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1 Christoph Schlee, E-Mail: [email protected] Pilotprojekt Grundeinkommen im Rheinland I. Projektphilosophie: Grundeinkommen als sozialpolitische Perspektive Grundeinkommen antwortet auf gesellschaftliche Veränderungen: Sowohl der abgesicherte Dauerarbeitsplatz als auch die traditionelle Familienstruktur gehören immer mehr der Vergangenheit an. Darum braucht der klassische Sozialstaat, der auf den männlichen Vollzeit-Erwerbstätigen als Ernährerder Familie fixiert ist, ein Update. Soziale Sicherheit sollte im 21. Jahrhundert den Charakter eines universellen Rechtes für jeden Bürger annehmen. Das stärkt Frauen und Kinder, ermöglicht freiberufliche, kulturelle, soziale und ehrenamtliche Tätigkeiten, aber auch lebenslanges Lernen. Wie lässt sich das universale Recht auf eine gesicherte Existenz politisch ausgestalten? Es reicht nicht, nachsorgend zu warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Menschen erst wenn sie verarmt und isoliert sind unter die Arme zu greifen, ist auch gesellschaftlich kontraproduktiv. Der entwürdige Gang zum Amt und der zermürbende Kampf mit der Bürokratie sind keine zeitgemäßen sozialpolitischen Antworten. Kontrolle, Schikane und Bedarfsermittlung sind Instrumente eines Obrigkeitsstaates, was die ökonomistische Bezeichnung des Antragstellers als „Kunde“ nur verschleiert. Doch Bürger sind nicht Kunden des Staates, sondern souveräne Individuen, die den Staat erst konstituieren. Darum ist es wichtig, jeden Einzelnen qua Geburt optimal zu fördern, indem Bildung, Betreuung und materielle Sicherheit von vornherein verankern werden. Grundeinkommen zielt ab auf eine Gesellschaft als solidarische Gemeinschaft. Seine Realitätstauglichkeit ist in der Praxis zu überprüfen, um Erkenntnisse für die Umsetzung zu gewinnen. Fordern ist dabei die Aufgabe des Einzelnen, die er selbst ergreifen muss, während der Gesellschaft das Fördern zukommt. Schafft sie optimale Entwicklungsbedingungen, bringen sich die Bürger über kurz oder lang positiv ein. Dieses Vertrauen liegt dem Pilotprojekt Grundeinkommen zugrunde. Das Grundeinkommenspilotprojekt zielt darauf ab, materielle Sicherheit zu garantieren, Existenzangst zu nehmen und das Grundvertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit zu stärken. Unterstützt wird die Aufnahme einer Vielzahl von Tätigkeiten: ehrenamtliches Engagement, Pflege von Angehörigen oder Fortbildungen ebenso wie die Aufnahme von bezahlten Tätigkeiten. Ziel des Projektes ist die Stärkung des Selbstvertrauens der Teilnehmer in die eigene Aktivität und ihre wirtschaftliche Selbständigkeit.

Pilotprojekt Grundeinkommen im Rheinland (Kurzfassung)

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Das Grundeinkommenspilotprojekt zielt darauf ab, eine materielle Sicherheit zu garantieren, die Existenzangst zu nehmen und das Grundvertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit zu stärken. Unterstützt wird die Aufnahme einer Vielzahl von Tätigkeiten: ehrenamtliches Engagement, Pflege von Angehörigen oder Fortbildungen ebenso wie die Aufnahme von bezahlten Tätigkeiten. Ziel des Projektes ist die Stärkung des Selbstvertrauens der Teilnehmer in die eigene Aktivität und ihre wirtschaftliche Selbständigkeit.

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1 Christoph Schlee, E-Mail: [email protected]

Pilotprojekt Grundeinkommen im Rheinland

I. Projektphilosophie: Grundeinkommen als sozialpolitische Perspektive

Grundeinkommen antwortet auf gesellschaftliche Veränderungen: Sowohl der abgesicherte Dauerarbeitsplatz als auch die traditionelle Familienstruktur gehören immer mehr der Vergangenheit an. Darum braucht der klassische Sozialstaat, der auf den

männlichen Vollzeit-Erwerbstätigen als „Ernährer“ der Familie fixiert ist, ein Update.

Soziale Sicherheit sollte im 21. Jahrhundert den Charakter eines universellen Rechtes für jeden Bürger annehmen. Das stärkt Frauen und Kinder, ermöglicht freiberufliche, kulturelle, soziale und ehrenamtliche Tätigkeiten, aber auch lebenslanges Lernen.

Wie lässt sich das universale Recht auf eine gesicherte Existenz politisch ausgestalten? Es reicht nicht, nachsorgend zu warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Menschen erst wenn sie verarmt und isoliert sind unter die Arme zu greifen, ist auch gesellschaftlich kontraproduktiv. Der entwürdige Gang zum Amt und der zermürbende Kampf mit der Bürokratie sind keine zeitgemäßen sozialpolitischen Antworten.

