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Suspension: Warum sich Menschen an Fleischerhaken aufhängen lassen Studentenmagazin für die Universitäten Bochum, Dortmund und Duisburg-Essen 052011 pflichtlektüre Wo hakt‘s denn?

pflichtlektüre 05/2011

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Die neue Ausgabe des Studentenmagazins pflichtlektüre mit folgenden Themen: Suspension - Warum sich jungen an Haken aufhängen lassen, ein App-Test für Studenten und was Arbeits- und Praktikumszeugnisse wirklich über uns sagen.

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Suspension: Warum sich Menschen an Fleischerhaken aufhängen lassen

Studentenmagazin für die Universitäten Bochum, Dortmund und Duisburg-Essen

052011

pflichtlektüre

Wo hakt‘s denn?

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eins vorab

TEXTDominik mercks foToLena kaLmer

03rein

Jedes Jahr im Oktober beginnt ein Naturschauspiel, gegen das die Paarung der Blauwale ein Kinderspiel ist: die Invasion des gemeinen Campus-Erstis (studentus primitivissimus). In Horden fallen sie ein,

verbreiten sich blitzartig auf dem kompletten Gelände zwischen Hör-saal und Mensa, besessen und getrieben von einem einzigen Ziel: sich

festzusetzen und die bisherige Population zu verdrängen.

Äußerlich ist der gemeine Campus-Ersti leicht zu erkennen, auch wenn sich die Merkmale des Männchens (Milchbubigesicht, drei

Bartstoppeln) von denen des Weibchens (blond, klein, naiver Blick) klar unterscheiden. Und auch seine Strategie im Kampf um den

Lebensraum auf dem Campus ist schnell durchschaut: Grundsätzlich nur in größeren Horden auftretend, versucht der Ersti, den alteinge-sessenen Studenten (studentus diplomus) von seiner Nahrungsquelle fernzuhalten. Dazu inszeniert er in der Mensa Massenaufläufe, die

unter dem Vorwand, ihre Teilnehmer würden sich hier noch nicht auskennen und hätten das Ach-so-komplizierte Bezahlsystem noch

nicht begriffen eigentlich nur dem Zweck dienen, den studentus dip-lomus auszuhungern und letztendlich aus der Mensa zu vertreiben.

Spätestens nach ein paar Wochen Belagerung hat diese Taktik Erfolg: die alteingesessene Population resigniert und zieht sich in ruhigere

Gefilde – auch bekannt als „WG-Küche“ – zurück. Hier verharrt sie ein paar Monate und wagt sich dann zurück auf den Campus, denn sie kann sich sicher sein: Nach einem halben Jahr, in diesen sonder-

baren Sphären des Tierreichs „Semester“ genannt, mutiert der gemei-ne Campus-Ersti zum etablierten Studenten (studentus alcoholicus) und stellt keine Gefahr mehr dar. Spätestens dann hat er erkannt,

dass nicht der studentus diplomus sein Fressfeind ist – sondern der Schimmelpilz und das Bürokratiemonster (monstrum bologna).

pflichtlektüre-Naturforscher Dominik Mercks in freier Wildbahn - auf der Suche nach dem studentus primitivissimus.

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Rein

06

studium

10

2022

LeBen

28

Raus

BilderrätselÜber die abbey Road ins Kino deiner Wahl. 36

04inhalt

Momenteaugenblicke zum nachfühlen.

34

JoB

14

KulturgebietFlanieren mit den Flippers: Freizeit kann so vielseitig sein.

Abhängen leicht gemacht Haken in den Rücken und ab unter die decke: Wer macht sowas freiwillig?

App-solut nötig?die besten apps fürs studium – ein tag im Land der wischenden Handbewegung.

Der Ältestenrat sprichterstis fragen, altstudenten antworten: sinn und unsinn von Leben und studium.

Mangelhaft bis ungenügend individualität sieht anders aus: Vom einheitsbrei beim Praktikumszeugnis

Engagiert im Studium die initiative „Weitblick“ arbeitet an entwickölungsprojekten

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05rein

Fakt ist...... an der universität duisburg-essen ist der anteil

ausländischer studenten am höchsten. die meisten kommen aus China ins Ruhrgebiet.

22.284

1.790

8 %

China

UDETU D.RUB

Türkei

UDETU DRUB

Russland

UDETU DRUB

Bulgarien

UDETU DRUB

1.987

1.197396394

634

323137174

459

22365171

360

16677117

Ukraine

UDETU DRUB

247

1234480

GRAFIKMichael KlingeMann Fotogabi SchoeneMann/pixelio RECHERCHEanDReaS bÄUMeR

Studenten:

Ausländische Studenten

Anteil an Gesamtstudentzahl:

34.024

2.429

7 %

Universität Duisburg-Essen Ruhr-Uni Bochum TU Dortmund

Studenten:

Ausländische Studenten

Anteil an Gesamtstudentzahl:

Studenten:

Ausländische Studenten

Anteil an Gesamtstudentzahl:

31.806

4.102

13 %

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Mailt uns eure Momente-Fotos! [email protected]

Momente *

06rein

Benedikt Borchers: Letztes Picknick am Möhnesee.

Daniel Bläser: Regen auf dem Ruhrschnellweg.

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07rein

Hendrik Lohoff: Tanken am Dortmunder U. Lara Eckstein: Auf der Jagd nach dem Moment.

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08rein

MÄRCHENKirsten Hein FotoAnDreAs BÄUMer

Lost & FoundWie ein pinkes Bienchenkissen seinen Besitzer verlor…

Bernd ist von Hobby Motorradfahrer. Er steht auf Iron Mai-den, Sepultura und Pantera. Eines Tages fährt Bernd mit seinen Kumpels ins benachbarte Sauerland. Als die Motorradtruppe mal für kleine Jungs muss, machen sie in einem kleinen Ort Rast. Da entdeckt Bernd ein kleines Tante-Emma-Lädchen. „Super – dort finde ich bestimmt etwas für meine Frau“, denkt er sich. Die ist nämlich schwanger. Und kann mit Bernds Rockmusik rein gar nichts anfangen.

Als er sich so umschaut, findet er ganz hinten im Regal ein kleines pinkes Bienchenkissen. Bernd findet es unglaublich kitschig und ist auch ein wenig geblendet von der markanten Farbe. Dennoch ist er sich sicher, dass dies genau das richtige für seine Frisch-Angetraute ist – und kauft es.

Die gesamte Fahrt lang muss Bernd sich also nun von seiner Clique verspotten lassen. Passt dieses Geschenk doch so gar nicht zu dem vollbäuchi-gen, langhaarigen, Lederwes-ten-tragenden Rocker. Aber er schluckt seinen Stolz herunter und lässt den Hohn über sich ergehen. Was tut man nicht alles.

Schließlich möchte Bernd sei-ner schwangeren Frau eine Freude machen. Er denkt bloß an ihr Lächeln und schon ist der ganze Spott der Kumpels

vergessen. Zu Hause angekommen schenkt Bernd seiner Frau das Bienchenkissen. Stolz, sie und ihr Ungeborenes glücklich machen zu können.

Anderthalb Monate später läuft das frischgebackene Elternpaar über den Campus der Uni Dortmund. Eine gute Ausbildung soll das Kind später einmal bekommen. Dennoch können die beiden sich

nicht einigen, welche der Ruhr-Unis die beste für ihr Kind ist. So fangen sie an zu streiten und die Frau

wirft das Bienchenkissen wutent-brannt ihrem Gatten entgegen.

Hätte sie sich doch viel lie-ber von ihrem geliebten

Ehemann ein paar Motorradstiefel für

ihren ersten Motor-radtrip gewünscht.

Denn sie liebt ja ihren Rocker. Schnell ist der Streit vergessen und genauso auch das Kissen, das lange Zeit

noch vergeblich auf der Parkbank

auf seine Besitzerin wartete.

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Was machen Musikstudenten, wenn sie auf einer Party in Weinlaune sind? Ein Orchester gründen. So ent-stand 1994 das Studentenorchester der TU Dortmund. Holger Ellwanger (41) hatte damals die Idee und

dirigiert mittlerweile über 70 Musiker.

Dirigierstäbe, die bekommen doch nur echte Dirigenten, dachte der heu-te 41-Jährige. Sein erstes Konzert mit dem Schulorchester hat er deshalb ohne Profi-Stab dirigiert – stattdessen gab er den Takt mit einem langen Streichholz an. Den ersten richtigen Dirigierstab gab’s dann ein halbes Jahr später von seinem Bruder zu Weihnachten.

tExtJulia Knübel, HannaH SanderS Fotolena Kalmer

Schon als Sechsjäh-riger war Holger Ellwanger von klassischer Musik begeistert: Beetho-vens 5. Symphonie hatte es ihm ange-tan. Damals hörte er die Musik noch auf Schallplatte, heute spielt sein Orchester nach diesen Noten.

Der Campusdirigent

09studium

Als er zehn Jahre alt war, fragte ihn seine Musiklehrerin, ob er Kontrabass lernen wolle. Holger Ellwanger sagte ja – obwohl er nicht wusste, was ein Kontrabass ist. Heute ist der Bass sein Lieblingsinstrument.

Am Ende jeden Semesters gibt das Orchester ein großes Konzert vor bis zu 1000 Zuhörern. Und obwohl Holger Ellwanger schon seit 25 Jahren dirigiert – ein bisschen Lampenfieber hat er immer. Wenn sein Puls dann rast, muss er aufpassen, dass er nicht zu schnell dirigiert.

Holger Ellwanger ist Lehrer für Musik und Deutsch in Essen. Für sein Orchester pendelt er jede Woche nach Dortmund. Die Fahrt ist es ihm jedes Mal wert, trotz Baustellen und Staus. Das Dirigieren macht ihm einfach Spaß.

Im Orchester sitzen nicht nur Musik-studenten - auch Mathematiker und Raumplaner können Geige spielen. Das Repertoire der Hobbymusiker reicht von Klassik bis Filmmusik. Das Studentenorchester ist schon bis nach Frankreich, Portugal und Russland gereist.

