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WAS SCHIEFLÄUFT, WENN UNS DER JOB ERDRÜCKT – UND WAS HR DAGEGEN TUN KANN Viel zu viel! 17,50 Euro G 21212 ISSN 0341-4698 Art.-Nr. 07720906 +++ Special: Zeitarbeit +++ Technik & Tools: Kostenlose Software im Fokus +++ +++ Studie: Flexibilität macht Jobs attraktiv +++ Interview: HR im öffentlichen Dienst +++ www.personalwirtschaft.de Das Magazin für den Job HR Personal wirtschaft 06 2019 INKLUSIVE SONDERHEFT: Betriebliches Gesundheits- management

Personalwirtschaft 2019...wird die Generation Z (nennen wir sie der Einfachheit halber so, auch wenn der Begriff eine reine Luftblase ist) an den Punkt kommen, an der sich ihr Ver-halten

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WAS SCHIEFLÄUFT,

WENN UNS DER JOB ERDRÜCKT –

UND WAS HR DAGEGEN TUN KANN

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+++ Special: Zeitarbeit +++ Technik & Tools: Kostenlose Software im Fokus ++++++ Studie: Flexibilität macht Jobs attraktiv +++ Interview: HR im öffentlichen Dienst +++

www.personalwirtschaft.de

Das Magazin für den Job HRPersonalwirtschaft 06 2019

INKLUSIVE SONDERHEFT:

Betriebliches

Gesundheits-

management

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EDITORIAL

So gestresst und so privilegiert

Kürzlich besichtigte ich mit meinem älteren Sohn ein stillgelegtes Eisenerzberg-werk, und nicht nur dem Sechsjährigen stand dabei vor Staunen der Mundoffen. Die Arbeit in der klammen Luft 200 Meter unter der Erde machte dieBergmänner damals schwerhörig, schwindsüchtig und krebskrank, kaum einerwurde älter als Mitte 50. Um den Fahrkorb in die Grube zur Frühschicht umfünf Uhr morgens zu erwischen, brach mancher drei Stunden zuvor auf –schließlich musste er bis zu 13 Kilometer zur Arbeit gehen, im Winter durchSchnee und Eis. Das Ganze sechsmal pro Woche.

Steigt man aus der Grube blinzelnd zurück ins Hier und Jetzt, erscheinen auch die Sorgen, über die heutige New Worker klagen, in anderem Licht:Wachstumsdruck, Kostendruck, Veränderungsdruck. Digitalisierung, VUCA,Ambidextrie. Meetingmarathon, Buzzword Bingo, Hamsterrad. Irre Chefs, faule Mitarbeiter, bekloppte Kollegen. All das zehrt an den Nerven und zerrt an der Seele. Aktuell ist mehr als jede dritte Berufsunfähigkeit psychischbedingt. Jeder zweite Arbeitnehmer würde gern weniger arbeiten, wenn esdenn ginge.

Dabei macht nicht das bloße Zuviel an Arbeit krank, sagt der Arzt und Hirn-forscher Tobias Esch. „Es kommt auf die Inhalte an, auf die Frage, ob ich michin und bei der Arbeit in dem, was ich tue, wiederfinde, ob ich authentischarbeiten kann und eine Führungskultur und ein Umfeld vorfinde, in denenauch meine Stärken gesehen und weiterentwickelt werden.“ Sind diese Aspektenicht gegeben, laufen wir Gefahr, uns zu verrennen und zu überfordern.

Unzufriedenheit und Überlastung am Arbeitsplatz haben viele – teils miteinan-der verknüpfte oder voneinander abhängige – Ursachen. Wir thematisiereneinige davon hier im Heft: Neben einer umfassenden Analyse bietet unsereTitelstrecke Interviews und Fallbeispiele (Seiten 22 bis 33), außerdem beleuchten wir generationale Perspektiven (Seiten 6 und 7) oder die Rolle der Führungskraft (Seiten 52 und 53).

Auch wenn sich dieses große Thema nicht abschließend behandeln lässt: Es diskutieren zu können, ist – bei allen Klagen über die rasante, rabiate, rationalisierte Arbeitswelt 4.0 – ein Privileg. Eines, das der Bergmann auf seinem Heimweg, mit pfeifenden Ohren und rasselnder Lunge, nicht hatte.

Cliff LehnenChefredakteur

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Personalwirtschaft 06_2019 3

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INHALT

3 EDITORIAL Zeichen der Zeit: Trotz aller Privilegien sind wir verdammt gestresst6 STILKRITIK Liegen die Generationen Y und Z im Clinch? Eine unsinnige Debatte7 ZAHLEN, BITTE Die jungen Arbeitnehmergenerationen im Statistikvergleich8 EINBLICK Warum der Brexit quer durch Europa Jobangst verbreitet

HR & ICH

10 ZOOM Aufregung um die Arbeitssprache bei BMW12 PRAXISTRANSFER Was HR tun kann, damit Mitarbeiter langfristig bleiben 14 CASE STUDY Wie Akquinet Führungskräfte in emotionaler Kompetenz schult18 LEBENSLAUF Udo Keuchen: Personaler mit bewegtem Arbeitsleben20 INTERVIEW EY-Experte Peter Härzke über HR-Wandel im öffentlichen Dienst

TITEL: VIEL ZU VIEL ARBEIT

22 ÜBERBLICK

24 ANALYSE Reden wir über Vollstress – und Vorbeugung 26 INTERVIEW Siemens-Experte Ulrich Birner und die Stigmatisierung psychischer Gesundheit 30 FOKUS Hier Work, da Life? Beides fließt zusammen, erklärt Jutta Dreyer33 NACHGEFRAGT DGFP-Geschäftsführerin Norma Schöwe über Belastung in HR

RECHT & POLITIK

34 FACHBEITRAG Die Tücken der Arbeitszeiterfassung36 ANALYSE Was ein neues Befristungsrecht bedeuten würde39 SKURRILER FALL AGG-Klagen eines Anwalts in eigener Sache

SPECIAL: ZEITARBEIT

40 FOKUS Lohnlücke zwischen Zeitarbeitern und Stammangestellten44 ANALYSE Kritische Stimmen zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz

TECHNIK & TOOLS

48 FACHBEITRAG Was leistet kostenlose Software?51 UPDATE Software und Dienstleister für den Job HR

FORSCHUNG & LEHRE

52 STUDIE Gute Beziehung zur Führungskraft: Schlecht für die Gesundheit? 54 STUDIE Jobs werden attraktiver, je flexibler sie gestaltet sind

EVENT & SZENE

58 SESSELWECHSEL HR-Personalien und die Geschichten dahinter60 TREFFPUNKT Avira-HR-Chefin Anja Michael über künstliche Intelligenz in HR

62 STELLENMARKT Aktuelle Jobs für Personalmanager64 HR BUZZWORD BINGO High Potentials: Das Potenzial ist nicht egal65 VORSCHAU Was Sie in der Juli-Ausgabe erwartet65 IMPRESSUM

66 BLICK VON AUSSEN Psychologe Jens Hoffmann über Gewalt im Job

PERSONALWIRTSCHAFT 06_2019

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STILKRITIK

u Sind Sie ein Millenial? Fühlen Sie sich in jüngsterZeit bedroht oder verfolgt? Schleicht Ihnen eineWollmütze tragende 16-Jährige nach, die Sie füreine Umweltkampagne gewinnen will? Odersitzt eines Morgens gar ein umwerfend gutgekleideter Instagram-Star in Ihrem Büro, derSie mit einer lässig-selbstbewussten Handbe-wegung des Unternehmens verweist? Falls ja,dann befinden Sie sich mitten drin im neuestenKonflikt, der derzeit auf die Agenda drängt: die Angstder Generation Y vor der Generation Z.

Letztere, so will es zumindest die Medien- und Ex perten-Mär, lässt die in den vergangenen Jahren ähnlich ge hypteGeneration Y gnadenlos alt aussehen. Die Generation Z,also die etwa zwischen 1997 und 2005 Geborenen, gingeohne Zukunftsängste und „mit einer durch den hartenLike-Kampf gestählten Selbstsicherheit durchs Leben“,hat es unlängst ein Autor der Zeitung „Die Welt“ beschrie-ben. Die „Wirtschaftswoche“ sieht die Gefahr, dass Unter-

nehmen die Mitarbeiter und Kunden der Zukunftverlieren, falls sie nicht schleunigst verstehen,

wie die „Generation Greta“ tickt: tech-nikaffin bis ins Mark und mit reichlichSelbstbewusstsein ausgestattet auf dereinen Seite, auf eine strikte Trennungvon Privatleben und Beruf pochendsowie mit reichlich Freizeitbedarf ver-

sehen auf der anderen. Versteh einerdie Jugend.

Zugegeben: Die eingangs beschriebenen Beispielesind natürlich gnadenlos überzogen, sollen das Ganze abernicht ins Lächerliche ziehen. Dafür ist das Thema zu ernst.Allerdings geht es weniger um den(vermeintlichen) Generatio-nenkonflikt selbst als viel-mehr um die unseligeDebatte zum Thema„Junge Mitarbeiter sindeinfach besser, weil selbst -bewusster und tech nik -

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Das Märchen vom GenerationenkonfliktDer neueste HR-Hype ist da: Die Generationen Y und Z liegen schwer im Clinch.

Doch die Debatte ist Unsinn – und geht am eigentlichen Problem vorbei.VON SVEN FROST

affiner“. Dabei ist die These, ein jüngererBewerber sei qua Alter qualifizierter

und besser auf die Herausforderun-gen des 21. Jahrhunderts eingestellt,längst widerlegt, die Altersschub-lade hat ausgedient. Und umTrends am Arbeitsmarkt frühzeitig

prognostizieren zu können, ist dieGenerationenaufteilung ebenfalls

ungeeignet.

Der Punkt ist ein ganz anderer: Der Graben verläuftnicht zwischen den Generationen – seien es X, Y oderZ –, sondern zwischen Adaptern und Non-Adaptern.Technikaffinität, geistige Beweglichkeit und eine wenigerim Hierarchischen als im Teamgedanken verhafteteArbeitsethik sind keine Generationenfrage. Selbstbe-wusstsein ist kein Vorrecht der Jugend, sondernsollte für alle Altersklassen eine Selbst-verständlichkeit sein. Irgendwannwird die Generation Z (nennenwir sie der Einfachheit halberso, auch wenn der Begriff einereine Luftblase ist) an den Punktkommen, an der sich ihr Ver-halten und ihre Werte ändern.Um das Generationen klischee aufdie Spitze zu treiben: Aus GenerationZ wird Generation Y, aus Generation Ywird Generation X.

Nun mag der geneigte Leser einwenden, dass sich auchdie „Personalwirtschaft“ hier und da der Generationen-analyse und -differenzierung gewidmet hat.Stimmt. Allerdings haben wir immerdarauf geachtet, das Thema miteiner gesunden Skepsis anzuge-hen und auch kritische Stimmenzum Thema zugelassen. Gene-rationen-Gap? Gibt’s nicht. Agi-litäts-Gap? Gibt’s. Und der istkeine Frage des Alters. p

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Was trennt eigentlich die Generationen Y und Z? Eine aktuelle Studie zeigt: gar nicht mal so viel. Ein paar Unterschiede gibt es dann aber doch.

Mehr Verbindendes als Trennendes

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72

58

65

62

53

64

Generation ZGemeinsamkeiten …

Generation Y

Prozent legen Wert auf eine gute Balance von Arbeit und Freizeit

Prozent erwarten von einem Arbeitgeber eine gute Arbeitsatmosphäre

Prozent machen sich Gedanken über dielangfristige Sicherheit ihres Arbeitsplatzes

Prozent sind mit ihrer schulischen/beruflichen Situation zufrieden

… und Unterschiede

Prozent nennen Spaß als größte Motivation für Leistung

n=1007Quelle: Studie „Junge Deutsche 2019“, Simon Schnetzer, 2019

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EINBLICK

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Bad DealWegen des Brexits macht sich jeder fünfte Arbeitnehmer in Europa Sorgen um seinen Job.Vor allem junge Menschen in Südeuropa sehen sich um Chancen und Perspektiven beraubt –und nicht zuletzt um eine gemeinsame Idee.

u Für politischen Protektionismus gilt das Gleiche wie für zwi-schenmenschlichen Egoismus: Den wenigsten Einzelgängernsind die Wirkungen ihres Nonkonformismus für die Allgemein-heit bewusst. So hat die Entscheidung Großbritanniens, die EUzu verlassen, zu großer Unsicherheit unter Arbeitnehmern gesorgt– und zwar nicht nur auf der Insel, sondern quer durch Europa.Das belegt die jüngst erschienene ADP-Studie „The WorkforceView in Europe 2019“, für die über 10 000 europäische Beschäftigtebefragt wurden. Ein Fünftel von ihnen fürchtet, der Brexit könneihren Job (20 Prozent) oder ihr Unternehmen (22 Prozent) beein-trächtigen. Bemerkenswert: Besonders besorgt über die Brexit-Auswirkungen zeigen sich die jüngeren Arbeitnehmergenera-tionen (siehe auch Seiten 6 und 7).

In Großbritannien fürchtet fast jeder zweite Beschäftigte, dass derBrexit die eigene Arbeit negativ beeinflusst (46 Prozent). Dochauch in Italien (26 Prozent) und Spanien (23 Prozent) machensich viele Arbeitskräfte Sorgen um ihren Job – möglicherweise,mutmaßen die Studienautoren, „aufgrund der nun eingeschränk-teren Beschäftigungsmöglichkeiten, die sich durch den freienWaren- und Dienstleistungsverkehr nach Großbritannien ergeben“.Die Befürchtungen der jungen Südeuropäer sind nachvollziehbar:In beiden Ländern liegen die Jugenderwerbslosenquoten jüngstenEurostat-Zahlen zufolge über 30 Prozent. (cl) p

Weitere Zahlen und Daten zum Thema unter www.de-adp.com/ sowie unter www.ec.europa.eu/eurostat

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Beschäftigte in Europa, die sich sorgen, dass ihre Arbeit vom Brexit negativ beeinflusst wird

Niederlande

7 %

Schweiz

8 %

Deutschland

14 %

Frankreich

16 %

Polen

18 %

Spanien

23 %

Italien

26 %

Großbritannien

46 %

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u „Türkisch-Verbot für Mitarbeiter in BMW-Abteilung“, „Vor-arbeiter verpasst Deutsch-Türken einen Maulkorb“. Mitte Märzkochte die Volksseele, als Blätter wie „Bild“ und „Stern“ reißerischüber einen Vorfall beim Autobauer in München berichteten.Während die Pressestelle sich redlich mühte, etliche Anfragenvon Journalisten aus aller Welt zu bewältigen und den Sachverhaltaus Unternehmenssicht einzuordnen, schwappte in den sozialenNetzwerken eine Woge der Entrüstung über den Konzern hinweg.

Was war geschehen? Ein Vorarbeiter der Abteilung Fahrzeug-aufbereitung, in der verkaufsfertig angelieferte Boliden unmittelbarvor Übergabe an Kunden von Sicherheitsfolien befreit und aufHochglanz poliert werden, soll den Mitarbeitern seiner Schichtvorgeschrieben haben, Deutsch zu sprechen. Wie es seinerzeithieß, wollte die Führungskraft damit verhindern, dass Beschäftigtein ihrer Landessprache über andere der Sprache nicht mächtigeKollegen lästern. Darauf beschwerten sich die so gemaßregeltendeutsch-türkischen Facharbeiter wiederum umgehend beimBetriebsrat, der eine offizielle Note ans Management richtete undsich offensichtlich parallel auch an die Presse wandte.

Ein kommunikationspolitisches Desaster stand BMW unmittelbarbevor. Allein in den Münchner Werken beschäftigt der erfolgreicheKonzern, der erst jüngst jedem Facharbeiter 9175 Euro als Jah-resprämie überwies, etwa 8000 Menschen aus 50 Nationen. DieseVielfalt, dieses Miteinander verschiedener Kulturen und Natio-nalitäten seien ihm wichtig, betont der Autobauer auf der Home-page: „Wir tolerieren Diskriminierung keinesfalls.“ Für die betrof-fenen deutsch-türkischen Facharbeiter musste das wie Hohnklingen.

Im 22-stöckigen Headquarter des bayrischen Autobauers schlugnun die Stunde der Aufklärer. Während HR Business Partnerumgehend ausschwärmten, um in der betroffenen Abteilung im

HR & ICH ZOOM

Gespräch mit Führungskräften und Mitarbeitern den Vorwürfenauf den Grund zu gehen, bekräftigte Personalvorständin MilagrosCaiña Carreiro-Andree in einer eilends einberufenen Betriebs-versammlung die Position des Konzerns. Niemandem, betontesie leidenschaftlich, werde von BMW untersagt, Privatgesprächein seiner Muttersprache zu führen. Und wo in sozialen Mediender Shitstorm besonders wütete, ergriffen Akteure aus HR, PRund Legal entschieden das Wort, um die erhitzten Gemüter soweit irgend möglich zu besänftigen – auch auf Türkisch.

Wenige Wochen nach dem Vorfall, so die Bilanz, scheint die kon-zertierte Aktion offensichtlich Früchte zu tragen. Laut Jochen Frey,BMW-Pressesprecher für Wirtschafts- und Personalthemen, hättendie von HR veranlassten Untersuchungen zweifelsfrei ergeben,dass Mitarbeitern anders als behauptet keineswegs verboten wordensei, Privatgespräche in ihrer Muttersprache zu führen. Vielmehrsei darum gebeten worden, „bei arbeitsbezogenen Gesprächenstets dann Deutsch zu sprechen, wenn verschiedene Nationalitätenzusammenarbeiten“. Nur so könne sichergestellt werden, dass„alle den gleichen Wissensstand haben“. Die Vorgabe oder – wieFrey es ausdrückt – „die Bitte“ bezog sich demnach ausdrücklichauf Arbeitsgespräche. Wie in Pausen miteinander kommuniziertwerde, sei davon unmissverständlich ausgenommen gewesen.

Im Nachhinein betrachtet, lehrt der Kasus BMW vor allem dies:Sitzen Profis am Steuer, muss eine binnen weniger Minuten auf-brausende mediale Erregung nicht unweigerlich zum Dauerzu-stand werden. Unternehmenskommunikation und HR trugendem Vernehmen nach in anscheinend enger Abstimmung vor-bildlich zu Deeskalation und schneller Aufklärung bei. Tatsächlichhaben Großunternehmen für solche „PR-Krisensituationen“ nor-malerweise von langer Hand vorbereitete, detaillierte Maßnah-menkataloge in den Schubladen liegen. So blieb der AutobauerHerr des Geschehens. p

Sprachwirrwarr bei BMWWie am Arbeitsplatz und in der Kantine miteinander gesprochenwird, ist nicht dem Belieben von Beschäftigten zu überlassen.Unternehmen sollten sich klarer Vorgaben bedienen – und scharfzwischen den Kommunikationsebenen unterscheiden. VON WINFRIED GERTZ

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Worum geht es?Unbedingt zwischen Arbeits- und Betriebssprachetrennen

Wie wird der Gebrauch einer bestimmten Sprache am Arbeitsplatzgeregelt, wenn im Unternehmen Beschäftigte aus zahlreichenNationen tätig sind? Wählt der Arbeitgeber im Rahmen seinesDirektionsrechts Deutsch, sei das gegenüber ausländischen Arbeit-nehmern „keine Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleich-behandlungsgesetz (AGG)“, erklärt Tobias Neufeld, Anwalt fürArbeitsrecht in Düsseldorf. Deutsch ist also verbindliche Ver-trags- und Arbeitssprache, die für mündlich oder schriftlicherteilte arbeitsbezogene Weisungen des Arbeitgebers gilt. Anders verhält es sich bei der Betriebssprache: wie also jenseitsder eigentlichen Arbeit, zum Beispiel in der Kantine oder inPausen, im Unternehmen gesprochen wird. „Hier spielen diePersönlichkeitsrechte der Mitarbeiter eine deutlich gewichtigereRolle“, sagt Neufeld. Zudem obliegt dem Betriebsrat an dieserStelle ein „zwingendes Mitbestimmungsrecht“. Kommt es durchVerwendung einer anderen Sprache, worauf es im BMW-Falloffenbar hinauslief, zu Persönlichkeitsverletzungen von Mitar-beitern – beispielsweise, indem auf Türkisch gelästert wurde –,kann Neufeld zufolge im Einzelfall ein betriebliches Erfordernisvorliegen, das die Festlegung von Deutsch als einheitlicher Betriebs-sprache „in begrenztem Umfang“ rechtfertigt.

Woran hakt es?Relevanz von Diversity für Sprachregelungen wirdüberschätzt

Brisant am BMW-Beispiel ist die Verknüpfung von arbeitsrecht-lichen und kulturpolitischen Aspekten. Schreibt sich ein Unter-nehmen Diversität auf die Fahnen, kann es sich keine Ausrutscherim Umgang mit seinen Beschäftigten erlauben. Tatsächlich sinddie Themen Interkulturalität und Arbeitssprache strikt zu trennen.Damit Betriebsabläufe funktionieren, ist eine einheitliche Sprach-regelung die Voraussetzung. „Das war in diesem Fall Deutsch“,sagt Neufeld. „Weil es einen deutschen Standort des Unternehmensbetraf, darf angenommen werden, dass die meisten MitarbeiterDeutsch sprechen.“ Da Deutsch für die meisten von ihnen zudemMuttersprache ist, sei der Streit über die gesprochene Spracherechtlich nicht relevant.

Worauf kommt es an? Mitarbeiter auf internationales Umfeld vorbereiten Damit am Arbeitsplatz ebenso sachorientiert wie rei-bungslos kommuniziert werden kann, sollten Unter-

nehmen in Abstimmung mit ihren Betriebsräten verbindlicheSprachregelungen für die Beschäftigten treffen, zur Sicherheitauch in Gestalt von Betriebsvereinbarungen. Das gilt besondersin internationalen Arbeitsumgebungen und auch für die meistinterkulturellen Arbeitswelten der Zukunft. Wie Neufeld beob-achtet, ruft an deutschen Standorten nicht Deutsch, sondernEnglisch als offizielle Sprache bisweilen Ängste unter Beschäftigtenhervor. Tatsächlich scheint es in global agierenden Unternehmenaber keine Alternative dazu zu geben, jedenfalls nicht bei derAußendarstellung, der Kundenkommunikation oder der internenVerständigung. Deshalb alle internen Papiere, Pläne, Richtlinien und Arbeits-ordnungen zugleich in deutscher und anderen Landessprachenvorzuhalten, ist jedoch unverhältnismäßig und zudem gesetzlichnicht definiert. Eine Ausnahme ist Frankreich, wo genau dieszwingend vorgeschrieben ist. Allerdings sollte der Arbeitgeber seinen Mitarbeitern dann auchdas Sprachrisiko weitgehend abnehmen, so Neufeld. Fortbildun-gen, Übersetzungshilfen und „auch ein gewisser Bestandsschutz“für die Beschäftigten können sie dabei unterstützen, in die neueSprachwelt zu wechseln. Unmissverständlich stellt der Rechts-experte jedoch fest: „Arbeitssprache darf nicht zum Restruktu-rierungshebel werden.“ Lediglich wenn Mitarbeiter Sprachfort-bildungen verweigern, „können mangelnde Sprachfähigkeitenauch Kündigungen rechtfertigen“. p

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„Arbeitssprache darfnicht zum

Restrukturierungshebelwerden.“

Tobias Neufeld, Anwalt für Arbeitsrecht

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u Eine schwächelnde Weltkonjunktur, ein unklarerVerlauf des Brexits und Handelskonflikte bereiten derexportabhängigen Industrie in Deutschland zunehmendBauchschmerzen. Nach bisherigen Prognosen des Insti-tuts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)erreicht das Wirtschaftswachstum nicht das Level dervergangenen Jahre. Demgegenüber steigt die Beschäf-tigungsrate stetig in die Höhe – wenn auch langsamer.Die Personalberatung Page Group befragt Kandidatenaus zwölf Ländern in Kontinentaleuropa jedes Quartalnach ihrer Einschätzung der aktuellen Wirtschafts-und Arbeitsmarktlage und ihren Motiven für die Job-suche. Die Ergebnisse des Bewerber Index im viertenQuartal 2018 für Deutschland zeigen die Herausfor-derungen für HR-Abteilungen und geben Anhalts-punkte zur Verbesserung.

1 Wer im Bereich Personal vorschnelle Entschei-dungen trifft, verliertFakt: 85,1 Prozent der Arbeitnehmer, die im Rahmendes Bewerber Index befragt wurden, erwarten keineVerschlechterung der Wirtschaftslage in den kommen-den sechs Monaten. Gleichzeitig gehen 85,9 Prozentvon einer weiterhin positiven Arbeitsmarktsituationim nächsten Halbjahr aus. Transfer: Offensichtlich zeigt sich ein Großteil der Stu-dienteilnehmer von den sich verschlechternden Wirt-schaftsprognosen unbeeindruckt. Nach wie vor schätztdie Mehrheit der Arbeitnehmer ihre Chancen auf demKandidatenmarkt als sehr gut ein und macht sich keineSorgen um die berufliche Zukunft. Spezialisten und

High Potentials, die sich ihres Marktwerts bewusst sind,können sich ihr Wunschunternehmen in der Regel aus-suchen. Stimmen dort die Bedingungen nicht, ist dieHürde, den Arbeitgeber zu wechseln, deutlich geringerals noch vor einigen Jahren. Dennoch sollten sich Per-sonaler auf dem hart umkämpften Bewerbermarkt nichtzu vorschnellen Personalentscheidungen verleiten las-sen. Um richtige und fundierte Entscheidungen zu tref-fen, sollten sie sich bewusst Zeit für die Auswahl derKandidaten lassen und sich die Frage stellen: Passt derBewerber wirklich zur Unternehmenskultur und insTeam? Zu oft werden aus der Not heraus Mitarbeitereingestellt, die nach einer kostenintensiven Einarbei-tungsphase womöglich noch innerhalb der Probezeitdas Unternehmen wieder verlassen. Zu kurz denktauch, wer sich bei der Personalplanung von wirtschaft-lichen Schwankungen leiten lässt und auf Neueinstel-lungen verzichtet. Gerade in unvorhersehbaren Zeitensollten Personalentscheidungen langfristig und strate-gisch angelegt sein.

2 Facettenreichtum bei der Mitarbeiterbindungzahlt sich ausFakt: 53,9 Prozent der befragten Jobsuchenden gehendavon aus, dass sie in weniger als drei Monaten einenneuen Job finden werden.Transfer: Arbeitnehmer rechnen mit einer kurzen Job-suche. So spielen unzufriedene Mitarbeiter heute schonfrüher mit dem Gedanken an eine Kündigung. Undauch, wenn es immer noch häufig heißt, dass jeder Mit-arbeiter zu ersetzen ist, ist die Ausschreibung einerStelle für Unternehmen in der Regel mit einem hohenZeit- und Kostenaufwand verbunden. Der Fokus vonHR-Verantwortlichen muss heute also gleichermaßenauf der Stärkung der Mitarbeiterbindung als auch aufder Rekrutierung neuer Talente liegen. Das fängt beider Gestaltung des Onboarding-Prozesses an und hörtmit dem Angebot an individuellen Zusatzleistungen

Investitionen in Mitarbeiter zahlen sich ausDas Wirtschaftswachstum schwächelt, doch immer noch haben Arbeitnehmer eine gute Positionim Bewerbermarkt. Was bedeutet das für die Personalplanung der Unternehmen und mit welchenStrategien sollten Personaler auf diese Lage reagieren?

Der „Bewerber Index“ der Personalberatung Page Group beruht auf Antworten von 5243 Kandidaten aus zwölf Ländern in Kontinentaleuropa und gibt die Gesamtzuversicht eines Landes wieder. In Deutschland hat der Bewerber Index im vierten Quartal 2018 einen Wert von 70 Prozent erreicht. Insgesamt 518 Kandidaten, die sich für eine Position über die Webseiten von Michael Page oder Page Personnel beworben haben, nahmen in Deutschland an der Befragung im vierten Quartal 2018 teil.

