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Rezension: Recht als Wissenschaft. Geschichte der juristischen Methodenlehre in der Neuzeit (1500-1933) von Jan Schröder

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Page 1: Rezension: Recht als Wissenschaft. Geschichte der juristischen Methodenlehre in der Neuzeit (1500-1933) von Jan Schröder

Rezensionen

DOI: 10.1002/bewi.201301638

Jan Schr�der, Recht als Wissenschaft. Geschichte der juristischen Methodenlehre inder Neuzeit (1500–1933), M�nchen: C.H. Beck 22012. 506 S., geb., e 75,00. ISBN978-3-406-63011-8.

Heute wie vor �ber 150 Jahren stellt sich die Fragenach dem Wert der Jurisprudenz als Wissenschaft,nach ihrem ,Proprium‘ und nach Kriterien zur Be-urteilung ihrer Qualit�t. Dabei ist Rechtswissen-schaft inhaltlich gesehen kein statisches Ph�no-men: Impulse aus den Institutionen des Wissen-schaftssystems wie auch aus der Rechtsentwick-lung selbst f�hren dazu, dass sich die herrschenden�berzeugungen �ber ihren Gegenstand und ihreMethoden ver�ndern. Jan Schr�der, bis zu seinerEmeritierung 2009 Inhaber des Lehrstuhls f�rDeutsche Rechtsgeschichte und B�rgerlichesRecht an der Universit�t T�bingen, geht in seinemhier zu besprechenden Opus magnum diesen Ver-�nderungen in der neuzeitlichen Rechtswissen-schaft nach. Eine Schwierigkeit einer solchenRechtsgeschichte zweiter Ebene besteht darin,dass sie nicht von einem klar umgrenzten Rechts-begriff ausgehen kann, sondern die ver�nderlichenAuffassungen der Zeitgenossen dar�ber, wasRecht als Gegenstand der Rechtswissenschaft war,zum Ausgangspunkt nehmen muss. Wegen derwechselseitigen Abh�ngigkeiten von Gegenstandund Methode beschr�nkt sich der Autor dahernicht auf die Methodenlehre im engeren Sinne,also die Regeln zur Ermittlung und Anwendungvon Rechtsnormen, sondern erstreckt seine Arbeitauch auf die jeweilige Rechtsquellenlehre.

Das herrschende Rechtsverst�ndnis einer Zeit –vom fr�hen „g�ttlich-menschlichen Naturrecht“�ber den „dualistischen Rechtsbegriff“ der Auf-kl�rung und das „,organisch‘-positive Rechtsden-ken“ des 19. Jahrhunderts bis hin zum Positivis-mus und „Voluntarismus“ der Weimarer Zeit (S. 3)– bestimmt auch die Grobgliederung des Buches.Gegen�ber der ersten Auflage, seit deren Erschei-nen mehr als zehn Jahre vergangen sind, wurde dieaktuelle Fassung des Werkes nicht nur aktualisiert,sondern zudem um den lange erwarteten Teil zuden Jahren 1850 bis 1933 wesentlich erweitert. In-nerhalb der chronologisch angeordneten Kapitelgliedert Schr�der nicht nach einzelnen Autorenoder Werken, sondern systematisiert diese nach ih-ren Standpunkten zu Fragen der Rechtsquellen-und Methodenlehre. Die Methodenlehre differen-ziert er weiter nach Argumentationstheorie, Theo-rie der Gesetzesinterpretation und Theorie derwissenschaftlichen Rechtsfindung. Erst diese kon-sequente Systematisierungsleistung erm�glicht es,einen Vergleich zwischen den einzelnen Epochender Rechtswissenschaftsgeschichte zu ziehen. Dies

wird durch viele Querverweise zu parallelen Ab-schnitten erleichtert.

