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(Aus der Seuehenabteflung des Instituts ,,Robert Koch".) Perlsnehtbaeillen als Erreger der Lungenschwindsucht. Von Prof. Bruno Lange, Na~h der neuesten Zusammenstellung yon Moeller81 konnten Perl- suchtbaeillen als ]~rreger der kindlichen Tuberkulose ziemlich h~ufig nachgewiesen werden, n~mlieh in rund 22% (untersueh~ wurden im ganzen 895 Fi~lle yon tuberkulSsen Kindera bis zu 16 Jahren). Die Zahl gibt allerdings insofern keinen zuverlassigen Mai]stab fiir die Verbreitung der bovinen Infektion bei Kindern ab, als das Unter- suehungsmaterial vorwiegend yon F~llen stammt, die yon vornherein auf bovine Infektion verdhchtig waren, z. B. solchen mit Ffibterungs- tuberkulose. Bei Erwachsenen wurden bovine Tuberkelbacillen bisher nur in einem sehr geringen Prozentsatz gefunden. Bei der wichtigsten Form der Tuberkulose des Erwachsenen, der Zungenschwindsucht, galt sogar der Befund yon Perlsuchtbacillen im Auswurf bis vor kurzem als eine seltene Ausnahme. Naeh Moellers sind bei der Tuberkulose der Lungen und Bronchial- drfisen von ]~rwachsenen fiber 16 Jahren unter 1062 F~llen nut 3real Perlsuehtbaeillen in Reinkultur naehgewiesen worden (2 Fglle der eng- lisehen Tuberkulosekommission und der Fall von de Jong Stuurmanns~), auBerdem noeh 2real mit humanen Bacillen gemiseht (je 1 Fall yon Kossel und JLindemann). 1930 hat A. St. Gvi]]ith noeh fiber einen Fall yon Perlsuehtinfektion bei Lungenphthise berichtet, den er unter 146 darauf untersuehten F~llen entdeekte. In England sind hiernach rund 1% bovine Infek- tionen bei Lungenphthise, ngmliek 3real unter 327 F~llen gefunden worden (Misehinfektionen nicht darunter). In den Jahren 1914 und 1916 haben St. GriHith und C. Y. Wang je einen weiteren Fall aus Schottland mitgeteil~. Au/]allenderweise sind nach Berichten yon Munro und A. St. Gri//ith aus Schottland 1924--1930 noch 16 Fiille boviner Lungenphthise dazugekommen (unter 366 untersuchten tVdllen, -~ 4,d%). Vergliehen mit fffiheren Statistiken erscheint diese Zahl sehr hoch, es 1 Handbuch der pathogenen Mikroorganismen 5, 615 (1928). In diesem Fall handelt es sich vielleicht auch um eine Misehung beider Typen.

Perlsuchtbacillen als Erreger der Lungenschwindsucht

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(Aus der Seuehenabteflung des Instituts ,,Robert Koch".)

Perlsnehtbaeillen als Erreger der Lungenschwindsucht.

Von Prof. Bruno Lange,

Na~h der neuesten Zusammenstellung yon Moeller81 konnten Perl- suchtbaeillen als ]~rreger der kindlichen Tuberkulose ziemlich h~ufig nachgewiesen werden, n~mlieh in rund 22% (untersueh~ wurden im ganzen 895 Fi~lle yon tuberkulSsen Kindera bis zu 16 Jahren). Die Zahl gibt allerdings insofern keinen zuverlassigen Mai]stab fiir die Verbreitung der bovinen Infekt ion bei Kindern ab, als das Unter- suehungsmaterial vorwiegend yon F~llen s tammt, die yon vornherein auf bovine Infekt ion verdhchtig waren, z. B. solchen mi t Ffibterungs- tuberkulose. Bei Erwachsenen wurden bovine Tuberkelbacillen bisher nur in einem sehr geringen Prozentsatz gefunden. Bei der wichtigsten Form der Tuberkulose des Erwachsenen, der Zungenschwindsucht, galt sogar der Befund yon Perlsuchtbacillen im Auswurf bis vor kurzem als eine seltene Ausnahme.

Naeh Moellers sind bei der Tuberkulose der Lungen und Bronchial- drfisen von ]~rwachsenen fiber 16 Jahren unter 1062 F~llen nu t 3real Perlsuehtbaeillen in Reinkultur naehgewiesen worden (2 Fglle der eng- lisehen Tuberkulosekommission und der Fall von de Jong Stuurmanns~), auBerdem noeh 2real mi t humanen Bacillen gemiseht (je 1 Fall yon Kossel und JLindemann).

1930 ha t A. St. Gvi]]ith noeh fiber einen Fall yon Perlsuehtinfektion bei Lungenphthise berichtet, den er unter 146 darauf untersuehten F~llen entdeekte. In England sind hiernach rund 1% bovine Infek- t ionen bei Lungenphthise, ngmliek 3real unter 327 F~llen gefunden worden (Misehinfektionen nicht darunter). In den Jahren 1914 und 1916 haben St. GriHith und C. Y. Wang je einen weiteren Fall aus Schottland mitgeteil~. Au/]allenderweise sind nach Berichten yon Munro und A. St. Gri//ith aus Schottland 1924--1930 noch 16 Fiille boviner Lungenphthise dazugekommen (unter 366 untersuchten tVdllen, -~ 4,d%). Vergliehen mi t fffiheren Stat ist iken erscheint diese Zahl sehr hoch, es

1 Handbuch der pathogenen Mikroorganismen 5, 615 (1928). In diesem Fall handelt es sich vielleicht auch um eine Misehung beider

Typen.

B. Lange: Perlsuchtbacillen als Erreger der Lungenschwindsucht. 299

dfirfte deshalb wohl yon nicht geringem Interesse sein, auf die Berichte yon Munro 1 und Gri]/ith ~ im folgendcn nigher einzugehen.

In der Tabelle gebe ich eine ~bersicht fiber die 21 Fi~lle hi GroB- britannien nach Alter, Geschlecht und Krankheitsverlauf. Leider sind die Angaben fiber die Krankhei t nicht immer vollstSndig und auch die beiden vorliegenden Sektionsbefunde liickenhaft, so dal3 fiber man- ehen wichtigen Punkt eine Kli~rung nicht erreicht wird.

Munro er6rtert an der Hand seiner Fiille eine Reihe yon Fragen, die ieh zun~ehst, ohne selbst dazu Stellung zu nehmen, kurz anfiihren mSchte.