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Erstis fragen...Sebastian Tiede (24) ist im 9. Semester an der TU Dortmund.

Er studiert Logistik.

„Meistens gehe ich in den Pausen in die Mensa und treffe mich mit Freunden. Die Zeit zwischen den Vorlesungen nutze ich wenn möglich zum Entspannen, es sei

denn, ich muss unbedingt lernen. Mit Kommilitonen Erfahrungen auszutauschen ist auch immer spannend, besonders wenn sie andere Studienfächer haben. Je nachdem wie das Wetter ist, sind wir in den Pausen draußen oder drinnen. Im Winter haben wir sogar schon mal eine Schnellballschlacht auf dem Campus gemacht. Und da ist

keiner gekommen und hat gemeckert wie in der Schule.“

„Wenn man zu einer der Veranstaltungen nicht hingeht, dann stellt sich die Frage einfach nicht, dann hat man nämlich keine Pause zu überbrücken. Aber da das ja

auch nicht immer geht, treffe ich mich mit Freunden zum Kaffee trinken oder gehe dann doch mal in die Bibliothek zum Lernen. Der Hochschulsport ist auch sehr gut.

Im Sommer spiele ich oft Basketball. Bei längeren Pausen kann man ja auch mal grillen. Letztes Jahr habe wir einfach einen Einweggrill mitgebracht und draußen gegessen. Zur zweiten Veranstaltung ist es dann aber nicht mehr gekommen…“

Benjamin Dietrich (23) studiert Wirtschaftsingenieurwesen im 6. Semester an der TU Dortmund

Joscha Brinkmann (20) will Chemieingenieurwesen

an der TU Dortmund studieren. Seine Frage: Wie

überbrücke ich am besten die Zeit zwischen den

Vorlesungen?

„Ich würde für den Anfang auf jeden Fall eine Zwischenmiete empfehlen. So kann man im Studium Leute kennen lernen, mit denen man dann vielleicht zusammenziehen

möchte. Außerdem findet man so die beste Wohngegend und hat genug Zeit, das Studium zu testen. Ich habe zuerst auf einem Bauernhof in einer Dreier-WG gewohnt, das hat aber leider nicht geklappt. Die Anbindung zur Uni war einfach schlecht und die eine Mitbewohnerin war furchtbar. Jetzt wohne ich in der Bochumer Innenstadt und das klappt super. Wichtig ist, dass man aufeinander Rücksicht nimmt, mal den Abwasch

macht und nicht stundenlang das Bad blockiert. Das Tolle an der eigenen Studentenbude: Man kann machen was man will. Wir haben zum Beispiel immer jemanden auf der

Couch schlafen und so wird es nie langweilig.“

Hilke Göken (23) studiert Medizin im 6. Semester an der Ruhr-Uni Bochum.

10studium

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Erstis fragen...

„Mir hat es geholfen, die Erstsemestertutorien zu belegen. Da kann man viele neue Leute kennen lernen und dann zusammen das Unigelände erkunden. Man darf

aber auch keine Scheu haben, höhere Semester und Dozenten anzusprechen und zu fragen. Die meisten sind da sehr hilfsbereit, schließlich hat jeder mal neu angefan-

gen. Und die Unipartys sollte man auf jeden Fall mitnehmen. Ich habe so viele neue Kontakte gefunden und hatte mich schnell eingelebt.“

„Klar, wenn man am Anfang an die Uni kommt, ist erst mal alles etwas verwirrend, gerade in den Massenstudiengängen. Meist kennt der Prof nicht mal die Namen. Um sich zurechtzufinden, ist es zu Beginn besonders wichtig, den Kontakt zu den höhe-

ren Semestern zu suchen. Was wir auch erst später gelernt haben: Vorlesungen sollten direkt nachbereitet werden, sonst kommt man irgendwann nicht mehr mit und das Studium macht keinen Spaß mehr. Aber wenn man am Anfang noch nicht genau

weiß, wo man im Job später hin will, ist das nicht so schlimm. Das geht den meisten so. Im Laufe des Studiums merkt man dann, was einem am besten gefällt.“

Anne Nuhn (31) ist im 20. Semester. Sie studiert Kunst und Deutsch auf Lehramt an der Uni Duisburg-Essen.

Sascha Plate (24) und Kaled Haqparwar (24) sind Kommilitonen an der Ruhr-Uni Bochum. Beide studieren Wirtschaftswissenschaften im 10. Semester.

„Ich würde für den Anfang auf jeden Fall eine Zwischenmiete empfehlen. So kann man im Studium Leute kennen lernen, mit denen man dann vielleicht zusammenziehen

möchte. Außerdem findet man so die beste Wohngegend und hat genug Zeit, das Studium zu testen. Ich habe zuerst auf einem Bauernhof in einer Dreier-WG gewohnt, das hat aber leider nicht geklappt. Die Anbindung zur Uni war einfach schlecht und die eine Mitbewohnerin war furchtbar. Jetzt wohne ich in der Bochumer Innenstadt und das klappt super. Wichtig ist, dass man aufeinander Rücksicht nimmt, mal den Abwasch

macht und nicht stundenlang das Bad blockiert. Das Tolle an der eigenen Studentenbude: Man kann machen was man will. Wir haben zum Beispiel immer jemanden auf der

Couch schlafen und so wird es nie langweilig.“

Hilke Göken (23) studiert Medizin im 6. Semester an der Ruhr-Uni Bochum.

Sina Resch (19) hat sich für Medienwissenschaften und Germanistik an der RUB beworben. Noch lebt Sina

Zuhause, doch sie fragt sich, wie man als Student am

besten wohnt. Was muss man im WG-Leben beachten?

Nina Kotissek (18) möchte im Oktober mit Philosophie und Literaturwissenschaften an der RUB anfangen. Da

die Uni eine Nummer größer als die Schule, fragt sie:

Wie finde ich mich da als Neuling am besten zurecht?

11studium

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Annemarie Kolnsberg (22) studiert im 6. Semester Rehabilitationspädagogik an der TU Dortmund.

„Ich lerne immer auf den letzten Drücker, da hat man keine Zeit mehr, um nicht motiviert zu sein. Ansonsten hilft es mir, mich mit Freunden zum Lernen zu verabre-den. Draußen Lernen ist auch gut oder sich überall in der Wohnung kleine Zettelchen hinkleben. Ich laufe beim Lernen oft durchs Zimmer und sage den Stoff laut vor mir

her. Grundsätzlich muss man viel mehr tun als in der Schule - Abi mache ich quasi jedes Semester. Aber, Erstis, ihr braucht keine Angst zu haben, irgendwie ist alles zu schaffen.“

„Wenn ich unmotiviert bin, versuche ich mir zu sagen, dass ich die Klausur ja eh schrei-ben muss. Also kann ich auch gleich richtig lernen und dann beim ersten Mal bestehen. Ich halte mir dann das große Ziel vor Augen: Ich will diesen Uniabschluss bekommen

und da gehört Lernen eben dazu. Wenn gar nichts mehr geht, hilft auch eine kleine Pause mit frischer Luft, ein gutes Buch oder etwas zu Essen. Manchmal lerne ich auch in der

Gruppe. Klar habe ich es schon mal nicht geschafft, mich zu motivieren. Die Konsequenz: Ich bin durch die Klausur gefallen. Naja, dann habe ich sie eben noch mal geschrieben.“

Thorsten Pöttger (35) will Lehrer werden und studiert im 11. Semester Deutsch an der UDE.

Nadia Makwandy (22) hat sich an der UDE für

Computer Engineering be-worben. Sie fragt sich:

Wie kann ich mich motivie-ren, wenn ich mal keine Lust

habe zu lernen?

Lea Henke (21) studiert zwar erst im 4. Semester Germanistik und Erziehungswissenschaften an der RUB,

„Das geht doch ganz automatisch: Man lernt neue Leute kennen, zieht in ein neues Um-feld... Ich finde, dass man insgesamt offener wird und mehr Verantwortung übernimmt, weil man nicht mehr alles hinterher getragen bekommt. Viele müssen sich zum Beispiel einen Job suchen, um ihr Studium zu finanzieren. Und ich habe gelernt geduldiger zu

sein – allein schon durch die ganze Uni-Bürokratie! Außerdem bin ich selbstbewusster als früher, weil ich stolz darauf bin, zu studieren. Ein paar neue Piercings sind auch dazu

gekommen, meine Haare waren aber schon immer bunt

...Studis antworten

12studium

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Gökhan Sel (30) ist schon lange an der Uni. Er studiert Wirtschaftsinformatik im 16. Semester an der UDE.

„Man sollte an der Uni auf jeden Fall mal die Perspektive wechseln und Dinge aus ver-schiedenen Sichtweisen betrachten. Dazu hat man später oft keine Zeit mehr. Man sollte

sich diese Zeit nehmen und bekannte Dinge im Leben neu entdecken. Ich finde es wichtig, das zu studieren, was einen wirklich interessiert. Aber ich habe auch mal ein Semester

lang auf jeder Party gefeiert, die es gab. Außerdem war mir immer wichtig, dass ich meine Kommilitonen privat treffe. Wir fahren zum Beispiel in den Semesterferien zusammen in

den Urlaub und denken mal nicht an die Uni.“

„Wenn man an der TU studiert, dann sollte man sich mal den Dudelsackspieler anschau-en. Den haben meine Freunde und ich vor ein paar Wochen entdeckt. Einmal in der

Woche gibt ein Mann auf der Wiese zwischen Nord- und Südcampus ein kleines Konzert. Außerdem finde ich es ganz wichtig, sich nicht zu viel Stress zu machen. Wenn man alles auf einmal schaffen will, dann lernt man meist am wenigsten. Im ersten Semester war es mir besonders wichtig, Kontakte zu knüpfen und Freunde zu finden. Mit den Leuten, die

ich im ersten Semester getroffen habe, bin ich noch heute befreundet.“

Felix Getzewitz (23) studiert Rehabilitationspädagogik im 6. Semester an der TU Dortmund.