Die so sichtbar werdenden unterschiedlichenL�sungen f�r Probleme, die sich zu verschiedenenZeiten in jeweils gleicher Weise stellen, verdeutli-chen die Kontingenz der wissenschaftlichen Aus-einandersetzung mit Recht. Ein Beispiel ist dieFrage nach dem Verh�ltnis von Gesetz und Ge-wohnheitsrecht. Hier zeigen sich auf Grundlageder gleichen (widerspr�chlichen) Quellen im r�-mischen Recht sehr unterschiedliche Auffassungendar�ber, ob Gewohnheitsrecht als Rechtsquelledas geschriebene Recht aufheben kann. Ein weite-res Beispiel betrifft die �berlegungen, ob Gesetzeim Rahmen ihrer Interpretation auch auf F�lle aus-gedehnt werden k�nnen, die von ihrem Wortlautnicht erfasst zu sein scheinen. Auch in dieser Frageherrschten in den einzelnen Epochen jeweilsunterschiedliche Meinungen, wann eine solche ex-tensive Auslegung zul�ssig sei. Bemerkenswert istdie große Detailf�lle der Untersuchung, wie siesich etwa in der Auflistung und Diskussion von 23„kunstvollen Topoi“ (S. 34 ff.) aus der fr�hestenArgumentationstheorie zeigt. Handhabbar wirddiese Komplexit�t durch regelm�ßige Zusammen-fassungen.

Die stets klare und eing�ngige Sprache machtdas Lesen des Werkes zu einem Vergn�gen. Bei-spiele aus und Vergleiche mit dem geltendenRecht, etwa zum Stellenwert von Logik und Argu-mentation bei der L�sung eines Rechtsfalles, erh�-hen das Verst�ndnis der historischen Ausf�hrun-gen. Der nicht juristisch vorgebildete Leser wirdhier jedoch mitunter an seine Grenzen stoßen,wenn Konzepte wie das der „verfassungskonfor-men Auslegung“ ohne n�here Erl�uterung oderLiteraturhinweise als bekannt vorausgesetzt wer-den. Solche Bezugnahmen auf die heutige Rechts-wissenschaft behalten indes stets ihren illustrativenCharakter. Anders als andere, die sich wie der Au-tor neben dem historischen Schaffen auch mit demgeltenden Recht bzw. der heutigen juristischenMethodenlehre befassen, erliegt dieser nicht derVersuchung, das alte Gespr�ch aufzunehmen undsich damit als Diskussionspartner den zeitgen�ssi-schen Autoren gegen�berzustellen. Schr�derbleibt stets Historiker und ist als solcher bem�ht,die Methodendiskussion aus ihrer eigenen Zeit he-raus zu verstehen und nachzuzeichnen.

Der enorme Verdienst dieser Arbeit erschließtsich erst v�llig, wenn man ber�cksichtigt, dass sie

Ber. Wissenschaftsgesch. 36 (2013) 260–274 i 2013 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 265

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Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 36 (2013): Rezensionen

in weiten Teilen nicht auf rechtshistorischen Vor-arbeiten anderer Autoren aufbauen konnte, son-dern unmittelbar aus dem umfangreichen Quellen-material sch�pft. So nimmt es nicht Wunder, dassdas Quellenverzeichnis um ein Drittel l�nger istals das der verwendeten Forschungsliteratur. Aufdieser soliden Basis sucht Schr�der auch die Aus-einandersetzung mit der modernen rechtshistori-schen Forschung, die er oft mit guten Argumentenf�r sich entscheiden kann. Allerdings ist anzumer-ken, dass sich das Buch fast ausschließlich auftheoretisch-wissenschaftliche Quellen st�tzt. Diesmag bei einer Wissenschafts- bzw. Methodenge-schichte zun�chst nicht �berraschen. Die Rechts-wissenschaft ist aber enger als viele andere Wissen-schaften mit der Praxis, also Rechtsprechung undGesetzgebung, verbunden. Geht man davon aus,dass sich auch dort eine wissenschaftliche Ausein-andersetzung mit Recht vollzieht, greift die Kon-zentration auf die Medien des institutionalisiertenWissenschaftsbetriebes m�glicherweise zu kurz.Diese Begrenzung, die angesichts der Stofff�lleunvermeidbar erscheint und dem Werk zu einergroßen inhaltlichen Geschlossenheit verhilft, min-dert jedoch den Wert der Arbeit in keiner Weise.