HR & ICH PRAXISTRANSFER

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Die Studie

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4 Transparente Kommunikation verbessert dasArbeitsklima und beweist FührungskompetenzFakt: Für 96,7 Prozent der Befragten stellt das Arbeits-klima einen wichtigen Faktor im Berufsleben dar. Transfer: Ein gutes Arbeitsklima wird im Wesentlichendurch das Verhältnis zu Vorgesetzten und Teamkol-legen bestimmt. Kommunikation ist ein Thema, dasdabei häufig unterschätzt wird. Gerade in Zeiten vonkonjunkturellen Schwächephasen ist sie aber entschei-dend, um ein gutes Arbeitsklima aufrechtzuerhalten.Es gilt: Lieber die Tatsachen auf den Tisch legen undeinordnen, als Mitarbeiter zur aktuellen Unterneh-menssituation im Dunkeln tappen zu lassen. Die rich-tige Dosis Transparenz schafft klare Fakten, stärkt dasWir-Gefühl und verhindert unnötig schlechte Stim-mung im Team. Sie umfasst eine Kommunikation aufAugenhöhe, eine schnelle Reaktion auf Anfragen, Kri-tikfähigkeit und eine konstruktive Feedbackkultur.Zuhören ist das eine, Feedback ernst nehmen das ande-re. Fühlt man sich vom Chef ungerecht behandelt oderübergangen, sorgt das für Unmut, welcher sich wie-derum negativ auf das Gesamtarbeitsklima auswirkt.Wenn Mitarbeiter also über eine schlechte Work-Life-Balance klagen, können zwei Urlaubstage mehr proJahr nicht die einzige Antwort sein. Die sind natürlicheine gute Sache, lösen aber das Kernproblem nichtund schaffen die Unzufriedenheit damit nicht aus derWelt. Auch Konflikte innerhalb des Teams solltenoffen angesprochen und gelöst werden.

Fazit: Mitarbeiter sind das wertvollste Kapital für Unter-nehmen. Diese für sich zu gewinnen, ist jedoch nur dieeine Seite der Medaille. Viel schwieriger gestaltet essich heute aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten aufdem Arbeitsmarkt, diese auch zu halten. Gefordert sindgezielte Initiativen, Anreize und innovative Ansätze.Und auch, wenn solche Maßnahmen mit zusätzlichenKosten für das Unternehmen verbunden sind: Legtman Kosten und Nutzen auf die Waagschale, zeigt sich,dass sich die Investitionen langfristig auszahlen. Umsowichtiger ist es, dass Personaler eine größere Bera-tungsfunktion gegenüber der Geschäftsführung über-nehmen. Auf dem Weg, alte Unternehmensstrukturenund Herangehensweisen umzukrempeln, bedarf es fähi-ger Personaler mit viel Fingerspitzengefühl und Durch-setzungskraft. p

auf. Ein strukturierter Einarbeitungsplan sowie ein per-sönlicher Mentor tragen dazu bei, dass sich neue Mit-arbeiter von Anfang an willkommen fühlen. Zudemkönnen Initiativen, die zur individuellen Lebenssituationder Mitarbeiter passen und den Arbeitsalltag angeneh-mer gestalten, die Bindung zum Arbeitgeber fördern.Viele Unternehmen bieten mittlerweile zum Beispielkostenloses Frühstück, zeit- und ortsunabhängigesArbeiten, Überstundenausgleich, Fitnesskurse währendder Arbeitszeit sowie eine kostenlose Kinderbetreuungan. Die Möglichkeit, ein Sabbatical einzulegen, ist beiMitarbeitern ebenfalls beliebt.

3 Mit Perspektiven und gezielten Weiterbildun-gen bei Bewerbern punktenFakt: Als Gründe für die Jobsuche geben 47,6 Prozentder Befragten den Wunsch nach der Weiterentwicklungihrer beruflichen Fähigkeiten und 31,5 Prozent fehlendeKarriereperspektiven an. Dementsprechend gehörenfür 89,2 Prozent berufliche Weiterentwicklungsmög-lichkeiten zu den wichtigsten Faktoren im Berufsleben– neben einem spannenden Aufgabenfeld (92,1 Prozent)und dem Gehalt (89,8 Prozent). Transfer: Seien es Gehalt, Work-Life-Balance oder Auf-stiegsmöglichkeiten – ob ein Mitarbeiter mit seinerStelle zufrieden ist, hängt vom Zusammenspiel mehrererFaktoren ab. Zentraler Punkt ist aber das Angebot anWeiterbildungsmöglichkeiten. „Werde ich gezielt gefor-dert und gefördert?“, „Lerne ich den Umgang mit neuendigitalen Tools?“, „Kann ich mich persönlich entfaltenund auch Kompetenzen in anderen Bereichen sam-meln?“ – Fragen, mit denen sich Jobsuchende beschäf-tigen. Ob Jung oder Alt, niemand möchte heutzutagesein Leben lang dasselbe machen, sondern mit der sichschnell wandelnden Arbeitswelt und den neuen Auf-gaben, die sich dadurch ergeben, Schritt halten. FürUnternehmen gilt es daher, ein strukturiertes und geziel-tes Weiterbildungsprogramm auf die Beine zu stellen,das Praktikanten und Trainees einschließt, aber auchPersonalverantwortliche selbst. Dass sie die fachlicheund persönliche Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiterernst nehmen, können Arbeitgeber beispielsweisedadurch zeigen, dass sie Fortbildungsmaßnahmeninnerhalb der persönlichen Zielvereinbarungen fest-halten. Ein weiterer guter Ansatz ist es, die Kultur- undLeistungsträger, Spezialisten und Talente im Unter-nehmen zu befähigen, ihr Wissen aktiv weiterzugeben.Sie haben durch ihre Kompetenz und Erfahrung einenbesonderen Anteil am betrieblichen Erfolg und könnenden nötigen Spirit an ihre Kollegen übertragen.

Goran Barić, Geschäftsführer,PageGroup Deutschland, Frankfurt am Main, [email protected]

AUTOR

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HR & ICH CASE STUDY

Personalwirtschaft 06_2019

1. Der Hintergrund

uDie Akquinet AG ist das größte eigentümergeführteIT-Unternehmen im deutschsprachigen Raum. Es ent-wickelt IT-Lösungen für Kunden verschiedener Bran-chen. Entscheidend für den langfristigen Erfolg desUnternehmens ist die Fach- und Beratungskompetenzder Mitarbeiter. In Zeiten akuten Fachkräftemangels ist es für das Unter-nehmen deshalb eine Schlüsselaufgabe, die Mitarbeiterlangfristig zu binden, zu motivieren und zu begeistern.Trotz flacher Hierarchien und viel Entscheidungsspiel-raum des Einzelnen spielt dafür die Führungskraft eine

zentrale Rolle. Mitarbeiter verlassen nicht Unternehmen,sie verlassen Führungskräfte, so eine Grundüberzeugungder Personalabteilung. Deshalb ist es wichtig, die Füh-rungskräfte zu befähigen, Mitarbeiter zu halten.Akquinet legt Wert auf einen situativen Führungsstil.Die situative Führung basiert auf der Annahme, dasses keinen allgemeinen besten Führungsstil gibt, sonderndass Chefs auf unterschiedliche Situationen und Mit-arbeiterpersönlichkeiten individuell reagieren müssen.Aber wie sollen die Führungskräfte lernen, situativ zuführen, also für jede Situation und jedes Mitarbeiter-bedürfnis die richtige Ansprache zu wählen? Die Geschäftsführung und Personalabteilung vonAkquinet sind zu der Erkenntnis gekommen, dass esdafür einer Kultur offener Emotionalität bedarf. Dasbedeutet, dass die Mitarbeiter auf allen Hierarchieebenenihre Gefühle zu bestimmten Projekten, Entscheidungenoder auch Veränderungen zeigen dürfen. Dass sie sichtrauen, Wut, Enttäuschung oder Ängste genauso wieFreude und Begeisterung zu artikulieren. Denn nur sohat die Führungskraft eine Chance auf eine produktivesituative Führung: Wenn sie erkennt, wie es ihren Mit-arbeitern geht und was sie akut benötigen.

Mit dem Mut, sich zu zeigenEin Schlüsselelement moderner Führung ist es, die Bedürfnisse von Mitarbeitern zu erfassen und zumoderieren. Ein Training in emotionaler Kompetenz, darauf weist das Beispiel Akquinet hin, kann dasHandlungsspektrum aller Beteiligten erweitern und die Firmenkultur verändern.

Akquinet ist ein international tätiges IT-Beratungsunternehmen mit Zentrale in Hamburg und 800Mitarbeitern. Die eigentümergeführte Aktiengesellschaft installiert ERP-Systeme, entwickeltindividuelle Software oder managt in eigenen Rechenzentren die IT für Outsourcing-Auftraggeber.Zu den Kunden zählen Unternehmen wie Veolia, aber auch soziale Organisationen.

CASE STUDY Akquinet

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Die Führungskräfte des Unternehmens haben den kon-kreten Wunsch geäußert, Werkzeuge an die Hand zubekommen, um ihre Teams noch besser führen undmotivieren zu können. So entstanddie Idee, Führungskräfte emotionalzu schulen und so eine offene, ver-trauensvolle Kultur zu schaffen.Christoph Theile, gemeinsam mitStefan Sohst Geschäftsführer derEQTing Akademie Hamburg, schiendafür der richtige Partner zu sein:Der Führungskräfteentwickler arbeitet seit mehrerenJahren mit Akquinet zusammen. Gemeinsam mit Sohsthat er eine Methode für emotionales Training von Füh-rungskräften und Mitarbeitern entwickelt, die mehrfachausgezeichnet wurde, unter anderem mit dem HR Excel-lence Award 2017 in der Kategorie Führungskräfteent-wicklung.

2. Ziele: Worum geht’s?

Da die Akquinet-Kunden und ihre Problemstellungenso vielfältig sind, werden für neue Projekte immer wiederandere Teams mit individuellen Expertisen zusammen-gestellt. Führungskräfte leiten also Gruppen mit wech-selnden, ihnen teilweise unbekannten Mitarbeitern.Damit die Kooperation für alle Seiten befriedigendabläuft, müssen sie die emotionale Konstitution ihrerTeammitglieder rasch einschätzen können – ein zentralesZiel des Projekts.Ein zweites lag darin, potenzielle Konflikte zu reduzierenoder zu rascheren Lösungen zu kommen. Grundsätzlich

sind Reibungen in einem Unternehmen gut und richtig,weil Abteilungen und Mitarbeiter nicht immer die gleichen Interessen respektive Bedürfnisse haben.

Aber der Personalabteilung vonAkquinet ging es um einen souve-ränen Umgang mit Konflikten unddarum, die Menschen ins Redenbringen. Denn auch wenn es wieein Klischee klingt: Nicht wenigeTechies neigen zum Schweigen.Durch den offenen Umgang mit

Emotionen versprach sich das Unternehmen zudemeine stärkere Motivation der Mitarbeiter, weniger Fluk-tuation und nicht zuletzt eine Steigerung der Produk-tivität. Auch im externen Kontakt zu Kunden und Dienstleis-tern erhoffte sich Akquinet durch das emotionale Trai-ning noch harmonischere und produktivere Beziehun-gen. Eine Option für die Zukunft ist, gemeinsam mitChristoph Theile ein spezielles emotionales Verkaufs-training für Vertriebsmitarbeiter zu entwickeln.

• Das Projekt wurde zunächst nur für Führungskräfte angeboten. Die Personalabteilung hat aberfrühzeitig festgestellt, dass das Programm für alle Mitarbeiter sinnvoll ist. Dies hat wesentlichzur Akzeptanz bei den Mitarbeitern geführt.

• Der Workshop war zunächst mit einem höheren theoretischen Anteil konzipiert und wurde imLaufe der Zeit weiterentwickelt. Wichtig ist, dass die Menschen die Emotionen bei sichüberhaupt zulassen und diese selbst durchleben.

Wo hat es im Projekt gehakt? STOLPERSTEINE

Führungskräfte bei Akquinet leiten

wechselnde Teams mit ihnen teilweise

unbekannten Mitarbeitern.

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HR & ICH CASE STUDY

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• Das Training ist ein Pluspunkt in Bewerbergesprächen, insbesondere gegenüber derGeneration Z.

• Die Mitarbeiterbindung hat sich verbessert: Die Loyalität gegenüber dem Unternehmen istgestiegen und die Fluktuation hat sich verringert.

• Führungskräfte besitzen nun einen Werkzeugkoffer für jede Situation unter Mitarbeitern.• Führungskräfte können Emotionen aktiv steuern, zum Beispiel zur besseren Motivation.• Die Mitarbeiter besitzen eine Souveränität in Bezug auf die eigenen Emotionen.• Es kommt zu weniger Reibungsverlusten durch emotionale Situationen, die Energie rauben.

UNTERM STRICH Was hat das Projekt gebracht?

3. Die Implementierung: Was geschiehtkonkret?

Christoph Theile hat für Akquinet ein dreitägiges Work-shopformat namens „Emotional Experience Days“ ent-wickelt, das für Führungskräfte und Mitarbeiter glei-chermaßen geeignet ist: Zunächst lernen die Teilnehmersie ben Grundemotionen kennen, über die jeder Menschverfügt. Im nächsten Schritt erarbeiten sie sich Tech -niken, diese Emotionen bewusst zu steigern oder abzu-senken. Wer bei einem Konflikt im Büro gern malzornig wird, erfährt, wie er sein Gefühl direkt erfassen,es sich bewusst machen – und gegensteuern kann. Gleichzeitig lernen die Teilnehmer, Emotionen beiihrem Ge genüber zu erkennen und einzuordnen. Wel-che Zusammenhänge spielen eine Rolle? Wie kann ichdamit arbeiten? So lässt sich beispielsweise eine be -stimmte Emotion nutzen, um eine andere bei sich selbstoder bei seinem Gegenüber zu stär-ken oder abzuschwächen. SolchesWissen ermöglicht es, in Konflikt-situationen schneller die Ursachenzu erfassen und deeskalierend zuhandeln.Für die Mitarbeiter mit Führungs-verantwortung wurde zudem eindreitägiges Trainingsmodul kon-zipiert, in dem es um die Bedeutung von Emotionenfür moderne Führung geht. In einem persönlichenProfil erfahren sie, welche Emotionen bei ihnen selbstwie ausgeprägt sind und welche sie bereits aktiv ein-setzen. Praxisnahe Übungen zu Kernkompetenzen derFührung wie aktivem Zuhören, Delegieren, Visions-entwicklung, Zielvereinbarung, Führen kritischer

Gespräche und Konfliktmoderation runden das Pro-gramm ab.Um die Kultur der emotionalen Offenheit nachhaltigim Unternehmen zu verankern, finden flankierend zuden Kursen Einzelcoachings für die Geschäftsleitungund Führungskräfte statt. Und, ganz wichtig: Jede Füh-rungskraft und jeder Mitarbeiter, der bereits die Emo-tional Experience Days erlebt hat, ist selbst dafür ver-antwortlich, das Erlernte in seinem Team und inMeetings aktiv zu leben, anzuwenden und weiterzuge-ben. So trägt der Kollege, der die Auszubildenden desUnternehmens betreut, die Erkenntnisse der Trainingsan den Unternehmensnachwuchs heran.

4. Die Wirkung: Was hat sich geändert?

Ende 2017 wurden die ersten Kurse angeboten. DasInteresse war von Anfang an groß. Je acht bis zehn Per-

sonen nehmen pro Workshop teil,Mitarbeiter jeder Abteilung undjedes Hierarchielevels können sichdarum bewerben. Wer das Konzepteinmal kennengelernt hat, zeigt inder Regel starkes Interesse, weiterdamit zu arbeiten: „Das Themamuss unbedingt in einem fortfüh-renden Seminar vertieft werden“,

„Eine hervorragende Schulung, die fortgesetzt werdensoll“ oder: „Super Thema, hat mir viel gegeben, ich willmehr davon“, lauten beispielhafte Feedbacks.Außerdem werden die Ergebnisse der Workshops inden Kommunikationsmedien des Unternehmens ver-öffentlicht. Das „Business TV“ mit unternehmensei-genen Inhalten sowie das Intranet berichten regelmäßigüber neue Erkenntnisse, erfolgreiche Anwendungenim Arbeitsalltag und weitere Erfahrungen. So könnenauch die Mitarbeiter, die noch nicht an einem Kursteilgenommen haben, verfolgen, wie sich das Trainingauf die interne Kultur auswirkt. Denn die Trainings sind an vielen Stellen im Unter-nehmen in unterschiedlichen Dimensionen wirksam.Das beginnt bei der Atmosphäre: Seit Projektbeginnist eine größere Offenheit gegenüber Emotionen spürbar.Es ist explizit erwünscht, Gefühle zu zeigen: Enttäu-schung über eine Entscheidung ebenso wie Wut aufeinen Kollegen oder auch mal Tränen. Es ist kein No-Go mehr zu sagen: „Das macht mich traurig“ oder„Damit fühle ich mich nicht wohl.“ Auch Begeisterung

Führungskräfte berichten,es falle ihnen leichter,

Bedürfnisse ihrer Teammitglieder zu

erkennen.

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und Entschlossenheit treten stärker zutage. Die Mitar-beiter fühlen sich häufiger im Gleichgewicht, weil sienichts mehr unterdrücken müssen, was im Business-kontext vermeintlich keinen Platz hat. Die gestiegene emotionale Kompetenz wirkt sich, zweitedeutliche Wirkung, auch auf den Umgang mit Kon-flikten aus. „Ich gehe in solchen Situationen jetzt ersteinmal einen Schritt zurück, reflektiere, was gerade beimir passiert“, beschreibt ein Teilnehmer. PotenziellenStreitpunkten wird durch dieses Verhalten die Schärfegenommen. Die Mitarbeiter werden nicht von ihrenEmotionen überrollt, sondern können ihre eigeneGefühlslage besser erkennen und auch auf ihr Gegenüberdeeskalierend einwirken. So werden Kurzschlusshand-lungen vermieden.Die Mitarbeiter mit Führungsverantwortung profi-tieren auf ihre Weise von dem Projekt: Eigenen Aus-sagen nach fällt es ihnen deutlich leichter, die Bedürf-nisse ihrer Teammitglieder zu erkennen und zuberücksichtigen. Denn jede Emotion geht mit einerMikromimik, einer spontanen und oft minimalenVeränderung des Gesichtsausdrucks einher. In denFührungskräfte-Workshops lernen die Teilnehmer,diese Indizien zu interpretieren. So können sie auch

auf Wünsche und Gefühlslagen reagieren, die nichtklar artikuliert werden.

5. Und die Rolle von HR?

HR war und ist die treibende Kraft der Initiative. DerErfolg hilft nicht zuletzt den Personalern selbst: Durchdie Sensibilisierung und den gestiegenen Mut derBeschäftigten zu offenem Austausch ist es deutlich leich-ter geworden, in Konfliktsituationen beiden Seiten zuhelfen. Zumal nicht nur die HR-Kollegen die entspre-chenden Tools kennen, sondern auch die übrigen Mit-arbeiter. Darüber hinaus stützt es die unternehmensinterne Posi-tion, wenn ein Personalmanagement-Projekt so gutankommt: Die Motivation der Akquinet-Mitarbeiter hatsich seit Beginn der Zusammenarbeit mit ChristophTheile offensichtlich gesteigert. Viele sind begeistert,dass ihr Arbeitgeber die Zeit und das Budget investiert,um das Miteinander, aber auch jeden Einzelnen zu för-dern. Entsprechend lang ist die Verweildauer der Mit-arbeiter: Im Schnitt bleiben die Menschen inzwischenfünf bis sieben Jahre im Unternehmen, das ist für dieIT-Branche sehr lang. p

Irene Achmerow, Leiterin Personal, akquinet AG, Hamburg, [email protected]

Christoph Theile, Geschäftsführer, EQTing GmbH,Hamburg, [email protected]

AUTOREN

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HR & ICH LEBENSLÄUFE

Der Wandel als stetiger BegleiterUdo Keuchen blickte seit jeher über den Tellerrand. Eine Eigenschaft, die sowohl das Wissen als auch die Menschenkenntnis des Personalexperten erweitert hat.

Udo KeuchenHR Director bei der Thermo Fisher Scientific GmbH

Personalien

Geburtsdatum: 16. Februar 1970, Adenau Familienstand: ledig

Ausbildung und Studium1992–1994 University of Arkansas, Psychologie, Abschluss: Master1991–1992 Universität Siegen, Psychologie1988–1990 Baden-Württembergische Bank, Bankkaufmann

Beruflicher Werdegang2018–heute Thermo Fisher Scientific GmbH, Berlin HR Director2016–2017 Yxlon International GmbH, Hamburg Vice President HR und Mitglied der Geschäftsleitung 2014–2016 Optivo GmbH, Berlin HR Director2011–2013 Credit Suisse AG, Zürich Vice President HR, Information Technology 2005–2010 Samsung Deutschland GmbH, Schwalbach Head of HR 2004–heute Selbstständige Tätigkeit als Consultant und Executive Coach 2002–2004 Gulf Bank of Kuwait, Kuwait-Stadt HR Manager 1999–2002 KPMG Deutschland AG, Berlin Recruitment, Personalentwicklung1994–1999 Deutsche Bank AG, Frankfurt am Main Führungskräfteentwicklung

Interessen Kulinarik, elektronische Musik, Ludwig Wittgenstein

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Seit 15 Jahren sind Sie auch als HR-Berater im BereichChange Management tätig. Aus Ihrer Erfahrung: Womit haben Unternehmen gemeinhin die größtenSchwierigkeiten bei Transformationsprojekten?Die berühmten Change-Management-Projekte werden oftdann initialisiert, wenn konkrete Veränderungen wie zumBeispiel die Einführung einer neuen Software oder Strukturanstehen. Dann werden die üblichen Folien (SMART,Modellkurven, Phasenabläufe ...) gezeigt und alle sollen„mitmachen“. Ob so eine tatsächliche Motivation entsteht,die sowohl von Einsicht als auch von Leidenschaft getragenwird, halte ich für fraglich. Gute Change-Management-Projekte entstehen in einer lernenden Organisation miteiner guten Change-Management-Kultur, denn hier wirdoffen und ehrlich – und vor allem unabhängig von konkretanstehenden Projekten – über Veränderung, Komfortzone,Agilität, Kreativität und Widerstand beziehungsweiseAkzeptanzprobleme gesprochen.

Was ist Ihre derzeit größte Herausforderung alsHR Director bei Thermo Fisher Scientific? Als weltweit agierender Konzern haben wir unsunter anderem in der Medizinbranche und der Wissenschaft einen erstklassigen Namen geschaffen.Diese Erstklassigkeit fehlt uns hin und wieder imPersonalmarketing und beim Bekanntheitsgrad.

Sie waren nacheinander für Arbeitgeber aus sehrunterschiedlichen Nationen tätig. Gab es gravierendeUnterschiede, beispielsweise in puncto Mentalitätoder Arbeitsweise?Ja, die gab es in vielerlei Hinsicht. Wahrscheinlich könnte ich zu jeder der genannten Kulturen auch konkrete Merkmale benennen. Integrität und Zuhörenkönnen sind nach meiner Beobachtung jedenfalls regionsübergreifend geschätzte Tugenden.

Ludwig Wittgenstein ist ein eher ungewöhnliches Interessengebiet. Können Sie in maximal drei Sätzenbeschreiben, was ihn besonders macht? Wittgenstein führte ein recht ungewöhnliches, bescheidenesund zurückgezogenes Leben. Dennoch – oder vielleichtgerade deshalb – ist seine Biografie überaus spannend. Seinekritische beziehungsweise distanzierte Haltung zur „Eig-nung“ der menschlichen Sprache hat nichts an Brisanz undAktualität verloren.

Angenommen, wir könnten die Zeit zurückdrehen:Wo wären Sie gern länger geblieben?Während meiner Zeit in Kuwait kam es leider zumsogenannten zweiten Wüstenkrieg gegen den Irak. Imdarauffolgenden Jahr entschied ich mich schwerenHerzens, diesen bemerkenswerten Stadtstaat zu verlassen. Selten habe ich in meinem Leben in so kurzer Zeit so viel gelernt und kennengelernt, und ich wäre gerne noch länger geblieben.

Wann wurde Ihnen bewusst, dass Sie in der HR-Branche arbeiten wollen?Vor dem Studium absolvierte ich zunächst eineAusbildung zum Bankkaufmann, und schnellwurde mir klar, dass das reine Bankgeschäft nichtsfür mich ist. Aber die Mitarbeiter in der Ausbil-dungsabteilung beeindruckten mich mit ihrerArbeit und der Art und Weise, wie sie sich um uns Azubis kümmerten. Bei der Auswahl des Studienfaches und der entsprechenden Praktikahaben diese positiven Eindrücke und Erinnerungeneine nachhaltige Rolle gespielt.

Wie würden Sie Ihren Lebenslauf in dreiAdjektiven umschreiben?Bunt, international, unkonventionell

Warum sind Sie zum Studieren nach Amerika gegangen?Nach meinem Vordiplom erhielt ich die Möglichkeit,mein Psychologiestudium als „Visiting Fulbright Scholar“ fortzusetzen. Die deutsch-amerikanische Fulbright-Kommission entschied damals, mich nachArkansas zu entsenden. Eine wunderbare Uni in einerwunderschönen Landschaft.

Welcher Bewerber hat die besseren Karten bei Ihnen: einer mit viel Auslandserfahrung undlängerer Studienzeit, oder einer, der sein Studiumim Heimatort in Rekordzeit mit Bestnoten abgeschlossen hat?Weder „Auslandserfahrung“ noch „Bestnoten“ sind ein Garant für den Erfolg in einer Position.

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HR & ICH TRANSFORMATION

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u Personalwirtschaft: Herr Härzke, welche HR-The-men treiben Behörden- und Personalamtsleiter inDeutschland zurzeit um?Peter Härzke: Das sind Themen wie der Fachkräfte-mangel im IT-Bereich sowie mangelnde digitale Kom-petenzen auf unterschiedlichen Hierarchieebenen. Invielen Behörden gibt es weder ein modernes Personal-management noch zeitgemäße Karrierewege. Der Auf-stieg ist nach wie vor in erster Linie an die Zahl derBerufsjahre gekoppelt. Nicht zuletzt aufgrund des jah-relangen Sparzwangs hat man zu spät oder noch garnicht auf die genannten Herausforderungen reagiert.Die Themen drängen daher stark.

Viele Unternehmen stehen vor ähnlichen Herausfor-derungen. Wie stark unterscheidet sich die Personal-arbeit im öffentlichen Dienst und in der Wirtschaftvoneinander?

„HR-Managern in Behörden fehlt eine Vision“Das Klischee ist bedient: Der digitale Wandel im öffentlichen Dienst vollzieht sichschleppend, das zeigt eine aktuelle Untersuchung. EY-Experte Peter Härzke erklärt,warum das so ist – aber nicht so bleiben muss.

Die Behörden hinken den Unternehmen deutlich hin-terher. Und zwar fehlt es ihnen bereits an einer schlag-kräftigen Strategie. So geben in unserer Studie zurZukunft der Arbeit bei der öffentlichen Hand inDeutschland lediglich 18 Prozent der rund 200 befragtenAmtsleiter und Personalentscheider an, die HR-Strategieihrer Einrichtung sei konsequent am digitalen Wandelausgerichtet. Ebenso schwierig sieht es bei der Digita-lisierung der Personalabteilung selbst aus, wenn es etwaum die digitale Personalakte und das E-Learning geht.Auch was die Verwaltung und den Service für ihreKunden – also die Bürger – betrifft, hinken die Behördenhinterher.

Wie macht sich das bemerkbar?Laut der Studie ist selbst die eher einfach zu realisierendeOnline-Terminvereinbarung lediglich in jeder fünftenEinrichtung uneingeschränkt möglich, von Online-

Die von EY (Ernst & Young)Deutschland initiierte Studie „Zukunft der Arbeit bei der öffentlichen Hand“basiert auf Telefoninterviewsmit 201 Behördenleitern und Personalentscheidern im öffentlichen Dienst. Interes-senten wenden sich bitte [email protected].

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Foto

: EYPayment oder einem vollständig digitalisierten Behör-

dengang ganz zu schweigen – andere Länder wie diebaltischen Staaten machen uns vor, wie so etwas aussieht.Auch bei uns ist die Erwartungshaltung der Bürgerinzwischen eine andere. Ihre persönlichen Erfahrungenzum Beispiel beim Einkauf verstärken den Eindruckeines Digital Divide zwischen öffentlichen Ämtern undanderen Lebensbereichen.

Woran genau hakt es bei der digitalen Transforma-tion?Zu den größten Hemmnissen zählt der mangelndeWille zur Veränderungsbereitschaft. Als noch bedeut-samer wird von den Behörden selbst der Datenschutzgesehen. Was diesen durchaus wichtigen Punkt betrifft,sind politische Entscheidungen gefragt. Für die Moti-vation von Führungskräften und Mitarbeitern hingegensind in erster Linie die HR-Abteilungen zuständig. Siekönnen da gezielt gegensteuern.

