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SLAPSHOT WM-Geschichte

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Mitreissende Momente der Eishockey Geschichte

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Page 1: SLAPSHOT WM-Geschichte

mitreissende Momente mitreissende Momente mitreissende Momente

der Eishockey GEschichteder Eishockey GEschichteder Eishockey GEschichte

SLAPSHOT WM-Geschichte

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76 MÄRZ ’09

Headcoach Ueli Schwarz und Mark Streit, eines seiner Zugpferde an der U20-A-WM 1997.

Die Schweizer WM-Geschichte

Text: Werner Haller sen.Bilder: Privatarchiv Jürg Wymann

Headcoach der Schweizer Junioren an der Heim-WM 1997 in der Romandie war Ueli Schwarz. Der Langnauer räumt dem Turnier noch heute, zwölf Jahre danach, einen über-durchschnittlich hohen Stellenwert ein: «Es war so etwas wie eine Zwischenstation auf dem Weg zur Bronzemedail-le, die an der darauffolgenden WM in Helsinki gewonnen

wurde.» 1996 begann eine Generation junger Schweizer unter der Führung von Cheftrainer Arno Del Curto an sich zu glauben. Talente wie Mark Streit, Martin Plüss, Michel Riesen, Reto von Arx, Sandy Jeannin, Mathias Seger, San-dro Rizzi, Mattia Baldi und Laurent Müller forderten in Boston beispielsweise den nachmaligen Weltmeister Ka-nada (1:2) oder Gastgeber USA (3:4) voll heraus. Ein Jahr später konnten Ueli Schwarz und Assistent Alfred Bohren rund zwei Blöcke des WM-Kaders von Boston überneh-

men. Neu hinzu kamen David Aebischer, Björn Christen, Michel Mouther und andere. Praktisch das Gleiche ge-schah 1998 als Ueli Schwarz SCB-Headcoach wurde und den Posten des U20-Trainers abgeben musste. Bill Gilligan konnte mit Bohren den Kern der WM-Mannschaft von 1997 übernehmen und krönte die Kontinuität mit dem 3. Schlussrang.

EINEN TRAUM VERWIRKLICHTWas die Schweizer Junioren an ihrer Heim-WM tatsächlich leisteten, wird vor allem bei einem Blick in die Vergangen-heit klar. 66 Spiele und nur zehn Punkte – das war die deut-lich negative Bilanz von zehn WM-A-Turnieren vor 1997. In Genf und Morges erkämpften sich die Schweizer in sechs Spielen allein sieben Punkte. Sie blieben gegen sämtliche europäischen Gegner wie Tschechien (1:1), Schweden (6:2), Deutschland (6:2) und Polen (6:1) ungeschlagen und verloren nur gerade gegen die beiden Erstklassierten Kana-da und USA. Ueli Schwarz staunt noch heute, «über den unglaublich starken Willen dieser Mannschaft, etwas Aus-sergewöhnliches zu zeigen. Meinem Assistenten Alfred Bohren und mir wurde es schon beim ersten Trainingscamp im Sommer Angst und Bange. Die Spieler stellten höchste Anforderungen an sich selbst, sprachen von einem Medail-lengewinn und in unserem Teambuch formulierten sie die Zielsetzung für die WM in Genf und Morges mit den Wor-ten: Egal gegen wen wir spielen, wir wollen nur eines – gewinnen. Dieses Team hatte einen Traum und liess ihn auch Wirklichkeit werden.» l

Zwischenstation auf dem Weg zur Bronze-Sensation1998 SORGTEN DIE SCHWEIZER U20-JUNIOREN AN DER A-WM IN FINNLAND MIT DEM GEWINN DER BRONZEMEDAILLE FÜR EINE SENSATION. DIE ERFOLGSGESCHICHTE BEGANN 1996 IN BOSTON (USA) MIT EINEM 9. RANG UND DEM KLASSENERHALT UND WURDE EIN JAHR SPÄTER IN GENF UND MORGES MIT PLATZ 7 UNTER ZEHN NATIONEN FORTGESETZT.

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Das grosse Rendezvous der weltbesten Junioren 1997 in Genf und Morges war die bisher einzige U20-A-WM in der Schweiz. Einige der damaligen Talente haben sich in der Zwischenzeit zu Superstars und Grossverdienern in der NHL entwickelt. Vom kanadischen Weltmeisterteam bei-spielsweise die Stürmer Daniel Brière (heute Philadelphia; Jahressalär 8,0 Millionen Dollar) und Joe Thornton (San Jose/7,2), der Verteidiger Chris Phillips (Ottawa/3,5), Tor-hüter Marc Biron (Philadelphia/3,5) und Headcoach Mike Babcock, 2004 mit Kanada auch Weltmeister bei den Ak-tiven und vier Jahre später Stanleycupsieger mit Detroit. Oder der Russe Andrei Markow, der heute als Offensivver-teidiger der Montreal Canadiens 5,75 Millionen verdient. Sogar noch zwei Millionen mehr kassiert der slowakische Stürmer Marian Hossa bei Detroit. Sein Landsmann Mich-al Handzus bringt es bei Los Angeles auf 4,0 Millionen, genau gleichviel wie der fi nnische Torhüter Vesa Toskala bei Toronto. Der höchst bezahlte Finne in der NHL ist mo-mentan jedoch der Stürmer Olli Jokinen mit 5,25 Millionen bei Phoenix. Der Deutsche Jochen Hecht (Buffalo 3,8) wird mittlerweile von einem Schweizer übertroffen – Mark Streit, der bei den New York Islanders auf ein Jah-resgehalt von 4,1 Millionen kommt.

Kanadas WM-Topskorer in Genf und Morges waren mit je vier Toren und drei Assists Christian Dubé (1999 bis 2002 Lugano; seither SCB) und Brad Isbister (diese Sai-son bei Zug). In der NHL-Lockoutsaison 2004/05 stürm-te Dubé mit Brière für den SCB und Joe Thornton wurde mit Davos Schweizer Meister.

U20-JUNIOREN-WM 1997…… in Genf und Morges (26. Dezember 1996 bis 4. Januar 1997). Schlussklassement: 1. Kanada. 2. USA. 3. Russ-land. 4. Tschechien. 5. Finnland. 6. Slowakei. 7. Schweiz. 8. Schweden. 9. Deutschland. 10. Polen (Absteiger). – Stand nach der Vorrunde. Gruppe A (je 4 Spiele): 1. USA 7 Punkte. 2. Kanada 6. 3. Tschechien 4. 4. Schweiz 3. 5. Deutschland 0. Die Resultate der Schweizer: USA 0:4, Tschechien 1:1, Deutschland 6:2, Kanada 1:4. – Gruppe B (je 4 Spiele): 1. Russland 7. 2. Finnland 6. 3. Slowakei 4. 4. Schweden 3. 5. Polen 0. – Finalrunde. Zwei Viertelfinals mit den Gruppenzweiten und – dritten: Kanada – Slowakei 7:2. Finnland – Tschechien 2:3. – Halbfinals: Russland – Kanada 2:3. USA – Tsche-chien 5:2. – Final 1./2. Platz: Kanada – USA 2:0. – Final 3./4. Platz: Russland – Tschechien 4:1. – Final 5./6.

Platz: Finnland – Slowakei 6:4. – Klassement der Ab-stiegsrunde: 1. (7. im Schlussklassement) Schweiz 6 Punkte. 2. (8.) Schweden 4. 3. (9.) Deutschland 2. 4. (10.) Polen 0 (Absteiger). Die Resultate der Schweizer: Deutschland 6:2 (aus der Vorrunde), Polen 6:1, Schwe-den 6:2.

• Topskorer (alle je 6 Spiele): 1. Michael York (USA) 5 Tore/5 Assists/10 Punkte. 2. Tommi Kallio (Fi) 5/4/9. 3. Erik Rasmussen (USA) 4/5/9. 4. Rastislav Pavlikovsky (Slk) 2/7/9. 5. Alexei Morosow (Russ) 5/3/8. – Topsko-rer der Schweizer (alle je 6 Spiele): 1. Michel Riesen 4/1/5. 2. Martin Plüss 3/1/4. 3. Laurent Müller und San-dro Rizzi je 1/3/4. 5. Mattia Baldi 2/1/3.

• Torhüter mit höchsten Abwehrquoten: 1. Brian Boucher (USA) 94,2 Prozent. 2. Marc Denis (Ka) 93,2. 3. David Aebischer (Sz) 91,7. 4. Adam Svoboda (Tsch) 89,0. – Torhüter mit niedrigsten Gegentordurchschnitten: 1. Boucher 1,51 pro Spiel. 2. Denis 1,86. 3. Aebischer 2,00. 4. Svoboda 2,66.

• Das WM-Allstarteam: Torhüter: Brian Boucher (USA). – Verteidiger: Mark Streit (Sz), Chris Phillips (Ka). – Stürmer: Michael York (USA), Christian Dubé (Ka), Sergei Samsonow (Russ). – Allstars der Schwei-zer: Mark Streit, Mathias Seger, Laurent Müller.

• Die Mannschaft der Schweizer. Torhüter: David Ae-bischer (Fribourg-Gottéron), Paolo Della Bella (Ambri). – Verteidiger: Mark Streit, Jan von Arx (beide Davos), Mathias Seger (Rapperswil), Stefan Grauwiler (Zug), Benjamin Winkler (Thurgau/NLB), Michel Fäh (Gras-shoppers/NLB), Patrick Fischer (Chur/NLB), Philipp Port-ner (Olten/NLB). – Stürmer: Björn Christen, Laurent Müller, Michel Mouther (alle SC Bern), Martin Plüss (Kloten), Mario Schocher (Davos), Mattia Baldi (Ambri), Sascha Schneider (Fribourg-Gottéron), Michel Riesen (Biel/NLB), Rolf Badertscher (SC Langnau/NLB), André Baumann (Grasshoppers/NLB), René Stüssi (Thurgau/NLB) und Sandro Rizzi (St. Moritz/1. Liga). – Head-coach: Ueli Schwarz; Assistenzcoach: Alfred Bohren; Torhütercoach: Andy Jorns.

Von Genf und Morges zum NHL-Supertstar

U20-Junioren-WM 1997 in Genf und Morges

Zwischenstation auf dem Weg zur Bronze-Sensation DIE SERIE:

Eishockeyarchivar Werner Haller senior veröffentlicht im Vorfeld der IIHF-Weltmeisterschaft in der Schweiz im SLAPSHOT acht Schweizer WM-Geschichten.

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Andrej Chomutow: der eiskalte Vollstrecker der Vorlagen seines «Zwillings» Slawa Bykow.

Dreh- und Angelpunkt in der damaligen Fribourger Mannschaft. Slawa Bykow war der geniale Denker auf und neben dem Eis.