Qian Wang (22) ist extra fürs Studium aus China nach Deutschland gezogen. Sie hat sich für Betriebswirtschafts-lehre an der UDE beworben und möchte wissen, was man an der Uni unbedingt einmal

erlebt haben sollte.

Lea Henke (21) studiert zwar erst im 4. Semester Germanistik und Erziehungswissenschaften an der RUB,

„Das geht doch ganz automatisch: Man lernt neue Leute kennen, zieht in ein neues Um-feld... Ich finde, dass man insgesamt offener wird und mehr Verantwortung übernimmt, weil man nicht mehr alles hinterher getragen bekommt. Viele müssen sich zum Beispiel einen Job suchen, um ihr Studium zu finanzieren. Und ich habe gelernt geduldiger zu

sein – allein schon durch die ganze Uni-Bürokratie! Außerdem bin ich selbstbewusster als früher, weil ich stolz darauf bin, zu studieren. Ein paar neue Piercings sind auch dazu

gekommen, meine Haare waren aber schon immer bunt

Dirk Heidkamp (29) möchte Maschinenbau oder Physik an der UDE studie-ren. Er möchte wissen, wie

das Studium einen persönlich voran bringt. Wie verändert

man sich durch die Uni?

...Studis antworten

13studium

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14leben

Apps können alles. Für viele Studenten ist ein Alltag ohne die kleinen Helfer kaum noch vorstellbar.

Unsere beiden pflichtlektüre-Autorinnen sind dagegen absolute App-Anfänger.

Einen Tag lang tauchten sie in die App-Welt ein – ein App-Test von Skeptikern.

TEXTLydia KLöcKner, danieLa aLbat FoTosLena KaLmer

A P Pin den Müll?

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15leben

Müde Menschen starren ausdruckslos auf ihre Touchscreens. Rechts von mir, links von mir und auch auf dem Sitz gegenüber wischen Finger über glatte Oberflächen. Ich sitze in der S-Bahn auf dem Weg zur Uni und mir wird klar: Heute werde auch ich für einen Tag zur eingeschweißten Gemeinde der iPhone- und App-Fanatiker gehören.

An der Uni treffe ich meine Testpartnerin. Ich bin gespannt: Hat die Weck-App funktioniert und wenn ja: Ist Lydia wirklich so entspannt und optimal erholt, wie die App verspricht? Ein wenig positive Energie für den heutigen Tag könnte ich gut gebrauchen.Doch als ich Lydia treffe, merke ich sofort: Irgendetwas muss schief gelaufen sein…

Mini-Schlaf-Labor„Das war eine Tiefschlafphase“, denke ich entrüstet, als ein nerv-tötendes Panflöten-Gedudel mich weckt. Dabei hatte ich so viel Hoffnung in diese App gesetzt: Der erste Wecker, der Rücksicht auf die Bedürfnisse seines Opfers nehmen soll. Angeblich analy-siert die App „Sleep-Cycle“ mit einem Bewegungssensor meinen Schlafrhythmus und weckt mich netterweise dann gezielt in einer Leichtschlaf-Phase. Das Problem: Ich bewege mich sehr viel im Schlaf, gerne auch in den Tiefschlafphasen. Frustration breitet sich in mir aus: Das blöde Ding hat mich zehn Minuten zu früh geweckt!

Motivation per FingertippDer gemeine Morgenmuffel begrüßt den Tag mit einer Tasse Kaffee. Vielmehr kann man auch nicht tun gegen den demotivie-renden Gedanken eines langen Uni-Tages. Aber heute ist ja alles anders, denn heute trumpfe ich mit meiner Motivations-App auf. Täglich frische positive Gedanken, der heutige: „Der Motivations-Tipp kann zurzeit nicht geladen werden. Versuchen Sie es später noch mal.“ Ich beschließe, dass die App das nicht böse meint und setze vorerst auf Eigenmotivation.

KlamottenvorhersageDie erste App, die mir weiterhilft: Pulli oder T-Shirt? Laut der Wet-ter-App eindeutig T-Shirt. Mein Radio schaut mich vorwurfsvoll an. Prompt plagt mich das schlechte Gewissen: Ich habe das nette Wetter-Gespräch zwischen den beiden sympathischen Radiomode-ratoren verpasst, um auf die triste Wetterkarte meiner iPhone-App zu starren. Nur heute, verspreche ich meinem Radio und mache mich auf den Weg Richtung Uni. Weder erholt noch motiviert treffe ich Daniela an der S-Bahn-Station. Gemeinsam testen wir die Motivations-App noch einmal – und siehe da, sie zitiert weise Worte einer amerikanischen Meditati-onslehrerin: „Es ist schwer, gegen einen Feind zu kämpfen, der sich in deinem Kopf eingenistet hat.“ Aha, dagegen hat mich der erste Beitrag ja geradezu umgehauen.

Morgens sieben Uhr in Deutschland: Sleep-Cycle schlägt zu.

Schlauer als der Prof?Es ist acht Uhr. Wir sitzen in der Physik- Vorlesung und haben nur einen Wunsch: Einmal die wirren Rechnungen an der Tafel, wenn auch nicht nachvollziehen, dann doch wenigstens nachrech-nen können – das verspricht die Physik Rechner Lite App. Mit ihr kann man zum Beispiel Kollisionen von Teilchen berechnen. Wir wittern die Gelegenheit, unseren Physik-Prof zu beeindrucken, der uns normalerweise eher für Physikanalphabeten hält (zu Recht). Also starten wir gleich zu Beginn des Seminars die App und sind enttäuscht: Unser heutiges Thema (Kristallbindungen und Wechsel-wirkungen zwischen zwei quantenmechanischen Systemen) eignet sich leider gar nicht dafür. Naja, aber bestimmt hätte es andernfalls richtig toll funktioniert…

Notizblock ohne GekritzelWir schlurfen in das gegenüberliegende Gebäude und klettern in den dritten Stock. Unser Professor erwartet uns und äußert bald schon gut gemeinte Anregungen, die bis zu 20 mal in seiner Vorle-sung fallen: „Es gibt da auch ein Werk von Müller, das sie unbe-dingt gelesen haben sollten“, „Haben Sie sich eigentlich schon diese nützliche Internetseite angesehen?“ Wir haben uns gewappnet: Die Evernote-App schützt uns vor dem Vergessen, deshalb ist auch ein süßer Elefantenkopf auf dem Miniquadrat abgebildet. Man gibt einfach seine Notizen ein und dank automatischer Synchronisation weiß binnen Sekunden auch schon der Laptop zu Hause Bescheid.

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16leben

Hirn-aus-SpieleKein Hirn kann 24 Stunden am Tag auf intellektuellen Hochtouren laufen. Deshalb halten wir die Chemievorlesung am Nachmittag auch nicht ohne Ablenkung aus. Willkommene Entlastung bieten mehr oder weniger sinnlose Apps wie Paper Toss und Finger Mill. Bei ersterem geht es darum, eine Papierkugel in einen Papierkorb zu werfen. Erschwert wird das Ganze durch einen Ventilator, der das Kügelchen vom Kurs abbringt (gemein!). Da muss man sich sehr auf den Bildschirm konzentrieren, weshalb wir um uns herum nichts mehr wahrnehmen. Danach ist uns nach sportlicher Betäti-gung: Ein kleiner Fingerlauf auf dem iPhone zeigt: Danielas Finger schaffen 1 Meter in 10,37 Sekunden. Diesen Rekord müssen wir speichern! Und Lydia muss auch noch ran…

SparfuchsNach dieser Testphase regt sich in uns ein leiser Verdacht: Sind womöglich solche Spaß-Apps der eigentliche Grund für den App-Wahn und nicht, wie immer behauptet, die „Zeitersparnis“? Nein, denken wir, bestimmt gibt es auch richtig nützliche Apps! Also auf in die Innenstadt, um die letzte App zu testen: die Barcodescanner-App Barcoo. Sie scannt den Strichcode auf der Rückseite von Produkten und findet im Internet den günstigsten Preis. In der Buchhandlung finden wir unser derzeitiges Lieblingsbuch: Atkins Physikalische Chemie. Das kleine Fenster auf dem Bildschirm erfasst den Strichcode und die App beginnt eifrig zu suchen. Binnen Sekunden sind wir schlauer: Das Buch gibt es im Internet tatsäch-lich ein bisschen günstiger – plus Versand.

Mit Mungobohnenspross gegen den Hunger: My Mensa und das Rezept für den „Fittmachersalat“.

Wikipedia für UnterwegsDieselbe Vorlesung, wenig später: „Graue Literatur“, was soll das denn sein? Wir fragen Wikipanion, unser Wikipedia für unterwegs. Daniela tippt den Begriff ein. (Sie versucht es zumindest, aber irgendwie scheinen ihre Finger zu dick für die minimalistischen Buchstabenfelder des iPhones zu sein.) Das App antwortet und wir erfahren: „Als Graue Literatur (englisch fugitive literature, grey literature oder auch gray literature) bezeichnet man in der Biblio-thekswissenschaft Bücher und andere Publikationen, die nicht über den Buchhandel vertrieben werden.“ Diese App ist praktisch, wenn man keine Lust hat, seinen Laptop mit in die Vorlesung zu nehmen und dennoch wissen will, worüber der Mann vorne an der Tafel eigentlich spricht.