Transformation ist ja auch eine Frage des Wissens.Inwiefern beschäftigen sich die Behörden mit demFachkräftemangel, insbesondere in der IT-Branche?Der Fachkräftemangel wird von den Behörden zwarerkannt und thematisiert, aber längst nicht ernst genuggenommen. In unserer Studie wird das Fehlen ent-sprechender Experten nur vonweniger als einem Drittel derBefragten als Hemmschuh fürdigitale Innovationen betrachtet.Diese Zahl spiegelt die aktuelleSituation am Arbeitsmarkt kei-nesfalls wider und legt nahe, dassdie Behörden in Bezug auf dieDigitalisierung ein Strategie- undPlanungsdefizit haben und schwer abschätzen können,wie groß ihr Bedarf an IT-Experten werden wird oderbereits ist.

In der Wirtschaft verändern sich Arbeitsmethodenseit einiger Zeit substanziell, Stichwort „agiles Arbei-ten“. Ist ein solcher Trend auch in der Verwaltungerkennbar?Der Trend ist insbesondere in den IT-Abteilungengrößerer Behörden zu erkennen, hier gibt es einigeLeuchtturmprojekte, die erfolgreich umgesetzt wurden.In der Breite jedoch sieht es anders aus, hier kommenagile Arbeitsweisen wie Scrum, Lean Developmentoder Design Thinking nur selten zum Einsatz undsind den Mitarbeitern kaum bekannt. In Gesprächenwird oft deutlich, dass die HR-Manager selbst wenigkonkrete Vorstellungen von einer agilen Arbeitsweisehaben. Auch fehlt es ihnen an einer klaren Zukunfts-vision.

Das klingt alles nicht sonderlich dynamisch. Wo istder öffentliche Dienst den Personalern in der Wirt-schaft vielleicht dennoch voraus?

Die HR-Verantwortlichen imöffentlichen Dienst stehen nichtgleichermaßen unter Wettbewerbs-druck wie ihre Kollegen in der Pri-vatwirtschaft. Daher haben sie mehrZeit, fundierte Konzepte für dendigitalen Wandel zu entwickelnund Schritt für Schritt umzusetzen.Diesen Vorteil sollten sie stärker

nutzen. Was die Gewinnung qualifizierter und IT-affiner Mitarbeiter betrifft, kann der öffentliche Dienstgroßteils durch bessere Work-Life-Balance und höhereArbeitsplatzsicherheit wuchern.

Wie lautet Ihr Tipp für jemanden, der heute und inZukunft gutes Personalmanagement in der öffentli-chen Verwaltung betreiben möchte?Ich empfehle den Personalmanagern, nach Leucht-turmprojekten im öffentlichen Dienst – etwa zum Ein-satz neuer Arbeitsmethoden oder zu einem schlagkräf-tigen Personalmarketing – Ausschau zu halten und vonihnen zu lernen. Zudem sollten sie einen klaren Fokusauf die Gewinnung digitaler Talente setzen und dabeieiner ganzheitlichen Strategie folgen. Das ist zwar fürdie meisten HR-Bereiche im öffentlichen Dienst nocheine längere Reise, aber wer konsequent am Ball bleibt,kann viel bewegen und in vier bis fünf Jahren die Früchteernten. (nr/bis) p

Peter Härzke ist Associate Partner und Spezialist für Personal-management in der öffentlichen Verwaltung bei EY Deutschland.

„Zu den größten Digitalisierungs-

hemmnissen zählt mangelnder Wille zur

Veränderungsbereitschaft.“

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Aus Drang wird ZwangZu schnell, zu eng, kein Ausweg: Millionen Beschäftigte in Deutschland fühlen sich am Arbeitsplatzwie in der Zentrifuge. Woran liegt das? Und was lässt sich dagegen tun? Über ein Phänomen, das unsauch im New-Work-Zeitalter auf Trab hält.

TITEL VIEL ZU VIEL ARBEIT

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Der Schwerpunkt im Überblick:

Seite 24 Analyse: Reden wir über Vollstress – und VorbeugungSeite 26 Interview: Siemens und die gesundheitliche AufklärungSeite 30 Fokus Balance: Hier Work, da Life? Von wegenSeite 33 Nachgefragt: Norma Schöwe über die Belastung in HR

Weitere Beiträge zum Thema:

Seite 6 Stichwort GenerationenkonfliktSeite 12 Stichwort MitarbeiterzufriedenheitSeite 14 Stichwort emotionale KompetenzSeite 18 Stichwort Change-KulturSeite 52 Stichwort gesunde Führung

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TITEL VIEL ZU VIEL ARBEIT

u Gut ein Jahr ist es her, da versuchte sich die Personalwirtschaftan einer ambitionierten Titelstrecke (Ausgabe 4/2018). Wir wolltenherausfinden, unter welchen Umständen Mitarbeiter ihren Job gernmachen, Sinn darin finden und Energie daraus schöpfen, kurz:„Bock auf Arbeit“ haben. Auf der Suche nach dem vermeintlichenGeheimtipp befragten wir Experten aller Art und verdichteten dieErgebnisse führender Arbeitgeberbewertungsinstitute. Es zeigte sich: Patentrezepte gibt es nicht – was es sehr wohl gibt,sind wiederkehrende Muster, von denen drei entscheidend sind:Unternehmen, die ihre Mitarbeiter begeistern, arbeiten mit klarerFührungsphilosophie, geben Mitarbeitern Freiraum und Vertrauenund investieren in ihre Belegschaft. So weit, so ermutigend. Dennallen Eindrücken nach wächst die Zahl solcher Unternehmen. Aber die neue, teilweise schönere Arbeitswelt hat ihre Kehrseite,die Gegenstand zahlloser Bücher und Medienbeiträge, Experten-debatten und Kneipengespräche ist: Dem Bock auf Arbeit steht diepsychische Überlastung gegenüber; dem Trend zu Sinn, Purposeund Mitarbeiterorientierung in Unternehmen die jüngste Meldungdes Lebensversicherers Swiss Life Deutschland, wonach inzwischen37 Prozent der Fälle von Berufsunfähigkeit psychische Ursachenhaben – 2009 waren es 26,5 Prozent; und der längst konsensfähigenErkenntnis, dass Menschen gern arbeiten, zum Beispiel die Aussageeiner aktuellen ADP-Befragung unter 10 000 europäischen Arbeit-

nehmern: 56 Prozent der Befragten würden ihren Job lieber an vierWochentagen verrichten, wenn es denn ginge. Woher rührt der vermeintliche Widerspruch: hier größere Freiheiten,flachere Hierarchien und agilere Strukturen, dort der Eindruck, wirdrehten uns im Hamsterrad wie eh und je – nur schneller? DieserFrage gehen wir im Folgenden unter verschiedenen Gesichtspunktennach. Daraus soll sich ein Bild ergeben, das hoffentlich einen Eindruckder Lage vermittelt, auch wenn es eines nicht sein kann: vollständig.

1. Diagnose oder: Der Streit der Gelehrten

Die jährlichen Berichte der Krankenkassen scheinen unmissver-ständlich. Dem DAK-Gesundheitsreport zufolge haben sich dieQuoten seelisch begründeten Personalausfalls zwischen 1997 und2016 von 77 auf 246 Fehltage je 100 Beschäftigte verdreifacht, bevorsie zuletzt leicht zurückgingen (siehe Grafik S. 29). Aber so gern wir Statistik als Beweis sehen: Die Wissenschaft deutetDaten wie diese höchst unterschiedlich. Hat die Belastung der Arbeit-nehmer in diesem Jahrtausend tatsächlich derart zugenommen?Oder haben sich nur die Diagnostik und die Aufmerksamkeit fürdas Thema psychische Gesundheit entwickelt? Diese Frage ist Anlasseiner intensiven interdisziplinären Debatte.Ulrich Birner etwa, Leiter des Fachreferats „Psychische Gesundheit“bei Siemens, spricht von „eindeutigen“ Daten. Sie zeigten, „dasssich der Anteil psychischer Störungen in der Bevölkerung über Jahr-zehnte hinweg nicht wesentlich verändert hat“. Früher habe es „eineArt stillen Übereinkommens zwischen vielen Ärzten und Patienten“gegeben, „statt einer Depression zum Beispiel Rückenbeschwerdenauf das Attest zu schreiben“. Heute würden viel häufiger Ross undReiter genannt. Auch der Psychologe Martin Dornes vertritt inseinem Buch „Macht der Kapitalismus depressiv?“ die Auffassung,nicht die Erscheinungen selbst seien neu. Vielmehr habe unsereSensibilität für früher ignorierte Symptome und Syndrome zuge-nommen. Andere Wissenschaftler widersprechen. Frontal wie der SoziologeHartmut Rosa, Kontrahent von Dornes in einem FAZ-Streitgesprächvon 2016. Oder relativierend wie der Neurowissenschaftler TobiasEsch, Leiter der im November an der Universität Witten/Herdeckeeröffneten „Universitätsambulanz für Integrative Gesundheitsver-sorgung und Naturheilkunde“. Der Professor für Medizin diagnos-tiziert zwar „eine erhöhte Aufmerksamkeit, verbesserte Diagnostikund Behandlungsmöglichkeiten sowie eine geringere Stigmatisierung“

Unter Druck und überdrehtDer Arbeitsalltag 4.0 wirft Menschen reihenweise aus der Bahn. Mehr Menschen als früher, oder ist das ein falscher Eindruck? Darüber streiten selbst Gelehrte. Klar scheint: Um das Problem zu lösen, muss der Einzelne ebenso lernen wie die Organisation. VON WINFRIED GERTZ UND NIC RICHTER

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des Themas. Er sagt aber auch: „Arbeitszyklen werden kürzer, und,Multitasking‘ und überlappende Prozesse sowie Unterbrechungenwährend der Arbeit haben deutlich zugenommen, sodass, wie auchphysiologische Indikatoren deutlich machen, Stress und Belastungfaktisch zunehmen.“ Der Körper, der dem Zuviel Ausdruck verleiht.

2. Der Geist der Zeit

So geht’s nicht weiter: Dieses Gefühl ist nicht immer und nicht nurim Job verwurzelt. Die Arbeitswelt entwickelt sich analog zu anderenLebensbereichen – wenn auch vielleicht schneller, konzentrierter.Mitte Mai stellte die Süddeutsche Zeitung fest: „Die Überanstrengungund das Gefühl, zu viel zu tun zu haben, gehören inzwischen zumLeben sehr vieler Großstädter.“ Sie schloss die Frage an: „Liegt dasan uns oder den Umständen?“ Man ersetze „Großstädter“ durch „Mitarbeiter“: Fertig ist die Frage,die sich für Unternehmensleitungen, Führungskräfte und Perso-nalabteilungen ergibt. Wenn jährlich Millionen Beschäftigte wegen

psychischer Überlastung ihre Arbeitskraft verlieren und ausfallen –und viele andere eher durchhalten als energisch mitzuziehen –, hatdas auch gesamtgesellschaftliche Ursachen. Zahllose (und oft vonder Wirtschaft beförderte) Mikro- und Megatrends haben sich zueiner Lebensumgebung verdichtet, die keiner mehr durchschaut.

windung bedarf, sich mit beruflichen oder privaten Themenan die Sozial- und Lebensberatung zu wenden. Kommunikation und Aufklärung sollen es ihnen leichtermachen. Die Website oder die LuMIT-Broschüre informierennicht nur über die Angebote, sondern erläutern auch Hin-tergründe. Und Mitarbeiter mit positiven Erfahrungen fun-gieren als Multiplikatoren. Die weiteren Angebote im LuMit tragen ebenfalls dazu bei,Distanz abzubauen oder gar nicht erst entstehen zu lassen.Mit LuKids betreibt BASF die nach eigenen Angaben bun-desweit größte betriebliche Betreuungseinrichtung mit Platzfür rund 270 Kinder. LuFit bietet vielfältige gesundheitsori-entierte Kurs- und Workshopangebote sowie eine betriebs-ärztliche Beratung. Das Programm wird durch jährliche globaleGesundheitsaktionen mit wechselnden Themen ergänzt. 2019steht das Thema Achtsamkeit und Selbstfürsorge im Mittel-punkt: Die Mitarbeiter erhalten Anregungen, wie sie in anstren-genden Phasen ruhig bleiben und ihre psychische Wider-standsfähigkeit stärken können.

Das kann man wohl ganzheitliches Gesundheitsmanagementnennen: Im November 2013 hat BASF in Ludwigshafen LuMITeröffnet, ein Mitarbeiterzentrum für Work-Life-Management.Auf 10 000 Quadratmetern fasst es arbeitsplatznahe Angebotewie eine Kinderbetreuung oder ein Fitness- und Gesundheits-studio unter einem Dach zusammen. Im Durchschnitt werdendiese Angebote von 600 Mitarbeitern genutzt – pro Tag.Teil des Komplexes ist auch LuCare, die Sozial- und Lebens-beratung der BASF-Stiftung. Ihr Schwerpunkt liegt in derindividuellen Beratung von Mitarbeitern und Pensionärensowie deren Angehörigen. Dabei kann es um Konflikte mitKollegen, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben oderÜberlastungen gehen. Eine starke Nachfrage besteht aktuellzu Themen rund um den Arbeitsplatz, zur Pflege von Ange-hörigen sowie der Schulden- und Insolvenzberatung. 2018kristallisierte sich in Gestalt von Spiel- beziehungsweise Online-Sucht ein neues Beratungsfeld heraus.„Ein entscheidender Erfolgsfaktor von LuCare ist der nieder-schwellige Zugang zu den Beratungsangeboten sowie die abso-lute Vertraulichkeit der Gespräche“, sagt BASF-SprecherinVerena Lilge. Die Angebote dürfen während der Arbeitszeitgenutzt werden. Da LuCare außerhalb des Firmengeländesangesiedelt ist, haben neben Werksangehörigen auch Fami-lienmitglieder und Freunde unkomplizierten Zutritt. Trotzdemkann man sich denken, dass es für viele einer gewissen Über-

Aufgefangen in LudwigshafenPraxisbeispiel 1: BASF

Sozial- und Lebensberatung, Kinderbetreuung, Gesundheitskurse und -workshops,betriebsärztliche Unterstützung: alles unter dem Dach des LuMIT von BASF

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12 %der europäischen Arbeitnehmer

geben in einer aktuellen

ADP-Studie an, niemals unter

Stress zu leiden. In Deutschland

sind es nur 4 Prozent.

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TITEL VIEL ZU VIEL ARBEIT

u Personalwirtschaft: Herr Birner, Sie leiten das Fachreferat„Psychische Gesundheit“ im Siemens-Konzern. Welche Kern-aufgaben haben Sie?Ulrich Birner: Zu meinem Aufgabenbereich zählen alle Maß-nahmen zum Erhalt, zur Förderung und zur Wiederherstellungpsychischer Gesundheit bei der Arbeit. Dabei gibt es zwei großeHandlungsfelder: zum einen alles, was die Arbeitsumgebunggesundheitsförderlich macht. Zum anderen alles, was die Mit-arbeiter dazu befähigt, sich gesundheitsförderlich zu verhalten.Es geht also sowohl um die Organisation im Ganzen als auch umdas Individuum.

Wie entstand die Idee zur Kampagne „Breaking the Silence“,einem Programm zur Destigmatisierung psychischer Erkran-kungen am Arbeitsplatz? Wir hatten und haben bei Siemens sehr gute Unterstützungsan-gebote in beiden Handlungsfeldern. Im Rahmen einer kritischenReflexion haben wir allerdings erkannt, dass die größte Hürdedie mangelnde Inanspruchnahme solcher Angebote ist. Die Tabui-sierung und Stigmatisierung führt dazu, dass 70 Prozent derBetroffenen Hilfe zu spät oder gar nicht erhalten – das gilt übrigensnicht nur für Siemens. Es wäre nicht sinnvoll gewesen, nochmehr Angebote zu initiieren. Vielmehr wollten wir daran arbeiten,dass sich die Mitarbeitenden stärker für das Thema öffnen.

Wo setzt das Programm an?Die Entwicklung war ein längerer Prozess. Unterstützt durch daseuropäische Forschungsprojekt MARATONE haben wir zunächstfestgestellt, dass Stigma meist durch klare Strukturen gekenn-

„Unternehmen sind Spiegel der Gesellschaft“Das Arbeitsfeld von Ulrich Birner ist die Gesundheit der Siemens-Mitarbeiter.Sein Referat hat eine Kampagne zum offenen Umgang mit psychischen Erkrankungen entwickelt. Ein Gespräch über Stigmatisierung und wie man ihr begegnet. INTERVIEW: DAVID SCHAHINIAN

zeichnet ist: einen Mangel an Information beziehungsweise fal-schem Wissen, einer ablehnenden Einstellung Betroffenen gegen-über sowie einen Mangel an Unterstützungsangeboten. Darauskonnten wir eine systematische Kampagne ableiten. Grundsätzlichdient alles, was wir machen, der Wissensvermittlung, der För-derung einer positiven Haltung und dem Verständnis den Betrof-fenen gegenüber.

Was bedeutet das konkret?Wir haben mehrere Module entwickelt. Dazu zählt ein Informa-tionsportal im Intranet. Zudem haben wir eine klassische Medien-kampagne als Toolbox gestartet, die auf drei Merkmalen aufsetzt:Sie soll das Thema positiv vermitteln, dazu anregen, die eigeneHaltung zu überdenken, und zum Sprechen darüber ermutigen.Außerdem spielen die Führungskräfte eine große Rolle.

Inwiefern?Sie haben eine Fürsorgepflicht, fühlten sich aber teilweise selbstnicht ganz sattelfest, was den Umgang mit psychischen Belastungenbei Mitarbeitenden angeht. Wir haben für sie ein gamifiziertesTrainingsformat entwickelt. Dieses E-Learning-Angebot bieteteine geschützte Lernumgebung, in der man beispielsweise aus-probieren kann, eine vertrauensvolle Basis zu schaffen und alsFührungskraft Betroffenen Hilfe zu geben.

Welche ist die wirkungsvollste Maßnahme des Programms?Am wirkungsstärksten sind Videos. Betroffene Siemens-Mitar-beiter haben sich freiwillig bereit erklärt, offen über die Bewältigungihrer psychischen Erkrankung zu erzählen. Ergänzt wurden diese

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Filme durch Round Tables mit Führungskräften, in denen siedie Situation aus ihrer Sicht schildern. Und wir haben Filme mitder betrieblichen Sozialberatung produziert, die sozusagen Lichtin die Black Box „Beratung“ bringen beziehungsweise informieren,wie so eine Beratung eigentlich abläuft.

Wie wurde die Kampagne im Unternehmen aufgenommen?Am Anfang begegneten wir großer Zurückhaltung. Sie entstandaus einer Unsicherheit heraus, weil niemand wirklich wusste,wie man konstruktiv mit dem Thema umgeht. Unternehmensind immer ein Spiegel der Gesellschaft. So haben es die zahlreichenöffentlichen Diskussionen um Burn-out auch firmenintern erleich-tert, sich diesen Themen gegenüber zu öffnen. Es wird heutepositiv und dankbar angenommen, dass über die KampagnenMöglichkeiten geschaffen wurden, darüber zu sprechen.

In welchem Kontext zum Beispiel?Ein Motiv unserer Plakatkampagne sagt aus, dass jeder Vierteim Laufe seines Lebens an einer psychischen Störung leidet. Dashaben wir in Aufzügen aufgehängt. 2011 wäre eine solche positiveProvokation undenkbar gewesen. Heute wird darüber nachge-dacht, gesprochen und diskutiert. In diesem Zusammenhangplädiere ich übrigens dafür, unseren Normalitätsbegriff zu über-denken.

Wieso?Statistische Durchschnittswerte stellen nur eine scheinbare Nor-malität her. Die eigentliche Normalität ist Diversität.

Trotz aller Angebote fällt es Betroffenen sicher nicht leicht,sich zu offenbaren. Wo liegen die größten Hemmnisse?Es gibt mehrere. Manche erkennen selbst erst spät, dass sie betrof-fen sind, oder es dauert sehr lange, bis sie sich die Probleme ein-gestehen. Darüber hinaus gibt es das Phänomen der Selbststig-matisierung verbunden mit der Angst vor Ausgrenzung. Zudemsollten die Führungskräfte sehr früh einbezogen werden, und in

vielen Fällen funktioniert das gut und problemlos. Noch habenaber nicht alle Führungskräfte das Verständnis dafür. In denUnternehmen gibt es professionelle Vermittler, die in solchenFällen zurate gezogen werden können. Das kann der Betriebsarztoder auch eine gute Personalabteilung sein.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung?Die Digitalisierung per se kann man nicht für eine Zunahme psy-chischer Belastungen verantwortlich machen. Die Effekte beziehensich immer auf Spannungsfelder: Sie kann beispielsweise zu mehrEigenverantwortung und Selbstbestimmung führen, aber auchdazu, dass mein Handeln transparenter und stärker kontrolliertwird. Es kommt auf den Einzelfall an, ob die Auswirkungen derdigitalen Transformation von Arbeit positiv oder negativ zubewerten sind. Für mich ist dabei ein wichtiger Aspekt, dass lau-fendes und lebenslanges Lernen ermöglicht wird.

Der Gesetzgeber sieht unter anderem eine Gefährdungsbeur-teilung psychischer Belastungen vor. Reicht das, um Beschäftigtezu schützen?Die Gefährdungsbeurteilung nimmt die Arbeitsverhältnisse undnicht die Psyche der Mitarbeiter in den Fokus. Es ist ein Verfahren,das beispielsweise auch leicht von Technikern angewendet werdenkann – und damit ein hervorragendes Präventionsinstrument.Ich bedaure allerdings, dass es fast 80 Prozent der Unternehmennoch meiden.

„Breaking the Silence“ wurde 2018 mit dem Anerkennungspreisder Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie,Psychosomatik und Nervenheilkunde ausgezeichnet. HabenSie Tipps für andere Unternehmen, um psychische Belastungenzu enttabuisieren?Zunächst sollte der spezifische Bedarf genau benannt werden:Welche Probleme gibt es, welche Ziele sollen erreicht werden?Und welche Angebote existieren bereits? Daraus sollten Maß-nahmen abgeleitet werden, die zum Unternehmen passen. Sielassen sich relativ einfach klassifizieren: Bieten wir Informationenan? Beziehen wir die Führungskräfte angemessen ein? Schaffenwir Austauschplattformen? Führen wir Trainings durch? Gibtes Beratung? Die meisten Unternehmen verfügen bereits übermanche dieser Elemente, die sie ausbauen können.

… und die davor bewahren, sich „ausgebrannt im Hamsterrad“zu fühlen.Diese Formulierung stellt Arbeit als krank machenden Faktordar. Ich möchte betonen, dass gut gestaltete Arbeit ein wichtigergesundheitsfördernder Faktor ist. Sie ermöglicht Teilhabe amgesellschaftlichen Leben, ermöglicht Lernen, stiftet Selbstwert-gefühl und Identität. p

Seit 2011 leitet der ausgebildete Organisations- und Arbeitspsychologe Dr. Ulrich Birner dasFachreferat „Psychische Gesundheit“ bei Siemens. Es ist dem Konzernbereich Human Resourcesangegliedert und kümmert sich um Mitarbeiter und Führungskräfte in aller Welt.

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Globalisierung, mediale Reiz- und Informationsflut, die gerade beider Arbeit präsente Maxime der Leistungssteigerung, die Digitali-sierung, die Agilisierung, vieles andere: Solche Entwicklungenkönnen uns jede für sich anregen und tun dies auch. Aber alle zusam-men beschleunigen den Puls der Zeit derart, dass viele nicht mehrmitkommen. Sie fühlen sich nicht wie im Hamsterrad – der Hamstersteigt ja aus, wenn er genug hat –, sondern wie in der Zentrifuge:ruhelos kreiselnd, orientierungslos, ohnmächtig. Wobei nicht wenigeverzweifelt versuchen, das Tempo mitzugehen.

3. Der Einzelne: Zwischen Drang und Zwang

Das Gartenhäuschen bleibt eine ewige Baustelle, weil Papa dauerndnachjustiert. Und die Dissertation findet kein Ende, weil der Dok-torand im Streben nach wissenschaftlichem Glanz jegliches Gespürfür Maß und Mitte verliert. Das Bessere, warnte schon Voltaire, ist

der Feind des Guten. Die Menschen von heute scheinen ihn nichtzu hören: Der Drang nach Perfektion treibt sie voran. Und damit wirbeln sie nicht nur ihr privates Umfeld durcheinander,wie Loriot in seinem Sketch „Das verwüstete Zimmer“ so unver-wechselbar demonstrierte. Auch Arbeitswelten werden chaotisch,wenn Prozesse kein Ende finden, Teams im Bann getriebener Cha-raktere mürbe werden und Unternehmen Mitarbeiter verlieren,weil die sich so tief in ihre Aufgaben wühlen, dass ihnen die Luftausgeht. Die unter all den Optionen die eine, die beste suchen undunbewusste persönliche Kränkungen durch variantenreiche Selbst-optimierung zu kompensieren versuchen. Das gilt nicht zuletzt für die Jüngeren. Nicht wenige von ihnen ver-lieren sich im Meer der Möglichkeiten: Welcher Job ergibt dengrößten Sinn, welcher Arbeitsplatz lässt mir den größten Raum(siehe Seite 7)? Was einst vor allem Managern als Ergebnis jahrelangerBeanspruchung vorbehalten war, schreibt die amerikanische Jour-nalistin Anne Helen Petersen Anfang 2019 in einem nicht nur inden sozialen Medien viel beachteten Essay, „ist heute Dauerzustand,quasi die Basistemperatur einer Generation“: Burn-out. Millennials(wie sie selbst eine ist) hätten vom Kindergartenalter an gelernt zuperformen. Daran gewöhnt, sich zu optimieren, täten sie sich schwer,mit Fehlern zu leben oder eine Sache mal ruhen zu lassen. Petersen beruft sich auf eine Metastudie der englischen UniversitätenBath und York, die das Phänomen des Perfektionismus unter jungenMenschen über einen Zeitraum von knapp 30 Jahren beobachtethaben. Vor dem Hintergrund einer deutlich individualistischerenund materialistischeren Kultur, erklären die Autoren, seien Millennialsmehr als jede andere Generation zuvor mit Konkurrenzdruck, unsi-cheren Erwartungen und ängstlich-besorgten Eltern konfrontiert.Und eine Reihe anderer Untersuchungen, etwa der internationaleDeloitte Millennial Survey 2018, scheinen das insofern zu bestätigen,als sie den Mitgliedern der Generation Y eine im Durchschnitt relativskeptische Zukunftshaltung bescheinigen.

4. Der Beitrag der Unternehmen

Steht sich der überlastete Mitarbeiter also selbst im Weg, muss manihn zuerst vor seinen inneren Antreibern schützen? Oder sind esdoch eher Rahmenbedingungen und geringe Wertschätzung durchFührungskräfte, die so viele Beschäftigte ins Aus befördern, wie dieMarkt- und Meinungsforscher von Gallup im Einklang mit Orga-nisationspsychologen und Soziologen kritisieren? Die Wirtschaftspsychologin Sarah Höfer, die im Rahmen ihrer Mas-terthesis zum Thema gesundheitsorientierte Führung geforscht hat,gibt eine klare Antwort: Alle drei Faktoren haben Gewicht. Die

„Auch positiver Stress kann bei Dauerlastzu Warnsignalen, Symptomen

oder Erkrankungen führen. Es ist eine Frage von Dauer, Dosis und

Form der Belastung.“ Tobias Esch, Neurowissenschaftler, Uni Witten/Herdecke

28 %der Beschäftigten in Europa

glauben laut ADP-Studie, ihr

Arbeitgeber sei nicht an ihrem

psychischen Wohlbefinden

interessiert. Weitere 38 Prozent

halten dieses Interesse für

oberflächlich.

