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perspektive 21 Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik Heft 13 • Februar 2001 K K r r ä ä f f t t e e v v e e r r h h ä ä l l t t n n i i s s s s e e Z Z u u k k u u n n f f t t d d e e s s b b r r a a n n d d e e n n b b u u r r g g i i s s c c h h e e n n P P a a r r t t e e i i e e n n s s y y s s t t e e m m s s DVU PDS SPD CDU

perspektive21 - Heft 13

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Kräfteverhältnisse - Zukunft des brandenburgischen Parteiensystems

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Page 1: perspektive21 - Heft 13

perspektive 21Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik

Heft 13 • Februar 2001

KKKK rrrrääää fffftttt eeeevvvv eeee rrrr hhhh ääää llll tttt nnnn iiii ssss ssss eeeeZZZZuuuu kkkkuuuu nnnn fffftttt dddd eeee ssss bbbb rrrraaaa nnnn dddd eeee nnnn bbbb uuuu rrrrgggg iiii ssss cccc hhhh eeee nnnn PPPPaaaa rrrr tttt eeee iiii eeee nnnn ssss yyyy ssss tttt eeee mmmm ssss

DVU

PDS SPD

CDU

Page 2: perspektive21 - Heft 13

Zeit

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hte

Gabriele Schnell

Ende und Anfang

Chronik der PotsdamerSozialdemokratie 1945/46 – 1989/90200 Seiten, Paperback, 19,80 DMISBN 3-933909-05-8

Gabriele Schnell schreibt diespannungsvolle Geschichte der Pots-damer Sozialdemokratie in den Jahren

des Umbruchs: Der Kampf gegen die Zwangsvereinigung1945/46 und der mutige Neubeginn 1989/90. Eine umfangrei-che Material- und Dokumentensammlung ergänzt ihre Darstel-lung.

Benjamin EhlersWer, wenn nicht wir!

10 JahreJunge Sozialdemokraten in der DDRmit einem Vorwort von Manfred Stolpe208 Seiten, Paperback, 19,80 DMISBN 3-933909-07-4

»Die ostdeutsche SPD kann es sichlangfristig nicht erlauben, junge Men-schen ausschließlich fürHandlangerdienste zu verwenden. Sie müssen Freiräume fürihre eigenen politischen Themen erhalten. Nicht zuletzt mußihnen auch institutionell eine Chance eingeräumt werden. ...Insofern können es sich junge Menschen erlauben, etliche Jahreauf ihre Chance in der Politik zu warten; ob sich die SPD die-ses Abwarten leisten kann, ist mehr als fraglich.«

k a i w e b e r m e d i e n p r o d u k t i o n e ns c h l a a t z s t r a s s e 6 · 1 4 4 7 3 p o t s d a m

f o n 0 3 31 - 2 8 0 0 5 0 9 · f a x 2 8 0 0 5 1 7e - m a i l : i n f o @ w e b e r - m e d i e n . d e

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Vorwort 3

Prof. Dr. Jürgen DittbernerBrandenburg neu erfinden 5

PD Dr. Richard StössWahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg 15

Dr. Gero NeugebauerDie PDS in Brandenburg – wohin des Wegs? 43

Reiner Schmock-BatheDie CDU im Aufwind – nach langer Durststrecke 65

Dr. Volker Hauff und Matthias MachnigParteien des 21. Jahrhunderts 73

Inhalt

KräfteverhältnisseZukunft des brandenburgischen Parteiensystems

Page 4: perspektive21 - Heft 13

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HerausgeberSPD Landesverband Brandenburg

RedaktionKlaus Ness (ViSdP), Lars Krumrey

AnschriftFriedrich-Ebert-Straße 61

14469 Potsdam

Telefon0331 - 29 20 30

Telefax0331 - 270 85 35

[email protected]

Internethttp://www.spd-brandenburg.de

DruckDruck- und Medienhaus

Hans Gieselmann, Bergholz-Rehbrücke

Satzkai weber medienproduktionen

Impressum

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Page 5: perspektive21 - Heft 13

seit dem Herbst 1989 entwickeln sich

auf dem Territorium der nun ehemaligen

DDR demokratische Parteien. Relativ

schnell kristallisierten sich dabei Spezi-

fika in den einzelnen neuen Bundeslän-

dern heraus. Während in Sachsen und

Thüringen von Beginn an die CDU domi-

nierte, wurde in Brandenburg die neu

gegründete SPD die stärkste Partei. Auch

in Mecklenburg-Vorpommern und Sach-

sen-Anhalt hat die SPD die CDU mittler-

weile als stärkste Partei abgelöst. Die

Entwicklung des Parteiensystems und

des Wählerverhaltens ist noch nicht

abgeschlossen. Das zeigten insbeson-

dere die Landtagswahlen im Herbst

1999, bei denen die SPD nach ihrem

großen Wahlsieg im September 1998 bei

den Bundestagswahlen herbe Rück-

schläge hinnehmen musste. In Sachsen

krebst die SPD mittlerweile bei 10 Pro-

zent, in Thüringen fiel sie vom Junior-

partner in der Großen Koalition auf den

3. Platz hinter die PDS zurück und auch in

Brandenburg musste die SPD kräftige

Verluste hinnehmen. Es stellte sich aber

auch heraus, dass das Parteiensystem in

Ost- und Westdeutschland stark diffe-

riert. Während sich in Ostdeutschland

ein 3-Parteiensystem aus SPD, CDU und

PDS in den Parlamenten fest etabliert,

hat die PDS in Westdeutschland keine

Chance und FDP und Grüne werden

zunehmend zu westdeutschen Regional-

parteien.

Die Entwicklung der Brandenburger

Landesparteien als wesentlicher Träger

des demokratischen Systems und die

Veränderungen im Wahlverhalten im

Laufe des Transformationsprozesses sind

das Schwerpunktthema dieser Ausgabe

der „Perspektive 21“. Wir haben renom-

mierte und ausgewiesene Autoren

gewonnen, um einen Blick hinter die

Kulissen zu ermöglichen. Wir freuen uns

sehr, dass es uns gelungen ist, mit Rich-

ard Stöss, Jürgen Dittberner und Gero

Neugebauer langjährige Beobachter der

Entwicklung des Brandenburger Partei-

ensystems für Beiträge in dieser Aus-

gabe zu gewinnen. Nicht verschweigen

wollen wir, dass es uns vergleichsweise

schwer gefallen ist, einen Autor zu

gewinnen, der sich wissenschaftlich mit

der CDU in Brandenburg beschäftigt hat.

Wir freuen uns deshalb, dass Rainer

Schmock-Barte, der sich seit vielen Jah-

ren mit der Brandenburger CDU beschäf-

tigt, einen Beitrag verfasst hat, der

sicherlich zu vielen Diskussionen anre-

gen wird. Einen Blick über den Branden-

burger Tellerrand hinaus ermöglicht der

Beitrag von Matthias Machnig und

Volker Hauff.

Die Redaktion

Vorworz

3

Liebe Leserinnen und Leser der „Perspektive 21“,

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Page 7: perspektive21 - Heft 13

So richtig „Stolpe-Land“ war Branden-

burg zwischen dem 10. September 1994

und dem 5. September 1999. In dieser

zweiten Legislaturperiode verfügte die

SPD über die absolute Mehrheit im Land-

tag – sie hatte 54,14 Prozent Wähler für

sich gewinnen können. Vorher, nach der

Wiedergründung des Landes Branden-

burg im Jahre 1990, war Manfred Stolpe

als Persönlichkeit und als Ministerpräsi-

dent zwar die dominierende Figur der

Landespolitik, aber da war er eher der

Wanderführer auf dem „Brandenburger

Weg“ mit einer wundersamen „Ampelko-

alition“ aus SPD, Bündnis 90 sowie FDP

an der Regierung und einem märkischen

Wir-Gefühl, das auch die Oppositionspar-

teien CDU und PDS beherrschte. Im Land-

tag erkannte man häufig noch keine Par-

teien: Regine Hildebrandt spendete dem

Oppositionsredner Lothar Bisky von der

Regierungsbank her Beifall, und wäh-

renddessen saß Manfred Stolpe unten im

Plenum neben dem Fraktionsvorsitzen-

den Peter-Michael Diestel, offensichtlich

in ein grundsätzliches Gespräch vertieft.

Ab 1994 war Stolpe vorwiegend nicht

mehr zwischen den Reihen zu finden,

sondern er saß als Ikone an der Spitze des

Projektes Brandenburg. Dorthin hatten

ihn „seine Brandenburger“ gestellt, weil

sie die jahrelangen Attacken vor allem

westlicher Medien auf seine möglichen

Stasiverwicklungen als Angriffe auf ihre

eigenen „Ostindentität“ bewerteten.

Brandenburg, von außen vielfach als „die

kleine DDR“ verspottet, wollte sich seinen

Landesvater nicht vermiesen lassen.

Stolpe wurde zu einer Chimäre: Zum Teil

Erich, zum anderen Teil Friedrich. Alles

andere, die nach dem Ausscheiden von

Bündnis und FDP übrig gebliebenen Par-

teien, die Minister – mit Ausnahme von

Regine Hildebrandt – blieben demge-

genüber Staffage. Stolpe war Branden-

burg, die SPD-Brandenburg war Stolpe,

und davon profitierte sie. Die Ernüchte-

rung kam im Mai 1996. Bei der Abstim-

mung über die Fusion zwischen Berlin

und Brandenburg verweigerten die mei-

sten seiner Brandenburger dem Landes-

vater die Gefolgschaft. Nur 36,6 Prozent

stimmten mit „ja“: Das reichte nicht. Die

Fusion war an Brandenburg gescheitert –

nicht an Berlin, wo es immerhin 53,6 Pro-

zent Befürworter gegeben hatte. Keiner

5

Brandenburg neu erfindenBetrachtungen der märkischen Parteienlandschaftvon Prof. Dr. Jürgen Dittberner

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hatte das Projekt „Berlin-Brandenburg“

mit so viel Verve vertreten wie Manfred

Stolpe, und keinen schmerzte das Ergeb-

nis so sehr.

Die Abstimmung war auch ein Dämp-

fer für die SPD: Selbst in ihren Hochbur-

gen erreichte sie nur 36 Prozent Befür-

worter. Als Sieger stand die PDS da, die

gegen die Fusion agitiert und damit die

Stimmung der Brandenburger besser

getroffen hatte als der Landesvater. Nicht

nur die Länderfusion war gescheitert,

sondern auch Manfred Stolpe war von

seinem Olymp gestoßen worden. Den

Brandenburger Weg gab es nicht mehr,

seit die PDS erfolgreich Front gegen die

Regierung gemacht hatte. Die SPD muss-

te erkennen, dass das Land Brandenburg

nicht automatisch ihr Eigentum war, und

es überrascht, wie überrascht die SPD

war, als sie 1999 wieder auf ihr Wählerre-

servoir von 1990 zurückfiel. Zwar hatte

die Partei gegenüber 1994 fast 15 Prozent

der Stimmen verloren, aber sie landete

mit 39,33 Prozent immerhin dort, wo sie

gestartet war (38,21 Prozent).

Nach 1999 verfügt auch Brandenburg

über ein System konkurrierender Par-

teien, in dem zwar die SPD die stärkste

Gruppierung ist, die beiden anderen

großen Parteien CDU und PDS aber

zumindest danach streben können, ein-

mal die Mehrheit zu gewinnen. Die bei-

den kleineren Partner der „Ampel“, Bünd-

nis 90 und die FDP, sind wie in den ande-

ren ostdeutschen Bundesländern auch

seit 1994 im Status von Splitterparteien.

Anfang 2001 ist nicht abzusehen,wie und

wann sie diese Situation ändern können.

Ein Menetekel ist die Anwesenheit der

DVU im Brandenburgischen Landtag seit

1999 (5,28 Prozent). Hier zeigt sich auf der

parlamentarischen Ebene die hässliche

Seite Brandenburgs mit seinen starken

rechtsextremen Einsprengseln. Es ist die

zweite große politische Enttäuschung

Manfred Stolpes, dass er im Jahre 2000

endlich eingestehen musste, er habe die

Gefahr des Rechtsextremismus in seinem

Land unterschätzt. Dass rechtsextreme

Vorkommnisse in diesem Land bis dato

immer wieder heruntergespielt, ver-

schleiert, vertuscht und entschuldigt

wurden, ist zwar nicht das direkte Ver-

schulden der Landesregierung, aber eine

geistige Führerschaft hiergegen ist vom

Kabinett bis ins Jahr 2000 hinein nicht

ausgegangen. Stets bat man zu beden-

ken, dass die Täter doch Landeskinder

wären und dass man sie zurückholen

müsse in den märkischen Hort.

Schien die SPD Brandenburgs 1990 und

besonders 1994 vor allem Stolpes Wahr-

kampfmaschine zu sein, so ist sie 2001

ein ganz normaler ostdeutscher Landes-

verband einer der beiden Großparteien in

der Bundesrepublik. In der ersten Hälfte

des Jahrzehnts hatte es Theorien gege-

ben, die besagten, besonders im deut-

schen Osten würden die Parteien sich

Prof. Dr. Jürgen Dittberner

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Page 9: perspektive21 - Heft 13

nicht an Interessenlagen orientieren,son-

dern an charismatischen Führungsfigu-

ren. Neben Manfred Stolpe sei Kurt Bie-

denkopf in Sachsen der Beleg dafür:Ohne

ihn wäre die CDU in Dresden nicht so

stark. Doch auch in Sachsen hat sich eine

Parteiorganisation mit eigenen Struktu-

ren und eigener Dynamik entwickelt.

Schon heben einige Unvorsichtige unter

den dortigen Parteifreunden die Köpfe

und fragen nach der Zeit ohne „König

Kurt“. In Brandenburgs SPD – in ihrem

Verständnis damit zugleich im gesamten

Land – ist der Kronprinz schon präsent.

Matthias Platzeck, von der Parteiführung

1998 als Oberbürgermeister in Potsdam

gegen den glücklosen Genossen Horst

Gramlich installiert, soll Stolpe auf dem

Fuße folgen. Dazu wurde der andere

„Kronprinz“, Steffen Reiche, im Sommer

2000 vom Amte des SPD-Vorsitzenden

entbunden, so dass Platzeck nun auch

offiziell als Anwärter auf das Amt des

Ministerpräsidenten dasteht, wenn Man-

fred Stople dieses aufgeben und die SPD

weiterhin hierüber verfügen sollte.

Eine Besonderheit ist die Kür eines

Kronprinzen in einer demokratischen Par-

tei schon. Konrad Adenauer hatte sich

immer dagegen gewehrt, Ludwig Erhard

als Kronprinzen ausrufen zu lassen:„Wis-

sen Se, Kronprinzenfragen sind unange-

nehme Fragen…“ Und zu gut ist erinner-

lich, dass der von Helmut Kohl benannte

„Kronprinz“ Wolfgang Schäuble es dann

doch nicht geworden ist. Über Nachfol-

gefragen entscheiden die Wähler und die

Parteimitglieder trotz aller Vorabüber-

legungen immer erst zur gegebenen Zeit.

Da diese Erkenntnis keineswegs originell

ist, lässt sich die sozialdemokratische

Festlegung in Brandenburg nur als Aus-

druck der Tatsache sehen, dass einiges

von der Vorstellung vom Brandenburger

Sonderweg noch immer in dieser Partei

steckt: Das Land ist unser, und wenn der

regierende Monarch abtritt, werden wir

rufen: “Der König ist tot, es lebe der

König!”

Ob es so kommen wird, hängt zum

einen davon ab, wieviel Widerstände

gegen Stolpe und Platzeck in der Partei

unter der Decke schlummern und ob die

Konkurrenten der SPD es schaffen wer-

den, sich in Positur zu bringen.

Da hat es in Brandenburg vor allem die

CDU schwer. Bis 1999 war sie die Skan-

dalnudel unter den märkischen Parteien.

Partei- und Fraktionsvorsitzende wech-

selten sich so schnell einander ab, dass

die Beobachter gar nicht mehr mitka-

men. Die Fraktion intrigierte gegen den

Landesvorsitzenden, dieser gegen die

Fraktion. Kaum war jemand in ein Amt

gewählt worden, machte sich ein Trupp

daran, diesen zu demontieren. Die Partei

war zerrissen zwischen dem munteren

Fortwirken der alten Blockflöten und

Erneueren aus West und Ost. So musste

sie sich 1994 mit 18,72 Prozent zufrieden

Brandenburg neu erfinden

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Page 10: perspektive21 - Heft 13

geben – sie hatte ihr Ergebnis von 1990

(29,45 Prozent) um über zehn Prozent

unterboten – eine gerechte Strafe für

einen zerstrittenen Haufen. Da brachte

der ehemalige Bundeswehrgeneral mit

märkischer Heimat, Jörg Schönbohm,

1999 die Partei auf Linie. Als Innensenator

Berlins hatte Schönbohm vergeblich am

Thron von Eberhard Diepgen gerüttelt

und wurde von der dortigen CDU mit

Freuden ins Brandenburgische weiterge-

reicht. Dort reüssierte er und brachte

seine CDU auf 26,55 Prozent. Dem Bruder

und Genossen Landesvater schien sich

mit dem General ein quirliger Landeson-

kel an die Seite zu drängen.

Theoretisch hätten 1999 in Branden-

burg auch die SPD und die PDS eine Koali-

tion bilden können. Diese Option der

Regine Hildebrandt hätte Brandenburg

sehr weit weg geführt von den Hauptli-

nien bundesdeutscher Parteienpolitik.

Was in Mecklenburg-Vorpommern offizi-

ell und in Sachsen-Anhalt informell mög-

lich ist, wäre in Brandenburg – dem die

Bundeshauptstadt umlagernden Bundes-

land sehr degoutant. Außerdem hätte es

die Stasi-Diskussion um Manfred Stolpe

erneut entfacht, wenn dieser Ministerprä-

sident einer SPD/PDS-Koalition geworden

wäre. Zum Zeichen, dass die SPD und die

CDU in Brandenburg Sonderwege endgül-

tig verlassen wollen, schied die Jean d`Arc

des deutschen Ostens aus der Politik aus,

und an der Stelle von Frau Hildebrandt

nahm nun General Schönbohm Platz an

der Seite Stolpes. Die CDU schien nun die

treibende Kraft im Lande zu sein. Von ihr

kamen Anregungen zur Länderfusion, zur

Gemeinde- und Polizeireform sowie zur

Inneren Sicherheit. Die tapfere Fraktions-

vorsitzende Beate Blechinger hielt dem

General den Rücken frei. Doch es zeigte

sich bald, dass die Union in Brandenburg

in Wirklichkeit zu schwach war für die

Regierung – jedenfalls für eine Option auf

die erste Geige dort. Keiner der vier CDU-

Minister war und ist brandenburgisches

Eigengewächs. Im Herbst 2000 wurde

offenbar, dass Wolfgang Hackel als Mini-

ster für Wissenschaft, Forschung und Kul-

tur eine Fehlbesetzung war. Und nur mit

Hilfe von außen gelang es, Hackel im Kabi-

nett zu ersetzen – mit einer Ministerin, die

Manfred Stolpe mindestens ebenso

genehm ist wie Jörg Schönbohm. Weiter-

hin im Amte bleibt Justizminister Kurt

Schelter, obwohl er das Vertrauen der

Justiz verloren hat.

Mit dem Oberbürgermeister von Cott-

bus, Waldemar Kleinschmidt, schien die

CDU über lange Zeit wenigstens eine

kräftige einheimische politische Bega-

bung in ihren Reihen zu haben. Cottbus

schien vor Potsdam und all den anderen

märkischen Schwestern die Wende am

besten zu bewältigen. Doch Ende 2000

wurden alte Seilschaften sichtbar, mit

denen die Stadt in der Lausitz durchzo-

gen ist. Das Ansehen der Stadt, ihres

Prof. Dr. Jürgen Dittberner

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Page 11: perspektive21 - Heft 13

Magistrats und ihres Bürgermeisters

sank, und Kleinschmidt stand da als

Repräsentant einer sehr alten CDU.

So bleiben trotz der fortlaufenden Akti-

vitäten Schönbohms der Substanzman-

gel und der schwelende Konflikt zwi-

schen den Altgedienten und den seit der

Wende Hinzugekommenen strukturelle

Schwächen der märkischen CDU.

Ist die märkische PDS eine Alternative?

Dieser Landesverband war ein Pfeiler der

gesamten Nachfolgeorganisation der

SED. Nicht von ungefähr wurde der Bran-

denburger Lothar Bisky Bundesvorsitzen-

der der PDS. Es sprach für die Bodenstän-

digkeit und Solidität der brandenburgi-

schen PDS, dass der Vorsitzende sein

Mandat im Landtag behielt und dieses

neben seinen bundespolitischen Ver-

pflichtungen auch wahrnahm. In der

ersten Legislaturperiode wirkten Bisky

und die PDS im Landtag wie die heimli-

che Reserve Stolpes. Augenzwinkernd

schien die PDS dem “Landesvater” beizu-

stehen, wenn es galt, die wahren bran-

denburgischen Interessen gegen die arg

westlastige FDP oder die doch sehr bür-

gerrechtsorientierten Grünen zu verteidi-

gen. Die Abkühlung setzte ein, als die PDS

gegen Stolpes Fusionspläne mit Berlin

öffentlich Front machte.Den Sozialdemo-

kraten kamen bange Fragen auf: War

Brandenburg vielleicht tatsächlich doch

die “kleine DDR” und die PDS ihr idealer

Repräsentant? Die PDS wurde fortan als

hartnäckige Konkurrenz um Wählerstim-

men gesehen. Tatsächlich ist die Wähler-

entwicklung der PDS seit 1990 für diese

Partei überaus positiv: Sie steigerte ihren

Stimmenanteil bei den Landtagswahlen

kontinuierlich von 13,4% 1990 über 18,71%

1994 auf 23,34% 1999. dass im Jahre 2001

und danach der Knick auf dieser Geraden

nach oben kommen muss, dafür gibt es

drei Gründe:

1. Nach den Koalitionsentscheidung der

SPD 1999 gegen die PDS kann diese

nicht mehr als Brandenburgs “stille

Reserve” gesehen werden, sondern

eher als irgendwie noch immer mit

der alten DDR verbandelte Partei, die

zwar einen guten Mitglieder- und

Wählerzulauf hatte, an Havel und

Spree jedoch den Zugang zur Macht

wohl nicht schaffen wird. Von den

Sozialdemokraten muss sie in zuneh-

menden Maße als Konkurrenz und

Gegner und nicht als strategischer

Partner gesehen werden. Auch wenn

der Landesvorsitzende diese Option

öffentlich nicht aufgeben möchte,

kann sie doch nur als innergouverne-

mentale Geste zur Bändigung des

wirklichen Koalitionspartners verstan-

den werden

2. In der Öffentlichkeit ist mittlerweile

bekannt, dass die brandenburgische

PDS Führungsprobleme hat und stark

von innerparteilichen Kontroversen

geprägt ist.

Brandenburg neu erfinden

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Page 12: perspektive21 - Heft 13

3. Generell ist die PDS in ihrem öffentli-

chen Erscheinungsbild geschwächt,

seitdem 2000 die populären Führer

der Partei, Gregor Gysi und Lothar

Bisky die Fraktions- und Partei-

führung verlassen hatten. In der

Medienlandschaft Deutschland hat

die ostdeutsche Regionalpartei ihr

mediale Gesicht verloren. Hinzu

kommt der Verlust von Michael Schu-

mann, der als politischer Analytiker in

Brandenburg über die Grenzen der

PDS hinaus hohes Ansehen genossen

hatte.

Gleichermaßen kümmerlich sind die

Existenzen der FDP und der Grünen in

Brandenburg. Beide Bündnispartner Stol-

pes aus der ersten Legislaturperiode

scheinen sich überhaupt zu regionalen

Westparteien zu entwickeln, gewisser-

maßen als Gegengewichte zur PDS. Die

FDP verfügt in Brandenburg – wie in den

anderen Ländern Ostdeutschlands – über

keine liberale Wählerschicht, die ihr

gesellschaftlichen Halt geben würde. Der

Vorstand um die landespolitisch weitge-

hend unbekannte Landesvorsitzende

Claudia Lehrmann bemüht sich um libe-

rales Profil, doch er scheint damit auf ver-

lorenem Posten zu stehen. Da nützt es

auch nichts, dass man sich bei öffentli-

chen Veranstaltungen der Prominenz von

Jürgen Möllemann versichert: Branden-

burg ist nicht Nordrhein-Westfalen, und

die auch in der FDP angezweifelte Serio-

sität des Populisten wird für die branden-

burgischen Wähler erst recht nicht

erkennbar.

Manche Beobachter vertreten die Auf-

fassung, der Niedergang der Liberalen in

Brandenburg komme daher, dass sie in

der Ampelkoalition nur mit Ministern aus

Westdeutschland vertreten waren: Wal-

ter Hirche und Hinrich Enderlein. Auch

der einzige liberale Staatssekretär aus

dem Lande, Knut Sandler, sei unter ziem-

lich unwürdigen Umständen sehr bald in

die Wüste geschickt worden. Schließlich

habe die FDP dann ihre Verluste 1994

(2,2%) und 1999 (1,86%) unter dem “west-

deutschen“ Vorsitzenden Hinrich Ender-

lein eingefahren. Aber niemand glaubt

ernsthaft daran, dass bei der märkischen

FDP nun eine Trendwende ins Haus

stünde, weil Enderlein 1999 durch die

Landestochter Lehmann ausgewechselt

wurde.

Die Grünen waren in der Ampel durch

die prominenten “DDRler” Matthias Plat-

zeck und Marianne Birthler am Kabi-

nettstisch vertreten, und ihr Niedergang

(1994: 2,89%, 1999: 1,94%) ist ähnlich

katastrophal gewesen wie derjenige der

FDP. An der Herkunft des jeweiligen

Führungspersonals kann es also weder

bei der FDP noch bei den Grünen gelegen

haben.