Mensa für ZuhauseNach zwei anstrengenden Vorlesungen haben wir uns eine Pause verdient. Und wir haben Hunger. Die MyMensa-App verspricht studentenfreundliche Rezepte. Es gibt verschiedene Kategorien und Kriterien wie kalorienarm oder preiswert. Unsere Wahl fällt auf den Fittmachersalat. Dafür brauchen wir: Endiviensalat (nicht da), Mungobohnensprossen (auch nicht), Kräuteressig (haben wir auch nicht), Rapsöl (nein), Sonnenblumenkerne (auch nicht da) und Ra-dieschen (anwesend!). Alles in allem Zutaten, die im Kühlschrank eines Durchschnitts-Studenten stets vorrätig sind. Aber keine Panik: Wir wissen uns zu helfen. Wir ersetzen den krausen Endiviensalat einfach durch Rucola, verwenden Sonnenblumen- statt Rapsöl und Frühlingszwiebeln anstelle der Mungobohnen. Schmeckt.

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Die letzte App ist getestet und wir fühlen uns ein bisschen befreit: Ab morgen weckt uns wieder ein normal-hysterischer Wecker. Ab morgen erfahren wir das Wetter von freundlichen Stimmen aus dem Radio und schlagen Rezepte in unserem herrlich analogen Koch-buch nach. Und das Beste: Ab morgen laufen wir nicht mehr blind durch die Gegend, weil wir im Bann eines elf mal fünf Zentimeter kleinen Touchscreens gefangen sind. Ab morgen grüßen wir unsere Freunde wieder.

Am Ende des Tages bringen wir das iPhone seinem rechtmäßigen Besitzer zurück. Er erwartet uns sehnsüchtig. Sein Blick streift uns nur peripher, dann fokussieren seine Augen den schmerzlich ver-missten Screen. Seine Finger haben den ganzen Tag schon gezuckt. Endlich vollführen sie die befreiende Wischbewegung: Entriegeln.

Sleep-Cycle für iPhone 0,79 €Motivation für iPhone gratisWetter vorinstalliert auf iPhone Physik-Rechner Lite für iPhone gratisEvernote für iPhone, Android gratisWikipanion für iPhone, Android gratisMy Mensa für iPhone 2,39 €PaperToss, FingerMill für iPhone, Android gratisBarcoo für iPhone, Android gratis

17leben

Die Barcodescanner-App sucht im Internet nach dem besten Angebot für ein Produkt.

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18leben

Julian Meinhold testet Apps. Seit anderthalb Jahren veröffentlicht der 27-jährige Student aus

Dortmund seine Testurteile bei Youtube unter dem Namen „TheSayWhatTube“ -

mit wachsendem Erfolg. Im Interview spricht er über sinnvolle Apps für Studenten.

InTErvIEwLydia KLöcKner FoToeLLen brinKmann

Der Herr der Apps

Du hast einen YouTube-Channel gegründet, auf dem du unter an-derem Apps und andere Apple-Produkte testest. Wie bist du darauf gekommen?

Das war eine Geburt aus der Not heraus. Ich musste einfach üben, frei zu sprechen, ohne immer „Äh“ und „Mh“ zu sagen. Dann habe ich mich beim Sprechen aufgenommen – und das war total langwei-lig. Da habe ich mir überlegt, wie ich das attraktiver machen kann. Ich habe oft Youtube-Channels geguckt und mir gedacht „Ach komm, machst du einfach auch mal einen.“

Welche Apps testest du?

Anfangs habe ich erst mal die Apps getestet, die ich sowieso schon hatte. Mittlerweile kommen Entwickler auf mich zu und fragen „Hey, möchtest du die nicht mal testen?“ und dann schicken sie mir Promo-Codes, die ich an meine Zuschauer weitergeben kann.

Was für Entwickler sind das?

Das sind meistens kleinere Unternehmen, manchmal auch Leute, die das als Hobby machen. Vor kurzer Zeit habe ich eine App von NicSoftware bekommen, das ist eine große internationale Fotosoft-ware-Firma. Da habe ich dann das erste Mal eine richtige Presse-mappe bekommen. Man merkt: Je mehr Zuschauer man bekommt, desto mehr sehen einen die Firmen. Und dann bekommt man auch ein bisschen was zurück.

Wie viele Zuschauer hast du?

Pro Video sind das zwischen 300 und 500 Klicks. Ein Video liegt momentan bei 45.000 Klicks. Abonnenten habe ich um die 900, es geht bald auf die 1000 zu.

Bedeutet das, dass dein Channel erfolgreich ist?

Es gibt zwei Kriterien, nach denen ein Channel bewertet wird: Der Inhalt und die Zuschauerzahl. Die Zuschauerzahl hängt von der Werbung ab, die man für seinen Kanal macht. Aber da ich das ja nie aus kommerziellen Gründen angefangen habe, habe ich auch nie Werbung gemacht. Der größte deutsche Channel-Betreiber hat

Die Videos aus Julians „Testlabor“ werden im Schnitt 1.000 Mal angeklickt.

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19leben

15.000 Zuschauer, also ist meiner 1/15 so groß. Das ist jetzt nicht klein, aber auch nicht groß, eher ein gutes Mittelmaß. Was den Inhalt angeht, werde ich etwas höher eingestuft.

Kannst du damit Geld verdienen?

Ja, man bekommt Geld, wenn man ein Google-Adsense-Konto einrichtet. Wenn dann Werbung auf ein Video geschaltet ist, das halbwegs erfolgreich ist, bekommt man Geld für einen Klick. Wie viel genau darf ich nicht sagen, das steht in den Google-Richtlinien.

Reicht das, um dein Studenteneinkommen aufzubessern?

Jein: Man kann es damit aufbessern, aber man kann es nicht als einzigen Job machen, um sein Studium zu finanzieren. Das würde nicht funktionieren.

Bekommst du Geld dafür, wenn dir ein Betreiber eine App zum Testen zuschickt?

Nein, das nicht. Aber ich bekomme ja Apps umsonst, die teilweise relativ teuer sind. Die teuerste, die ich bekommen habe, kostete 40 Euro. Das ist quasi die Entlohnung dafür.

Was sind die besten Apps für Studenten?

Erstis würde ich den GoodReader oder I annotate empfehlen. Das sind PDF-Reader, die die Folien aus der Vorlesung öffnen können. Dort kann man seine Kommentare dran schreiben und zu jeder Fo-lie etwas notieren. So hat man die Vorlesung immer griffbereit. Der Vorteil ist, dass man da auch mehrere Tabs parallel öffnen kann.

Kann man sich solche Apps als Student überhaupt leisten?

Das Office-App liegt glaube ich bei knapp unter zehn Euro, iStudies Pro und GoodReader kosten beide 2,39 Euro. Die meisten liegen unter zehn Euro.

Was fasziniert Studenten so an Smartphones und Apps?

Das ist ganz einfach: Man kann alles von unterwegs aus machen. Am Anfang dachte ich noch, es wäre auch eine Zeitersparnis: Man kann alles mal eben schnell zwischendurch machen und muss nicht mehr zuhause sitzen. Im Endeffekt spart man aber doch keine Zeit, weil man die ganze Zeit damit rumspielt. Ich persönlich probiere dann auch Apps aus, die ich gar nicht brauche. Aber es ist natürlich schon praktisch, mal eben was nachzugucken, ohne einen Laptop mit sich herumschleppen zu müssen.

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20job

Freiwillig engagiert

Fehlende Schulen und Sklaverei in Ghana: Daran möchte der Studentenverein

„Weitblick“ etwas ändern. Mit ihren Projekten zeigen die Duisburger, dass sich

Studium und Ehrenamt durchaus verbinden lassen.

TexTSebaStian ClauS FoToellen brinkmann

Robert Evers arbeitet in der Studenteninitiatie „Weitblick“ an konkreten Entwickungsprojekten.

„Weitblick“ mit 41 Mitgliedern aus der Taufe gehoben werden. Inzwischen hat der Verein 14 Standorte in ganz Deutschland. Jede „Weitblick“-Stadt kann sich die Länder aussuchen, die sie fördert. „Wir sind in Benin und Kambodscha aktiv, Bonn in Guatemala,

Konzentriert blickt er auf den Bildschirm vor sich. Draußen fällt der Regen in dichten Schlieren vom Himmel und klatscht plätschernd gegen die Fensterscheibe. Doch Robert Evers hat dafür keinen Blick. Denn auf dem Computer fliegen Bilder vorbei: von Frauen in Gewändern, die auf der Straße sitzend Brei stampfen, von kleinen Kindern auf Booten und einer deplatziert wirkenden modernen Wasserpumpe mitten in der Wildnis. Zu fast jedem Foto hat der 24-Jährige eine eigene Geschichte. „Da war ich im Süden Ghanas, in einem ganz kleinen Dorf und habe in der Junior High-School und im Kindergarten unterrichtet.“

Robert Evers studiert an der Universität Duisburg-Essen Politik-wissenschaft und macht gerade seinen Master in internationale Beziehungen und Entwicklungspolitik. Nebenbei engagiert er sich freiwillig im Studentenverein „Weitblick“ für ein Entwicklungs-projekt in Ghana. Ziel dieses Engagements: Der Bau einer Schu-le. In enger Absprache mit einigen Lehrern hat die Gruppe um den 24-Jährigen bereits eigene Unterrichtsstunden geleitet. „Das Unterrichtsthema ‚Globalisierung‘ wurde anhand unserer Erfahrun-gen veranschaulicht. Vielleicht können wir so junge Leute für die weltweiten Auswirkungen ihres Handelns und ihre Verantwortung sensibilisieren.“

Es begann mit einer UrlaubsreiseDer Verein „Weitblick“ kämpft mit vielen Projekten weltweit für einen gerechteren Bildungszugang. Egal ob Armut in Benin, fehlen-de Schulen in Ghana oder ein Ausbildungszentrum in Afrika: Die Studenten setzen sich ein und arbeiten an Lösungen. Reisen sind ein wichtiger Bestandteil der Vereinsarbeit und durch eine Urlaubsreise entstand auch die Idee für die Studenteninitiative: Vor vier Jahren besuchte der Münsteraner Student Andreas Pletziger seinen Bruder in Benin. Nach der Rückkehr stand für ihn fest, dass er sich für das Land engagieren wollte. In Münster suchte er eine überpartei-liche Studenteninitiative, die sich im Bereich Entwicklungspolitik einsetzte. Als er keine Organisation fand, wurde er selbst aktiv: „Ich habe eine Satzung erstellt und Präsentationen an meine Freun-de geschickt. Beeindruckend waren die Reaktionen, viele waren interessiert.“ Ein Jahr später, im Februar 2008, konnte der Verein

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Robert Evers arbeitet in der Studenteninitiatie „Weitblick“ an konkreten Entwickungsprojekten.

