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Notfall Rettungsmed 2014 · 17:440–443 DOI 10.1007/s10049-014-1876-1 Online publiziert: 11. Juli 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Y. Greve · M. Christ Klinik für Notfall- und Internistische Intensivmedizin, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Nürnberg Pilotprojekt zur Verbesserung  von notfallmedizinischem  Handeln „Weniger ist mehr“ Hintergrund Die entstehenden Kosten für die medizini- sche Versorgung sind hoch und wachsen weiterhin. Auch die notfallmedizinische Versorgung bildet hier keine Ausnahme: In den letzten 8 Jahren sind die mittleren Kosten pro notfallmedizinische Versor- gung in den USA um 240% gestiegen [1]. Die von Notfallmedizinern veranlassten diagnostischen Tests, Behandlungen und Einweisungen zur stationären Betreuung resultieren in bis zu 10% der Gesamtaus- gaben des US-amerikanischen Gesund- heitssystems. Auch in Deutschland wer- den z. B. bei der Abklärung einer Synko- pe ohne Risiko zahlreiche Ressourcen mit niedrigem diagnostischem Wert einge- setzt [2]. Es wird vermutet, dass ein relevanter Anteil der steigenden Gesundheitskosten durch unnötige Beanspruchung des Ge- sundheitssystems bedingt ist. Aus diesem Grund wurde von den amerikanischen Fachgesellschaften die „Choosing Wisely Campaign“ (http://www.choosingwisely. org) initiiert [3]. Jede medizinische Fach- gesellschaft definiert die 5 wichtigsten Tests oder Prozeduren des eigenen Fachs, welche aufgrund fehlendem oder gerin- gem Nutzen vermieden werden sollten [3]. In der vorliegenden Studie wird über die Entwicklung und den Entstehungs- prozess der „Top-5-Liste“ für Notfallme- dizin berichtet. Methoden Kollegen der Boston Medical School, USA, entwickelten einen 4-stufigen Kon- sensus-Prozess, um vermeidbare diag- nostische Tests und Prozeduren aus der Fachspezialität Notfallmedizin zu defi- nieren [1]. Im ersten Schritt wurden von einer Expertengruppe klinische Entschei- dungen, die eine geringe Wertigkeit auf- weisen, definiert. In Stufe 2 des Projekts erfolgten nochmalige Diskussion und Überprüfung, anschließend die Erstel- lung einer Rangfolge der vorgeschlage- nen Rangliste. In Phase 3 wurden Not- fallmediziner mittels einer webbasierten Erhebung über den Stellenwert der klini- schen Entscheidung hinsichtlich Kosten, Wertigkeit und Notwendigkeit schnel- len Handelns befragt. In Stufe 4 des Pro- jekts wurden die Umfrageergebnisse von der Expertengruppe diskutiert und eine Rangliste mit den 5 wichtigsten Punkten erstellt. Ergebnisse Im Brainstorming zu Beginn des Projekts wurden 64 Handlungsfelder identifiziert, welche in 4 Domänen zusammenzufas- sen sind: 1) Labortests, 2) Medikation und Transfusion, 3) Bildgebung sowie 4) Ent- scheidungen für die weitere Versorgung. Es wurden durch die Expertengruppe 17 Handlungsfelder identifiziert, die hohe Kosten verursachen, jedoch eine gerin- ge Wertschöpfung beinhalten. Deswegen forderten die befragten Experten in diesen Handlungsfeldern ein Umdenken. Die Teilnahmerate der Notfallmedi- ziner aus akademischen und kommu- nalen Krankenhäusern, welche an der Umfrage teilnahmen, betrug 61,5%. In . Tab. 1  sind die Handlungen, die ver- mieden werden sollen, zusammengefasst. Die Bewertungen dieser Ranglisten, wel- che von befragten Notfallmedizinern ab- gegeben wurden, unterschieden sich nicht wesentlich voneinander. Die Bewertun- gen in der Rangliste waren unabhängig davon, in welchem Arbeitsumfeld sie tä- tig waren (akademisch oder kommunal) bzw. wie ihr Ausbildungsstand war. Die Top-5-Liste wurde von den verschiedenen Gruppen der Notfallmediziner als ähnlich wichtig bewertet. Diskussion Die Erstellung einer Top-5-Liste von ver- meidbaren Untersuchungen ist eine neue Idee, die praktisch tätige Ärzte in den USA verfolgen, um Entscheidungshilfen für die Praxis zu entwickeln und die stei- genden Gesundheitskosten zu reduzie- ren [3]. Laut Autoren haben sich Medizi- ner im historischen Kontext bisher primär auf ihre Patienten und deren Versorgung fokussiert. Dabei wurde wenig auf die ent- stehenden Kosten geachtet. Hand auf Ihr Herz! Halten Sie sich in Ihrer klinischen Praxis an die in der Top- 5-Liste aufgeführten Vorschläge? Kurz möchten wir etwas ausführlicher auf die Originalpublikation Schuur JD, Carney DP, Lyn ET et al (2014) Top 5 list for emergency medicine. Pilot project to improve the value of emergency care. JAMA Intern Med 174:509-515 Redaktion J. Breckwoldt, Zürich C. Dodt, München K.-G. Kanz, München 440 | Notfall + Rettungsmedizin 5 · 2014 Notfall aktuell - Für Sie gelesen