Für die Grünen gilt wie für die FDP: Sie

gelten im Osten als Westpartei und

Prof. Dr. Jürgen Dittberner

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Page 13: perspektive21 - Heft 13

haben keine Klientel bei der Wähler-

schaft, die mit ihnen durch dick und dünn

ginge. Die Grünen haben gemeint, im

Osten Deutschlands und somit auch

Brandenburg Resonanz zu finden durch

die Fusion mit der Bürgerrechtsgruppie-

rung “Bündnis 90“. Doch schon 1990 war

die Mission der Bürgerrechtler in der DDR

beendet: Durch ihre mutige Opposition

hatten sie zum Zusammenbruch der

DDR-Diktatur beigetragen. Die Neuge-

staltung in Richtung Wiedervereinigung

– welche die Bündnisgruppen so gar

nicht gewollt hatten – übernahmen nun

andere:Die Flüchtlinge in den Westen,die

proletarischen Protestierer mit der Parole

“Wenn die DM nicht zu uns kommen,

kommen wir zur DM.”, die führenden

CDU-Politiker in Bonn und ihre Gefolgs-

leute in der Volkskammer und in der DDR-

Regierung. So erging es den Bürgerrecht-

lern nach 1990 wie es der Klassiker for-

muliert hatte:“Der Mohr hat seine Schul-

digkeit getan, der Mohr kann gehen.”

Die durch die Bürgerbewegung parla-

mentarisch sozialisierten prominenten

“Ossis” gingen sehr verschiedene Wege:

Günter Nooke landete in der CDU/CSU-

Bundestagsfraktion auf den vorderen

Plätzen, Matthias Platzeck ging zur SPD,

wurde Oberbürgermeister der Landes-

hauptstadt, Landesvorsitzender der Sozi-

aldemokraten und “Kronprinz” Manfred

Stolpes. Nur Marianne Birthler blieb der

Grünen treu und streitet sich nun partei-

politisch neutralisiert als Leiterin der

Gauck-Behörde mit “ihrem” seinerseits

von den Grünen zur SPD gewechselten

Minister Otto Schily über die Herausgabe

von Akten. Bei den Grünen Brandenburgs

ist keiner und nichts aus der euphori-

schen Gründerzeit hängen geblieben.

Wenn der Maßstab für politisches

Gewicht einer Partei deren Repräsentanz

im Parlament ist, dann müssen die Grü-

nen und die FDP in Brandenburg auf

absehbare Zeit als Parteien ohne politi-

sches Gewicht eingestuft werden. Ob das

nach der nächsten Landtagswahl auch

für die DVU gesagt werden kann, ist

offen. Auf jeden Fall wäre ein Wiederein-

zug dieser rechtsradikalen Gruppierung

eine Niederlage für die jetzige Regierung,

wie umgekehrt ein Scheitern der DVU ein

Erfolg der Regierung wäre. Die DVU und

der Rechtsradikalismus sind eine schwere

Hypothek für Brandenburg. Das Land, das

sich so gerne in der Sonne preußischer

Toleranzedikte wärmt, erlebt seit Jahr

und Tag rechtsradikale Jagdszenen in sei-

nen Städten und auf seinen Straßen. Es

ehrt Manfred Stolpe, dass er nach zehn

Jahren Regierungszeit eingestanden hat,

er habe die Brisanz des Rechtsextremis-

mus in seinem Lande unterschätzt. Es

bringt ihn und übrigens auch seinen

Kronprinzen Platzeck – der sich ähnlich

wie Stolpe eingelassen hatte – jedoch in

Handlungszwang.Brandenburg geht den

richtigen Weg, wenn es den Antrag auf

Brandenburg neu erfinden

11

Page 14: perspektive21 - Heft 13

Feststellung der Verfassungsfeindlichkeit

der NPD beim Bundesverfassungsgericht

unterstützt und neue Strafen für rechts-

extreme Gewalttäter fordert. Die eta-

blierten Parteien und ihre Repräsentan-

ten müssen aber auch jenen politischen

Unterführern spürbar auf die Füße tre-

ten, die immer noch abwiegeln und den

Rechtsextremismus im wesentlichen als

übles Propagandainstrument westlicher

Medien darstellen. Es ist ein Makel Bran-

denburgs, dass die DVU nun mit einer

Fraktion im Landtag vertreten ist. Die

wird zwar weitgehend isoliert, kann poli-

tisch wenig bewegen, aber sie verfügt

über die ihr nach dem Recht zustehenden

materiellen und politischen Ressourcen.

Die aus München gesteuerte Partei hat

ihr Wahlergebnis als “Triumph der DVU”

gefeiert und nicht zu unrecht getönt, ihr

Wahlerfolg sei eine “Warnung für die

alten Parteien.” Hoffentlich haben diese

das begriffen.

Bei Lichte betrachtet hat Branden-

burg ein Dreiparteiensystems. Die SPD

ist die größte der etablierten Parteien,

um ein Drittel kleiner sind die CDU und

die PDS. Will die SPD die absolute Mehr-

heit wiedergewinnen, muss sie erhebli-

che Wählerpotentiale der anderen Par-

teien zu sich herüberziehen. Zwar ist die

Wählerbindung an die politischen Par-

teien im Osten Deutschlands geringer

als im Westen (wo sie jedoch gesunken

ist), aber in zehn Jahren wird sich hier

und da eine Identifikation aufgebaut

haben.

Die Instabilität des brandenburgischen

Parteiensystems liegt vor allem im politi-

schen Desinteresse großer Teile der Bür-

gerschaft. Nur 54,30 % der Brandenbur-

ger haben sich überhaupt an den letzten

Landtagswahlen beteiligt. Die geringe

Mitgliederdichte der SPD und der CDU ist

bekannt, und immer wieder stößt die

Rekrutierung politischen Personals auf

Schwierigkeiten, weil kein genügendes

Auswahlreservoir vorhanden ist. Die

brandenburgische Politik muss die politi-

sche Bildung im weitesten Sinne intensi-

vieren, fördern und unterstützen. Ob LER

oder konfessioneller Religionsunterricht:

In den Schulen muss über diese und

andere Fächer ein sicheres Gefühl über

die Grundwerte, die Geschichte und die

politische Kultur unserer Gesellschaft

gefördert werden Darüber hinaus ist es

notwendig, möglichst viele geeignete

Landeskinder, die nach der Wende ausge-

bildet wurden, in die Schulen zu bringen

und das alte Personal zu ersetzen.

Brandenburg muss sich neu definieren.

Darum bemüht sich – das ist hinter allen

Vordergründigkeiten erkennbar – der

Ministerpräsident seit zehn Jahren. Es

kämpft gegen die geistigen Folgen von

zwölf Jahren nationalsozialistischer Dik-

tatur und 45 Jahren kommunistischer

Indoktrination an. Von seinen Mitstrei-

tern am Kabinettstisch 1990 sitzt heute

Prof. Dr. Jürgen Dittberner

12

Page 15: perspektive21 - Heft 13

nur noch Alwin Ziel als nach der

Schmökel-Affaire angeschlagener Politi-

ker an seiner Seite. Alle anderen Minister

sind mittlerweile mindestens einmal

ausgewechselt worden. Das zeigt den

langen Atem Manfred Stolpes. Dennoch

wäre es nicht verwunderlich, wenn auch

seine Zeit nicht reicht, die Hauptaufgabe

zu bewältigen und ein Anderer den Stab

übernehmen müsste. Ob der dieser Auf-

gabe gewachsen wäre, würde sich

ohnehin erst zeigen, wenn er im Amte ist.

Brandenburg neu erfinden

13

Prof. Dr. Jürgen Dittberner(Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Potsdam

und war 1990 und 1992 Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und

Kultur /Januar 2001)

http://www.uni-potsdam.de/u/PolWi_Dittb/index.htm

Page 16: perspektive21 - Heft 13
Page 17: perspektive21 - Heft 13

1. Vorbemerkung: Parteien, Wahlenund Wettbewerb

Parteien werden auch als Allianzen

(bzw. Koalitionen) von politischen Eliten

und sozialen Gruppen beschrieben. Diese

Allianzen können sich von Wahl zu Wahl

neu bilden oder über mehrere oder sogar

viele Wahlen hinweg bestehen. Dauer-

hafte Allianzen bedürfen eines Bindemit-

tels, das den Zusammenhalt von Eliten

und sozialen Gruppen gewährleistet.

Derartige Bindungen können nur durch

Faktoren von längerfristiger Bedeutung

bewirkt werden. In Frage kommen zwei

Faktorenbündel: einerseits die soziale

Herkunft bzw. Lage und daraus resultie-

rende Interessen, andererseits politische

Grundüberzeugungen (Werte). Kurzfri-

stige Allianzen beruhen zumeist darauf,

dass Eliten und soziale Gruppen in spezi-

ellen politischen Sachfragen überein-

stimmen. In der Realität mischen sich bei

jeder Partei kurzfristige und langfristige

Bindungen, wobei Letztere – auch in Ost-

deutschland – überwiegen.

Bei Wahlen ordnen sich die Wähler den

bestehenden Parteien zu. Entweder blei-

ben sie ihrer Partei, die sie früher auch

schon gewählt haben, treu (Wieder-

wähler) oder sie ändern ihr Verhalten

(Wechselwähler1). Für die Parteien ergibt

sich daraus die Doppelaufgabe, ihre

treuen Anhänger zu mobilisieren und

darüber hinaus Wähler zu gewinnen, die

sich bei jeder Wahl neu entscheiden bzw.

die sich das erste Mal an einer Wahl

beteiligen (Jungwähler). Maßgeblich für

das Wahlverhalten sind langfristig wirk-

same Bindungen (Sozialstruktur,Wertori-

entierungen) oder kurzfristig wirksame

Faktoren (Sachfragen, Parteikompeten-

zen, die Beurteilung der Spitzenkandida-

ten). Da sich in Ostdeutschland noch

kaum stabile Beziehungen zwischen spe-

zifischen sozialen Gruppen und einzel-

nen Parteien herausgebildet haben, hän-

gen Wahlerfolge vor allem davon ab, ob

die Parteien über kompetente Vorschläge

zur Lösung der als dringlich empfunde-

nen Probleme und über sachkundige,

durchsetzungsfähige, vertrauenswürdige

15

1 Dabei werden zwei Typen unterschieden: Parteiwechsler sind Personen, die zwischen Parteien

wechseln. Einwechsler wechseln von Nichtwahl zur Wahl (irgendeiner Partei). Wechsler von

Wahl zu Nichtwahl werden in den Statistiken als Nichtwähler geführt.

Wahlgeschichte und Wettbewerbssituationder SPD in Brandenburg von PD Dr. Richard Stöss

Page 18: perspektive21 - Heft 13

PD Dr. Richard Stöss

und populäre Persönlichkeiten verfügen.

Dabei können Kandidaten eine wesent-

lich größere Rolle spielen als in West-

deutschland.

Daraus ergeben sich für die Wettbe-

werbssituation der SPD in Brandenburg

folgende Probleme bzw. Gesichtspunkte:

• Zwischen Wählern und Parteien beste-

hen marktähnliche Verhältnisse. Wäh-

ler fragen politische Leistungen nach,

Parteien bieten politische Leistungen

an. Wähler entscheiden sich zumeist

für die Partei, deren Programme, Kom-

petenzen und Personen ihren Erwar-

tungen am ehesten entsprechen. Par-

teien konkurrieren miteinander um ein

Maximum an Wählerstimmen. Sie

müssen bestrebt sein, der vorhande-

nen Nachfrage möglichst umfassend

gerecht zu werden. Das bedeutet, dass

der Erfolg von Parteien auch davon

abhängt, ob sie mit einem potenten

Anbieter auf dem Wählermarkt kon-

kurrieren.Wenn ein Anbieter (beispiels-

weise die SPD) nur über schwache Kon-

kurrenten verfügt, hat er bessere Er-

folgsaussichten als ein Anbieter mit

einer attraktiven Konkurrenz.

• Normalerweise neigen die Menschen

dazu, ihr Verhalten unter gleichartigen

Bedingungen nicht zu verändern. Sie

agieren nach Gewohnheit, weil das am

einfachsten ist. Wer seine Zigaretten-

marke oder Weinsorte wechselt, muss

Marktforschung betreiben und sich

erst an das neue Produkt gewöhnen,

das dann möglicherweise doch nicht

zusagt. Das ist beim Wahlverhalten

nicht anders. Die Bürger tendieren

dazu, dieselbe Partei zu wählen, die sie

auch früher gewählt haben. Bei der

Bundestagswahl 1998 waren in Ost-

deutschland 72 Prozent der CDU-

Anhänger, 52 Prozent der PDS-Anhän-

ger und 45 Prozent der SPD-Anhänger

Wiederwähler, in Brandenburg betrug

der Anteil der SPD-Wiederwähler

damals sogar 58 Prozent. Die Mobilisie-

rung der treuen Parteianhänger stellt

damit eine vordringliche Wahlkampf-

aufgabe dar, die den Bedürfnissen der

Wähler auch entgegen kommt.

• Die prinzipielle Neigung der Bürger, ihr

bisheriges Wahlverhalten beizubehal-

ten, bedeutet einen großen Vertrau-

ensvorschuss für die Parteien. Dem

müssen sie dadurch gerecht werden,

dass sie den individuellen Erwartungen

ihrer Anhänger im Großen und Ganzen

– vor allem auch durch Glaubwürdig-

keit und Berechenbarkeit – entspre-

chen. Bürger bevorzugen eine klar

gegliederte Angebotsstruktur mit

deutlichen Alternativen, die es ihnen

ohne großen Aufwand ermöglicht, sich

– möglichst dauerhaft – einer Partei

zuzuordnen. Ein klares Profil begün-

stigt mithin den Erfolg einer Partei.

Eine unübersichtliche Angebotslage

erschwert dagegen die Entscheidung

16

Page 19: perspektive21 - Heft 13

Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

und kann zu häufig wechselndem

Wahlverhalten oder auch dazu führen,

dass sich die Bürger der Entscheidung

durch Nichtwahl entziehen.

• Wähler haben oft überzogene Erwar-

tungen an die Politik, die diese objek-

tiv gar nicht erfüllen kann. Derartige

Erwartungen werden aber nicht sel-

ten von den Parteien selbst – absicht-

lich oder unabsichtlich – genährt, weil

sie im Wettbewerb um Wählerstim-

men optimistische oder gar unreali-

stische Versprechungen machen oder

weil besonders populäre Spitzenpoli-

tiker den Eindruck von Allmächtigkeit

aufkommen lassen. Eine Diskrepanz

zwischen hohen Wählererwartungen

und faktischen Politikergebnissen

kann nur vermieden werden, wenn

die Parteien überzogene Hoffnungen

gar nicht erst aufkommen lassen und

ständig mit ihren Anhängern über

den Stand, die Erfolge, Hemmnisse

und objektiven Grenzen ihrer

Bemühungen um Problemlösungen

kommunizieren. Die Vollmobilisie-

rung der eigenen – kaum immer run-

dum zufriedenen – Anhänger gelingt

am besten, wenn Wahlen politische

Richtungsentscheidungen darstellen,

bei denen sich die Wähler zwischen

ihrer Partei (gegebenenfalls als dem

„kleineren Übel“) und drohenden

Wahlerfolgen der Konkurrenz ent-

scheiden müssen.

• Aus der natürlichen Trägheit des

Wählers folgt, dass er seiner Partei

durchaus eine gewisse „Frustrationsto-

leranz“ entgegen bringt: Er sieht auch

schon einmal über Fehler und Form-

schwächen hinweg, wenn das Grund-

vertrauen in die Partei existiert, dass sie

die in sie gesetzten Erwartungen auch

nach besten Kräften erfüllt. Das ein-

gangs erwähnte Bild von den Parteien

als Allianzen von politischen Eliten und

spezifischen sozialen Gruppen ver-

weist auf die Aufgabe der Parteien, die

Interessen und Ziele ihrer sozialen

Basis im Wirkungsfeld des Staates zu

repräsentieren.Wähler reagieren unbe-

rechenbar, wenn sich der Eindruck ver-

festigt, dass bei ihrer Partei Programm

und Praxis auseinander klaffen, dass

den Versprechungen keine Taten fol-

gen und dass sich keine Resultate ein-

stellen. Dann kommt es zu Abwande-

rungen, Wahlverweigerung oder gar

zur Wahl von rechtsextremen Parteien.

Eine längerfristig aussichtsreiche Posi-

tion im Parteienwettbewerb setzt mithin

vor allem ein klares (und beständiges)

politisches Profil voraus, das den Wählern

eine dauerhafte Zuordnung zu „ihrer“

Partei ermöglicht und zwischen Parteien

und Wählern ein Grundvertrauen entste-

hen lässt, das die Integrationskraft der

Parteien stärkt und die Mobilisierung

ihrer Stammklientel erleichtert.

17

Page 20: perspektive21 - Heft 13

Volkskammerwahl 1990Die Volkskammerwahl war eine Volks-

abstimmung über die rasche Einführung

der D-Mark und die baldige Wiederverei-

nigung der beiden deutschen Staaten. Als

Sieger erwies sich die Allianz3

mit DDR-

weit 48,0 Prozent, die SPD erreichte 21,9

Prozent, die PDS 14,4 Prozent und die

„grünen“ Parteien4

brachten es zusam-

men auf 4,9 Prozent.

In Brandenburg war die Allianz eben-

falls stärkste Partei, gefolgt von SPD und

PDS. Die Allianz erzielte hier allerdings

mit 38,5 Prozent nach Berlin (Ost) ihr

zweitschlechtestes Ergebnis, die SPD hin-

gegen mit 28,9 Prozent – ebenfalls nach

Berlin (Ost) – ihr zweitbestes Resultat. Die

PDS kam in der Mark mit 18,4 Prozent

nach Berlin (Ost) und Mecklenburg-Vor-

pommern auf den dritten Platz, die „grü-

nen“ Parteien verzeichneten in Branden-

burg mit zusammen 5,4 Prozent – wie-

derum nach Berlin (Ost) – ihr zweitbestes

Ergebnis.

Die Allianz schnitt im Wahlkreis Cott-

bus überdurchschnittlich gut ab (48,3%),

dort brachte es die SPD auf magere 19,3

Prozent. Ihr bestes Ergebnis lag im Wahl-

kreis Potsdam (34,4%), wo auch die „grü-

nen“ Parteien besonders erfolgreich

waren (6,0%).

Landtagswahl 1990Die SPD wurde mit einem Zugewinnn

von knapp zehn Prozentpunkten gegenü-

ber der Volkskammerwahl stärkste Partei

(38,2%), die CDU verlor etwa denselben

Betrag und brachte es auf 29,4 Prozent.

Die „grünen“ Parteien (Bündnis 90 sowie

Die Grünen) verbesserten sich um vier

Prozentpunkte (9,3%), die PDS büßte fünf

Prozentpunkte ein (13,4%).

Anders als in den übrigen vier Ländern,

wo die Arbeitnehmer eher zur CDU ten-

dierten, wählte die relative Mehrheit der

Arbeiter (39,8%) in Brandenburg die SPD,

die auch bei den Angestellten Mehrheits-

partei war (41,8%). Die CDU überflügelte

die SPD nur bei den Selbständigen,wo die

SPD stark unterrepräsentiert war. Bei den

in Ausbildung befindlichen Personen hat-

ten die Grünen mit 29,4 Prozent die Nase

vorn (SPD: 26,6%, CDU: 20,5%, PDS: 17,2)5

.

Die Wirtschaftskompetenz lag bei der

CDU, die Beseitigung der Arbeitslosigkeit

PD Dr. Richard Stöss

18

2 Die wichtigsten Ergebnisse sind in Tabelle 1 zusammengestellt.

3 Wahlbündnis aus CDU, Demokratischem Aufbruch (DA) und Deutsch-Sozialer Union (DSU).

4 Die Grünen, Unabhängiger Frauenverband (UFV) und Bündnis ‘90.

5 Die in diesem Text mitgeteilten Umfrageergebnisse beziehen sich – soweit nicht anders ver-

merkt – auf Erhebungen der Forschungsgruppe Wahlen in Mannheim, FGW (siehe Literatur-

verzeichnis).

2. Wahlen in Brandenburg2

Page 21: perspektive21 - Heft 13

Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

trauten die Wähler gleichermaßen einer

CDU-geführten und einer SPD-geführten

Regierung zu.

Die beiden Spitzenkandidaten erfuh-

ren eine recht unterschiedliche Bewer-

tung. Manfred Stolpe wurde mit einem

Mittelwert6

von 1.6 generell positiv beur-

teilt, bei den SPD-Anhängern erzielte er

sogar einen Mittelwert von 2.4. Peter-

Michael Diestel wurde generell eher

abgelehnt (Durchschnitt: -0.6) und lag

auch bei den CDU-Anhängern nur bei 0.4

Punkten. 56 Prozent der Wähler wünsch-

ten sich Stolpe als Ministerpräsidenten,

für Diestel optierten nur 29 Prozent.

Stolpe wurde selbst von 30 Prozent der

CDU-Anhänger gegenüber seinem Kon-

kurrenten präferiert.

38 Prozent der Wähler sprachen sich für

eine große Koalition aus, von den SPD-

Anhängern sogar 46 Prozent.

19

6 Die Mittelwerte beziehen sich auf eine Skala von +5 bis -5.

Tabelle 1Wahlbeteiligung sowie (Zweit-)Stimmenanteile bei der Volkskammerwahl 1990,bei Landtags-, Bundestags- und Europawahlen in Brandenburg 1990-1999 (%)

WBET: Wahlbeteiligung in Brandenburg

VK 90: Bei der Volkskammerwahl 1990 existierten die Länder noch nicht. Hilfsweise wurden die

Bezirke zu Grunde gelegt, deren Grenzen sich jedoch nicht exakt an den Ländergrenzen

orientierten.

CDU = Allianz für Deutschland.

VK 90

LTW 90

BTW 90

EW 94

LTW 94

BTW 94

BTW 98

EW 99

LTW 99

WBET

93,5

67,1

73,8

41,5

56,3

71,5

78,1

30,0

54,3

CDU

38,5

29,4

36,3

23,4

18,7

28,1

20,8

29,1

26,6

FDP

4,8

6,6

9,7

2,7

2,2

2,6

2,8

2,3

1,9

Grüne

5,4

9,3

6,6

4,6

2,9

2,9

3,6

3,3

1,9

SPD

28,9

38,2

32,9

36,9

54,1

45,1

43,5

31,5

39,3

PDS

18,4

13,4

11,0

22,6

18,7

19,3

20,3

25,8

23,3

Sonst.

4,0

3,1

3,5

9,7

3,3

2,0

8,9

8,0

7,0

Page 22: perspektive21 - Heft 13

PD Dr. Richard Stöss

Bundestagswahl 1990Im Mittelpunkt der ersten gesamt-

deutschen Bundestagwahl stand, wie

schon bei der Volkskammerwahl, die

deutsche Einheit. Bundes-Sieger war die

CDU/CSU mit 43,8 Prozent, die SPD

brachte es auf ganze 33,5 Prozent, im

Wahlgebiet Ost7

sogar nur auf 24,3 Pro-

zent. Die PDS schloss mit 2,4 Prozent ab.

Da sie im Wahlgebiet Ost aber die Stim-

men von 11,1 Prozent der Wähler erhielt,

konnte sie in den deutschen Bundestag

einziehen. Die West-Grünen scheiterten

mit 4,8 Prozent an der Sperrklausel und

konnten daher keine Vertreter in den

Bundestag entsenden. Die Bündnisgrü-

nen im Osten, die organisatorisch unab-

hängig von den West-Grünen kandidier-

ten, erzielten 6,2 Prozent und waren

daher im Bundestag vertreten.

In Brandenburg überrundete die CDU

jetzt wieder die SPD. Diese erzielte dort

mit 32,9 Prozent ihr bestes Resultat in

den neuen Bundesländern, gefolgt von

Berlin (Ost) (31,3%) und Mecklenburg-Vor-

pommern (26,5%). Die CDU schnitt in

Berlin (Ost) besonders schlecht ab

(24,3%), dann folgte Brandenburg mit

36,3 Prozent. Bei der PDS lag – wie gehabt

– die ehemalige Hauptstadt der DDR an

erster Stelle (24,8%), gefolgt von Meck-

lenburg-Vorpommern (14,2%) und Bran-

denburg (11,0%). Die Bündnisgrünen

erzielten nach Berlin (Ost) in Branden-

burg ihr zweitbestes Ergebnis (6,6%).

Europawahl 1994Die CDU/CSU wurde mit mäßigem Vor-

sprung vor der SPD bundesweit stärkste

Partei: 38,8% zu 32,2%. Im Wahlgebiet Ost

kam die SPD allerdings nur auf

25,3 Prozent.

Die märkische SPD erreichte mit 36,9

Prozent das beste sozialdemokratische

Ergebnis in Ostdeutschland, das auch

über dem Bundesdurchschnitt der SPD

lag. Gegenüber der märkischen CDU

(23,4%) hatte sie einen Vorsprung von 13,5

Prozentpunkten. Schlechter schnitt die

CDU nur in Berlin (Ost) ab: 14,9 Prozent.

Die PDS hatte ihre Talfahrt beendet.

Gegenüber der Bundestagswahl 1990

verdoppelte sie zwar ihr Ergebnis in Bran-

denburg (22,6%), belegte damit in der

Rangfolge Ostdeutschlands nach Berlin

(Ost) (40,1%) und Mecklenburg-Vorpom-

mern (27,3%) wiederum nur den dritten

Platz. Für die Bündnisgrünen bildete Bran-

denburg mit 4,6 Prozent nun das Schluss-

licht in Ostdeutschland (siehe unten).

Landtagswahl 1994Zur Ausgangslage: Die „Ampelkoali-

tion“ war im März 1994 im Zusammen-

20

7 Die Bezeichnungen „Osten“,„Wahlgebiet Ost“ und „Ostdeutschland“ umfassen die fünf neuen

Bundesländer sowie Berlin (Ost).

Page 23: perspektive21 - Heft 13

Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

hang mit den Stasi-Vorwürfen gegen

Stolpe zerbrochen. Nachdem Bildungs-

ministerin Marianne Birthler deshalb

bereits Ende 1992 aus der Regierung aus-

geschieden war, forderte der Vorsitzende

der Bündnis-Fraktion, Günter Nooke, den

Rücktritt von Stolpe, woraufhin dieser

die Zusammenarbeit mit dem Bündnis

aufkündigte und gemeinsam mit der

FDP eine Minderheitsregierung führte.

Auch die CDU polemisierte heftig gegen

Stolpe, befand sich selbst aber in einer

desolaten Situation: Auf den Rücktritt

des Landesvorsitzenden Lothar de Mai-

zière (1991) folgte der „Wessi“ Ulf Fink,

der sich in der Partei nicht durchsetzen

konnte. Er wurde 1993 durch Carola Hart-

felder ersetzt, die ebenfalls glücklos

agierte. Erst im Februar 1994 wurde

durch Vermittlung von Helmut Kohl

Peter Wagner zum Spitzenkandidaten

der CDU in Brandenburg bestimmt. Ende

Juni 1994 fanden in Sachsen-Anhalt

Landtagswahlen mit den bekannten Fol-

gen („Magdeburger Modell“ und „Rote-

Socken-Kampagne“) statt. Beides warf

seine Schatten auf den Landtagswahl-

kampf in Brandenburg (Wahltermin:

11.9.1994). Stolpe parierte die Angriffe der

CDU, indem er sich gegen eine Koopera-

tion mit der PDS aussprach und die

Bereitschaft erkennen ließ, notfalls mit

der CDU zusammenzugehen.