Die vielf�ltigen Ankn�pfungspunkte zur Ge-schichte anderer Disziplinen, besonders der Philo-

sophie, beh�lt Schr�der durchgehend im Blick. Sokontextualisiert er insbesondere seine Beobach-tungen zur juristischen Argumentationstheorie imRahmen des philosophischen (Disziplin �bergrei-fenden) Diskurses. Gleiches gilt, wenn etwa diejuristischen Bem�hungen zur wissenschaftlichen„Ordnung eines einfachen Themas“ (S. 90) derentsprechenden Darstellungsmethode in der Phi-losophie gegen�bergestellt werden. Der Wissen-schaftsgeschichte bietet die Arbeit somit nicht nurdie bislang umfassendste Darstellung der juristi-schen Methodenlehre, sondern auch eine Grund-lage f�r den disziplin�bergreifenden Vergleich.Auch f�r den heutigen Juristen ist die Arbeit �berihren Wert als historische Darstellung hinaus indoppelter Hinsicht von Nutzen: Zum einen zeigtsie die Wurzeln des heutigen, meist als notwendiggegeben angesehenen und so unreflektiert �ber-nommenen juristischen Methodenkanons auf.Zum anderen erm�glicht das Wissen um die ver-gangenen Umbr�che, die sich einer teleologischenDeutung als Entwicklungs- oder gar Fortschritts-geschichte verweigern, allen k�nftigen Diskus-sionen �ber Stellenwert und Ausrichtung derRechtswissenschaft mit Gelassenheit entgegenzu-sehen.

Sandro Wiggerich (M�nster)

266 i 2013 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Ber. Wissenschaftsgesch. 36 (2013) 260–274

DOI: 10.1002/bewi.201301640

Andreas Christoph, Geographica und Cartographica aus dem Hause Bertuch. ZurOkonomisierung des Naturwissens um 1800, (Laboratorium Aufkl�rung; 16)M�nchen: Fink 2012. 239 S., kart., e 29,90. ISBN 978-3-7705-5191-0.

Von der Wissenschaftsgeschichte der Geographieund Kartographie wurde das Zeitalter der sp�tenAufkl�rung bisher vergleichsweise stiefm�tterlichbehandelt. Dies mag daran liegen, dass viele Karto-graphiehistoriker ihr Interesse am Metier um 1700,als die Karte sich mehr und mehr zum Massengutentwickelte, verlieren, und daran, dass die Geogra-phiegeschichte ihren Fokus bislang auf die Zeitseit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts legte, alsdas Fach Eingang in die deutschen Hochschulenfand und sich durchaus erfolgreich bem�hte, imZeitalter des Imperialismus und Kolonialismus alsfolk science zu etablieren.

Dabei ist gerade die erste H�lfte des 19. Jahr-hunderts von entscheidender Bedeutung f�r dieKonstituierung der Wissenschaftsdisziplin Geo-graphie. Der stete R�ckgriff auf die beiden,Gr�ndergestalten‘ Alexander von Humboldt undCarl Ritter greift viel zu kurz. Ganz wesentlicheImpulse erhielt die Geographie (die Kartographie

stets mitgedacht) in vorakademischer Zeit vomprivatwirtschaftlichen Verlagswesen. Hier fandenwissenschaftlich-technische Innovationen ihre An-wendung und schufen neue Formen der Erdbe-schreibung und Erddarstellung, f�hrten neue Ver-marktungsstrategien zu Verbreitungsformen, dieletztlich eine wichtige Voraussetzung f�r die Aka-demisierung bildeten.

Die Dissertation Andreas Christophs f�llt eineempfindliche Forschungsl�cke, indem sie die vonFriedrich Justin Bertuch begr�ndeten Verlagsun-ternehmungen (Landes-Industrie-Comptoir, Geo-graphisches Institut) untersucht. Bertuch war einezentrale Pers�nlichkeit der Weimarer Klassik, dieauf vielen Gebieten aktiv war. Der Sonderfor-schungsbereich 482 „Ereignis Weimar-Jena. Kulturum 1800“, der von 1998 bis 2010 an der Friedrich-Schiller-Universit�t Jena beheimatet war, hat zuLeben und Werk Bertuchs wesentliche neueErkenntnisse hervorgebracht. Die Arbeiten von