Pilotprojekt zur Verbesserung von notfallmedizinischem Handeln

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Page 1: Pilotprojekt zur Verbesserung von notfallmedizinischem Handeln

Notfall Rettungsmed 2014 · 17:440–443DOI 10.1007/s10049-014-1876-1Online publiziert: 11. Juli 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Y. Greve · M. ChristKlinik für Notfall- und Internistische Intensivmedizin, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Nürnberg

Pilotprojekt zur Verbesserung von notfallmedizinischem Handeln„Weniger ist mehr“

Hintergrund

Die entstehenden Kosten für die medizini-sche Versorgung sind hoch und wachsen weiterhin. Auch die notfallmedizinische Versorgung bildet hier keine Ausnahme: In den letzten 8 Jahren sind die mittleren Kosten pro notfallmedizinische Versor-gung in den USA um 240% gestiegen [1]. Die von Notfallmedizinern veranlassten diagnostischen Tests, Behandlungen und Einweisungen zur stationären Betreuung resultieren in bis zu 10% der Gesamtaus-gaben des US-amerikanischen Gesund-heitssystems. Auch in Deutschland wer-den z. B. bei der Abklärung einer Synko-pe ohne Risiko zahlreiche Ressourcen mit niedrigem diag nostischem Wert einge-setzt [2].

Es wird vermutet, dass ein relevanter Anteil der steigenden Gesundheitskosten durch unnötige Beanspruchung des Ge-sundheitssystems bedingt ist. Aus diesem Grund wurde von den amerikanischen Fachgesellschaften die „Choosing Wisely Campaign“ (http://www.choosingwisely.org) initiiert [3]. Jede medizinische Fach-gesellschaft definiert die 5 wichtigsten Tests oder Prozeduren des eigenen Fachs, welche aufgrund fehlendem oder gerin-gem Nutzen vermieden werden sollten [3]. In der vorliegenden Studie wird über

die Entwicklung und den Entstehungs-prozess der „Top-5-Liste“ für Notfallme-dizin berichtet.

Methoden

Kollegen der Boston Medical School, USA, entwickelten einen 4-stufigen Kon-sensus-Prozess, um vermeidbare diag-nostische Tests und Prozeduren aus der Fachspe zialität Notfallmedizin zu defi-nieren [1]. Im ersten Schritt wurden von einer Expertengruppe klinische Entschei-dungen, die eine geringe Wertigkeit auf-weisen, definiert. In Stufe 2 des Projekts erfolgten nochmalige Diskussion und Überprüfung, anschließend die Erstel-lung einer Rangfolge der vorgeschlage-nen Rangliste. In Phase 3 wurden Not-fallmediziner mittels einer webbasierten Erhebung über den Stellenwert der klini-schen Entscheidung hinsichtlich Kosten, Wertigkeit und Notwendigkeit schnel-len Handelns befragt. In Stufe 4 des Pro-jekts wurden die Umfrageergebnisse von der Expertengruppe diskutiert und eine Rang liste mit den 5 wichtigsten Punkten erstellt.