Dreh- und Angelpunkt in der damaligen Fribourger Mannschaft. Slawa Bykow war der geniale Denker

Die Schweizer WM-Geschichte

Text: Werner Haller sen.Bilder: Privatarchiv Jürg Wymann

Der Superblock des Armeeklubs ZSKA Moskau feierte in der sowjetischen Nationalmannschaft zusammen zwei Olympiasiege und zwischen vier und sieben WM-Titelge-winne. Für die WM 1990 in Bern und Fribourg jedoch er-teilten Larionow und Krutow ihrem Cheftrainer Tichonow nach dem Verpassen der NHL-Playoffs mit Vancouver eine Absage. Es lag nun an der neuen Paradelinie mit Andrej

Chomutow, Wjatscheslaw Bykow und Waleri Kamenski das schwere Erbe des Superblocks zu übernehmen. Nach Anlaufschwierigkeiten in der Vorrunde mit Punkt-verlusten gegen Kanada (3:3) und Schweden (1:3) folgte in der Finalrunde für den Rest der Welt eine be-eindruckende sowjetische Lehrstunde: 3:0 gegen Schweden, 7:1 gegen Kanada und 5:0 gegen die Tschechoslowakei. Mit dem Maximum von sechs Punkten und einem Torverhältnis von 15:1 gewann die Sowjetunion den 21. Titel in den letzten 32 Jah-

ren. Chomutow (11 Tore/5 Assists), Bykow (3/1) und Ka-menski (7/2) waren mit 29 Skorerpunkten wie erhofft die erfolgreichste Angriffslinie. Zum WM-Team gehörten aber auch Jungstars wie Pawel Bure (19-jährig), Sergei Fedo-row (20) und der lettische Torhüter Arturs Irbe (22), der in fünf Spielen mit einer Abwehrquote von 95,0 Prozent und einem Gegentordurchschnitt von 0,94 glänzte.

«MAGISCHES DREIECK» MIT BALMERNur fünf Monate nach dem WM-Triumph in Bern standen Bykow und Chomutow, diesmal nicht mit Kamenski, son-dern mit dem Adelbodener Flügelstürmer Bruno Maurer, bereits wieder auf dem Eis des Allmend-Stadions. Mit Fri-bourg-Gottéron, ihrem neuen Klub, im Meisterschafts-Er-öffnungsspiel, in welchem sie vom SCB mit 6:1 deklassiert wurden. Nach zwei weiteren Niederlagen lagen sie ohne Punkte sogar am Tabellenende. Doch dann begann die «Maschinerie» allmählich zu laufen und Bykow/Chomu-tow gingen in den acht NLA-Saisons mit Fribourg-Gotté-

Bykow/Chomutow übernehmendas Erbe des SuperblocksWJATSCHESLAW FETISOW, ALEXEI KASATONOW, WLADIMIR KRUTOW, IGOR LARIONOW UND SERGEJ MAKAROW WAREN IN DER ÄRA DES LEGENDÄREN HEADCOACHS WIKTOR TICHONOW WÄHREND ÜBER EINEM JAHRZEHNT DAS MASS ALLER DINGE.

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ron als eines der besten Stürmerduos aller Zeiten in die Geschichte des Schweizer Eishockeys ein. In 647 Qualifi ka-tions- und Playoffspielen erzielten sie 1264 Punkte oder 1,95 Punkte im Durchschnitt. Ein Grindelwaldner bildete während drei Saisons zusam-men mit Bykow/Chomutow ein «Magisches Dreieck», wel-ches die Gegner schwindlig spielte: Sämi Balmer, einer der offensiv stärksten Schweizer Verteidiger. Er bekommt noch heute Augenwasser, wenn er vom Höhepunkt seiner Karriere schwärmt: «Es war eine phantastische Zeit, die mit nichts verglichen werden kann. Bykow und Chomutow waren international und natürlich auch national absolut dominante Stürmer, die Allerbesten unter den Besten. Chomutow war ein Weltklassefl ügel mit überdurchschnitt-lichen Skorerqualitäten und einer Antrittsschnelligkeit wie ich sie noch nie gesehen hatte.» Bykow war ein Alleskön-

Sämi Balmer bildete bei Fribourg-Gottéron mit den beiden Überrussen Bykow und Chomutow das magische Dreieck.

ner, der grosse Denker und Lenker, welcher dem Gegner stets einen Schritt und einen Spielzug voraus war. Obwohl er nur 1,73 m gross war und knapp über 70 kg wog, «war er», so Sämi Balmer, «praktisch nicht zu stoppen. Und das zu einer Zeit, als der schnelle, technisch starke und kreati-ve Spieler im Vergleich zu den heute geltenden Regeln noch klar benachteiligt war.»

AUSNAHME MIKAEL JOHANSSONBykow und Chomutow erreichten mit Fribourg-Gottéron 1992 (gegen den SCB), 1993 und 1994 (jeweils gegen Klo-ten) dreimal hintereinander den Playofffi nal, verloren aber alle drei Endspiele. So gesehen sind sie die besten Spieler, die nie Schweizer Meister wurden. «Ein einziger Spieler», erinnert sich Sämi Balmer, «war in der Lage, Bykows Krei-se entscheidend zu stören: Mikael Johansson. Er war zu-

sammen mit dem damaligen Verteidiger und heutigen Kloten-Flyers-Headcoach Anders Eldebrink die grosse Leaderfi gur bei den vier Titelgewinnen der Zürcher in Se-rie.» 1990 in Bern ging der Vergleich Bykow/Chomutow gegen Johansson/Eldebrink noch unentschieden aus: WM-Gold und EM-Silber für die Sowjetrussen, WM-Silber und EM-Gold für die Schweden. l

ron als eines der besten Stürmerduos aller Zeiten in die Geschichte des Schweizer Eishockeys ein. In 647 Qualifi ka-tions- und Playoffspielen erzielten sie 1264 Punkte oder 1,95 Punkte im Durchschnitt. Ein Grindelwaldner bildete während drei Saisons zusam-men mit Bykow/Chomutow ein «Magisches Dreieck», wel-ches die Gegner schwindlig spielte: Sämi Balmer, einer der offensiv stärksten Schweizer Verteidiger. Er bekommt noch heute Augenwasser, wenn er vom Höhepunkt seiner Karriere schwärmt: «Es war eine phantastische Zeit, die mit nichts verglichen werden kann. Bykow und Chomutow waren international und natürlich auch national absolut dominante Stürmer, die Allerbesten unter den Besten. Chomutow war ein Weltklassefl ügel mit überdurchschnitt-lichen Skorerqualitäten und einer Antrittsschnelligkeit wie ich sie noch nie gesehen hatte.» Bykow war ein Alleskön-

Im Frühling 1990 sah die Hierarchie der NHL noch et-was anders als heute. Die Playoffs fanden ohne Det-roit, Pittsburgh und Philadelphia statt, Calgary und New Jersey schieden bereits in der ersten Runde aus. Davon profi tierte die WM in der Schweiz. Kanadische Stars wie Steve Yzerman (Detroit), Paul Coffey und Mark Recchi (beide Pittsburgh), Rick Tocchet (Phila-delphia), Doug Gilmour, Theo Fleury und Al MacInnis (alle Calgary), aber auch russische Ausnahmekönner wie Fetisow, Kasatonow (beide New Jersey) und Ma-karow (Calgary) entschlossen sich, die Saison in Bern und Freiburg abzuschliessen. Bei weitem nicht alle ver-mochten die hohen Erwartungen zu erfüllen. Eine Aus-nahme war Steve Yzerman. Der damals 25-jährige Captain der Kanadier gehörten zu den unbestrittenen Publikumslieblingen. Mit zehn Toren und zehn Assists in zehn Spielen und einem phantastischen Durchschnitt von 2,0 Punkten pro Partie wurde er Topskorer, zum besten Stürmer und ins Allstarteam gewählt. Doch «Stevie Wonder», wie Steve Yzerman genannt wurde, schaffte kein Wunder.

ALS MANAGER NOCH WELTMEISTERDie Kanadier waren das dominierende Team der Vor-runde. In sieben Spielen blieben sie bei einem Torver-hältnis von 36:16 ungeschlagen und gaben nur gegen die Sowjetunion (3:3) einen Punkt ab. In der Finalrun-de aber, die alle vier Mannschaften mit null Punkten begannen, fi elen die Kanadier als Mannschaft kom-plett auseinander und mit drei Niederlagen und einem

negativen Torverhältnis von 7:16 sogar noch aus den Medaillenrängen. Für Yzerman war es bereits die letz-te WM-Teilnahme. Dafür glänzte er später auf einem noch höheren Niveau. 1997, 1998 und 2002 führte er Detroit als Captain zu drei Stanleycup-Triumphen und 2002 gewann er mit Kanada die olympische Goldme-daille. Weltmeister wurde er trotzdem noch - nach sei-ner Karriere als Aktiver, 2007 als General Manager von Team Canada.

1990 A-WM UND EM IN BERN UND FREIBURGZwischenstand nach der Vorrunde und je 7 Spie-len: 1. Kanada 13 Punkte. 2. Schweden 12. 3. Sowjet-union 11. 4. Tschechoslowakei 8 (vier Erstklassierte in der Finalrunde). 5. USA 6. 6. Finnland 3. 7. Norwegen 3. 8. BRD 0 (vier Letztklassierte in der Abstiegsrunde). – Resultate der Finalrunde: Sowjetunion – Schwe-den 3:0. Tschechoslowakei – Kanada 3:2. Sowjetunion – Kanada 7:1. Tschechoslowakei – Schweden 5:5. Sowjetunion – Tschechoslowakei 5:0. Schweden – Ka-nada 6:4. Schlussklassement nach je 3 Spielen: 1. Sowjetunion 6 Punkte (15:1 Tore). 2. Schweden 3 (11:12). 3. Tschechoslowakei 3 (8:12). 4. Kanada 0. – Schlussklassement der Abstiegsrunde nach je 10 Spielen: 5. USA 12. 6. Finnland 6. 7. BRD 3 (19:42). 8. Norwegen 3 (21:61). Norwegen steigt ab. – Schluss-klassement der EM nach der Vorrunde mit je 5 Spielen: 1. Schweden 10. 2. Sowjetunion 8. 3. Tsche-choslowakei 6. 4. Finnland 3 (12:19). 5. Norwegen 3 (15:28). 6. BRD 0.

Kein Wunder trotz «Stevie Wonder»

Weltmeisterschaft 1990 in der Schweiz

Bykow/Chomutow übernehmendas Erbe des Superblocks DIE SERIE:

Eishockeyarchivar Werner Haller senior veröffentlicht im Vorfeld der IIHF-Weltmeisterschaft in der Schweiz im SLAPSHOT acht Schweizer WM-Geschichten.