>> Fortsetzung von Seite 25

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sozialen Ressourcen – etwa die Unterstützung durch Vorgesetzte –ebenso wie die organisationalen – Handlungsspielraum, Arbeitsmittel– und die personalen, zum Beispiel das Selbstwertgefühl des Mit-arbeiters (siehe Seite 52). Hinzu kommen die Umweltbedingungen,wobei die Forschung über die Wechselwirkung zwischen Arbeits-und Lebenswelt laut Professor Sascha Stowasser, Leiter des Düssel-dorfer Instituts für Angewandte Arbeitswissenschaften (ifaa), „nocham Anfang“ steht.Für Personaler sind vor allem die Aspekte Führung und Handlungs-spielraum entscheidend. Viele Unternehmen bürden Arbeitnehmernmit ihren Strukturen, Abläufen und Führungsideen auf, die „Extra-meile“ zu gehen, auch im 4.0-Zeitalter. Sie schauen nicht (genaugenug) hin, wenn Mitarbeiter erste Signale der Überlastung senden,indem sie sich ins Schweigen zurückziehen; wenn Management-vorgaben die Kapazitäten des Personals strapazieren, als seien dieskalierbar: Während die Krankenschwester statt früher fünf nunzehn Patienten versorgen muss, operiert der Chirurg doppelt so oft,um der Klinik die kalkulierten Mehreinnahmen zu sichern. Und natürlich sehen sich auch viele Manager selbst überfordert,gerade auf den mittleren Ebenen. Eigentlich lösungs- und ressour-cenorientierte Charaktere werden von den Ansprüchen aller Seitenund der dauernden Ambidextrie in den Frust getrieben: Hier saugtdas Tagesgeschäft, dort drückt der digitale und organisationaleWandel – zu viel, zu schnell, zu dicht.So verkehrt sich Bock auf Arbeit bisweilen ins Gegenteil. HirnforscherEsch sagt: „Auch vermeintlich positiver Stress kann bei Dauerlastzu stressassoziierten Warnsignalen, Symptomen oder sogar Erkran-kungen führen. Es ist immer eine Frage von Dauer, Dosis und Formder Belastung. Wobei ein Unterschied ist, ob ich den Stress kon-trollieren und damit steuern kann oder eben nicht.“

5. Die Fragmentierung des Alltags

Der Mensch will Anregung. Und er braucht Sicherheit, Verlässlichkeit.Es ist eine Frage der Balance. „Je instabiler die Welt um uns wird,desto stabiler müssen wir Menschen werden“, schreibt ThomasWürzburger, promovierter Jurist, Mediator und Berater, in seinemBuch namens „Die Agilitätsfalle“. Deshalb ist und bleibt auch Multitasking nicht hilfreich. Aufgabengleichzeitig statt hintereinander zu erledigen, ist weder bewunderns-wert noch sachdienlich. Aber die einen checken während des Job-telefonats private Mails, die anderen surfen beim Essen in derKantine. Diese „Fragmentierung“ des Alltags, wie der an der Uni-versität Ulm lehrende Molekularpsychologe Christian Montag dasjüngst in der Süddeutschen Zeitung nannte, kann zu Leistungsein-

Im Durchschnitt fällt jeder DAK-Versicherte 2,36 Tage im Jahr aufgrund einer psychischen Erkrankung aus. In der Grafik nicht ersichtlich:Die meisten Fehltage werden durch Depressionen verursacht (93 von 236 Fehltagen).

Entwicklung der Arbeitsunfähigkeit von DAK-Versicherten aufgrund psychischer ErkrankungenQu

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2006

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2012

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Fünf mögliche Schwerpunkte für einpräventives HR-Konzept

1 Betriebliches Gesundheitsmanagement: Löst kein Problem, kann dieLösung aber unterstützen

2 Führungskräfteauswahl und -begleitung: Vorbilder für offene, ihrerselbst bewusste Mitarbeiter

3 Resilienztraining für Teams und Personen: Kompetenz zur Vermeidungund Bewältigung von Krisen

4 Handlungsspielraum am Arbeitsplatz: Ausstattung, Autonomie, Vertrauen plus – entscheidend – intensiver Austausch

5 Persönliche Präsenz auf den Fluren: Wer von Unternehmenskulturspricht, muss erstmal zuhören und mitreden.

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TITEL NAME DES BEITRAGS

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Wenn sich die Klammer schließtKein Mensch lässt seine Persönlichkeit zurück, wenn die Arbeit beginnt.Und umgekehrt. Was daraus folgt, erleben Anbieter von Employee Assistant Programs täglich. Ein Bericht aus Berlin.

uKein Flachländer käme auf die Idee, mal eben mit der Familieauf den Mont Blanc zu klettern. In der Arbeitswelt treiben vieleFührungskräfte sich und ihre Mitarbeiter untrainiert den Berghoch. Dennoch wäre es zu kurz gegriffen, die Phänomenologievon negativem Stress, Überforderung und Zusammenbruch inUnternehmen allein einer irrigen Leitkultur zu überantworten. Kaum jemand kann das besser beurteilen als Jutta Dreyer. DieSozialarbeiterin, systemische Familientherapeutin und Trainerinfür psychologische Gesundheitsförderung leitet bei der PMEFamilienservice Gruppe den Bereich Lebenslagen-Coaching.Ihr bundesweites Team nimmt Anrufe von Führungskräftenund Mitarbeitern entgegen, die ihrer Probleme nicht mehr Herrwerden. Solche Employee Assistance Programs (EAP) werdenauch von vielen anderen Akteuren angeboten. Sie richten sichan Beschäftigte, aber auch an Organisationen. Und die meisten Anrufer schimpfen eben nicht einfach über denJob. Sie wählen die Hotline, „weil sie neben dem Stress bei derArbeit auch private Sorgen wegen einer Trennung oder bei Schul-problemen der Kinder belasten“, sagt Dreyer. Gerade jüngereVäter und Mütter fänden nachts kaum Schlaf, weil sie wegenFamiliengründung und hoher Arbeitsbelastung auf dem Zahn-fleisch gehen.

Das Risiko der Einsamen

Die Experten schauen genau hin: Welches Ausmaß hat die Belas-tung, welche Anteile gehen auf Job und Privates zurück? So fühlensich sehr viele Menschen einsam, laut Dreyer trifft das auf etwaein Fünftel der 29- bis 49-Jährigen zu. Wenn Einsamkeit mithoher Arbeitsbelastung zusammentrifft, wird es gefährlich, Rück-zug und Depressionen seien gravierende Folgen. Ein anderesSchlüsselthema sind zu hohe Ansprüche an sich selbst. Perfek-tionisten sind laut Dreyer „häufiger in Konflikte verwickelt undsorgen für schlechte Stimmung“. Andere Stressoren sind in den Organisationen verwurzelt. BeispielGesundheitssektor: Viele Kliniken leiden unter enormer Arbeits-verdichtung und einem gravierenden Personalmangel. Darauskann ein Zwangsjackengefühl entstehen, wie man es – selten soextrem – in vielen Branchen kennt. Dreyer: „Die Beschäftigtengehen oft krank zur Arbeit, weil sie ihre Kollegen nicht hängen-lassen wollen.“ Denn langfristig hoffentlich entlastende Megatrends wie Digi-talisierung respektive Wandel können erstmal das Gegenteilbewirken. Dreyer berichtet von Behörden und Unternehmen, in

denen jüngere, technikaffine Führungskräfte, die Abläufe ver-schlanken wollen, auf Mitarbeiter treffen, die keine Ahnung vonTools und Big Data haben und sich mit Disruption und Trans-formation schwertun.

Kontinuierlich kommunizieren

Verdichtete Arbeit, überforderte Menschen: Wie können Unter-nehmensleitungen und HRler damit umgehen? Dreyer spricht vonWorkshops in Teams und Abteilungen, von Coachings etwa zumPerspektivwechsel – wenn Führungskräfte und Mitarbeiter dieRollen tauschten, wirke das „sehr erhellend und bereichernd“ –,sie empfiehlt Präventionskonzepte und „individuelle Unterstüt-zungsangebote“ für die Beschäftigten. Vor allem aber betont siedie Bedeutung „kontinuierlichen Dialogs“. Mitarbeiter müsstenGehör finden, bräuchten Unterstützung und Feedback. Mangel anAufmerksamkeit werde von ihnen als „Kränkung wahrgenommen,die das Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein belastet“. Viele Führungskräfte aber scheuen vermeintlich schwierigeGespräche. Denn die meisten sind dafür so wenig gerüstet wiefür den Mont Blanc. „Sie fühlen sich damit überfordert, insbe-sondere wenn Mitarbeiter psychische Probleme zeigen“, so Dreyer,die auf die stützende Wirkung agiler Strukturen hofft. Denn diekönnen Austausch und Kooperation anregen, Ressourcen frei-setzen und konzentrieren – darum geht’s am Berg. (wg) p

Jutta Dreyer, PME Familienservice: Viele Führungskräfte fühlensich mit Mitarbeitergesprächen überfordert – besonders wennes um psychische Probleme geht.

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5. Der Aktionsplan wird, begleitet vom Gesundheitsmanagement,umgesetzt. Im Fachgebiet finden regelmäßige Statusgesprächemit der Personalentwicklung und dem Personalrat statt.

6. Nach anderthalb bis zwei Jahren werden Wirksamkeitsmes-sungen durchgeführt und der Aktionsplan eventuell nachjus-tiert.

IT Niedersachsen führt den Erfolg des Programms unter anderemdarauf zurück, dass es ein lernendes System ist: Es erfasst etwaigenHandlungs- und Verbesserungsbedarf automatisch und verfolgtdie Ergebnisse der umgesetzten Maßnahmen. Dazu zählen einCoaching für Führungskräfte, ein Fotowettbewerb zur Wand-gestaltung und die Installation einer Tageslichtdecke im Leitstand,also der Zentrale zur technischen Steuerung. 12 der 29 Fach-gebiete nehmen bereits an dem Programm Teil, die anderensollen folgen.Laut IT Niedersachsen baut das Modell auf vorhandenen Struk-turen auf und bindet vielfältige Akteure ein. Zudem habe diefachliche Beratung, etwa durch das Gewerbeaufsichtsamt, inhalt-liche Sicherheit gegeben. Dass die Geschäftsführung des Lan-desbetriebs an den Umsetzungsworkshops aktiv mitwirkt, werdevon den Mitarbeitern als besondere Wertschätzung erlebt. Allein,Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut: Die Umsetzungeines solchen Vorhabens braucht Zeit. Zur Implementierungwerden pro Fachgebiet jeweils zwei bis zweieinhalb Jahre ver-anschlagt.

Partizipation der Mitarbeiter, Einbindung der Führungsebene,fortwährende Erfolgskontrolle: Die Prinzipien eines wirkungs-vollen Gesundheitsschutzes im Unternehmen sind den meistenArbeitgebern bewusst. Und doch fällt es vielen schwer, diesesWissen umfänglich in Taten zu übersetzen. Nicht so IT Nieder-sachsen, zentraler Technikdienstleister der niedersächsischenLandesverwaltung mit rund 650 Beschäftigten. 2013 bildete sichdort eine Arbeitsgruppe, die dem überdurchschnittlich hohenKrankenstand und dem großen Risiko psychischer Belastungenbei Wissensarbeit etwas entgegensetzen wollte. Das Resultat warein Sechsstufenprogramm, das wie folgt aufgebaut ist:1. In einem einführenden Gespräch werden die Mitarbeiter eines

Fachgebietes über die Inhalte und Vorgehensweisen des Pro-gramms informiert.

2. Die Mitarbeiter beantworten anonym einen Kurzfragebogen,der von IT.Niedersachsen mithilfe von Fachexperten und wei-teren Beteiligten entwickelt wurde. Darin wird unter anderemnach konkreten Belastungen und Vorschlägen zur Verbesserungder Arbeitssituation gefragt.

3. Die Ergebnisse werden durch eine Prozessbegleiterin ausge-wertet. Anschließend erarbeitet das unternehmensinterneGesundheitsmanagement einen Aktionsplan.

4. In einem Umsetzungsworkshop in Anwesenheit der Geschäfts-führung wird der Aktionsplan umfassend geprüft und weiter-entwickelt.

Wissen trifft BewusstseinPraxisbeispiel 2: IT Niedersachsen

bußen führen. Auch da scheinen, logisch, speziell die Jüngerenbetroffen. „15- bis 35-Jährige nutzen das Smartphone rund zwei-einhalb Stunden am Tag aktiv. Ein absoluter Produktivitätskiller“,so Montag. Aber wo verläuft die Grenze zwischen Vielfalt, Bewegung, Wandel– und Fragmentierung? Vielleicht da, wo die Betroffenen gehörtwerden, Prozesse beeinflussen können, ohne sich wiederum selbstüberlassen zu sein. Denn gerade mit hohem Freiheitsgrad ausgestatteteFirmenkulturen sprächen engagierte Menschen an, sagt JoachimSchledt, Vorstandschef des Personalernetzwerks Initiative Wegezur Selbst GmbH. „Ein Indikator für solche Strukturen ist die Ver-trauensarbeitszeit. Hier entsteht ein enormes Risiko für Mitarbeiter,sich auszubeuten.“ Und natürlich kann man nicht voraussetzen, dass Mitarbeiter inder Digitalisierung nur Erleichterung sehen. Laut der Deloitte-Studievon 2018 fühlten sich nur 37 Prozent der Deutschen im Millen-nial-Alter dafür gewappnet. Siemens-Experte Birner sagt, die Trans-formation könne positiv oder negativ wirken (siehe Seite 26). Wichtigsei, den Menschen im Zuge des Prozesses dauerndes, lebenslangesLernen zu ermöglichen. Den Wandel in diesem Sinne zu steuern,sei Aufgabe von HR.

6. Was zu tun ist: Hinschauen

Wie bekannt: Mit den Mitarbeitern durchleben auch Personaleranspruchsvolle, agile Zeiten. Sie müssen erkennen, wann überlasteteMitarbeiter eine Auszeit brauchen, und sich dafür einsetzen, dassStrukturen und Führungskulturen auf den Prüfstand kommen. KaiRomes, als Kollege von Schledt im Vorstand der Initiative Wege

>> Fortsetzung von Seite 29

49 %Prozent der abhängig Beschäftigten

in Deutschland gaben 2017 gegen-

über der Bundesanstalt für Arbeits-

schutz und Arbeitsmedizin an, ihre

Arbeitszeit verkürzen zu wollen.

12 Prozent wollten sie beibehalten,

39 Prozent verlängern.

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TITEL VIEL ZU VIEL ARBEIT

zur Selbst GmbH für „HR Next Generation“ zuständig, attestiertden Unternehmen großen Nachholbedarf: „Mitarbeiter mit einemRisikopotenzial werden durch die Organisation oft nicht hinreichendgeschützt.“ Ansatzpunkt für HR ist für Romes nicht das Betriebliche Gesund-heitsmanagement (BGM). Das dient seiner Meinung nach lediglichder Symptombehandlung oder dem Employer Branding. SubstanzielleVerbesserungen lägen vielmehr in einer Neugewichtung von HR-Instrumenten, vor allem bei der Führung. Von BGM hat die Mehrheitder Experten eine andere, bessere Meinung, aber in einem werdensie Romes zustimmen: Vorgesetzte, sagt er, sollten individuell aufihre Mitarbeiter eingehen und deren „persönliche Währung“ berück-sichtigen. Motto: Low Performer behutsam auf Touren bringen,Überflieger unverzüglich einbremsen. Und was wollen und können die Arbeitnehmer tun? Laut einerBefragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz (BAuA) von 9000Beschäftigten möchte jeder Zweite kürzertreten. Freilich ist es nichtdamit getan, wie der Business Coach Markus Väth in seinem Buch„Feierabend habe ich, wenn ich tot bin“ festhält. Er rät dem Einzelnendazu, Privatleben und Beruf strikt zu trennen, das Zeitmanagementzu überdenken und Multitasking zu vermeiden. Esch allerdings hält das für unzureichend: „Die Vorstellung, dasses eine gute Strategie sei, sich einfach stärker von der Arbeit abzu-grenzen, ist als nur kurzfristig wirksame Strategie entlarvt. Wir spre-chen vom sogenannten Cool-down, was lediglich eine Vortür zumBurn-out ist.“ Besser sei es, „die Beziehungen mit den Menschenam Arbeitsplatz auf eine Ebene zu bringen, die ein Miteinander,eine Teamfähigkeit und letztlich eine Inspiration für alle ermöglicht“.

7. Was noch zu tun ist: Reden

Womit wir beim großen, bekannten, entscheidenden Stichwortwären: Kommunikation. Über psychische Erkrankungen wird inUnternehmen noch zu wenig gesprochen – wenn auch deutlichhäufiger als früher, wie Birner nicht nur mit Blick auf Siemensbetont. Die preisgekrönte Kampagne des Konzerns namens „#Brea-kingTheSilence“ zeigt, wie wichtig eine Atmosphäre ist, in derBeschäftigte offen und angstfrei über das Zuviel sprechen können.Andere Beispiele für – immerhin – wachsendes Problembewusstseinin den Chefetagen und strukturelle Umsetzung der Erkenntnissegeben BASF (Seite 25) und IT Niedersachsen (Seite 31). Kai Romes seinerseits rät zu „wertschätzenden Rückkehrgesprächen“.Damit sei weit mehr zu bewirken als mit den Instrumenten desgesetzlich vorgegebenen Betrieblichen Eingliederungsmanagements(BEM). Sei die Führungskultur ernsthaft an Wertschätzung, Offenheitsowie Kommunikation und Partizipation ausgerichtet, würdensolche Gespräche nicht „als Bestrafung“ empfunden. Gehe die Chef-etage mit gutem Beispiel voran und werde das im Unternehmenbreit kommuniziert, sei schon viel erreicht, ergänzt Joachim Schledt.Wer jedoch partout die eigenen Grenzen ignoriere, müsse mit„Zwangsnahmen zum Eigenschutz“ rechnen. So weit muss man vielleicht nicht gehen. Aber natürlich steht auchder Arbeitnehmer in der Verantwortung. Er muss, Stichwort Selbst-fürsorge, das Seine tun, um Ausgleich zu schaffen: Zwischen Workund Privatleben, zwischen Veränderung und Stabilität. HirnforscherEsch erklärt „Phasen des Abenteuers, des Sich-Aufmachens“, auchder Be- und zeitweisen Überlastung „für notwendig, um über dieHerausforderungen zu wachsen und schließlich ein höheres Maßan Zufriedenheit zu erlangen“. Es komme darauf an, schwierigePhasen als Teil des Prozesses zu akzeptieren und auszuhalten und„ohne zu viel Schaden hindurchzukommen“. Und HR? Versucht, auf ein Gesamtkonzept hin- und dem Reflexvieler Unternehmenslenker entgegenzuwirken, mechanisch denTrends zu folgen. Und hilft beim Ausbalancieren von Spannungenund Interessen, wie es Norma Schöwe, Geschäftsführerin der Deut-schen Gesellschaft für Personalführung, im Interview ausdrückt(Seite 33). Beides am besten mit Bock und dem Anspruch, es gutzu machen – wenn auch nicht perfekt. p

Guter Stoff: Inspiration zum Weitermachen

Klicken: • Unseren ausführlichen Dialog mit dem Glücksforscher Professor

Dr. Tobias Esch finden Sie auf www.personalwirtschaft.de

• Ebenso auf unserer Website: der Schwerpunkt zum ThemaMitarbeiterbegeisterung („Bock auf Arbeit!“) aus 2018 und …

• … ein Interview mit der Ärztin Dr. Mirriam Prieß über „HR als Burnout-Falle“.

• Die Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) bietet Material undInformationen für HR und Führungskräfte unter: www.inqa.de

• Innerhalb der Initiative bietet das Angebot psyGA praktischeUnterstützung für eine starke psychische Gesundheit: www.psyga.info

Blättern: • Für den Einzelnen: „Die Agilitäts-Falle“ von Thomas Würzburger ist

druckfrisch und gibt Impulse, in einer zunehmend agilen Welt resilient zu bleiben. Vahlen, 24,90 Euro.

• Für die Organisation: In „Kick off“ (auch neu) beschreibt MarkusBaumanns einen Weg zur „Organisation der Zukunft“, die auf lebendigeZusammenarbeit setzt. Murmann, 20,60 Euro.

Arbeiten: Die Kölner Agile-Berater HR Pioneers haben mit dem „Wertegefährten“ein überzeugendes Arbeitsbuch zur Entdeckung und Reflexion der persönlichen Haltung konzipiert. Eine gut gemachte Einladung, die eigenePerspektive zu erweitern. Bestellbar über www.hr-pioneers.com, 35 Euro.

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u Personalwirtschaft: Frau Schöwe, Sie sind seit drei MonatenDGFP-Geschäftsführerin und waren 13 Jahre als HR-Managerinbei Continental tätig. In welchen Phasen Ihres Berufslebenshaben Sie selbst Überlastung und Dauerdruck erlebt? Norma Schöwe: Die Vorbereitungen auf die beiden juristischenStaatsexamina während meiner Studienzeit habe ich als sehrintensiv wahrgenommen. Hier galt es, ein sehr breites Wissens-gebiet auf den Punkt abrufbar zu haben. Natürlich gab es auchspäter im Beruf immer wieder Phasen mit einem sehr hohenWorkload. Wirklich überlastet gefühlt habe ich mich dabei abernicht. Mit einer sinnvollen Priorisierung und einem guten Selbst-management waren eigentlich alle Aufgaben zu erledigen.

Unser Eindruck ist, dass sich viele HRler an oder jenseits derBelastungsgrenze sehen, nicht zuletzt durch Digitalisierungund Agilisierung. Wie ist Ihr Eindruck?Laut einer Kienbaum-Studie ist in fast 80 Prozent der Unterneh-men die Digitalisierung noch kein Teil der HR-Strategie. Unddort, wo HR schon digital wird, geschieht dies in der Regel Schrittfür Schritt entlang der Prozesse, zum Beispiel über App-basierteEmployee Self Services. Auch beim organisatorischen Wandelist mein Eindruck ein anderer: Ich erlebe sehr viele HRler, diesich begeistert zum Beispiel mit den Tools aus dem agilen The-menkreis befassen und diese gerne in ihrem Arbeitsalltag einsetzenmöchten. Problematisch sehe ich eher das Gegenteil: Wir wollenumfassend ausgebildete HRler, die in der Lage sind, auf Augenhöhemit dem Geschäft zu agieren. Und dann frustrieren wir sie miteiner Realität, in der die Excel-Tabelle häufig noch das Maß derDinge ist.

Jenseits der New-Work-Aspekte: Wie überlastungsgefährdetsind HRler?Wir haben es als HRler mit Menschen und häufig mit deren per-sönlichen Herausforderungen zu tun. Der Spagat zwischen Empa-thie und professioneller Haltung mag im Einzelfall fordernd sein.Ich habe aber grundsätzlich nicht den Eindruck, dass HRler mehrals die Mitarbeiter anderer Funktionen überlastungsgefährdetsind. Im Gegenteil: Die Digitalisierung hilft uns, Ressourcen fürdie Lösung strategischer Herausforderungen einzusetzen. Sie isteine Chance, der wir uns mit Interesse und Neugier stellen sollten.

Was ist mit dem Stichwort Ohnmacht? Immer wieder hört mandoch die Aussage, Personaler hätten einerseits so viel und Wich-

„Ich sehe HRler nicht besonders gefährdet“Überdruck durch ständige Veränderung? Die neue DGFP-Geschäftsführerin Norma Schöweerlebt die Stimmung unter Personalmanagern anders. Auch und gerade die Digitalisierung sei kein Problem – es sei denn, sie lasse auf sich warten.

Norma Schöwe ist seit Februar Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaftfür Personalführung (DGFP).

tiges zu leisten, andererseits so wenig zu sagen, wenn es umWeichenstellungen in Unternehmen geht. Machen wir hier den Berg nicht größer, als er ist? Mein Eindruckwar immer: Dort, wo ich den Kollegen aus dem Business sinnvolleAntworten zu Personalfragen bieten konnte, habe ich mich aufAugenhöhe gefühlt. Oder schauen Sie auf die Vorstände: In denmeisten Dax-Boards gibt es einen Personalvorstand, dessen Stim-me das gleiche Gewicht hat wie die seiner Kollegen.

Was müssen Unternehmen gegen die psychische und physischeÜberlastung von Mitarbeitern tun – und wie weit reicht derEinfluss von HR dabei?Hier gibt es ein Spannungsfeld: Unternehmen wollen Kosten-vorteile an die Kunden weiterreichen, um konkurrenzfähig zubleiben. Fahren aber einzelne Abteilungen dauerhaft unter Wasser,werden über kurz oder lang Mitarbeiter gehen, häufig die Leis-tungsträger als erste. HR muss dieses Spannungsfeld ausbalan-cieren: durch die Eskalation nach oben, aber auch durch typischeHR-Handlungsfelder wie strategische Personalplanung, Betrieb-liches Gesundheitsmanagement oder Maßnahmen zur Stärkungder Teamresilienz. Das Gefühl der Überlastung hat auch einesubjektive Komponente. Hier kann HR zum Beispiel als Coachzu den Themen Selbstmanagement und Selbstwirksamkeit unter-stützen. (nr) p

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RECHT & POLITIK ARBEITSZEITGESETZ

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sie den Aufsichtsbehörden auf Verlangen vorzulegen. Zweckdieser Vorschriften ist es, den Aufsichtsbehörden eine Über-prüfung zu ermöglichen, ob die arbeitszeitrechtlichen undweitere gesetzlichen Bestimmungen (Mindestlohn) eingehaltenwerden. Die Aufzeichnungspflicht betrifft nur Zeiten, in denenim Arbeitsverhältnis gearbeitet wird. In Bezug auf Selbststän-dige gibt es eine solche Pflicht nicht, wohl aber für die Lenk-zeiten selbstständig tätiger Fahrer im Straßentransport.Laut Arbeitszeitgesetz (ArbZG, § 16 Absatz 2) ist die „überdie werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 ArbZG hinaus-gehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen“. Diederart überschreitende Zeit muss innerhalb des Ausgleichs-zeitraumes (sechs Kalendermonate respektive 24 Wochen)so kompensiert werden, dass im Durchschnitt acht Stundenwerktäglich nicht überschritten werden. Werktage sind dieTage von Montag bis Sonnabend jeder Woche, soweit sienicht auf einen gesetzlichen Feiertag fallen. Aufzuzeichnenist daher jede Arbeitszeit von mehr als acht Stunden (ohnedie Ruhepausen) an jedem Werktag sowie jedwede Arbeitszeitan einem Sonntag oder an einem gesetzlichen Feiertag.Arbeitszeit im Sinne des ArbZG ist die Zeit vom Beginn biszum Ende der Arbeit ohne Ruhepausen, wobei die für ver-schiedene Arbeitgeber geleisteten Zeiten zusammenzurech-nen sind.Nach seinem bloßen Wortlaut wäre § 16 Absatz 2 ArbZGmit der Aufzeichnung nur der werktäglich acht Stundenüberschreitenden Arbeitszeiten Genüge getan. Zur Kontrolleder Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes gehört aber auch diePrüfung, inwieweit eine über dieses Quantum hinausgehendeArbeitszeit entsprechend den gesetzlichen Bestimmungenausgeglichen wurde oder noch auszugleichen ist. Dies erfor-

Harald Schliemann: Arbeitszeitgesetz (ArbZG) –Arbeitszeitgesetz mitNebengesetzen, 4. Auflage,Wolters Kluwer, erscheintSeptember 2019, 109 Euro

uDie klassische Stechuhr sehen wir immer seltenerin Deutschland, aber nach wie vor ist die ZeiterfassungTeil unseres beruflichen Alltags. Denn die Arbeitszeitist gesetzlich begrenzt, um Arbeitnehmer vor Über-beanspruchung zu schützen, und bildet die Grundlagezur Bemessung ihres Entgelts. Wird die Arbeit in denRäumen einer Betriebsstätte geleistet, so wird dieArbeitszeit bei ortsfest eingesetzten Arbeitnehmernin der Regel an einem sogenannten Zählpunkt erfasst.Sie beginnt mit dem Betreten des Betriebs und endet,wenn man ihn verlässt. Diese Verbindung von Arbeitsort und Arbeitszeitlöst sich zunehmend auf. Homeoffice, Mobile Officeund Mobile Working greifen um sich, Smartphones,Tablets und Co. machen es möglich. Die Loslösungvom klassischen Arbeitsort „Betrieb“ führt zu neuenMethoden der Zeiterfassung. Wie können und dürfenmobile Endgeräte dabei genutzt werden? Welche all-gemeinen arbeitsrechtlichen Bedingungen sind dabeizu beachten? Harald Schliemann, langjähriger Vor-sitzender Richter am Bundesarbeitsgericht und frü-herer Justizminister von Thüringen, fasst die grund-legenden Gesichtspunkte des Themas im Folgendenzusammen.

Der gesetzliche Rahmen: Pflichten zurArbeitszeitaufzeichnung

Etliche gesetzliche Bestimmungen schreiben vor, dieArbeitszeit „aufzuzeichnen“, die Aufzeichnungen fürin der Regel mindestens zwei Jahre aufzubewahren und

Aufzeichnung muss sein – und sei es mobilDer Gesetzgeber schreibt die Erfassung der Arbeitszeiten jedes einzelnen Mitarbeiters vor, ob mit dem Kugelschreiber oder mit mobilen Endgeräten.Was so einfach klingt, gestaltet sich im rechtlichen Detail durchaus knifflig.