Kontrolle, Schikane und Bedarfsermittlung sind Instrumente eines Obrigkeitsstaates, was die ökonomistische Bezeichnung des Antragstellers als „Kunde“ nur verschleiert. Doch Bürger sind nicht Kunden des Staates, sondern souveräne Individuen, die den Staat erst konstituieren. Darum ist es wichtig, jeden Einzelnen qua Geburt optimal zu fördern, indem Bildung, Betreuung und materielle Sicherheit von vornherein verankern werden.

Grundeinkommen zielt ab auf eine Gesellschaft als solidarische Gemeinschaft. Seine Realitätstauglichkeit ist in der Praxis zu überprüfen, um Erkenntnisse für die Umsetzung zu gewinnen. Fordern ist dabei die Aufgabe des Einzelnen, die er selbst ergreifen muss, während der Gesellschaft das Fördern zukommt. Schafft sie optimale Entwicklungsbedingungen, bringen sich die Bürger über kurz oder lang positiv ein. Dieses Vertrauen liegt dem Pilotprojekt Grundeinkommen zugrunde.

Das Grundeinkommenspilotprojekt zielt darauf ab,

materielle Sicherheit zu garantieren,

Existenzangst zu nehmen

und das Grundvertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit zu stärken.

Unterstützt wird die Aufnahme einer Vielzahl von Tätigkeiten: ehrenamtliches Engagement, Pflege von Angehörigen oder Fortbildungen ebenso wie die Aufnahme von bezahlten Tätigkeiten. Ziel des Projektes ist die Stärkung des Selbstvertrauens der Teilnehmer in die eigene Aktivität und ihre wirtschaftliche Selbständigkeit.

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II. Merkmale des Pilotprojekts

Das Pilotprojekt Grundeinkommen sieht vor, in einer Kommune für ca. 100 ALG 2-Empfänger die Grundsicherung für „erwerbsfähige Hilfebedürftige“ weiterzuentwickeln:

1. Weitere Pauschalierung: Regelsatz und KdU/Heizkosten werden zusammengefasst (z. B. Köln, 1 Person: 364€ + 385 Euro = 750 Euro Grundeinkommen). Die Leistungen für die übrigen Mitglieder von Bedarfsgemeinschaften bleiben davon unberührt (bei einem Grundeinkommen für alle erhält jeder den neuen Regelsatz, d. h. de facto wird keine Bedarfsgemeinschaft mehr berücksichtigt).

2. Höhe bleibt gleich: Das Grundeinkommen im Pilotprojekt soll der Höhe nach nicht von den ALG2-Zahlungen abweichen, um die Vergleichbarkeit des wissenschaftlichen Projektes zu gewährleisten und keine falschen Anreize zu setzen. Projektteilnehmer sollen sich nicht ausschließlich aus finanziellen Interessen am Projekt beteiligen.

3. Bessere Zuverdienstmöglichkeiten: Wer zum Grundeinkommen etwas hinzuverdienen möchte, bekommt nur noch 50 Prozent pauschal abgezogen (Steuern plus KV/SV- Versicherungspauschale). Damit wird die Aufnahme von Arbeit attraktiv.

4. Garantierte Bezugsdauer: Im Gegensatz zu ALG 2 wird das Grundeinkommen für die Dauer des Pilotprojektes garantiert (mindestens 2 Jahre), da es einen generellen Rechtsanspruch darstellt und nicht auf die Situation am Arbeitsmarkt bezogen ist. Das schafft für die Projektteilnehmer Sicherheit und Verlässlichkeit.

5. Garantierte Zahlung: Den Empfängern des Grundeinkommens werden keine weiteren Bedingungen gestellt. Bei der Arbeitssuche können sie jedoch im Rahmen des Projektes Unterstützung in Anspruch nehmen (Kurse, Beratungen). Es gibt jedoch keine verpflichtenden Termine oder Aktivitäten (das Schreiben von Bewerbungen, die Teilnahme an Kursen etc.). Das Pilotprojekt setzt auf Freiwilligkeit.

III. Projektbeschreibung

1. Zu Beginn steht die Auswahl einer geeigneten ARGE / Optionskommune im Rheinland durch den Projektträger. In diesen Prozess werden Verantwortliche aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft einbezogen. Deutlich werden soll, dass das Praxisprojekt keine Vorentscheidung für ein Grundeinkommen, sondern einen ergebnisoffenen Test darstellt. Erst politische und wissenschaftliche Unvoreingenommenheit sichern ein überzeugendes Ergebnis.

2. Das Praxisprojekt soll von einem breiten Bündnis gesellschaftlicher Kräfte getragen werden. Ökonomisch wird weitgehende Kostenneutralität angestrebt. Ca. 80 % der

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für das Projekt benötigten Gelder ergeben sich durch die Einsparung des Arbeitslosengelds der Teilnehmer. Zusätzliche Projektmittel sollen von der ARGE, der Kommune, der Forschungsförderung (u. a. Europäischer Sozialfonds), den Landesministerien und privaten Stiftungen erbracht werden.