Die SPD erreichte sensationelle 54,1

Prozent, was gegenüber 1990 einen

Zugewinn von 15,9 Prozentpunkten

bedeutete. Dabei handelte es sich um

den größten Zuwachs, den jemals eine

der beiden großen Volksparteien in der

Bundesrepublik erzielt hat. Platz zwei

teilten sich CDU und PDS mit je 18,7 Pro-

zent, was für die PDS aber einen Verlust

gegenüber der Europawahl 1994 von 3,9

Prozentpunkten bedeutete. Der Vor-

sprung der SPD gegenüber der CDU

betrug 35,4 Prozentpunkte. Die Bündnis-

grünen und FDP scheiterten an der Fünf-

Prozent-Hürde. 1990 hatten das Bündnis

und die Grünen zusammen noch 9,3 Pro-

zent der Stimmen mobilisiert, der FDP-

Anteil betrug damals 6,6 Prozent. Neben

den Bündnisgrünen kandidierte 1994

noch das Bürger-Bündnis Freier Wähler

(de facto die Abspaltung der Nooke-

Gruppe von Bündnis 90, die den Zusam-

menschluss der West-Grünen mit dem

Ost-Bündnis ablehnte), das es aber nur

auf ein Prozent brachte.

Die größten Gewinne fuhr die SPD, die

alle 44 Wahlkreismandate eroberte, in

den ländlichen Regionen der Mark ein. In

den kreisfreien Städten fielen ihre

Zuwächse dagegen mäßig aus,dort hatte

die PDS ihre Hochburgen.

Überdurchschnittliche Anteile erzielte

die SPD bei Arbeitern, Gewerkschaftsmit-

gliedern (und hier wiederum insbeson-

dere bei gewerkschaftlich organisierten

Arbeitern) und bei Arbeitslosen. Unter-

durchschnittlich wurde sie von den

21

Page 24: perspektive21 - Heft 13

Selbständigen, den Landwirten, den

Beamten und von den in Ausbildung

befindlichen Personen (junge Leute!)

gewählt. Absolute Mehrheitspartei war

sie bei den Arbeitern (57,4%), bei den

Angestellten (53,5%) und bei den Gewerk-

schaftsmitgliedern (56,8%). In Branden-

burg hatte sich die SPD mithin zur Partei

der Arbeitnehmer entwickelt.

In allen Politikbereichen wiesen die

Brandenburger der SPD eine weitaus

größere Kompetenz zu als der CDU. Wirt-

schaft: 47% zu 15%; Arbeitslosigkeit: 45%

zu 10%; Kriminalität: 28% zu 10%; Woh-

nungssituation: 46% zu 8%.

Die beiden Spitzenkandidaten wurden,

wie schon 1990, sehr unterschiedlich

bewertet. Manfred Stolpe erreichte mit

einem Mittelwert8

von 2.5 (1990: 1.6) eine

recht gute Beurteilung, bei den SPD-

Anhängern brachte er es sogar auf einen

Mittelwert von 3.5 (1990: 2.4). Peter Wag-

ner war im Land noch weithin unbekannt

und wurde insgesamt (schwach) negativ

bewertet: Mittelwert -0.3 (der entspre-

chende Wert für Diestel betrug 1990

-0.6). Von den CDU-Anhängern wurde

Wagner zwar positiv (0.9) aber schlechter

benotet als Stolpe (1.2). 81 Prozent der

Bevölkerung (1990: 56%) und sogar 97

Prozent der SPD-Anhänger wünschten

sich Stolpe als Ministerpräsidenten.Wag-

ner wurde dagegen nur von sieben Pro-

zent der Bevölkerung, aber immerhin von

35 Prozent der CDU-Anhänger als Regie-

rungschef präferiert. Allerdings sprachen

sich 46 Prozent der CDU-Anhänger (1990:

30%) für Stolpe aus. Kein Ministerpräsi-

dent in Westdeutschland konnte bisher

auf eine derartig hohe Zuneigung ver-

weisen wie Manfred Stolpe, dessen Popu-

larität durch die Vorhaltungen bezüglich

seiner angeblichen Stasi-Verstrickungen

keinen Schaden genommen hatte.

Bundestagswahl 1994Wider Erwarten gewann die CDU/CSU

die Bundestagswahl mit 41,5 Prozent vor

der SPD, die 36,4 Prozent erhielt. Die

Union büßte gegenüber 1990 2,3 Prozent-

punkte ein, die SPD legte 2,9 Prozent-

punkte zu. In Ostdeutschland war die

Sozialdemokratie zwar nach wie vor

schwächer als im Westen (31,5% zu 37,5%),

im Osten mobilisierte sie mit 7,2 Prozent-

punkten jedoch den größeren Zugewinn.

Die PDS scheiterte zwar mit 4,4 Prozent

an der Fünf-Prozent-Hürde, errang aber

vier Direktmandate in Berlin (Ost) und

zog daher wiederum in den Bundestag

ein. Die Bündnisgrünen schnitten mit

bundesweit 7,3 Prozent ab. Im Westen

bedeutete dies 7,9 Prozent und damit

einen Zugewinn von 3,1 Prozentpunkten

gegenüber 1990, im Osten betrug das

PD Dr. Richard Stöss

22

8 Die Mittelwerte beziehen sich auf eine Skala von +5 bis -5.

Page 25: perspektive21 - Heft 13

Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

Ergebnis aber nur 4,3 Prozent, was

gegenüber 1990 ein Verlust von 1,9 Pro-

zentpunkten ausmachte.

Mit 45,1 Prozent errang die SPD in Bran-

denburg wiederum das beste SPD-Resul-

tat in Ostdeutschland, mit dem sie auch

wieder über dem Bundesdurchschnitt

der Partei rangierte. Es folgten Sachsen-

Anhalt mit 33,4 Prozent und Berlin (Ost)

mit 33,1 Prozent. Die märkische CDU ver-

zeichnete mit 28,1 Prozent wieder einmal

– wie gehabt nach Berlin (Ost) (19,5%) –

das zweitschlechteste Resultat in Ost-

deutschland. Wie schon bei der Europa-

wahl 1994 bildete die CDU in Branden-

burg bundesweit das Schlusslicht aller

CDU-Landesverbände. Gegenüber der

Landtagswahl 1994, dem bisherigen Tief-

punkt in ihrer Wahlgeschichte, konnte sie

sich allerdings um 9,4 Prozentpunkte ver-

bessern. Damit lag die CDU auch wieder

klar vor der PDS, die mit 19,3 Prozent auf

dem Niveau ihres Landtagswahlresultats,

also unterhalb der 22,6 Prozent von der

Europawahl 1994, stagnierte. Die Bünd-

nisgrünen erreichten, wie bei der Land-

tagswahl, 2,9 Prozent und wiederum

ihren schlechtesten Wert in Ostdeutsch-

land.

Bundestagswahl 1998Der bundesweite Abwärtstrend der

CDU/CSU setzte sich bei dieser Wahl fort.

Erstmalig seit 1982 gab es wieder einen

Machtwechsel an der Spitze der Republik.

Die SPD erzielte 40,9 Prozent der Zweit-

stimmen und überflügelte die Union

(35,1%) um 5,8 Prozentpunkte. Diese hatte

in Ostdeutschland seit der Bundestags-

wahl 1990 14,4 Prozentpunkte verloren, in

Westdeutschland „nur“ 7,2 Prozent-

punkte. Die SPD bildete nun in West und

Ost die stärkste Partei. Sie schnitt im

Osten (35,1%) freilich wiederum schlech-

ter ab als im Westen (42,3%), konnte aber

in beiden Landesteilen ihr Ergebnis seit

1990 deutlich verbessern: im Osten um

10,8 Prozentpunkte, im Westen um 6,6

Prozentpunkte. Die PDS überwand dieses

Mal mit 5,1 Prozent die Sperrklausel. Seit

der Bundestagswahl 1990 hatte sie sich

im Westen von 0,3 Prozent auf 1,2 Prozent

und im Osten von 11,1 Prozent auf 21,6

Prozent hochgearbeitet. Die Grünen ver-

zeichneten in West und Ost eine gegen-

läufige Bewegung: Im Westen verbesser-

ten sie sich zwischen den Bundestags-

wahlen 1990 und 1998 von 4,8 Prozent

auf 7,3 Prozent, im Osten verloren sie von

6,3 Prozent auf 4,1 Prozent.

In Brandenburg erzielte die SPD mit

43,5 Prozent wiederum das beste Ergeb-

nis in Ostdeutschland, es folgten (wie

1994) Sachsen-Anhalt (38,1%), dann

Mecklenburg-Vorpommern (35,3%) und

Berlin (Ost) (35,1%). Gegenüber der Bun-

destagswahl 1994 hatte die märkische

SPD allerdings einen Verlust von 1,6 Pro-

zentpunkten hinnehmen müssen,

23

Page 26: perspektive21 - Heft 13

gegenüber der Landtagswahl 1994 sogar

ein Minus von 10,6 Prozentpunkten. Die

brandenburgische CDU brachte es auf

20,8 Prozent und musste wiederum in

Ostdeutschland das zweitschlechteste

Ergebnis nach Berlin (Ost) einstecken. Im

bundesweiten Ländervergleich der Uni-

onsparteien blieb sie das Schlusslicht.

Und auch in ihrer brandenburgischen

Wahlgeschichte bildeten die 20,8 Prozent

ihr zweitschlechtestes Resultat, das sie

nur bei der Landtagswahl 1994 unter-

schritten hatte. Die PDS stagnierte mit

20,3 Prozent ungefähr auf ihrem Niveau

der Bundestagswahl 1994. Nur in Sach-

sen schnitt sie noch schlechter ab als in

Brandenburg (20,0%). Die Bündnisgrü-

nen verbesserten sich gegenüber der

Bundestagswahl 1994 um 0,7 Prozent-

punkte auf 3,6 Prozent.

Europawahl 1999Bei der Europawahl machte sich der

anfängliche Sympathieverlust der rot-

grünen Bundesregierung deutlich

bemerkbar. Die CDU/CSU verfehlte nur

knapp die absolute Mehrheit. Mit 48,7

Prozent übertraf sie ihr Europawahler-

gebnis von 1994 um 9,9 Prozentpunkte,

gegenüber der Bundestagswahl 1998

legte sie sogar 13,6 Prozentpunkte zu. Die

West-Ost-Differenz betrug 50,7% zu

40,6%. Die SPD erreichte klägliche 30,7

Prozent, was gegenüber 1994 nur ein Ver-

lust von 1,5 Prozentpunkten, gegenüber

der Bundestagswahl 1998 aber ein Minus

von 10,2 Prozentpunkten bedeutete. In

Ostdeutschland landete die SPD bei 23,6

Prozent, im Westen waren es immerhin

32,6 Prozent. Die PDS verbuchte stattliche

5,8 Prozent, die Grünen erreichten gerade

einmal 6,4 Prozent.

In Brandenburg erzielte die SPD bei

einer Wahlbeteiligung von sage und

schreibe 30 Prozent mit 31,5 Prozent wie-

derum ihr bestes Resultat in Ostdeutsch-

land, es folgten Sachsen-Anhalt (26,7%)

und Thüringen (25,6%). Im Vergleich zur

Europawahl 1994 hatte sie in Branden-

burg 5,4 Prozentpunkte verloren, im Ver-

gleich zur Bundestagswahl 1998 sogar

12,0 Prozentpunkte. Die märkische CDU

konnte ihr Verliererschicksal nicht been-

den. Mit 29,1 Prozent rückte sie zwar dicht

an die SPD heran, dennoch musste sie

erneut nach Berlin (Ost) das schlechteste

Wahlergebnis in Ostdeutschland ein-

stecken und im bundesweiten Länderver-

gleich gab sie wiederum die rote Laterne.

Mit Blick auf die Europawahl 1994 hatte

sie sich jedoch um 5,7 Prozentpunkte ver-

bessert,mit Blick auf die Bundestagswahl

1998 sogar um 8,3 Prozentpunkte. PDS

und Bündnisgrüne waren in Branden-

burg mit 25,8 bzw. 3,3 Prozent in der ost-

deutschen Rangfolge auf Platz zwei –

nach Berlin (Ost) – vorgerückt. Die PDS

verzeichnete ein bislang einmaliges

Ergebnis in Brandenburg.

PD Dr. Richard Stöss

24

Page 27: perspektive21 - Heft 13

Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

Landtagswahl 1999Zur Ausgangslage: Die Landtagswahl

fand für die SPD unter ungünstigen Rah-

menbedingungen statt: Erstens hatte

sich das Ansehen der SPD im Bundesge-

biet dramatisch verschlechtert, weil die

Regierung unter Bundeskanzler Schröder

außerordentlich unkoordiniert und unge-

schickt agierte, Regierung, Fraktion und

Partei kaum kooperierten und weil sich

die SPD in der Öffentlichkeit uneinig und

konzeptionslos präsentierte. Zweitens

befand sich die märkische CDU seit

Anfang 1999 auf dem Weg der Konsoli-

dierung: Im Herbst 1997 hatte der aus

Berlin (West) stammende Wolfgang

Hackel den Fraktionsvorsitzenden Peter

Wagner abgelöst, der das Amt des Lan-

desvorsitzenden aber weiterführte. Nach

der Bundestagswahl 1998 drehte sich das

Personalkarussell erneut. Hackel gewann

den Berliner Innensenator Jörg Schön-

bohm für das Amt des Parteivorsitzen-

den, das der ehemalige Bundeswehr-

General im Januar 1999 antrat. Zwei

Monate später wurde er zum Spitzenkan-

didaten der brandenburgischen CDU für

die bevorstehenden Landtagswahlen

gekürt. Schönbohm brachte die Partei auf

„Vordermann“ und betrieb eine

geschickte Öffentlichkeitsarbeit. Drittens

musste auch die alleinregierende SPD

Blessuren hinnehmen, weil sie in Affären

verstrickt, Filzvorwürfen ausgesetzt und

häufig mit Negativschlagzeilen konfron-

tiert war (Zimmermann, Kaminski, Hilde-

brandt etc.). Anstatt hart durchzugreifen

hat sich die Partei von optimistischen

Umfrageergebnissen „einlullen“ lassen.

Die SPD mobilisierte 39,3 Prozent der

(Zweit-)Stimmen und büßte damit ihre

absolute Mehrheit ein. Gegenüber der

Europawahl 1999 bedeutete das zwar

einen Zugewinn von 7,8 Prozentpunkten,

im Vergleich zur Landtagswahl 1994

hatte die SPD jedoch 14,8 Prozentpunkte

und im Vergleich zur Bundestagswahl

1998 immer noch 4,2 Prozentpunkte ver-

loren. Die CDU erlangte 26,6 Prozent, was

bezüglich der Bundestagswahl 1998 eine

Steigerung von 5,8 Prozentpunkten,

bezüglich der Europawahl 1999 aber ein

Verlust von 2,5 Prozentpunkten aus-

machte. Mit 23,3 Prozent konnte die PDS

zwar nicht an ihr Europaresultat 1999

(25,8%) anknüpfen, aber gegenüber den

Bundestagswahlen 1994 und 1998 und

erst recht gegenüber der Landtagswahl

1994 bedeutete dieses Ergebnis eine

ansehnliche Steigerung. Die Bündnisgrü-

nen setzten ihre Talfahrt fort und lande-

ten nun auf 1,9 Prozent. Die DVU brachte

es mit 5,3 Prozent auf fünf Landtagssitze.

Von den 44 Direktmandaten eroberte die

SPD 37, die CDU zwei und die PDS fünf.

Die SPD verlor insbesondere bei jungen

Wählern massiv an Unterstützung. 27

Prozent der 19-24jährigen wählten PDS,

26 Prozent CDU, 24 Prozent SPD und

neun Prozent DVU. Für die SPD bedeutete

25

Page 28: perspektive21 - Heft 13

dies ein Verlust gegenüber 1994 von 24

Prozentpunkten in dieser Altersgruppe.

Unter den sozialen Gruppen fand die SPD

bei den Rentnern, bei den Arbeitern und

bei den gewerkschaftlich organisierten

Arbeitern und Angestellten überdurch-

schnittliche Unterstützung. Durch-

schnittliche Resonanz gab es bei den

Angestellten (Verlust gegenüber 1994: 15

Prozentpunkte), unterdurchschnittliche

Ergebnisse bei den in Ausbildung befind-

lichen Wählern, bei Arbeitslosen, Beam-

ten, Selbständigen und Landwirten. Die

SPD blieb Mehrheitspartei bei den Arbei-

tern (44%), Angestellten (39%), Beamten

(35%) und Landwirten (39%) und natür-

lich bei den Gewerkschaftsmitgliedern

(45%). Die CDU erreichte nur bei den

Selbständigen (39%) und bei den in Aus-

bildung befindlichen Personen (28%) die

(relative) Mehrheit. Die PDS stand nach

der SPD bzw. der CDU an zweiter Stelle

bei den Auszubildenden (27%), bei

Arbeitslosen (29%), Angestellten (28%)

und bei Gewerkschaftsmitgliedern (27%).

Hinsichtlich der Kompetenzzuschrei-

bungen an die Parteien ist bemerkens-

wert, dass 35 Prozent der Brandenburger

die allgemeine wirtschaftliche Lage im

Lande negativ beurteilten. 1994 taten

dies nur 28 Prozent und auch im Bundes-

durchschnitt 1999 äußerten sich nur 23

Prozent entsprechend. Die Märker waren

vor der Landtagswahl also sehr pessimi-

stisch gestimmt. Im Vergleich zu 1994

büßte die SPD in den wichtigen Politikbe-

reichen erheblich Kompetenz ein: in der

Wirtschaftspolitik von 47 Prozent auf 31

Prozent, bei der Schaffung von Arbeits-

plätzen von 45 Prozent auf 22 Prozent

und bei der Kriminalitätsbekämpfung

von 28 Prozent auf 14 Prozent. Die CDU

verbesserte sich im gleichen Zeitraum in

der Wirtschaftspolitik von 15 Prozent auf

20 Prozent und bei der Schaffung von

Arbeitsplätzen von 10 Prozent auf 19 Pro-

zent, blieb aber jeweils hinter der SPD

zurück. Bei der Kriminalitätsbekämpfung

erfuhr sie ein Zuwachs von zehn Prozent

auf 18 Prozent und überholte damit die

SPD. Die Unzufriedenheit mit den Lei-

stungen der Landesregierung ist also

zwischen 1994 und 1999 stark angewach-

sen.

Hinsichtlich der Koalitionspräferenz

neigten die Brandenburger eher zu einer

großen Koalition (fanden 47% gut und

29% schlecht) als zu einer SPD-PDS-Koali-

tion (fanden 35% gut und 42% schlecht).

Nur knapp ein Drittel der Befragten

sprach sich vor der Wahl für eine SPD-

Alleinregierung aus.

Bei der Beurteilung der Spitzenkandi-

daten schnitt Manfred Stolpe weitaus

besser ab als Jörg Schönbohm. Stolpe

brachte es bei der Bevölkerung insgesamt

PD Dr. Richard Stöss

26

9 Die Mittelwerte beziehen sich auf eine Skala von +5 bis -5.

Page 29: perspektive21 - Heft 13

Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

auf einen Mittelwert9

von 2.3 (1994: 2.5;

1990: 1.6), bei den SPD-Anhängern auf 3.8

(1994: 3.5; 1990: 2.4). Schönbohm wurde

mit einem Mittelwert von 0.4 im Ver-

gleich zu seinen Vorgängern zwar durch-

schnittlich positiv, aber doch sehr zurück-

haltend eingestuft (Wagner 1994: -0.3;

Diestel 1990: -0.6). Die CDU-Wähler

benoteten Schönbohm mit 2.4 (Wagner:

0.9). 58 Prozent der Brandenburger insge-

samt (1994: 81%; 1990: 56%) und 85 Pro-

zent der SPD-Anhänger (1994: 97%)

wünschten sich Stolpe als Ministerpräsi-

denten, für Schönbohm optierten 13 Pro-

zent aller Befragten (Wagner: 7%; Diestel:

29%) und 53 Prozent der CDU-Anhänger

(Wagner: 35%). 21 Prozent der CDU-

Wähler sprachen sich dagegen für Stolpe

aus (1994: 46%; 1990: 30%). Dem Mini-

sterpräsidenten bescheinigten zudem 79

Prozent der Befragten (98% der SPD-

Wähler, 83% der PDS-Wähler und 65% der

CDU-Wähler), dass er seine Arbeit bisher

eher gut gemacht hat. Insgesamt war die

Popularität von Stolpe also nach wie vor

sehr hoch, aber im Vergleich zu 1994 doch

rückläufig. Schönbohm lag weit zurück,

hatte aber zumeist ein besseres Image

als Wagner und Diestel.

Die herben Verluste der SPD und die

Zugewinne der CDU hatten bundespoliti-

sche und landespolitische Ursachen. Die

CDU profitierte primär von der Unzufrie-

denheit mit den Leistungen der Bundes-

regierung. Denn die Zufriedenheit mit

der märkischen CDU war im Lande

gering. Auch Schönbohm erhielt nur

mäßige Bewertungen. Allerdings hatten

sich die Kompetenzzuschreibungen der

CDU in den vergangenen Jahren deutlich

verbessert. Die brandenburgische SPD

wurde nicht nur aus bundespolitischen,

sondern auch aus landespolitischen

Beweggründen abgestraft. Die Leistun-

gen der Regierung in Potsdam stießen

nur auf schwachen Beifall, die Abwande-

rer von der SPD bemängelten vor allem

ein Defizit an sozialer Gerechtigkeit. Eine

absolute Mehrheit für die SPD erwarte-

ten nur noch 20 Prozent der Brandenbur-

ger und ganze 26 Prozent der SPD-

Anhänger.

Brandenburg bildet die Hochburg der

Sozialdemokratie in Ostdeutschland. Im

Vergleich zu den SPD-Landesverbänden

in den übrigen vier neuen Bundeslän-

27

10 Untersuchungsbasis sind die in Abschnitt 2 aufgelisteten neun Wahlen: die Volkskammerwahl,

drei Bundestagswahlen, drei Landtagswahlen und zwei Europawahlen.

3. Zur Entwicklung und Struktur des Parteienwettbewerbs in Brandenburg10

Page 30: perspektive21 - Heft 13

dern und zur SPD in Berlin (Ost) erzielte

die märkische SPD bei nationalen

Wahlen stets das beste Ergebnis, unab-

hängig davon, ob sich die Stimmung in

der Republik für oder gegen die SPD aus-

wirkte. Allein bei der Volkskammerwahl

1990 besetzte sie nach Berlin (Ost) den

zweiten Platz. Und mit Ausnahme der

Volkskammerwahl und der ersten

gesamtdeutschen Bundestagswahl –

mit Ausnahme also der Einheitswahlen,

die von der Union dominiert worden

waren – schnitt sie in Brandenburg

immer – teilweise sogar wesentlich –

besser als die CDU ab.

Die märkische CDU bildete dagegen

permanent das Schlusslicht im ostdeut-

schen und seit der Europawahl 1994

sogar im bundesweiten Länderver-

gleich. Schlechtere Ergebnisse als in

Brandenburg musste sie stets nur in

Berlin (Ost) hinnehmen. Brandenburg

ist also nicht nur die Hochburg der Sozi-

aldemokratie in Ostdeutschland, son-

dern zugleich die CDU-Diaspora

schlechthin. Selbst bei der Europawahl

1999, bei der die CDU/CSU bundesweit

wegen des katastrophalen Erschei-

nungsbildes von Rot-Grün die absolute

Mehrheit nur knapp verfehlte, bildete

die inzwischen von Jörg Schönbohm

konsolidierte CDU in Brandenburg mit

nicht einmal 30 Prozent wiederum die

rote Laterne am Geleitzug der Unions-

verbände.

Für die Grünen war Brandenburg zu-

nächst – neben Berlin (Ost) – ein beson-

ders aussichtsreiches Wahlgebiet. Infolge

innerer Zerstrittenheit und gravierender

politischer Fehler hat sich die Partei

jedoch selbst um potentielle Erfolge

gebracht. Die anfangs in der Mark durch-

aus chancenreichen Liberalen haben sich

rasch zu einer reinen Mittelstandspartei

entwickelt, die neben der CDU keine Exi-

stenzberechtigung hat. Die PDS-Ergeb-

nisse in Brandenburg bewegten sich

stets im Mittelfeld aller ihrer ostdeut-

schen Resultate. Erstmalig bei der Euro-

pawahl 1999 lag sie in Brandenburg mit

knapp 26 Prozent nach Berlin (Ost) an

zweiter Stelle.

Die Dominanz der SPD in Brandenburg

beruht also zunächst einmal auf der

Schwäche ihrer Konkurrenten.

Als weitere Ursache ist die außerge-

wöhnliche Popularität von Manfred Stol-

pe hervorzuheben, der zeitweilig sogar

die besten Noten im Vergleich aller ande-

ren Ministerpräsidenten in der Bundesre-

publik erhielt.

Anders als im übrigen Ostdeutsch-

land kann die SPD in Brandenburg

zudem auf eine solide gesellschaftliche

Verankerung verweisen. Bereits bei der

Landtagswahl 1990 war sie relative

Mehrheitspartei unter den Arbeitern

und Angestellten geworden. 1994

erreichte sie sogar die absolute Mehr-

heit bei allen Arbeitnehmergruppen,

PD Dr. Richard Stöss

28

Page 31: perspektive21 - Heft 13

die sie auch wieder mehrheitlich bei

der Landtagswahl 1999 wählten. Unab-

hängig vom Auf und Ab ihrer Zweit-

stimmenanteile wurde die SPD von den

Arbeitern und von den Gewerkschafts-

mitgliedern stets überdurchschnittlich

häufig gewählt. Wenig Anziehungs-

kraft übt sie hingegen auf junge Leute

und auf Selbständige aus (vgl. auch

Tabelle 3). Die märkische Sozialdemo-

kratie kann folglich als die Partei der

(insbesondere gewerkschaftlich orga-

nisierten) Arbeitnehmer in Branden-

burg bezeichnet werden (vgl. dazu aber

die einschränkenden Bemerkungen

weiter unten).