Er versueht zuniichst zu erkli~ren, wie es kommt, dal~ bei menseh- licher Lungentuberkulose in anderen L~ndern frfiher so selten Perl- suchtbacillen gefunden sind. Dal] etwa eine lokale H~ufung boviner Infektionsquellen in Glenlomond, we die Untersuchungen stattgefunden haben, an der auffallend hohen Ziffer der neuesten Befunde sehuld sein k6nne, wird yon Munro abgelehnt. Als einer der Hauptgrfinde fiir die Seltenheit boviner Bacillen im Auswurf Schwindsfichtiger wird yon Munro die geringe Pathogenitiit boviner .Bacille~ /iir den Menschen an- gesehcn. Er macht darauf aufmerksam, dab in Edinburgh dureh den Anatomen des Kinderhospitals unter 28 Fallen t6dlicher Tuberkulose yon Kindern im Alter yon 0--5 Jahren in den Tracheobronchialdrfisen nur 7real bovine Tuberkelbacillen festgestellt werden konnten. Nach der $tat is t ik fiber operativ behandelte Fi~lle yon Halsdrfisentuber. kulose findet man aber in der gleichen Gruppe yon Kindern yon 0 bis 5 Jahren in den Halsdrfisen 82,6 %, und noch die H~lfte aller Hals- drfisentuberkulosen bei Kindern yon 5---15 Jahren ist dureh Perlsucht- bacillen bedingt. Munro schlieBt hieraus, dab die bovine Infektion relativ hi~ufig in den Lymphl~mten der Eintr i t tspforte steekenbleibt. Auch der Umstand, dal~ in den in dcr Tabelle aufgeffihrten 10 Fallen yon Lungentuberkulosen nur ein einziger eine Kaverne hat te und relativ h~tffig gutar t ige cirrhotische Prozesse festgestellt werden konntcn, spricht nach Munro ffir eine geringe Pathogenit~t des bovinen Bacillus fiir den Menschen. Eine aerogene Infektion wird ffir die Perlsuchtfiille nieht angenommen, vielmehr eine Infektion vom Verdauungstractus aus Ifir wahrseheinlich gehalten und die Vermutung ausgesproehen, dal3 die Lungenschwindsucht fiberhaupt m6glicherweise nicht aerogen entstehe, sondern yon den Schleimh~uten des Verdauungstractus ausgehe. In den angeffihrten 10 ~allen soU die Schwindsucht endogen entstanden sein.

Gri//ith hebt in seinem Berieht hervor, dal3 zwar in einigen F~llen kindlicher Tuberkulose dutch PerlsuehtbaciUen eine direlcte

1 Bull. Union in~erna~. Tbe. 6, Iffr 4 (1929). J. of Path. 33, 1145 (1930).

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Zei tsehr . f. Hygiene . Bd . 112.

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Lungenin/ektion sicher nachgewiesen worden ist (S. 1153), fiir die be- sehriebenen Erkrankungen an Lun- gensehwindsucht habe aber ein I~inweis auf eine menschliche An- steckungsquelle in keinem Fall auf- gefunden werden kSnnen, vielmehr deute die Krankengesehiehte der Mehrzahl dieser Erkrankungen auf eine alimentdire Infekt ion hin.

,,These observations sugffest, that ,,bovine" phthisis pulmonalis may occur only in those persons, who are in/ected by the alimentary route and may never be transmitted as such /rom one person to another1. ''

Wenn beim Erwaehsenen so re- la t iv selten bei Lungentuberku!ose bovine Baeillen als Erreger ermit- fel t wcrden, so beruht dies nach Gri//ith haupts~chlich darauf, da$ die Lungentuberkulose naeh einer Perlsuehtinfektion h~matogen zu- stande komme und die h~matogenen Lungenprozesse viel weniger die Neigung h~tten als die aerogen durcb humane Bacillen entstande- hen Herde, gesehwfirig zu zerfallen und in die Bronehien durehzu- brechen. Grif/ith betont mi t Recht die Wichtigkeit weiterer, vor allem aueh pa~hologiseh-anatomiseher Un- tersuchungen zur Klarung der Pa- thogenese der mensehlichen Perl- suehtinfektion.

Bevor ich auf die in mancher Hinsieht interessanten Darstellungen yon Munro und Gri//ith naher ein- gehe, mSehte ich kurz tiber 4 FMle menschlieher Lungentuberkulose bei Erwachsenen berichten, in denen ich selbst in den letzten Jahren

1 Vom Verf. gesperr~.

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304 B. Lange :

Per l suchtbac i l len als Er reger habe nachweisen k~innen. Die .Fg l l e mit Reinkultur boviner Bacillen im Sputum sind die ersten iiberhaupt in Deutschland beobachteten _Fdlle dieser Art.

Eigene Beobachtungen. Fall 1. K. Mii., 51 Jah~c alter Tierarzt, hat wi~hrcnd seiner beruflichen

T~tigkei~ mit perlsuehtkrankem Vieh viel zu tun gehabt. Als Kind gesund. Keine famili~re Exposition. Seit 1924 lungenkrank. Besserm~g nach Kuren in Sfilzhava und Todtmoos. Seit Sommer 1928 yon neuem schwer erkrankt. Am 5. II. 1929 im Augusta-Hospital in Berlin aufgenommen (behandelnder Arzt Professor Dr. Schlayer). Dort gestorben 6. I IL 1929.

Klinische Diagnose: Doppelseitige kavernfse Lungenphthise. Die bei der Aufnahme mitgebrachten RSntgenplatten yon 1926 zeigten beide

Oberlappen verschattet, Cavum links oben, yon Ende 1926 auch im linken Unter- feld Ileekige Sehatten, yon 1927 zunehmende Versehattung der linken Seite, 2 Cava, veto August 1928 ziemlich diehte gleichm~Bige Verseh~t~ung im ganzen linken Mit.tel- und Unterfeld, erheblieho Linksverziehung des Herzens und Mediastinums, rundlieher dichter Sehatten anscheinend oberhalb Aorta im linken Oberfeld. Lungenaufnahme im 2. schr~gen Durehmesser ergibt Mietelfeldschatten weniger dicht. Aufnahme yon vora (Februar 1929) : tIerz ganz nach links vcrzogen. 2 Cava im linken Oberlappen, Mittelfeld gleichm~l]ig dicht versehattet, mit einzelnen punktf6rmigen Aufhellungen. Im rechten Oberfeld mitteldichte, weichc Herde.

Bakteriologischer Be/und: Am 16. II. 1929 wurde Auswurf an das Institut ,,Rober~ Koch" zur Untersuchung auf PerlsuchtbaciUen eingesandt. Reichlieh eitriger Auswurf mit viel Bacfllen, deren Form nichts Ungew6hnliches bo~. Von einem der 2 mit Sputum geimpften und tuberkul6s gewordeneu Meerschweinchea wurde eine Kultur gewonnen, yon dem zweiten Milz auf ein Kaninchen weiter- geimpft. Das Kaninchen wurde nach 2Monarch get6tct. Befund: Verkttste Lymphkno~n an der Iniektionsstelle , sehwerste allgemeine Tuberkulose. Die vom Meersehweinehen gewonnene Kultur wuchs verh~tltnismiiBig langsam (Eiet- serum naeh Lubenau-Levinthal), ihr Aussehen entsprach dem des Typus bovinus (sehmieriger, coliithnlicher Bclag, das FuBwasscr des R6hrchens nicht iiber- briickend). 3 mit dieser Kultur in einer Oosis yon 11100 mg intraven6s geimpfte Kaninehen erkrankten an schwerer Tuberkulose, 2 yon ilmen starben an ihrer Tuberkulose nach 5 bzw. 8 Wochen, das 3., naeh 5 Wochen get(itet, zeigte eine so ausgebreitete Tuberkulose, dall es aller Wahrseheinliehkeit naeh in wenigen Tagen gestorben w~re.