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Arbeitgeber sollen verpflichtet werden, Arbeitszeiten von Beschäftigten durch ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ zu erfassen. Das hat der Euro-päische Gerichtshof Mitte Mai entschieden. Nur so lasse sich nachhalten, „ob diewöchentliche Höchstarbeitszeit einschließlich der Überstunden sowie die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten eingehalten worden sind“. Experten zufolge hat das Urteil hohe praktische Bedeutung – unter anderem für die Mehrarbeitsvergütung und die Mitbestimmung. Die Mitgliedstaaten der EU müssen die Entscheidung nun in nationales Recht umsetzen. Eine Aufzeichnungspflicht gilt in Deutschland bislang nur für Überstunden. (fsk)

+++ Was diese Neuerung für Unternehmen allgemein und HR konkret bedeutet, thematisieren wir in der kommenden Ausgabe in einem Schwerpunkt. +++

EuGH: Zeiterfassung ist Pflicht

35Personalwirtschaft 06_2019

dert – nicht zuletzt im Interesse der Arbeitgeber –, Auf-zeichnungen zu führen, aus denen sich der notwendigeArbeitszeitausgleich ohne Weiteres ergibt.Das Mindestlohngesetz (MiLoG, § 17 Absatz 1) statuiertfür Arbeitgeber und für Entleiher im Sinne des AÜG beieiner geringfügigen Beschäftigung oder einer Beschäftigungin bestimmten Wirtschaftsbereichen oder -zweigen (Auf-zählung in § 2a Schwarzarbeitbekämpfungsgesetz) diePflicht, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeitjedes Beschäftigten spätestens binnensieben Tagen nach der Arbeitsleis-tung aufzuzeichnen, die Aufzeich-nung zwei Jahre aufzubewahren undder Aufsichtsbehörde vorzulegen. Nach dem Ladenöffnungsrecht derLänder müssen zudem alle Beschäf-tigungen von Arbeitnehmern inLadengeschäften aller Art, Verkaufs-ständen oder -stellen an Sonn- undgesetzlichen Feiertagen nach Art undDauer einschließlich des Freizeitausgleichs aufgezeichnetund aufbewahrt sowie vorgelegt werden. Alle einschlägigen gesetzlichen Pflichten sehen vor, dieArbeitszeit individuell für jeden Arbeitnehmer aufzu-zeichnen. Es genügt nicht, dies für eine Gruppe von Arbeit-nehmern zu tun, etwa im Zuge der Rechnungserstellunggegenüber Kunden. Im Übrigen schuldet der Arbeitgeber zwar die Aufzeich-nung der Arbeitszeit. Er darf damit aber die Vorgesetzten(etwa Abteilungsleiter) betrauen und sogar den einzelnenArbeitnehmer. Jedoch bleibt er auch in solchem Fall fürden Vollzug der Aufzeichnung verantwortlich.

Besonderheiten der mobilen Aufzeichnung

Die gesetzlichen Bestimmungen schreiben keine tech-nische Methode für die Aufzeichnung der Arbeitszeitvor. Die Aufzeichnung kann von Hand, aber auch maschi-nell und sogar „automatisch“ erfolgen – mobile Endgeräteeingeschlossen. Dies gilt unter der Voraussetzung, dassdie Aufzeichnung die Arbeitszeit (und nicht etwa nurdie Maschinenbedienzeit) jedes einzelnen Arbeitnehmersfesthält, für die Dauer der Frist zur Aufbewahrung unver-ändert erhalten bleibt und der Aufsichtsbehörde elek-tronisch zugeleitet oder ihr in Form eines Ausdrucksüberreicht wird.Für den Einsatz mobiler elektronische Geräte wirft diesdie Frage auf, wie die Arbeitszeitaufzeichnung technisch(Hardware, Software) bewirkt werden soll. Dies soll hiernicht angesprochen werden. Eines ist aus datenschutz-rechtlichen Gründen aber bei jeder Methode geboten:Die Aufzeichnung und ihre Methode müssen gegenüberdem Arbeitnehmer „offengelegt“ werden. Ohne Einwil-ligung des Arbeitnehmers darf der Arbeitgeber das mobile

Gerät nicht „auslesen“, um die Arbeitszeit zu ermitteln.Dies ist aus der sogenannten Keylogger-Entscheidungdes Bundesarbeitsgerichts zu folgern. Zudem muss eine klare Regelung bestehen, wann dieArbeitszeit beginnt und endet und (bis) wann sie aufzu-zeichnen ist. Auch ist das Mitbestimmungsrecht zu beach-ten: hinsichtlich der „Lage“ der Arbeitszeit (§ 87 Absatz1 ArbZG) ebenso wie bezüglich der technischen Einrich-tung (§ 87 Absatz 1 BetrVG).

Um der Aufzeichnungs-, Aufbewah-rungs- und Vorlagepflicht für dieArbeitszeit mithilfe mobiler Gerätenachzukommen, muss der Arbeit-nehmer angewiesen werden, seineArbeitszeit mithilfe des ihm zur Ver-fügung stehenden mobilen Gerätesselbst aufzuzeichnen; die Aufzeich-nung muss dem Arbeitgeber über-mittelt und von ihm veränderungs-sicher verwahrt werden. Kritisch ist,

inwieweit nachträgliche Korrekturen der Aufzeichnungermöglicht werden sollen. Wenn sie erlaubt werden, solltedie Durchführung der Korrektur nachvollziehbar sein.

Sonderaspekt Entlohnung

Häufig wird die Arbeitszeit aus Gründen der Entlohnungaufgezeichnet. Hierfür sind das Datenschutzrecht unddie Mitbestimmungsrechte zu beachten. Insoweit geltendieselben Regeln wie bei der gesetzlichen Aufzeichnungs-pflicht. Die Aufbewahrungszeiträume für solche Auf-zeichnungen sollten die Verjährungszeiträume nicht unter-schreiten. Zu bedenken ist aber, dass die zu bezahlende Arbeitszeitnicht mit den arbeitszeitschutzrechtlichen Grenzen über-einstimmen muss. Dies wirft die Frage auf, ob eine zweite,auf die Entlohnung konzentrierte Aufzeichnung geführtwerden soll. Wenn ja, müsste die Software entsprechendeingerichtet werden. p

Der Arbeitgeber darf mit der Aufzeichnung

Vorgesetzte und sogar denArbeitnehmer selbst

betrauen – er bleibt aberfür die Durchführung

verantwortlich.

Harald Schliemann, Rechtsanwalt,Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht a.D., Thüringer Justizminister a.D., [email protected]

AUTOR

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Erst rechnen, dann einstellenDas Befristungsrecht ist arbeitsrechtliches Kernrecht. Jetzt schon unübersichtlich undein steter Zankapfel der Politik, könnte es weiter verschärft werden. Neue Fehlerquellenwären programmiert.

uDie arbeitsmarktpolitische Bedeutung befristeterArbeitsverhältnisse ist hoch. Sie haben im Jahr 2017laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsfor-schung (IAB) mit 3,15 Millionen einen neuen Höchst-stand erreicht, was nach der Stichprobe etwa 8,3 Pro-zent der Beschäftigten in Deutschland entspricht.Zugleich sind die Chancen der befristeten Arbeitneh-mer, in eine unbefristete Beschäftigung übernommenzu werden (Brückenfunkti-on der Befristung), in denletzten Jahren kontinuierlichgestiegen. Gleichwohl plant die Bun-desregierung ausweislich desKoalitionsvertrages nochimmer eine Gesetzesreform,um die Zahl und Dauer der Befristungen zu beschrän-ken und Missbrauch einzudämmen. Insbesondere diesachgrundlose Befristung nach § 14 II TzBfG soll starkbeschnitten werden. Es ist jedoch offen und höchst

umstritten, ob die im Koalitionsvertrag geplantenVorhaben im Hinblick auf die Beschäftigungsmög-lichkeiten der Betroffenen zielführend und in derUnternehmenswirklichkeit tragfähig sind.Seit Inkrafttreten des Beschäftigungsförderungsgesetzesim Jahr 1985 streiten die politischen Akteure über diegesetzliche Regulierung befristeter Arbeitsverträgeund das „richtige Maß“ an Flexibilität auf dem deut-

schen Arbeitsmarkt. Das Be -fristungsrecht ist aber nichtnur ein steter Zankapfel derPolitik, sondern produziertgleichermaßen in Hülle undFülle Rechtsprechung derInstanzengerichte, des Bun-desarbeitsgerichts (BAG),

des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und letztlichdes Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Dabei gehenSchätzungen davon aus, dass bis zur Hälfte aller befris-teten Arbeitsverträge des öffentlichen Dienstes rechts-

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RECHT & POLITIK BEFRISTUNGSRECHT

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Bereits seit 1985 streiten politische Akteure über

die Regulierung befristeterArbeitsverträge.

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widrig sind, sodass die betroffenen Mitarbeiter in unbefristeten Arbeits-verhältnissen stünden. Allein dieser Aspekt belegt die rechtliche Sprengkraftdes Themas.

Spagat zwischen Flexibilität und Bestandsschutz

Die zentrale Herausforderung der Regulierung befristeter Arbeitsverträgebesteht darin, die oftmals gegenläufigen Interessen von Arbeitgebernund Arbeitnehmern angemessen auszutarieren. Das Rechtsinstrumentder Befristung darf dabei nicht isoliert betrachtet werden. Für das richtigeVerständnis ist die Befristung vielmehr immer im Spannungsverhältnisvon Kündigungsschutz, Befristung, flankierenden Instrumenten wie etwaTeilzeit und Brückenteilzeit sowie alternativer Beschäftigungsformen(Leih- und Zeitarbeit, freie Mitarbeit, Werkverträge et cetera) zu bewerten.Es geht letztlich um das Thema Bestandsschutz versus Flexibilität unddie Eindämmung von Gestaltungsmissbrauch insbesondere im Bereichder sachgrundlosen Befristung und der unzulässigen Kettenbefristung.Aktuell steht noch immer die Grundlagenentscheidung des BVerfG(6.6.2018 – 1 BvL 7/14; 1 BvR 1375/14) zum Vorbeschäftigungsverbotim Blickpunkt. So erblickt das Bundesverfassungsgericht in der „Karenzzeitvon drei Jahren zur Beachtung des Vorbeschäftigungsverbots“ einenVerstoß gegen den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers, ein unzu-lässiges eigenes Regelungsmodell und damit eine unzulässige verfas-sungswidrige Rechtsfortschreibung. Die Folgen für die Unternehmenspraxis sind aus Sicht der Arbeitgeberäußerst nachteilig. Sachgrundlose Befristungen, die im Vertrauen aufdie dreijährige Karenzzeit geschlossen wurden, sind unwirksam, wenneine Vorbeschäftigung bestand. Entsprechend gelten die Arbeitsverträgegemäß § 16 1 TzBfG als auf unbestimmte Zeit geschlossen. Die Arbeits-vertragsparteien befinden sich also unversehens in einem Dauerarbeits-verhältnis, wenn der Mitarbeiter auf Entfristung klagt.Auch der EuGH bestimmt maßgeblich das deutsche Befristungsrecht.So etwa, wenn die unionsrechtliche Konformität des § 41 3 SGB VI unddamit die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses über die Regelaltersgrenzedurch (auch mehrfache) Befristung hinaus zur Prüfung steht. Der EuGHsieht keine Diskriminierung wegen des Alters und hat die Unionsrechts-konformität des § 41 3 SGB VI ebenso wie zwischenzeitlich das BAGbestätigt, weshalb Arbeitgeber nunmehr rechtssicher von der Gestal-tungsoption Gebrauch machen können.

Was der Gesetzgeber will

CDU, CSU und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag auf weitrei-chende Änderungen im Befristungsrecht geeinigt, welche die Möglichkeitinsbesondere der sachgrundlosen Befristung stark einschränken werden.Ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes nach § 14 II TzBfG sollenBefristungen nur noch für 18 statt bislang 24 Monate zulässig sein. Biszu dieser Gesamtdauer wäre nur noch eine einmalige statt einer dreimaligenVerlängerung möglich. Zusätzlich ist nach dem derzeitigen Stand geplant, eine Quote für sach-grundlose Befristungen einzuführen. Unternehmen mit mehr als 75Beschäftigten (Schwellenwert) dürfen nur noch maximal 2,5 Prozent derBelegschaft sachgrundlos befristen. Bei einem Überschreiten dieser Quotegilt jedes weitere dieser Arbeitsverhältnisse als unbefristet zustande

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RECHT & POLITIK BEFRISTUNGSRECHT

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gekommen. Der Bezugspunkt soll dabei jeweils derZeitpunkt der letzten Einstellung ohne Sachgrundsein.

Ein Schwellenwert ohne Sachgrund

Für mittelständische und Großunternehmen würdedie sachgrundlose Befristung damit zu einem „Exoten“,der mit einem hohen Bearbeitungs- und Kontrollauf-wand einhergeht. So kann etwa ein Unternehmen mit500 Arbeitnehmern nur noch zwölf Mitarbeiter wirk-sam sachgrundlos befristen. Bei Unternehmen mithundert Beschäftigten wären es nur zwei Mitarbeiterentsprechend zwei Prozent derBelegschaft. Wie Unternehmen aufdiese Einschränkung reagieren wer-den, ist offen. Neben den erhofftenunbefristeten Einstellungen könntees zu mehr Befristungen mit Sach-grund kommen. Denkbar ist auchein verstärkter Rückgriff auf interneund externe Instrumente des Per-sonaleinsatzes wie Überstunden,Jobrotation, Leiharbeit, freie Mit-arbeiter, Dienst- oder Werkverträge sowie alternie-rende Beschäftigungsformen.Mit der Einführung eines Schwellenwertes von 75Beschäftigten oberhalb dessen der Gesetzgeber dieNeuregelung einführen will, offenbart er letztlich seinearbeitspolitische Zielrichtung, die sachgrundlose Befris-tung in Groß- und mittelständischen Unternehmenim Sinne einer Ausnahme zurückzudrängen. Im Hin-blick auf das Ziel der Neuregelung, einem „Missbrauchbei sachgrundlosen Befristungen vorzubeugen“,erschließt es sich indes nicht, warum Unternehmenbis zu 75 Beschäftigten unbegrenzt jeden neuen Arbeit-nehmer sachgrundlos befristet einstellen können sollen,während Unternehmen ab 76 Arbeitnehmern unterdie rigide Quote von 2,5 Prozent fallen. Statt rechtlicherSachlogik geben hier der politische Kompromiss inden Koalitionsverhandlungen und die Beschränkungeiner flexiblen Personalplanung die Richtung vor.Ein besonderes Risiko bei der sachgrundlosen Befris-tung nach der geplanten Neuregelung dürfte für denArbeitgeber insbesondere darin liegen, dass bei derHöchstquote von 2,5 Prozent der Belegschaft auchsolche Befristungen zu berücksichtigen sind, bei denen– entgegen der irrigen Annahme des Arbeitsgebers –ein Sachgrund in Wirklichkeit nicht vorlag. So ergebensich prozessrechtliche Folgeprobleme im Rahmen vonEntfristungsklagen. Unter Umständen ist ein Entfris-tungsrechtsstreit auszusetzen, bis rechtskräftig überdie Wirksamkeit von Sachgrundbefristungen entschie-den ist. Gegebenenfalls haben die Arbeitsgerichte auch

Dr. Joachim Holthausen, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner,Holthausen Maaß Steffan Rechtsanwälte, Köln,[email protected]

AUTOR

die Darlegungs- und Beweislast in dem Sinne neu zujustieren, dass der Arbeitnehmer primär darzulegenund zu beweisen hat, dass von ihm im Prozess konkretbenannte Sachgrundbefristungen unwirksam sindund deshalb die 2,5-Prozent-Quote tatsächlich über-schritten wird.

Praktiker stehen vor einem Rätsel

Von der Quote dürften nach Schätzungen etwa 400000Beschäftigungsverhältnisse betroffen sein. Sie kommtletztlich einem Verbot Sie kommt letztlich einem Ver-bot von sachgrundlosen Befristungen in Betrieben

mit mehr als 76 Arbeitnehmerngleich. Denn aus der Sicht desPraktikers ist völlig unklar, wiedie Einhaltung der Quote unter-nehmensweit rechtssicher über-prüft und sichergestellt werdenkann. Dies gilt insbesondere,wenn man das Risiko gegebenen-falls unwirksamer Sachgrundbe-fristungen einpreist, die auf diezulässige Höchstquote durch-

schlagen. Auch die generelle Begrenzung der Befristung– also auch der Sachgrundbefristung – auf einen Zeit-raum von längstens fünf Jahren mag zwar politischgewollt sein, dürfte aber keine tragfähige dogmatischeGrundlage mit Blick auf die nach § 14 I TzBfG anzu-stellende Sachgrundprüfung darstellen.Befristungsrecht ist arbeitsrechtliches Kernrecht. Esist unübersichtlich. Es gibt viel zu beachten und anFehlerquellen sowie Störfaktoren mangelt es nicht.Deshalb sind gute Planung, sorgfältige Risikoabschät-zung und Dokumentation sowie konsequente Rechts-umsetzung ein unverzichtbares Muss für HR. Gleichesgilt für die regelmäßige Überprüfung des Arbeitsver-tragsbestandes und ein Update der eigenen Hand-lungspraxis an das dynamische Rechtsumfeld und dieweiterhin im Fluss befindliche Rechtsprechung. Diebeabsichtigte Neuregelung wirft zahlreiche Abgren-zungsfragen auf und birgt bis zu einer gefestigtenhöchstrichterlichen Rechtsprechung erhebliche Risikenund Unsicherheiten. p

Anstelle rechtlicher Sachlogik gibt der

politische Kompromissdie Gangart vor, die

zu einer Beschränkungder flexiblen Personal-

planung führt.

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Der skurrile Fall des Monats

Geschäftsmodell: Klagen

sächlich gewinnen würde. Am Ende wurde Nils K. eineEntschädigung in Höhe von 14 000 Euro sowie derErsatz aller materiellen Schäden aus der Benachteiligungzugesprochen.Was war passiert? Die Versicherung hatte Traineesgesucht. In der Ausschreibung wurde unter anderemein Hochschulabschluss gefordert, der nicht länger als

ein Jahr zurückliege oder innerhalbder nächsten Monate zu machen sei.Nils K., der sein Examen bereits 2001abgelegt hatte, bewarb sich undwurde abgelehnt. Daraufhin klagteer wegen Altersdiskriminierung. Imabschließenden Urteil des LAG Hes-

sen heißt es, dass die Versicherung mit der Formulierungder Stellenausschreibung klargemacht habe, „lediglichInteresse an der Gewinnung jüngerer Mitarbeiter/-innenzu haben“. Ein Rechtsmissbrauch durch Nils K. sei nurdann anzunehmen, wenn ihm lediglich daran gelegengewesen sei, den formalen Status als solchen zu erhalten,um dann Schadenersatzansprüche geltend zu machen.Es dürfte Arbeitgebern aber in der Regel schwerfallen,„objektive Umstände“ darzulegen, aus denen dies „sicherangenommen werden kann“.

Achtung bei Stellenformulierungen

Der Kölner Arbeitsrechtsprofessor Ulrich Preis hat dazueine eigene Meinung, die er in Zusammenhang miteinem anderen Verfahren von Nils K. 2013 im Spiegelkundtat: Solange eine Stellenanzeige den Eindruckerweckt, dass der Arbeitgeber für alle offen ist, und derBewerber nicht erfährt, nach welchen Kriterien tatsäch-lich ausgewählt wird, habe ein Kläger vor Gericht prak-tisch keine Chance. Im Prinzip treffe es daher „nur dieDummen und Plumpen“ unter den Arbeitgebern.Wolfram Koller, Vorstand der Systrion AG, war selbstvon einem der sogenannten AGG-Hopper betroffen.2015 legte er im Magazin „Impulse“ seine Ansicht übersolche Kläger dar: „Was mich total nervt, sind Typen,die im Prinzip gute Regeln missbrauchen, aus dem Miss-brauch ein Geschäftsmodell machen, damit das ganzeSystem belasten (…) und es letzten Endes für die wirklichSchwachen und die, die wirklich die Unterstützungbrauchen, versauen.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. p

u Der Gewinn eines Nobelpreises, ein Weltrekord imMarathonlauf – es gibt vieles, was einen persönlichenWikipedia-Eintrag rechtfertigt. Auch ein MünchenerAnwalt ist in der Online-Enzyklopädie zu finden. Wasihn auszeichnet, steht gleich im zweiten Satz: „Bekanntheiterlangte er durch zahlreiche Gerichtsprozesse, die er ineigener Sache wegen angeblicher Verstöße gegen das All-gemeine Gleichbehandlungsgesetz(AGG) führt.“ Der Fachanwalt fürArbeitsrecht und Strafverteidigersteht derzeit einmal mehr vor Gericht,dieses Mal jedoch in ureigener Sache:Wie Lto.de berichtet, sind für dasStrafverfahren gegen ihn 41 Verhand-lungstage angesetzt. Ihm wird dem Vernehmen nachBetrug wegen diverser AGG-Klagen vorgeworfen. Erselbst hatte wiederholt öffentlich geäußert, dass es ihmallein um die Anstellungen gegangen sei.Einschlägige Fachmedien vermeiden es tunlichst, seinenNamen zu nennen. „Zu viele Redaktionen, einzelne Jour-nalisten, aber auch ein Anwalt wurden Adressaten vonAbmahnungen des Münchners“, weiß Lto.de weiter zuberichten. Immerhin, die „Zeit“ schreibt von einem gewis-sen Nils K., der „ein Robin Hood der Rechtsstaatlichkeit“sein wolle. Wohlan. Die Staatsanwaltschaft Münchenlegte ihm 25 Fälle zur Last, in denen es ihm laut „Taz“gelungen sei, 80 000 Euro Entschädigung zu erhalten. In91 weiteren Fällen habe er erfolglos zusammen 1,7 Mil-lionen Euro eingefordert. Das Landgericht München Ilehnte die Eröffnung eines Strafverfahrens zunächst ab.Das Oberlandesgericht München gab später einerBeschwerde der Staatsanwaltschaft teilweise statt undließ die Anklage bezüglich 35 einzelner Vorwürfe zu. Miteinem Urteil wird frühestens im Herbst 2019 gerechnet.

Entschädigung nach neun Jahren

Am spektakulärsten dürfte – bisher zumindest – diegerichtliche Auseinandersetzung des Anwalts mit derR+V Versicherung gewesen sein. Sie führte vom Arbeits-gericht Wiesbaden bis zum Europäischen Gerichtshofund wieder zurück nach Hessen. Erst im Dezember2018, nach rund neun Jahren Prozessdauer, war dasVerfahren abgeschlossen. Wie bei einem guten Fuß-ballspiel war bis zum Schluss nicht absehbar, wer tat-

Scheinbewerber oder nicht? Das ist hier die Frage. Die AGG-Klageneines Anwalts in eigener Sache beschäftigen diverse Gerichte.VON DAVID SCHAHINIAN

In 91 weiteren Fällenhabe der Kläger erfolgloszusammen 1,7 Millionen

Euro eingefordert.

RECHT & POLITIK AUS DEM GERICHTSSAAL

Strafverfahren:

LG München I, 23.11.2015 –12 KLs 231 Js 139171/12

OLG München, 25.1.2016 –2 W 1/16

LG München I – 12 KLs 231 Js139171/12 (anhängig)

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Der hinkende VergleichDie Entgelte von Zeitarbeitnehmern und Stammangestellten weisen regelmäßigeinen großen Pay Gap auf, hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) in ihrer jährlichen Analyse ermittelt. Welche Ursachen gibt es dafür? VON CHRISTIANE SIEMANN

SPECIAL ZEITARBEIT

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uEs ist Wasser auf die Mühlen der Kritiker der Arbeit-nehmerüberlassung, und auch die tariflich gebundenenVerleihunternehmen sind nicht gerade begeistert vonden Gehaltsdaten, wenn auch aus anderen Gründen.Die Ergebnisse der Lohnstatistik zeigen: Die Brutto-arbeitsentgelte in der Zeitarbeit liegen deutlich unterden im Durchschnitt über alle Branchen erzielten Ent-gelten. Allerdings, das räumt auch die BA ein, spielenStrukturunterschiede zwischen den beiden Beschäf-tigungsgruppen eine große Rolle. Werfen wir ein Blick auf einzelne Ergebnisse: Sozial-versicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigte der Stamm-belegschaft erhielten im Jahr 2017 im Mittel ein monat-liches Bruttoarbeitsentgelt von 3209 Euro. Der mittlere

Verdienst der Leiharbeitnehmer lag mit 1868 Euroum 42 Prozent niedriger (Abbildung 1). Allerdingsist die Größe des im Durchschnitt erzielten Brutto-arbeitsentgelts wenig aussagekräftig. Ein Grund: Inder Zeitarbeit übt mehr als die Hälfte aller Vollzeit-beschäftigten eine Helfertätigkeit aus (55 Prozent, alleVollzeitbeschäftigten zwölf Prozent), die generell miteiner niedrigeren Entlohnung verbunden ist (Abbil-dung 2).

Berufsgruppen unterscheiden sich

Interessanter sind dagegen die Daten für die jeweiligeBerufsgruppe beziehungsweise für die ausgeübten

Zeitarbeitnehmer, die eine Helfertätigkeit ausüben, erhaltendurchschnittlich 27 Prozent weniger Entgelt als Helfer imDurchschnitt über alle Branchen.Bei Spezialisten- und Experten-tätigkeiten liegt der Pay Gap bei14 beziehungsweise 15 Prozent.

Lohnunterschiede zwischen Zeitarbeitnehmern und Stammbelegschaft Abbildung 1Qu

elle:

Bund

esag

entu

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019

Insgesamt

Helfer

Fachkraft

Spezialist

Experte

3209 €1868 €

2177 €1594 €

2965 €2209 €

4210 €3579 €

5302 €4566 €

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SPECIAL ZEITARBEIT

Personalwirtschaft 06_2019

Tätigkeiten: Danach verdienen Zeitarbeitnehmer, dieeine Helfertätigkeit ausüben, mit 1594 Euro durch-schnittlich 27 Prozent weniger als Helfer im Durch-schnitt über alle Branchen. Bei Tätigkeiten auf Fach-kraftniveau ist die prozentuale Abweichung ähnlichhoch (26 Prozent). Bei den mit überdurchschnittlichenVerdiensten verbundenen Spezialisten- und Exper-tentätigkeiten liegt der Pay Gap immerhin noch bei14 beziehungsweise 15 Prozent.

Ursachen für die Lohnlücke

Die Analysten der BA stellen selbst fest, dass ein einfacher Vergleich der mittleren Bruttoarbeitsentgeltezu kurz greift und nur als erster Anhaltspunkt dienenkann. Berücksichtige man zusätzlich die „systematischenUnterschiede zwischen den beiden Gruppen“, verringeresich die Lohndifferenz deutlich.Denn Zeitarbeitnehmer und Stamm-beschäftigte anderer Branchen unter-scheiden sich teils erheblich von-einander, beispielsweise in ihrensoziodemografischen Eigenschaftenoder in der Stabilität ihrer indivi-duellen Erwerbsbiografien. Würdenüberlassene Arbeitnehmer in Bezug auf das Anforde-rungsniveau (Helfer, Fachkraft, Spezialist und Experte)und andere Merkmale die gleichen Strukturen wieNichtleiharbeitnehmer aufweisen, so würde, laut BA,das Medianentgelt der Leiharbeitnehmer bei 2630 Euroliegen. Darüber hinaus verursache die tarifvertraglicheWochenarbeitszeit von 35 Stunden in der Zeitarbeitden Pay Gap.