Ergebnisse

Im Brainstorming zu Beginn des Projekts wurden 64 Handlungsfelder identifiziert, welche in 4 Domänen zusammenzufas-sen sind: 1) Labortests, 2) Medikation und Transfusion, 3) Bildgebung sowie 4) Ent-scheidungen für die weitere Versorgung. Es wurden durch die Expertengruppe 17 Handlungsfelder identifiziert, die hohe

Kosten verursachen, jedoch eine gerin-ge Wertschöpfung beinhalten. Deswegen forderten die befragten Experten in diesen Handlungsfeldern ein Umdenken.

Die Teilnahmerate der Notfallmedi-ziner aus akademischen und kommu-nalen Krankenhäusern, welche an der Umfrage teilnahmen, betrug 61,5%. In . Tab. 1 sind die Handlungen, die ver-mieden werden sollen, zusammengefasst. Die Bewertungen dieser Ranglisten, wel-che von befragten Notfallmedizinern ab-gegeben wurden, unterschieden sich nicht wesentlich voneinander. Die Bewertun-gen in der Rangliste waren unabhängig davon, in welchem Arbeitsumfeld sie tä-tig waren (akademisch oder kommunal) bzw. wie ihr Ausbildungsstand war. Die Top-5-Liste wurde von den verschiedenen Gruppen der Notfallmediziner als ähnlich wichtig bewertet.

Diskussion

Die Erstellung einer Top-5-Liste von ver-meidbaren Untersuchungen ist eine neue Idee, die praktisch tätige Ärzte in den USA verfolgen, um Entscheidungshilfen für die Praxis zu entwickeln und die stei-genden Gesundheitskosten zu reduzie-ren [3]. Laut Autoren haben sich Medizi-ner im historischen Kontext bisher primär auf ihre Patienten und deren Versorgung fokussiert. Dabei wurde wenig auf die ent-stehenden Kosten geachtet.

Hand auf Ihr Herz! Halten Sie sich in Ihrer klinischen Praxis an die in der Top-5-Liste aufgeführten Vorschläge? Kurz möchten wir etwas ausführlicher auf die

Originalpublikation

Schuur JD, Carney DP, Lyn ET et al (2014) Top 5 list for emergency medicine. Pilot project to improve the value of emergency care. JAMA Intern Med 174:509-515

RedaktionJ. Breckwoldt, ZürichC. Dodt, MünchenK.-G. Kanz, München

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Notfall aktuell - Für Sie gelesen

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Tab. 1 Umfrageergebnisse aufgelistet nach Art des Klinikers, Arbeitsumfeld und klinischer Erfahrung. (Übersetzt und mod. von [1])

Art des klinischen  Personals Klinische Erfahrung Arbeitsumfeld

Handlung Typ Gesamt(n=174)

Fach­ärzte(n=101)

Assis­tenz­ärzte(n=29)

KPK/MFA(n=44)

0–2(n=34)

3–10(n=61)

>10(n=37)

Akade­misch(n=120)

Kom­munal(n=54)

Ordnen Sie kein CT zur Diagnostik einer LE an, ohne zunächst eine Risikostratifizierung einer LE durchzuführen (Vortestwahrscheinlichkeit und wenn „LE wenig wahrscheinlich“, Durch-führung eines D-Dimer-Tests)

Bild-gebung

1 1 1 3 1 1 2 1 3

Ordnen Sie kein MRT der LWS an bei Patienten mit Rückenschmerzen ohne Hochrisikozeichen („red flags“)

Bild-gebung

2 2 2 1 2 2 1 2 1

Ordnen Sie kein CT der HWS an bei Patienten nach einem Trauma, die nicht die Risiko-kriterien der „NEXUS low-risk criteria“ bzw. der „Canadian C-Spine Rule“ erfüllen

Bild-gebung

3 4 6 2 3 3 4 3 4

Ordnen Sie keine Blutkulturen an bei Patienten mit Infektionen der Haut (z. B. Zellulitis, Abs-zess) ohne klinische Zeichen der Sepsis

Labor 4 3 4 9 7 5 3 5 6

Verordnen Sie keine Originalpräparate von An-tiinfektiva bei Patienten mit ambulant erwor-bener Pneumonie, Harnwegsinfektionen oder Zellulitis (stattdessen Generika verwenden)

Medika-tion

5 5 5 6 4 4 7 7 2

Ordnen Sie kein Schädel-CT an bei Patienten mit leichtem Schädel-Hirn-Trauma, die nicht die „New Orleans Criteria“ oder „Canadian CT Head Rule“ erfüllen