Die solide gesellschaftliche Veranke-

rung der SPD kommt auch darin zum

Ausdruck, dass sich in der zweiten Hälfte

der neunziger Jahre im Schnitt knapp 25

Prozent der wahlberechtigten Branden-

burger als treue Anhänger der Partei

bezeichneten. 1996/97 lag der Wert nur

bei 21 Prozent, 1998 stieg er auf 25 Prozent

und 1999 sank er wieder auf 22 Prozent

(vgl. Tabelle 2). Insgesamt handelt es sich

für ostdeutsche Verhältnisse um ein sehr

hohes Niveau an Parteibindungen. Denn

es bezieht sich auf die Wahlberechtigten

insgesamt, die sich nur rund zur Hälfte

bis zu drei Vierteln an Wahlen beteiligen.

Die märkische SPD verfügt also über ein

Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

29

Tabelle 3Das Wahlverhalten in den sozialen Gruppen bei Landtagswahlen in Brandenburg1990-1999 (Abweichungen vom SPD-Ergebnis in Prozentpunkten)

Datenquelle: Forschungsgruppe Wahlen (FGW).

SPD-Ergebnis

Rentner

in Ausbildung

Arbeitslos

Arbeiter

Angestellte

Beamte

Selbstständige

Landwirte

Gewerkschaftsmitglieder

Gewerksch. + Arbeiter

Gewerksch. + Angestellte

1990

38,2

+5

-12

+2

+4

-14

1994

54,1

+2

-9

+1

+3

-1

-6

-13

-8

+3

+7

-1

1999

39,3

+8

-16

-6

+5

0

-4

-12

0

+6

+10

+5

Page 32: perspektive21 - Heft 13

relativ großes Wählerreservoir, das sie

allerdings bei Wahlen auch an die Urnen

bringen, eben mobilisieren muss.

Hinsichtlich der vorrangigen Partei-

kompetenzen hatte die SPD einen

schlechten Start. 1990 lag die Wirt-

schaftskompetenz bei der CDU und bei

der Kompetenz zur Schaffung neuer

Arbeitsplätze wurden beide Parteien

gleich bewertet. Bis zur Landtagswahl

1994 erarbeitete sich die SPD dann in

allen Politikbereichen einen überwälti-

genden Kompetenzvorsprung gegenü-

ber der CDU, der die Wähler in Sachen

Wirtschaft und Arbeitslosigkeit so gut

wie nichts zutrauten. Dieser Kompetenz-

vorsprung bedeutete eine enorme

Anspruchshaltung, der die SPD objektiv

nicht gerecht werden konnte, in ihrer

praktischen Politik in der zweiten Hälfte

der neunziger Jahre aber auch nicht

annähernd gerecht wurde. Bis zur Land-

tagswahl 1999 ist ein teilweise dramati-

scher Kompetenzverfall der SPD, insbe-

sondere bei der Bekämpfung der Arbeits-

losigkeit, zu verzeichnen, während sich

PD Dr. Richard Stöss

30

Tabelle 2Bundestagswahlabsicht nach Wählertypen in Brandenburg 1994-1999 (%)

Jahresdurchschnittswerte, ungewichtet. Datenquelle: Forsa.

WiW Wiederwähler: Wollen dieselbe Partei wählen wie beim letzten Mal.

PW Parteiwechsler: Wollen eine andere Partei wählen wie beim letzten Mal.

EW Einwähler: Waren beim letzten Mal Nichtwähler, wollen sich nun an der Wahl beteiligen.

Rest Jungwähler,Wähler sonstiger Parteien, Unentschiedene.

CDU-WiW

CDU-PW

CDU-EW

SPD-WiW

SPD-PW

SPD-EW

B90-WiW

B90-PW

B90-EW

PDS-WiW

PDS-PW

PDS-EW

Rest

1994

17

1

1

26

7

3

2

1

0

6

2

1

32

1995

23

1

1

25

2

2

2

1

1

6

1

1

35

1996

19

1

2

21

3

2

2

1

0

6

2

1

40

1997

13

1

1

21

5

5

2

1

1

6

1

1

43

1998

12

1

1

25

6

5

1

1

0

5

1

1

40

1999

13

3

2

22

1

2

1

0

0

6

2

1

49

Page 33: perspektive21 - Heft 13

Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

die Beurteilungen der CDU gleichzeitig

verbesserten. Bei der Kriminalitäts-

bekämpfung überholte sie die SPD sogar.

Die bisherige Wahlgeschichte Bran-

denburgs zeigt, dass die SPD zwar die

dominierende politische Partei ist, dass

sie aber über keine strukturelle, dauer-

hafte Mehrheit in der Mark verfügt. Ihr

überragendes Wahlergebnis bei der

Landtagswahl 1994 stellte gewisser-

maßen einen „Ausreißer“ dar, der nur

unter ungewöhnlich günstigen Rah-

menbedingungen möglich war. Dabei

handelte es sich vor allem um die tiefe

Krise der CDU und das von der SPD

nicht zu verantwortende Scheitern des

„Brandenburger Wegs“. Das tatsächli-

che Wählerpotential der SPD in Bran-

denburg dürfte bei rund 45 Prozent lie-

gen.

Fazit: Die SPD konnte sich in Branden-

burg eine dominierende Stellung erarbei-

ten, dabei hat sie allerdings erheblich von

der Schwäche ihrer Mitbewerber und von

der außerordentlichen Popularität von

Manfred Stolpe profitiert.

Stellt Brandenburg auch die Hochburg

der Sozialdemokratie in Ostdeutschland

dar, so unterscheidet sich die Wettbe-

werbssituation der märkischen SPD doch

nicht prinzipiell von der ihrer Schwester-

verbände in den anderen östlichen Bun-

desländern. Die SPD nimmt im Parteien-

gefüge Ostdeutschlands eine Mittelposi-

tion zwischen CDU und PDS ein. Diese

Mittelposition bietet die Chance, aus bei-

den Richtungen Wähler zu gewinnen, sie

birgt aber auch die Gefahr, in beide Rich-

tungen Wähler zu verlieren. Um zentrifu-

gale Tendenzen abzuwehren und um

zentripetale Bewegungen zu begünsti-

gen, ist die ostdeutsche SPD – mehr als

CDU und PDS – auf ein klares und attrak-

tives politisches Profil angewiesen, das

Abwanderungen verhindert und neue

Wähler anlockt. Profil ist aber auch not-

wendig, um treue Wähler zu binden und

sie zur Wahlteilnahme zu motivieren. Da

sich mangelndes Profil nicht dauerhaft

durch populäre Spitzenkandidaten erset-

zen lässt, die – nebenbei bemerkt – eher

ein Glücksfall als die Regel darstellen,

handelt es sich bei der Profilbildung um

eine Daueraufgabe der ostdeutschen

SPD, die die Bedeutung dieser Dauerauf-

gabe meines Erachtens unterschätzt.

Bei der Auswertung von Umfragedaten

aus der ersten Hälfte des Jahres 1999

hatte sich bereits gezeigt, dass die märki-

sche SPD ihre Anhänger nicht voll mobili-

sieren kann. Stammwähler beobachten

ihre Partei zumeist besonders kritisch.

31

4. Zur Profilschwäche der SPD

Page 34: perspektive21 - Heft 13

PD Dr. Richard Stöss

Wenn sie unzufrieden sind, wandern sie

normalerweise nicht zu einer anderen

Partei, sondern ins Nichtwählerlager ab.

Wenn sie in Umfragen nach ihrer Wahl-

absicht befragt werden, nennen sie nicht

„ihre“ Partei, sondern antworten, dass sie

sich noch nicht entschieden hätten, wel-

cher Partei sie ihre Stimme geben wür-

den, wenn am kommenden Sonntag

Wahlen wären (Unentschiedene). So war

es auch in der ersten Hälfte des Jahres

1999:Viele ehemalige SPD-Wähler erklär-

ten sich zu Unentschiedenen, teilweise

auch zu Nichtwählern. Abwanderungs-

tendenzen zu anderen Parteien machten

sich nur erst ansatzweise bemerkbar. Bei

der Landtagswahl im September 1999

sorgten dann sowohl das Mobilisierungs-

defizit als auch die Wählerabwanderun-

gen (zumeist zur CDU und zur PDS) für

ein enttäuschendes Wahlergebnis.

Beides, Mobilisierungsdefizit und Wäh-

lerabwanderungen, basieren auf dersel-

ben Ursache, der Profilschwäche der SPD

in Brandenburg (aber nicht nur dort).

Da Profil eine zentrale Kategorie für die

Wettbewerbsstrategie der Ost-SPD

bedeutet, muss zunächst gefragt wer-

den, was damit gemeint ist oder gemeint

sein könnte. Ich will vorab sagen, dass ich

den Begriff nicht sonderlich schätze, ihn

aber verwende, weil er sich in der Alltags-

sprache eingebürgert hat. Landläufig ist

damit gemeint, dass sich ein Ding durch

mehr oder weniger scharfe Kanten von

anderen Dingen sinnlich erfahrbar unter-

scheidet. Nun dürfen sich Parteien in

einer Demokratie gar nicht scharfkantig

voneinander abgrenzen. Schon ein Klassi-

ker der Parteiensoziologie, Sigmund Neu-

mann, stellte 1932 fest, dass jede Partei

ihrem Wesen nach Absonderung und Teil

der Gesamtheit sei, dass im Begriff des

Teils aber der Bezug auf die „Ganzheit“

eingeschlossen sei. „Nur wenn eine

gemeinsame Grundlage für die auf spezi-

fische Wünsche ausgerichteten Parteien

besteht, wird der politische Kampf nicht

zum Auseinanderbrechen der Gesamt-

heit führen. Nur wenn es Entscheidendes

gibt, das eint, kann Trennendes ausgegli-

chen werden.“ Mit anderen Worten: Zwi-

schen den Parteien muss es zugleich Kon-

sens und Konflikt geben, sonst funktio-

niert der demokratische Wettbewerb

nicht. Beim Parteienwettbewerb ist auch

aus wahlstrategischen Gründen von

strikten Abgrenzungen (z. B. von starker

Polarisierung) abzuraten. Zum einen

wirkt „Parteiengezänk“ auf die Wähler

eher abstoßend und zum anderen wer-

den dadurch Wählerbewegungen er-

schwert. Die meisten Parteien sind

jedoch auf Wechselwähler angewiesen,

um optimale Resultate zu erzielen. Das

Kunststück besteht also darin, ein klares

Profil zu entwickeln, ohne sich nach

außen abzuschotten.

Mehr Tiefgang für sozialwissenschaft-

liche Betrachtungen hat die Vorstellung,

32

Page 35: perspektive21 - Heft 13

Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

33

dass sich das Profil eines Objekts aus der

Summe seiner hervorstechenden Eigen-

schaften ergibt. Eine Institution wäre

dann profiliert, wenn sie sich durch spezi-

fische Wesensmerkmale auszeichnet, die

– in dieser Konstellation – auf keine

andere Institution zutreffen. Entschei-

dend ist also nicht die Abgrenzung nach

außen, sondern die positive Bestimmung

der internen Gemeinsamkeiten. Und da

Parteien keine hierarchischen homoge-

nen Blöcke bilden, sondern pluralistische,

kollektive Akteure darstellen, lässt sich

die Frage nach dem Profil einer Partei auf

die Frage zuspitzen, worin denn – jetzt

nenne ich den Begriff, der mir in diesem

Zusammenhang präziser erscheint – ihre

Identität besteht.

Woraus könnte die SPD ihre Identität beziehen?

Aus ihrer Herkunft? Die Ost-SPD blickt

bekanntlich auf eine sehr kurze Geschich-

te zurück.Von einer historischen Tradition

kann keine Rede sein. Und während ihrer

Entstehung 1989/90, im Prozess der Iden-

titätsbildung, erfuhr sie mehrere Iden-

titätsbrüche, die für die Festigung ihres

Selbstbewusstseins nicht gerade förder-

lich waren. Der Anschluss an die West-

SPD konnte mit Blick auf die Herkunft

auch keine identitätsstiftende Wirkung

haben, weil die Mitglieder und Wähler

der SPD in Ostdeutschland unter völlig

anderen gesellschaftlichen Bedingungen

sozialisiert worden sind als die in West-

deutschland. Überdies verstand sich die

Ost-SPD als eine Partei, die aus der Men-

schenrechts-, Friedens- und Ökologiebe-

wegung hervorgegangen ist, während

die West-SPD in der Tradition der Arbei-

ter- und Gewerkschaftsbewegung steht.

Herkunft hat auch etwas mit sozialer

Basis zu tun: gemeinsame soziale Her-

kunft, gemeinsame Erfahrungen, ge-

meinsame Lebenslagen und gemein-

same Interessen. Ich habe die märkische

SPD oben als die Partei der Arbeitnehmer

bezeichnet. Könnte darin ein identitäts-

stiftendes Element liegen? Meine Ant-

wort lautet: nein. Die SPD ist zwar seit

1990 Mehrheitspartei der Arbeitnehmer

(Arbeiter, Angestellte und Beamte) in

Brandenburg,aber daraus ergibt sich kein

eigenständiges Profil gegenüber anderen

Parteien. Dies wäre erst der Fall, wenn die

SPD von spezifischen sozialen Gruppen

besonders, von anderen dagegen kaum

präferiert werden und sich dadurch von

den anderen Parteien unterscheiden

würde. Tabelle 3 zeigt, dass die SPD von

keiner sozialen Gruppe deutlich über-

durchschnittlich gewählt wird. Eine Aus-

nahme bilden allenfalls die gewerk-

schaftlich organisierten Arbeiter. Dabei

ist allerdings zu berücksichtigen, dass ein

um sieben bzw. zehn Prozentpunkte

überdurchschnittliches Ergebnis noch

kein markantes Profil ausmacht. Das

Page 36: perspektive21 - Heft 13

PD Dr. Richard Stöss

wäre bei wenigstens 15 bis 20 Prozent-

punkten der Fall. Noch deutlicher wird

dies, wenn man die Wahlabsicht der

gesellschaftlichen Schichten betrachtet

(Tabelle 4): Jeweils rund ein Viertel der

Unter-, Mittel- und Oberschicht11

zählt zu

den Daueranhängern und etwa jeweils

sieben Prozent der drei Schichten bilden

die Wechselwähler der SPD. Sie wird also

von keiner der Schichten besonders be-

vorzugt. Dasselbe gilt für die CDU, aller-

dings auf einem Niveau von rund 20 Pro-

zent bei den Wiederwählern und von drei

Prozent bei den Wechselwählern. CDU

und SPD unterscheiden sich also nicht

hinsichtlich der Sozialstruktur ihrer Wäh-

34

11 Die Schichten wurden nach Einkommen und Bildung konstruiert. Die Unterschicht (44% der

Befragten) besteht überwiegend aus Arbeitern und einfachen Angestellten, die Mittelschicht

(39% der Befragten) zumeist aus mittleren und höheren Angestellten und Beamten und teil-

weise auch aus Selbständigen, die Oberschicht (17% der Befragten) besteht überwiegend aus

leitenden Angestellten, gehobenen Beamten, Akademikern und Selbständigen.

Tabelle 4Die Wahlabsicht der gesellschaftlichen Schichten in Brandenburg 1995-1997(Durchschnittswerte, %)

Durchschnittswerte, ungewichtet. Datenquelle: Forsa.

WiW Wiederwähler: Wollen dieselbe Partei wählen wie beim letzten Mal.

WW Wechselwähler:Wollen eine andere Partei wählen wie beim letzten Mal

oder waren beim letzten Mal Nichtwähler und wollen sich nun an der Wahl beteiligen.

Rest Jungwähler,Wähler sonstiger Parteien, Unentschiedene.

Unterschicht: Befragte mit geringer Bildung und geringem Einkommen (= 44%)

Mittelschicht: Befragte mit mittlerer Bildung und mittlerem Einkommen (= 39%)

Oberschicht: Befragte mit hoher Bildung und hohem Einkommen (=17%)

(Vgl. auch Anm. 11)

CDU-WiW

CDU-WW

SPD-WiW

SPD-WW

PDS-WiW

PDS-WW

B90/G-WiW

B90/G-WW

Rest

Unterschicht

21

3

24

7

5

2

1

1

37

Mittelschicht

17

3

25

7

6

2

2

2

36

Oberschicht

18

3

23

6

11

2

5

3

31

Page 37: perspektive21 - Heft 13

Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

35

ler, sondern hinsichtlich der Größe ihrer

Wählerschaft. Die Zusammensetzung

ihrer Wählerschaften ist nahezu iden-

tisch, wie Tabelle 5 ausweist. Sozialstruk-

turell profiliert sind dagegen die Bünd-

nisgrünen und die PDS. Beispiel PDS: Fünf

Prozent der Unterschicht und sechs Pro-

zent der Mittelschicht aber 11 Prozent der

Oberschicht bekennen sich als treue

Wähler der Postkommunisten (Tabelle 4).

Statistisch ausgedrückt: Je höher der

soziale Status desto größer die Wahr-

scheinlichkeit, dass ein Befragter Wieder-

wähler der PDS ist. Ein derartiger Zusam-

menhang findet sich weder bei der SPD

noch bei der CDU. Die SPD verfügt mithin

weder über eine historische noch über

eine sozialstrukturelle Identität.

Die grundlegenden Ziele einer Partei

kommen besonders in den Wertorientie-

rungen ihrer Mitglieder und Wähler sowie

in den Grundwerten ihrer Programmatik

zum Ausdruck. Ob die SPD in Ostdeutsch-

land bzw. in Brandenburg über einen

Kranz von identitätsstiftenden Zielen ver-

fügt, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt

nicht abschließend beantwortet werden,

weil dazu kaum Forschungen vorliegen.

Meine eigenen Untersuchungen für das

Jahr 1994 stimmen eher skeptisch: Die

Wertorientierungen der SPD-Wähler-

schaft in Brandenburg entsprechen weit-

hin dem Bevölkerungsquerschnitt und

sind recht pluralistisch strukturiert. Ein

spezielles Profil – im Vergleich etwa zu

CDU und PDS – wird nicht erkennbar.

Tabelle 5Die Zusammensetzung der Wählergruppen der Parteien nach gesellschaftlichenSchichten in Brandenburg 1995-1997 (Durchschnittswerte, %)

Legende siehe Tabelle 4

CDU-WiW

CDU-WW

SPD-WiW

SPD-WW

PDS-WiW

PDS-WW

B90/G-WiW

B90/G-WW

Rest

Unterschicht

48

44

44

47

34

38

24

32

46

Mittelschicht

36

37

40

38

38

45

40

44

39

Oberschicht

16

19

16

15

29

17

36

24

15

Page 38: perspektive21 - Heft 13

PD Dr. Richard Stöss

Die Profilschwäche der SPD in Ost-

deutschland hat vor allem zwei Ursa-

chen: Die Partei ist noch sehr jung und

der gesellschaftliche Umwälzungspro-

zess in den neuen Ländern (Transforma-

tion) ist noch nicht zum Abschluss

gelangt. Dauerhafte Allianzen von politi-

schen Eliten und sozialen Gruppen konn-

ten sich unter diesen Bedingungen kaum

herausbilden. Im Vergleich zu den übri-

36

Identitätsfördernd können sich auch

institutionelle Verfahrensweisen auswir-

ken: das Parteileben, das Zusammen-

gehörigkeitsgefühl der Mitglieder, die

interne Kommunikation oder die Bei-

trittsmotive. Untersuchungen über den

organisatorischen Zusammenhalt der

SPD in Brandenburg sind mir nicht

bekannt und daher ist auch keine Aus-

sage darüber möglich, ob die SPD durch

eine institutionelle Identität gekenn-

zeichnet ist.

In diesem Zusammenhang ist auch die

Frage zu beantworten, ob die Identität

der SPD über Personen (Stolpe, Hilde-

brandt, Reiche, Platzeck etc.) gestiftet

werden kann: Dies ist gerade in Ost-

deutschland durchaus möglich und in

Brandenburg offenbar auch der Fall. Nur

eben vermag Personalisierung weder

eine gemeinsame Tradition noch

gemeinsame Grundwerte zu ersetzen,

jedenfalls nicht langfristig. Dazu eine

ergänzende Bemerkung: Ich habe ein-

gangs auf das Risiko hingewiesen, dass

besonders populäre Spitzenpolitiker

durch hohe Erwartungen an ihre Lei-

stungsfähigkeit auch überfordert wer-

den können. Das überragende Landtags-

wahlergebnis der SPD von 1994, insbe-

sondere die traumhafte Benotung von

Stolpe und die massiven Kompetenzzu-

schreibungen für die SPD in allen Poli-

tikbereichen, bedeuteten nicht nur

Zustimmung zur bisherigen Arbeit der

Landesregierung, sie signalisierten auch

eine enorme Erwartungshaltung an die

künftige Politik. Das schlechte Ergebnis

bei der Landtagswahl 1999 beruhte –

insoweit es hausgemacht war – sowohl

auf der objektiven Überlastung als auch

auf subjektiven Unzulänglichkeiten der

SPD und ihrer Politiker. Beides führte zu

einem Mobilisierungsdefizit und zu den

Wählerabwanderungen, weil der Bin-

dungskitt zwischen der Partei und ihren

Anhängern, das sozialdemokratische Pro-

fil, zu schwach war. Daraus ziehe ich die

Schlussfolgerung, dass sich die Profilie-

rung der SPD vor allem auf ihre grundle-

genden politischen Ziele erstrecken

sollte.

5. Chancen für die Profilbildung der SPD in Brandenburg: Grundwerte

Page 39: perspektive21 - Heft 13

Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

37

gen ostdeutschen Landesverbänden

befindet sich die märkische SPD aller-

dings in einer komfortablen Situation,

weil es ihr gelungen ist, eine beachtliche

gesellschaftliche Verankerung zu errei-

chen. Aber auch sie befinden sich im Par-

teienwettbewerb, wie die übrigen SPD-

Verbände in Ostdeutschland, in einer

Mittelposition, woraus sich die erwähn-

ten Mobilisierungs- und Abwanderungs-

probleme ergeben.

Die SPD in Brandenburg wäre daher

gut beraten, wenn sie ihre – teilweise

sogar absolute – Mehrheitsposition bei

den Arbeitern, Angestellten und Beam-

ten als Ausgangsposition für eine geziel-

te Profilierung als Arbeitnehmerpartei

nutzt. Wenn es ihr gelingt, das Grundver-

trauen der Arbeitnehmer (einschließlich

der entsprechenden Rentnergruppen) zu

erlangen und daraus eine längerfristige

Allianz unter Einschluss der Gewerk-

schaften zu schmieden, würde sie sich

damit ein beträchtliches Mobilisierungs-

potential und zudem einen erheblichen

Wettbewerbsvorteil gegenüber der CDU

und der PDS erschließen. Anders als der

Union im Westen steht der Ost-CDU

nämlich kein konfessionell gebundenes

Wählerpotential von vergleichbarer Grö-

ße zur Verfügung, das ihr als dauerhafte

Mobilisierungsreserve dienen könnte. Sie

wird daher immer primär auf kurzfristige

und folglich fragile Wählerallianzen an-

gewiesen sein. Hinsichtlich der PDS muss

die SPD sehr auf der Hut sein, dass ihr die

Postkommunisten nach dem „demokrati-

schen Sozialismus“ und der „sozialen

Gerechtigkeit“ nun nicht auch noch die

Rolle der Arbeitnehmerpartei streitig

machen.

Welche Möglichkeiten stehen der SPD

in Brandenburg zur Verfügung, um ihr

Profil zu schärfen? Ich hatte im vorigen

Abschnitt dargelegt, dass die SPD trotz

ihrer starken Verankerung in der Arbeit-

nehmerschaft bislang keine sozialstruk-

turelle Identität ausgebildet hat. Ich

bezweifele,dass dies unter den Bedingun-

gen des sozialen Wandels überhaupt

noch möglich ist. Die wachsende Diffe-

renzierung der Gesellschaft, gerade auch

der Arbeiterschaft und der Angestellten-

schaft, verhindert nämlich, dass aus der

Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Groß-

gruppen gleichartige Erfahrungen, Ein-

stellungen und Interessen und damit

gleichgerichtete Parteipräferenzen er-

wachsen. Langfristige Allianzen zwischen

politischen Eliten und gesellschaftlichen

Gruppen lassen sich nur noch über ge-

meinsame Werte herstellen.

Unter Werten werden gesellschaftlich

bedeutsame Grundüberzeugungen von

Gruppen verstanden, die relativ dauer-

haft und von hohem Allgemeinheitsgrad

sind und Konzeptionen des Wünschens-

werten zum Ausdruck bringen. Werte

steuern politisches Verhalten. Sie regeln

die Auswahl zwischen unterschiedlichen

Page 40: perspektive21 - Heft 13

PD Dr. Richard Stöss

Handlungszielen. Allerdings liefern sie

keine speziellen Verhaltensanweisun-

gen, sondern nur globale Orientierungen

für Richtungsentscheidungen. Politische

Werte beziehen sich auf die Gestaltung

der gesellschaftlichen Ordnung insge-

samt. Wenn es sich um für eine Partei

besonders bedeutsame politische Werte

handelt, spricht man auch von Grund-

werten (Freiheit, Gerechtigkeit, Materia-

lismus, Autorität etc.).

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu

einer gezielten Profilierung durch

Grundwerte könnte darin bestehen,

eine Debatte in Gang zu setzen, deren

Resultat ein markanter Grundwerteka-

talog der SPD in Brandenburg ist, der die

märkische Sozialdemokratie hinsicht-

lich ihrer grundlegenden politischen

Anliegen deutlich von anderen Parteien

unterscheidet. Im diesem Katalog müs-

ste erstens die Identität von Herkunft

und Zukunft der Partei zum Ausdruck

gelangen. Er müsste zweitens mit den

Grundwerten der Bundespartei kompa-

tibel sein (was nicht den Verzicht auf

brandenburgische Spezifika bedeutet).

Und er müsste drittens den Erwartun-

gen der Bevölkerung bezüglich der

historisch-politischen Rolle der SPD

Rechnung tragen.