Werner Stolz, Hauptgeschäftsführer des Interessen-verbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ),fordert daher die BA auf, einen Vergleich der Brutto-stundenlöhne vorzunehmen und nicht der Bruttomo-natslöhne. So werte das Statistische Bundesamt in seinerVerdienststrukturerhebung die Bruttostundenlöhneaus und beziehe hierbei unterschiedliche Arbeitszeit-modelle mit ein. In der Qualifikationskategorie Helferetwa betrage die Lohndifferenz zwischen Zeitarbeit-nehmern und Stammangestellten lediglich 3,4 Prozent.Weiter zeige sich, dass der Bruttomonatslohn bei Helfernunter Berücksichtigung verschiedener Arbeitszeitmo-delle um 50 Prozent höher liege als jener von Stamm-angestellten, die nicht vollzeit tätig sind. Dieser Argumentation schließt sich Thomas Hetz,Hauptgeschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbandesder Personaldienstleister (BAP), an. Auch er wünscht

sich, dass die Bruttostundenentgelteabgebildet werden. „Dies ist einerealistischere Zahl, der Pay Gapwürde zwar nicht völlig verschwin-den, aber deutlich kleiner werden.“ Doch woran liegt es, dass selbst beiPositionen für Spezialisten undFachexperten der Lohnunterschied

auch bei 14 beziehungsweise 15 Prozent liegt, obwohlviele Zeitarbeitsunternehmen kommunizieren, dassgerade diese Spezialisten viel besser bezahlt würdenund sie daher Zeitarbeit bevorzugen würden? „Erstenshandelt es sich um den Medianwert, der nur wenigAussagekraft darüber hat, wie einzelne Zeitarbeits-unternehmen ihre hoch qualifizierten Mitarbeiterbezahlen“, meint Thomas Hetz vom BAP. Zweitens

Mehr als die Hälfte der Zeit-arbeitnehmer (55 Prozent) ist im Helferbereich eingesetzt – im Vergleich zu 20 Prozent beiden übrigen Beschäftigten.Fast ein Drittel der überlassenenArbeitnehmer hat keinen Berufsabschluss vorzuweisen. Qu

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Beschäftigungsstruktur von Leiharbeitnehmern und Gesamtbeschäftigten Abbildung 2

Datenquelle:

48

39

13

33

45

22

Alter

*ohne Berücksichtigung fehlender AngabenStatistik der Bundesagentur für Arbeit

unter 35 Jahre

35 bis unter55 Jahre

MännerFrauen

55 Jahre und älter

ohne Berufs-abschluss

akademischer Abschluss

anerkannterBerufsabschluss

Ausländer Deutsche

Helfer

Fachkraft

Spezialist

Experte

71295248

Ge-schlecht

55

36

5 4

20

57

12

12

Anfor-derungs-niveau

29

62

916

68

17

Quali-f ikation*

6832

8911

Staats-ange-

hörigkeit

Strukturunterschiedespielen beim Vergleich

der beiden Beschäftigungsgruppen

eine große Rolle.

Thomas Hetz

Werner Stolz

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sei die Branche für viele Berufs-anfänger, die traditionell zunächstweniger verdienen, ein Sprung-brett in den Arbeitsmarkt. Unddrittens finden sich auch bei denSpezialistenpositionen Arbeitneh-mer mit nicht idealtypischenErwerbsbiografien und diese Personen erhielten inder gesamten deutschen Wirtschaft weniger Entgelt.

Warum der Vergleich hinkt

Genau hier liegt die Crux der BA-Analyse: Eine ana-lytisch saubere Berechnung erfordert, dass die vergli-chenen Arbeitnehmergruppen identische Merkmaleaufweisen. Dies bezieht sich auf sämtliche lohnrele-vanten sozioökonomischen Variablen wie Qualifika-tion, Arbeitszeit, Berufserfahrung, Branche, Alter,Wohnort, Betriebszugehörigkeit et cetera. Trotzdemwürde auch diese Vorgehensweise einen Pay Gap

offenbaren, dessen Ursachen unteranderem im sehr heterogenenAnbietermarkt zu finden sind. Laut BA-Statistik gibt es 11 700Unternehmen mit SchwerpunktArbeitnehmerüberlassung. Mehrals die Hälfte von ihnen hat keinen

Tarifvertrag mit den Arbeitgeberverbänden BAP undIGZ abgeschlossen. Daneben existieren noch mehr als40 000 Anbieter, die auch Zeitarbeitnehmer verleihen,wenn auch nicht im Hauptgeschäft. Auch die Entgelt-daten dieser nicht tarifgebundenen Überlassungsfirmenlaufen in die Entgeltanalyse der BA mit ein. Unterihnen werden sich nicht wenige finden, die gerade denMindestlohn bezahlen sowie keine Branchenzuschlägegewähren und daher dazu beitragen, dass die Lohnlückesich nicht schließt. Auf ihr Konto geht es häufig auch,dass der Ruf der Branche, das Image der Leiharbeitund die Arbeitsbedingungen von Zeitarbeitnehmernsich nicht nachhaltig verbessern. p

Ein einfacher Vergleichder mittleren Bruttoar-

beitsentgelte greift zu kurzund kann nur als ersterAnhaltspunkt dienen.

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Personaldienstleister fühlen sich diskriminiertDer Plan der Bundesregierung, durch die gezielte Ansprache ausländischer Mitarbeiter des Fachkräftemangels Herr zu werden, findet breite Zustimmung. Die Zeitarbeitsbranchesieht die Regelung allerdings kritisch – aus gutem Grund.

uDer Deutsche Bundestag hat Anfang Mai nach mona-telangem Ringen in erster Lesung über das Fachkräf-teeinwanderungsgesetz beraten. Der entsprechendeGesetzesentwurf sieht vor, dass Fachkräfte aus Staatenaußerhalb der EU, die über einen Arbeitsvertrag undeine anerkannte Qualifikation verfügen, in entspre-chenden Berufen in Deutschland arbeiten können.Entfallen soll die Beschränkung auf besonders vomFachkräftemangel betroffene Engpassberufe. In Kürzesoll das Gesetz endgültig verabschiedet werden.Verzichtet werden soll künftig auf die sogenannte Vor-rangprüfung, ob zunächst Deutsche oder EU-Bürgerfür die Stelle infrage kommen. Vorgesehen ist auch die Möglichkeit für Ausländer, ohne einen Job nachDeutschland zu kommen, um hier nach Beschäftigungzu suchen. Auf die Erleichterungen hatten SPD undWirtschaftsverbände seit Langem gedrängt, währendes in der Union Vorbehalte gab.Um die Stellenbesetzung zu erleichtern, können Men-schen mit Berufsausbildung für sechs Monate einenAufenthalt zur Arbeitsplatzsuche erhalten. Vorausset-zung ist, dass die Fachkraft eine anerkannte Qualifika-tion, die notwendigen Deutschkenntnisse und einengesicherten Lebensunterhalt vorweist. Während derSuche kann eine Probearbeit bis zu zehn Wochenstun-den in dem späteren Beruf ausgeübt werden. So können

beispielsweise auch Praktika bei einem potenziellenArbeitgeber ermöglicht werden. Klingt gut. Für die Zeitarbeitsbranche hat das Ganzeallerdings einen gewaltigen Haken: Der im bisherigenAufenthaltsgesetz stehende Paragraph 40, der es Per-sonaldienstleistern ausdrücklich verbietet, Menschenmit einer klassischen Berufsausbildung auch außerhalbder EU anzuwerben, bleibt bestehen.

Gut gedacht, schlecht gemacht

Sebastian Lazay, Präsident des Bundesarbeitgeberver-bandes der Personaldienstleister (BAP), sieht die Rege-lung daher kritisch: „Das Gesetz ist für den Wirtschafts-standort Deutschland längst überfällig, hat jedoch inseiner aktuellen Fassung eine immense Schwachstelle:Es schließt die Zeitarbeitsbranche bei der Anwerbungvon Fachkräften aus Drittstaaten aus. Das ist nicht nurdiskriminierend, sondern angesichts von Fachkräfte-mangel und digitalem Wandel auch kurzsichtig“, kri-tisiert Lazay. Die Erfahrung und Expertise der Personaldienstleisterkönnten kleinen und mittelständischen Unternehmenhelfen, geeignete Fachkräfte außerhalb der EU zu rekru-tieren. Zusätzlich könnten die Zeitarbeitsunternehmenden beim digitalen Wandel dringend benötigten IT-

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Das komplette Aufenthalts-gesetz finden Sie unterhttps://bit.ly/2HmYmUO.

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SPECIAL FACHKRÄFTE AUS DEM AUSLAND

Personalwirtschaft 06_2019

Fachkräften aus Drittstaaten, die jedoch des Öfterenim Projektbereich nur für kürzere Zeit gebraucht wer-den, eine langfristige Beschäftigungsperspektive inDeutschland bieten. Die Einwanderung von Fachkräftengesetzlich zu fördern und gleichzeitig jenen Wirtschafts-zweig auszuschließen, der dafür bestens geeignet ist,sei paradox. Um Personalengpässe zu vermeiden, müssedas Verbot für die Zeitarbeit im Fachkräfteeinwande-rungsgesetz fallen. Der BAP fordert deshalb im Rahmendes Gesetzgebungsverfahrens die Streichung dieserSonderbestimmung im Aufenthaltsgesetz.

„Zeitarbeit nicht diskriminieren“

Auch der Interessenverband Deutscher Zeitarbeits-unternehmen (iGZ) appelliert an die Politik, die vor-gesehenen „verfassungs- und europarechtlich hochfragwürdigen Diskriminierungen der gesamten Zeit-arbeitsbranche im Fachkräfteeinwanderungsgesetz“zu beenden. Werner Stolz, Hauptgeschäftsführer iGZ,erklärt: „Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Zeitar-beitsbranche in rechtlich fragwürdiger Weise an einemBeitrag zum Gelingen der Fachkräftegewinnung gehin-dert werden soll.“ „Um die flächendeckende Versorgung mit Dienstleis-tungen und Produkten zu sichern, sind die Unternehmenauf jede Rekrutierungsquelle am immer enger werdendenPersonalmarkt angewiesen“, erläutert der iGZ-Haupt-geschäftsführer. Die Zeitarbeit biete sich als prädestinierteBranche mit Vermittlungsfunktion an.Die Zeitarbeit sei eine auf Anwerbung und Betreuungvon Personal spezialisierte Branche, derer sich andereBranchen auch zur Erprobung neuerPersonalentwicklungen bedienen.Stolz: „Diese Flexibilitäts- und Speer-spitzenfunktion paart die Zeitarbeits-branche mit arbeitsrechtlicher undtariflicher Sicherheit.“ 45 Prozent derZeitarbeitnehmer in Deutschland seien Fachkräfte,Experten und Spezialisten. Gerade in ländlichen Räumenkönne die Zeitarbeit einen wertvollen Beitrag leisten:„Kleine und mittelständische Betriebe verfügen nichtüber die Kapazitäten, im Ausland nach dringend benö-tigten Fachkräften zu suchen“, betont der iGZ-Haupt-geschäftsführer.

Auf Personaldienstleister angewiesen

Auch die Wirtschaft fordert, Personaldienstleistern dieRekrutierung von Fachkräften in Drittstaaten zu erlau-ben. Holger Bingmann, Präsident des BundesverbandsGroßhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA):„Die Sonderregelung muss abgeschafft werden. Willdie Bundesregierung das Problem fehlender Fachkräfte

wirklich in den Griff bekommen, muss sie die Zeitarbeitfür Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern öffnen.“ DieHandels- und Dienstleistungsunternehmen seien auchin Zeiten des Fachkräftemangels auf das Know-howder Personaldienstleister angewiesen. Gerade für kleineund mittelständische Unternehmen könne die Zeitar-beitsbranche eine wichtige Rolle dabei spielen, Fach-kräfte aus dem Ausland zu rekrutieren. „Angesichts 1,5 Millionen offener Stellen ist nicht nach-zuvollziehen, dass es der Zeitarbeit als einziger Brancheverwehrt wird, Menschen mit einer klassischen Berufs-ausbildung auch außerhalb der EU anwerben zu können.Die Bundesregierung muss jetzt alle Register zieht, umEngpässe bei der Beschäftigung zu bekämpfen. Dazumuss der Diskriminierungstatbestand im Aufenthalts-gesetz im Gesetzgebungsverfahren abgeschafft werden“,so Bingmann weiter. Ihm zur Seite springt auch Michael H. Heinz, Präsidentdes Bundesverbandes der Dienstleistungswirtschaft(BDWi). „Gerade dem Mittelstand könnten Personal-dienstler bei der Rekrutierung im Ausland helfen. Dasmuss der Bundestag im Gesetzgebungsverfahren drin-gend korrigieren.“

Politik lässt das Thema außen vor

Analysiert man die Stimmen aus der Politik, fällt auf,dass das Thema Zeitarbeit im Zusammenhang mit demFachkräfteeinwanderungsgesetz bislang nicht vorkommt– abgesehen natürlich von der Tatsache, dass die Zeit-arbeitsbranche von der Regelung ausdrücklich ausge-schlossen ist. Ob aus Ignoranz oder Unwissenheit ob

des Potenzials der Personalvermittler,sei dahingestellt. So hebt Bundesin-nenminister Horst Seehofer (CSU)hervor, dass es zur Bewältigung desFachkräftemangels absehbar nichtausreiche, das Potenzial im Inland

und in der EU zu nutzen. Damit schaffe man die Voraus-setzungen, dass dringend benötigte Fachkräfte „gesteuertund geordnet zu uns kommen können“. Dies sei eine„historische Weichenstellung“.Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) warnte,der Fachkräftemangel sei in vielen Regionen und Bran-chen bereits eine „handfeste Wachstumsbremse“. Zwargebe es schon Zuwanderungsmöglichkeiten für aka-demisch Gebildete, aber „keine ausreichenden Mög-lichkeiten für beruflich Qualifizierte“. Wenn man indesFachkräfte nach Deutschland holen wolle, sei davonauszugehen, „dass viele von ihnen dauerhaft hierblei-ben“. Deshalb müsse man „das Thema Integrationmitdenken“ und im Ausland die Anstrengungen ver-stärken, „dass mehr Menschen die deutsche Sprachelernen können“. (sff) p

Das Anwerbungsverbotaußerhalb der EU bleibt bestehen.

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TECHNIK & TOOLS HR-SOFTWARE

Personalwirtschaft 06_2019

Kostenlos heißt nicht umsonstNicht immer und für alle HR-Aufgaben braucht es bezahlpflichtige, lizenzierte Softwarelösungen. Manchmal reicht ein kostenloses Werkzeug. Aber man muss schon genau hinschauen, um die passende Freeware zu finden.

VON ULLI PESCH

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49Personalwirtschaft 06_2019

Bedingt gratis: Odoo bietet Apps für diverse Firmenabteilungen an, darunter HR. Einige Anwendungensind kostenlos, müssen aber auf den eigenen Server gespielt werden, und Support gibt es nicht.

u Nicht nur für Start-ups und kleinere Firmen ist eseine Maxime, speziell in der Anfangsphase ihres unter-nehmerischen Handelns: die Kosten im Blick zu behal-ten, vorsichtig zu investieren. Ein wichtiges Themasind dabei oft die Lizenzgebühren und Implementie-rungskosten für die einzusetzende Software. Gratislösungen können beim Sparen helfen. Das Inter-net bietet mittlerweile eine Vielzahl frei verfügbarerAlternativen zu den gängige kostenpflichtigen Paketen.So zum Beispiel einfach zu bedienende Personal-Infor-mation-Management-Tools (PIM-Tools) oder auchSoftware für Reisekostenabrechnung, Recruiting, Zeit-erfassung und Talent Management. Sicher: Der Einsatzsolcher Alternativsoftware ist nicht für jedes Unter-nehmen praktikabel, doch der Blick über den Teller-rand kann sich durchaus lohnen.

Monopole sind passé

Die Dominanz der großen Konzerne ist zwar ein Dau-erthema im Netz – aber zumindest unter manchenAspekten bröckelt sie zusehends. Vor etwa 20 Jahrengab es die ersten Wettbewerbsverfahren gegen denMarktführer Microsoft und dessen InternetbrowserExplorer. Seither hat sich der Markt zunächst langsam,dann schneller mit kostenlosen Softwarelösungengefüllt. Die meisten davon richten sich in erster Liniean private Nutzer, in zweiter aber auch an Firmen. So zum Beispiel der Browser Firexfox, der sich als kos-tenfreie Alternative zu den etablierten Angebotenebenso bei Windows-Nutzern etabliert hat wie dieTextverarbeitungsprogramme OpenOffice und Libre-Office. Auch das Fernwartungs- und Kollaborations-tool Netviewer und die Kommunikationslösung Skypesind gratis – so wie viele andere Instrumente für nahezujeden Bedarf. Denn seit dem Aufkommen von Social Media unddem Beginn der Smartphone-Revolution vor knappzehn Jahren hat das Angebot kostenfrei erhältlicherApps unüberschaubare Dimensionen angenommen.Mittlerweile suchen alleine in den Stores von Googleund Apple täglich mehr als eine Milliarde Nutzer auseinem Katalog von mehr als einer Million Apps (Applegab keine Zahlen bekannt) nach passenden Lösungen.Und in beiden Stores finden sich auch kostenlose HR-Apps in ausreichender Anzahl, viele davon in denBereichen Recruiting und Zeiterfassung.

Wie leistungsfähig ist kostenlose Software?

Wer auf eine HR- Software in der Gratisversion setzt,muss nicht notwendigerweise Kompromisse eingehen.In den meisten Fällen jedoch geht es nicht ganz ohneAbstriche. Das hat seine Gründe: Der Entwicklungs-aufwand muss refinanzierbar seien. Ausnahme ist hierOpen-Source-Software, die meist von Hobbyentwick-lern in der Freizeit gebaut wird. Sie ist kostenlos unddennoch oft sehr leistungsfähig.Eine der häufigeren Gratisvarianten ist im Grundekeine: Die kostenfreie Nutzung wird zeitlich begrenzt,auf beispielsweise 30 Tage. Wer die Lösung nach dieserZeit weiternutzen oder ihren Leistungsumfang erwei-tern will, muss in der Regel Lizenzgebühren zahlen.Oft ist bei Gratislösungen auch der Zeitraum für Aus-wertungen begrenzt. So bei der Recruiting-LösungKanaleo des Dresdner Anbieters pludoni, die Unter-nehmen die Analyse der von Bewerbern genutztenKanäle erlaubt.Bei anderen Lösungen ist die Zahl der Anwender oderdie Anzahl der Stammdatensätze begrenzt. Es gibtauch Lösungen, die bei Ausdrucken Querbalken, Was-serzeichen, das Firmensignet des Herstellers oder Wer-bung einblenden (bei Apps nicht selten). Wen sowasnicht stört, der kann, je nach Lösung, durchaus pro-fessionell damit arbeiten.Für die meisten Unternehmen, speziell größere, kommteine kostenlose Software nicht infrage. Das hat unter-schiedliche Gründe: Oft sind die Anbieter sehr klein,und manche Lösungen werden von Privatpersonenprogrammiert und auf den Markt gebracht. Regelmä-ßige Aktualisierungen und eine lange Lebensdauersind in solchen Fällen nicht immer garantiert.

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TECHNIK & TOOLS HR-SOFTWARE

Personalwirtschaft 06_2019

Thomas Eggert, Geschäftsführer des HR-OutsourcersBegis, hält aus solchen Gründen wenig bis nichts vonkostenfreien Personalmanagementlösungen. „Soft-wareentwicklung kostet Zeit und damit Geld. Hinzukommt, dass sich gerade im Personalbereich laufendgesetzliche Bestimmungen ändern. Wie will denn einAnbieter eine kostenlose Software in diesem Umfeldanbieten, die wirklich brauchbar ist, und sei es nurfür Kleinunternehmen? Das kann sich doch gar nichtrechnen!“ Hinzu komme, dass beispielsweise ein Stun-denzettel nichts nutze, wenn es keine Schnittstellenzu Abrechnungsprogrammen oder zur Lohnbuchhal-tung gebe.

Viele Anbieter – noch viel mehr Tools

Möglicherweise stört den einen oder die andere auchdie relativ aufwendige und schwierige Recherche: Esgibt kein zentrales Verzeichnis kostenloser HR-Soft-ware. Überdies sind die Klassifizierungen zu unter-schiedlich, als dass man mit einfachen Suchbegriffengenau die Lösung finden könnte, die man gerade sucht,beispielsweise im Recruiting oder in der Zeiterfassung. Andererseits existiert eine Vielzahl von Adressen und Webseiten, unter denen man kostenlose HR-Lösungen findet. Da sind zunächst die einschlägigenFreeware- und Shareware-Seiten wie freeware.de und

shareware.de, auf denen unter anderem Personalver-waltungen, Lohnabrechnungslösungen, Organi-grammsoftware, Mindmapping-Tools und auch Pjekt-lösungen mit Kapazitätenplanung und andereHR-Software bereitstehen. Auch auf den Download-Seiten der einschlägigen Computermagazine wie Chip,Heise oder Computerbild lassen sich HR-Werkzeugefinden. Grundsätzlich ist Vorsicht geboten: Es gibt voll funk-tionsfähige Software, die sich bei genauerem Hinsehenals zeitlich begrenzte Testversion entpuppt – sieheoben – oder bei weiterer Nutzung kostenpflichtiglizenziert werden muss. Aber gerade im Bereich vonOpen-Source-Software oder anderer Organisationen,die sich der freien Verfügbarkeit von Software ver-schrieben haben, gibt es eine ganze Reihe leistungs-fähiger HR-Lösungen. Oft allerdings mit der Ein-schränkung, nur in Englisch verfügbar zu sein. Auchmuss man bei vielen dieser Angebote technisch versiertsein. In der Regel sollten sich in diesen Fällen Soft-wareexperten um die Installation kümmern.

Lernen ohne Grenzen

Den größten Anteil kostenfreier Unterstützung fürHR, genauer gesagt für den Bereich Personalentwick-lung, haben Lern-Apps, Lernprogramme und vorallem MOOCs (Massive Open Online Courses). Eshandelt sich dabei oft nicht um herunterladbare Soft-ware, sondern um kostenlose Lernangebote, auf diejeder mittels Log-in und Passwort zugreifen kann. Sie sind über unterschiedliche Foren und Seiten im Inter-net abrufbar, aber auch über den Apple Appstore bezie-hungsweise Google Play, über Anbieter von Lerninhaltenwie Coursera, Open Course World, Iversity sowie übereine Vielzahl universitärer Einrichtungen.Weiterbildungslösungen umfassen neben allgemein-bildenden und Spezialangeboten für den privatenBereich das gesamte Spektrum betriebsinterner Lern -anforderungen. Kosten entstehen meist nur für dieTeilnahme an Prüfungen oder für das Ausstellen vonZertifikaten. Allerdings haben solche Produkte wenigmit denen gemein, die beispielsweise Bestandteil derPartnerlösungen von E-Learning-Software-Anbieternsind und etwas kosten.Unterm Strich lässt sich sagen: Wer nicht viel Geldinvestieren will und gegebenenfalls mit ein paar funk-tionellen Einschränkungen leben kann, dürfte bei derSuche nach kostenloser HR-Software fündig werden.Und übrigens: Wenn ein Unternehmen, das mit kos-tenlosen Lösungen angefangen hat, über die Grenzensolcher Lösungen hinauswächst, lassen sich die so weitangefallenen Daten meist problemlos in eine leistungs-fähigere Lösung überführen. p

Sichergehen mit kostenloser Software

Folgende Checkliste sollten Sie gemeinsam mit den IT-Experten in Ihrem Haus durchgehen, um zu prüfen, inwiefern der Einsatz einer kostenlosen HR-Software für Ihr Unternehmen Sinn ergibt.

1 Erfüllt die fragliche Lösung tatsächlich die Anforderungen für den vorgesehenen Einsatzbereich?

2Wenn nicht: Lässt sie sich an diese Anforderungen anpassen? Und/oder kann man trotz funktionaler Einschränkungen damit zurechtkommen?

3Wie sieht es mit der Bedienbarkeit aus? Sind gegebenenfalls Schulungen erforderlichund/oder gibt es ein Benutzerhandbuch zu der Software?

4 Können Sie auf IT-Experten zugreifen, die bei Bedarf Installation, Wartung und Administration der Lösung übernehmen?

5Werden Sie auf Dauer, also auch bei Wachstum oder relevanter Umstrukturierung, mit der Software zurechtkommen? Und/oder gibt es eine erweiterbare, vielleicht kostenpflichtige Variante der Lösung, die mit den Anforderungen mitwachsen kann?

6Wenn nicht: Bietet die Software die Möglichkeit, die dort gespeicherten Daten in eineandere Lösung zu migrieren?

7 Ist sichergestellt, dass bei Bedarf Daten hausintern ausgetauscht werden können, Stichwort Schnittstellen?

8Werden regelmäßig Updates geliefert, die stets auf dem aktuellen gesetzlichen undtechnischen Stand sind (wenn das relevant ist)?

Eine gute Übersicht überdeutschsprachige Massive Open Online Courses (MOOCs) ist im Internet unterhttps://www.mooc-list.com/language/german zu finden.

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TECHNIK & TOOLS UPDATE

Software und Dienstleister für den Job HRDer Marktplatz für Technik, Tools und Arbeitshilfen. Hier stellenwir neue Softwarelösungen, Anbieter und Dienstleister für HR vor.

UnternehmenskulturMentalität als Auswahl-kriterium

Talente und Unternehmenzusammenbringen, die ähnli-che Ziele und Wertvorstellun-gen haben: Das will die Job-plattform Wantedly leisten.Das 2010 in Japan gegründeteUnternehmen ist seit Mai auch in Deutschland vertreten. SeinAngebot richtet sich vor allem an junge Menschen, die eine Arbeitsuchen, welche sie als sinnstiftend erachten. Arbeitgeber sollendurch die Plattform leichter Bewerber finden, die zu ihren Wertenund ihrer Organisationskultur passen.Und das geht so: Unternehmen präsentieren sich auf Wantedlymit ihrem Profil in Bildern, Videos und Blogeinträgen, die ihreHaltung skizzieren: Unternehmenskultur, Werte, Vision, wiegesagt. Angemeldete Arbeitnehmer oder Jobsuchende erhalteneinen Feed mit Beiträgen von Firmen, deren Profile zu ihremeigenen passen; dies wird durch eine Matching-Technologieermöglicht. Bei Interesse an einem Unternehmen haben die Nutzer drei Mög-lichkeiten: Sie können mit einem Mitarbeiter der Firma chatten,um einen Eindruck vom Arbeitsalltag zu bekommen und sozusa-gen hinter die Kulissen zu schauen. Sie können eine Anfrage fürein klassisches Jobinterview stellen. Oder sie können einen Besuchvereinbaren, um das Unternehmen „in geselliger Runde“ kennen-zulernen und sich ein Bild vom Team und vom Arbeitgeber sowieder „Mentalität“ der Organisation zu machen. Unternehmen zah-len für ein Profil auf Wantedly monatlich 199 Euro und werdendafür bei der Erstellung von Videos, Fotos und Texten unterstützt.Für die Nutzer ist der Zugang zur Plattform kostenlos.Wantedly, selbsternanntes „LinkedIn für Millennials“, hat inJapan laut eigenen Angaben monatlich etwa 2,5 Millionen aktiveNutzer bei 25 000 angemeldeten Unternehmen. Gegründetwurde die Plattform von Akiko Naka (34), die vorher bei Gold-man Sachs und Facebook gearbeitet und sich auch als professio-nelle Manga-Zeichnerin versucht hatte. Seit 2017 ist Wantedly ander japanischen Börse. Der Kurs des Unternehmens auf demTokyo Stock Exchange entsprach zuletzt einem Wert von rund300 Millionen Euro.de.wantedly.com

Recruiting von PflegekräftenMonster launcht Service zur Kampagnenentwicklung

Das Karriereportal Monster bietet für Unternehmen derHealthcare-Branche einen neuen Service zur Entwicklungeiner Recruiting-Kampagne. Das Unternehmen wirbtdamit, für Arbeitgeber eine kanalübergreifende Lösung zuentwickeln. Dazu arbeitet Monster die Kernbotschaften,Benefits und Stellenprofile des Kunden heraus. Dass vieleUnternehmen der Pflegebranche beim digitalen RecruitingUnterstützung brauchen können, ist nicht erst seit derjüngsten Geschichte zum Thema in der Personalwirtschaft(Ausgabe 5/2019) bekannt.Als Bestandteile der Kampagne verspricht Monster dannVideos mit suchmaschinenoptimiertem Text, eine mobiloptimierte Webseite sowie Social-Media- und Suchmaschi-nenmarketing. Im Weiteren werde der Auftritt für sechsMonate betreut, mit regelmäßigem Austausch zwischenKampagnenentwicklern und Auftraggeber. Der Basispreis für die Konzeption der Seite mit Texten,Gestaltung, Videos und Programmierung für eine Berufs-zielgruppe beträgt 18 000 Euro, für Social-Media- und Such-maschinenmarketing fallen 20 000 Euro an. Die Kosten kön-nen variieren. arbeitgeber.monster.de/produkte/team-mtc.aspx

Video-RecruitingKI statt Kopfzerbrechen

Auf Knopfdruck und in Millisekunden soll der Leitfaden fürsVideointerview stehen: Ein KI-Tool von Viasto versprichtVorstellungsgespräche von Bewerbern entscheidend zu erleich-tern – und zwar dem HRler respektive der Arbeitgeberseite.Die Erweiterung für die Interview Suite des Unternehmensmacht, so Viasto, passende Vorschläge zu jedem einzelnenGesprächspartner, ob Azubi oder Topmanager. Dabei unter-scheide der Algorithmus mehr als 260 Millionen Kombinationenvon Kompetenzen, 13 000 verschiedene Jobkategorien undschöpfe aus einem Fundus von über 1000 nach Bedarf kom-binierten Fragen. Die Viasto Interview Suite ist eine webbasierteSoftware-as-a-Service-Lösung (SaaS) zum Video-Recruiting. https://interview-suite.viasto.com/intelligente-interviewerstellung

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Gutes Verhältnis schlecht für die Gesundheit?An einer guten, respektvollen Zusammenarbeit mit ihren Mitarbeitern arbeiten viele Führungskräfte. Aber fördert dies tatsächlich die Gesundheit des Mitarbeiters? Sie kann auch das Gegenteil bewirken – wenn eine explizit gesundheitsförderliche Führung fehlt.

u Betriebssportgruppen, Entspannungsworkshops fürdie Mittagspause oder „Fit im Job“-Menüs in der Kantine.Viele Unternehmen investieren in das Wohlbefindenihrer Mitarbeiter. Dabei meist im Blick: das Gesundheits-verhalten des Mitarbeiters selbst. Doch immer häufigerrückt auch das Führungsverhalten als wichtige Ressourcein den Fokus des Betrieblichen Gesundheitsmanagements.Dass Führung den Mitarbeitern als Ressource und als„Puffer“ zwischen Arbeitsplatzanforderungen und Stress-empfinden dienen kann, ist seit Langem bekannt. Sicher

ist auch, dass die Führungskraft allein nicht für die Bean-spruchung und letzten Endes die Gesundheit des Mitar-beiters verantwortlich ist. Denn neben sozialen Ressourcen,wie beispielsweise der Unterstützung durch Vorgesetzte,sind ebenso organisationale Ressourcen wie der Hand-lungsspielraum sowie die personalen Ressourcen des Mit-arbeiters selbst von Bedeutung, zum Beispiel das Selbst-wertgefühl.Nicht zuletzt, weil der Gesetzgeber bereits seit 2013 imArbeitsschutzgesetz explizit die Berücksichtigung der psy-chischen Belastung in der Gefährdungsbeurteilung ein-fordert, beschäftigen sich immer mehr Unternehmen mitdem Themenfeld Führung und Gesundheit. Hilfestellunggibt die arbeitspsychologische Forschung, beispielsweisemit dem Health-oriented-Leadership-Konzept.Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit gesundheitsför-derlicher Führung, die eine Änderung der Führungskulturim Unternehmen zur Folge hat, fällt aber schwer. Ist diesedoch möglicherweise mit unliebsamen Entscheidungenin Bezug auf die Führungskräfteauswahl sowie demUmgang mit Ängsten verbunden. Kurzfristige, sichtbareErfolge sind kaum messbar. Schnell wird gesundheitsför-derliche Führung verwechselt mit einer „guten Stimmung“untereinander, gegenseitiger Sympathie oder großemEngagement des Mitarbeiters, der sich „doch offensichtlichwohlfühlt“.Die Studie „Gesunde Führung: Eine Frage der Bezie-hungsqualität? Leader-Member Exchange als Moderatorim Health-oriented Leadership-Ansatz“ hat untersucht,ob sich gesundheitsförderliche Führung positiv auf die

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FORSCHUNG & LEHRE STUDIE

Studie kompakt

Forschungsfrage:Wirkt sich gesundheitsförderliche Führung (Health-oriented Leadership) oder eine gute Beziehungsqualität (Leader-Member Exchange) positiv auf die eigene Gesundheitsfürsorge des Mitarbeiters aus? Gibt es ein Zusammenspiel?