Duisburg in Ghana“, nennt Andreas einige Beispiele. Drei Jahre nach der Gründung engagieren sich mittlerweile mehr als 1.200 Studenten. Damit demonstrieren sie, dass Studium und Ehrenamt durchaus vereinbar sind. Der Verein könnte so zum Vorbild für die Zukunft der Freiwilligenarbeit werden.

Diese Entwicklung unterscheidet sich von vielen Freiwilligen-Orga-nisationen, die über Mitgliederschwund und Rekrutierungsproble-me klagen. „Bei uns wirst du auf den Flyern keine verhungernden Kinder sehen und darin keine Überweisungsträger finden. Wir sind keine Schlechtes-Gewissen-Appellierer: Man soll hier seinen Horizont erweitern können und Spaß dabei haben“, erklärt Andreas das Erfolgsrezept.

Kinder-Sklaven für 50 EuroDoch die Arbeit erfordert auch einigen Energie- und Zeitaufwand. „Wir müssen hier in größerem Rahmen denken. Einfach eine Schu-le hinzustellen, das reicht nicht“, erzählt Robert über das Ghana-

Bildungsprojekt. Stattdessen ist die Projektgruppe in einen großen Aktionsplan eingebunden, der größere Teile der Volta-Region im Osten Ghanas umfasst. Dort liegt der größte von Menschen ange-legte Stausee der Welt. Und groß sind dort auch die Probleme.

Es geht um arme Fischer, die in ihrer Not Kinder-Sklaven kaufen und verkaufen. Es geht um den Bau von Fisch-Farmen, um das Einkommen der Fischer zu sichern. Und es geht um Mikrokredite für die Unterstützung der örtlichen Menschen. „Die Probleme der Menschen haben mich tief gerührt. Wenn sie aus ihrer Not heraus keinen anderen Ausweg mehr sehen, als ihre Kinder für umgerech-net 50 Euro als Arbeitssklaven zu verkaufen, muss man einfach handeln“, erklärt Robert sein Engagement.

Für eine rein studentische Initiative sind solche Missstände sehr komplex. „Natürlich müssen wir bei der Arbeit den Rahmen unserer Möglichkeiten beachten. Daher arbeiten wir mit Partnerorganisa-tionen zusammen“, sagt Robert. Für diese Zusammenarbeit setzt „Weitblick“ auf zwei Prinzipien: Transparenz und Nachhaltigkeit. „Wir haben genaue Abrechnungen für alle Ausgaben unserer Orga-nisation. Dazu fühlen wir uns unseren Mitgliedern und Spendern verpflichtet. Außerdem überlegen wir uns vorher genau, was wir machen. Es ist nicht überall sinnvoll, Schulen zu bauen, oft ver-nachlässigt die Regierung dann ihre Aufgaben“, sagt der Duisburger Student.

Die Arbeit als Entwicklungshelfer habe wenig damit zu tun, in ein Dorf zu fahren und in Eigenarbeit die Schule aufzubauen. „Auch das wäre nicht nachhaltig. Es ist für die örtliche Wirtschaft viel besser, wenn man den Menschen eine Arbeit als Dachdecker oder Handwerker ermöglicht.“ Daher konzentriert sich Roberts Projekt-gruppe derzeit auf das Sammeln von Spendengeldern in Deutsch-land. Dieses Fundraising wird vor allem durch die Organisation von Flohmärkten und Sportturnieren betrieben, ab und an werden Partys veranstaltet. Doch auch andere Quellen sollen in Zukunft stärker genutzt werden: „Wir möchten verstärkt an die soziale Verantwortung von Unternehmen appellieren und dort finanzielle Mittel generieren“, beschreibt der Student die Zukunftspläne.Hier sitzt der BWLer neben dem Hippie

„Wir begreifen uns weiterhin als Ideen-Plattform mit flachen Hierarchien. Jeder kann hier gute Vorschläge einbringen“, betont Andreas. „Bei uns sitzen BWLer und Dreadlock tragende Hippies an einem Tisch. Sie werden nie auf einen einzigen gemeinsamen Nenner kommen. Aber sie bewegen sich aufeinander zu - da denkt der BWLer auch mal über Nachhaltigkeit nach und der Hippie sieht ein, dass es auch vernünftige Organisation und Rendite braucht. Aber, gibt Andreas Pletziger zu bedenken, bei all den Diskussio-nen, sei es wichtig „auch zu handeln. Wir singen hier nicht für den Weltfrieden.“

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Gut bis sehr gutDie meisten Praktikumszeugnisse sind gleich – gleich gut. Individuelle Unterschiede sind selten.

Was die Chefs wirklich interessiert.

TEXTChristina sChönberger MiTarbEiTLena KaLmer FoTosLena KaLmer

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Ich sitze am Schreibtisch. Vor mir liegt ein dicker, schwarzer Ordner, voll mit Bescheini-gungen, Zertifikaten und Zeugnissen. Zwei Kilogramm Papier, die mir Pünktlichkeit, Fleiß und Ordnung attestieren. Außerdem bin ich belastbar, teamorientiert und freundlich gegen-über Vorgesetzten, Mitarbeitern und Kunden und besitze eine ausgeprägte Auffassungsgabe. Klar, muss ich ja haben, denn sonst hätte ich die mir übertragenen Aufgaben nicht stets zur vollsten Zufriedenheit ausführen können.

Natürlich bin ich stolz auf diesen Ordner. Immerhin lässt sich an ihm meine bisherige be-rufliche Karriere verfolgen, in die ich schließlich schon viel Zeit investiert und in der ich über das Normalmaß weit hinausgehenden Einsatz gezeigt habe. Und natürlich freue ich mich über meine guten Zeugnisse. Die vielen Kurse und Praktika mache ich ja nicht (nur) zum Spaß. Nach meinem Studium möchte ich mich mit diesen Unterlagen bewerben – sie sind also das Erste, was mein zukünftiger Arbeitgeber von mir sehen wird.

Beim Anblick des Umfangs meines Ordners und der immer gleich lautenden Zeugnisse frage ich mich allerdings, ob diese Unmengen an Papier von potentiellen Arbeitgebern wirklich Wort für Wort gelesen werden – und welche Rolle die Bewertungen dabei tatsächlich spielen. Ich möchte damit nicht sagen, dass ich die Be-wertungen für ungerechtfertigt halte, denn ich bin mir sicher, dass ich die vorzügliche Arbeit tatsächlich geleistet und meine Praktika auch immer mit sehr gutem Erfolg abgeschlossen habe. Ich habe allerdings den Verdacht, dass es ungefähr 99,9 Prozent aller anderen Prakti-kanten genauso geht. Und wenn das so ist, wo genau liegen dann die für die Personalverant-wortlichen relevanten Unterschiede? Was sind die Details, auf die geachtet wird? Da ich in der Lage bin, mich in kürzester Zeit in alle relevan-ten Themengebiete einzuarbeiten, werde ich dieser Frage nachgehen.

Fast nur LobDurch meine gewissenhafte und äußerst struk-turierte Herangehensweise drängt sich mir die Frage auf, ob Praktikumszeugnisse ähnlich gut ausfallen wie Arbeitszeugnisse. Letztere vergeben laut einer Studie [siehe Infografik] durchschnitt-lich die Note 1,89. Ich möchte herausfinden, ob meine Hypothese der immer gleichen Zeugnisse tatsächlich stimmt. Aufgrund meiner Geduld

und meines Einfühlungsvermögens bekomme ich elf Praktikumszeugnisse von sieben Studen-ten verschiedener Studiengänge zur Analyse zur Verfügung gestellt. Dazu nehme ich fünf eigene. Die Zeugnisse kommen aus den Bereichen Au-tomatisierungstechnik, Deutsch als Fremdspra-che, Heilpädagogik, Journalismus (Lokalzeitung, Online-Fernsehen, Radio), Kunst- und Kultur-management, Politische Stiftung, Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung, Verbraucherzentrale, (Wirtschafts-)Ingenieurwesen und Werbung/PR/Kommunikation.

Neun der 16 Zeugnisse besagen, dass die Praktikanten ihre Aufgaben stets zur vollen oder vollsten Zufriedenheit ihrer Arbeitgeber ausge-führt haben. Bei der Umrechnung in Schulnoten entsprächen diese neun Zeugnisse sogar einer Durchschnittsnote von 1,1 – fast eine ganze Note besser als die Arbeitszeugnisse aus der PMS Studie. Aber auch die sieben Zeugnisse, die keine Leistungszusammenfassung enthalten, sind weit entfernt von den Noten Drei und Vier. Insgesamt haben die Arbeitgeber im Mittel mehr als sieben positive Adjektive pro Zeugnis verwendet.

Austauschbare FloskelnMeine kleine Studie ist zwar nicht repräsentativ, trotzdem habe ich das Gefühl, meine Hypothese zur Gleichförmigkeit von Praktikumszeugnissen bestätigt zu wissen. Da ich nun, wie gewohnt, weit über das Normalmaß hinausgehenden Ein-satz zeigen will, stelle ich eine zweite Hypothese auf: Weil Praktikumszeugnisse in der Regel austauschbar sind, werden sie von Personalchefs nicht gelesen und spielen daher im Prinzip keine Rolle. Freundlich konfrontiere ich Personalver-antwortliche verschiedener Unternehmen.