Dieser Aspekt ist besonders bedeut-

sam, weil die SPD gelegentlich dazu

neigt, die Rolle der „bürgerlichen“ Par-

teien zu übernehmen. Die Erwartungen

der Bevölkerung, das Außenbild der SPD,

hängen schließlich eng mit ihrer Ge-

schichte, mit ihren Erfolgen und Nieder-

lagen, mit ihren Leistungen und mit

ihrem Versagen zusammen.Während die

CDU als Partei der Durchschnittsbürger,

der Mittelklasse gilt, die für den Status

quo, für Ruhe und Ordnung und für Kon-

tinuität steht,verbindet man mit der SPD

Wandel, Reformen und Fortschritt und

erwartet von ihr, dass sie sich besonders

den Interessen des „kleinen Mannes“

annimmt. Als Reformpartei ist die SPD

daher – gerade in Krisenzeiten oder in

Umbruchsituationen – weitaus größeren

Anforderungen ausgesetzt als die CDU,

von der im Prinzip nur erwartet wird,

dass sie den Staat anständig regiert.

Nach Thomas Meyer, dem stellvertre-

tenden Vorsitzenden der Grundwerte-

kommission der Bundes-SPD, bedeutet

Sozialdemokratie die „historische Ver-

pflichtung auf die innere und unauflösli-

che Verbindung von Demokratie und

sozialer Gerechtigkeit“. Diese Formulie-

rung könnte den Ausgangspunkt für die

Wertedebatte in Brandenburg bilden,

weil die aufeinander bezogenen Begriffe

Demokratie und soziale Gerechtigkeit

durchaus geeignet erscheinen, den Grün-

dungskonsens der SDP/SPD und ihre poli-

tische Marschrichtung zu verklammern.

Und beide Begriffe enthalten im Kern

bereits die Abgrenzung gegenüber CDU

und PDS:Während die CDU ihre Identität

38

Page 41: perspektive21 - Heft 13

Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

nicht gerade auf soziale Gerechtigkeit

stützen kann, repräsentiert die PDS hin-

sichtlich ihrer historischen Tradition eine

Variante totalitärer Herrschaft. Daraus

folgt keineswegs, dass die PDS heute und

in Zukunft als antidemokratische Partei

ausgegrenzt werden soll (das wäre für

die SPD eine folgenschwere Fehlentschei-

dung), das bedeutet aber, dass sie hin-

sichtlich ihrer Herkunft eine postkommu-

nistische Partei darstellt, die ihre Identität

daher nicht demokratisch fundieren

kann. Dennoch bemüht sie sich nach

Kräften, die Einheit von Demokratie und

sozialer Gerechtigkeit für sich zu rekla-

mieren. Hätte sie damit Erfolg, bedeutete

dies eine existenzielle Bedrohung der

SPD (nicht nur in Ostdeutschland). Das

Ziel der märkischen SPD, eine auf Grund-

werte gestützte Profilierung zu erreichen,

besteht also auch – und nicht zuletzt –

darin, die „historische Verpflichtung auf

die innere und unauflösliche Verbindung

von Demokratie und sozialer Gerechtig-

keit“ im öffentlichen Diskurs als Synonym

für Sozialdemokratie fest zu verankern

und damit auch vor postkommunisti-

schem Zugriff zu schützen.

Durch die Verbindung von Demokratie

und sozialer Gerechtigkeit könnte sich

die SPD auch als Arbeitnehmerpartei pro-

filieren und ihre diesbezügliche soziale

Verankerung verstetigen, ohne sich die

mittlerweile oft als „altbacken“ empfun-

dene Bezeichnung Arbeitnehmerpartei

demonstrativ ans Revers zu heften.

(Abgeschlossen im Mai 2000)

39

Tabelle 6Wahlabsicht zur Landtagswahl und zur Bundestagswahl in Brandenburg imMai/Juni 2000 (%) („Sonntagsfrage“)

Wahlberechtigte Bevölkerung, n = 943

Datenquelle: forsa/Deutsche Paul Lazarsfeld Gesellschaft.

CDU

SPD

FDP

B90/G

PDS

Sonstige

Unentschieden

Nichtwähler

Landtagswahl

15

34

2

2

10

2

23

12

Bundestagswahl

17

30

2

4

8

1

30

8

Page 42: perspektive21 - Heft 13

PD Dr. Richard Stöss

Nachtrag (Januar 2001)

Die oben beschriebenen Merkmale des

Parteienwettbewerbs in Brandenburg

haben sich seit der Landtagswahl 1999

nicht verändert. Der CDU gelang es bis-

her nicht, in der Großen Koalition ihre

Wettbewerbsposition zu verbessern. Und

auch die Befürchtungen, die Wettbe-

werbschancen der SPD könnten sich in

Folge des Regierungsbündnisses mit der

CDU verschlechtern, haben sich nicht

bewahrheitet. Im Gegenteil.

Ein Blick auf die Umfrageergebnisse

zeigt, dass die märkische SPD ihr Formtief

von 1999 überwunden hat. Das dürfte

teilweise darauf beruhen, dass die Bun-

desregierung Tritt gefasst und respekta-

ble Ergebnisse vorzuweisen hat. Die

Daten in Tabelle 612

signalisieren aber

auch, dass der Bundestrend nicht maß-

geblich für den Wählerrückhalt der bran-

denburgischen SPD ist. Im Sommer ver-

gangenen Jahres hätten 34 Prozent der

Brandenburger bei einer (fiktiven) Land-

tagswahl die SPD gewählt, bei einer (fikti-

ven) Bundestagswahl nur 30 Prozent. Bei

diesen Zahlen handelt es sich allerdings

um Bruttowerte, weil etwa 35 Prozent der

Befragten noch unentschieden waren

oder sich gar nicht an einer Bundes- oder

Landtagswahl beteiligen wollten. Schätzt

man auf der Grundlage dieser Brutto-

werte die tatsächliche Wahlstärke der

Parteien zum Befragungszeitpunkt, dann

ergibt sich folgendes Resultat (zum Ver-

gleich die Ergebnisse des Brandenburg-

Barometers September 2000 von Infra-

test dimap):

Wohlgemerkt: Dabei handelt es sich

um Schätzungen. Die Unterschiede zwi-

schen beiden Befragungen dürften auch

auf verschiedenartigen Schätzmethoden

beruhen und sollten daher nicht auf die

Goldwaage gelegt werden. Jedenfalls

liegt die SPD mit rund 45 Prozent deutlich

über ihrem Landtagswahlergebnis von

1999 (39,3%) und dürfte damit ihr

tatsächliches Wählerpotenzial mehr oder

weniger ausgeschöpft haben. CDU und

PDS stagnieren (mit leicht fallender Ten-

denz).

Die SPD profitiert also nach wie vor von

der Schwäche ihrer Konkurrenten. Wei-

tere Analysen über die Wertorientierun-

gen der Parteianhänger in Brandenburg,

40

CDU

SPD

FDP

B90/G

PDS

Sonstige

Forsa

24

46

2

3

20

5

Infratest

dimap

25

44

3

3

21

4

12 Datenerhebung durch forsa im Mai/Juni 2000 im Auftrag der Deutschen Paul Lazarsfeld Gesell-

schaft und des Otto-Stammer-Zentrums am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der

Freien Universität Berlin.

Page 43: perspektive21 - Heft 13

Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

die hier nicht im Einzelnen referiert wer-

den können, belegen, dass sich die SPD

unverändert in der oben beschriebenen

Mittelposition befindet, daraus gegen-

wärtig allerdings Nutzen zieht. Sie hat

seit der Landtagswahl 1999 Wähler von

anderen Parteien hinzu gewonnen und

auch ehemalige Nichtwähler mobilisiert.

Dennoch besteht ihre Profilschwäche

fort. Die Partei wäre schlecht beraten,

ließe sie sich wiederum von den guten

Umfrageergebnissen „einlullen“. Die

Identitätsfrage bleibt auf der Tagesord-

nung.

41

PD Dr. Richard Stössist Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin

http://www.polwiss.fu-berlin.de/osi/osz/index.htm

Page 44: perspektive21 - Heft 13

Richard Stöss

42

Literatur

Feist, Ursula/Hans-Jürgen Hoffmann: Die Landtagswahlen in der ehemaligen DDR

am 14. Oktober 1990:Föderalismus im wiedervereinten Deutschland – Traditionen

und neue Konturen, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 22. Jg. (1991), H. 1, S. 5-34.

Forschungsgruppe Wahlen: Wahl in den neuen Bundesländern. Eine Analyse der

Landtagswahlen vom 14. Oktober 1990, Berichte der Forschungsgruppe Wahlen

Nr. 60, Mannheim 1990.

Forschungsgruppe Wahlen: Wahl in Brandenburg. Eine Analyse der Landtagswahl

vom 11. September 1994, Berichte der Forschungsgruppe Wahlen Nr. 74, Mann-

heim 1994.

Forschungsgruppe Wahlen: Wahl in Brandenburg. Eine Analyse der Landtagswahl

vom 5. September 1999,Berichte der Forschungsgruppe Wahlen Nr. 97,Mannheim

1999.

Neugebauer, Gero: Aus dem Aufbruch an die Macht. Zehn Jahre SPD in Branden-

burg, in: Perspektiven des Demokratischen Sozialismus, 16. Jg. (1999), H. 4, S. 51-63.

Schmitt, Karl: Die Landtagswahlen 1994 im Osten Deutschlands. Früchte des

Föderalismus: Personalisierung und Regionalisierung, in: Zeitschrift für Parla-

mentsfragen, 26. Jg. (1995), H. 2, S. 261-295.

Schmitt, Karl: Die Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen vom 5. und 12.

September 1999: Landespolitische Entscheidungen im Schlagschatten der Bun-

despolitik, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 31. Jg. (2000), H. 1, S. 43-68.

Stöss, Richard/Gero Neugebauer: Die SPD und die Bundestagswahl 1998. Ursachen

und Risiken eines historischen Wahlsiegs unter besonderer Berücksichtigung der

Verhältnisse in Ostdeutschland, Berlin 1998 (Arbeitshefte aus dem Otto-Stam-

mer-Zentrum, Nr. 2).

Stöss, Richard/Oskar Niedermayer: Zwischen Anpassung und Profilierung. Die SPD

an der Schwelle zum neuen Jahrtausend, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Bei-

lage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 5 v. 28.1.2000, S. 3-11.

Page 45: perspektive21 - Heft 13

Auf dem 7. Parteitag der PDS Anfang

Oktober 2000 pries die Vorsitzende der

brandenburgischen PDS entsprechend der

neuen Linie der Gesamtpartei ihre Partei

als Hoffnungsträgerin für eine „Mitte-

Links-Koalition“ in Brandenburg. Mit der

Wahl des Vorsitzenden der brandenburgi-

schen SPD Matthias Platzeck verband sie

die Annahme,„dass die SPD wieder um ein

erkennbares sozialdemokratisches Profil

ringt“ (Tack 2000: 6). Sie beschrieb weder

das Profil der eigenen Partei noch gab sie

einen Hinweis auf den Stand der Struktur-

reform oder darauf, dass die PDS auf der

Suche sowohl nach neuen politischen

Strategien und Konzepten als auch nach

sie tragenden und umsetzenden Personen

ist. Bisher hat die brandenburgische SPD

die PDS ungeachtet ihrer Kooperationsan-

gebote an den staubigen Rand des Bran-

denburger Weges verwiesen und warum

die SPD angesichts einer schwachen CDU

den Partner wechseln sollte, ist nicht

ersichtlich. Was also hat die PDS der SPD

zu bieten? Nicht nur Anita Tack vermisst

den Ruf nach der PDS aus der brandenbur-

gischen Öffentlichkeit (Tack 2000a: 26)

und selbst aus den eigenen Reihen wird

treffend bemerkt, dass eine veränderte

Wahrnehmung der PDS erst dann eintre-

ten könnte, wenn sich die PDS zur Gesell-

schaft hin geöffnet habe und über politi-

sche Inhalte identifiziert werde (Berliner

Morgenpost, 14.11.2000). Der Wunsch

nach Aufwertung vermittelt den Frust der

Akteure an der Rolle der PDS als Opposi-

tion im Lande und ihre Überzeugung, dass

dieser Weg die Partei aus ihrem Dilemma

führen könne. Andere sehen das Dilemma

nicht in der Oppositionsrolle, die ver-

meintlich das Selbstverständnis der PDS-

Basis prägt, sondern in einer Entscheidung

für oder gegen einen Rollentausch mit

ungewissem Ausgang. Diese Auffassung

stellt immer noch eine realistischere Per-

spektive und eine Position mit Tradition

dar, als es vage Hoffnungen auf einen

Wechsel in die Position des Juniorpartners

sind. Konsequenterweise verfügte Lothar

Bisky für die PDS ein Ende des Geraunes

über eine rot-rote Koalition (Berliner Zei-

tung, 03.01.2001). Letzten Endes dürfte

ihm nicht verborgen geblieben sein, dass –

unabhängig von den Bauchschmerzen in

den eigenen Reihen und dem künftigen

Wählerverhalten – in der SPD Branden-

burgs die Akzeptanz der PDS noch auf

erhebliche Widerstände trifft.

43

Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?von Dr. Gero Neugebauer

Page 46: perspektive21 - Heft 13

Dr. Gero Neugebauer

44

Das Position der PDS im Parteiensy-

stem in Brandenburg ist nach inzwischen

drei Landtagswahlen weitgehend konso-

lidiert. Trotz mancher rhetorischer

Schlenker betrachten weder die SPD noch

die CDU die PDS auf der Landesebene als

koalitionsfähig. Da aber weder die FDP

noch Bündnis 90/Die Grünen eine rele-

vante Rolle im brandenburgischen Partei-

ensystem spielen,hat die PDS theoretisch

nur Chancen, sich mit Hilfe der SPD aus

der Opposition in die Regierung zu hie-

ven, während der SPD prinzipiell mehr

Optionen zur Verfügung stehen, wie die

Wahlresultate zeigen.

Auf den Abstieg 1990, die PDS verlor

auf allen Ebenen gegen ihre Hauptkon-

kurrenten deutlich, ist seit 1993 ein Auf-

stieg in den ostdeutschen Ländern

erfolgt. In Brandenburg bedrängte sie die

CDU erfolgreich auf der Kommunalebene

und ließ sie auf der Landes- wie auf der

Bundesebene nicht besonders gut ausse-

hen. Das gelang ihr gegenüber der SPD

nicht. Bei den Kommunalwahlen stieg die

Differenz zwischen den beiden Parteien

Tabelle 1Wahlergebnisse der Parteien in Brandenburg 1990-1999 (in Prozent)

Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung. Differenzen zu 100% durch Rundungen

* nur DVU

Wahl

VW 90

KW 90

LW 90

BW 90

KW 93

EW 94

LW 94

BW 94

BW 98

KW 98

EW 99

LW 99

PDS

22,8

16,6

13,3

11,0

21,1

22,6

18,7

19,3

20,3

21,6

25,8

23,3

SPD

29,9

28,0

38,2

32,9

34,5

36,9

54,4

45,0

43,5

38,9

31,5

39,3

CDU

34,3

31,8

29,4

36,3

20,5

23,4

18,7

28,1

20,7

21,4

29,1

26,5

B90/G

5,4

3,8

9,2

6,6

4,1

4,5

2,8

2,8

3,6

4,1

3,3

1,9

FDP

5,2

6,0

6,6

9,7

7,0

2,7

2,2

2,6

2,8

4,1

2,2

1,8

Sonst.

2,4

13,7

3,0

3,4

12,4

9,7

3,3

2,0

8,9

9,7

7,9

5,2*

Die PDS im brandenburgischen Parteiensystem

Page 47: perspektive21 - Heft 13

Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

45

seit 1990 von elf auf über 17 Prozentpunk-

ten an, bei den Landtagswahlen schwan-

kte sie zwischen 25 (1990) und 36 (1994)

Prozentpunkten und lag zuletzt bei 16

Punkten, während bei nationalen Wahlen

der Abstand zwischen 1990 und 1998 von

sieben (VK-Wahl 1990) auf 23 (1998)

Punkte anstieg.

Die PDS zeigt sich besonders in der

kommunalen Politik, wo sie der CDU den

zweiten Platz bestreitet, stark. Kommu-

nalwahlergebnisse sind nicht vergleich-

bar mit Ergebnissen einer Landtags- oder

Bundestagswahl, weil in der kommuna-

len Politik die vor Ort handelnden Perso-

nen und deren Vertrautheit mit den dor-

tigen Problemen eine wichtige Rolle spie-

len. Da der Parteienwettbewerb auf der

lokalen Ebene mehr und mehr Bedeu-

tung erhält, kann die PDS für sich in

Anspruch nehmen, als Partei in den Kom-

munen befriedigend akzeptiert zu sein.

Die landespolitische Wirkung dieses

Potenzials ist jedoch beschränkt, denn

ihre kommunalen Mandatsträger verfü-

gen zwar über einen Draht zu den häufig

aus der Kommunalpolitik kommenden

Landtagsabgeordneten, nicht aber zur

Regierung. Da bezweifelt werden kann,

dass kommunalpolitische Erfolge quasi

automatisch landespolitische Kompe-

tenz nachweisen und damit förderlich für

Wahlerfolge auf Landes- oder sogar auf

Bundesebene werden können, kann

schlecht mit einem Verweis auf kommu-

nale Potenzen landespolitische Stärke

behauptet werden. Erst durch eine Regie-

rungsbeteiligung könnte die PDS ihre lin-

kage power, d.h. die Verbindung von

Parteifunktionen und Ämtern oder Man-

daten auf verschiedenen Ebenen im Land

erheblich ausbauen.

Insgesamt hat sich die Tendenz zur

Stabilisierung eines Drei-Parteiensy-

stems in Brandenburg verstetigt, ohne

dass damit zugleich gesagt werden

kann, dass die SPD nicht auch allein

(wieder) mehrheitsfähig sein könnte.

Die Chancen der PDS auf eine bessere

Platzierung sind unentschieden. Sie

hat gegenwärtig ein Potenzial von 63

Prozent Wiederwählern und ist damit

stärker von der Reduktion von Partei-

bindungen sowie erhöhter Wechselbe-

reitschaft der brandenburgischen

Wähler tangiert, als es die CDU (72,8 %)

oder die SPD (81,9 %) mit ihren relativ

hohen Anteilen an Wiederwählern

sind (FORSA 2000).

Page 48: perspektive21 - Heft 13

Tabelle 2Sozialstrukturelle Zusammensetzung der Wähler der PDS bei den Landtagswahlen in Brandenburg 1994 und 1999 sowie zur BTW 1998 (in %)

1 Anteil an der Wählerschaft

2 Anteil unter den Wählern der PDS

Quelle: FGW, LTW Brandenburg 1994: 15, LTW Brandenburg 1999: 18, BTW 1998, S. 24 (jeweils Wahl-

tagsbefragung)

LTW 1994Gesamt1

52,4

27,3

4,6

9,6

33,3

40,3

2,1

5,0

3,0

26,7

65,4

LTW 1994PDS2

54,4

22,7

5,9

12,3

26,9

51,2

3,4

4,1

1,8

32,0

63,3

LTW 1999Gesamt

53

26

6

8

34

41

5

7

4

20

74

LTW 1999PDS

53

25

7

11

29

48

5

5

3

23

73

BTW 1998Gesamt PDS

52 55

23 21

6 7

5 12

24 28

37 46

6 4

8 7

1 1

18 23

76 72

Dr. Gero Neugebauer

46

Die PDS in der brandenburgischen Gesellschaft

Gruppe

Berufstätigerwerbstätig

Rentner

in Ausbildung

arbeitslos

BerufsgruppeArbeiter

Angestellte

Beamte

Selbständige

Landwirte

Gewerk.Mtgl.ja

nein

Page 49: perspektive21 - Heft 13

Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

47

Die sozialen Dimensionen eines Wahl-

resultats können als ein Indiz für die

gesellschaftliche Verankerung einer Par-

tei gewertet werden, denn sie sagen

etwas über die Einbindung einer Partei in

ihre gesellschaftliche Umwelt und ihre

Akzeptanz bei den Wählern aus.

Die Wählerstruktur der PDS in Bran-

denburg entspricht in etwa der Erwerbs-

struktur der brandenburgischen Bevölke-

rung.

Daraus folgt für die PDS-Anhänger-

schaft: Sie weist einen niedrigeren Rent-

neranteil auf als es in der Gesamtheit

Brandenburgs der Fall ist, die erwerb-

stätige Anhängerschaft entspricht dem

Landesdurchschnitt. Es dominieren die

Angestellten, der Anteil der Arbeiter ist

weit, der der Selbstständigen und der

Landwirte leicht unterdurchschnittlich.

Die Anteile der Arbeitslosen wie der Aus-

zubildenden sind höher als im Durch-

schnitt der Berufsgruppen, doch es gibt

kein ausgesprochenes Defizit. Das kann

lediglich im Bereich der konfessionellen

Bindungen gefunden werden: 1994 wie

1999 gehörten 85 Prozent der PDS-

Anhänger keiner Konfession an.

Die PDS bemüht sich Verbindungen

zur Gesellschaft nicht nur durch partei-

interne Strukturen und parteinahe Ver-

eine oder Verbände, sondern auch durch

Kontakte zu gesellschaftlichen Organisa-

tionen herzustellen. Zu den parteiinter-

nen Strukturen zählen die Interessen-

und Arbeitsgemeinschaften (IG/AG), die

in unterschiedlicher Zahl und Größe

(1999: 9) seit 1990 im Landesverband

oder bei ihm sowie auf der Kreisebene

existieren und die sehr unterschiedliche

Aktivitäten verfolgen (Kaufhold 2000:

19f.). So soll die AG Betrieb und Gewerk-

schaften durch neue bündnispolitische

Zielsetzungen aktiviert werden, wobei es

zuerst darum geht, in der Partei selbst

um ein Verständnis für gewerkschafts-

politische Arbeit zu werben. Die AG Seni-

oren oder die AG LISA stellen generatio-

nen- oder geschlechtsspezifische Grup-

pierungen dar, wie sie auch in anderen

Parteien zu finden sind. Die AG Junge

GenossInnen existiert nicht mehr, ein

Jugendverband „solid“ soll die Jugend für

die PDS gewinnen. Andere AG ( u. a.

Umwelt, Recht) sollen es der PDS erlau-

ben, sich Fachwissens zu bedienen. Die

gesellschaftliche Relevanz der AG im

Sinne eines Hineinwirkens in die Gesell-

schaft kann dann bezweifelt werden,

wenn sie im wesentlichen der Kommuni-

kation spezifischer Gruppierungen in der

PDS-Anhängerschaft dienen. In einer

Die PDS als intermediärer Akteur

Page 50: perspektive21 - Heft 13

Dr. Gero Neugebauer

Verengung auf Binnenkommunikation

kann auch eine Gefahr für die politische

Bildungsarbeit der PDS-nahen „Rosa-

Luxemburg-Stiftung“ liegen, die, wie das

Kommunalpolitische Forum Land Bran-

denburg e.V., das die kommunalpoliti-

sche Ressourcen der PDS repräsentiert,

etliche Aktivitäten organisiert.

Organisationen wie der Offene Wirt-

schaftsverein für Unternehmer und

Selbstständige (OWUS) – Vorsitzender ist

z. Z. der PDS-Bundestagsabgeordnete aus

Potsdam Rolf Kutzmutz – oder andere, die

– wie die Volkssolidarität, der Arbeitslo-

senverband oder der Mieterbund –

wegen der Repräsentanz von PDS-Politi-

kerInnen in Leitungsgremien als PDS-nah

galten oder gelten, agieren in Politikbe-

reichen wie Sozial-, Wohnungs- oder

Arbeitsmarktpolitik, in denen die Partei

Kompetenzen behauptet. Der Erwartung

der Partei, Netzwerke konstruieren und

den Zugriff auf Ressourcen, darunter

Wähler, mobilisieren zu können, steht die

Hoffnung der Verbände entgegen, bei

Forderungen an staatliche Institutionen

von der PDS unterstützt zu werden.

Bei kommunalpolitischen Kooperatio-

nen übte die PDS in Brandenburg noch

Mitte der neunziger Jahre landesweit

eine gewisse Zurückhaltung gegenüber

der SPD aus, verwies auf ein unver-

krampftes Verhältnis zur CDU und ver-

hielt sich kooperativ gegenüber Bündnis

90/Die Grünen (Gothe 1996: 105 f.). Eine

neue Untersuchung weist nach, dass sich

die seinerzeitigen schwachen Tendenzen

zur Kooperation mit der PDS seitens der

anderen Parteien verfestigt haben und

dass – mit Ausnahmen bei der CDU –

keine generelle Verweigerung der

Zusammenarbeit mit der PDS mehr zu

finden ist (Pollach 2000: 230 ff.).

Zwischen einzelnen DGB-Gewerk-

schaften und der PDS-Führung hat sich

das Verhältnis entspannt. Einerseits hat

die PDS bestimmte Kampagnen, wie bei-

spielsweise die Ladenschluss-Initiative

der Gewerkschaft HBV unterstützt, ande-

rerseits sind Gewerkschafter auch PDS-

Wähler. Nach Angaben aus der PDS hat-

ten Mitte der neunziger Jahre zwei Drittel

der Kreisverbände als relativ festgefügt

bezeichnete und teilweise formalisierte

Kontakte zu DGB Kreisvorständen oder zu

Vorständen der Gewerkschaften HBV,

ÖTV, IG Metall, IG Bau/Steine/Erden und

der GEW. Zweifel an der Nützlichkeit und

Notwendigkeit der Kooperation mit den

Gewerkschaften werden in der PDS nur

verdeckt geäußert. Auf der Landesebene

besteht kein wahrnehmbares Risiko für

die PDS, von den DGB-Gewerkschaften

zugunsten einer bestimmten Konflikt-

strategie gegenüber der SPD instrumen-

talisiert zu werden.

Wie Politiker andere Parteien nutzen

auch PDS-Parlamentarier die Chance,

Positionen in diversen öffentlich-rechtli-

chen Gremien wie Rundfunkräten, Vor-

48

Page 51: perspektive21 - Heft 13

Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

ständen von Sparkassen und Kommunal-

oder Landesunternehmen, Kuratorien,

Verbands- und Vereinsleitungen und

anderen Organisationen zu besetzen und

ihr zivilgesellschaftliches Engagement

als Parteipolitiker zur Herstellung oder

Intensivierung von Einfluss auf Entschei-

dungen ebenso wie als Möglichkeit des

Zugriffs auf Ressourcen, auf die Vertei-

lung von Zugangschancen zu Positionen

und Mitteln und der Präsentation der

eigenen Person gegenüber Wählern zu

nutzen.