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76 JANUAR ’09

Mammutprogramm für die Schweizer WM-Veranstal-ter. Innerhalb von nur 31 Tagen wurden in Bern, Genf, Lyss und La Chaux-de-Fonds 58 Spiele der A- und B-WM ausgetragen. Die Schweiz war schon damals eine eishockeyverrückte Nation. Obschon Publikums-magnet Kanada fehlte, wurden die 30 A-Partien in Bern und Genf von 190 000 Zuschauern besucht. Bei einem Fassungsvermögen von damals 11 000 kamen durchschnittlich 7100 Fans ins Berner Allmendstadi-on. Dieses war restlos ausverkauft, als die Schweiz das für den Aufstieg in die A-Gruppe entscheidende Spiel gegen die DDR mit 3:1 gewann. Die 28 Partien des B-Turniers in Bern, Lyss und La Chaux-de-Fonds wurden von insgesamt 100 900 Zuschauern besucht, was ein Total von 290 900 Eishockeybegeisterten er-gibt.

DER ZAUBER DER «ARMY LINE»Die Sowjetunion bestätigte sich ein weiteres Mal als weltbeste Eishockeynation und gewann seit 1963 den neunten WM-Titel hintereinander – eine Erfolgs-serie, die bis heute noch nie übertroffen worden ist. Der Thron der «Sbornaja» wankte allerdings ganz be-denklich. Im allerletzten Spiel des Turniers lagen die Russen gegen Schweden bis zur 42. Minute mit 2:3 im Rückstand und zu diesem Zeitpunkt war Europa-meister Tschechoslowakei theoretisch auch Welt-meister. Doch dann begann die als «Army Line» in die Geschichte eingegangene Paradelinie des Armee-klubs ZSKA Moskau zu zaubern. Boris Michailow, Wladimir Petrow und Waleri Charlamow sorgten mit drei Toren innert neun Minuten für die Wende und drei Minuten vor Schluss erhöhte ZSKA-Verteidiger Wladimir Lutschenko noch auf 6:3.

1971. A-WM und EM in Bern (1. Runde) und Genf (2. Runde). Schlussklassement der A-WM nach je 10 Spielen: 1. Sowjetunion 17 Punkte. 2. Tschechoslowakei 15. 3. Schweden 11. 4. Finnland 9. 5. Deutschland 4. 6. USA 4 (Absteiger; 7:8 Tore in den zwei Direktbegegnun-gen gegen Deutschland). – Schlussklassement der EM nach je 8 Spielen: 1. Tschechoslowakei 13. 2. So-wjetunion 13. 3. Schweden 7. Die Tschechoslowakei gewann EM-Gold dank einem 5:2 und einem 3:3 ge-gen die Sowjetunion.

B-WM in Bern, Lyss und La Chaux-de-Fonds. Das Schlussklassement nach je 7 Spielen: 1. Schweiz 13 (Aufsteiger ins A-Turnier). 2. Polen 11. 3. DDR 10. 4. Norwegen 8. 5. Jugoslawien 5. 6. Japan 5. 7. Öster-reich 2 (Absteiger). 8. Italien 2 (Absteiger). Die Resul-tate der Schweizer: Österreich 4:1; Norwegen 3:2; Polen 4:4; Jugoslawien 8:5; Japan 4:1; DDR 3:1; Ita-lien 5:0.

Die Aufstiegsmannschaft der Schweizer. Torhüter: Gérald Rigolet (La Chaux-de-Fonds), Alfi o Molina (Lugano). – Verteidiger: Gaston Furrer, René Huguenin, Marcel Sgualdo (alle La Chaux-de-Fonds), Peter Aeschlimann (Zürcher SC), Charles Henzen (Si-erre), Beat Kaufmann (SC Langnau/17-jährig). – Stür-mer: Michel Türler, Guy Dubois, Toni Neininger, René Berra, Jacques Pousaz, Francis Reinhard, Paul Probst (alle La Chaux-de-Fonds), Ueli Lüthi (Kloten), Roger Chappot (Servette), Bruno Wittwer (SC Langnau), Hans Keller (Zürcher SC), Reto Taillens (Sierre). – Headcoach: Gaston Pelletier.

Ins Allstarteam wurden Rigolet, Sgualdo und WM-Topskorer Türler (6 Tore/4 Assists) gewählt.

Eishockeyverrückte Schweiz:Fast 300 000 Fans in 31 Tagen

Die Schweizer WM-Geschichte

Text: Werner Haller sen.Bilder: Foto-net

Die Schweizer Eishockeyaner, muss man wissen, gehörten in den Jahren unmittelbar vor der WM im eigenen Land

Von Prügelknaben zu HeldenDAS HATTE DIE EISHOCKEYWELT NOCH NIE ERLEBT: DIE A-WM 1971 IN BERN UND GENF STAND, VOR ALLEM STIMMUNGSMÄSSIG, IM SCHATTEN DES SPORTLICH ZWEITKLAS-SIGEN B-TURNIERS. DER GRUND WAR DIE SCHWEIZER NATIONALMANNSCHAFT, DIE IN BERN, LYSS UND LA CHAUX-DE-FONDS ÜBER SICH HINAUSWUCHS UND EINE RICHTIGE EUPHORIE AUSLÖSTE. MIT DEM AUFSTIEG UNTER DIE SECHS WELTBESTEN NATIONEN UND DER QUALIFIKATION FÜR DIE OLYMPISCHEN SPIELE IN SAPPORO GELANG IHR EINE ECHTE SENSATION.

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Charles Frutschi

auf internationaler Ebene zu den Prügelknaben. 1967 bla-mierten sie sich mit dem erstmaligen Abstieg in die C-Gruppe. Nach der Rückkehr in die Zweitklassigkeit vertei-digten sie 1970 in Bukarest ihren Platz im B-Turnier nur mit Müh’ und Not und dank Siegen gegen die beiden Abstei-

ger Bulgarien (4:2) und Rumänien (7:1) erfolgreich. Charles Frutschi, dem starken Mann des Schweizer Eisho-ckeys, platzte der Kragen. Der Präsident des HC La Chaux-de-Fonds und Chef der Technischen Kommission des Schweizerischen Eishockeyverbandes war ein ehrgeiziger Sieger- und kein Verlierertyp. Mit dem Handel von Öl und Kohle verdiente er sehr viel Geld und einen schönen Teil davon investierte er in zahlreiche Schweizer Spitzenspie-ler, die er in sein Team nach La Chaux-de-Fonds holte. Die Neuenburger wurden zwischen 1968 und 1973 auch sechs Mal hintereinander Schweizer Meister und stellten Jahr für Jahr mindestens die Hälfte aller Nationalspieler.

DER PATRON BEZAHLT UND BEFIEHLTUm an der WM 1971 vor eigenem Publikum ein weiteres Debakel zu verhindern, ordnete Charles Frutschi die bis-her intensivste Vorbereitung in der Schweizer Eishockey-geschichte an. Doch auf einer Osteuropatournee als WM-Generalprobe ging praktisch alles schief, was nur schief gehen konnte. Nach bloss einem Sieg (7:4 gegen Ungarn), einem Unentschieden (4:4 gegen Rumänien) und drei Niederlagen (2:5 Ungarn, 1:2 Rumänien, 4:9 Jugoslawien) wurde Nationaltrainer Harold Jones vier Tage vor WM-Beginn – angeblich wegen einer akuten Knieverletzung – freigestellt und durch Gaston Pelletier ersetzt. Der Erfolgscoach des HC La Chaux-de-Fonds und Assistenztrainer des Natio-nalteams wollte eigentlich gar nicht zum Alleinverantwortli-

chen befördert werden. Doch sein Patron hatte gespro-chen und wer bezahlt, der befi ehlt auch.

RIGOLET – DER HELD ALLER HELDENDie ungewöhnlichen Massnahmen von «Polterer» Charles Frutschi wenige Tage vor dem WM-Auftakt lösten in der Eishockey-Schweiz einiges Kopfschütteln aus. Wenig bis gar nichts traute man der Nationalmannschaft zu. Doch diese gewann in der kleinen Lysser Eishalle die beiden ers-ten Spiele gegen Norwegen (3:2) und Österreich (4:1), übernahm zusammen mit Polen die Tabellenspitze und liess sich von dieser nicht mehr verdrängen. Unbestritte-ner Höhepunkt war der «Final» um den Aufstieg im aus-verkauften Berner Allmendstadion. Dank zwei Toren von Michel Türler (4./7. Minute) und dem 3:1 durch Guy Du-bois drei Minuten vor Schluss wurden die Staatsamateure aus der DDR erstmals geschlagen. Der Jubel der 11 000 Zuschauer kannte keine Grenzen. Torhüter Gérald Rigolet bot das «Spiel seines Lebens». Er wehrte 68 von 69 Schüs-sen ab (= 98,6 Prozent), stiess kurz vor Schluss mit einem DDR-Stürmer zusammen, verlor den Helm, blutete aus zwei Gesichtswunden und biss sich trotzdem bis zur Schlusssirene durch. Er war der Held aller Helden, die zwei Wochen zuvor noch die Prügelknaben der Nation gewesen waren. l

Von Prügelknaben zu Helden DIE SERIE:Eishockeyarchivar Werner Haller senior veröffentlicht im Vorfeld der IIHF-Weltmeisterschaft in der Schweiz im SLAPSHOT acht Schweizer WM-Geschichten.

Ein Bild mit Seltenheits-wert: Charles Frutschi, Anfang der siebziger Jahre der starke Mann des Schweizer Eishockeys.

Ein Bild, das um die Hockey-Welt ging:

Gérald Rigolet nach dem Zusammenstoss

mit einem DDR-Stürmer mit zwei

klaffenden Wunden.

