Geschenk. Abzuholen im Laden. Die Schulkinder sollen offenbar in Geschäfte gelockt werden, die Eltern am besten gleich mit. O-Ton Vanessa Mohnke: „Das hat an der Schule überhaupt nichts zu suchen. Ich achte ja zu Hause auch darauf, dass sie keine Fernsehprogramme guckt, wo Werbung dazwischen kommt.“ Werbung an Schulen? Bereits vor Monaten hat der NDR über das fragwürdige Sportprojekt berichtet. O-Ton „Guten Morgen, liebe dritte Klasse. Mein Name ist Sina, das ist die Astrid und wir möchten heute ganz viel Sport mit euch machen und ganz viel Spaß haben. Habt Ihr Lust?“ Kinder: „Jaaa!“ Die Firma Speed-4 ist zu Gast. Parcours-Laufen als vermeintlicher Sportunterricht an einer Hamburger Grundschule. Das Unternehmen organisiert kostenlose Laufwettbewerbe - von Werbepartnern finanziert. Dabei ist Werbung an Schulen eigentlich verboten.

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Ein Lauf dauert nicht mal zehn Sekunden, dafür gibt’s aber einen Bon. Und damit auch ein Werbelogo. O-Ton „Dann tauscht du den gegen ein anderes Logo mit einem anderen Kind.“ O-Ton Wolfgang Paes, Erfinder von Speed 4 (Oktober 2013): „Wir haben das eben ganz das klassisch gesehen, die Kinder fragen: Hast Du Hamburger Sparkasse, hast Du Volkswagen, kannst Du das tauschen? Und das ist dann wie beim Memory: hab ich zwei Gleiche, bekomme ich dann mein Geschenk. Und das ist dann der Mehrwert des Partners, den sie eigentlich, ich sag mal: den kann man eigentlich gar nicht kaufen. Das ist ja für ein Sponsoring, wenn ich mal überlege, ich kann heute in der Zeitung werben, im Radio werben, im Fernsehen werben, aber das muss derjenige ja auch erst mal mitbekommen. Der muss ja dann auch gucken. Nicht bei der Werbeunterbrechung zum Kühlschrank gehen, sich den nächsten Riegel raus holen, dann krieg ich die Werbung nicht mit. Hier sammelt das Kind sogar die Marke.“ Das Werbesammelspiel für Schüler - für Speed-4 lohnt sich das offenbar. Das Unternehmen tourt weiter. Allein in den vergangenen zwei Wochen an mehr als zehn Hamburger Schulen. O-Ton „Slalom Slalom Slalom, jawoll, ja!“ Alles halb so wild meint die Speed-4-Organisatorin: alles nur legales Sponsoring. O-Ton Jennifer Ueckermann, Speed 4 Nord: „Ich würde jetzt nicht sagen, dass es Werbung ist, schlussendlich ist es ja so, und das bestätigen uns die Lehrer und Kinder ja auch immer wieder, dass wir den Fokus darauf legen, hier Sport zu treiben.“ O-Ton Umfrage „Ich hatte einmal Hagebaumarkt, drei Mal Volkswagen.“ „Hagebaumarkt.“ „Volkswagen.“ „Edeka.“ „Budni.“ „Edeka, Edeka.“ Panorama 3: „Weiß jemand warum die alle ihre Namen da unten drauf schreiben?“ Kinder: „Werbung! Nichts als Werbung.“