49

Tabelle 3Mitgliederentwicklung in den Kreisen und kreisfreien Städten

Quelle: Angaben des LV Brandenburg der PDS

Kreis

Brandenburg/Havel

Cottbus Stadt

Frankfurt/Oder

Potsdam/Stadt

Barnim

Dahme-Spreewald

Elbe-Elster

Havelland

Märkisch-Oderland

Oberhavel

Oberspreewald-Lausitz

Oder-Spree

Osttprignitz-Ruppin

Potsdam-Mittelmark

Prignitz

Spree-Neiße

Teltow-Fläming

Uckermark

Gesamt

31.12.1996

474

1.288

998

2.014

825

1.089

660

660

1.713

1.068

696

1.295

450

892

433

1.125

850

1.022

17.549

31.12.1998

345

1.154

810

1.626

843

995

665

699

1.526

1.059

637

1.105

350

806

435

431

528

918

14.932

31.12.1999

355

1.054

721

1.663

784

981

591

571

1.390

941

563

994

355

793

365

746

628

776

14.271

Die Mitglieder der PDS Brandenburg

Page 52: perspektive21 - Heft 13

Dr. Gero Neugebauer

50

1990 soll die PDS noch rund 50.000

Mitglieder gehabt haben, was angesichts

der Tatsache, das allein der SED-Bezirk

Potsdam 1989 rund 100.000 Mitglieder

zählte, eine gewisse Wahrscheinlichkeit

besitzt. Ende 1991 hatte die PDS knapp

25.000 Mitglieder, 1995 bereits weniger

als 18.000 und Ende 1999 noch 14.271.

(vgl. Tabelle 3)

Die regionale Verteilung der Mitglieder

auf die 18 Kreisverbände ist sehr verschie-

den: die Spanne reicht von 355 Mitglie-

dern in Brandenburg/Havel und Ostprig-

nitz/Ruppin bis zu 1.663 Mitgliedern in

der Stadt Potsdam. Knapp 50% (7.023) der

Mitglieder sind in 6 von 18 Kreisverbän-

den organisiert; die Zahl der großen

Kreisverbände mit mehr als 1000 Mitglie-

dern hat zwischen 1996 und 1999 von 8

auf 6 abgenommen und eine solch große

Differenz wie 1996 von 1581 Mitgliedern

zwischen dem größten (Potsdam/Stadt:

2014) und dem kleinsten (Prignitz: 433)

hat sich 1999 auf 1308 reduziert (Pots-

dam/Stadt 1663, Prignitz: 355). Wahr-

nehmbare Zuwächse finden sich in den

Stadtverbänden Potsdam und Branden-

burg und am deutlichsten am Rand von

Berlin (Teltow-Fläming).

Zwar gelang es in den letzten Jahren,

den Anteil von Mitgliedern unter 20 Jahre

zu steigern, 1997 gehörten 39 (0,25%) und

Tabelle 4Mitgliederentwicklung in den einzelnen Altersgruppen 1997-1999

Quelle: Angaben des LV Brandenburg der PDS

Altersgruppe

bis 20

21-25

26-30

31-40

41-50

51-60

61-65

über 65

Gesamt

absolut

39

54

153

1.091

1.862

2.305

2.579

7.707

15.791

in %

0,25

0,34

0,97

6,91

11,79

14,6

16,33

48,8

absolut

48

58

99

845

1.887

1.775

2.005

8.212

14.929

in %

0,44

0,38

0,67

5,51

12,71

12,43

13,86

55,00

absolut

63

54

96

786

1.814

1.774

1.978

7.706

14.271

in %

0,32

0,39

0,66

5,66

12,64

11,89

13,43

54,00

1997

Mitglieder

1998

Mitglieder

1999

Mitglieder

Page 53: perspektive21 - Heft 13

Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

1999 schon 63 Jugendliche (0,44%) zu

dieser Altersgruppe, aber zwischen 1996

und 1999 ist die Zahl der Mitglieder im

Alter bis zu 30 Jahren absolut wie relativ

von 489 (2,7%) auf 213 (1,4%) gefallen. Die

Zahl der über 60-Jährigen Mitglieder hat

sich zwischen 1996 (10.534) und 1999

(9684) im Jahr 1999 reduziert; ihr Anteil

an der Mitgliederschaft ist jedoch von

mehr als 57 Prozent auf weit über 67 Pro-

zent gestiegen.

Die fatalen Auswirkungen der demo-

grafischen Situation der Brandenburger

PDS zeigen sich im Vergleich mit der

Altersstruktur der SPD im Land Branden-

burg für das Jahr 1999. (vgl. Tabelle 5)

Der dramatische Alterungsprozess der

PDS-Mitgliedschaft reduziert sowohl die

personellen Ressourcen für Wahlkämpfe,

Volksentscheids- oder Unterschriftskam-

pagnen zuungunsten einer stärkeren

Belastung einer insgesamt älter gewor-

denen Mitgliederschaft als auch die Mög-

lichkeiten der innerparteilichen Rekrutie-

rung von Eliten, also von Menschen, die

bestimmte herausgehobene Funktionen

einnehmen und darin Politik machen und

verantworten. Die Perspektive der Mit-

gliederentwicklung im Bereich der Alters-

gruppen, aus denen Mandatsträger und

Funktionäre rekrutiert werden können, ist

für die PDS ungünstig: 1999 waren 3646

51

Tabelle 5Altersstrukturen der SPD und der PDS in Brandenburg 1999

Quelle: LGF SPD Brandenburg

Altersgruppe

bis 20

21-25

26-30

31-40

41-50

51-60

61-65

über 65

Gesamt

in %

0,81

2,48

3,46

15,72

26,58

29,49

11,11

10,36

absolut

60

183

256

1.162

1.952

2.180

821

766

7.393

SPD

Mitglieder Altersgruppe

bis 20

21-25

26-30

31-40

41-50

51-60

61-65

über 65

Gesamt

in %

0,44

0,38

0,67

5,51

12,71

12,43

13,86

54

absolut

63

54

96

786

1.814

1.774

1.978

7.706

14.271

PDS

Mitglieder

Page 54: perspektive21 - Heft 13

Dr. Gero Neugebauer

52

Mitglieder bei der SPD und 2813 bei der

PDS bis zu 50 Jahre alt; bis zu 60 Jahre alt

waren es insgesamt 5826 bei der SPD und

4587 bei der PDS.

In der Struktur der Mitgliedschaft zei-

gen sich zwei Probleme: zum einen die

Überalterung der Basisorganisationen

im ländlichen Raum – bereits 1994/95 lag

in jedem Kreis der Anteil der über 60

Jahre alten Mitglieder bei mehr als 50

Prozent; in der Ostprignitz und in Pots-

dam-Mittelmark waren es bereits mehr

als 70 Prozent – und die relativ schwache

„Verankerung“ der Partei im Arbeits-

markt durch vollzeitbeschäftigte Mitglie-

der. Das reduziert Multiplikationschan-

cen und kann sich auf die Absicht aus-

wirken, stärker in und mit den Gewerk-

schaften zu arbeiten; vor Ort wird es

kaum und wohl nur auf Vorstandsebene

möglich werden.

Die Verteilung der Funktionen auf

mehr jüngere als ältere Mitglieder ist

eine, die Konfrontation von verschiede-

nen Kulturen eine andere Folge der

Altersstruktur, die einen latenten Genera-

tionenkonflikt bewirken. So zeigen bei-

spielsweise ältere und alte Mitglieder

Vorbehalte gegen Angehörige von

Jugend- und Protestkulturen. Dadurch

können Bündnisse und der Zugang zu

Gruppierungen, die ebenfalls zu der

Gesellschaft gehören, der gegenüber sie

sich öffnen will, erschwert werden.

Der im Juni 1990 gebildete Landesver-

band der PDS Brandenburg besteht seit

dem Abschluss der kommunalen

Gebiets- und Kreisreformen in Branden-

burg aus 18 Kreis- oder Stadtverbänden

als kleinste Parteigliederung; die nach

territorialen, thematischen oder sozialen

Kriterien gebildeten Basisorganisationen

sind ebenso keine Parteigliederung wie

die Gebiets- bzw. Stadtverbände, die die

Fläche der 44 Altkreise einnehmen. Mitte

1998 gab es noch rund 1.200 Basisgrup-

pen. Der Trend zur Bildung ortsübergrei-

fender – und damit weniger – wohnge-

bietsbezogener Basisgruppen setzt sich

fort und wird die Möglichkeiten des Mit-

glieds erschweren, sich am Parteileben

(Teilnahme an Versammlungen, Veran-

staltungen und Mitarbeit bei Kampa-

gnen) zu beteiligen.

Mitglieder können Zusammenschlüsse

regional oder landesweit „auf der Basis

von gemeinsamen spezifischen sozialen

Interessen, bestimmten politischen The-

men und Tätigkeitsfelder oder Weltan-

schauungen“ (Statut 1998: 26) bilden.

Das legitimiert theoretisch, praktisch

weniger eine inhaltliche Vielfalt, die

Die Situation der Parteiorganisation

Page 55: perspektive21 - Heft 13

Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

Anlass bietet darüber nachzudenken, ob

eine Partei, in der sich letztlich antagoni-

stische Auffassungen organisieren kön-

nen, noch eine Organisation von Mitglie-

dern auf der Basis einer gemeinsamen

Ideologie sein kann – oder nicht besser

ein Verein mit politischem Charakter und

unterschiedlichen Sparten sein sollte. Die

inhaltliche Kohäsion einer Partei kann als

schwach gelten, wenn eine innerparteili-

che Opposition ein von der Parteimehr-

heit abweichendes Gesellschaftskonzept

vertritt. In Brandenburg hat beispiels-

weise die Kommunistische Plattform mit

den dortigen Landesvorständen der DKP

und der KPD eine gemeinsame Veranstal-

tung durchführt, die „mithelfen (soll), aus

dem Nebeneinander ein Miteinander all

derer zu gestalten – und das nicht nur im

Land Brandenburg – die als Kommuni-

stinnen und Kommunisten oder als

Sozialistinnen und Sozialisten davon

überzeugt sind, dass die gegenwärtige

kapitalistische Ordnung überwunden

werden muss“ (Mitteilungen 2000: 26).

Der Landesvorstand, er führt die

Geschäfte des Landesverbandes und wird

für zwei Jahre gewählt, soll Politikange-

bote ausarbeiten, diskutieren und ent-

scheiden sowie die außerparlamentari-

sche Arbeit, einschließlich Kampagnen,

und die Öffentlichkeitsarbeit organisie-

ren. Ob er das leisten kann oder will, mag

angesichts seiner Einschätzung durch die

Landesvorsitzende, eine „Zufallsmann-

schaft“ zu sein, der es an politischer Sach-

kompetenz fehle (Berliner Zeitung,

28.08.2000), bezweifelt werden; da feh-

len schon die Voraussetzungen für ver-

trauensvolle Kooperationen.

Die beim Landesvorstand angesiedelte

Geschäftsstelle hat quasi als Unterbau

sieben Regionalgeschäftsführer, die

jeweils zwei bis drei der 18 Kreisge-

schäftsstellen betreuen; darunter existie-

ren noch 33 Gebietsgeschäftsstellen. Als

ehrenamtliche Helfer standen und ste-

hen den Kreisverbänden zumeist Vorru-

heständler und Rentner unterstützend

zur Seite.

Nach den Vorstellungen der Parteire-

former sollen die Ressourcen des Landes-

verbandes durch den Zugriff auf die

Kapazitäten der 26 Brandenburger PDS-

Abgeordneten (22 Landtag, 4 Bundestag

mit ihren MitarbeiterInnen) dadurch ver-

größert und verbessert werden, dass ein

Netzwerk aus den 18 Geschäftsstellen der

PDS und Bürgerbüros der 26 Abgeordne-

ten gebildet werden soll (Kommission

innerparteiliche Entwicklung, September

2000, http//:www.pds-brandenburg.de).

Das setzt die Erwartung voraus, dass

keine Schwierigkeiten im Verhältnis zwi-

schen dem Landesvorstand und den

Mandatsträgern auf den verschiedenen

Ebenen bestehen.

Publizistisch ist der Landesverband mit

der LandesZeitung vertreten. Die Land-

tagsfraktion publiziert den „Linksdruck“

53

Page 56: perspektive21 - Heft 13

Bei der Konstituierung der Parteien in

den ostdeutschen Ländern sind „die

Machtverhältnisse innerhalb der Parteien

… ohne demokratische Prozesse geklärt

worden“ (Möller 1991: 43). Das trifft – mit

nachhaltiger Wirkung – grosso modo

auch auf die PDS zu. Damit sind nicht

Mängel an demokratischen Prozeduren

gemeint2

, sondern dass informelle Grup-

pierungen Entscheidungen vorformulie-

Dr. Gero Neugebauer

54

Wer führt die PDS Brandenburg?

und in nahezu allen Kreisen und Gebie-

ten erscheinen kleinere Zeitungen (Kauf-

hold 2000: 25), die auf der Basis von

Eigenfinanzierung bzw. Spenden und

ehrenamtlicher Redaktionsarbeit existie-

ren. Die Verteilung erfolgt zumeist über

ein Abo-System. Daneben geben der Lan-

desvorstand und einige Kreisvorstände

gesonderte Info-Blätter heraus, die über

die Geschäftsstellen vertrieben werden.

Die Arbeit des Landesverbandes beruht

auf dem Prinzip der Eigenfinanzierung;

die Abführungen der Kreisverbände an

den Landesvorstand regeln sich nach der

finanziellen Stärke der Kreisverbände.

Seit der Inkraftsetzung der Finanzord-

nung vom 29.3. 1992 gilt in der PDS Bran-

denburg unter dem Stichwort „Finanzie-

rung der Partei von unten“ ein Finanzkon-

zept, das eine Verteilung der Einnahmen

aus den Mitgliedsbeiträgen von der Basis

zum Kreisvorstand, zum Landesvorstand

und bis zum Bundesvorstand vorsieht1

.

Ein innerparteilicher Finanzausgleich soll

die finanzielle Existenz aller Kreisver-

bände garantieren sowie die Handlungs-

fähigkeit des Landesverbandes absi-

chern.

Die wichtigste Einnahmequelle sind

die Mitgliedsbeiträge. Die Einnahmen

daraus sind zwischen 1994 und 1999 von

2.4 Mio. DM auf mehr als 3.0 Mio. DM

gestiegen. Im gleichen Zeitraum verlor

die Partei rund 3.500 Beitragzahler,

jedoch stieg der durchschnittliche

monatliche Beitrag von 12,00 auf 18,66

DM an und die Spenden nahmen von

rund 377.000,00 DM auf mehr als

780.000,00 DM zu (www.pds.branden-

burg.de/archiv/2000/mai). Verbesserun-

gen werden bei Einwerbungen von Spon-

sorengeldern, Förderbeiträgen, Spenden

und durch Rationalisierungen sowie Bei-

tragserhöhungen erwartet, weil u. a. eine

„Ausweitung des Personalbestandes“

(Protokoll 1999/2:25) angestrebt wird.

1 Dieses Prinzip gilt weiterhin. Vgl. Finanzpolitische Grundsätze des Landesverbandes Branden-

burg der PDS (Protokoll 1998: S. 31/Teil II).

2 In der PDS Brandenburg kann bei einer Personalentscheidung nicht mit „Nein“ gestimmt, son-

dern sich nur enthalten werden.

Page 57: perspektive21 - Heft 13

Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

ren, Entscheidungsprozesse dominieren

und damit Entwicklungen initiieren oder

blockieren, bis genehme Mehrheiten vor-

handen sind oder Personen resigniert

haben. Das gilt besonders hinsichtlich der

Rekrutierung und der Selektion von

Führungspersonal. Einerseits sind Nach-

wuchsfragen Entscheidungen über Eli-

ten, die in ihren Funktionen in der Lage

sein sollen, Probleme zu erkennen und

kompetent politische Lösungen vorzube-

reiten, zu entscheiden und zu verantwor-

ten; dazu müssen sie fachlich qualifiziert

sein. Andererseits sind Nachwuchsfragen

mehr als nur personalpolitische Fragen

und angesichts der erheblichen Differen-

zen im Landesverband und des mangeln-

den Konsens in wichtigen Fragen der

innerparteilichen wie der Parteipolitik

erhält jede Personalentscheidung den

Charakter einer Richtungsentscheidung.

Wenn die Landesvorsitzende über den

Mangel an Personal, dass politische Funk-

tionen und Ämter übernehmen könnte,

klagt (Tack 2000a: 26), können dafür das

Fehlen einer Personalreserve, mangelnde

Nachfrage wegen einer ungewissen Per-

spektive und geringen Vertrauens oder

eine schlechte Nachwuchsförderung ver-

antwortlich sein.

Die Frage, ob statt des Landesvorstan-

des faktisch nicht doch die Landtagsfrak-

tion die Partei führt und die PDS Bran-

denburg damit ein Beispiel für die Partei-

entwicklung in Ostdeutschland seit 1990

darstellt, kann eindeutig zu Gunsten der

Fraktion entschieden werden. Die Ent-

wicklung des Landesverbandes der PDS

zu einem neuen Parteityp, der sogenann-

ten Fraktionspartei – damit ist eine Partei

gemeint, die ihr Machtzentrum sowie

ihre wichtigsten organisatorischen und

finanziellen Ressourcen in ihren Parla-

mentsfraktion konzentriert und die

Parteifunktionären den Zugang zu Man-

daten und/oder Regierungsämtern ver-

schafft (Lösche 2000: 88) – ist nicht zu

übersehen.

Die im Landesverband weitgehend

akzeptierte Führungsperson Lothar Bisky

ist aus freien Stücken offensichtlich nicht

gewillt, im Landesvorstand eine Integrati-

ons- und Führungsrolle zu übernehmen,

nachdem er als Vorsitzender der Gesamt-

partei ausgeschieden ist. Er verkörpert

(noch) in der Landtagsfraktion eine Konti-

nuität, die im Landesvorstand nicht

erkennbar ist. Bisky hatte den seit 1990

amtierenden Vorsitzenden Heinz Vietze

1991 als Landesvorsitzender abgelöst, gab

das Amt jedoch 1993 auf, als er den Bun-

desvorsitz übernehmen musste; er blieb

Fraktionsvorsitzender. Seinem Nachfol-

ger Helmut Markov (heute Mitglied des

Europaparlaments) folgte 1995 Wolfgang

Thiel; er blieb bis 1999 im Amt. Dann

wurde mit rund 55 Prozent der Delegier-

tenstimmen Angelika Tack gewählt, die

im Februar 2001 wieder kandidieren

möchte.

55

Page 58: perspektive21 - Heft 13

Dr. Gero Neugebauer

Die Fraktion wird seit mehr als zehn

Jahren von Lothar Bisky als Vorsitzendem

und Heinz Vietze als Fraktionsgeschäfts-

führer geführt. In der ehemaligen Troika –

bis zu seinem Unfalltod komplettierte

Michael Schumann die Gruppe – verkör-

pert Heinz Vietze Kontinuität im Poli-

tikmanagement der PDS; in der öffentli-

chen Wahrnehmung genießt der Frakti-

onsvorsitzende als Repräsentant der PDS

eine herausgehobene Beachtung. Das

relativiert die Bedeutung der Inhaber

hauptamtlicher Parteifunktionen, die

zugleich Fraktionsmitglieder sind. Im

politischen Tagesgeschäft ist die Fraktion

das eigentliche Aktionszentrum der Par-

tei,nicht der Landesvorstand.Die Fraktion

arbeitet in einer unmittelbaren politi-

schen Wettbewerbssituation im Parla-

ment, die durch Kooperation wie durch

Konkurrenz markiert ist.

Die Fraktion hat zudem wichtige Res-

sourcen. Sie hat sechzehn Mitarbeiter in

der Geschäftsstelle und kann auf vielfäl-

tige Dienstleistungen der Verwaltung

des Landtags zurückgreifen. Jeder der

Abgeordneten, sie haben aus ihrer Tätig-

keit eine Vollzeitbeschäftigung gemacht,

verfügt über ein Budget, aus dem Voll-

oder Teilzeitstellen für MitarbeiterInnen

bezahlt werden können. Durch den Vor-

sitz in vier Landtagsausschüssen (Ar-

beit/Soziales/Gesundheit und Frauen,

Haushalt und Finanzen, Europaangele-

genheiten und Entwicklungspolitik,

Wahlprüfung) und die Stellvertretung in

drei weiteren (Haupt-, Innen- und Petiti-

onsausschuss) besitzt die Fraktion den

Zugang zu wichtigen Entscheidungspro-

zessen wie zu den Medien. Sie erhält

zudem erhebliche finanzielle Mittel, über

deren Einsatz nicht der Landesvorstand

entscheidet. Der bezahlt die Inhaber

hauptamtlicher Wahlfunktionen (Lan-

desvorsitzende/r, Landesgeschäftsfüh-

rer/in und Landesschatzmeister/in) nur

dann, wenn sie nicht gleichzeitig Land-

tagsmitglieder sind3

.

Vom politischen Einfluss wie von dieser

Ressourcenstruktur her ist damit die

Fraktion das eindeutige Zentrum der Par-

tei. Das kann den Wunsch erklären, Par-

tei- und Fraktionsvorsitz in eine Hand zu

legen, denn dann wäre für die Außenwelt

das Aktionszentrum der PDS eindeutig

erkennbar.

In der Zusammensetzung der Fraktion

sind Kontinuität und sanfter Wandel

erkennbar; sie ist erst in der letzten Wahl-

periode einer stärkeren Fluktuation aus-

gesetzt gewesen. Sieben der gegenwär-

tig 22 Mitglieder absolvieren ihre dritte

Wahlperiode, für vier weitere ist es die

zweite und für die restlichen 12 Abgeord-

nete die erste Wahlperiode. Der älteste

1999 gewählte PDS-Parlamentarier ist im

56

3 Auf der Lohnliste der Partei steht z. Z. nur der Landesschatzmeister.

Page 59: perspektive21 - Heft 13

Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

57

Jahr 1925, der jüngste 1971 geboren. 17 der

22 Mitglieder sind bis 1960 geboren, fünf

danach; drei von ihnen waren im Wahl-

jahr 1999 erst 30 Jahre alt oder jünger.

Mehrere Mitglieder haben zu DDR-Zei-

ten, d. h. bis 1990, hauptamtlich im Appa-

rat oder in Einrichtungen der SED oder

der SED/PDS sowie im Staatsapparat

gearbeitet:Von den seit 1990 tätigen sind

es vier, von den seit 1994 tätigen drei und

fünf der zwölf, die 1999 neu gewählten

wurden. Mehr als die Hälfte der gegen-

wärtigen Fraktionsmitglieder sind nach

1990 zeitweilig von der PDS direkt (Ange-

stellte/r, Fraktions- oder Wahlkreismitar-

beiter) oder indirekt (Mandatsinhaber)

abhängig gewesen,bevor sie in den Land-

tag einzogen; Parallelfunktionen (MdL

und hauptamtliche Funktion) einge-

schlossen. Insgesamt kann die Fraktion -

13 Mitglieder haben Erfahrungen aus der

kommunalen Ebene – als Versammlung

mehrheitlich professioneller Politiker und

Politikerinnen gewertet werden. Das ist

sowohl ein Indikator für die gestiegene

Bedeutung der PDS als Arbeitgeberin als

auch für ein weitgehend geschlossenes,

weil InhaberInnen von Parteifunktionen

bevorzugendes, Rekrutierungsverfahren.

Der Landesverband Brandenburg der

PDS ist politisch etabliert. Zwar kann die

Partei keine flächendeckende effiziente

Organisation im gesamten Verbreitungs-

gebiet nachweisen und verliert zugleich

an Organisationsdichte im Land. Den-

noch kann sie politisch aktiv sein und

bleiben, weil sie einmal finanziell (noch)

gut gestellt und durch die sinkenden Mit-

gliederzahlen nicht entscheidend ge-

schwächt ist. Da bislang alle Strategien

zur Mitgliederrekrutierung wenig Erfolg

gehabt haben, ist die PDS erheblichen

Personal- und Nachwuchsproblemen

ausgesetzt. Dennoch sprechen die Be-

funde dafür, dass sie als Mitgliederpartei

mittelfristig Bestand haben wird, sich

jedoch hinsichtlich ihrer personellen Res-

sourcen mit dem Gedanken anfreunden

sollte, auf professionelle Anbieter bei der

Durchführung von Kampagnen, Wahl-

kämpfen etc. zurückzugreifen; die Lösung

anderer Ressourcenprobleme könnte

durch den Einzug in die Landesregierung

erheblich befördert werden.

Ihr Bild ist bislang stärker durch ihr

Image als durch ihre Kompetenzen

bestimmt. Einer relativ hohen Kompe-

tenz im Politikfeld „Soziale Gerechtig-

keit“ folgt eine geringere in der Bildungs-

politik sowie der Ausländerpolitik,

während ihr in anderen Feldern wie Wirt-

Eine Problemskizze der PDS in Brandenburg

Page 60: perspektive21 - Heft 13

Dr. Gero Neugebauer

schaftspolitik, Arbeitsmarktpolitik, Ver-

kehrs- und Umweltpolitik oder Innere

Sicherheit nur wenig Kompetenz zuge-

sprochen wurde (Krumrey 2000: 19 f.).

Ihre Anhänger vertreten mehrheitlich die

Meinung, dass unter den politischen Zie-

len: „Mehr Sicherheit und Ordnung“ ,

„Ausbau der sozialen Sicherungssy-

steme“, „Weniger staatliche Bevormun-

dung in der Wirtschaft“ und „Mehr Ein-

fluss der Bürger auf die Politik“ das letzt-

genannte das wichtigste sei (PDS-

Wähler: 43, SPD: 33, CDU: 29 Prozent); erst

danach folgt das sozialpolitische Thema

(FORSA 2000) 4

.

Nicht der Weg in die Regierungsverant-

wortung, sondern die Notwendigkeit der

Modernisierung der Partei erfordert

schnelle Lösungen für Probleme der Per-

sonalrekrutierung. So zeigt die Herkunft

der Parteieliten der PDS Brandenburgs

ein Nebeneinander von Eliten mit einer

längeren DDR- Sozialisationsphase einer-

seits und solchen ohne diese Prägung.

Soweit Kader als Transformationseliten in

der PDS Funktionen behielten oder über-

nahmen, erhielt die Tätigkeit für die Par-

tei in der Lebensplanung eine starke

Bedeutung.5

Das mag erklären, warum

nur wenige jüngere Kandidaten aus

einem parteiferneren Umfeld, deren poli-

tische Sozialisation wie deren beruflicher

Hintergrund eine größere Distanz zur

SED wie zur DDR erkennen lassen, rekru-

tiert worden sind. Insofern ist der Schritt

zu neuen Eliten,die die PDS aus der Trans-

formations- und Konstituierungsphase

heraus in die nähere Zukunft führen,

noch nicht gelungen, obwohl das als

dringend erforderlich zur Bewältigung

anstehender Anforderungen betrachtet

wird (Hornbostel 2000). Zudem erwarten

im Zusammenhang mit der Medialisie-

rung der Politik die WählerInnen, an der

Spitze einer Partei eine kompetente Per-

sönlichkeit vorzufinden, die weniger die

Probleme der Partei repräsentiert, son-

dern sie über die Politik der Partei und

ihre Kompetenz für die Lösung der Kon-

flikte und Probleme im Lande informiert;

in der PDS Brandenburg steht das noch

aus.