Bild-gebung

6 6 7 4 5 6 8 6 5

Applizieren Sie nicht intravenös Antiinfektiva an nicht kritisch kranke Patienten, die orale Antiinfektiva einnehmen können

Medika-tion

7 9 3 5 8 8 9 9 8

Ordnen Sie keine Blutkulturen bei Patienten an mit einer Infektionsquelle im Urogenitaltrakt (z. B. Harnwegsinfektion, Pyelonephritis) ohne klinische Zeichen der Sepsis

Labor 8 8 9 10 10 7 10 8 10

Nehmen Sie keinen Patienten mit risikoarmem Brustschmerz (atypischer Brustschmerz mit ne-gativem Troponin-Test und ohne Ischämien im EKG) zur weiteren Abklärung stationär auf

Weitere Versor-gung

9 11 8 7 6 10 11 4 17

Nehmen Sie keinen Patienten mit einer risiko-armen („low risk“) Synkope stationär auf

Weitere Versor-gung

10 10 10 11 11 11 5 11 7

Ordnen Sie keine Blutgerinnungstests an bei Patienten mit fehlendem Hinweis einer Blutung oder Verdacht auf Gerinnungsstörung (z. B. bei Antikoagulation, bekannter Koagulopathie)

Labor 11 7 12 12 12 9 6 10 9

Verabreichen Sie nicht intravenösen Flüssig-keitsersatz bei Patienten mit einer leichten Dehydratation ohne vorherigen Versuch der oralen Flüssigkeitsgabe

Medika-tion

12 14 13 8 9 13 15 12 12

Ordnen Sie keine Laboruntersuchungen (z. B. Blutbild, Standardlabor) bei Patienten mit einer unkomplizierten Gastroenteritis oder viralen Syndromen an

Labor 13 13 11 15 16 12 16 14 13

Ordnen Sie keinen Röntgen-Thorax-Untersu-chungen an zu Screening-Zwecken bei Patien-ten, die ins Krankenhaus eingewiesen werden

Labor 14 12 15 17 13 15 12 13 14

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Page 3: Pilotprojekt zur Verbesserung von notfallmedizinischem Handeln

einzelnen Aspekte auch im Hinblick auf die entsprechenden nordamerikanischen Empfehlungen und Leitlinien eingehen:1. Es soll bei Patienten nach Trauma

keine Computertomographie (CT) der Halswirbelsäule durchgeführt werden, wenn diese nicht Kriterien von entsprechender Regeln erfüllen [z. B. Canadian C-Spine Rule, Na-tional Emergency X-ray Utilization Study (NEXUS) low-risk criteria etc.)]. So ist z. B. unter Anwendung der „Canadian C-Spine Rule“ keine Abklärung mittels radiologischer Bildgebung notwendig, wenn bei be-wusstseinsklarem Patienten (GCS 15) und Fehlen gefährlicher Unfall-mechanismen bzw. Fehlen neurologi-scher Ausfälle eine aktive Bewegung des Kopfes um 45 ° nach links und rechts möglich ist.

2. Zur Diagnostik der Lungenembo-lie soll kein CT durchgeführt werden, wenn nicht vorher die Vortestwahr-scheinlichkeit berechnet wurde und bei niedriger Vortestwahrschein-lichkeit zunächst ein D-Dimer-Test durchgeführt worden war. Die Vor-testwahrscheinlichkeit lässt sich mit Instrumenten wie den „Wells-Krite-rien“ oder den „Geneva-Kriterien“ be-rechnen: Liegen bestimmte Risikofak-toren wie eine maligne Grunderkran-kung, bestimmte Zeichen oder Symp-tome wie einseitige Beinschwellung,

Hämoptysen, Tachykardie und ande-res nicht vor, kann bei negativem D-Dimer-Test eine Lungenembolie auch ohne Bildgebung mit hoher Wahr-scheinlichkeit ausgeschlossen werden.