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76 DEZEMBER ’08

Die WM 1961 war ein Turnier der Kuriositäten. Einer-seits fand sie bereits unter Dach, andererseits aber auch noch unter freiem Himmel statt. In der neuen Les Vernets-Halle in Genf und auf der offenen Montchoisi-Kunsteisbahn in Lausanne. Die Rekordzahl von 20 Na-tionen reiste an den Lac Léman. Alle Weltklassenatio-nen, aber auch Eishockey-Exoten wie Südafrika oder Belgien. Für die Südafrikaner war es sogar die allerers-te WM-Teilnahme, welche dank einem 9:2-Sieg gegen Belgien auf dem 19. und zweitletzten Platz endete. Die schillerndste Figur war Tommy Durling. Der geborene Kanadier war 45-jährig, Headcoach und Verbandsprä-sident in einer Person. Weil ihm als Trainer ein Stürmer zur Bildung von zwei Angriffslinien fehlte, stieg er als ehemaliger Aktiver gleich selbst in die Hosen. In der Schweiz war Tommy Durling kein Unbekannter. 1938 und 1950 wurde er mit dem ZSC Vizemeister. Ebenso 1952 als Spielertrainer des EHC Basel, mit dem er aller-

dings nur ein Jahr später in die NLB abstieg und entlas-sen wurde. Bei der WM-Schlussfeier standen drei NLA-Trainer der Zukunft auf dem Siegerpodest. WM-Silber und EM-Gold gewann der tschechoslowakische Supertechniker Fran-tisek Vanek, der 1978 als Trainer den EHC Biel zum ers-ten von drei Meistertiteln führte. WM-Bronze und EM-Silber gabs für den sowjetischen Stürmer Wladimir Jursinow, von 1999 bis 2005 erfolgreicher Ausbildner bei den Kloten Flyers. Und EM-Bronze holte Schweden mit Trainer Arne «Ätti» Strömberg. Mit ihm an der Ban-de wurden die Langnauer 1981 Meisterschaftsdritte. Es war der letzte NLA-Medaillengewinn der Emmentaler bis heute.

1961 WM UND EM IN GENF UND LAUSANNESchlussklassement des A-Turniers nach je sieben Spie-len: 1. Kanada 13 Punkte. 2. Tschechoslowakei 13 (EM-

1.). 3. Sowjetunion 10 (EM-2.). 4. Schweden 8 (EM-3.). 5. DDR 4. 6. USA 3. 7. Finnland 3. 8. BRD 2. – Bei Punkt-gleichheit entschied die bessere Tordifferenz aus den Spielen unter den fünf bestklassierten Mannschaften über den WM-Titel: Kanada (17:5), Tschechoslowakei (17:8).

Schlussklassement des B-Turniers nach je fünf Spielen: 1. Norwegen 8 (27:9). 2. Grossbritannien 8 (21:11). 3. Schweiz 5 (17:15). 4. Italien 5 (19:20). 5. Polen 2 (13:17). 6. Österreich 2 (10:35). – Die Resultate der Schweizer. Qualifi kationsspiel für das A-Turnier: 5:6 n.V. gegen die BRD. - B-Turnier: Norwegen (0:6), Grossbritannien (2:2), Italien (5:3), Polen (1:3), Österreich (9:1).

Schlussklassement des C-Turniers nach je fünf Spielen: 1. Rumänien 10. 2. Frankreich 8. 3. Jugoslawien 6. 4. Holland 4. 5. Südafrika 2. 6. Belgien 0.

WM 1961 in Genf und Lausanne: Spieler, Coach und Präsident

Die Schweizer WM-Geschichte

der Partie und des WM-Titels. Als einer der ersten Goa-lies trug er eine Maske und die Russen sprachen nach

dem verlorenen Final von einem «mas-kierten Wunder.» Das war aber noch nicht alles. Tief beeindruckt studierten sie Seth Martins Spielweise bis ins letzte Detail und begannen ihre zukünftige Goaliegeneration nach dem Vorbild des Kanadiers auszubilden. Einer der ersten Nutzniesser war kein Geringerer als Wla-dislaw Tretjak, der zwischen 1970 und 1984 drei Mal Olympiasieger und zehn Mal Weltmeister wurde.

EIN PIONIERZu den grossen Bewunderern von Seth Martin gehörte auch SCB-Goalie René Kiener, der 1961 mit den Schwei-zern nach einem verlorenen Qualifikationsspiel gegen die BRD (5:6 n.V.) ins B-Turnier relegiert wurde. Für ihn war Seth Martin punkto Technik und Material ein Pio-nier: «Er war eine imposante Figur, über 190 cm gross. Er ging praktisch nie zu Boden, glänzte mit einem phan-

Text: Werner Haller sen.Bilder: Privatarchiv Jürg Wymann, Foto-net

Die WM 1961 gehörte aber noch den Trail Smoke Eaters. Die «Rauchfresser» aus dem 7 000-Seelennest Trail reprä-sentierten die kanadische Nationalmannschaft und er-kämpften sich als Aussensei-ter mit einem 5:1-Triumpf über die Sowjetunion die letzte Goldmedaille für die «Ahornblätter; bis 1994. Ihr grosser Star war Torhüter Seth Martin. Im alles entscheidenden letzten Spiel entnervte er die sowjetischen «An-griffsroboter» bereits frühzeitig. Von den ersten zehn Minuten mussten die Kanadi-er deren sechs in Unterzahl spielen. Doch Seth Martin war nicht zu bezwingen und legte damit den Grundstein zum Gewinn

Seth Martin – das maskierte WunderDIE WM 1961 IN GENF UND LAUSANNE WAR DER GROSSE WENDEPUNKT IN DER ENTWICKLUNG DES INTERNATIONALEN EISHOCKEYS. ES WAR DAS LETZTE TURNIER, AN WELCHEM EINE REINE AMATEURMANNSCHAFT DEN TITEL GEWANN. DANACH BEGANN FÜR VIELE JAHRE DIE ERDRÜCKENDE DOMINATION DER OSTEU-ROPÄISCHEN STAATSAMATEURE UND DER IMMER STÄRKER WERDENDEN SKANDI-NAVIER.

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Seth Martin

tastischen Stellungsspiel und einer blitzschnellen Fang-hand wie ich sie noch nie gesehen hatte. Er trug als einer der ersten Torhüter eine Maske und überdurch-schnittlich hohe Schoner. Damals waren die Ausrüstun-gen allerdings noch nicht reglementiert wie heute. Kei-ne Frage – Seth Martin war der alles überragende Goalie der damaligen Zeit.» René Kieners Einschätzung wird durch die Eishockeygeschichte bestätigt. Seth Martin wurde wie 1961 auch 1963 (Rang 4 für Kanada) und 1966 (3.) als bester WM-Keeper ausgezeichnet und 1964 (4.) ins olympische All-Star-Team gewählt.

FEUERWEHR STATT NHLSeth Martin gilt als der beste Amateurgoalie aller Zeiten. Die NHL bestand damals nur aus sechs Mannschaften, den New York Rangers, Montreal, Toronto, Chicago, Boston und Detroit. Doch die «Original Six» und ganz Nordameri-ka interessierten sich überhaupt nicht fürs internationale Eishockeygeschehen, sondern nur für «ihren» Stanley Cup. Als aber die NHL 1967 von sechs auf zwölf Teams ausge-baut wurde, suchten die neu aufgenommenen St. Louis Blues einen Ersatzgoalie und erinnerten sich an den unbe-strittenen Star des Welteishockeys – Seth Martin. Nach 30 NHL-Einsätzen hatte aber dieser die Nase schon voll und kehrte dorthin zurück, wo er 20 Jahre seiner Karriere ver-bracht und sich am wohlsten gefühlt hatte: Zu seinen Trail Smoke Eaters und zur Zinkfabrik, wo er zeit seines Lebens als Feuerwehrmann angestellt war. l

Seth Martin – das maskierte Wunder

DIE SERIE:Eishockeyarchivar Werner Haller senior veröffentlicht im Vorfeld der IIHF-Weltmeisterschaft in der Schweiz im SLAPSHOT acht Schweizer WM-Geschichten.

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76 NOVEMBER ’08

Text: Werner Haller Fotos: fotonet, Jürg Wymanns Privatarchiv

Es war die Zeit der eleganten Schlittschuhläufer und starken Stocktechniker. Die Zeit der Künstler und Zauberer. Die Zeit, als Eishockey noch ein Spiel im wahrsten Sinne des Wortes und im Zeitlupentempo war. Sven Tumba Johansson jedoch spielte ein anderes, ein neues Spiel. Er war ein Revolutionär. Der Schweizer Stürmer Gian Bazzi, der mit den Young Sprin-ters aus Neuenburg 1957, 58 und 63 den Schweizer Cup ge-wann, hat seine ersten Spiele gegen Schweden und Tumba nie vergessen: «Er war der erste Spieler, der seine erstklassige Lauf- und Stocktechnik mit enormer Kraft und einer ausge-zeichneten athletischen Verfassung kombinierte. Er kam mir vor wie ein Tank, der durch nichts aufzuhalten war und ein-fach alles niederwalzte.» So wie beispielsweise beim ersten Länderspiel, das Tumba am 12. Dezember 1951 in Stockholm für das «Tre Kronor»-Team bestritt und beim 10:1-Kantersieg gegen die USA gleich die Hälfte aller Tore erzielte.

DIE REGIERUNG STIMMTE ZUSven Tumba Johansson ist einer der populärsten schwedi-schen Sportler aller Zeiten. Damit er nicht mit den Aber-tausenden anderer Johanssons verwechselt wird, stimmte die schwedische Regierung einer Ausnahmeregelung zu und erlaubte der Eishockey-Legende den Namen seines Heimatortes zu tragen: Tumba und ganz Schweden weiss,

Die Schweizer WM-Geschichte

Tumba – der RevolutionärDIE WM 1953 IN ZÜRICH UND BASEL BLEIBT ZWEI TRADITIONSREICHEN EISHOCKEYNATIONEN IN UNTERSCHIEDLI-CHER ERINNERUNG. DIE SCHWEDEN WURDEN ERSTMALS WELTMEISTER UND DIE SCHWEIZER GEWANNEN MIT BRONZE IHRE ALLERLETZTE WM-MEDAILLE BEI DEN AKTIVEN. DER STAR DES TURNIERS WAR EIN ERST 21-JÄHRIGER SCHWEDI-SCHER STÜRMER: SVEN OLOF GUNNAR JOHANSSON, GENANNT TUMBA.

DIE SERIE:Eishockeyarchivar Werner Haller senior veröffentlicht im Vorfeld der IIHF-Weltmeisterschaft in der Schweiz im SLAPSHOT acht Schweizer WM-Geschichten.

Tumba Johansson, der – um sich von allen anderen Johanssons abzuheben – das Recht erhielt, den Namen seines Heimatortes «Tumba» im Namen zu tragen.

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Ein Zeitungsartikel über Tumba Johansson, nachdem der Schwede 1997 in die Hall of Fame des Internatio-nalen Eishockeyverbandes aufgenommen wurde.

Tumba Johansson

von wem die Rede ist. Gestern, heute und bestimmt auch morgen noch. Tumba war nicht nur ein Eishockeystürmer der Extraklasse, sondern ein sportliches Multitalent. Im Sommer bestritt er mit Djurgardens Stockholm die Fussballmeisterschaft, wurde 1959 einmal Meister und sogar für ein Länderspiel aufgebo-ten. Nach seiner Eishockey- und Fussballkarriere gehörte er in seiner Heimat zu den Pionieren des Golfsportes. Auch in die-ser Sportart stieg der vom Ehrgeiz besessene Tumba bis ins schwedische Nationalteam auf, gewann Internationale Meis-terschaften und eröffnete 1967 das «Tumba Golf Center», die erste Indoor Driving Range seines Landes.