„Das (Praktikums-)Zeugnis ist ein sehr wichtiger Bestandteil der Bewerbung und sollte zu den Bewerbungsunterlagen beigelegt werden. Bewer-berinnen und Bewerber die jedoch kein Prakti-kumszeugnis vorlegen können, werden definitiv nicht benachteiligt. Wir lesen alle Praktikums-zeugnisse sehr genau und achten dabei auf die Feinheiten der Zeugnissprache. Der so genannte Zeugniscode spielt dabei auch eine Rolle“, sagt mir Sener Dogan, Personalsachbearbeiter bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn. „Dafür sehen wir uns zum Beispiel die Schlussformulierung an. Wenn darin sinngemäß nur „Tschüss“ gesagt wird, ist das nicht so gut.“ Ist die Hypothese damit widerlegt?

Praktikumszeugnisse sammeln, Phrasen finden, mit Experten sprechen: wie individuell sind

Christinas Zeugnisse?

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Nicht jedes Zeugnis wird gelesenScheinbar nicht, denn Angela Heese, Personalleiterin bei Dow Cor-ning in Wiesbaden erklärt, dass auch ihr noch kein schlechtes Prak-tikumszeugnis begegnet sei. Außerdem wird „nicht jedes Zeugnis und jede Bescheinigung immer im Detail gelesen. Das ist zeitlich gar nicht möglich.“ Sie sagt aber auch, dass gerade in Deutschland Zeugnisse eine große Rolle spielen und dass sie deshalb schon darauf achte, ob Formulierungen negativ auslegbar seien – was allerdings in Praktikumszeugnissen im Allgemeinen nicht der Fall sei.

Marc Letzing, einer der Geschäftsführer der Metamorf Business Consulting GmbH aus Bochum, formuliert noch grundsätzlicher: „Ich achte nicht auf die Standardsätze. Die stehen in jedem Zeugnis und sind deshalb uninteressant. Wichtiger sind mir die Praktikums-beschreibungen. Die sind oft viel zu kurz beschrieben. Jeder Prakti-kant sollte darauf achten, dass die Beschreibung möglichst genau ist. Das ist es, was ihn für potentielle Arbeitgeber interessant macht.“

So ähnlich sieht es auch Dirk Pfenning, Leiter der Personalge-winnung von Bayer in Duisburg: „Praktika sind wichtig, denn sie zeigen, dass der Bewerber oder die Bewerberin erste berufliche Erfahrungen gesammelt hat. Als international tätiges Unternehmen legen wir zudem Wert auf im Ausland absolvierten Praktika. Auch die uns zugesandten Zeugnisse der Bewerber sind wichtig, nehmen aber nicht den ersten Stellenwert ein. Sollte die persönliche Beur-teilung in einem Zeugnis negativ sein, wird dies Einfluss auf unsere Entscheidung haben. Generell hat die Bewertung in einem Prakti-kumszeugnis aber nicht den hohen Stellenwert wie ein Abitur- oder Studienzeugnis.

Drei von vier Befragten stützen meine These, dass die Noten bloß zweitrangig sind. Das Resultat meiner Recherche: Mein Ordner könnte also ein gutes Kilo leichter sein, wenn man all die offen-sichtlich überflüssigen Bewertungen streichen würde – und das käme vielen Personalchefs sogar noch gelegen. Denn der positive Effekt wäre effizienteres Arbeiten. Eines habe ich allerdings für die Zukunft gelernt: Ich werde bei meinem nächsten Praktikum besser auf die Aufgabenbeschreibungen achten, die offensichtlich eine viel größere Bedeutung haben als die wertenden Formulierungen. Da es meine Gesprächspartner aber nicht geschafft haben, mir mei-nen ganzen Stolz auf meine Zeugnisse zu nehmen, beschließe ich, mich auch weiterhin über sie zu freuen. Umso mehr, als ich beim Durchblättern doch eines finde, das mir in leicht verqueren Sätzen „individuellen Umgang mit Besuchern“ bescheinigt. Es ist sprach-lich zwar nicht so glatt wie die anderen Zeugnisse, dafür aber ein ganzes Stück persönlicher.

In diesem Sinne bedanke ich mich und wünsche uns das Beste für unsere berufliche und private Zukunft.

PS: Leider läuft beim Thema Zeugnisse nicht immer alles so glatt, ansonsten wären Menschen wie Ingelore Stein vermutlich arbeitslos. Auf den folgenden Seiten erklärt die Rechtsanwältin, was bei einem Zeugnisstreit zu tun ist.

Für die Praktikumszeugnisse errechnete Christina eine Durchschnittsnote von 1,1. Sehr gut - doch Standardsätze werden von Personalern oft nicht gelesen.

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Gute Noten auf Arbeitszeugnissen

Eine Untersuchung von 963 Arbeitszeugnissen in den Jahren 2006 bis 2010 hat ergeben: Mehr als 70 Prozent erhielten von ihren Chefs eine Note von 2,0 oder besser.

40%

35%

30%

25%

20%

10%

15%

5%

0%

Note 1,5 Note 3,5Note 2,5Note 2,0 Note 3,0 Note 4,0 Note 4,5 Note 5,0Note 1,0

Datenquelle: Personalmanagement Service GmbH

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Haben Sie unter Ihren Mandanten auch Studenten?

Studierende sind in der Regel nicht so klagefreudig. Die haben ja oft nur kleinere Jobs und kennen dadurch häufig auch gar nicht ihre Rechte. Deswegen setzen Sie sich auch seltener mit einem Anwalt auseinander.

Sollte man sich denn auch als Student öfter gegen schlechte Zeugnis-se wehren?

Wenn man einen Job hat, dann hat man Rechte und Pflichten. Und wenn in die Rechte eingegriffen worden ist, dann sollte man sich auch wehren. Natürlich muss man sich überlegen, dass es oft eben nur ein Job ist, da macht man dann kein Drama draus. Ausbeutung muss man deshalb trotzdem nicht hinnehmen.

Das Gleiche gilt auch für Praktikumszeugnisse?

Ja. Beim Thema Praktikum ist es ja so, dass es dem beruflichen Werdegang dienen soll und von daher ist es ja auch ein bisschen wie ein Ausbildungszeugnis. Und wenn die Praktikumszeugnisse für die Zukunft relevant sind, ist es ja ganz erheblich, was drinsteht. Gegen ein falsches Zeugnis nach einem Langzeitpraktikum zum Beispiel, das für die Zukunft eine große Rolle spielt, sollte man sich unbe-dingt wehren.

Also lieber ein schlechtes als gar kein Zeugnis?

Nein. Wenn es ein Praktikum unter drei Monaten war, würde ich mir einfach nur eine Praktikumsbestätigung geben lassen. Die ist tausend Mal wertvoller als ein schlechtes qualifiziertes Zeugnis. Denn ein potentieller Arbeitgeber sieht dann: „Oh, da hat sie auch schon mal gearbeitet. Das ist ja toll.“ Fertig.

Wenn ich finde, dass ein Zeugnis nicht gerechtfertigt ist, dann rufe ich Sie an und frage, ob Sie mir helfen können?

Also, erster Schritt: miteinander reden. Zweiter Schritt, wenn man

Nur DurchschnittZeugnisse müssen wohlwollend formuliert sein. Trotzdem sind sich nicht immer alle Beteiligten einig.

Welche Rechte und Pflichten man hat und wie man sich gegen schlechte Zeugnisse wehren kann,

erklärt Ingelore Stein, Anwältin für Arbeitsrecht.

inTErviEwChristina sChönberger FoToLena KaLmer

Viele Arbeitgeber schätzen immer noch Fleiß und Pünktlichkeit, meint Ingelore Stein, Anwältin für Arbeitsrecht.

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merkt, dass das Verhältnis nicht so gut ist: anschreiben. Dann, wenn das alles nicht fruchtet, ein zweites Anschreiben mit Fristsetzung und danach kann man sich überlegen, über die Gewerkschaft oder über einen Anwalt zu versuchen, ein anständiges Zeugnis zu bekom-men. So würde ich das machen.

Und wie sind dann die Aussichten auf Erfolg?

Das ist schwierig abzuschätzen, 90% der Fälle beim Arbeitsgericht werden mit Vergleichen abgeschlossen, bei Zeugnissen eigentlich nahezu 100 Prozent. Denn bei Zeugnisklagen ist es ja Quatsch, irgendetwas durchzusetzen.

Was muss überhaupt in einem Zeugnis drinstehen?

Ein Zeugnis muss vollständig und richtig sein, dazu gehört zum Beispiel, dass es ohne Rechtschreib- und Grammatikfehler ist. Darauf hat man einen Rechtsanspruch. Der Arbeitgeber ist auch verpflichtet, alles vollständig aufzuführen, was man getan hat.

Und worauf sollte man sonst noch achten?

Das Zeugnis muss ohne Adresse des Empfängers sein, denn das Zeugnis hat mit der Adresse nichts zu tun. Dafür gibt es ein An-schreiben. Das Zeugnis darf auch nicht geknickt, nicht geheftet, nicht geklammert sein - nichts! Ein wunderschönes Exemplar, wie man auch sein Masterzeugnis kriegen würde. Ordentlich auf dem Briefkopf des Arbeitgebers, mit den Unterschriften der Befugten. Und auch noch wichtig ist, dass das Ausstellungsdatum mit dem Datum des letzten Praktikumstages identisch ist. Also, wenn das

Praktikum am 31.03. geendet hat, muss das Ausstellungsdatum auch 31.03. sein. Maximal vielleicht 14 Tage später. Sobald es einen großen abweichenden Zeitraum zwischen der Beendigung des Praktikums und dem Ausstellungsdatum gibt, weiß ein potentieller Personalchef: „Die haben sich um das Zeugnis gestritten.“

Stimmt es, dass Selbstverständlichkeiten wie zum Beispiel Pünkt-lichkeit nicht mit ins Zeugnis sollten?