Die PDS hat sich mit ihren Wahlerfol-

gen im Parteiensystem Brandenburgs

etabliert. Sie sieht sich als eine Partei, die

„…im Wettstreit mit anderen Parteien undKräften einen erkennbaren und anerkann-ten Beitrag im Ringen um demokratischeMehrheiten für eine antikapitalistischesozialistische Gesellschaft“ (Konzeption

58

4 Das Politikfeld „Ausbau der sozialen Sicherungssysteme“ hat für 25 Prozent der SPD-Anhänger,

für 24 Prozent der PDS-Anhänger und für 18 Prozent der CDU-Anhänger in Brandenburg Prio-

rität. Mehr Sicherheit und Ordnung hat für knapp 34 Prozent der CDU- und für über 28 Prozent

der SPD – Anhänger, aber nur für 20 Prozent der PDS-Anhänger die erste Priorität (FORSA 2000)

5 Latent oder manifest vorhandene Abneigungen innerhalb wie außerhalb der Partei gegen die

Tätigkeit politischer Repräsentanten der PDS in herausgehobenen Positionen haben dazu

geführt, dass das Verbleiben einem Wechsel – auch in die Arbeitslosigkeit – vorgezogen wird.

Page 61: perspektive21 - Heft 13

Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

2000: 10) leisten will, denn „Gesellschaftund Politik dieses Landes brauchen einemoderne, starke PDS als kapitalismuskriti-sches sozialistisches Korrektiv zum Heuteund als politische Kraft für die Schaffunggesellschaftlicher Mehrheiten für politi-sche Alternativen und wirkliche gesell-schaftliche Reformen Morgen“ (Thesen

2000: 1). Durch eine Strukturreform

sowie durch eine programmatische Wei-

terentwicklung soll die PDS modernisiert

werden. Die Diskussion um ein neues

Programm der Gesamtpartei stockt, die

Landespartei kann von daher keine Anre-

gungen aufnehmen und ist durch den

Rückzug von Bisky aus der Programm-

kommission der PDS zusätzlich

geschwächt. Die programmatischen Aus-

sagen in ihren Wahlprogrammen haben

sich von allgemeinen Erklärungen und

Forderungen hin zu spezifischen Anre-

gungen in landes- und besonders kom-

munalpolitischen Fragen entwickelt

(Kaufhold 2000: 22f). Insofern wird es

interessant sein zu erfahren, wie das Kon-

zept der antikapitalistischen Gesellschaft

aussehen soll, wenn die Partei davon aus-

geht, dass sie dafür auch die Zustim-

mung der WählerInnen, von deren Nei-

gung zu ideologisch motivierter Stim-

menabgabe sie bislang profitiert hat,

gewinnen kann.

Sicher kann sie da nur ihrer Anhänger

sein, selbst wenn in Brandenburg insge-

samt 83 Prozent der PDS-, 60 Prozent der

SPD- und über 50 Prozent der CDU-

Anhänger der Aussage „Der Sozialismus

ist im Grunde eine gute Idee, die nur

schlecht ausgeführt wurde“ zugestimmt

haben und es bei den PDS-Anhängern

keine grundsätzliche Ablehnung dieser

These gab, aber bei immerhin bei 15 Pro-

zent der CDU- und bei 12 Prozent der SPD-

Anhänger. Die CDU-Anhänger stimmten

mit knapp 27 Prozent auch am wenigsten

der Behauptung zu, die „DDR hatte mehr

gute als schlechte Seiten“. Das galt für

rund 12 Prozent der SPD und nur für gut 3

Prozent der PDS-Anhänger: Die waren zu

über 53 Prozent von den guten Seiten

überzeugt; Parteigänger der Sozialdemo-

kraten (33 %) und der CDU (25 %) eindeu-

tig weniger. Das korrespondiert insofern

mit Aussagen über die Zufriedenheit mit

der Demokratie, als CDU-Anhänger zu

gut 30 Prozent, die der SPD zu 26, die der

PDS aber nur zu rund 15 Prozent sich posi-

tiv äußern. (FORSA 2000).

Die programmatische Positionsbe-

stimmung, deren Unterbau im Rahmen

einer Programm- und Strategiediskus-

sion noch genauer bestimmt werden

soll, weist die PDS in Brandenburg als

eine Weltanschauungspartei aus. Zwar

ist nicht nur in der PDS die Überzeugung

verbreitet, dass in Brandenburg keine

antikapitalistische Gesellschaft in einem

kapitalistischen Umfeld errichtet wer-

den kann und dass die erhofften antika-

pitalistischen Mehrheiten bei einem –

59

Page 62: perspektive21 - Heft 13

Dr. Gero Neugebauer

unsicheren – Stimmenanteil von weni-

ger als einem Viertel des Elektorats nicht

zu erreichen sind, weil weder realsoziali-

stische Revitalisierungs- und Neudeu-

tungsversuche noch eine vage protoso-

zialistische Perspektive neue Wähler-

schichten mobilisieren. Dennoch bleiben

kapitalismuskritische Positionen zur

Analyse und Kritik landespolitischer Ent-

wicklungen, die in der SPD immer weni-

ger Raum finden, erforderlich, um dem

selbstformulierten Anspruch, eine sozia-

listische Partei zu sein, gerecht zu wer-

den, selbst wenn dieser Anspruch nicht

eingelöst werden kann, solange das Pro-

jekt „Moderner Sozialismus“ nicht als

konkretes Reformprojekt Gestalt ange-

nommen hat, was unter anderem daran

liegt, dass die Programmdiskussion der

PDS dem – alten – Muster der Echter-

nacher Springprozession6

folgt.

Die Selbsteinschätzung, sie sei eine

Volkspartei, soll ihr unter dem Gesichts-

punkt der Selbstlegitimation nicht

bestritten werden, nur hat das mit der

Parteiwirklichkeit wenig zu tun. Zwar

kommen Volksparteien wegen ihres

„weitläufigen Umfassungsanspruchs

nicht daran vorbei, wachsende unverein-

bare Spannungen und gegenläufige Ten-

denzen zu vereinen und zum Ausdruck zu

bringen“ (Wiesendahl 1998: 22), aber

trotz der polarisierten Flügel repräsen-

tiert die PDS nicht diese volksparteilichen

Spannungen und Tendenzen. Ihre sozial-

strukturell heterogene Wählerbasis weist

sie trotz ihrer Verankerung in den sozia-

len Strukturen des Landes deshalb nicht

als Volkspartei aus, weil diese Struktur die

des sie stützenden Milieus sein könnte.

Sie ist weitgehend eine Fraktionspartei

mit einem außerparlamentarischem

Arm, dessen Aktivitäten und Kampagnen

in den letzten Jahren die Oppositionsrolle

der Partei verdeutlicht haben.

Das Image der PDS ist dadurch wie

durch das Bild der Landespartei als eines

Ort permanenter Auseinandersetzungen

geprägt, die von der Öffentlichkeit nicht

als inhaltliche, sondern als persönliche

Konflikte wahrgenommenen werden7

.

Die Kultur der innerparteilichen Ausein-

andersetzungen bekräftigt die Vermu-

tung, dass in der PDS Brandenburgs erst

dann über die inhaltlichen Elemente

einer Strategie der Partei auf Landese-

bene entschieden werden wird, wenn die

Entscheidung darüber getroffen worden

ist, welche Personenkartelle die Richtung

(in) der Partei angeben werden. Das Hick-

hack um Koalitionsoptionen ist ein

Bespiel dafür, wie beeinflusst durch takti-

60

6 Die Pilger springen dabei von einem Bein auf das andere und bewegen sich langsam voran;

Zurückgesprungen wird seit 1945(sic!)nicht mehr.

7 So berichtete die Berliner Morgenpost am 14.11.2000 auf S. 31 unter der Überschrift „Macht-

kampf in der PDS vor der Parteikonferenz“ ausführlich über interne Probleme des Landesver-

bandes, die an Personenfragen festgemacht werden.

Page 63: perspektive21 - Heft 13

Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

61

sches Denken, mangelnde Konzeptionen

und fehlende konsequente Entscheidun-

gen von und über Positionen und Perso-

nen, Blockaden entstehen, die sich auf die

Entwicklung der Partei hemmend aus-

wirken und sie in ihrer politischen Hand-

lungsfähigkeit lähmen.

Da die PDS ihre politische Erfolge an die

Fähigkeit knüpft,„Druck von links“ auf die

SPD ausüben zu können, hat sie sich in

eine Konkurrenz begeben, in der von ihr

alternative Konzepte zu deren Vorschlä-

gen erwartet werden. Sie hat sich damit

auf eine Position eingelassen, die es ihr

nicht erspart, sich zu Fragen der Moderni-

sierung der Gesellschaft, der Politik und

der Ökonomie in Brandenburg zu äußern.

Am absehbaren Ende der Transformati-

onsphase der brandenburgischen Gesell-

schaft und angesichts der weiterhin

ablaufenden gesellschaftlichen Differen-

zierungs- und Wandlungsprozesse gilt es

für die PDS im Lande, die Voraussetzun-

gen für ihre Zukunftsfähigkeit zu reflek-

tieren. Den Konsens darüber hat sie noch

nicht gefunden.

Dr. Gero Neugebauerist Dozent an der Freien Universität Berlin

http://www.polwiss.fu-berlin.de/osi/osz/index.htm

Page 64: perspektive21 - Heft 13

Gero Neugebauer

62

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Page 65: perspektive21 - Heft 13

Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

63

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land, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 1/2,1998

Page 66: perspektive21 - Heft 13
Page 67: perspektive21 - Heft 13

65

Die Bilanz Jörg Schönbohms nach zwei

Jahren an der Spitze der brandenburgi-

schen CDU fällt klar aus: Die absolute

Mehrheit der SPD gebrochen, die Talfahrt

der CDU in der Wählergunst beendet, als

Partei an Selbstbewusstsein gewonnen,

an der Regierung beteiligt. Das ist nicht

wenig, bedenkt man die desolate Verfas-

sung der Christdemokraten, die im

Januar 1999 bereits ihren fünften Vorsit-

zenden seit dem politischen Umbruch

von 1989 kürten. Aber: Gelang dieser

Umschwung allein aus eigener Kraft?

Welche Rolle spielten äußere Einflüsse?

Und: Wie ist es um die Fortsetzung des

Erholungstrends der in Brandenburg bis-

lang so schwachen Christdemokraten

bestellt? Fragen, auf die an dieser Stelle

eine kursorische Antwort gegeben wer-

den soll.

Die CDU in Brandenburg war im Winter

1998/99 in einer desolaten Lage. Die Bun-

destags- und Kommunalwahlen vom 27.

September 1998 hatten das Landtags-

wahldebakel von 1994 bestätigt; die Par-

tei schien sich bei Ergebnissen von rd. 20

% der Stimmen einzurichten. Ein ähnli-

ches Ergebnis bei den Landtagswahlen

im September 1999 schien kaum ver-

meidbar. Seit der Wende war die Zahl der

Mitglieder kontinuierlich auf rd. 8000

gesunken, die Parteiführung hatte weni-

ger durch politische Initiativen als durch

innerparteiliche Intrigen und Streit von

sich reden gemacht. Mit ‘kraftvoller

Oppositionsarbeit’ oder dem Begriff der

‘Regierung im Wartestand’ war die bran-

denburgische CDU meist nicht in Zusam-

menhang gebracht worden. In den Ton

der Medienberichterstattung – soweit sie

überhaupt stattfand – hatten sich zuwei-

len Züge von Mitleid eingeschlichen.

Innerparteilich brachte das Engage-

ment Schönbohms ab Oktober/Novem-

ber 1998 zweifellos einen Stimmungs-

umschwung mit sich. Wie die Presse ver-

meldete, war der ehemalige Berliner

Innensenator vom Start weg „omniprä-

Die CDU Brandenburgs im Aufwind – nach langer DurststreckeReiner Schmock-Bathe

Auf dem Tiefpunkt: Herbst 1998

Page 68: perspektive21 - Heft 13

Reiner Schmock-Bathe

66

sent”. Sie begleitete den Neu-Branden-

burger, der sein Amt in Berlin zugunsten

des politischen Abenteuers in Branden-

burg niedergelegt hatte, bei seiner Ken-

nenlern-Tour. Und bereits dies bildete

einen bemerkenswerten Kontrast zum

kargen Medienecho der Jahre zuvor. End-

lich wieder positives über die eigene Par-

tei zu lesen, dürfte nach den Jahren der

Personalquerelen Balsam für die fru-

strierten Mitglieder gewesen sein.

Mit der Abwahl der CDU/CSU-FDP-

Regierung im Bund war zwischenzeitlich

ein in Brandenburg seit langem negativ

auf die Arbeit der CDU-Landespartei wir-

kender Faktor weggefallen. Gerade die

Regierung Stolpe hatte sich bei passen-

der Gelegenheit gern gegen die Bundes-

regierung profiliert, was im Lande offen-

bar auch Anklang gefunden hatte. Insbe-

sondere der Druck der CDU-Bundespartei

in der Frage der Stasi-Kontakte von Mini-

sterpräsident Stolpe hatte hier zu Solida-

risierungseffekten geführt. Mit dem

Amtsantritt der Regierung Schröder fiel

die Belastung weg, als CDU-Landespartei

herhalten zu müssen für die unpopuläre

Regierung Kohl.

Doch nicht nur das: Binnen kurzem

wurde die neue Situation zum Treibsatz

für die Ambitionen der damaligen CDU-

Opposition. Der im September 1999

erreichte Tiefpunkt des Ansehens der rot-

grünen Bundesregierung und das daraus

resultierende Stimmungstief kamen der

Union auch in Brandenburg überaus zu

Hilfe. Trotzdem konnte die Union ihre

Zweitstimmen-Verluste von 1994 nicht

annähernd wettmachen. Es reichte nur

zu ansehnlichen, aber – im Gegensatz zu

Thüringen und dem Saarland, wo aller-

dings die Ausgangsbasis deutlich besser

war – nicht entscheidenden Gewinnen.

Von ihren, bei der Bundestagswahl 1990

erzielten Ergebnissen, trennten sie wei-

terhin Welten. Und die Sozialdemokraten

behielten trotz ihrer beträchtlichen Verlu-

ste noch 140.000 Zweitstimmen Vor-

sprung, was auf die Gesamtzahl der

Wählenden in Höhe von rund 1,1 Mio. Per-

sonen bezogen werden muss.

Ihr relativer Wahlerfolg konnte jedoch

nicht verdecken, dass die CDU nur

beschränkt zu mobilisieren vermocht

hatte. Dieser zeigt sich nicht nur daran,

dass es der Partei bei weitem nicht gelun-

gen war, das Desaster von 1994 rückgän-

gig zu machen, als man nur um Haares-

breite nicht dritte Kraft geworden war. Es

zeigte sich auch an der erneut um 2 Pro-

zentpunkte auf 54 Prozent gesunkenen

Wahlbeteiligung und vor allem im Einzug

Die Landtagswahl von 1999

Page 69: perspektive21 - Heft 13

Die CDU Brandenburgs im Aufwind – nach langer Durststrecke

der DVU in den Landtag. Trotz der bunde-

spolitischen Situation und der vielbe-

schworenen Ernüchterung über die

Alleinregierung der SPD im Land hatten

nicht einmal alle, die konservativ oder

einfach nur protestorientiert waren, den

Weg zu CDU gefunden. Die DVU und

auch die PDS hatten sich ebenfalls ein

großes Stück vom Kuchen abgeschnitten.

Letztlich zeigt dies, dass die Gesun-

dung der Partei und der Wandel ihres

öffentlichen Bildes weithin noch nicht für

glaubwürdig gehalten wurde. Die CDU

wurde noch im Herbst 1999,ein Jahr nach

dem faktischen Amtsantritt von Jörg

Schönbohm, nicht als wählbare Alterna-

tive angesehen. Es zeigt damit auch das

bodenlos geringe politische Gewicht der

Partei, das Schönbohm bei Amtsantritt

vorfand. Und es zeigt, dass Schönbohms

Dauereinsatz kurzfristig keine Berge ver-

setzen konnte, was im Prinzip – und

zumal in der brandenburgischen Union –

geeignet gewesen wäre, einer Spekula-

tion Nahrung zu liefern, er sei für diese

Aufgabe auch nicht der Richtige.

Der Bruch der SPD-Mehrheit im Land-

tag war demnach kein Erfolg der bran-

denburgischen CDU, sondern wohl eher

Ergebnis einer gewissen Ernüchterung

über die Regierung Stolpe, des Wegfalls

der CDU/CSU-FDP-Regierung im Bund als

Antipoden und des generell gegen die

Sozialdemokraten laufenden Trends im

Sommer und Herbst 1999. Zugleich

bedeutete es, dass sich die CDU auf ihr

prozentuales Ergebnis vom September

1999 nicht stützen konnte, es wäre ein

halbes Jahr zuvor oder wenige Monate

später – im Licht der CDU-Spendenaffäre

– sicher nicht zu erzielen gewesen. Eine

von Häme und Mitleid freie Berichterstat-

tung über den Sympathie und Bekannt-

heit in der Fläche suchenden Spitzenkan-

didaten und Parteivorsitzenden allein

konnte hieran noch wenig ändern.

Immerhin aber hatte Schönbohm die

Unentwegten, die über die Jahre der

Desorientierung nicht von der CDU gelas-

sen hatten, wieder zu motivieren ver-

67

SPDCDUPDSDVU

1990 (LT)

487.134372.572170.804

1990 (BT)

468.294516.617157.022

1994

580.422200.700200.628

1999

433.521292.634257.30958.246

Zweitstimmen

Page 70: perspektive21 - Heft 13

Reiner Schmock-Bathe

68

mocht. Er war der rettende Strohhalm, an

den sich die an ihrer Partei schier ver-

zweifelten Christdemokraten nach fünf

Vorsitzenden in acht Jahren (Schirmer, de

Maiziere, Fink, Hartfelder, Wagner) klam-

merten. Und er hatte – ebenso wichtig –

die vorhandene Führungsetage der Partei

diszipliniert; sicher keine einfache Arbeit

angesichts der Verletzungen, die man

sich mit den Jahren gegenseitig zugefügt

hatte. Die Wahlen für die Parteiführung

und die Listenplätze der Landtagswahl

gingen ungewöhnlich geräuschlos über

die Bühne. Doch muss dieses Bild inso-

fern akzentuiert werden, als die Landes-

partei andererseits auch ungewöhnlich

„reif” gewesen sein dürfte für einen, der

bereit war, das Heft entschlossen in die

Hand zu nehmen. Alle die Frustrationen

der Vergangenheit bis hin zum Finanz-

desaster Mitte der neunziger Jahre, die

Unfähigkeit der politischen Führung, sich

auf die Konkurrenz und die politische

Sacharbeit zu konzentrieren, hatten Auf-

bauarbeit fast unmöglich oder ihre

Erfolge zunichte gemacht.

Schönbohm dürfte aber am Tag nach

der Landtagswahl völlig klar gesehen

haben, das die Bewahrung aller Erfolge

davon abhing, den Glücksfall des Bruchs

der SPD-Mehrheit zu nutzen und in die

Regierung zu kommen. Die Wirkung des

Stimmenzuwachses allein würde bald

verpuffen, nur die Regierungsbeteiligung

würde ihm die Möglichkeit bieten, die

weitere Erfolge zu erzielen. Zum einen

würde die Regierungsrolle den Zusam-

menhalt der CDU im Innern festigen. Die

Beschäftigung mit sich selbst würde im

Zuge der neuen Möglichkeiten, politisch

zu gestalten, erheblich an Attraktivität

verlieren; auch die Zeit hierfür würde

knapper werden. Für groben politischen

Dilettantismus würde man nun mit dem

Amt zu bezahlen haben, und auch die

Öffentlichkeit und vor allem die Medien

würden viel genauer hinschauen. Das

würde disziplinierend wirken. Zum ande-

ren würde die Regierungsbeteiligung

auch Schönbohms eigene Rolle zemen-

tieren, als dieser Erfolg viel augenfälliger

sein würde, als der Teilerfolg bei der Land-

tagswahl. Als der Mann, der die Partei

binnen neun Monaten aus dem Tal der

Tränen zur Regierungspartei befördert

hatte, würde er landespolitisch über

Jahre unangefochten bleiben.

Nach außen würde sich die CDU durch

die Regierungsbeteiligung als regierungs-

fähig profilieren und den Ruf des pro-

grammatischen und politischen Leichtge-

wichts abschütteln können. Sie würde

In die Regierung

Page 71: perspektive21 - Heft 13

Die CDU Brandenburgs im Aufwind – nach langer Durststrecke

Erfahrungen sammeln können, Einfluss

haben und endlich auch politische Gestal-

tungserfolge vorzuweisen haben. Ihre

politischen Initiativen und Programme

würden als potentielle Regierungspolitik

ernster genommen und stärker multipli-

ziert. Die Jahre, in denen die Partei nur

dann Medienpräsenz bekam, wenn sie

ihren Parteitag abhielt und ihren jeweili-

gen Vorsitzenden demontierte, würden

vorbei sein. Sie würde in den Genuß eines

völlig neuen, durch die eigene Bedeutung

von Stärke geprägten Verhältnisses zu

den Medien kommen. Nicht zuletzt

würde die Regierungsbeteiligung die Par-

tei erstmals in die Lage versetzen, Karrie-

rechancen für politisch Interessierte zu

bieten, ihre Sympathisanten zu fördern.

Dagegen musste Schönbohm die

immensen strukturellen Nachteile der

Oppositionsrolle fürchten. Als Opposition,

zumal als nicht alleinige Opposition,

hatte man die parlamentarischen Mecha-

nismen, die im Zweifel stets zum frustrie-

renden Untergang jedes Änderungsan-

trages führen, neun Jahre lang erlitten.

Zumal in der Enge des geringen landespo-

litischen Gestaltungs- und Verteilungs-

spielraums droht die berühmte Freiheit

der Opposition, politische Alternativen zu

entwerfen und alles zu fordern, allzu

leicht in Unernsthaftigkeit umzuschla-

gen. Quälende Selbstbespiegelungs- und

Gärungsprozesse in der brandenburgi-

schen Union waren Symptome, die für

diese Entwicklung standen.

Zur vielbeschworenen ‘Erneuerung in

der Opposition’ hatte die CDU nicht

gefunden. In den Jahren seit 1990 hatte

die innere Entwicklung per Saldo eher

stagniert, war von wegweisender Pro-

grammarbeit wenig zu vernehmen gewe-

sen. Letztere war, wo sie stattfand, von

den Medien schlicht nicht zur Kenntnis

genommen worden. Statt dessen hatte

man zusehen müssen, wie die politische

Konkurrenz die z.T. kaum mehr reversiblen

wesentlichen landespolitischen Weichen-

stellungen und Grundsatzentscheidun-

gen getroffen hatte. Schwer genug, zu

akzeptieren, dass man sich nun einer Lan-

despolitik zu widmen haben würde, die in

manchem den alten Bundesländern

ähnelt: Man sitzt in der Schuldenfalle,

konsolidiert unentwegt den Haushalt

und ringt mit den Mühen der Ebene, dem

Umsteuern in gewachsenen Ansprüchen

und Strukturen. Keine Ära, in der

Geschenke verteilt werden, sondern eine,

die Einschnitte vornimmt.

Daran war aber im September/Oktober

nichts mehr zu ändern. Man musste nach

vorn blicken – und in die Regierung kom-

men. Dass dies erreicht wurde, war für

Schönbohm ein Glück, bei dem verschie-

dene Faktoren im Spiel waren, die noch

viel genauer geklärt werden müssen. Ob

es die geographische Nähe des Landes

zum ehemals geteilten Berlin war, die

eine Mitregierung der PDS ausschloss,

69

Page 72: perspektive21 - Heft 13

Reiner Schmock-Bathe

70

oder ob es gesamtparteiliche Erwägun-

gen waren, die dahin gingen, die PDS

nicht aufzuwerten, ob es Erwägungen der

SPD waren, mit der bislang so dilettieren-

den CDU werde sich das Regieren leichter

gestalten – sicher von allem etwas, aber

die genaue Gewichtung dieser Faktoren

bleibt Spekulation und ist hier nicht

Gegenstand. Das politische Glück der

CDU komplettiert wurde durch das Aus-

scheiden von Regine Hildebrandt aus der

Politik. Sie, eine der Identifikationsfiguren

der brandenburgischen SPD, hatte die

Christdemokraten in Brandenburg immer

wieder sehr direkt kritisiert und konnte

sich eine Zusammenarbeit im Kabinett

offenbar nicht vorstellen. Ihr Abschied

verschaffte der CDU auch in den Medien

zusätzlichen Freiraum.

In den vergangenen 18 Monaten seit

dem Antritt der großen Koalition in

Brandenburg hat die CDU ihr neues

Erscheinungsbild als Regierungspartei

mit politischem Profil und ohne innere

Querelen festigen können. Die Präsenz

der Partei in den Medien ist inzwi-

schen nicht mehr ausschließlich auf

das Phänomen des ‘omnipräsenten’

Vorsitzenden zugespitzt. Kein Wunder,

denn das Wort von CDU Ministern

oder der Fraktionsspitze ist nun von

realer politischer Bedeutung und nicht

lediglich Chronistenpflicht. So ist die

Berichterstattung zumindest in den

Printmedien gegenüber den Jahren

von 1992 – 1998 nicht nur erkennbar

wesentlich intensiver geworden, son-

dern sie hat mit der Beziehung zwi-

schen Partei und politischen Absichten

auch einen anderen Gegenstand als

früher, als innerparteiliche Fragen im

Mittelpunkt standen. Kurzum: Sie hat

sich normalisiert.