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Gero Brüning ist einer der Schulleiter, die Speed-4 an ihre Schule gelassen haben. Nach Rücksprache mit seinen Elternvertretern. Ganz so streng, sieht er die Sache nicht. O-Ton Gero Brüning, Schulleiter Grundschule Müssenredder Hamburg: „In dieser Zeit wurde auch keine Werbung in meinem Sinne, in meinem Verständnis gemacht. So dass ich das gut vertreten kann hier an dieser Schule.“ Panorama 3: „Ab wann ist es denn für Sie Werbung?“ Gero Brüning, Schulleiter Grundschule Müssenredder Hamburg: „Dann wenn ganz offensiv beispielsweise mit Bandenwerbung gearbeitet werden würde oder ein lustiges Männchen durch die Halle hüpfen würde mit einer Firmenaufschrift oder dergleichen, das ginge für mich nicht mehr.“ Panorama 3: „Also das Firmenlogo auf dem Zettel, das ist für Sie noch keine Werbung, und dass die Kinder durch die Halle rufen: ‚Ich habe Edeka, ich habe VW‘?“ Gero Brüning, Schulleiter Grundschule Müssenredder Hamburg: „Das ist grenzwertig finde ich, ja.“ Grenzwertige Veranstaltungen an Schulen? Wir zeigen dem Sprecher der Hamburger Schul-Behörde unseren Bericht. Hier weiß offenbar niemand, was an den Schulen vor sich geht. O-Ton Peter Albrecht, Schulbehörde Hamburg: „Ich finde es sehr schwierig, weil ich hier den Eindruck habe, dass tatsächlich die Werbung, so wie sie dort präsentiert wird, sehr präsent ist, sehr im Vordergrund steht und die Schülerinnen und Schüler gar keine andere Chance haben, als sie wahrzunehmen, und vor allen Dingen auch unterbewusst, und entsprechend ihre Wirkung dort entfaltet.“ Panorama 3: „Ist das noch gar nicht auf Ihrem Radar gewesen, dass das vielleicht ein problematisches Projekt ist?“ Peter Albrecht, Schulbehörde Hamburg: „Also mir persönlich jedenfalls war es bislang nicht bekannt. Und insofern bin ich auch dankbar für alle Hinweise und wir werden dem auch nachgehen. Wenn es mir früher bekannt gewesen wäre, dann wären wir sicherlich eingeschritten.“ Die Behörde – ahnungslos - auch vom großen Finale. Noch in der Schule werden die Kinder ins Autohaus zum Endlauf eingeladen. Was als Schulveranstaltung begann, ist jetzt, am Wochenende, endgültig ein Werbeevent. Die Marketing-Strategie ist aufgegangen: Viele Kinder sind gekommen, ihre Familien im Schlepptau. Das Autohaus ist proppenvoll, begeisterte Schüler - für den Sponsor ein gutes Investment O-Ton Stefan Mecha, Regionalleiter Nord VW (Oktober 2013): „Gut, als Nummer eins im Markt mit 22 Prozent Marktanteil sind wir natürlich an der Breite der Deutschen interessiert. Familien, Kinder sind wirklich Spot on unsere Zielgruppe, von daher ist es einfach klasse, dass wir so viele Menschen ins Autohaus bekommen, wir können Produkte dabei noch zeigen und mehr geht eigentlich nicht.“

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Eine ausgeklügelte Werbemasche - mit freundlicher Unterstützung der Schulen O-Ton Panorama 3: „Was werden Sie als Schulbehörde nun tun?“ Peter Albrecht, Schulbehörde Hamburg: „Die sind ja schon sehr eindeutig diese Eindrücke, aber trotzdem muss es natürlich geprüft werden und wir werden sehen, genau wie ist es alles zustande gekommen. Und werden dann gucken wie wir auf Hamburgs Schulen zugehen können, um diese Art von Veranstaltung in Zukunft zu verhindern.“ Aufbruch zum richtigen Sport ohne Werbung. So wie es eigentlich in Schulen sein sollte, finden Mia und ihre Mutter. Denn sonst sähe Schule bald anders aus. O-Ton Vanessa Mohnke: „Dann kann man ja gleich wie in Halbzeiten die Banden vermieten, dann kann man Schulstunden vermieten an Sponsoring und Werbepartner. Und dann heißt es: Erste Stunde sponsored by und zweite Stunde sponsored by. Also das muss überhaupt nicht sein. “ Autoren: Linda Luft, Anne Ruprecht, Grit Fischer, Kathrin Becker Kamera: Martin Horning, Andreas Stonawski, Marcel Tauer Schnitt: Dennis Benn, Swantje Kammann