EIN ZU «BISSIGER» SCHERZTumba war ein stark erfolgsorientierter Weltklasseathlet, der es allerdings auch gerne lustig hatte. Einer seiner vielen Späs-se könnte ihm sogar eine Karriere in der NHL gekostet haben. 1957 wurde er von den Boston Bruins als erster Europäer überhaupt ins Trainingscamp eingeladen. Zum NHL-Alltag gehörte es damals, dass die Spieler ihre Zahnprothesen in ein Glas legten, bevor sie aufs Eis gingen. Eines Tages wartete Tumba bis die Garderobe leer war und vertauschte noch rasch ein halbes Dutzend Gebisse. Mit diesem Scherz hatte er es sich allerdings mit den Boston Bruins gründlich verscherzt.

Wenige Tage später teilte ihm der Manager mit, dass er für ihn den Rückfl ug nach Stockholm gebucht habe.

TUMBA WIE NUMMELINDie Karriere von Tumba. - Geboren am 27. August 1931 in Tumba bei Stockholm. – Mit der schwedischen National-mannschaft (1951 bis 66): Vier Olympia-Teilnahmen und 14 WM-A-Turniere. Es gibt nur noch zwei weitere Spieler mit 14 WM-Selektionen: Jiri Holik (Tsch; 1964 bis 77) und Luga-nos Verteidiger Petteri Nummelin (Fi; 1995 bis 08). - Gröss-te WM-Erfolge: Gold 1953, 57, 62; Silber 63, 64; Bronze 52, 54, 58, 65; 1957 und 62 bester WM-Stürmer. - Olympische Spiele: Silber 64; Bronze 52; 1964 Topscorer des Turniers. – 245 Länderspiele mit 223 Toren. – Grösste Cluberfolge: Mit Djurgardens Stockholm acht Mal Meister (von 1958 bis 63 in Serie); 369 Scorerpunkte (279 Tore/90 Assists) in 121 Spielen; 3 Mal Topscorer der höchsten schwedischen Liga. – 1997 Aufnahme in der Hall of Fame des Internationalen Eishockeyverbandes. l

Eine kuriosere Welt- und Europameisterschaft als diejeni-ge von 1953 in Basel und Zürich fi ndet man in der gesam-ten Eishockeygeschichte nicht. Das A-Turnier begann mit vier Mannschaften, der kleinsten Anzahl teilnehmender Nationen aller Zeiten, und endete mit drei Teams. Wäh-rend des Turniers starb der tschechoslowakische Staats-präsident Klement Gottwald. Sportminister Janda forder-te die WM-Delegation auf, den Titelkampf abzubrechen und unverzüglich in die Heimat zurückzukehren. Die bis zu diesem Zeitpunkt erzielten Resultate der Tschechoslo-waken mit ihrer Weltklasse-Sturmlinie Barton-Bubnik-Danda wurden gestrichen. Damit standen die Schweden, dies als weiteres Kuriosum, nach zwei Siegen gegen die Schweiz (9:2, 9:1) sowie einem Erfolg gegen Deutschland (8:6) bereits vor ihrem letzten Spiel als Welt- und Europa-meister fest. Zum Abschluss des Miniturniers revanchier-te sich Deutschland gegen die Schweiz mit 7:3 für die 2:3-Niederlage in der ersten Begegnung und gewann da-mit die Silbermedaille.

RAUBEINE AUSGELADENKuriosum Nummer 3: Ausgerechnet ein Schweizer war dafür verantwortlich, dass die WM und EM in seinem Land zu einer sportlichen Farce wurde. Der Davoser Zahnarzt Fritz Kraatz war Präsident des Internationalen Eishockeyverbandes. An den Olympischen Winterspie-len 1952 in Oslo führten sich die Kanadier und Amerika-ner auf und neben dem Eis wie Raubeine auf. Der SCB-Stürmer Gian Bazzi, während seiner ganzen Karriere ein Vorbild eines Sportsmannes, erinnert sich noch an die ungehobelten Überseer: «Stellen Sie sich vor, in Oslo habe ich tatsächlich dreingeschlagen, das einzige Mal in meiner ganzen Karriere. Ein amerikanischer Verteidi-

ger war auf den schmächtigen Otto Schubiger losge-gangen und da hat es mich einfach verjagt.» Als die Kanadier, vertreten durch den Amateurmeister Edmonton Mercurys, nach dem Gewinn der Goldme-daille in ihrem Olympischen Quartier auch noch sämtli-ches Mobiliar demolierten und aus den Fenstern war-fen, platzte auch Fritz Kraatz der Kragen: «Solche Mannschaften wollen wir in Europa nicht sehen.» Die stolzen Nordamerikaner liessen sich diese Provokation nicht bieten und verzichteten 1953 auf die Reise in die Schweiz. Damit konnte man im St. Margarethenpark in Basel und auf der Dolder-Kunsteisbahn in Zürich die al-les überragende Eishockeynation der damaligen Zeit nicht bewundern. Die Kanadier hatten zwischen 1920 und 1952 nicht weniger als 15 von 19 möglichen WM- und Olympiamedaillen gewonnen. Von den A-Nationen verzichteten aus verschiedenen Gründen auch Norwe-gen und Polen sowie die Sowjetunion, die 1952 zwar in den Internationalen Eishockeyverband aufgenommen worden war, aber erst 1954 an der WM in Stockholm an einem internationalen Titelkampf mitmachte.

TOPSCORER ALS VERTEIDIGERKuriosum Nummer 4. Ein Kanadier war an der WM 1953 trotzdem dabei. Er hiess Frank Sullivan und war Head-coach der Schweizer Nationalmannschaft. Er war ein Gentleman, aber auch ein Schlitzohr mit Mut. Weil Schweizer Verteidiger von internationalem Format, ge-nauso wie heute, Mangelware waren, stellte er zwei Topskorer der National League A in der Abwehr auf: den legendären Davoser Stürmer Walter «Watschga» Dürst und Otto Schläpfer, ebenfalls ein Davoser, der aber sei-ne ganz grossen Zeiten beim ZSC feierte.

1953. WM und EM in Basel und ZürichSchlussklassement des A-Turniers nach je 4 Spielen: 1. Schweden 8 Punkte (38:11 Tore). 2. Deutschland 2 (17:26). 3. Schweiz 2 (9:27). – Die Tschechoslowakei zog sich nach drei Siegen und einer Niederlage wegen des Todes von Staatpräsident Klement Gottwald aus dem WM-Turnier zurück. – Die Resultate der Schweizer: Schweden 2:9, 1:9. Deutschland 3:2, 3:7. Nicht gewer-tet: Tschechoslowakei 4:9.

Schlussklassement des B-Turniers nach je 5 Spielen: 1. Italien 10 Punkte. 2. Grossbritannien 8. 3. (ausser Konkurrenz) Schweiz B 6. 4. Österreich 4. 5. Holland 2. 6. Frankreich 0.

Der Kader der Schweizer. Torhüter: Hans Bänninger (ZSC) und Martin Riesen (Arosa). – Verteidiger: Emil Handschin (Basel), Rudolf Keller (Grasshoppers Zü-rich), Walter Dürst (Davos), Otto Schläpfer, Silvio Ros-si und Armin Schütz (alle ZSC). – Stürmer: Hans-Martin Trepp, Ueli und Gebi Poltera (alle Arosa), Gian Bazzi (SC Bern), Otto Schubiger (Grasshoppers Zürich), Michel Wehrli, Francis Blank (beide Young Sprinters Neuenburg) und Oscar Mudry (Lausanne). – Head-coach Frank Sullivan (CA).

Das kurioseste Turnier aller Zeiten

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60 OKTOBER ’08

An den Olympischen Spielen 1948 in St. Moritz durfte Bibi Torriani bei der Eröffnungsfeier als bisher einziger Schweizer Sportler und bis auf den heutigen Tag einziger Eishockeyspieler überhaupt den Olympischen Eid sprechen.

Mannschaft schlug das Olympiateam mit 4:1 – Matchwin-ner mit vier Toren war Bibi Torriani. Nationalcoach Bell kam nicht darum herum, das Ausnahmetalent kurzfristig im Olympiakader aufzunehmen. Nur drei Wochen später ging Bibi Torriani mit Bronze und im Alter von 16 Jahren und 131 Tagen als jüngster Eishockey-Medaillengewinner aller Zeiten in die Olympische Geschichte ein. 20 Jahre später schloss sich der Kreis der glanzvollen Karriere. Wiederum an den Olympischen Spielen, wiederum in sei-nem Heimatort St. Moritz, wiederum mit einer Bronzeme-daille und einer aussergewöhnlichen Ehre. Bibi Torriani durfte bei der Eröffnung als bisher einziger Schweizer Sportler und bis auf den heutigen Tag einziger Eisho-ckeyaner den Olympischen Eid sprechen. l

Im damals noch nicht von Körpereinsatz und Kraft geprägten Eishockey spielte der ni-Sturm mit seinen Gegnern Katz und Maus. Hans Cattini war als Mittelstür-mer der Denker und Lenker, Pic Cattini der kaltblütige Realisator und Bibi Torriani mit seiner überdurchschnitt-lichen Lauf- und Stocktechnik der Reisser. Sie verstanden sich nicht nur auf dem Eis blindlings, sondern waren auch in ihrer Freizeit dicke Freunde. Nach den Trainings sassen sie häufi g zusammen und «brüteten» mit Bleistift und Papier, mit Kreide und Wandtafel oder mit Streich-hölzern neue Spielzüge aus, die sie dann bis zur Perfek-tion trainierten. Der ni-Sturm begeisterte das Publikum aber nicht mit hundertfach geübten Kombinationen. Er verblüffte auch immer wieder mit seinem Spielwitz, mit spontanen Einfällen und seinem Improvisationsvermö-gen. Gekrönt wurde die hohe Spielkunst des Trios 1935 in Davos und 1939 in Zürich und Basel mit dem Gewinn des EM-Titels sowie 1948 in St. Moritz mit der Olympi-schen Bronzemedaille.

SO POPULÄR WIE FERDY KÜBLERDie grosse Leitfi gur in der Blütezeit des Schweizer Eisho-ckeys war Bibi Torriani. Er war so populär wie Radwelt-meister Ferdy Kübler, ein Idol und Vorbild, nicht nur wegen seiner herausragenden sportlichen Leistung, son-dern auch wegen seiner beispielhaften Fairness, seiner Bescheidenheit und seiner Leidenschaft, mit welcher er seinen Sport ausübte. Bibi Torriani war einer der ersten ganz grossen Sportstars ohne Starallüren. Der Grund-

stein zum hohen Stellenwert, den der Eishockeysport heute in der Schweiz hat, wurde von ihm gelegt. Welche Respektperson Bibi Torriani war, zeigt das Beispiel seiner Entlassung als National-trainer. Keiner der hohen Verbandsbosse wagte es, ihm den Entscheid mitzuteilen. In den sauren Apfel musste schliesslich ein gewisser Sepp Blatter beissen – damals Sekretär des Eishockeyverbandes, heute Präsident der FIFA.