3. Es soll keine Magnetresonanz-tomographie (MRT) der Wirbel-säule bei Rückenschmerzen durch-geführt werden, wenn keine Hochrisikosituation vorliegt. In über 90% der Fälle bessern sich Rücken-schmerzen ohne besondere Interven-tionen. Akut sollte nur bei den Pa-tienten eine Bildgebung durchgeführt werden, wenn Zeichen eines erhöh-ten Risikos („red flags“) vorliegen: D-ies sind Patienten über 70 Jahre, Vor-liegen eines Traumas, unerklärter Gewichtsverlust, dauerhafte Steroid-therapie, unklares Fieber, Immuno-suppression oder Diabetes mellitus, Patienten über 50 Jahre mit Verdacht auf Osteoporose bzw. Kompressions-fraktur, Malignom in der Vorge-schichte, intravenöser Drogenkon-sum, Zustand nach einer Rückenope-ration, fokale neurologische Defizite bzw. Cauda-equina-Syndrom, Dauer der Schmerzen länger als 6 Wochen oder Verdacht auf Aortenaneurysma.

4. Es sollte kein CT des Schädels bei Pa-tienten durchgeführt werden, welche ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma haben und nicht die Kriterien ent-sprechender Entscheidungsregeln er-

füllen (z. B. Canadian CT Head Ru-le oder New Orleans Criteria etc.). Eine Bildgebung mittels CT ist des-halb nur notwendig, wenn 2 h nach dem Trauma das Bewusstsein einge-schränkt ist (GCS <15), eine Schädel-fraktur vermutet wird, Zeichen einer Schädelbasisfraktur vorliegen, zwei-mal oder mehrmals Erbrechen er-folgte, der betroffene Patient älter als 65 Jahre ist, eine retrograde Amnesie von mehr als 30 min angegeben wird oder ein gefährlicher Unfallmecha-nismus (Sturz aus mehr als 1 m Höhe bzw. mehr als 5 Treppenstufen, Fuß-gänger von Fahrzeug angefahren etc) vorliegt.

5. Es sollten keine Blutgerinnungstests bei Patienten ohne Blutung oder ver-mutete Koagulopathie durchgeführt werden. Die Durchführung eines Ge-rinnungstests führt üblicherweise bei Fehlen dieser Kriterien zu keinen re-levanten Zusatzinformationen.

Die begrenzt zur Verfügung stehenden Ressourcen zur medizinischen Versor-gung erfordern ein Umdenken unseres Handelns. In der „Choosing Wisely Cam-paign“ wird diese Thematik nun publi-kumswirksam angegangen. Die vorliegen-de Studie zur notfallmedizinischen Ver-sorgung in Krankenhäusern wurde ini-tiiert, um einen Konsens über vermeidba-re diagnostische Tests, medizinische Be-

Tab. 1 Umfrageergebnisse aufgelistet nach Art des Klinikers, Arbeitsumfeld und klinischer Erfahrung. (Übersetzt und mod. von [1]) (Fortsetzung)

Art des klinischen  Personals

Klinische Erfahrung Arbeitsumfeld

Handlung Typ Gesamt(n=174)

Fach­ärzte(n=101)

Assis­tenz­ärzte(n=29)

KPK/MFA(n=44)

0–2(n=34)

3–10(n=61)

>10(n=37)

Akade­misch(n=120)

Kom­munal(n=54)

Vereinbaren Sie keine nachfolgenden Wund-kontrollen in der Notaufnahme bei Patienten, die mit komplikationslosen Abszessen oder Weichteilinfektionen entlassen wurden

Follow-up

15 16 16 13 17 16 14 17 11

Ordnen keine Urinkulturen bei gesunden Patienten mit unkompliziertem Harnwegs-infekt an

Labor 16 17 14 14 14 14 17 15 16

Ordnen Sie bei Patienten, die von extern mit Laborwerten innerhalb des Referenzbereichs in die Notaufnahme überwiesen wurden, keine erneuten Laboruntersuchungen an

Labor 17 15 17 16 15 17 13 16 15

CT Computertomographie, EKG Elektrokardiogramm, KPK Krankenpflegekraft, LE Lungenembolie, MFA Medizinische Fachangestellte, MRT Magnetresonanztomographie, NEXUS National Emergency X-Ray Utilization Study.

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handlung und andere Felder in Notauf-nahmen zu erhalten [1].

Das Neue an der nun publizierten Studie ist, dass die von einer Experten-gruppe zusammengestellten wichtigen Handlungsfelder auch im Rahmen einer Umfrage von klinisch tätigen Notfallme-dizinern verschiedener Ausbildungsstu-fen bewertet wurden. Damit postulieren die Autoren eine höhere Praxisrelevanz und eine höhere Akzeptanz bei den Kol-legen, die in der klinischen Versorgung aktiv tätig sind.