Auch die Fortziichtung dcr Kultur ~fi. auf Glycerinbouillon ergab typisches bovines Wachstum. (Feine Haut mit warzenfSrmigen Verdiekungen.) Vielfaehe Passagen auf Glycerinbouillon fiihrten nicht zur Isolierung eines humanen Stammes. Hiernach und naeh dem Ergebnis der Kaninehenvirulenzpriifung muB angenommen werden, dab es sich um eine Reinkultur yon Parlsur handelt und die Perlsuehtbaefllen nieht etwa als zufallige Verlmreinigungen "ira Auswurf vor- h~rnden gewesen sind, eine Armahme, die sehon sehr unwahrseheinlich geworden war durch die Mitteilung des behandelnden ArzVes, d~B tier Patient w~hr~nd

seines K_rankenhausaufenthaltes nur einwandfreie Milch bekommen hat. Wie aus der Virulenzpl~ifung am Kauinehen ersiehtlich, h~tte 'der Stamm eine ziemlich hohe, wenn auch keine maximale Kaninchenvirulenz. Die Priifung derselben Kultur naeh 1 Jahr ergab eine deutliche Abschwdchung, merkwiirdigerweise war in dieser Beziehung zwischen der im ganzen 7real alff frische N/~hrbSden (Eier- serum) iibertragenen Kultur und einer Subkultur der etwa 1 Jahr bei Zimmer- temperatur aufgehobenen Originalkultur ein Untersehied nicht naehweisbar.

Perlsuehtbaeillen als Erreger der Lungenschwindsueh~. 305

�9 Von 6 mit 1/100 mg intraven6s geimpften Kaninehen starb 1 interkurront nach 1 Monat mit ziemlich ausgebreitetor AUgomeintuberlrulose, ein zweites infolge seiner sehr ausgedehnten Tuberkulose nach etwa 3 Monaten, die fibrigen Tiero wurden nach 1, 31/2 bzw. 6 Monaten getStet. Von diesen wies nur ein nach 31/~ Mo- naten getStetes Tier eine schwere Tuberkulose auf, die anderen 3 waren so gu t wie frei yon Tuberkulose.

Leider war es n ich t mSglich, das S p u t u m des P a t i e n t e n noch ein- real zu un te rsuchen , da der I ( r anke inzwisehen a n seiner Lungen- tuberkulose vers torben year I. Der bakteriologische Befund spr icht ein- deu t ig dafiir, dab in dem e rw~hn ten l~aI1 Perlsuchtbacillerb als aus- schlie[31iche Erreger der Lungenschwindsuch~ anzusehen sind.

•a/l 2. P. He., 20j~hriger Stallschweizer. Keino famili~re Exposition. Als Lehrling 1925 in einer sehmutzigen Wirtschaft t~tig, we viol krankes Vieh, besonders auch hustencle Rindor waren; glaub% sich im Stall angesteekt zu haben. Seit 1926 Husten, Auswurf, Mattigkeit. November 1927 bis Februar 1928 zur Kur in der tteilst~tte Grabowseo (Chefarzt Dr. Schulte~). lqaeh seiner Entlassung yon deft wieder als Molker t~tig. Januar 1929 muBto er auf Voranlassung dor Polizeibeh6rdo seine Arbeit einsteUen und wurde im April 1929 erneut in Grabow- see aufgenommon, yon dote am 7: VL 1929 entlassen. Im September 1929 kam Patient sehwer krank ins Virehow-Krankonhaus Berlin und starb dort wenige Tage nach seiner Aufnahme am 2. X. 1929.

Klinls~e Diagnose bei dem ersten Aufen~hal~ in Grabowsee 1927: Offene doppelsei~ige Lungentuberkulose; mehrteiliger produktiv kavem6ser ProzeB, lang- sam progredient. Film vom November 1927: Ganzes rechtes Lungenfeld zeigt, mit Ausnahme des Unterfeldes, kleinfleckige Trfibung. Im 2. vordere- Intercostal- raum lateral hiihnereigroBer ovaler Ringschatten mit kleinem Flfissigkeitsspiegel. Linkes Mittel- und Unterield zeigt etwas gr6bere Fleeken. Zwerchfellkonturen scharL R6ntgenbefund fin Mai 1929: Beide Lungenfelder dicht yon Streifen und kleineren mud grO~eren verwasehenen 1~lecken durehsetz~. ~ber der rechten 2. vorderen Rippe lateral Ringsehattenandeutung, fiber der 4. vorderen Rippo ovaler pflaumengroBer Ringsehatten. Mediastinum etwas nach reehts verzogen. Linkes Zwerchfell lateral unscharf und gebuekelt. Thorax asthenieus.

~Lungenbelund bei der Aufnahme im Virchow.Krankenhause (behandelnder Arzt Dr. Radetzlcy): Rechts hinten oben SchaIlverkfirzung mi~ versch~rftem In- spirium und klingenden Rasselger~usehen. ~ber dem reehten Mittelfeld Schall- verkiirzung mi~ Bronehialatmen und klingenden Rasselger~usehen. Reehts vorn oben infraclavieul~r versch~rftes Atmen mit Rasselgerauschen h6rbar. Diagnose: Pneumonia caseosa dextra.

Sektio~sbefund ~: vom 4. X. 1929. Hauptleiden: Exsudativ-kavernSse Lnngen- tuberlmloso. Todesursaehe: Kachexie.

Pathologisch-anatomisehe Diagnose: Ausgeclehnte alto Pleuraadhasionen fiber der linken Lungenspitze. Hier mehrere frisohe seharfrandige gereinigte Kavernen. In der Umgebung eine diffuse gelatinSse unspezifische Infiltration. Zahlreiehe zum Tell kreisrunde, ganz scharf gegen das Naehbargewebe sieh absetzende exsudativ-verk~sende Herde, stellenweiso mit beginnender zentraler Einsehmelzung und vereinzelten Aspirationsherden in der Nachbarsehaft. Fr~sche fibrin~se Pleuri- tis fiber den subpleural llegenden K/~seherden. Exsuda~iv-kavemSso Tubcrkulose

Sektion ~st nieht gemaeht worden. Herr Prof. Anders war so freundlieh, mir das Protokoll zur Verfiigung zu

stellen. "

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306 B. Lunge:

der ganzen rechten Lunge. Auch hier iiberaU rein exsudative Herde yon zum Tell ausgesproehen kugeliger Form und raehr oder weniger ausgesproehener fibr6ser Abkapselung. Zura Tell sind diese Herde kavern6s uragewandelt. In der Ura- gebung Aspirationsherde yon ebenfalls exsudativera Charakter. Keiue Kehlkopf: oder Darratuberk~flose. Weder in der Lunge noeh in den bronehialen oder raesen- terialen Lyruphdriisen ein alter tuberkulOser Prim/~raffekt (r6ntgenologiseh kon- trolliert). Xltere und frisehe tuberkul6se tterde in den bronehialen Lymphdriisen, besonders links.