EIN KOMETENHAFTER AUFSTIEGBevor Bibi Torriani mit dem Eishockeyspielen begann, ging er den Weg, der auch der heutigen Generation von Eishockeyprofi s bestimmt nicht schaden würde. Er wurde auf dem St. Moritzer Eisrink unter vielen Knirpsen vom amerikanischen Eiskunstlauftrainer Nocholson entdeckt und ausgebildet. Von seinen Schulkameraden wurde Bibi Torriani so lange gehänselt, bis er zum Eishockeystock griff und als exzellenter Läufer allen um die Ohren fuhr. Seine Eishockeykarriere begann er als 16-jähriger im Winter 1927, der nur 56 kg leichte «Sprenzel» kam gleich in die erste Mannschaft des EHC St. Moritz und wurde auf Anhieb Schweizer Meister. Vor den Olympischen Spielen im Februar 1928 in St. Moritz bestritt das Schweizer Olympiateam ein letztes Trainingsspiel gegen eine B-Auswahl. Bei dieser durfte auch Bibi Torriani mitspielen, weil er als Einheimischer keine Spesen verursachte. Die zusammengewürfelte

Die Schweizer WM-Geschichte

Superstar ohne StarallürenDIE MIT ABSTAND ERFOLGREICHSTEN ZEITEN DER SCHWEIZER NATIONAL-MANNSCHAFT UND VON REKORDMEISTER DAVOS HABEN NAMEN: BIBI TORRIANI UND DER NI-STURM. UNTER DER FÜHRUNG DES LEGENDÄREN ANGRIFFSTRIOS MIT BIBI TORRIANI UND DEN GEBRÜDERN PIC UND HANS CATTINI STIEG DIE SCHWEIZ ZWISCHEN 1933 UND 1948 ZUR DOMINIE-RENDEN EISHOCKEY-NATION EUROPAS UND DER HC DAVOS MIT 16 TITELGEWINNEN ZUR UNBESTRITTENEN NATIONALEN NUMMER 1 AUF.

DAS PORTRÄT VON BIBI TORRIANIGeboren am 1. Oktober 1911 in St. Moritz. Gestorben am 3. September 1988. – Nationale Erfolge als Spieler: 17 Mal Schweizer Meister mit St. Moritz (1) und Davos (16). Als Trainer: Schweizer Meister mit Visp 1962. – Internationale Erfolge als Spieler der Schweizer Nationalmannschaft: 105 Tore in 111 Länderspielen, 17 Medaillengewinne. Olympische Spiele: 2 Mal Bronze. WM: 1 Mal Silber, 5 Mal Bronze. EM: 2 Mal Gold, 5 Mal Silber, 2 Mal Bronze. – Als Trainer der Nationalmannschaft: 6 Me-daillengewinne. WM: 2 Mal Bronze. EM: 1 Mal Gold, 1 Mal Silber, 2 Mal Bronze. – Seit 1997 in der Hall of Fame des Internationalen Eishockeyverbandes.

das Beispiel seiner Entlassung als National-trainer. Keiner der hohen Verbandsbosse wagte es, ihm

CATTINI STIEG DIE SCHWEIZ ZWISCHEN 1933 UND 1948 ZUR DOMINIE-

StarallürenNEU:Eishockeyarchivar Werner Haller senior veröffentlicht im Vorfeld der IIHF-Weltmeisterschaft in der Schweiz im SLAPSHOT acht Schweizer WM-Geschichten.

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Von 1933 an bildete Bibi Torriani beim HC Davos, zusammen mit Hans Cattini und dessen Bruder Ferdinand «Pic» Cattini, den sogenannten ni-Sturm. Der «ni-Sturm» galt während etwa anderthalb Jahrzehnte als die Paradelinie des HC Davos und der Schweizer Nationalmannschaft.

Bibi Torriani

Die Kanadier waren die ganz grossen Dominatoren der vier ersten internationalen Titelkämpfe, die zwi-schen 1928 und 1948 in der Schweiz ausgetragen wurden und als Olympia-, WM- und EM-Turniere in die Geschichte eingingen. Sie gewannen zwei Olym-pia- und vier WM-Goldmedaillen. Die Überseer schickten als Nationalmannschaft jeweils den Ama-teur-Champion in unser Land. Die Toronto Varsity Grads (1928), die Winnipeg Monarchs (1935), die Trail Smoke Eaters (1939) und das Team der Royal Canadien Air Force aus Ottawa blieben dabei auf Schweizer Eis in 26 Spielen ungeschlagen, feierten 25 Siege mit einem Torverhältnis von 193:13 und gaben nur 1948 bei einem 0:0 gegen die Tschechoslowakei einen einzigen Punkt ab.

Neben den Kanadiern standen 1928 in St. Moritz, 1935 in Davos, 1939 in Basel und Zürich und 1948 nochmals in St. Moritz nur noch die Schweizer auf dem Siegerpodest. Sie nutzten den Heimvorteil zum Gewinn von zwei Olympischen Bronzemedaillen, ei-ner WM-Silber- und drei Bronzemedaillen sowie zwei EM-Gold- und zwei EM-Silbermedaillen. 1948 mussten Jaroslav Drobný und das tschechoslo-wakische Team den Olympiasieg nur wegen der um

zwei Tore schlechteren Tordifferenz den punktglei-chen Kanadiern überlassen. Drobný war nicht nur als Eishockey-, sondern auch als Tennisspieler absolute Weltklasse. 1947 wurde er Eishockey-Weltmeister, als Tennisspieler gewann er 1951 und 1952 auf Sand das French Open, stand 1949 und 1952 auf Rasen im Wimbledon-Final, bevor er 1954 auch noch den be-gehrtesten aller Tennistitel mit einem Finalsieg ge-gen Ken Rosewall (Au) gewann.

TITELKÄMPFE IN DER SCHWEIZ VON 1928 BIS 19481928. Olympische Spiele in St. Moritz (gleichzeitig auch WM und EM). Schlussklassement der Finalrunde (alle 3 Spiele): 1. Kanada 6 Punkte. 2. Schweden 4 (WM-2. und EM-1.). 3. Schweiz 2 (WM-3. und EM-2.). 4. Grossbritannien 0 (EM-3.). – Nach der Vorrunde ausgeschieden: 5. Österreich. 6. Frankreich. 7. Tsche-choslowakei. 8. Belgien. 9. Deutschland. 10. Polen. 11. Ungarn.

1935. WM und EM in Davos. Schlussklassement der Finalrunde (alle 3 Spiele): 1. Kanada 6. 2. Schweiz (WM-2. und EM-1.) 4. 3. Grossbritannien (WM-3. und EM-2.) 2. 4. Tschechoslowakei (EM-3.) 0. – Nach der Zwischenrunde ausgeschieden: 5. Schweden. 6. Ös-

terreich. 7. Frankreich. 8. Italien. – Nach der Vorrun-de ausgeschieden: 9. Deutschland. 10. Polen. 11. Ungarn und Rumänien. 13. Lettland. 14. Belgien und Holland.

1939. WM und EM in Basel und Zürich. Schlussklasse-ment der Finalrunde (alle 3 Spiele): 1. Kanada 6. 2. USA 4. 3. Schweiz und Tschechoslowakei je 1. – EM-Entscheidungsspiel: Schweiz (WM-3. und EM-1.) - Tschechoslowakei (EM-2.) 2:0. – Nach der Zwischen-runde ausgeschieden: 5. Deutschland (EM-3.). 6. Polen. 7. Ungarn. 8. Grossbritannien.Nach der Vorrunde ausgeschieden: 9. Italien. 10. Lettland. 11. Belgien und Holland. 13. Jugoslawien und Finnland.

1948. Olympische Spiele in St. Moritz (gleichzeitig auch WM und EM). Schlussklassement (alle 8 Spiele): 1. Kanada 15 (+ 64 Tore). 2. Tschechoslowakei (WM-2. und EM-1.) 15 (+ 62 Tore). 3. Schweiz (WM-3. und EM-2.) 12. 4. Schweden (EM-3.) 8. 5. Grossbritannien 6. 6. Polen 4. 7. Österreich 2. 8. Italien 0. – USA dis-qualifiziert.

Jaroslav Drobny – ein Champion auf Eis, Sand und Rasen

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Quelle: World of Hockey. Celebrating a Century of the IIHF; Hrsg: IIHF; Bolton und Ontario, 2007.

Das organisierte Eishockey begann nicht etwa mit der Grün-dung des IIHF-Vorgängers LIHG im Jahre 1908, sondern fand seinen Startschuss bereits 33 Jahre früher in einer Zeit, in der sich die Kolonialmächte die Welt aufteilten. Auf dem Victoria Skating Rink in Montréal, dieser wurde 1862 ge-baut, spielten die Universitätsteams von McGill und Victo-ria erstmals gegeneinander. Das Spiel wurde zuvor in der Montreal Gazette mittels einem 15-Zeilen-Artikel angekün-digt und gilt bis heute als die erste organisierte Eisho-ckeypartie der Geschichte. Da das benutzte Land zwischen der Drummond und der Stanley Street die Fläche von 200 auf 85 feet aufwies, wurde eine entsprechende Eisfl äche benutzt. Damals dachte wohl niemand daran, dass dies gleichzeitig die Eichmasse für sämtliche nordamerikani-schen Eisfelder sein würden.