Allerdings ist die Ära Schönbohm der

CDU keineswegs frei von Rückschlä-

gen. Der lange Kampf von Kulturmini-

ster Wolfgang Hackel mit der Landes-

verfassung, die Probleme des Justizmi-

nisters Schelter mit der Unabhängig-

keit der Justiz oder Schönbohms Dis-

kussionen mit Bundestagspräsident

Thierse sind Beispiele. Derartige Vor-

fälle werden von Medien generell

begierig aufgegriffen und im Falle der

CDU überlagerten sie prompt die poli-

tische Sacharbeit der Partei. Allerdings

haben andererseits auch noch nicht

alle Journalisten vergessen, dass viele

Akteure in der Partei mit jenen iden-

tisch sind, die sich in den Jahren zuvor

mit Lust selbst zerfleischten. Entspre-

Bilanz der Mitregierung und Ausblick

Page 73: perspektive21 - Heft 13

chend kritisch fällt dann die Berichter-

stattung aus.

Insgesamt aber hat die brandenbur-

gische CDU ihre unverhoffte Chance

ergriffen und bis jetzt – vielleicht ent-

gegen manche Prophezeiung – nicht

wieder verspielt. Unter der Leitung von

Jörg Schönbohm normalisiert sich ihr

Erscheinungsbild, wobei nicht sicher

ist, ob und wann dies auch zu zählba-

ren Erfolgen führt. Auch einige der

äußeren Rahmenbedingungen, wo sie

überhaupt modifizierbar sind (eine

Rekonfessionalisierung der neuen Län-

der hat z.B. bekanntlich nicht stattge-

funden), haben sich gewandelt. Ob die

CDU sich weiter erholen kann, wird

aber nicht zuletzt von der Verfassung

der Sozialdemokratie abhängen. Doch

unabhängig davon stehen die Aussich-

ten nicht schlecht, dass die CDU die

alten Zeiten langsam vergessen

machen und ihren relativen Erfolg von

1999 zumindest konservieren kann.

Die CDU Brandenburgs im Aufwind – nach langer Durststrecke

71

Reiner Schmock-Bathe,

ist Diplom-Politologe. Seine Interessensgebiete sind die

„CDU/Parteien in den neuen Ländern“ und „Ostmitteleuropa“.

Kritik und Kommentare sind unter [email protected] erbeten

Page 74: perspektive21 - Heft 13
Page 75: perspektive21 - Heft 13

Westliche sozialdemokratische Par-

teien stehen vor ähnlichen Herausforde-

rungen: Die Internationalisierung der

Märkte erfordert politische Antworten.

Mit dem Zusammenwachsen der

Europäischen Union entwickeln sich ähn-

liche politische Strategien der Sozialde-

mokraten auf immer mehr Politikfeldern.

Und die Regierungsverantwortung, die

Sozialdemokraten heute in den meisten

europäischen Ländern tragen, gibt ihnen

einen Gestaltungsauftrag für neue Kon-

zepte des Arbeitens, Wirtschaftens und

Lebens. Sie werden ihn bewältigen, wenn

sie die Herausforderungen des Struktur-

wandels programmatisch und organisa-

torisch annehmen.

Die Internationalisierung der Märkte Sozialdemokraten haben überall in

Europa eigene Strategien entwickelt, um

gesellschaftliche Ausgrenzung und politi-

sche oder ökonomische Benachteiligung

zu beseitigen. Sie stehen in ihren Ländern

für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.

Zur Realisierung dieser Werte sind in den

jeweiligen Ländern spezifische Instru-

mente, Institutionen und rechtliche Nor-

men entstanden und praktiziert worden.

Global agierende Unternehmen, welt-

weite Fusionen und die Internationalisie-

rung der Arbeitsmärkte haben die Mög-

lichkeiten nationalstaatlicher Instru-

mente für eine Politik sozialer Gerechtig-

keit verändert. Zumindest Teilen des

Arbeitsmarktes werden durch scharfe

internationale Konkurrenz Bedingungen

gesetzt, die die sozialstaatlichen Struktu-

ren in Europa vor neue Herausforderun-

gen stellen.

Nationale Politik stößt an Grenzen.

Dennoch: Die Internationalisierung der

Märkte bietet Chancen. Sozialdemokrati-

sche Parteien in Europa wollen Gestal-

tungsoptionen zurückgewinnen. Und sie

müssen die tief greifende Verunsiche-

rung, die die Entgrenzung der Märkte

gerade in der sozialdemokratischen

Wählerschaft auslöst, ernst nehmen.

Die neue Form der Ökonomie hat kei-

neswegs das sozialdemokratische Jahr-

hundert beendet. Neue Formen der

73

Parteien des 21. Jahrhundertsvon Dr. Volker Hauff und Matthias Machnig

1. Gesellschaft im Wandel – neue Anforderungen an sozialdemokratischeParteien

Page 76: perspektive21 - Heft 13

Dr. Volker Hauff und Matthias Machnig

Ungleichheit und der gesellschaftlichen

und politischen Ausgrenzung sind ent-

standen, und neue Spielräume der indivi-

duellen Freiheit sind allen Teilen der

Gesellschaft zu erschließen.

Gesellschaftlicher WandelDie Sozialstruktur in allen europäi-

schen Ländern hat sich gewandelt. Die

Informations- und Dienstleistungsgesell-

schaft wird den Trend weiter verstärken.

Damit hat sich auch die Basis für die Mit-

gliedschaft und das Führungspersonal

sozialdemokratischer Parteien, wie ihre

Wählerschaft, verändert.

Die relativ stabilen gesellschaftlichen

Milieus der Industriegesellschaft sind

durch unübersichtliche Lebensverhält-

nisse und Szenen ersetzt worden, deren

soziale Lage und Lebensstile einem dau-

erndem Wandel unterworfen sind. Die

geringe soziale und räumliche Mobilität

ist abgelöst worden von individualisier-

ten Lebenswegen und neuen, mobileren

Arbeits- und Qualifikationsformen.

Mit der Ausdifferenzierung der großen

sozialmoralischen Milieus hat die Bin-

dungskraft und die Orientierungsfunk-

tion der Parteien nachgelassen. Heute

muss für Unterstützung sozialdemokra-

tischer Politik in einer Vielzahl von Milieus

geworben werden. Die Individualisierung

der Lebensläufe, die Unübersichtlichkeit

der individuellen Erfahrungen und die

Geschwindigkeit des Wandels der

Lebensstile und der Qualifikationsanfor-

derungen erfordert von politischen Groß-

organisationen, Menschen in anderer

Form anzusprechen.

Anders als die Industriearbeiterschaft

teilen die viele Menschen nur noch

wenige Erfahrungen miteinander. Neue

Interessengegensätze hinzu haben sich

entwickelt, die quer durch alle gesell-

schaftlichen Lagen hindurch verlaufen:

Junge und Alte, Familien und Alleinste-

hende, Einheimische und Zuwanderer,

um nur einige neue Interessenge-

gensätze zu nennen: Solidarität über

diese Gegensätze hinweg zu stiften,

bedarf verstärkter Anstrengungen und

neuer Wege. Hier zeichnet sich die große,

gemeinsame Aufgabe der europäischen

Sozialdemokraten ab: Sie sind heute vor

allem die Partei gesellschaftlichen

Zusammenhalts.

Veränderungen der Kommunikations-strukturen

Wähler müssen heute immer aufs

Neue gewonnen werden; sie sind nicht

länger ein verlässlich abrufbarer Stamm

von Unterstützern. Es sind die Bewegli-

chen, die Wechselwähler, die Wahlen ent-

scheiden. Gerade unter ihnen aber wer-

den politische Urteile auf einem hohen

Informationsniveau gefällt, das die Viel-

zahl von Medien ermöglicht. Und sie sind

es, die Parteien mit wachsender Distanz

gegenüberstehen.

74

Page 77: perspektive21 - Heft 13

Parteien des 21. Jahrhunderts

75

Parteien besitzen nicht länger ein

Monopol der Deutung von Politik. Ohne

den Filter der Medien wird politisches

Handeln nicht mehr wahrgenommen.

Trotz des Entstehens globaler Medienun-

ternehmen hat die Zahl der Fernseh-

kanäle und die Pluralisierung der Presse

überall zugenommen. Der Durchbruch

des Internet wird die Art und Weise, in der

politisch Interessierte Informationen

beschaffen und verbreiten können, noch

einmal revolutionieren. Damit entsteht

eine von den Medien und ihren spezifi-

schen Perspektiven beherrschte Sicht der

Welt und ihrer Probleme.

Veränderte Erwartungen der MitgliederDer Platz von Sozialdemokraten im Par-

teiensystem aller europäischer Länder

hat sich verändert. Sie begreifen sich als

Wettbewerber um die besten Konzepte

zur Deutung und Lösung neuer gesell-

schaftlicher Probleme. Sozialdemokrati-

sche Parteien sind längst keine klassi-

schen Arbeiterparteien mehr. Sie sind

vielmehr eine politische Heimat für Men-

schen aus fast allen Teilen der Bevölke-

rung. Deshalb passen alte Lagerkonzepte

nicht mehr zur Bestimmung ihres Stan-

dorts.

Sozialdemokraten stehen überall in

Europa dafür, den Strukturwandel

menschlich zu gestalten statt ihm blind

zu folgen. Sie stehen dafür, die Chancen,

die der ökonomische und soziale Wandel

mit sich bringen, für die Schaffung sozia-

ler Gerechtigkeit zu nutzen. Dafür müs-

sen sie Wahlen gewinnen, dafür müssen

sie auch breite Unterstützerkoalitionen

mobilisieren. Und sie müssen neue

Gruppe an sich binden.

Neue Interessenten und neue Unter-

stützergruppen werden neue Erwartun-

gen an die Sozialdemokratie herantra-

gen, auf die bestehende Strukturen der

Organisation nicht hinreichend einge-

stellt sind. Lebenslange Mitgliedschaft

kann angesichts unübersichtlicherer Bio-

graphien und gewachsener Mobilität

nicht länger die einzig mögliche Form der

Mitarbeit sein. Daher müssen neue Mit-

arbeitsformen entwickelt werden, die

eine Öffnung der Parteien auch durch

neue Formen der Organisation unterstüt-

zen. Engagement für die Sozialdemokra-

tie muss auf verschiedene Weise und in

unterschiedlicher Intensität möglich sein.

Page 78: perspektive21 - Heft 13

Dr. Volker Hauff und Matthias Machnig

Rückläufige MitgliederentwicklungAlle europäischen sozialdemokrati-

schen Parteien sind mit folgenden Trends

konfrontiert

Die Mitgliederzahl geht seit Jahren

zurück - die Entwicklung der britischen

Labour Party in den 90er Jahren ist hier

eine seltene Ausnahme. Die Parteien

altern zusehends; die Alterspyramide ver-

schiebt sich immer weiter nach hinten, da

nicht in ausreichendem Maße neue, jün-

gere Mitglieder in die Parteien eintreten.

Die Zahl der Mitglieder in der jüngeren

und mittleren Generation, die bereit sind,

politische Verantwortung und Führungs-

positionen zur übernehmen, nimmt ab.

Gibt es hier keine Trendwende, wird es

immer schwieriger, alle Funktionen und

Mandate qualifiziert zu besetzen.

Sinkendes Engagement und Mitglie-

derschwund führen aber auch dazu, dass

sich die Bindungskraft in die Gesellschaft

verändert. Diese Entwicklung berührt die

Wurzeln sozialdemokratischer Organisa-

tionskultur und Mehrheitsfähigkeit.

Verlust von Vertrauen in Politik Auch außerhalb der Mitgliedschaft ist

die Identifikation mit den Parteien in

Europa seit etwa 30 Jahren rückläufig.

Dieser Trend ist besonders bei jungen, hö-

her gebildeten sowie politisch interes-

sierten Menschen signifikant.

Sinkende Identifikation mit Parteien

bedeutet nicht zwangsläufig zurückge-

hendes Interesse an Politik. Rund 70 Pro-

zent aller Europäerinnen und Europäer

diskutieren häufig oder gelegentlich im

Freundeskreis über politische Themen.

Darüber hinaus engagieren sich immer

mehr Bürgerinnen und Bürger in Initiati-

ven und Aktionen außerhalb der traditio-

nellen Parteien. Allerdings ist dieses

Engagement sehr viel individueller, diver-

sifizierter und kurzfristiger als das oft auf

lange Zeit angelegte Engagement in

Parteistrukturen.

Parteien und Institutionen haben in

den letzten Jahren in der Bevölkerung an

Ansehen verloren haben. Viele Bürgerin-

nen und Bürger ziehen Kompetenz und

Willen der Parteien in Zweifel, wichtige

Zukunftsaufgaben aufzugreifen und zu

bewältigen. Die Gemeinwohlorientie-

rung von Parteien wird in Frage gestellt.

Sinkendes Vertrauen in Parteien und

Institutionen führt nicht unbedingt zu

einer Ablehnung der demokratischen

Grundordnung. Sinkendes Vertrauen kor-

reliert häufig mit wirtschaftlicher und

sozialer Verunsicherung der Bevölkerung.

Sinkende Wahlbeteiligung - SteigendeKomplexität von Politik

In allen westlichen Ländern ist die

Beteiligung der Bevölkerung an Parla-

76

2. Strukturprobleme sozialdemokratischer Parteien in Europa

Page 79: perspektive21 - Heft 13

Parteien des 21. Jahrhunderts

77

mentswahlen rückläufig. In den letzen 50

Jahren ist die Wahlbeteiligung in den

westeuropäischen Staaten im Schnitt um

etwa 10 Prozent gesunken. Dabei liegt die

Beteiligung an landesweiten Wahlen

immer noch an der Spitze, regionale und

lokale Wahlen bewegen deutlich weniger

Wählerinnen und Wähler an die Urne.

Die Gründe für immer häufigere Wahl-

enthaltsamkeit sind vielfältig. Wählerin-

nen und Wähler schrecken zunehmend

vor der Komplexität politischer Probleme

und Fragen zurück.

Die Stammwählerschaften der Par-

teien schmelzen immer weiter zusam-

men. Besser ausgebildete und politisch

interessiertere Bürgerinnen und Bürger

gehen ins Lager der Wechselwähler,

sozial schlechter gestellte wandern eher

in das Lager der Nichtwähler. Dies Ent-

wicklung trifft Sozialdemokraten in

besonderem Maße, da gerade ihre tradi-

tionellen Wählerschichten auf Distanz zu

Politik und die sie tragenden Institutio-

nen gehen.

Soll dies verhindert und darüber hin-

aus neue Ideen und Bevölkerungsgrup-

pen integriert werden, sind Konsequen-

zen notwendig. Konsequenzen für die

Programmatik, aber auch Konsequenzen

für die Organisation.

Erhalt der MitgliederparteiSozialdemokratische Parteien brau-

chen die Vielfalt und Kreativität ihrer Mit-

glieder- und Anhängerschaft. Die Öff-

nung für breite gesellschaftliche Grup-

pen hat ihren Wandel von reinen Arbei-

terparteien des 19. Jahrhunderts zu

modernen Volksparteien ermöglicht. Der

Wandel war Voraussetzung dafür, dass es

heute in der Mehrheit der westeuropäi-

schen Staaten sozialdemokratisch

geführte Regierungen gibt. Gut 150 Jahre

nach ihren Anfängen ist die Sozialdemo-

kratie die führende politische Kraft in

Europa.

Heute arbeiten in sozialdemokrati-

schen Parteien Angehörige vieler gesell-

schaftlichen Schichten und Gruppen mit

- Industriearbeiter und Wissenschaftler,

Handwerker und Kulturschaffende,

Arbeitnehmer und Unternehmer, Män-

ner und Frauen, Junge und Ältere. Eini-

gendes Band bleiben unsere Grundwerte

Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.

Eine Volkspartei muss mitten im Volk

sein. Nur so ist sicher, dass es einen Aus-

tausch von Ideen und Konzepten zwi-

schen Regierung, Parlamenten, Partei

und Bevölkerung gibt - einen Austausch

in beiden Richtungen. Unsere Mitglieder

3. Orientierung für sozialdemokratische Organisationspolitik

Page 80: perspektive21 - Heft 13

Dr. Volker Hauff und Matthias Machnig

sind dabei das wichtigste Scharnier. Sie

sorgen dafür, dass unsere Parteien in der

Gesellschaft verwurzelt bleiben; sie brin-

gen sich und ihre Forderungen in den

Meinungsbildungsprozess ein und

gewährleisten, dass unsere Politik sich an

Interessen und Bedürfnissen der Men-

schen ausrichtet.

Nicht überall ist die Verankerung in der

Gesellschaft noch gegeben. Sie wieder

herzustellen, die Türen für neue Men-

schen und die Köpfe für neue Ideen weit

zu öffnen, ist Voraussetzung dafür, dass

Sozialdemokraten führende politische

Kraft bleiben. Den gesellschaftlichen

Wandel erkennen und aufnehmen, auf

der Höhe der Zeit sein, Organisation und

Programme immer wieder auf den Prüf-

stand stellen - wenn Sozialdemokraten

dies beherzigen, werden sie die neuen

Anforderungen gut bestehen.

Differenzierte Kompetenzen entwickelnFür den Erhalt als Mitgliederpartei, für

den professionellen Umgang mit den

Anforderungen der Mediengesellschaft

und für den Aufbau einer dienstlei-

stungsorientierten, lernbereiten Parteior-

ganisation müssen die sozialdemokrati-

schen Parteien Europas ein Bündel diffe-

renzierter Kompetenzen entwickeln. Sie

benötigen dafür:

• Programm- und Handlungskompe-

tenz, d.h.: in zentralen Politikfeldern

neue Optionen und Chancen aufneh-

men, Korridore für deren Realisierung

aufzeigen und konsequent in Regie-

rungshandeln umsetzen;

• Innovationskompetenz, d.h.: gesell-

schaftliche Trends frühzeitig aufgrei-

fen, diese Veränderungen rechtzeitig

analysieren und kontinuierlich auch in

politisches Handeln übersetzen;

• Dialogkompetenz, d.h.: Unterstützung

für Reformen durch Moderation und

Diskursorientierung erreichen;

• Kommunikationskompetenz, d.h.: Per-

sonen und Symbole für die Verbreitung

von Ideen und Werten nutzen;

• Organisationskompetenz, d.h.: gesell-

schaftliche Veränderungen in organisa-

torischen und institutionellen Struktu-

ren abbilden.

Professionalisierung der ParteiarbeitUm leistungsfähig zu sein, brauchen

moderne Parteien klare Informations-

und Entscheidungsstrukturen sowie

moderne Organisationselemente. Ihr

wichtigstes Kapital aber ist die Motiva-

tion und Qualifikation ihrer Mitarbeiter

und ehrenamtlichen Repräsentanten.

Gerade in Zeiten raschen Strukturwan-

dels benötigen sie regelmäßige Schulung

und Unterstützung. Qualifikation durch

Managementwissen, Kommunikations-

fähigkeit und Sachkompetenz sind dabei

zentrale Elemente.

78

Page 81: perspektive21 - Heft 13

Parteien des 21. Jahrhinderts

Aufbau einer DienstleistungskulturParteien müssen sich heute auch als

moderne Dienstleister verstehen. Dazu

zählen strategische Dienstleistungen für

die Arbeit von Partei und Fraktionen wie

etwa Beratung, Projektentwicklung

sowie konzeptionelle und programmati-

sche Entwürfe. Immer wichtiger werden

kommunikative Dienstleistungen wie

Pressearbeit, gekaufte Kommunikations-

kampagnen und hochwertige Materia-

lien zur Öffentlichkeitsarbeit. Das Mana-

gement der Partei muss organisationspo-

litische Dienstleistungen bieten: Beiträge

für die Qualifizierung von Mitgliedern

und Hauptamtlichen sowie Beratungs-

und Unterstützungsangebote für die

Untergliederungen.

Partei als intermediäre Organisation Dienstleister sein heißt für eine

moderne Partei auch, eine vermittelnde

Funktion zwischen verschiedenen politi-

schen Institutionen einerseits und der

Öffentlichkeit andererseits wahrzuneh-

men. Die Parteiorganisation ist Teil eines

Netzwerkes, das die Schwesterparteien

ebenso wie die Fraktionen,nahestehende

Verbände und Gewerkschaften, Par-

teigliederungen und die Regierungsmit-

glieder umfasst. Kommunikation wird

aber nicht nur zwischen politischen

Akteuren vermittelt, sondern auch mit

den Parteimitgliedern, den Medien und

den Wählern.

Öffnung der ParteiVoraussetzung für eine vermittelnde

Rolle sozialdemokratischer Parteien ist

ihre Offenheit gegenüber allen gesell-

schaftlichen Gruppen. Die Dialogfähig-

keit ist die Grundlage für Kompetenz zur

Innovation. Deshalb ist die Öffnung für

junge Menschen notwendig, für Men-

schen, die mit neuen Technologien und

neuen Formen der Wirtschaft arbeiten,

aber auch für all jene, die eine punktuelle

Mitarbeit, Projektarbeit oder Möglichkei-

ten zur befristeten Unterstützung einzel-

ner Ziele oder Personen suchen.

OnlinePartei werdenDabei können die neuen Informations-

und Kommunikationstechnologien, auch

das Internet, helfen. OnlinePartei zu sein

heißt nicht nur, eine eigene Visitenkarte im

weltweiten Netz vorzuzeigen: Es bedeutet

auch, einen direkten Zugang zu den eige-

nen Mitgliedern zu besitzen und damit

Informationen ohne den Filter der Medien

weitergeben zu können. Das Internet

ermöglicht eine schnellere, effizientere

Kommunikation innerhalb der Organisa-

tion und den Gewinn über ein Stück Deu-

tungshoheit über die eigene Politik.

Das Internet eröffnet die Chance, neue

Arbeits- und Organisationsformen zu ent-

wickeln. Diskussionsforen beispielsweise

bilden bereits heute eine nützliche Basis

für politischen Austausch mit Unterstüt-

zern und Gegnern sozialdemokratische

79

Page 82: perspektive21 - Heft 13

Dr. Volker Hauff und Matthias Machnig

80

Politik. Zusätzlich bietet das Internet aber

auch die Chance zur Selbstorganisation

von Interessen-, Fach-, Themen- oder Pro-

jektgruppen,die Mitglieder und NichtMit-

glieder zusammenführen können.

Aufbau von KompetenznetzwerkenKompetenznetzwerke werden immer

wichtiger als eine neue Form der Arbeit

im Vorfeld der politischen Organisatio-

nen. Politische Entscheidungen - etwa im

Bereich der Biotechnolgie oder der Ener-

giewirtschaft werfen heute ökonomi-

sche, ökologische, finanzielle, soziale und

ethische Fragen auf:Eine Partei kann aber

nicht mehr alles Wissen, das zur Lösung

komplexer Probleme notwendig ist,

bereit halten. Sie muss deshalb den

Anstoß dazu geben, all jene, die über

Kompetenz in Sachfragen verfügen, zur

Zusammenarbeit zu bringen.

Der rasche Strukturwandel fordert den

Sozialdemokraten Antworten auf neue

soziale Fragen ab. Die Veränderung der

Gesellschaftsstruktur erfordert aber auch

einen Wandel der Organisation, denn sie

haben organisatorische und institutio-

nelle Konsequenzen: Sozialdemokrati-

sche Parteien benötigen vielfältigere und

zugleich offenere Formen der Mitarbeit,

flexiblere Formen der Organisation und

der politischen Dienstleistungen und

professionelles kommunizieren in den

Medien. Darüber hinaus müssen Sozial-

demokraten neue Dialogformen für den

politischen Diskurs in unseren Gesell-

schaften entwickeln. Bei alle dem gilt:

Organisation ist Politik, programmati-

sche Arbeit hat organisatorische Voraus-

setzungen.

Organisationen, auch Parteien, sind

kein Selbstzweck. Sie werden Vertrauen

und Unterstützung gewinnen, wenn sie

offen in und für die Gesellschaft sind.

Dr. Volker Hauff ist Mitglied im Vorstand der KPMG - Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Matthias Machnig ist Bundesgeschäftsführer der SPD

http://www.spd.de

4. Organisation ist Politik

Page 83: perspektive21 - Heft 13

BRANDENBURGER STEHEN EIN FÜRTOLERANZ UND FREMDENFREUNDLICHKEIT.

Die Aktion „Brandenburg gegen Rechts“ entstand als Gegenreaktion aufdie vielen fremdenfeindlichen Übergriffe der vergangenen Jahre in Bran-denburg. Es ist höchste Zeit, dagegen Widerstand zu mobilisieren!

Darum haben sich in den letzten Wochen

eine ganze Reihe von Verbänden, unter ande-

rem die Falken, Jusos und die Landjugend zu

einer gemeinsamen Aktion entschlossen.

Mit Postkarten, T-Shirts, Ansteckern und Auf-

klebern dokumentieren wir im alltäglichen

Leben unsere Einstellung. Rechtsextremis-

mus darf nicht zur dominierenden Jugend-

kultur werden. Deshalb ist es notwendig,

dass alle Demokraten ihre Haltung auch sichtbar in der Öffentlichkeit dar-

stellen. Diese Materialien werden von dem Aktionsbündnis zu Selbstko-

stenpreisen an Interessierte abgegeben.

Ein weiteres wichtiges Projekt des Aktionsbündnisses ist das Internet-Por-

tal „Aktiv gegen Rechts“. Unter der Adresse http://www.aktiv-gegen-rechts.de finden sich jede Menge nützlicher Tipps für alle, die sich mit dem

Rechtsextremismus in Brandenburg und der Bundesrepublik näher

beschäftigen. Hierzu gehört in erster Linie eine umfangreiche Linksamm-

lung rund um das Thema Rechtsextremismus. Sie bietet vielfältige Hinter-

grundinformationen und aktuelle Hinweise zum Thema Rechtsextremis-

mus. Mittlerweile haben wir mehr als 36.000 Zugriffe auf unsere Seiten

gehabt. Daneben kann man unter der Adresse einen Newsletter abonnie-

ren. Alle Materialien können im Shop online bestellt werden.

Neugierig geworden? Dann schau einfach vorbei:

www.aktiv-gegen-rechts.de

Page 84: perspektive21 - Heft 13

Bislang erschienen:

1. Zukunft der brandenburgischen Hochschulpolitik*

2. Sozialer Rechtsstaat*

3. Informationsgesellschaft*

4. Verwaltungsreform*

5. Arbeit und Wirtschaft*

6. Rechtsextremismus*

7. Brandenburg - die neue Mitte Europas

8. Was ist soziale Gerechtigkeit?

9. Bildungs- und Wissensoffensive

10. Zukunftsregion Brandenburg

11. Wirtschaft und Umwelt

12. Frauenbilder

SPD-Landesverband Brandenburg, Friedrich-Ebert-Straße 61, 14469 PotsdamPVSt, DPAG, Entgelt bezahlt, A47550

* leider vergriffen