Forschungsansatz:Im Rahmen einer Masterthesis an der FOM Hochschule Essen im Fach Wirtschafts-psychologie wurde eine quantitative Online-Befragung von 301 berufstätigen Personendiverser Branchen im Alter zwischen 17 und 65 Jahren durchgeführt. Die erhobenen Daten wurden mithilfe der multiplen Regressionsanalyse ausgewertet.

Forschungsergebnisse: Eine explizit gesundheitsförderliche Führung ist von besonderer Bedeutung für die eigeneGesundheitsfürsorge des Mitarbeiters. Ist die Beziehungsqualität zusätzlich gut, hat dasden größten Effekt auf die Mitarbeitergesundheit. Eine gute Beziehung ohne gesundesFührungsverhalten reicht aber nicht aus. Im Gegenteil: Widmet die Führungskraft der Mit-arbeitergesundheit wenig Aufmerksamkeit, kann eine gute Beziehung sogar kontrapro-duktiv sein.

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eigene Gesundheitsfürsorge des Mitarbeiters auswirktund ob die Beziehungsqualität zwischen Führungskraftund Mitarbeiter für die Gesundheitsfürsorge des Mitar-beiters relevant ist.

Gute Beziehung als Stressfaktor?

Die Analyse zeigt: Mitarbeiter, die das Verhalten ihrerFührungskraft als gesundheitsförderlich erleben, verhaltensich selbst auch gesünder, und zwar unabhängig von derQualität ihrer Beziehung zur Führungskraft. Ein direkterEinfluss der Beziehungsqualität auf das Gesundheitsver-halten unabhängig von gesundheitsförderlicher Führungkonnte hingegen nicht gezeigt werden. Also ist eine gute Beziehung zueinander nicht so wichtig?Im Gegenteil: Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dassgesundheitsförderliche Führung am stärksten wirkt, wennzusätzlich die Beziehungsqualität zwischen Mitarbeiterund Vorgesetztem gut ist. Ein guter Grund also, in beideszu investieren.Führungskräfte sollten sich aber davor hüten, sich ersteinmal „nur“ um eine gute Beziehung zu bemühen. Denndie Studie zeigt, dass bei fehlender gesundheitsförderlicherFührung eine gute Beziehungsqualität sogar kontrapro-duktiv für die eigene Gesundheitsfürsorge des Mitarbeiterssein kann. Der Mitarbeiter sieht seine Gesundheit indiesem Fall als etwas, was er seinem Vorgesetzten zurVerfügung stellt. Es ist anzunehmen, dass hierbei dasReziprozitätsprinzip zum Tragen kommt. Kurz gesagt,der Mitarbeiter hat aufgrund der guten Beziehung dasGefühl, er müsse sich noch mehr für seinen Vorgesetztenengagieren. Damit ist der Gesundheitsförderung im Unter-nehmen nicht geholfen.Die Annahme, dass eine gute Führungskraft-Mitarbei-ter-Beziehung möglicherweise zu einem besseren Wohl-befinden des Mitarbeiters beitrage, bestätigt sich also nurdann, wenn die Führungskraft auch gleichzeitig gesund-heitsorientiert agiert. Vernachlässigt sie diesen Aspekt,muss sie damit rechnen, ihrem Mitarbeiter nicht als Res-source, sondern als Stressor zu dienen.

Handlungsempfehlungen

Ob eine Führungskraft als Ressource oder Stressor wirkt,ist nach Erkenntnissen der Studie davon abhängig, obsie gesundheitsförderlich führt oder nicht. Allerdingsdarf dabei nicht vergessen werden, dass Führungskräfteselbst Teil eines größeren Systems sind. Auch sie sindhäufig auch in der Rolle des Mitarbeiters und habenVorgesetzte. Dies macht deutlich, dass gesundheitsför-derliche Führung ebenso wie viele weitere Führungs-themen in der Gesamtorganisation verankert werdensollte, um erfolgreich zu sein. Dabei spielen zum Beispielauch die Werte und die Kultur eine Rolle sowie die Frage,

wie Führung in der Organisation tatsächlich gelebt undwahrgenommen wird.Dabei ist es erforderlich, allen Beteiligten einerseits dieWichtigkeit des Themas vor Augen zu führen und ande-rerseits zu konkretisieren, welche Verhaltensweisen tat-sächlich gesundheitsförderlich sind. Zum Beispiel mithilfedes Health-oriented-Leadership-Ansatzes.Dabei handelt es sich eben nicht um die im Rahmen desLeader-Member-Exchange-Konzeptes postulierten Aspektewie Zuneigung, Loyalität, fachlicher Respekt und wahr-genommenes Engagement. Entsprechend des Health-ori-ented-Leadership-Ansatzes sollten Führungskräfte für diedrei zentralen Einflussmöglichkeiten gesundheitsorien-tierter Führung sensibilisiert werden. Diese bestehen indem Einfluss durch direkte Kommunikation beziehungs-weise Interaktion, der Gestaltung von Arbeit und Arbeits-umfeld sowie dem Bewusstsein ihrer Vorbildwirkung.Im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagementsist sowohl Verhaltens- als auch Verhältnispräventionerforderlich. Da aber die Vorbildwirkung von Führungs-kräften ein wichtiges Element für den Erfolg gesundheits-förderlicher Führung ist, sollten passende Maßnahmenzunächst bei ihnen ansetzen.

Führung auf Distanz

Kommt Führung auf Distanz hinzu, wie in vielen Orga-nisationen Realität, erschwert dies die Bemühungen umgute Beziehungen und eine gesundheitsförderliche Füh-rung. Eine verstärkte und vor allem regelmäßige Kom-munikation kann ein Ansatzpunkt sein – und sei es perVideotelefonie. Dabei sollten Führungskräfte konkret,konsequent und glaubwürdig auf gesundheitliche Themeneingehen. Beispielsweise kommunizieren, dass sie auf aus-reichende Pausen des Mitarbeiters Wert legen.Glaubwürdigkeit, Interesse und konsequentes Engagementder Führungskraft sind von zentraler Bedeutung. Daraufweisen auch die Autoren des Health-oriented-Leader-ship-Ansatzes hin. Demnach ist es wichtig, dass Mitarbeitergesundheitsförderliche Führung nicht als pflicht-, sondernals interessengeleitet wahrnehmen. Dies sei ebenso wiedie Vorbildwirkung und eine gemeinsame Vertrauensbasisessenziell für den Erfolg. Nehmen sie eine Diskrepanzzwischen Gesagtem und Handeln wahr, ist der Erfolggesundheitsförderlicher Führung gefährdet. In diesem Zusammenhang wird noch einmal die Rolledes Gesamtsystems deutlich. Bietet es keine ausreichendenMöglichkeiten für Führungskräfte, gesundheitsförderlichzu handeln beziehungsweise die eigene Vorbildwirkungauch zu leben, sind die Erfolgsaussichten gering. p

53Personalwirtschaft 06_2019

Sarah Höfer, M.Sc. Wirtschaftspsychologie, FOM Essen, Leiterin Marketing/Kommunikation, STEAG Power Minerals, Essen,[email protected]

AUTORIN

Mehr zum Thema

Bakker, A. B./Demerouti, E.: The Job Demands-ResourcesModel: State of the art, in:Journal of Managerial Psychology, Vol. 22, No. 3, 309–328, 2007.

Franke, F./Ducki, A./Felfe, J.:Gesundheitsförderliche Führung, in: Felfe, J. (Hrsg.):Trends der psychologischenFührungsforschung – Neue Konzepte, Methoden undErkenntnisse, 253–263, Göttingen, 2015.

Franke, F./Felfe, J.: Diagnosegesundheitsförderlicher Füh-rung – Das Instrument„Health-oriented Leadership“,in: Badura, B./Ducki, A./Schröder, H./Klose, J./Macco, K.(Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2011.Führung und Gesundheit. Zahlen, Daten, Analysen ausallen Branchen der Wirtschaft,3–13, Berlin, 2011.

Schyns, B./Knoll, M.: LMX –Leader-Member Exchange, in:Felfe, J. (Hrsg.): Trends der psychologischen Führungsfor-schung, – Neue Konzepte,Methoden und Erkenntnisse,55–65, Göttingen, 2015.

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uDie Flexibilisierung betrieblicher Arbeitszeiten und-orte gewinnt rapide an Bedeutung. Unternehmensehen darin eine Chance, den Herausforderungen dermodernen Arbeitswelt zu begegnen, und rechnen mitKosteneinsparungen sowie Produktivitätssteigerungen.Mitarbeiter versprechen sich davon vor allem die Mög-lichkeit, Berufs- und Privatleben besser miteinanderzu vereinen. Klare Bestrebungen in diese Richtung spie-geln sich auch im gesellschaftspolitischen Diskurs wider(siehe Titel ab S. 26) und manifestieren sich in nationaler

Gesetzgebung wie beispielsweise in den Niederlanden.Auch in Deutschland wird derzeit ein „Recht auf Home-office“ diskutiert.Befördert wird das zeit- und ortsflexible Arbeiten vorallem durch die zügig voranschreitende Digitalisierungder Arbeitswelt. Dies gilt insbesondere für wissensba-sierte Tätigkeiten, die heutzutage zu jeder Zeit und vonjedem Ort aus erledigt werden können. Verstärkt wirddie Notwendigkeit zur Flexibilisierung durch den Wer-tewandel. Dabei sind die auf die postulierten Wertebezogenen Unterschiede zwischen Generationen nichtimmer trennscharf. Allerdings ist über verschiedeneAlterskohorten hinweg zunehmend der Wunsch nachIndividualisierung zu beobachten. Viele Unternehmen sehen in einer Flexibilisierungbetrieblicher Arbeitszeiten und -orte die Chance, sichals attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Die Debatteüber die Wirkung dieser Maßnahmen auf Bewerberbietet bisher jedoch wenig wissenschaftliche Evidenz.Bisher blieb unklar, ob Arbeitgeber von flexiblen Ange-boten profitieren, indem sie von Bewerbern als inte-ressanter und anziehender wahrgenommen werden.Vor diesem Hintergrund haben wir (René Schmoll undStefan Süß, Uni Düsseldorf, d. Red.) eine Studie durch-geführt, die den Einfluss zeitlicher und örtlicher Fle-xibilität auf die Arbeitgeberattraktivität analysiert.

FORSCHUNG & LEHRE STUDIE

Studie kompakt

Forschungsfrage:Wie wirkt sich das Angebot von zeit- und/oder ortsflexibler Arbeit auf die wahrgenommene Arbeitgeberattraktivität aus?

Forschungsansatz:334 Studierende, die kurz vor dem Abschluss standen, nahmen 2018 an einer Experimen-talstudie teil. Die Analyse erfolgte differenziert nach örtlicher und zeitlicher Flexibilität.

Forschungsergebnisse: Die Ergebnisse zeigen deutliche Effekte: Die Dimension zeitliche Flexibilität hat einen stärkeren Einfluss auf die Arbeitgeberattraktivität als Angebote zu örtlichen Spielräumen.Eine Kombination von beidem hat die größten Auswirkungen. Feste Arbeitsorte und -zeiten wirken sich dagegen stark negativ auf die Anziehungskraft einer Organisation aus.

Flexibles Arbeiten ist Trumpf Was bringen Angebote wie Gleitzeit, Homeoffice oder mobile Arbeit für die Arbeitgeberattraktivität und damit für das Recruiting? Eine wissenschaftliche Studie hat die Flexibilisierungsinstrumente aus Sicht potenzieller Bewerber unter die Lupe genommen.

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Um den Zusammenhang aufzudecken, wurde ein Experimentaldesigngewählt. Die studierenden Probanden versetzten sich in die Lage, auf derStellensuche zu sein, und erhielten ein Jobangebot eines fiktiven Unter-nehmens. Daraufhin bewerteten sie den möglichen Arbeitgeber. ImAnschluss wurden die Probanden über Arbeitsbedingungen informiert –in Form von acht Szenarien, die hinsichtlich der zeitlichen und örtlichenFlexibilität sowie deren Verteilung innerhalb der Belegschaft variierten.Jeder Proband wurde zufällig einem der acht Szenarien zugeteilt. ImAnschluss bewertete jeder das Unternehmen erneut als potenziellen Arbeit-geber. Die Auswertung erfolgte anhand von Varianzanalysen.

Was gilt als Attraktivitätskriterium?

Die Ergebnisse der Studie sind eindeutig: Es zeigt sich, dass beide Flexi-bilitätsdimensionen unabhängig voneinander die Arbeitgeberattraktivitätsteigern können. Das Angebot von zeitlicher Flexibilität hat einen signi-fikanten Einfluss auf das Bild, das sich die potenziellen Bewerber voneinem Unternehmen machen. Jobsuchende schätzen einen Betrieb mitflexiblen Arbeitszeiten als deutlich attraktiver ein als einen, in dem festeArbeitszeiten herrschen. Das Gleiche gilt für den Faktor Raum. So wirdein Unternehmen, das zum Beispiel Homeoffice-Arbeit anbietet, vonpotenziellen Bewerbern deutlich positiver wahrgenommen als eines, indem das Büro als fester Arbeitsort gilt. Allerdings: Zeitliche Flexibilität hat einen deutlich stärkeren Einfluss aufdie Anziehungskraft eines Arbeitgebers als örtliche „Freiheiten“. Dies giltselbst dann, wenn Unternehmen uneingeschränkte örtliche Wahlmög-lichkeiten einräumen. Aus der Forschung zu Work-Life-Balance ist bekannt,dass insbesondere zeitliche Freiräume hilfreich sind, um Konflikte zwischenBerufs- und Privatleben abzumildern. Aber auch eine mögliche Angst derpotenziellen Mitarbeiter vor beruflicher und sozialer Isolation im Homeofficekönnte eine Erklärung sein.

Die Kombination von Orts- und Zeitflexibilität spielt eine elementareRolle für die Employer Brand. Wenn Arbeitgeber die Möglichkeit anbieten,beide Spielräume zu nutzen, bewerten dies die Bewerber positiver, alswenn nur eine Form der Flexibilität ermöglicht wird. Die Verbindung von beidem wird von potenziellen Bewerbern offenbarals Signal verstanden, dass ihnen der Arbeitgeber das höchste Maß anAutonomie ermöglicht und damit ideale Rahmenbedingungen liefert,Berufs- und Privatleben miteinander zu vereinen. Auch andere positiveEffekte kommen in der Regel erst durch eine Kombination beider Flexi-bilitätsdimensionen zum Tragen. So ist aus der Forschung bekannt, dassörtliche Flexibilität Kündigungsabsichten und Fehlzeiten besonders dannverringert, wenn gleichzeitig auch Freiheiten bei der Zeiteinteilung ermög-licht werden. Außerdem spielen arbeitsphysiologische Aspekte eine wichtigeRolle. Ein Mitarbeiter, der beispielsweise im Homeoffice exakt von 9 Uhrbis 17 Uhr arbeiten muss, verfügt über keinerlei zeitliche Gestaltungsmög-lichkeiten. Damit kann er seinen Arbeitsalltag genauso wenig an seinenBiorhythmus anpassen wie jemand mit festem Büroarbeitsplatz.

Wenn Arbeitgeber sowohl zeitliche als auch örtliche Spielräume anbieten, bewerten

die Bewerber dies besonders positiv.

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Im Rahmen der Studie wurde ferner untersucht, ob eseine Rolle spielt, wem der Zugang zu zeit- und ortsfle-xibler Arbeit gewährt wird. Während einige Expertendafür plädieren, allen Beschäftigten eines Unternehmensdiese Möglichkeit zu geben, sprechen sich andere dafüraus, eine Auswahl auf Basis der Mitarbeiter-Performancezu treffen. Letzteres wird häufig damit begründet, dassOrganisationen in der Regel nur über begrenzte Res-sourcen verfügen und entscheiden müssen, welchenMitarbeitern der Zugang dazu gewährt wird. Fernerkönne das individuelle Angebot an Flexibilität als Signalder Wertschätzung dienen und motivationssteigerndwirken. Unsere Befunde zeigen jedoch, dass es keinerlei Einflussauf die Arbeitgeberattraktivität hat, ob die Gewährungauf Basis von Leistung erfolgt oder ob zeit- und ortsfle-xibles Arbeiten allen Mitarbeitern ermöglicht wird. ImRahmen der Rekrutierung kann daher – zumindest ausGesichtspunkten der Arbeitgeberattraktivität – auf Signalein dieser Richtung verzichtet werden.

Flexibilität nutzen – auch beim Rekrutieren

Die Studie zeigt, dass beide Flexibilitätsdimensionenvon potenziellen Bewerbern als positives Signal wahr-genommen werden und dazu beitragen, die Arbeitge-berattraktivität zu steigern. Insofern sensibilisieren dieStudienergebnisse Entscheidungsträger für die Wirkungvon zeit- und ortsflexibler Arbeit. Die offensive Kom-munikation des Angebots kann im Wettbewerb umtalentierte Nachwuchskräfte eine gute Strategie sein,die zu Vorteilen führt. Insbesondere das Recruiting istdaher gefordert, potenzielle Bewerber rechtzeitig mitgeeigneten Informationen zu versorgen (zum Beispielin Stellenanzeigen), um dadurch den Wunsch nach

Zugehörigkeit zum Unternehmen zu wecken oder zuverstärken. Das ist besonders interessant, da dies ohnehohen Zusatzaufwand zu realisieren ist. Bietet ein Unternehmen sowohl zeitliche als auch ört-liche Flexibilität an, sollte dies im Rahmen des Rekru-tierungsprozesses dezidiert herausgestellt werden. Esist daher ratsam, nicht pauschal von „flexibler Arbeits-gestaltung“ oder „Work-Life-Balance-Maßnahmen“zu sprechen, sondern hinsichtlich zeitlicher und ört-licher Spielräume zu differenzieren. Nur so könnensich Unternehmen den additiven Effekt beider Dimen-sionen im Rahmen der Mitarbeitergewinnung zunutzemachen.Unternehmen, die ihren Mitarbeitern, beispielsweiseaus Gründen der Arbeitsorganisation, keine örtlicheFlexibilität ermöglichen können, sollten umso mehrdas Angebot an zeitlichen Spielräumen herausstellen,um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren.Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist es jedochentscheidend, dass die postulierten Signale der Realitätim Unternehmensalltag auch tatsächlich entsprechen.Wahrheitsgetreue Informationen sind für die Schaffungund Aufrechterhaltung eines gut funktionierendenArbeitsverhältnisses von zentraler Bedeutung und kön-nen ungewollte Frühfluktuation verhindern. p

FORSCHUNG & LEHRE STUDIE

René Schmoll, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für BWL, insb. Arbeit, Personal und Organisation, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf,[email protected]

Professor Dr. Stefan Süß, Lehrstuhl für BWL, insb. Arbeit, Personal und Organisation, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf,[email protected]

AUTOREN

Quell

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8

Unternehmen, die weder flexible Arbeitszeiten noch -orte anbieten, sind für Bewerber deutlich wenigerattraktiv als andere.

fester Arbeitsort undfeste Arbeitszeit

örtliche Flexibilität undfeste Arbeitszeit

zeitliche Flexibilität undfester Arbeitsort

Kombination von örtlicherund zeitlicher Flexibilität

n = 334

1,21,00,80,60,40,2

0-0,2-0,4-0,6-0,8

-0,68 +0,04+0,23

+1,08

Veränderung der wahrgenommenen Arbeitgeberattraktivität Abbildung nach angebotener Flexibilitätsform

Mehr zum Thema

Schmoll, R./Süß, S.: Working Anywhere, Anytime: An ExperimentalInvestigation of Workplace Flexibility's Influence on OrganizationalAttraction, in: Management Revue, 30(1), 40–62, www.nomos-elibrary.de/10.5771/0935-9915-2019-1-40, 2019.

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Personalwirtschaft 06_20195858 Personalwirtschaft 06_2019

u Es ist in diesen Tagen leicht, Politiker zu kritisieren. Gleichwelcher Couleur, haben sie in letzter Zeit oft Anlass dazu gegeben.Wer aber nur mit grobem Maß misst, läuft Gefahr, Details undNuancen zu übersehen. Die Nachricht, dass Thorsten Schäfer-Gümbel vom 1. Oktober an neues Vorstandsmitglied und neuerArbeitsdirektor der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit(GIZ) wird, ließ jedenfalls aufhorchen. Immerhin hatte sich derlangjährige Landesvorsitzende und Fraktionschef der hessischenSPD den Ruf erworben, ehrlich und aufrichtig zu sein. Die Presse aber kann manchmal unbarmherzig agieren. Seinepolitische Karriere begleitete sie mit mal mehr, mal weniger treff-sicheren Beschreibungen. Cicero berichtete 2013 in „Der Trüm-mermann“ davon, wie ihn „halb Deutschland“ anfangs noch als„Doppelnamendümpel mit der Flaschenbodenbrille“ verhöhnthabe. Sein Aufstieg zum geachteten „TSG“ und stellvertretendenVorsitzenden der Bundes-SPD begann, als Andrea Ypsilanti beider Wahl zur hessischen Ministerpräsidentin über Abweichlerin den eigenen Reihen gestolpert war.

Personalwirtschaft: Wie gehen Sie mit der Kritik um, aus derPolitik auf einen gut dotierten Vorstandsposten zu wechseln?Wie reagieren Sie auf die Haltung der Kritiker?Thorsten Schäfer-Gümbel: Indem ich antworte, dass ich dasnachvollziehen kann, gerade weil sich Gehälter in den ver-gangenen zwanzig Jahren deutlich auseinanderentwickelthaben. Diese Entwicklung kann man aber auch wieder umkeh-ren, da sind die Sozialpartner und die Politik in der Verant-wortung.

Für ihn sei immer klar gewesen, dass eine neue Aufgabe zu ihmund seinen Prinzipien passen müsse, schrieb er in seiner persön-lichen Erklärung zu seinem politischen Rücktritt. InhaltlicheBezugspunkte sind da: Thorsten Schäfer-Gümbel studierte Agrar-und Politikwissenschaften in Gießen und war zwischen 2003 und2008 entwicklungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion.

Haben Sie bereits Erfahrung im Personalbereich?Ich war zehn Jahre lang Vorsitzender der SPD in Hessen undder SPD-Fraktion im Hessischen Landtag. Mit beiden Ämternist natürlich auch Personalverantwortung verbunden.

Welche Führungs- und Organisationskultur halten Sie fürerstrebenswert?Abläufe müssen transparent und nachvollziehbar sein. Die Entscheidungen, zu denen sie führen, sollten idealerweise voneinem möglichst breiten Konsens getragen werden.

Der 49-Jährige sagt, für ihn habe bereits direkt nach der drittenverlorenen Wahl zum hessischen Ministerpräsidenten festgestan-den, dass es keinen vierten Anlauf geben werde. Etwas Pathosklingt mit: „Für mich ist dies nur ein Abschied von Ämtern, nichtaber von Menschen, Ideen und dem Kampf für eine bessere Welt.“

Wo sehen Sie Handlungsbedarf, um die Arbeitswelt sozialund gesundheitsverträglich zu organisieren?Die SPD ist dereinst gegründet worden, um aus technischemFortschritt einen gesellschaftlichen und sozialen Fortschrittzu machen. Es geht darum, dass die Dividende der Digitali-sierung nicht einigen wenigen zugutekommt, sondern allen.Dazu brauchen wir klare Regeln für den Arbeitsalltag im digi-talen Zeitalter. An erster Stelle muss hier ein Recht auf Wei-terbildung stehen, denn die Halbwertszeit von Wissen hatsich drastisch verkürzt. Wir müssen neue Arbeitsschutz- undArbeitszeitmodelle entwickeln und außerdem darauf reagieren,dass immer mehr Arbeitsplätze von räumlichen und zeitlichenBeschränkungen losgelöst werden.

Er wird an seinen Taten gemessen werden. Das ist seine Chance –und allemal ehrenvoller und fairer, als sich in Schlagzeilen als„Notnagel“ (Handelsblatt) oder „Unvollendeter“ (FrankfurterRundschau) wiederfinden zu müssen. (ds) p

EVENT & SZENE SESSELWECHSEL

Thorsten Schäfer-Gümbel wird neuer Arbeitsdirektor bei der GIZ

„Abläufe müssen nachvollziehbar sein“Thorsten Schäfer-Gümbel legt alle politischen Ämter nieder und wird im Oktober Arbeitsdirektor und Vorstandsmitglied des Bundesunternehmens GIZ. Bei den Bürgernkommen solche Wechsel nicht immer gut an.

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u Personalwirtschaft: Warum wurde Ihre Stelle neu geschaffen? Matthias Foraita: Im Januar 2018 hat der südafrikanischeKonzern AECI Limited die Schirm GmbH gekauft. In diesemZuge wurden Matrixpositionen geschaffen. Eine wichtigeAufgabe dabei war die fachliche Vernetzung der HR Busi-ness Partner der deutschen Standorte, die Schaffung einesSenior HR Business Partners für die Geschäftsführung unddas Senior Managementteam sowie eines HR Represen-

tative bei der Muttergesellschaft der AECI Limited in Johannesburg. All dies wurde in meinerPosition zusammengefasst.