«MISSIONARE» IM DIENSTE DES EISHOCKEYSAuf dem Alten Kontinent war das Eishockeyspiel in dieser Art zu dieser Zeit noch nicht bekannt; es wurde vielmehr

dem Bandy gefröhnt. Dies war eine Art übergrosse Version des Hockeyspiels. Georghe Meagher aus Ontario bemerkte dies und versuchte den Eishockeyeinfl uss auf das Bandy auszuüben. Dies gelang ziemlich gut, denn schon bald trennten sich die Bandy-Spieler vom Ball und akzeptierten den Puck als Spielgerät. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts formierten sich in England erste komplett kanadisch beein-fl usste Teams, die als Botschafter und «Missionare» für die kanadische Eishockey-Variante auftraten. Dies mit Erfolg: 1905 spielten der FPB Brüssel und CP Paris zwei Partien ge-geneinander in der «Übersee-Variante». Noch heute gelten sie in der Geschichtsschreibung als erste Eishockeyspiele auf europäischem Boden. Die Unterschiede zwischen den Spielversionen sorgten innerhalb der Hockey-Communitiy für grosse Unruhe. Die erfolgreichste Gegenmassnahme war die Gründung der Ligue internationale de Hockey sur

glace LIHG im Jahr 1908 in Paris durch die vier Gründungs-mitglieder Grossbritannien, Belgien, Schweiz (vertreten durch die beiden Delegierten Eduard Mellor and Louis Du-four) und Frankreich. Damit war die Geburtsstunde des in-ternationalen Eishockeys Tatsache geworden. Das erste Turnier führte die SIHL im darauffolgenden Winter in Berlin durch. Im Januar 1910 folgten in Les Avants die ersten offi -ziellen Europameisterschaften des LIHG, wobei sich Gross-britannien im Final gegen Deutschland durchsetzen konnte. Dabei wurde erstmals das Ausländerverbot für Natio nal-team-Meisterschaften durchgesetzt. 1914 gewann Böhmen in Deutschland überraschend die zweite Europameister-schaft, wobei sich die Deutschen im Berliner Eis palast vor 3000 Fans erneut mit dem Ehrenplatz zufrieden geben mussten.Nach dem Ersten Weltkrieg gab das Eishockey 1920 wäh-rend den Sommerspielen (!) in Antwerpen sein olympisches Debut. Dabei setzten sich die Kanadier ebenso durch wie vier Jahre später bei den olympischen Winterspielen in Cha-monix. Mit dem Kanadier Harry Watson, dessen 37 olympi-sche Tore noch immer Rekord sind, feierte die Eishockey-Community dabei ihren ersten globalen Star. l

100 Jahre IIHF

VOR HUNDERT JAHREN WURDE IN PARIS DER INTERNATIONALE EISHOCKEY-VERBAND GEGRÜNDET. DAS JAHR DES JUBILÄUMS IST FÜR DAS EISHOCKEY DER STARTSCHUSS IN EINE DYNAMISCHE ZUKUNFT UND DIE GELEGENHEIT, UM AUF DAS ERSTE JAHR-HUNDERT MIT STOCK UND PUCK ZURÜCKZU BLICKEN. SLAPSHOT TUT DIES AB DIESER AUSGABE UND UNTERSUCHT JEWEILS 20 JAHRE EISHOCKEY GESCHICHTE. DIE ERSTE FOLGE IST DEN PIONIEREN DES EISHOCKEYS GEWIDMET.

1908-1927: Das Eishockey besiegt den Bandy-Sport

Der Kanadier Harry Watson (auf dem Bild erzielt er 1924 in Chamonix einen seiner 37 Olympia-Treffer) entwickelte sich in den 20er-Jahren zum ersten globalen Eishockey-Star.

SILBER FÜR 100 JAHRE EISHOCKEYDer Bund widmet dem 100-Jahr-Doppeljubiläum des Schweizerischen Eishockeyverbands SEHV und der Inter-national Ice Hockey Federation IIHF im Jahr 2008 eine Sondermünze in Silber. Offi zieller Ausgabetag ist der 18. Januar 2008; präsentiert wurde die Jubiläumsmünze je-doch bereits Ende November am Sitz der IIHF in Zürich durch Bundesrat Hans-Rudolf Merz. Weitere Informatio-nen zur Sonderprägung «100 Jahre Eishockey» unter www.swissmint.ch, wo sie ab 18.1.2008 direkt bestellt werden kann. Mit dem Verkaufserlös unterstützt der Bund Kulturprojekte in der ganzen Schweiz.

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100 Jahre IIHF, Folge 2

Quelle: World of Hockey. Celebrating a Century of the IIHF; Hrsg: IIHF; Bolton und Ontario, 2007.

Obwohl das Eishockey bereits in den ersten zwei Dekaden seines Bestehens den Bandy-Sport bezüglich der Populari-tät übertrumpft hatte, rang das europäische Eishockey um seine sportliche Entwicklung. Die schwedische Bandy-Nationalmannschaft bezwang die Eishockey-Auswahlen von Belgien (8:0) und Frankreich (4:0) Mitte der 1920er-Jahre deutlich. Dabei wurde klar, dass die Bandy-Spieler besser trainierte Athleten waren als die aus dem aristokra-tischen Umfeld stammenden Eishockeyspieler. Umso wichtiger war es für das internationale Eishockey, dass die nordamerikanischen Eishockey-Spieler aus allen sozialen Schichten stammten und in technisch und taktischer Hin-sicht für diejenigen Impulse sorgten, die auch den europä-ischen Teams den Weg für wichtige Entwicklungsschritte ebneten. Eine Klasse für sich waren an den Olympischen Spielen 1928 in St. Mortiz erneut die Kanadier, die mit der Mannschaft der Toronto Varsity Grads angetreten waren. 1932 in Lake Placid mussten die Kanadier erstmals für Olympisches Gold kämpfen: Im Final gegen die US-Ameri-kaner erzielten sie den siegbringenden Treffer «erst» in der zweiten Overtime. 1936, Adolf Hitler und die National-sozialisten hatten in Deutschland längst die Macht über-nommen und schmiedeten im Geheimen bereits Kriegs-pläne für mehr «Lebensraum im Osten», erfolgte anlässlich

der Olympischen Spiele in Garmisch-Partenkirchen die erste faustdicke Überraschung im internationalen Spitzen-eishockey: Die Mannschaft aus Grossbritannien besiegte die «Unbezwingbaren» aus Kanada im Final mit 2:1-Toren. Etwas Kanadisches hatte der Olympische Erfolg der Män-ner von der Insel trotzdem: Nicht weniger als elf Briten wuchsen als Knaben in Kanada auf und brachten von dort ihre Eishockey-Fähigkeiten über den Atlantik.

DER KRIEG KONNTE DEN SPORT NICHT VERDRÄNGENNachdem in den 30er-Jahren das Eishockey erste Spiele von Teams aus Afrika, Asien und Ozeanien vermeldete, konnte selbst der Zweite Weltkrieg der Entwicklung der Sportart kein Ende setzen: Zwischen 1938 und 1947 fan-den sowohl Länderspiele wie auch Klubspiele statt. Dabei kämpften die Teams wegen der Einberufung ihrer Spieler in die Armeen aber verständlicherweise mit argen Perso-nalproblemen. Dennoch wurde, das Beispiel Berlin zeigte es deutlich, manchmal bis fast fünf Minuten vor dem nächsten Bombenangriff Eishockey gespielt. l

DAS MUTTERLAND DES EISHOCKEYS, KANADA, DOMINIERTE ENDE DER 20ER UND ANFANGS DER 30ER-JAHRE DAS EISHOCKEYGESCHEHEN UND WAR MIT SEINEN IMPULSEN EIN WICHTIGER ENTWICKLUNGSHELFER FÜR DIE EUROPÄISCHE EISHOCKEYSZENE. 1936 WURDE DIES AN DEN OLYMPISCHEN SPIELEN IN GARMISCH-PARTENKIRCHEN DEUTLICH: DIE KANADIER HOLTEN ERSTMALS KEIN GOLD UND MUSSTEN SICH VON DER MANNSCHAFT GROSSBRITANNIENS GESCHLAGEN GEBEN. DIE ZWEITE FOLGE DER SERIE VON SWISSMINT, DER IIHF UND SLAPSHOT ÜBER DIE EISHOCKEY-HISTORIE ZEIGT ZUDEM AUF, DASS SELBST WÄHREND DEM ZWEITEN WELTKRIEG EISHOCKEY GESPIELT WURDE.

1928-1947: Dominator Kanada – danach der Krieg

Die Briten (unten im Bild) sorgten 1936 in Garmisch-Partenkirchen für den ersten europäischen Olympia-sieg im Eishockey. Danach gab es während langer Zeit keine Olympiade mehr. Dies, da die Nationalsozialisten (oben im Bild) sich schon bald als Kriegstreiber entpuppten.

SILBER FÜR 100 JAHRE EISHOCKEYDer Bund widmet dem 100-Jahr-Doppeljubiläum des Schweizerischen Eishockeyverbands SEHV und der Inter-national Ice Hockey Federation IIHF im Jahr 2008 eine Sondermünze in Silber. Offi zieller Ausgabetag war der 18. Januar 2008; präsentiert wurde die Jubiläumsmünze jedoch bereits Ende November am Sitz der IIHF in Zürich durch Bundesrat Hans-Rudolf Merz. Weitere Informatio-nen zur Sonderprägung «100 Jahre Eishockey» gibt es auf www.swissmint.ch, wo sie seit 18.1.2008 direkt bestellt werden kann. Mit dem Verkaufserlös unterstützt der Bund Kulturprojekte in der ganzen Schweiz.

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100 Jahre IIHF, Folge 4

NACH DEM ENDE DES ZWEITEN WELTKRIEGES SETZTE DAS EISHOCKEY ZUM GLOBALEN SIEGESZUG AN. DIES GING NICHT SPURLOS AN DEN KRÄFTEVERHÄLTNISSEN INNERHALB DER SPITZENNATIONEN VOR SICH: DER LANGJÄHRIGE DOMINATOR KANADA WAR – DIES ZEIGT DIE DRITTE FOLGE DER SERIE VON SWISSMINT, DER IIHF UND SLAPSHOT – ÜBER DIE EISHOCKEY-HISTORIE FORTAN NICHT MEHR ALLEINE IM EISHOCKEY-OLYMP. DIE KANADIER TEILTEN SICH DIE WM- UND OLYMPIATITEL IMMER HÄUFIGER MIT DEN TSCHECHOSLOWAKEN UND VOR ALLEM DEN SOWJETRUSSEN. UND AUCH DIE US-AMERI KANER MISCHTEN PLÖTZLICH GANZ VORNE MIT.

1948-1967: Im Osten viel Neues

Gleich an ihrer allerersten WM-Teilnahme sicherten sich die Sowjetrussen 1954 WM-Gold und kündigten damit eine Wachablösung an der Eishockey-Weltspitze an.

SILBER FÜR 100 JAHRE EISHOCKEYDer Bund widmet dem 100-Jahr-Doppeljubiläum des Schweizerischen Eishockeyverbands SEHV und der Inter-national Ice Hockey Federation IIHF im Jahr 2008 eine Sondermünze in Silber. Offi zieller Ausgabetag war der 18. Januar 2008; präsentiert wurde die Jubiläumsmünze jedoch bereits Ende November am Sitz der IIHF in Zürich durch Bundesrat Hans-Rudolf Merz. Weitere Informatio-nen zur Sonderprägung «100 Jahre Eishockey» gibt es auf www.swissmint.ch, wo sie seit 18.1.2008 direkt bestellt werden kann. Mit dem Verkaufserlös unterstützt der Bund Kulturprojekte in der ganzen Schweiz.