Allgemeine sehwere Kaehexie und Ani~mie. Braune Atrophic des NIyokards. Pubert/~tsatheroraatose derAorta. WeieherMflztumor. Amyloidfettleber. Lipoid- schwund dcr Nebennierenrinde. Zahlreiehe kleine Blutralgen und Erosionen in der Sehleimhaut der Magenstraf~e. H/~raoIThagisehes Exsudat in der linken Pleura- h6hle (500 ecra). Status lymphaticus im Rectura. Atrophic der Testes.

: Ergebnis der bakteriologischen Untersuchung. Erstmalige Auswurfsuntersuchung am 2. V. 1929 irn Institut ,,Robert Koch".

Es fanden sial in dera eitrig-schleimigen Sputum za.hlreiche lunge sehlanke si~ure- feste St~bchen. Direkte Kultur naeh Hohn, gleiehzeitig ~eersehweinehenimpfung.

Mit der ziemIich langsara gewaehsenen direkten Kul tur wurden am 1. VII. 1929 3 Kaninehen intraven6s gcimpft (1/10o rag). 2 Tiere starben naeh 4 bzw. 6 Wochen an schwerster Tuberkulose, das 3. e~t naeh 8 Woehen rait raittel- sehwerer Tuberkulose der inuerea Organe. Sp~tere Priifungen rait Subkulturen tier direkten Kultur auf Eierserum ergaben eine erhebliehe Virulenzabsehw/~ehung. Vergleiehsweise wurdc nach fast 1 Jahr an Kaninchcn nach Oehlecker (alice rng intraven6s) gepr/ift: 1. l~ine frisehe Abimpfung der 10 Monate alten Original- kultur. Von 3 darait ixffizierten Kaninehen starb 1 naeh 5 Wochen mit m~Big vorgeschrittener Allgeraeintuberkulose, 2 naeh 3 Monaten mit schwerer Tuber- kulose. 2. Wurde eineSubkultur gepriift, die bereits 7mal auf Eierserumn/~hrboden iiberimpft war. Die Wirkung dieser Kultur war noeh erheblich sehwacher. Ein Kaninehen, nach 3 ~Ionaten get6tet, wles iiberhaupt so gut wie keine spezifisehen Yeranderungen auf. Die beiden anderen, nach 3 bzw. 51/2 Monaten get6tet, zeigten hochgradige Perlsueht der Pleura, das naeh 3 Monaten get6tete aullerdera ver- einzelte nur wenig verk~te Lungenherde, elnzehae Kn6tehen in der Leber, w~hrend Milz und Niere augenseheinlieh ohne Ver~nderungeu waren. Bei dem naeh 51/2Monatdn get6teten Tier fanden sich ausgesproehenere Zeicheu yon Genc- ralisation: Die Lungen waren durchsetzt yon miliaren grauglasigen Kn6tehen, zcigten auBerdera einze]ne linsengroi]e Kaseherdc. Milz o.B., Leber einzelne Ka(itchen, Nieren beiderseits ras zahlreiehe mfliare grauglasige Herde, schwere Itodcn- und Nebenhodentuberkulose beiderseits.

Das ku]turelle Verhalten des Stararaes war sowohl auf Eierserum als auch auf Glycerinbouillon typiseh bovin. Durch mehrere ~berimpfungen auf Glycerin- bouillon trat eine ~4_nderung des Waehstumseharakters nicht ein; aueh sonst ergaben sieh keine Anhaltspunkte,dafiir, dab die Kultur Beiraengungen huraaner Bacillen cnthielt.

Auch in diesem Fa l l konn te eine Wiederho lung der U n t e r s u e h u n g zu sp~terer Zei t n i eh t s t a t t f inden , da der Pa t i en t , als das Ergebnis der e rs ten Prfifung nach Grabowsee gemelde~ wurde, berei ts aus der Heil- s t~ t t e ent lassen war u n d d a n n wi~hrend der Nachforschungen nach se inem Verbleib gestorben ist.

Wie nachtr i igl ich festgestetl t wurde, ha t t e der K r a n k e in den Tagen vor E i n s e n d u n g des Auswurfs i n der Heilsti~tte n u r e inwandfreie Milch

Perlsuchtbaefllen als Erreger der Lungensehwindsucht. 307

genossen. Diese Fests te l lung, die sehr verd~chtige Anamnese u n d vor al lem der oben erw~hnte bakteriologische Befund spricht dafiir, d a b die I~rankhei t des P a t i e n t e n He. au.sschlie~lich durch Perlsuchtbacillen hervorgerufen ist.

Fall 3+ R+ Lo., Ohersohweizer, geb. I885 in der Schweiz. In die Heilsti~tte Grabowsee im November 1929 auIgenommen. Arbeitet seit 1918 auf einem Guts- her mit krankem Vieh. Pcrlsiichtige Kiihe wurden dort naeh seiner Angabe immer wieder ausgcsondert. Erkrankt Mai 1929 mit Pleuritis exsudativa.

Befund in der Heilst~tte: Im Auswuff sp~rliche Tuberkelbaefllen. D~mpfung reehts unten, leichter Spitzenbefund, Senkung etwas beschleunigt. R6ntgenfflm: Beide Lungen yon ziemlich intensiven kleinsten Flecken durcbsetzt, besonders dicht in beiden Mittelfeldern. Links oben Ringschattenandeutung. Im ganzen das Bfld der mehr kleinileckigen Lungentuberkulose.

Entlassen als gebessert fin Dezember 1929. Bakteriologlscher Be/und: Am 19. IX. 1929 wurdo Auswurf des Patienten

zur Untersuchung auf Per]suchtbacillen an das Institut ,,Robert Koch" ein- gesandt. Bei der mikroskopischen Untersuchung fanden sich spi~rlicho in ihrer l%rm nicht charakteristische Tuberkelbacillen.