Kommentar

Die „Choosing Wisely Campaign“ in den USA ist ein innovativer Ansatz, um ver-meidbare medizinische Handlungen zu thematisieren und bei gleichbleibender hoher medizinischer Qualität den An-stieg der Kosten in den Griff zu bekom-men [3]. Der Ansatz, bei der Entschei-dungsfindung für derartige Empfehlun-gen akzeptierte Konsensus-Techniken wie z. B die Delphi-Methodik anzuwenden, ist sehr innovativ. In dieser Arbeit haben Notfallmediziner aus Boston die wichtigs-ten Handlungsfelder definiert, und diese Handlungsfelder auch von klinisch tä-tigen Kollegen bewerten lassen. Diesen Ansatz sehen wir als sehr zukunftsorien-tiert und denken, dass ein derartiges Vor-gehen auch in Deutschland stärker Beach-tung finden sollte.

Einige Notfallmediziner zögern ver-mutlich, derartige Vorschläge aufzuneh-men und in der täglichen Praxis zu be-rücksichtigen: Möglicherweise bestehen Ängste, die eigene berufliche Autonomie zu verlieren bzw. sie vermuten, dass sie durch derartiges Vorgehen irrtümlicher-weise hohe medikolegale Risiken einge-hen würden.

Eine mögliche Limitation dieser Studie könnte natürlich sein, dass es sich hier-bei nur um einen Konsens eines regiona-len Anbieters medizinischer Leistungen handelt und deshalb Schlussfolgerungen durch die Überrepräsentation von Not-fallmedizinern aus akademischem Um-feld nicht generalisierbar sind. Ein wei-teres zu diskutierendes Problem ist, dass zwar eine Konsensus-Liste erstellt wur-de, aber keine Angaben über eine mög-liche Kostenersparnis gemacht wurden:

Es gibt Hinweise dafür, dass z. B. die Ver-wendung der „Minor Head Injury Rule“ nach Einführung dieses Entscheidungs-kriteriums zu mehr CT-Untersuchungen des Schädels führte und damit den eigent-lichen Ansatz einer Kostenersparnis kon-terkariert [4].

Trotzdem denken wir, dass sich auch die Notfallmedizin in Deutschland dies-bezüglich stärker positionieren sollte und derartige Ansätze, die in angelsächsischen Ländern erste Früchte zeigen, aufnehmen und ergänzen könnte.

Zusammenfassend trägt diese Unter-suchung dazu bei, das Eigenverständnis der Notfallmediziner zu stärken und de-ren Verantwortlichkeit bei der Anwen-dung von kostenträchtigen Untersuchun-gen bzw. Behandlungen kritisch zu reflek-tieren.

Fazit für die Praxis

F  Die in Notaufnahmen angeforderten diagnostischen Tests, medizinischen Behandlungen und Prozeduren so­wie die von Notfallmedizinern getrof­fenen Entscheidungen zur weiteren Versorgung sind mit hohen Kosten für das Gesundheitssystem verbunden.

F  Diese Kosten könnten möglicher­weise reduziert werden, indem Hand­lungen mit geringem Wert und  hohen Kosten identifiziert und zukünftig vermieden werden.

F  In einem definierten Konsensus­ Prozess wurden in dieser Publikation erstmalig wichtige Handlungsfelder der Notfallmedizin definiert und in  einer Top­5­Liste dargestellt.

Korrespondenzadresse

Y. GreveKlinik für Notfall- und Internistische Intensivmedizin, Paracelsus Medizinische PrivatuniversitätProf. E. Nathan Str. 1, 90419 Nü[email protected]

Einhaltung ethischer RichtlinienInteressenkonflikt. Y. Greve und M. Christ geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Der Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur

1. Schuur JD, Carney DP, Lyn ET et al (2014) A top-five list for emergency medicine. JAMA Intern Med 174:509-515

2. Güldner S, Langada V, Popp S et al (2012) Patients with syncope in a German emergency depart-ment: description of patients and processes. Dtsch Arztebl Int 109:58–65

3. Brody H (2010) Medicine’s ethical responsibility for health care reform – the Top Five list. N Engl J Med 362:283–285

4. Goodacre S (2008) Hospital admissions with he-ad injury following publication of NICE guidance. Emerg Med J 25:556–557

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