Nein, es gibt immer noch viele Arbeitgeber, die darauf achten – Ehrlichkeit, Fleiß und Pünktlichkeit. Spätestens wenn man mit Geld umgeht, will man die Ehrlichkeit, spätestens wenn man innerhalb kürzester Zeit viel zu tun hat, braucht man den Fleiß, also heutzutage Engagement. Pünktlichkeit ist auch nicht negativ. Ich würde sagen, man erwartet das heute schon noch. Etwas anderes ist es aber, wenn da nur steht: Sie war stets ehrlich, pünktlich, fleißig – und sonst nichts. Da fragt man sich, wo der Rest ist.

Wie sieht das mit den guten Wünschen für die Zukunft am Ende des Zeugnisses aus?

Wenn das am Ende nicht steht, also „für die Zukunft alles Gute und viel Erfolg“ und so weiter, dann hat man das Gefühl: So richtig mochten die sich wohl doch nicht. Man hat aber keinen Rechtsan-spruch auf diesen letzten Satz, das ist Wohlwollen, ein netter Akt. Denn es ist ja keine Bewertung, sondern etwas Persönliches. Und wenn das Persönliche fehlt, dann weiß man: Die haben sich nicht verstanden.

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Die Sache hat zwei Haken

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Tattoos und Piercings haben längst ihren Platz in der Gesellschaft gefunden. Sich aber an Haken

aufhängen zu lassen, im Fachjargon „Suspension“ genannt, ist immer noch eine

Randerscheinung. Experten sehen diese Art der Bodymodification kritisch.

TEXTSimon Knop FoTosEllEn BrinKmann

Eine ruhige Hand ist jetzt besonders wichtig. Piercer Martin Kraus weiß: Nichts darf schief gehen. Ein gezielter Stich. Ein dumpfes Knacken. Im nächsten Moment steckt der dicke Stahlhaken in Nicos Rücken. Nico bleibt dabei vollkommen entspannt - immer wieder muss er lachen. „Das tut nicht wirklich weh. Ich kann es ge-rade gar nicht beschreiben, wie sich das anfühlt“, sagt er. Nico liegt auf einer Liege, wie man sie auch in Arztpraxen findet, inmitten eines weiß gekachelten Raums. Durch ein großes Fenster fällt Licht in das Neusser Tattoo- und Piercingstudio „Gelocht und scharf gestochen“.

Hier erlebt Nico seine erste Suspension. Dabei werden nicht nur Haken durch die Haut gestochen, sondern der Suspendierte auch an Seilen oder Ketten in die Luft gezogen. Die Anzahl der Haken und die Stellen, an denen sie gesetzt werden, variieren – jede Position hat ihren eigenen Namen. Je weniger Haken, desto höher ist der Druck, der auf den Körper ausgeübt wird. Nico hat sich für eine „Suicide Suspension“ entschieden, bei der zwei Haken durch den oberen Rückenbereich gestochen werden. Nun ragen sie bereits aus seinem

Rücken hervor - 17 Zentimeter lang und 3,3 Millimeter dick. Die Ausmaße sind bewusst gewählt: „Sonst würde es zum so genannten Käseschnitteffekt kommen. Dabei schneidet sich der Haken ins Fleisch und es kommt zu Infektionen“, erklärt Martin Kraus. Für ihn war es ein langer Weg, bis er sich dazu entschied, Suspensions durchzuführen. Auf einer Convention für Tattoos und Piercings hat er zum ersten Mal eine solche Aufhängung gesehen. Seitdem habe er sich für das Thema interessiert und sich immer tiefer in die Mate-rie hineingearbeitet, besuchte einen Workshop nach dem anderen. „Wenn man so etwas macht, dann sollte man auch wissen, wie man es richtig macht“, sagt er. Im November 2010 installierte er schließ-lich eine Suspension-Vorrichtung in seinem eigenen Studio.

Ursprünge gehen weit zurückSuspensions sind keine Erscheinung der Neuzeit. Ebenso wie Tätowierungen und Piercings hat diese Form der Bodymodification ihren Ursprung in längst vergessenen Kulturen. Daher werden sie

Die Vorbereitungen laufen: Die Haken an Nicos Rücken sind befestigt und der Druck, der auf seinen Körper einwirkt, wird langsam erhöht.

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„Ich bin gerade tierisch glücklich und fühle mich völlig frei“

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Weiß er überhaupt, wohin er genau sticht, welche Gefäße und Nerven da liegen?“, gibt Schäfer zu bedenken. Diese Gefahren sind Martin Kraus durchaus bewusst. „Natürlich ist das eine riesige Ver-antwortung. Den Kunden, aber auch sich selbst gegenüber. Da steht der eigene Name auf dem Spiel“, erklärt der Piercermeister. Aus diesem Grund gehe er besonders mit Kunden, die er nicht kenne, vorsichtig um. „Eine Suspension mal eben so, im Vorbeigehen, gibt es bei mir nicht.“

Ein unbeschreibliches GefühlIm Studio übt sich Nico derweil in Gelassenheit. Die Liege ist weggeräumt, stattdessen liegt eine große durchsichtige Folie auf dem Boden. Von der Decke hängt der Flaschenzug, mit dessen Hilfe Nico in die Luft gezogen werden soll. „Ich weiß echt nicht, wie ich beschreiben soll, was im Moment in mir vorgeht, aber ich bin gerade völlig entspannt“, sagt Nico.

Ein langes schwarzes Seil verläuft durch eine Winde, durch deren Ende eine dicke Metallplatte mit mehreren Löchern befestigt ist. Durch diese Löcher zieht Martin Kraus die Seile, die er an die Ha-ken in Nicos Rücken knotet. Keine einfache Aufgabe, sagt Kraus. „Ich hab‘ schon Seminare besucht, in denen wir acht Stunden damit verbracht haben, Knoten richtig zu knüpfen.“ Mit ruhiger Miene überprüft er die Vorrichtung. „Das muss hier alles entspannt

innerhalb der Szene auch als „Modern Primitives“ bezeichnet. Der Ursprung geht auf die Rituale nordamerikanischer Indianerstämme zurück. Dort wurden Suspensions als Mannbarkeitsritual angese-hen. „Um zum Krieger zu werden, mussten junge Männer diese Mutprobe bestehen und wurden an durch die Brust getriebenen Pflöcken aufgehängt“, erklärt Diplom-Psychologe Erich Kasten, der am Institut für medizinische Psychologie am Universitätsklinikum Schleswig Holstein arbeitet.

Zustände wie im OPDen Weg nach Deutschland fanden die Suspensions erst in den 1990er Jahren. Die Bedingungen, unter denen eine Suspension in der heutigen Zeit durchgeführt wird, unterscheiden sich jedoch we-sentlich von den archaischen Ritualen. Die Atmosphäre im Neusser Studio gleicht der eines Operationssaals – Hygiene und die richtige Vorbereitung haben absolute Priorität. „Die größte Gefahr sind in-fektiologische Folgen“, sagt Robert Schäfer, geschäftsführender Arzt der Ärztekammer Nordrhein „Es ist nicht gewährleistet, dass die unter die Haut eingeführten Körper steril sind und steril eingeführt werden. Es kann sich entzünden, eitern und infektiöse Erkrankun-gen zur Folge haben wie Hepatitis B und C.“

Neben der Gefahr von Infektionen sei auch das Einstechen selbst ein Risikofaktor. „Die Kompetenz des Handelnden ist wichtig.

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Zwischen Krankenhaus-Hygiene und archaischem Ritual: Vorbereitungen für die Suspension im Neusser Piercingstudio „Gelocht und scharf gestochen“.

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ablaufen, weil sonst Fehler passieren können, und ich muss ja nicht erklären, wer darunter leiden muss.“ Aufrecht steht Nico im Raum. Martin Kraus beginnt vorsichtig an der Seilwinde zu ziehen. Zunächst muss Nico langsam an den entstehenden Druck heran geführt werden. Deshalb hält Martin Kraus seine Hände und schau-kelt mit ihm langsam vor und zurück. „Man muss dem Körper Zeit geben, sich daran zu gewöhnen“, erklärt Kraus. Nach und nach wird Nico immer höher gezogen. Sein Blick ist ins Leere gerichtet – immer wieder schließt er die Augen. Doch durch ständige Kommu-nikation weiß Martin Kraus, dass es Nico gut geht.

Etwas später steht er nur noch auf seinen Zehenspitzen – schließlich hängt er völlig frei in der Luft. Schmerzen empfinde er in diesem Moment keine, sagt er. Nach einiger Zeit beginnt Nico sogar, vor-sichtig vor- und zurück zu schaukeln. „Noch ein Stück höher“, sagt er, und Martin Kraus zieht an der Seilwinde. Die Spannung, die sich in Nicos Körper aufbaut, scheint sich bis in die äußerste Ecke des Raums zu verbreiten. „Stopp“, sagt er plötzlich leise, und der Piercer lässt ihn langsam zu Boden gleiten. „Ich bin gerade tierisch glücklich und fühle mich völlig frei“, sagt Nico.

Zwischen Nervenkitzel und WahnEin Gefühl, das in seinem Leben in letzter Zeit zu kurz gekommen sei: „Ich hab‘ nach der Schule bei einer IT-Firma gearbeitet - teil-

weise sechzehn bis achtzehn Stunden am Tag. Das ist mir irgend-wann einfach zu viel geworden. Ich musste da raus. Dann hab‘ ich von den Suspensions erfahren und von Leuten gehört, die über ihre Erlebnisse berichtet haben“, erzählt Nico. Die Suspension sei für ihn ein Weg, dem Alltag zu entkommen.

Über die Motive für Suspensions stimmen Experten und Insider der Szene nur bedingt überein. Diplom-Psychologe Erich Kasten sieht sie zum einen in der reinen Neugier begründet, aber auch im so genannten Sensation-Seeking, die Suche nach Erlebnissen: „Viele wollen ihre Grenzen austesten. Nachdem um die Jahrtausendwende fast jeder dritte Jugendliche gepierct war, musste die Avantgarde noch extremere Wege suchen, um herauszuragen“, erklärt Kasten.