Die direkte Kultur (Hohn) glfickte nicht; es handelt sich demnach um cinen ausgesproehen ,,dysgonisehen" Stamm; aus einem mit Sputum geimpften Meer- schweinehen wurdo eino Kultur gewonnen und diese im Viereckenversuch naeh Toe/a t in einer Dosis yon 10 -5 mg auf Kaninchen intracutan verimpft. Da sich bei den beiden Tieren entsprechend der Impfstelle ein ulcerierender Prim~rinfekt und eine verk~ende Tuberkulose der region~ren Lymphknoten ausbfldete (be i der Sektion wurden bei beiden Tieren bohnengroBe verkaste Lymphknoten an der Injektionsstelle festgestellt) wurde die Diagnose auf Typus bovinus gestell~. Eine Wiederholung der Kaninehenpathogenit~tspriifung mit einer Abimpfuug der gleichen Kul~ur 2 Monate spi~ter nach Oehlecker (1/10o mg intraven6s) ~.eigte eine m~fiige Virulenzabschw[iehung insofem, als die beidert infiziertea Kanineimn erst naeh 2--3 Monaten an ihrer Tuberknlose eingingen.

Im November 1929 wurde yon dem Kranken nochmals Auswurf einges~,ndt un4 mit dem mikroskopisch Tuberkelbaeillen enthaltendea Auswltrf naeh Sehwefei- si~urehehandlung :EierserumrOhrchen beimpft. Wieder gliiekte es nieht, eine direkte Kultnr zu erhalten.

Ende Januar 1930 haben wir uns erneut Sputum yon dem Patienten ver- sehaffen kSnnen. In diesem konnten mikroskopiseh Tuberkelbacillen nieht naeh- gewiesen werden, das mit Auswurf subcutan geimpite Meersehweinehen wurde abet tuberkulSs. Mit Organen dieses tuberkulSsen Meersehweinehens wurde ein Kaninchen subcutan geimpft. Das Tier bekam eine yon der Impfstelle ausgehende fortsehreitende Tuberkulose, an der es nach 7 Woehen einging. Naeh der St~rke und der Sehnelligkeit der Entwieklung der lokalen Krankheitserseheinungen bei diesem Tier konnte eine hohe Virulenz des Stammes angenommen werden.

Etwa 6 Woehen sparer wurden mit einer Subkultur dieser Kultnr 2 Kaninchen mit ~/150 mg intravenSs infiziert. Beide Tiere gingen, das eine nach 4, das andere nach 6 Woehen, an sehwerer generalisierter Tuberkulose zugrunde.

Das Waehstum der vom Fall Lo. stammenden Perlsuchtkultur auf Eierserum und Glycerinbouillon war fiir den bovinen Typus charakteristiseh. Weitere Fort- ziichtung auf Glycerinbouillon fiihrte niebt zu einer Ver~nderung des Aussehens der Kultur. Anhaltspunkte daftir, daI~ in geringer l~enge neben den Perlsucht-

1 Z. Tbk. 5, Nr 5, 302 (1930).

308 B. Lange :

bacillen noch solche des humanen Typus vorhanden waren, konnten also n~eht gewonnen werden.

Auch flit den Fall Lo. muB nach dem Gesag~en angenommen wer. den, dab seine Lungenschwindsueh~ ihre Ents~ehung ausschlieBlich einer Infekt ion mi t Perlsuohtbacillen verdankt .

I n den beiden F~llen Ho. und Lo. handelte es sich, wie erw~hnt, um •e]ker, die in Grabowsee eine Kur gebraucht hat ten. Der Chefarzt der Heilst~tte Grabowsee, Her r Dr. Schultes, der die Un~ersuchung des Auswurfs beider Pat ienten erbeten hatte , teilte mir mit, da~ im Jahre i926127 16 Personen mi t dem Beruf als Melker, Sehweizer, Kuhfii t- refer wegen Tuberkulose in die t tei ls t~tte aufgenommen wurden. 9 yon diesen li t ten an oftener, 7 an geschlossener Tuberkulose. Wir habea in den letzten Jah ren Auswurf yon im ganzen 12 solehen F~llen aus Grabowsee zur Untersuchung auf die TypenzugehSrigkeit der ]~rreger erhalten. 2mal 1 konnte, n~mlich in den beiden oben aufgeffihrtenFi~l- len, der Typus bovinus ermit te l t werden, 8 l~ l le erwiesen sich als dutch Infekt ion mi t humanen Tuberkelbaeillen beding~, fiir 2 F~lle is~ die Untersuchung noeh nieht abgesehlossen. Wir untersuchen jetzt grund- s~tzlich d e n Auswurf jedes Kranken der genannten Heilst~tte; dessen beru/llche Beschii]tigung mit Rindern au] die MSgliehkeit elner Perl- suchtin/ektion hinweist. Herr Dr. Sehultes ha t I~achforschungen an- gestellt dariiber, ob etwa Melker besonders h~ufig an Tuberkulose er- kranken. Es ist ihm indes nicht gelungen wegen der groBen Schwierig- keiten, die der statistisehen Erfassung der Erkrankungen an Schwind- sueht bei lgelkern, Schweizern, K~sern entgegenstehen, zu einem be- friedigenden Resul ta t z u kommen.

Der Vollst~ndigkeit halber sei noeh ein 4. Fall mitgeteilt , dessen Besprechung i m wesentliehen bereits in einer friiheren Arbeit effolgt ist [Z. Tbk. 57, 129 (1930)].

t~all 4. H. Ha., 26j~hrige Frau aus Lauenburg (Pore.), wurde am 27. II. 1927 in die II. Med. Klinik der Charit6, Berlin (Prof v. Bergmann), aufgenommen und am 30. IV. 1927 als gebesser~ entlassen.

Die ~ m n e s e ergab keinerlei famili~re Exposition und keine Anhaltspunkte fiir eine in der Kindheit durchgemachte tuberkul6se Erkrankung.

Kllnisehe Untersuchung ergibt uncharakteristische bronchitisehe Symptome. R6ntgenbild vom 1. IV. zeigt leiehte Verschattung der linken Spitze und einen ziemlieh ausgedelmten Sehatten im zeohten Interlobul~rspalt. Am 13. IV. wurde reehts ein Pneumothorax angelegt.

Bei der Untersuehung des Auswurfs der Patientin fanden sieh humane Tu- berkelbacillen mib bovinen gemlschb, der wcitaus grS~ere Antefl gehSrte dem humanen Typus an. Der yon dem Fall geziichtete bovine Stature war yon hohcr Kaninchenvirulenz.

1 Inzwischen ist noch ein weiterer Fall ,,boviner Phthise" (O. Pi.) ermittelt worden.

Perlsuchtbacillen als Erreger der Lungenschwindsuch~. 309

Der Verlauf der Krankheit schein~ nich~ ungiins~ig zu sein; jedenfalls lebt die Patientin zur Zeit noch uad ist anscheinend gesund.

Im Gegensatz zu den drei vorher besprochenen Fallen handelb es sich hier also um eine Mischinfektion mit Tuberkelbaeillen beider Typen.