Was stand anfangs ganz oben auf Ihrer Agenda?Das Verstehen, wie die operative Personalarbeit bei Schirm in der Vergangenheit funktionierte.Auf dieser Basis galt es, die HR Business Partner an den Standorten zu befähigen, verantwor-tungsvolle Personalarbeit durchzuführen sowie die Rolle als interner HR-Gesprächspartnereinzunehmen und auch zu leben. Ferner wollte ich die Schirm-Prozesse in ihrer Komplexitätverstehen, um für die Geschäfts- und Standortführung in strategischen HR-Fragen als Spar-ringspartner sowie Berater zur Verfügung zu stehen.

Die Schirm GmbH ist in Feldern tätig, die hoch spezialisiertes Wissen erfordern. WelchenEinfluss hat das auf Ihre Personalarbeit?Um als HR Business Partner in den Fachabteilungen anerkannt zu werden, muss man sich inderen Prozesse hineinversetzen können. Wir müssen proaktiv auf die Abteilungen zugehenbeziehungsweise so eng an den Entscheidern der Abteilung sein, dass wir erster Ansprechpartnersind, wenn HR-Themen aufkommen. Es bedarf aber Zeit, um diese Akzeptanz zu erhalten.

Wie wird die Zusammenarbeit im Bereich HR mit dem südafrikanischen Eigner ko-ordiniert?Grundsätzlich sind wir in der HR-Arbeit autark. In meiner Funktion bin ich der HR-Repräsentantfür Schirm bei der AECI-Gruppe mit aktuell 17 Firmen in fünf Ländern. Generell wollen wirin der AECI-Gruppe durch den individuellen Input die länderübergreifende HR-Strategie-Dis-kussion bereichern. Es geht neben Projekten wie Betriebskultur, internationales Talent Managementund Praktika auch um Diskussionen von gemeinsamer Wertschöpfung, Best Practices und KPIs.Ziel ist es, in den nächsten Jahren eine länderübergreifende Corporate-HR-Strategie zu haben.

Welches Projekt wird Sie in den kommenden Monaten besonders beschäftigen?Administrative Tätigkeiten bestimmen zum großen Teil noch den HR-Alltag und blockierenso wertvolle HR-Ressourcen, die wertschöpfender eingesetzt werden könnten. Wir haben schonden ersten Schritt zur Automation mit einem Partner gemacht, mit dem wir ein cloudbasiertesPersonalabrechnungs- und -wirtschaftssystem eingeführt haben. Nun gilt es, dieses Systemnicht nur als „Abrechnungsmaschine“ zu nutzen, sondern personalwirtschaftliche Prozessedort so abzubilden, dass Mitarbeitende wie auch Führungskräfte selbst Informationen abrufenund Prozesse in die Wege leiten können. (ds) p

Nachgefragt bei Matthias Foraita

„HR muss proaktiv auftreten“ Matthias Foraita ist seit 2018 Head of Human Capital bei der Schirm GmbH mit rund 900 Beschäftigten. Wir haben ihn nach einer ersten Zwischenbilanz seines Wirkens bei dem Produktionsdienstleister der chemischen Industrie gefragt.

SESSELWECHSEL-TICKER

+++ Sabine Kohleisen übernimmt vom 1. Juli 2019 an die Leitung des Personalbereichs bei Mercedes-Benz Cars.Seit April 2018 war sie für das hersteller-eigene Handelsnetz in Deutschland verantwortlich. +++

+++ Steffen Alfes verantwortet seit dem 1. Mai die Personalführung der Tochtergesellschaften der Honestis AG,deren größte die Dorint GmbH mit Sitz in Köln ist. Zuvor war er für Accor Hotelstätig. +++

+++ Christian Kleinke ist neuer HR-Direktor bei dem Musical- und Showproduzenten Stage EntertainmentGermany. Seit dem 1. April trägt er dieVerantwortung für die Personalthemenaller Produktionen an deutschen Standorten. +++

+++ Andrea Wexel ist neue Personal-leiterin bei der Eversfrank Gruppe. DiePosition bei dem Druckereiunternehmenmit rund 1000 Mitarbeitern wurde neugeschaffen. +++

+++ Dr. Heike Notzon hat mit Wirkungzum 1. Mai die Leitung des Personal-wesens an den Michelin-Standorten Bad Kreuznach und Trier übernommen.Personalreferent Lothar Süß hatte dieFunktion seit dem 1. September 2018kommissarisch inne. +++

+++ Julia Roth, Themenleiterin Portfoliomanagement bei der DeutschenGesellschaft für Personalführung, verlässt die Organisation und macht sich zum 1. Juli 2019 mit einer Ideenwerkstatt für innovatives Personalmanagement selbstständig. +++

+++ Auf www.personalwirtschaft.definden Sie unter der Rubrik Der Job HR >Szene laufend ausführliche Personalien aus der Branche. +++

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EVENT & SZENE TREFFPUNKT

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„Das ist keine Bedrohung, sondern eine Chance“Künstliche Intelligenz (KI) kann die Arbeit von HR erleichtern. Aber welche Rolle spielt sie faktisch schon? Avira-Fachfrau Anja Michael gibt im Vorfeld des Personalmanagementkongresses Antworten auf ein brennendes Thema. INTERVIEW: KIRSTEN SEEGMÜLLER

Anja Michael ist Vice President Global HR beim Softwarehersteller Avira und stellvertretende Leiterin der BPM-Fachgruppe „Strategisches Personalmanagement“.Zudem hat sie lange Jahre Erfahrung als tiefenpsychologischer Coach.

u Personalwirtschaft: Frau Michael, alle reden vonkünstlicher Intelligenz. Wie weit verbreitet ist KI inder Personalarbeit? Anja Michael: Viele HR-Bereiche stehen ganz amAnfang. Zwar nähern sich die Personaler dem Themaan, aber ihre Skepsis gegenüber dem Einsatz von KIüberwiegt. Wir haben gerade eine Umfrage durchge-führt, nach der knapp 37 Prozent der UnternehmenKI noch gar nicht einsetzen. Und wenn sie es planen,dann vor allem zur Mitarbeitersuche und in der Admi-nistration. KI ist eine der wichtigsten Universaltech-nologien unserer Zeit. Viele Personaler nutzen sie jaschon privat – etwa Siri oder Alexa. Personaler brauchen

technische Experimentierfreude, sie müssen MachineLearning verstehen, ausprobieren und erleben. Trotz-dem sollen natürlich auch Skepsis und gesunder Rea-lismus ihren Platz haben.

Welche HR-Bereiche eignen sich am besten für KI? Derzeit gibt es viele Anbieter von Recruitment-Software.Mindestens 100 Tools wurden dafür bereits entwickelt– die meisten kommen aus den USA. Sie unterstützenden Profilabgleich, die Optimierung von Stellenanzeigenund die Bewerbungsgespräche. Dazu gehören beispiels-weise Chatbots, Sprach- und Stimmanalysen, Video-interview-Plattformen und Tools für das Matching.

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Matching? Das bieten Online-Jobbörsen doch schonewig an. Das war früher nur ein simpler Abgleich von Stich-wörtern, die die Bewerber und Recruiter vorher einge-geben haben. Diese Funktion auf Jobbörsen hat sichim Laufe der Jahre weiterentwickelt, aber bei KI gehtes um viel größere Datenmengen und -quellen. Alles,was im Netz über einen Menschen bekannt ist, alles,was er jemals im Internet veröffentlicht hat, lässt sichtheoretisch analysieren und mit den Anforderungenabgleichen. Da können Millionen von Daten in Echtzeitausgewertet werden.

Dürfen Arbeitgeber überhaupt alle Daten auswerten– auch private Bilder auf Facebook? Nein, aber alles, was in Businessnetzwerken gepostetwird, dürfen die Tools analysieren. Man muss vorabmit dem Hersteller klären, welche Datenquellen siedurchforsten, um die neue DatenschutzverordnungEU-DSGVO zu erfüllen.

Auch eine Stimmanalyse würde ich mir als Bewerbernicht wünschen. Eine Stimmanalyse als Persönlichkeits- und Eignungs-diagnose sehe auch ich sehr kritisch. Sie sollte meinerAnsicht nach nur mit vorheriger Zustimmung einesKandidaten erfolgen. Das gilt genauso für die Speiche-rung solcher sensiblen Daten. Egal, was ein Tool leistenkann – am Ende des Tages braucht man einen Men-schen, der die Ergebnisse bewertet, verantwortungsvolldamit umgeht und entscheidet, ob jemand ins Teamund die Unternehmenskultur passt.

… und dieses Bauchgefühl hat eine KI nicht. Aber sie ermöglicht eine effizientere Vorgehensweisebeim Recruiting, sie ist objektiv, zuverlässig und schafftZugang zu Kandidaten, die man mit traditionellenTools wie Online-Stellenanzeigen, Headhunting oderMitarbeiterempfehlungen nicht erreichen würde. Siesorgt dafür, dass gute Kandidaten nicht durch die sub-jektive Einschätzung eines einzelnen Menschen über-sehen werden. Auf der anderen Seite kann es passieren,dass ein Unternehmen einen hervorragenden Bewerbereinstellt, den das Tool nicht mal zum Vorstellungsge-spräch eingeladen hätte. Deshalb braucht man die Tech-nik und den Menschen, die einander ergänzen.

Wie reagieren Kandidaten darauf, wenn sie durch KIangeworben werden? Da waren wir selbst sehr überrascht. Wir haben mit 25Studenten der Fakultät Personalwirtschaft und BusinessGovernance der Martin-Luther-Universität Halle-Wit-tenberg gesprochen. Die sind alle um die 20 Jahre alt,haben eine gute Ausbildung und wollen als Individuum

wahrgenommen werden. Dazu möchten sie mit einemRecruiter sprechen, nicht mit einer Maschine. Erstaun-lich, wenn man bedenkt, dass diese jungen Menschenmit allem Digitalen viel selbstverständlicher umgehenals die ältere Generation.

Welche Aufgaben kommen auf die Personaler zu? Zwei Themen werden den HR-Bereich beeinflussen:Zum einen müssen Personaler ein tieferes psychologi-sches Wissen aufbauen, um Verhaltensweisen, Motiv-lagen, Antriebe und Erwartungen der Menschen zuverstehen. Dazu benötigen sie eine hervorragende Bezie-hungsgestaltungskompetenz.

Und das zweite Thema? Sie müssen ein technisches Verständnis entwickelnund ohne Scheu mit neuen Tools experimentieren:Wie wirkt KI? Wie erkennen wir, dass KI im Spiel ist?Welche Datenbasis steckt dahinter? Und wie lernt dieMaschine? Dazu braucht man Techniker und Business -analysten, die sich mit Tools, Technologien, Business-intelligence und People Analytics auskennen. Mitkünstlicher Intelligenz wird HR nicht nur von der ITins Boot geholt, sondern HR wird selbst zum Motorder digitalen Transformation. Das ist keine Bedrohung,sondern eine Chance. p

Fünf Keynotes und mehr als 100 Referenten – das erwartet die Besucher beim zehntenPersonalmanagementkongress in Berlin. Am 25. und 26. Juni 2019 werden über 1500 Teilnehmer erwartet, um neue Strategien in der HR-Arbeit zu diskutieren und zu entwickeln. „Auch digitale Arbeit muss gute Arbeit sein“ heißt es in der Eröffnungskeynote,die Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, am Dienstag um 9.30 Uhr hält.

Die Vorträge decken die gesamte Bandbreite von Personalthemen ab – vom Recruiting inZeiten des Fachkräftemangels über Employee Experience und Lifecycle bis hin zu NewWork. In interaktiven Sessions können die Besucher Lösungen gleich selbst ausprobieren,beispielsweise das Job Dating.

Dann geht es auf Tour: Die Teilnehmer können sich bei unterschiedlichen Unternehmen vor Ort ein Bild von den neuen Führungs-, Organisations- und Personalstrategien machen.Tandemploy beispielsweise gibt praktische Impulse, wie der Wandel von der Hierarchie zu einer Netzwerkorganisation gestaltet werden kann. Und Idealo, Betreiber der gleichnamigen Preisvergleichsplattform, offenbart, warum Führungspositionen doppeltbesetzt werden und welche Vorteile sich dadurch für die Mitarbeiter ergeben.

Die Initiatoren der Spendenplattform Betterplace ihrerseits wollen auch firmenintern Gutes tun: Die Aufgaben, die traditionell den Chefs und Chefinnen vorbehalten sind, werden in den Teams verteilt. Das Credo: Wenn Haltung und Kompetenzen stimmen, lassen sich Prozesse und Strukturen leicht anpassen. Last, not least lernen die Kongress-besucher auf einer „New Work Tour“ mit dem Bus Firmen der Hauptstadt kennen underhalten Handlungsempfehlungen für den Einsatz im eigenen Unternehmen.

Datum: 25./26. Juni 2019

Ort: BCC Berlin

Kosten: 1590 Euro (Standard), 1290 Euro (BPM-Mitglieder)

Weitere Infos und Anmeldung unter www.personalmanagementkongress.de

Jubiläum: Zehn Jahre Personalmanagementkongress

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STELLENMARKT

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HR BUZZWORD BINGO

Wer ist hier tragfähig?Auch wenn der Potenzialträger es noch nicht in die deutsche Wikipedia geschafft hat,macht er sich breit, jedenfalls als Begriff. Ohne die (über-)gewichtige Spezies der „Stars“scheinen manche Unternehmen Angst um ihre Zukunft zu haben. VON UTE WOLTER

u Seit nicht allzu langer Zeit wird Arbeitgebern dringend zuPotenzialanalysen geraten. Ziel: die Potenzialträger im Unter-nehmen zu identifizieren, auf dass sie sich entwickeln und zumWohle der Firma einsetzen – und sich stärker an sie gebundenfühlen. Klingt ähnlich wie Talent Management? Ist auch oft sogemeint. Allerdings wird der Begriff „Talent“ schon langegebraucht und bezeichnet meist Fachkräfte. Schnöde. Wieneu und bedeutend wirkt daneben „Potenzialträger“, dasin der Regel künftige Führungskräfte definieren soll.Wikipedia kennt bislang nur den „High Potential“, eine„Nachwuchskraft, die durch besondere persönlicheEigenschaften und Fähigkeiten einen höheren Wertfür das Unternehmen bietet“.

Und was ist mit den anderen Mitarbeitern? Bringtnicht jeder ein Potenzial mit, das zu fördern sichlohnen könnte? Mag sein, aber das reicht nicht.Verzweifelt gesucht sind oft „goldene Talente“,im Grunde eher „High Performer“ als „HighPotentials“, denn Letzteren haftet Unvorher-sehbares an. Attestiert die Potenzialanalyseeinem Mitarbeiter einen Mangel an Potenzial,hat er keine Zukunft, bösen Zungen gilt erals „Dead Wood“ oder „Dead Horse“. Wirder als „Work Horse“ oder „Cash Cow“ klas-sifiziert, darf er zumindest als Ackergaulseinen Dienst tun oder sich weiter melkenlassen. „Stars“ hingegen, wie High Poten-tials gern genannt werden, sind lernbereit,engagiert und leistungsstark, flexibel undagil. Auf sie soll man setzen, in sie gilt eszu investieren. Klingt wie eine Mischung ausVieh- und Aktienmarkt. Tatsächlich leitet sich die Terminologiedes Mitarbeiterportfolios von Kapitalmarkttheorien ab. Wie wardas mit der Wertschätzung der Mitarbeiter?

Aber halt, genau darum geht’s hier ja: Die Potenzialanalyse schätztden Wert des Mitarbeiters fürs Unternehmen. Der ausgemachtePotenzialträger ist wer, nämlich ein Titelträger und also Abkömm-ling des Amts- oder Würdenträgers. Etwas Gewichtiges haftetihm an, das ihn aber nicht belasten, sondern erheben soll: Hoffnungstatt Bedenken. Wobei manche ihr Potenzial zur Schau tragen

und sich in diesem Bemühen auch als Wasser- oder Kofferträgerbetätigen, was nicht immer dem Aufstieg dienlich ist.

Zugegeben: Nicht jede Potenzialanalyse ist so eng ausgerichtetwie hier beschrieben. Teilweise geht es darum, das zu finden,was man gerade nicht gesucht hat – das gewisse, vorläufig unbe-

kannte Etwas, das das Unternehmen auf die ein oder andereArt voranbringen kann. Aber es gibt eben auch die ande-

ren, die Eindeutiges suchen: potente Leistungs- undvielleicht Anzugträger – irgendwie wohnt dem Wort

etwas Männliches inne.

Wer in diesem Sinne als Potenzialträger identifiziert und gefördert wird, darf sich dasEtikett, vielleicht in Neongelb, auf die Stirnkleben oder auf den Rucksack, den er fortanmit sich trägt. Typ Jungdynamiker – aberkein Hipster –, der per Elektroroller durchdie Firmenflure flitzt. Im Wettstreit mit anderen Potenzialträgern: miss-trauisches Beäugen und Behindern,begieriges Konkurrieren darum, daseigene Potenzial anzubringen.Kommt es womöglich zu einemWar between Potentials statt einesWar for Talents?

Womöglich ist alles ja dochkomplizierter. So wird disku-tiert, ob man Potenzialträgernsagen soll, dass sie als solche

gelten. Angeblich leiden die meisten vonihnen nämlich an Selbstüberschätzung. Dann sollten sie aufpassen,sich nicht an der eigenen Gewichtigkeit zu übernehmen, sonstkönnten sie im Talentpool untergehen.

Und was passiert, wenn Unternehmen zu viele Potenzialträgerauserkoren haben, die sie dann in der ach so disruptiven Weltplötzlich nicht mehr brauchen? Und was wird aus jenen, dieihre Aufgabe erfüllt haben? Werden sie Potenzialträger fürneue Rollen. Kommen sie auf den Gnaden- oder gar denSchlachthof? p

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Unsere Topthemen im Juli

TITEL Ein Urteil unserer ZeitJetzt wird alles anders, und die meisten Arbeitgeber und Personaler erwar-ten wohl: nicht besser. Der Entscheid des Europäischen Gerichtshofs,Arbeitszeiten von Beschäftigten müssten inZukunft durch ein „objektives, verlässlichesund zugängliches System“ erfasst werden, hatdie Kraft, Teile der Wirtschaft zu erschüttern.Aber auch Rechtsexperten schreiben ihm gro-ßen Einfluss zu. Wie und wo würde sich dieserEinfluss bemerkbar machen, unter welchenAspekten, in welchen Branchen? Und was istdas Entscheidende daran für HR? Wir machenuns auf die Suche nach Antworten.

SPECIAL Ausbildung

Wir bieten, was Du suchstPotenzielle Azubis sitzen am längeren Hebel. Sie bestimmen, was sie voneiner Ausbildung erwarten und worauf sie keine Lust haben. Zu diesemErgebnis kommt die Studie „Azubi-Recruiting Trends 2019“. Das verlangtdurchdachte Konzepte für Employer Branding und Recruiting, um diebegehrten Nachwuchskräfte für sich zu gewinnen. Unser Special macht fitfür einen authentischen Auftritt und eine professionelle Ansprache.

SONDERHEFT HR-Software

Das Beste beider WeltenDie Digitalisierung macht auch vor HR nicht halt, der Wandel derPersonalarbeit schreitet mit Riesenschritten voran. VR, KI, Analytics –diese Schlagworte bestimmen zunehmend die Debatte. Aber auchDauerbrenner wie Payroll und Zeiterfassung spielen im Softwarebereichnach wie vor eine große Rolle. In unserem Sonderheft zum Thema HR-Software lesen Sie, wie sich alte und neue Welt miteinandervereinbaren lassen.

Die nächste Ausgabe der Personalwirtschaft erscheint am 30. Juni 2019.

VORSCHAU

IMPRESSUM

VERLAG UND REDAKTION

Wolters Kluwer Deutschland GmbH, Luxemburger Straße 449, 50939Köln, Telefon: 0221/94373-7311, Fax: 0221/94373-7292, E-Mail: [email protected], www.personalwirtschaft.de

HERAUSGEBER

Jürgen Scholl, Erwin Stickling (sti)

CHEFREDAKTEUR

Cliff Lehnen (cl)

REDAKTION

Sven Frost (sff), Nancy Hömberg (nbh), Nicolas Richter (nr), Elke Schwuchow (es), Tim Stakenborg (ts)

KORREKTORAT UND SCHLUSSREDAKTION

Harriet Gehring

FREIE MITARBEITER DIESER AUSGABE

Kai Felmy, Julius Fiedler, Winfried Gertz (wg), Ulli Pesch (up),Kirsten Seegmüller (seeg), Christiane Siemann (cs), David Schahinian (ds), Birgit Schouren (bs), Petra Walther (pw), Ute Wolter (uw)

BEIRAT

Roland Hehn, Heraeus; Professor Dr. Wolfgang Jäger, HochschuleRheinMain; Rudolf Kast, Die Personalmanufaktur; Isabell Krone, i-Restart; Professor Dr. Gunther Olesch, Phoenix Contact; Thomas Sattelberger, Publizist und Politiker; Professor Dr. Christian Scholz,Universität Saarbrücken; Dr. Ursula Schütze-Kreilkamp, DB MobilityLogistics; Professor Dr. Dirk Sliwka, Universität zu Köln

ABONNEMENT UND EINZELVERKAUF

Wolters Kluwer Deutschland GmbH, Postfach 2352, 56513 NeuwiedTelefon: 02631/801-2222, Fax: 02631/801-2223E-Mail: [email protected]: 12-mal jährlich, 45. Jahrgang 2019Bezugspreis: Standard-Abo jährlich 189,90 €, Halbjahres-Abo 99,80 €,Einzelpreis 17,50 €. Für Studierende und Auszubildende jährlich 49,95 €. Alle Preise zzgl. Versand. Auslandsabonnement auf Anfrage.

ARCHIV

Fachbeiträge aus bereits erschienenen Ausgaben sind verfügbar unterwww.personalwirtschaft.de.

ANZEIGEN

Christiane Fischer (Anzeigenmarketing), Telefon: 0221 94373-7316E-Mail: [email protected]örg Walter (Anzeigenverkauf), Telefon: 0931 359515-66E-Mail: [email protected] Linder (Anzeigendisposition), Telefon: 0221 94373-7338, E-Mail: [email protected]

HERSTELLUNG: Nicole Holubicka

GESTALTUNG: www.auhage-schwarz.de

BILDNACHWEIS: i-stock/gettyimages

ISSN: 0341-4698

DRUCKEREI: Williams Lea & Tag GmbH, München

COPYRIGHT: Luchterhand, eine Marke der Wolters Kluwer Deutschland GmbH.© 2019 Wolters Kluwer Deutschland GmbH, Köln.Mit Namen gekennzeichnete Beiträge stellen nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Verlages dar. Für unverlangt eingesandte Manuskripte übernehmen wir keine Haftung. Mit derAnnahme zur Veröffentlichung erwirbt der Verlag vom Verfasser alleRechte, einschließlich der weiteren Vervielfältigung zu gewerblichenZwecken. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge undAbbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbeson-dere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen unddie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

WOLTERS KLUWER DEUTSCHLAND GMBH

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Die zum Schutz Ihrer Zeitschrift verwendete Versandtasche aus PP (Polypropylen) ist zu 100 % recycelbar, verursacht weder bei der Herstellung noch bei der Entsorgung gesundheits- oderumweltschädigende Stoffe und ist damit umweltneutral.

PERSONALWIRTSCHAFT 07_ 2019

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BLICK VON AUSSEN

u Wer davon überzeugt ist, in seinemUnternehmen herrsche stets nur Harmo-nie, sollte sich kritisch hinterfragen. DennAggression, Angst sowie psychische undkörperliche Gewalt sind keine Seltenheitam Arbeitsplatz. Nach einer Befragung,die das Institut Psychologie & Bedrohungs-management hierzu vor einiger Zeit ano-nym unter 500 Beschäftigten durchgeführthat, war schon jeder zweite Beschäftigtemit bedrohlichem oder suizidalem Ver-halten am Arbeitsplatz konfrontiert: ent-weder als betroffene Person oder als Kol-lege, der einen solchen Vorfall direkt mit-erlebte.

Glücklicherweise reagieren die meisten Menschen mitt-lerweile sensibel auf Bedrohungssituationen. Das war nichtimmer so. Noch vor zehn Jahren wurde das Thema inUnternehmen am liebsten verschwiegen. Dabei sind solcheVorkommnisse Gift für die Leistungsfähigkeit der Mitar-beiter, mit entsprechenden Auswirkungen auf den Unter-nehmenserfolg.

Denn Mitarbeiter, die in bedrohliche Situationen geraten,fühlen sich teils nachhaltig verunsichert, manchmal ent-wickeln sie Ängste. Auf Dauer hat dies oft gesundheitlicheFolgen. Bereits unter dem Aspekt eines betrieblichenGesundheitsmanagements trägt der Arbeitgeber eine Ver-antwortung für den psychischen und physischen Schutzdes Personals.

Mit einem Bedrohungsmanagement kann die HR-Abteilungihren Teil dazu beitragen, das Problem einzudämmen undihm im besten Fall vorzubeugen: Meistens kann ein frühesEinschreiten der Organisation die Situation effektiv ent-schärfen. Und entsprechend geschulte Personaler und Mit-arbeiter können lernen, eine möglicherweise bedrohlicheSituation zu erkennen. So reicht ein direktes Ansprechendes vermeintlichen Aggressors unter Umständen aus, umzu erfahren, was das Problem ist, und dass die Lage fürsErste beruhigt werden kann. Nimmt man freilich Anzeichen

echter Gefahr wahr, müssen gegebenenfallsandere Stellen kontaktiert werden.

In bestimmten Fällen ist es empfehlenswert,einen Bedrohungsmanagement-Expertenzu Rate zu ziehen und um eine tiefergehendeRisikobewertung zu bitten. Dieser kannmeist eine konkrete Strategie zum Umgangmit dem Fall entwickeln und ihn weiterbe-gleiten. Andere reaktive Maßnahmen wärenbeispielsweise eine Verhaltensberatung unddie Unterstützung betroffener Mitarbeiter.

In jedem Fall heißt das Zauberwort „früh“.Denn in der Regel fallen selbst spätereGewalttäter bereits im Vorfeld massiv auf.

So kann es zum Beispiel sein, dass sich Krisen in seinemprivaten und beruflichen Umfeld verdichten, gegenseitigverstärken und den Betreffenden destabilisieren, der darauf-hin entsprechende Warnzeichen sendet und sich auffälligverhält. Oftmals ist ebenso das persönliche Umfeld in sol-chen Situationen beunruhigt und kommuniziert dies auch.

Bei weitem nicht jeder Mensch, der irgendwann Kollegenbedroht, ist ständig Ungerechtigkeiten ausgesetzt. Vielfachwirken solche Mitarbeiter durch ihr eigenes, zumeistdestruktives Konfliktverhalten an einer Zuspitzung mitund manövrieren sich so in den eskalierenden Konflikthinein. Dabei ist eine solche Dynamik den bedrohlichenMitarbeitern meist selbst nicht bewusst.

Dies unterstreicht, wie wichtig Prävention ist. Einerseitskönnen Mitarbeiter im Unternehmen auf diese Weise füreinschlägige Auffälligkeiten sensibilisiert werden. Andererseitslernen Personaler, auf Warnsignale im Verhalten und inder Kommunikation der Aggressoren zu achten. Im Übrigenist eines entscheidend: Hören Sie auf Ihre innere Stimme.Manchmal ist das eigene Bauchgefühl der erste Indikatordafür, dass etwas grundlegend nicht in Ordnung ist. p

„Manchmal ist dasBauchgefühl der ersteIndikator dafür, dassetwas grundlegend

nicht in Ordnung ist.“

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Tatort ArbeitsplatzGewalt im Job ist kein seltenes Phänomen. Das Thema zu ignorieren, ist fahrlässig:

den Betroffenen, aber auch dem eigenen Unternehmen gegenüber.VON JENS HOFFMANN

DR. JENS HOFFMANN ist Diplom-Psychologe und Leiter des Instituts Psychologie & Bedrohungsmanagement mit Sitz in Darmstadt.

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Wann: 16. September 2019

Wo: BALLONI-Hallen in Köln-Ehrenfeld

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Wichtig: Das Kontingent ist begrenzt. Die Teilnahme für HR-Veranwortliche ist kostenfrei.

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