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Propädeutikum Soziologie: Soziologische Grundbegriffe Soziales Handeln Professorin Dr. Birgit Blättel-Mink

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Propädeutikum Soziologie:Soziologische Grundbegriffe

Soziales Handeln

Professorin Dr. Birgit Blättel-Mink 

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Soziales Handeln

Ausgangspunkt: Der Mensch im Spannungsfeld sozialer Gebilde: Soziale Rollen, Soziale Normen

„Wie ist es möglich, dass individuelle Akteure in ihren Handlungen kollektiven Gesetzmäßigkeiten folgen, die ihnen selber unbekannt sind und von ihnen nicht gewollt werden?“ (Conrad/Streeck: 36)

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Soziales Handeln

Um soziales Handeln verstehend erklären zu können (Max Weber), genügt es da, dass wir die sozialen Strukturen kennen, in denen Individuen handeln (vgl. soziale Rolle, soziale Normen) oder müssen wir auch die individuellen Beweggründe kennen?

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Soziales Handeln

Max Weber (1864 - 1920)

„Soziologie ... Soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.“ (Weber: 40)

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Bestimmung von sozialem Handeln

1. Handeln von Verhalten abgrenzen

Verhalten: z.B. Kollision zweier Fahrradfahrer

Handeln – sinnhaft: z.B. Aufspannen des Regenschirms

„‘Handeln‘ soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden.“ (Weber: 40)

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Soziales Handeln

Bestimmung von sozialem Handeln

2. Soziales Handeln von Handeln abgrenzen

Handeln – sinnhaft orientiert an den Erwartungen des Verhaltens sachlicher Objekte

„‘Soziales‘ Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.“ (Weber: 40)

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Das Subjekt an dem sich das Handeln des Einzelnen orientiert muss nicht sinnhaft handeln - Verhalten.

z.B. Fahrradfahrer, der einem anderen Fahrradfahrer ausweicht.

„Soziales Handeln (einschließlich des Unterlassens oder Duldens) kann orientiert werden am vergangenen, gegenwärtigen oder für künftig erwarteten Handeln anderer.“ (Weber: 40)

z.B. Pilze sammeln im Wald um sie auf dem Markt zu verkaufen!

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Der Mensch bei Weber kann durchaus ein einsam Handelnder sein, und er handelt dennoch sozial (Sollipsismus)

Dagegen: Symbolischer Interaktionismus von George Herbert Mead (1863-1931):

Interaktion als Austausch kulturell vorgegebener und damit geteilter Symbole. In jeder Interaktion wird die Kommunikation und das aufeinander bezogene Handeln erst hergestellt.

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Oder: Theorie des kommunikativen Handelns (Jürgen Habermas)

Verständigungsorientiertes vs strategisches Handeln

Handeln in dem ich etwas sage und damit Geltungsansprüche kommuniziere, die vom Gegenüber anfechtbar sind.

WahrheitSoziale Richtigkeit Wahrhaftigkeitd.h. beide Akteure beziehen ihr Handeln aufeinander!

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Zurück zu Max Weber Bestimmungsgründe des sozialen Handelns

Mittel Zweck Wert Folgen

Traditional xAffektuell x xWertrational x x xZweckrational x x x x

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„Zweckrational handelt, wer sein Handeln nach Zweck, Mittel und Nebenfolgen orientiert und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke, wie die Zwecke gegen die Nebenfolgen, wie endlich auch die verschiedenen möglichen Zwecke gegeneinander rational abwägt: also jedenfalls weder affektuell (und insbesondere nicht emotional), noch traditional handelt.“ (Weber: 45)

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Soziale Beziehung nach Max Weber

„Soziale ‚Beziehung‘ soll in seinem Sinngehalt nach aufeinander gegenseitig eingestelltes und dadurch orientiertes Sichverhalten mehrerer heißen. Die soziale Beziehung besteht also durchaus und ganz ausschließlich: in der Chance, dass in einer (sinnhaft) angebbaren Art sozial gehandelt wird, einerlei zunächst worauf dieses Chance beruht.“ (Weber: 47)

z.B. „Ein ‚Staat‘ hört z.B. soziologisch zu ‚existieren‘ dann

auf, sobald die Chance, dass bestimmte Arten von sinnhaft orientiertem Handeln ablaufen, geschwunden ist.“

z.B. Demokratischer Staat – wenn die Chance gegen Null

geht, dass die Individuen zur Wahl gehen!