Vergleich unserer F~ille mit den von Gri]/ith und Munro beschriebenen und Beurteilung der gesamlen Ergebnisse.

Die yon mir beobachteten 4 Fglle yon Lungenschwindsucht, bei denen im Sputum Perlsuehtbaeillen naehgewiesen werden konnten, scheinen mir eine wiehtige Ergi~nzung zu den yon Gri//ith und Munro mitgeteilten 21 Fallen darzustellen.

Hinsichtlich der Menge und der Form der Bacillen im Sputum haben wir keine bemerkenswerten Befunde erheben k6nnen, ebensowenig ist dies augenseheinlieh in den F~llen der englischen Autoren geschehen. Gri//ith ffihrt allerdings 3real an, dab die Baeillen im Auswurf sehr kurz und plump gewesen sind (die meist beim bovinen Typus vorkom- mende Form). Das Waehstum der isolierten St~mme auf kiinstlicher Kul tur war in unseren und den Fallen aus GroBbritannien stets typisch bovin, die Kaninehenvirulenz der yon Munro und Grl/]ith geprfiften St~mme war nur 3mal herabgesetz~, 18real hoeh. Wir fanden eine m~Big abgeschwaehte Virulenz ffir Kaninchen bei 2 yon unseren 4 Stem- men. Die Virulenz dieser beiden Stamme nahm bei weiterer Fortziich- t u n g a u f kiinstlicher Kul tur noch mehr ab. Die von Munro und Crri//ith besehriebenen Stamme abgesehw~chter Kaninchenpathogenitat haben bei weiterer Fortziichtung anscheinend ihre Virulenz nicht in gleiehem Male weiter eingebiift. Worauf das labile Verhalten unserer beider St~mme zurfiekzuffihren ist, im besonderen ob es auf einer Eigentfim- lichkeit dcr St~mme beruht, kann ieh nicht entscheiden. Vielleicht geben fiber diesen Ptmkt weitere Beobaehtungen yon Perlsuchtstgmmen, die aus mensehliehen Organen isoliert worden sind, Au~sehluf.

Von gr61~tem Interesse sind nun die Angaben der Kranken, die klinisehen and, soweit sie vorliegen, die pathologiseh-anatomisehen Be- Iunde, aus denen au] die Entstehung der Lungenschwindsucht Schliksse gezogen werden k6nnen.

Die F~lle haben meist eine charakteristisehe Anamnese und aueh kliniseh oft bemerkenswerte FAgentiimlichkeiten.

Weder in unseren Fallen noeh in denen Yon Gri[]ith gibt die An. amnese Anhaltspunkte fiber frfihere ~amiliare Exposition. Unter den 21 Fallen aus Groflbritannien finder sieh nach der Anamnese bzw. dem klinischen Befund bei der Aufnahme und dem Sektionsergebnis 10real (Falle Nr. 6, 7, 10, 12, 13, 14, 15, 17, 18, 20) ein Hinweis auf prim~ire In[eIition des Verdauunystractus (Halsdrfisen-, Baueh~uberkulose). Bei einzeInen anderen Kranken ist vermerkt, daft sie in ihrer Jugend viel

310 B. I ~ n g e :

Milch getrunken haben; diesen Angaben kommt natiirlieh wenig Be- weiskraft zu. Bei 1t F~llen der Zusammenstellung yon Gri/fith sind weder aus der Anamnese noeh aus dem klinisehen oder pathologisch- anatomischen Befund slchere Anhaltspunkte ffir eine primi~re t~titterungs- tuberkulose gegeben. Fiir diese 11 Kranken besteht demnach aueh die MSglichkeit einer ~lteren oder frischen exogenen Lungenin]ektion durch Einatmung yon Perlsuchtbacillen. Wenn nachgewiesenermal3en Mensehen mit Auswurf und TrSpfchen bovine Bacillen aushusten, so wird es gewil~ gelegentlich vorkommen, dal~ Gesunde sich an diesen Kranken auf dem Luftwege infizieren. Dagegen spricht keinesfalls das Fehlen einer famili~ren Exposit ion in tier Anamnese, denn die An- steckung kann extrafamiligr erfolgt sein. Von mindestens der gleichen praktischen Bedeu tung scheint mir ein anderer Infektionsmodus zu rein, der merkwiirdigerweise yon Gri]]ith und von Munro i iberhaupt nieht in Betracht gezogen wird: die I~ffektion dureh Einatmung yon .Tuberkelbacillen, ausgeschieden yon tuberkuldsen Rindern. Hustende Rin- der verstreuen Baeillen auf Stroh und Heu, und yon diesem trocknen Material, evtl. such vom Fell der Tiere, miissen sich Bacillen immer wieder als Staub ablSsen und die Luft infizieren, t t ierdurch sind Mensehen, vor allem Kinder, aber aueh Erwaehsene, die solche Stalle betreten, besonders wenn sie das oft tun, mindestens ebenso, wenn nicht noeh sti~rker gef~hrdet als gesunde in der Wohnung eines baeillen- streuenden Phthisikers lebende Personen.

In unseren 4 F~llen fehlen durehweg Anhaltspnnkte fiir die Annahme einer Ents tehung der Lungenschwindsucht aus tuberku]6sen Herden einer alten intestinalen Kindheitsin]ektion. In den 3 FMlen, in denen Perlsuehtbaeillen in Reinkultur im Sputum nachgewiesen werden konnten, weist die Anamnese direkt auf eine /riache ln]ektion im Er- wachaenenalter hin. In dem einzigen Fall, bei dem die Sektion gemacht worden ist, konnte eine alte primare intestinale Infektion sogar aus- geschlossen werden, ebenso eine frisehe, da sich weder in den Hals- drfisen noeh in den Bauchorganen ein Primgrinfekt nachweisen lie•. Aue h in den Lungen konnte die RSntgenuntersuchung des heraus- genommenen Organs keinen alten Primgrkomplex aufdecken. In diesem Fall ist die Phthise naeh der Anamnese und dem Sektionsbefund also hSehstwahrseheinlich ausgegangen yon einer im STgteren Lebens- alter erworbenen dlre/den .Lungen~n/ektion, in den iibrigen 3 Fallen kann man natiirlich einen Zusammenhang der Lungenphthise mit alten, primer intestinal entstandenen tuberkul6sen Herden nicht sieher aus- schliel3en.

Die durch Perlsuchtbaeillen hervorgerufene Lungenphthise des Er- waehsenen entsteht demnaeh zum Tell aus alten, in der Kindheit au] intestinalem Wegeentsta~wlenen Herden, zum Tell geht sie auf eine

Perlsuchtbaeillen als Erreger der Lungenschwindsucht. 311

aerogene Ansteckung zuriick, die wahrscheinlich nicht so selten in einem sp~teren Lebensalter erworben wird.

Munro betont nachdrfieklieh den relativ gutartigen Verlau] seiner Falle (cirrhotische Prozesse in den Lungen, Fehlen yon Kavernen bei den meisten Kranken).