Piercer Martin Kraus hält dem entgegen: „Wir sind alle normale Menschen. Wenn man es nicht selbst erlebt hat, sollte man sich darüber kein Urteil bilden.“ Für Kasten gibt es jedoch ein weite-res Motiv – über die Sehnsucht nach Grenzerfahrungen hinaus: „Schmerz und Lust benutzen im Gehirn zum Teil dieselben Bahnen und Hirnareale“, so der Experte. Dies könne dazu führen, dass Schmerzen in entsprechendem Ausmaß auch als lustvoll erlebt würden. „Bei starken Schmerzen wirft das Gehirn körpereigene Glücksbotenstoffe aus, um den Schmerz zu reduzieren. Das führt dazu, dass die Person regelrecht high werden kann. Berichte von Leuten, die eine solche Suspension gemacht haben, zeigen, dass man dabei bewusstseinserweiternde Erfahrungen machen kann, die den

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Volle Konzentration: Während der Suspension hält Piercer Martin Kraus die Gesundheit der Kunden in seinen Händen.

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,Near-Death-Experiences‘ in vieler Form ähneln.“ Kasten weist auch auf die Suchtgefahr hin. Entscheidend sei, ob der Betreffende seine Zufriedenheit aus verschiedenen Bereichen des Lebens ziehe oder ob er sie nur durch Bodymodifications erhalte.

Dass bei einer Suspension körperliche und geistige Grenzen erreicht werden, kann Martin Kraus bestätigen. „Ich habe auf einer Con-vention erlebt, dass ein 150 Kilo Riese nach einer Suspension am Boden lag und geweint hat“, erzählt er. Letztendlich erlebe jedoch jeder eine Suspension auf seine ganz eigene Art und Weise.

Rechtliche GrauzoneWer Suspensions durchführt, bewegt sich mit seinem Handeln auf einem schmalen Grat. „Suspensions sind juristisch betrachtet Kör-perverletzung mit Einwilligung“, sagt Erich Kasten. Er geht davon aus, dass sie prinzipiell vom Gesetzgeber nie erlaubt würden, da die Gesundheitsgefährdung zu hoch sei, um eine solche Erlaubnis zu bekommen. „Das Ganze spielt sich in einer juristischen Grauzone ab.“ So stehe es einem Gericht frei – auch im Falle des Einverständ-nisses der aufgehängten Person – Anklage gegen den Aufhängen-den zu erheben. Sollte es zu Komplikationen kommen, könne die Einrichtung daher strafrechtlich belangt werden. „Eine Erlaubnis zum Durchführen gibt es also nicht, ebenso wenig eine behördlich anerkannte Ausbildung“, sagt Kasten.

Die Macher der Szene sehen sich selbst in einer völlig anderen Position – auch Martin Kraus. „Man sollte die Menschen einfach so lassen, wie sie sind. Was wir tun, ist keine reine Verschönerung des Körpers, sondern eine Lebenseinstellung“, sagt Kraus. So gäbe es in Deutschland zwar bereits Studios, die sich in Gruppierungen zu-sammenfinden, um gemeinsam Suspensions durchzuführen. Doch fände er Einrichtungen wie die „Church of Bodymodifications“ aus den USA einen guten Anfang, um auch in Deutschland für mehr Toleranz zu werben.

Die Bedenken der Experten stellen auch für Nico keinen Grund dar, von seiner Entscheidung abzuweichen. Nachdem er wieder mit beiden Beinen auf festem Boden steht, fällt er Martin Kraus in die Arme und bedankt sich. Es scheint, als sei eine große Last von ihm genommen: „Es wird zwar eine Zeit dauern, bis ich das hier wirklich realisiert habe, aber eins steht fest: dieses Erlebnis kriegst du nirgendwo anders.“

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Wenn Schmerzen Glück verursachen: In der Luft und nach dem Ende der Suspension.

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Kulturgebiet

Wo ist dein liebster Platz im Ruhrgebiet? Sag‘s uns: [email protected]*

Witten erscheint auf den ersten Blick eher reizlos. Dabei beherbergt die Stadt eine wahre Oase: das Muttental. Dorthin flüchte ich, wenn ich mich nach Ruhe sehne. Jetzt im Herbst ist es dort besonders schön. Die Blätter an den Bäumen leuchten in den verschiedensten Rottönen,

das Laub auf dem Boden raschelt zwischen den Füßen. Dann fühle ich mich an meine Kindheit erinnert, als ich noch Kastanien und Blätter gesammelt habe – und schon erscheint mein Leben heute weniger dramatisch. Noch besser wird es, wenn ich mir in dem urigen Café am

Rande des Waldes eine Waffel mit Kirschen und Sahne gönne. So gestärkt, schlendere ich weiter bis hin zu einer kleinen, leicht erhöht gele-genen Kapelle. Das Häuschen selbst ist leider nicht zugänglich, dennoch mag ich diesen Platz außerordentlich gern: Hier gehe ich schönen Gedanken nach und lasse Unangenehmes einfach vom Wind forttreiben. Von hier oben habe ich eine Aussicht, die ihresgleichen sucht: Vor der Stadt erstreckt sich das Thyssengelände, der Stadtpark mogelt ein bisschen Grün hinein und der etwas kitschig beleuchtete Rathausturm

erscheint sehr großstädtisch. Abends, wenn das Stahlwerk den Himmel in ein magisches Gemälde aus rot-violetten Farben verwandelt, entsteht reine Ruhrpott-Romantik. Wenn dann noch in der Ferne die Stahlteile klangvoll aufeinander fallen, ist die Stimmung perfekt.

Dann habe ich das Gefühl, auf mich und mein Leben zu blicken. Dieser Ort hilft mir herauszufin-den, welchen Weg ich gehen soll und lässt meine Probleme gleich unbedeutender wirken.

Liebster PlatzTexTBritta thomas FotoLena KaLmer

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Peinliche Platte

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bandschriftlich

Mit dem Ruhrgebiet verbindet uns ...

Wir wären gerne Vorband von ...

ProTokollseBastian hetheier FoToDoppeLeffeKtTexTaLexanDer Greven FoToLena KaLmer

Wir machen Musik, weil ...

Probehören auf pflichtlektuere.comwww:

Ehrlicher Rock ohne Laberlyrik und Kompromiss: Dafür steht das Quartett „Doppeleffekt“. Die Jungs aus Datteln zeigen, dass auch deutschsprachiger Rock erfolgreich sein kann. Schließlich spielten sie bereits als Vorband von „Die Atzen“.

Als nächstes planen wir ...

Schreiben ist wie eine Therapie. Ich habe das dringend nötig. Denn erst jetzt bin ich bereit für den Schritt, mich mit meiner musikalischen Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Ich singe gern laut mit, wenn Musik läuft. Das war schon immer so. Zu Grundschulzeiten war ich der festen Überzeugung, dass ich einmal als Sänger auf der Bühne stehen würde. Des Englischen noch nicht mächtig, begnügte ich mich damals mit zweckmäßigen Kauderwelsch-Gesängen zu den Hits aus Amerika und England. Doch letztlich wollte ich mehr, als nur unter der Dusche Neolo-gismen ins Seifen-Mikro zu singen. Deutsche Musik musste her.

Meine Oma öffnete mir schließlich das Tor zur Szene: Als sie mir zum sechsten Geburtstag „Unsere Lieder – Die größten Hit-Erfolge aus 25 Jahren“ von den Flippers schenkte, entdeckte ich die glamouröse Welt des Musikantenstadels für mich. In meinem Zimmer performte ich mit Leidenschaft „Wellen, Wind und schö-ne Mädchen“ – da wollten meine Grundschul-Freunde vom an-deren Geschlecht noch lange nichts wissen. Im Auto auf dem Weg in den Sommerurlaub schmalzte ich mit den drei Flippers im Ohr auf der Rückbank „Ein Herz auf Reisen“. Berüchtigt waren meine Background-Einlagen: „Ouuuuooouuh“ und „Aaaaaeeeaaah“. Es tut mir noch heute leid, dass ich die Nerven meiner Eltern damals so strapaziert habe.

Meine Schlager-Vergangenheit habe ich spätestens mit dem Wech-sel aufs Gymnasium hinter mir gelassen und bis jetzt gut geheim gehalten. Denn es ist und bleibt peinlich. Trotzdem: Die CD habe ich aufbewahrt – in 50 Jahren habe ich sicher wieder Bock, mit meinen drei Freunden zu singen.

Unser Musikstil klingt wie ...

Page 36: pflichtlektüre 05/2011

Rätselraten

36raus

Gewinnspiel: Abbey Road

Finde alle sechs Fehler im unteren Bild und maile die Aufzählung bis zum 30.11.2011 an

[email protected] – samt deiner Ad-resse (für den Fall, dass du gewinnst und deinen Preis

nicht abholen kannst; sonst wird sie gelöscht).

Viel Erfolg!

Zu gewinnen gibt es 2 x 3 Kinokarten der UCI-Kinowelt.

Mit den Blanko-Karten könnt ihr euch aussuchen, welchen Film ihr wo sehen wollt.

Eine UCI-Kinowelt gibt es in Duisburg, die andere im Bochumer Ruhr Park.

Von der Teilnahme ausgeschlossen sind Mitarbeiter der

pflichtlektüre-Redaktion sowie deren jeweilige Angehörige.

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

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Herausgeber Institut für Journalistik, TU Dortmund

Projektleitung Prof. Dr. Michael Steinbrecher, ViSdP

Redaktionsleitung Vanessa Giese

Redaktion Uni-Center, Vogelpothsweg 74, Campus Nord, 44227 Dortmund

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Chef vom Dienst Tobias Jochheim

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Jochimsen, Lydia Klöckner, Simon Knop, Julia Knübel, Alexandra Ossadnik, Hannah Sanders, Sarah Sauer, Christina Schönberger,

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pflichtlektuere @ [email protected] .com/pflichtlektuere 0231 / 755 - 7473*

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