3. Vor dem Start des Projektes erfolgt eine breit angelegte eine Informationskampagne, mit der ALG II–Empfänger, aber auch Arbeitgeber und die Bürger der Region auf das Pilotprojekt aufmerksam gemacht werden.

4. Am Pilotprojekt können ALG 2-Empfänger auf Antrag teilnehmen. Ausgewählt

werden die Teilnehmer mit Hilfe der evaluierenden Wissenschaftler, um eine repräsentative Zusammensetzung der Gruppe zu gewährleisten. Bei Interesse können sie an qualifizierenden Workshops teilnehmen, die der Ideenfindung und der Berufskonzeption dienen. Verpflichtend ist nur die Teilnahme an der Dokumentation.

5. Die Teilnehmer können einen individuellen Jobcoach wählen, der bei Fragen zu Fortbildungen und geplanten Tätigkeiten Hilfestellungen anbieten kann. Die Bezieher des Grundeinkommens sind jedoch frei in der Wahl ihrer Tätigkeiten. Sie werden weder zur Übernahme bestimmter Kurse noch zu bestimmten Arbeiten gedrängt. Einziges Ziel bleibt es, ihre eigenen Interessen und Aktivitäten zu wecken.

6. Die ARGE / Optionskommune ist für den Projektzeitraum von der Vermittlung der Teilnehmer entlastet. Die Betreuung und Honorierung der Teilnehmer übernimmt der Projektträger. Allerdings ist eine Kooperation mit Kommune, ARGE, den Ministerien und der Wirtschaft Teil des Konzepts.

7. Das Projekt wird wissenschaftlich dokumentiert und evaluiert. Renommierte wissenschaftliche Institute und Hochschulen haben bereits ihr Interesse signalisiert. Die Ergebnisse sollen helfen, das Projekt später zu verlängern, auszuweiten und gegebenenfalls auch anders auszurichten.

8. Die rechtliche Seite der Projektorganisation steht noch nicht fest. Denkbar ist die

Gründung einer Genossenschaft, der alle Teilnehmer für den Projektzeitraum angehören. Die Einnahmen aus den Zuverdiensten könnten an die Genossenschaft fließen, die eine ökonomische Abwicklung des Projekts garantiert.

9. Angestrebt wird die wirtschaftliche Selbständigkeit der Teilnehmer und des Projektes. Nach Beendigung der Pilotphase soll das Projekt durch die Besteuerung der Zuverdienste eigene Einnahmen generieren. Auf ALG 2-Mittel soll dann nur noch in geringem Umfang zurückgegriffen werden. Je wirtschaftlicher das Projekt, desto besser gelingt seine Ausweitung und Vervielfältigung.

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IV. Wirkungsprognose: Effekte für den Einzelnen

1. Mit dem Mehr an sozialer Sicherheit erhöht sich die Bereitschaft, sich tätig einzubringen. Arbeitsmotivation und Leistungsbereitschaft nehmen zu.

2. Berufsorientierung und -Einstieg finden ohne Angst und Leistungsdruck statt. Mit Grundeinkommen sind Bildungsauszeiten kein Problem mehr. Flexibilität wird so positiv erfahrbar und kann für die Persönlichkeitsentwicklung genutzt werden.

3. Mut zu mehr Selbständigkeit: Unternehmensgründungen und freie Berufe werden zahlreicher, da die Existenz gesichert ist.

4. Durch mehr Sabbaticals, Elternzeit oder Fortbildungen wird die Erwerbsarbeit aufgelockert. Dadurch verbessert sich die Arbeitsatmosphäre, der Krankenstand geht zurück. Die Volkskrankheiten Depression und Burnout werden bekämpft.

V. Wirkungsprognose: Gesellschaftliche Perspektive

1. Das Erwerbsleben wird flexibler und aufnahmefähiger, reduzierte Arbeitszeiten und „kleine Selbständigkeit“ werden mit Grundeinkommen wirtschaftlicher. Arbeitslosigkeit wird abgebaut. Eine „inklusive Tätigkeitsgesellschaft“ entsteht.

2. Der Problemlösungsstau am Arbeitsmarkt wird gestoppt. Die Arbeits- und

Sozialverwaltung werden ausgedünnt, Mittel werden für neue Aufgaben frei.

3. Die ökonomischen und gesellschaftlichen Krankheitskosten nehmen rapide ab.

4. Separierte Milieus werden reduziert, die sich ausschließlich über den Bezug auf

Erwerbsarbeit definieren (z. B. Arbeitslosigkeit, Rente), die Partizipation großer Teile der Bevölkerung an Gesellschaft und Wirtschaft wird so deutlich erhöht.

5. Gemeinwohlorientierung und gesellschaftliches Engagement nehmen zu: soziale, oder kulturelle Dienstleistungen werden besser finanzierbar und organisierbar.

6. Das demographische Problem (die Überalterung) verringert sich. Durch das Mehr an sozialer Sicherheit stellen Kinder ein geringeres wirtschaftliches Risiko dar.

Zum Projektträger: Ansprechpartner für das Pilotprojekt ist Christoph Schlee, Kölner Initiative Grundeinkommen e.V.