Berficksichtigt man samtliche yon Munro und yon S. A. Grl]]ith beschriebenen Falle, so kann der Krankheitsverlau/keinesfalls als gfin. stig bezeichner werden, eher tr ifft das Gegenteil zu. Von den 21 Pa- t ienten der Tabelle finden wit keine Angabe fiber ihr weiteres Schick- sal nur in den 2 im Jahre 1911 yon S. A. Gri]/ith mitgeteilten FMlen (1 und 2 der Tabelle). Ein Kranker (5) endete dureh Selbstmord. Von den fibrigbleibenden 18 Kranken sind 8 gestorben (die Falle 4, 6, 8, 9, 12, 16, 17, 18). In einer kurzen Zusammenfassung gibt Grl//ith im ganzen 11 Todesf~lle an. Nur wenig gebessert sind die Pat ienten 15, 19, 20 und 21; bei 6 Kranken ist eine erhebliche Besserung des Zustandes im Protokoll vermerkt (3, 7, 10, 11, 13, 14). Die Beob- achtungszeit ist aber bei den meisten zur Zeit noeh lebenden Kranken zu kurz, um ein endgiiltiges Urteil fiber ihren Gesundheitszustand ab- geben zu k6nnen.

Interessant ist in den Fallen yon Gri//ith und Munro die auffallend haufige Kombinat ion yon Lungenphthise mit Knochentuberkulose (die Falle 4, 6, 10, 11, 19) und die mit Lupus (6 und 17). Auch in Fallen yon Tuberkulose der Knochen und Gelenke wie yon Lupus ohne Phthise der Lungen sind ja relativ haufig bovine Tuberkelbacillen nachgewiesen worden. Nun 1fimmt die Perlsuchtinfektion des Menschen ihren Aus- gang in der 1Regel yore Verdauungstractus, die mit humanen Bacillen meist yon den Lungen. Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dal~ der Ort, wo im K6rper die ersten tuberku16sen Veranderungen en~- stehen, die Eingangspforte des Erregers, ffir den Verlau/der In/ektion yon Bedeutung ist (vgl. die fo]genden Ausfiihrungen auf S. 313). M6glieherweise hangt mit solchen Eigentllmllchkelter~ des Krankheits- verlaufs naeh Perlsuchtinfektion das relativ h~ufige Befallenwerden der Knochen und Gelenke, vielleicht auch der Hau t zusammen. Es k/Snnten die beschriebenen Krankheitsformen nach Perlsuchtinfektion aber auch durch biologische Eigentiimlichkeiten des Erregertypus bedingt sein.

Von unseren Kranken sind 2 gestorben, beide ha t ten Kavernen, bei dem zur Sektion gekommenen l~a]l standen exsudat ive Verande- rungen in den Lungen im Vordergrund. Jedenfalls kann aus unseren Fallen ebensowenig wie aus den yon Gri//ith und Munro mitgeteilten auf eine geringere Pathogenitat der bovinen Tuberkelbaeillen fiir den Menschen gesehlossen werden.

Als Erklarung fiir die grol~e Zahl der in Sehottland beobaehte- ten Perlsuchtinfekbionen bei Lungenschwindsueht l~13r Munro lokale

312 B. Lange :

Bedingungen nicht gelten. Ich glaube, dab gerade lokale Ursachen die Hiufung soleher F~lle in Schottland am ungezwungensten erkliren, und auch S. A. Gri/]ith ist offenbar dieser Ansicht.

Bekanntlich sind auch bei anderen tuberkul6sen Erkrankungen des Menschen in Schottland ganz erheblich mehr bovine Tuberkelbaeillen ermittelt worden als sonst in der Welt. In Edinburgh land Fraser beispielsweise bei Kindern unter 5 Jahren yon 44 untersuchten Fi~llen yon Knoehen- und Gelenktuberkulose 32real, also in 72,72%, den Typus bovinus, bei ilteren Kindern bis zu 16 Jahren unter 20 F~llen 9real, also in 45% seiner FMle. Demgegenfiber sind naeh Moellers (s. oben) yon allen Autoren aus anderen Lindern zusammen bei Kin. der~ mit Knoehen- und Gelenktuberkulose nur 3 % bovine Infektionen festgestellt worden.

Die sehr hohen fiir Sehottland gefundenen Zahlen sind offenbar durch die weite Verbreitung boviner Infektionsquellen und die mangel- hafte hygienische Bealffsiehtigung der Milchversorgung in diesem Lande bedingt. Wenn Ansteekungen mit humanen Bacillen gegeniiber der Perlsuchtinfektion bei Kindern in Sehottland im Vergleich zu anderen Lindern so stark zuriiektreten, so hingt dies wolff damit zusammen, dal3 die Kinder in gewissen Gegenden Sehottlands oft schon in einem aehr/rid'hen :Lebensalter Ansteckungen mit Perlsuehtbaeillen erleiden, und dal3 infolge der hierdureh gewonnenen Immunit~t sp~tere Ansteekungen mit humanen Bacillea bei ihnen nicht mehr zur Herdbildung fiihren. Denn ein besonders starkes Zurfiektreten der humanen Infektions- quellen gegeniiber anderen L~ndern kommt fiir Seh0ttland nieht in Betraeht, d~ die Bterblichkeit an Lungenschwindsucht dort naehweis- lich nieht geringer ist als anderswo.

Bei der bekannten Neigung der Tuberkulose, oft noch naeh mehreren Jahren zu rezidivieren, kann es wolff keinem Zweifel unterliegen, daI~ dort~ we in der Kindheit oft Erkrankungen durch den Typus bovinus verursaeht werden, auch bei Erwachsenen sich eine gewisse H~ufung soleher Erkrankungen bemerkbar machen muB. Wahrscheinlieh sind aber in einem Lande, in dem bovine Ir~ektionsquellen so welt verbreitet sind, auch Ansteekungen yon Erwachsenen mit~ Perlsueh~baeillen hiu- tiger als in den L~ndern, we der kranke Mens~h die bei weitem wich- tigste, oft aussehliei~lieh wirkende Infektionsquelle darstellt.