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Sinngehalt

Empirisch

Gegenseitig oder nicht

Von Dauer oder nicht

Wechsel von Sinngehalten im Zeitverlauf

Vereinbarung von Sinngehalt

Sinngehalt als Maxime

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Menschenbild bei Max Weber

Idealtypus zweckrational Handelnder, aber immer am Handeln anderer orientiert.

Dagegen: Theorie der rationalen Wahl – vgl. Hartmut Esser – Vorhersagbarkeit von Handeln als wissenschaftliches Ziel

RREEMM – Ressourceful, Restricted, Evaluating, Expecting, Maximising, Man

Mittel, Zwecke, Folgen – Werte?

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Wie entsteht soziale Ordnung?

Emile Durkheim (1858 – 1917)

Begründer einer empirischen Soziologie

Abgrenzung gegenüber Psychologie

Menschliches und damit auch soziales Handeln als Resultat gesellschaftlicher Kräfte.

Gesellschaft als „réalité sui generis“, als Wirklichkeit eigener Art, unabhängig vom Individuum!

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile!

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Beispiel: Der egoistische Selbstmord (vs altruistisch, vs anomisch)

„Am Selbstmord konnte Durkheim zeigen, dass kollektive Ordnung auch die ‚Ausnahmen‘ und ‚Abweichungen‘ einschloss und dass jeder Handlungsbegriff, der dem Phänomen der sozialen Ordnung nicht gerecht wurde, an seinem Gegenstand vorbeiging. ... Dadurch, dass Durkheim den ‚Doppelcharakter‘ des Selbstmords als scheinbar unabhängige Handlung isolierter Individuen und zugleich als gesetzmäßige Massenerscheinung hervorhob, wollte er zeigen, dass Handeln nur unter Berücksichtigung einer kollektiven Dimension angemessen und vollständig analysiert werden kann.“ (Conrad/Streeck: 37f)

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Explanandum: Selbstmordrate unter Protestanten ist über die Zeit und in unterschiedlichen Gesellschaften höher als unter Katholiken (und als unter Angehörigen der jüdischen Religionsgemeinschaft)

Explanans: Soziales Gesetz: Individuierung führt eher zu Selbstmord

als ein hohes Maß an sozialer Integration (auch sozialer Kontrolle)

Randbedingung: Bei den Protestanten ist das Ausmaß an sozialer Integration niedriger als bei den Katholiken

Daraus folgt: Die Selbstmordrate unter Protestanten ist höher als unter Katholiken

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Weitere Randbedingungen, die dazu beitragen, die o.g Erklärung zu erhärten:

Bildung als intervenierende VariableJe gebildeter, desto höher die Wahrscheinlichkeit,

Selbstmord zu begehen!Protestanten sind gebildeter als Katholiken – zu

Durkheims ZeitenDer Protestantismus fördert oder fordert die Individuen,

sich zu bilden – Protestant als Schöpfer seines eigenen Glaubens

Juden und Protestanten sind deutlich gebildeter als Katholiken – d.h. unter diesen beiden Gruppen ist der Anteil derjenigen mit höherer Schulbildung größer als unter Katholiken!

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2. Intervenierende Variable

Soziale Bedrohung von Gruppen, Religionsgemeinschaften

Die Juden finden sich historisch in einer Minderheitenposition, ihre soziale Kohäsion (Bindung) entsteht durch externen Druck!

Bildung ist für sie ein Mittel, um sich in einer Gesellschaft hervorzutun, d.h. Bildung hat bei Ihnen eine andere Bedeutung als bei den Protestanten

Und: In Kriegszeiten, Zeiten externer Bedrohung, sinkt auch die Selbstmordrate von Protestanten.

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Individuierung führt eher zu Selbstmord als ein hohes Maß an sozialer Integration (auch sozialer Kontrolle)

Ein letzter Ansatz: Talcott Parsons (1902-1979)

Menschen verhalten sich freiwillig normkonform!

Soziales Handeln als System, das nach Gleichgewicht strebt!

Persönlichkeit – Organismus – Kulturelles System – Soziales System

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Fragen

Warum zieht sich Herr Jensen aus der Gesellschaft zurück?