I)ie Seltenheit des Vorkommens boviner Tuberkelbaeillen bei der Tuberkulose des Erwaehsenen ira Verglelch zur Kindertuberkulose glaubt Munro hauptsiehlich auf die Gutartigkeit der bovinen Infektionen beim Mensehen zurfickffihren zu k6nnen. Die Infektion bleibt naeh seiner Ansieht hi~ufig in den Lymphknoten der Eingangspforte (z. B. Halsdriisen) steeken und ftihrt nu r relativ selten zu generalisierter Tuberkulose. Ffir eine geringere Pathogeniti t der bovinen Tuberkel-

PerlsuehtlYaeillen als Erreger der Lungensehwindsueht. 313

bacillen fiir den Mensehen sprieht ja scheinbar der Umstand, dab Tu- berkelbacillen des bovinen Typus haupts~ehlich bei solchen Tuber- kuloseformen nachgewiesen worden sind, die erfahrungsgem~B einen gfinstigen Verlauf nehmen (Halsdriisentuberkulose, Lupus). Man daft aber nicht vergessen, dab bovine Tuberkelbaeillen vom ~enschen in der Regel ~er os aufgenommen werden, also mit besonders widerstands- f~higen Schleimh~uten des K6rpers in Berfihrung treten, w~hrend die humanen Tuberkelbaeillen haupts~ehlich die so ~uBerst ~uberkulose- empf~ngliehen L~ngen befallen. Will man auf Grund kliniseher Beob- achtungen am Mensehen ein Urteil fiber die Pathogenit~t boviner Tuberkelbaeillen abgeben, so daft man nur Lungeninfektionen dureh Perlsuchtbacillen mi~ Lungeninfektionen durch humane Bacillen und intestinale Irffektionen durch bovine mi~ intestinalen Iiffektionen durch humane Bacillen miteinander vergleichen. Wiirde man einen solchen Vergleich an der Hand eines gr6Beren Krankenmaterials durchfiihren, so wiirde man wahrseheinlieh grunds~tzliehe Untersehiede in der Pa- ~hogenit~t boviner und humaner Tuberkelbaeillen fiir den ~VIenschen nieht feststellen k6nnen. Was die Halsdriisentuberkulose betrifft, so ist noeh zu bemerken, da~ die isolierte prim~re Halsdriisentuberkulose ohne gleiehzei~ig bestehende primate D~rmtuberkulose, wie ich dies an anderer S~elle n~her ausgefiihr~ habe, wahrseheinlich noch deswegen so rela~iv giinstig verl~uft, well sie meist auf eine Infektion mit kleinen Bacillenmengen zurfickgeht.

Da sich aus den angeffihr~en Griinden der Organismus der bovinen Infektion im allgemeinen leichter erwehren kann, mfissen bei Ansteckun- gen mit Perlsuchtbaeillen aueh endogene Rein]ektionen, ausgehend yon alten tuberkulosen Kindheitsherden, im Erwachsenenalter mehr zu- riicktreten. Mir seheint diese Erkl~rung einleuchtender als die yon Gri]/ith gegebene, der zufolge die naeh primgrer intestinaler Infektion h~matogen entstandene Ltmgentuberkulose weniger leicht zur Phthise ffihren sell als die aerogene. Ich glaube nun, dab die Seltenheit boviner Tuberkulose des Erwaehsenen noeh darin begriindet ist, dab er, verglichen mit dem .Kinde, welt weniger Gelegenheit hat, sich durch Genufl in/izierter Kuhmilch anzusteckeu. Auf die Bedeutung der In- fektionen im sp~teren Lebensalter mSchte ieh an dieser Stelle nieht noeh eimnal eingehen und begniige reich damit, auf die yon mir beob- achteten Perlsuchtf~lle des Erwachsenen hinzuweisen, in denen die Erkrankung augenscheinlich auf eine S~itin]ekgon zuriiekzuffihren is~.

So gut wie bewiesen ist, wie erw~hnt, diese Annahme fib. den Fall, der zur Sektion gekommen ist. Es scheint mir nun beaohtenswert, dab sich bier offenbar an eine Erstin]ektr im Erwachsenenalter eine typ~scke Lungenschwindsuch~, nieht, wie naeh der Theorie von Roemer und Ranke zu erwar~en w~re, eine generalisierte Tuberkulose angeschlossen

314 B. Lange: Perlsuchtbaeillen als Erreger der Lungenschwindsucht.

ha t : wieder ein Beweis Iiir die weitgehende Unabhangigkeit des Krank- heitsverlaufs yon spezifisehen Immunit~tsvorg~ngen.

In ihrer Gesamtheit zeigen die oben mitgeteil ten Befunde, dab eine Perlsuchtinfektion als Ursache der menschlichen Lungenschwindsucht keineswegs so ext rem selten ist, wie allgemein angenommen wird. Frei- lieh bleibt der Anteil yon Perlsuchtfallen bei Lungensehwindsueht, wenn wir s~mtliche bisher untersuchten FMle zusammennehmen, immer noch sehr gering; er erreieht, selbst wenn man die Doppel- infektionen mitreehnet , noch night 2% (unter rund 1700 untersuehten F/illen 28 bovine).

Schlufls~tze.

1. I n 4 F~llen 1 wurden Perlsuchtbacillen im Auswurf an Lungen- schwindsucht erkrankter Erwachsener festgestellt, 3m~l in Rein- kultur, 1 mal mi t humanen Bacillen gemiseht. Gri//ith fand in England unter 327 phthisischen Personen 3 F~lle ~ 1% mi t Perlsuchtbacillen, in Sehott land erwiesen sich nach Gri]]ith und Munro 18 Falle yon Lun- genschwindsucht unter 468 untersuchten F~llen ~ etwa 3,9% als ,,bo- vine" Phthisis, darunter 1 Fall yon Misehinfektion.

2. I)iese Beobachtungen zeigen, dab die Ents tehung ,der Schwind- sucht auf dem Boden einer Perlsuchtinfektion keineswegs eine so SG1- tene Ausnahme darstellt, wie man noch heute allgemein annimmt.

3. W~hrend fiir einen grol~en Tell der F~lle aus GroBbritannien die Phthise als Rezidiv einer in der Kindheit, und ~war au/ intestinalem Wege erworbenen Erkrankung an Tuberkulose aufzufassen ist, h~ndel~ es sigh bei unseren Kranken, die Reinkulturen yon PerlsuchtlJaeillen im Sputum bat ten, nach der Anamnese um Anstec]cungen im Erwach- 8enenalter. Fiir einen Fall, d e n einzigen, bei dem eine Sektion gemacht worden ist, konnte dutch die Autopsie weder eine p r i m a t e intestinale Infekt ion noeh ein alter Pr im~rkomplex in den Lungen nachgewiesen werden. Die Phthise hatte sich vielmehr augenscheinlich an eine im Erwachsenenalter erworbene exogene Erstin/ ektion der Imngen angeschlossen.

4. I)~ in unseren 4 F~llen 3real die Anamnese zur Entdeckung der bovinen Bacillen im Sputum gefiihrt hat , w~re es yon Interesse, systema- tisch den Auswur] yon Schwindsiichtigen, deren Anamnese den Verdacht einer Anstec]cung an perlsuchtIcrankem Vieh recht]ertigt, au/ Perlsucht- bacillen zu untersuchen.

1 Wenn der erst vor kurzem ermittelte Fall boviner Infektion O. Pi. mit- gerechnet wird, sind es 5 F/ilIe. Die Zahl aUer bisher beobaehteten Falle betr~gt dann 29 yon 1700.