Quelle: World of Hockey. Celebrating a Century of the IIHF; Hrsg: IIHF; Bolton und Ontario, 2007.

Nach dem Zweiten Welt-krieg schien im globalen Eishockey zunächst alles wie gehabt: Kanada ge-wann 1948 in St. Moritz überlegen Olympiagold. Das Torverhältnis von 69:5 sprach Bände. Das torlose Remis gegen die Tschecho-slowakei zeigte aber auch, dass der kanadische Eishoc-keythron nicht mehr unan-getastet blieb. Die Tsche-choslowaken, 1947 mit dem Weltklassetennisspieler und «Sportwunder» Jaroslav Drobny in ihren Reihen bereits Weltmeister geworden, übernahmen das Zepter aber nur für kurze Zeit: 1949 verteidigten sie ihren WM-Titel und wollten diesen auch 1950 an der WM in London verteidi-gen. Einen Strich durch die Rechnung machte ihnen aber die heimatliche Sicherheitspolizei: Die Spieler wurden vor dem Abfl ug festgenommen, sieben Monate später wegen versuchter Flucht sowie Hochverrat wegen angeblicher Kooperation mit dem britischen Geheimdienst völlig zu unrecht für bis zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt! Kanada dominierte auch deshalb nochmals für einige Zeit das Geschehen an der Weltspitze. Doch schon bald stieg ein anderer Stern am Eishockeyhimmel empor. Es war der kommunistischste überhaupt, nämlich derjenige Sowjet-russlands. Offi ziell und auf Geheiss der Parteiführung erst 1946 mit den modernen Eishockeyregeln in Berührung ge-kommen – inoffi ziell schmuggelten schon viele Jahre zu-vor Mutige illegal kanadische Eishockeylektüre in das Reich Stalins – eroberten die Sowjetrussen 1954 bereits an ihrer ersten WM-Teilnahme Gold und demütigten die Kanadier im Final mit 7:2-Toren. 1956 doppelten die Ge-nossen nach und schlugen in Cortina d’Ampezzo im Olym-pia-Final Kanada erneut. Danach erfreuten sich die Kana-dier bis 1961 erneut einer Renaissance. Allerdings mit einem groben Patzer im Reinheft: 1960 holten sich die US-Amerikaner in Squaw Valley ihr erstes Olympiagold. Die defi nitive Machtablösung an der internationalen Eis-hockeyspitze erfolgte später durch die überragenden Sowjet russen, die ab 1963 an Weltmeisterschaften un-glaubliche neun Titel in Folge gewannen und zur Freude des Sowjet-Regimes in dieser Zeit zudem auch die drei möglichen Olympia-Goldmedaillen eroberten. l

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JUNI ’08 55

100 Jahre IIHF, Folge 4

Quelle: World of Hockey. Celebrating a Century of the IIHF; Hrsg: IIHF; Bolton und Ontario, 2007.

1968 glänzte der sowjeti-sche Stern am Eishockey-

himmel heller denn je: Die «Sbornaya» holte den sechsten WM-Titel in Serie und hängte bis 1971 drei weitere an. Als Ergebnis resultierte der bis heute ungeschlagene Rekord von neun Weltmeistertiteln in Folge sowie eine Eis hockey-Euphorie im Lande, die der kosmonautischen – Yuri Gagarin umkreiste 1961 als erster Mensch im All die Erde – in nichts nachstand. Verständlich, dass die Namen der sowjetischen Schlüsselspieler wie beispielsweise Viktor Konovalenko, Alexander Ragulin und Anatoli Firsov in Russland fortan ei-nen fast so «überirdischen» Anstrich erlangten, wie derjeni-ge von Gagarin. Mit weniger Ruhm bekleckerten sich die Sowjets 1969 an der WM in Stockholm, als sie im politisch aufgeheizten Klima – die Tschechoslowakei war von den Rus sen nur wenige Monate zuvor besetzt und dem Prager Frühling damit ein Ende bereitet worden – gegen den «Erz-feind» zweimal verlor. Dennoch gewannen die Russen auch dieses Turnier. Der 1969er-Titel glänzte in der Sowjetunion verständlicherweise aber weniger als die anderen.Die Frage nach der Erlaubnis, fortan auch professionelle Eishockeyspieler an WM-Turnieren einsetzen zu dürfen,

in der «Summit Series 1979» gar ohne einen einzigen Tref-fer. Besser machten es 1980 in Lake Placid die US-Ameri-kaner, die die russische Dominanz zumindest in einem Spiel zu unterbrechen vermochten und das vielzitierte «Gold-Wunder» vollbrachten.Die Kanadier waren in den 1980er-Jahren angesichts der russischen Stärke umso glücklicher, als mit Wayne Gretzky der wohl beste Eishockeyspieler aller Zeiten zeigte, dass er nicht nur die Edmonton Oilers zu drei Spengler Cup-Siegen anführen konnte, sondern als «the great one» zusammen mit Mario Lemieux auch das Team Kanada 1987 im legen-dären «Canada Cup» zum Erfolg gegen die «Sbornaya». l

DIE «GROSSE ROTE MASCHINE» - SO WURDE DIE NATIONALMANNSCHAFT DER SOWJETUNION VOM REST DER WELT GENANNT - HOLTE SICH IN DIESEN ZWEI DEKADEN DIE MEISTEN INTERNATIONALEN TITEL. UNBESIEGBAR WAREN DIE SOWJET-RUSSEN ALLERDINGS NICHT, SO KONNTEN DIE KANADIER DURCHAUS AUCH IN DEN DIREKTEN AUFEINANDERTREFFEN ABSEITS DER WM-TURNIERE MIT IHREN BESTEN

NHL-AKTEUREN IMAGETRÄCHTIGE SERIEN ENTSCHEIDEN. 1987 AUCH DANK WAYNE GRETZKY, DEM WOHL BESTEN EISHOCKEYSPIELER ALLER ZEITEN.

1968-1987: Umkämpfte «Eishockeyweltordnung»

Eines der wichtigsten Tore in der Geschichte des Welteishockeys: Der Kanadier Paul Henderson bejubelt 1972 im letzten Spiel der «Summit-Series» gegen die «grosse rote Maschine» den allesentschei-denden Treffer.

SILBER FÜR 100 JAHRE EISHOCKEYDer Bund widmet dem 100-Jahr-Doppeljubiläum des Schweizerischen Eishockeyverbands SEHV und der Inter-national Ice Hockey Federation IIHF im Jahr 2008 eine Sondermünze in Silber. Offi zieller Ausgabetag war der 18. Januar 2008; präsentiert wurde die Jubiläumsmünze jedoch bereits Ende November am Sitz der IIHF in Zürich durch Bundesrat Hans-Rudolf Merz. Weitere Informatio-nen zur Sonderprägung «100 Jahre Eishockey» gibt es auf www.swissmint.ch, wo sie seit 18.1.2008 direkt bestellt werden kann. Mit dem Verkaufserlös unterstützt der Bund Kulturprojekte in der ganzen Schweiz.

führte 1970 zu einem Eklat. Der IIHF verweigerte Ka-nada eben diesen Einsatz von Profi spielern. Das Mut-terland des Eishockeys fühlte sich beleidigt und ver-weigerte bis 1977 die Teilnahme an IIHF-Turnieren. Der ultimative Spitzenkampf im Eishockey – das di-rekte Aufeinandertreffen der besten sowjetischen «Amateure» mit den kanadischen NHL-Profi s – musste also auf eine andere Art und Weise stattfi nden. 1972 war es soweit: die erste «Summit-Series» – gleichzeitig auch der auf das Eis übertragene Kalte Krieg zwischen Nordamerika und den Sowjetrussen – war endlich Tat-sache. Innerhalb von 28 Tagen wurden acht Spiele ab-solviert. Nach je drei Siegen und einem Unentschieden ging es in Moskau um alles oder nichts. In einer epi-schen Entscheidung sorgte der Kanadier Paul Hender-son im zweiten Nachschuss wenige Sekunden vor dem Spielende für den Sieg im Spiel und in der Serie sowie in extremis für die Wiederherstellung der «Eishockeywelt-ordnung» in Kanada. Der Einfl uss dieser Serie war nach-haltig. Die NHL akzeptierte ab sofort auch die besten eu-ropäischen Spieler. Die drei Schweden Thommie Bergmann, Inge Hammaarstrom und Borje Salming bildeten dabei Mitte der 70er-Jahre die drei ersten Euro-Exporte. Weni-ger nachhaltig war die wiedererstellte «Eishockey-Welt-ordnung». Ab 1977 verloren die Kanadier an den nun auch für Profi spieler geöffneten Weltmeisterschaften regelmäs-sig gegen die Sowjets und blieben in zwei von drei Spielen

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78 SEPTEMBER ’08

100 Jahre IIHF, Folge 5

Quelle: World of Hockey. Celebrating a Century of the IIHF; Hrsg: IIHF; Bolton und Ontario, 2007.

Als die kommunistische Staatsidee in Osteuropa in sich zusammenbrach, hatte dies Ende der 1980er-Jahre auch weitreichende Folgen für die Entwicklung des globalen Eishockeys. Vor allem in Russland, Staatspräsident Mikhail Gorbatschov sorgte mit «Glasnost» und «Perestroika» für demokratischen Wind, wurde vieles anders. Igor Larionov und sogar Teamcaptain Vjatcheslav Fetisov kritisierten öffentlich ihren Erfolgscoach Viktor Tikhonov und warfen diesem diktatorische Vorgehensweisen vor. Fetisov durfte 1989 an der WM nur deshalb spielen, weil seine Kollegen Sergej Makarov, Igor Larionov, Vyacheslav Bykov und An-drej Khomutov sonst zum kollektiven Streik angesetzt hät-ten. Unmittelbar nach der WM war es ihr junger Teamkol-lege Alexander Mogilny, der als erster russischer Spieler in die NHL fl üchtete. Kaum ein Jahr später hatten es ihm die meisten seiner Mitspieler gleichgetan. Da die besten russi-schen Spieler nun nicht mehr für die «Sbornaja» spielten,

wohl der Russe Alexander Ovechkin – sorgen seit gerau-mer Zeit dafür, dass die NHL europäischer ist denn je zuvor. Der Tscheche Jaromir Jagr (1995, 1998, 1999, 2000 und 2001 sowie der Schwede Peter Forsberg (2003) eroberten sogar die NHL-Topscorerkrone. Sie wandelten damit indi-rekt in den Fussspuren von Jari Kurri. Der Finne gewann 1990 seinen fünften persönlichen Stanley Cup-Titel. Er war zwar nie NHL-Topscorer, spielte aber lange Zeit an der Seite von «the great one» Wayne Gretzky und erzielte in 1251 NHL-Spielen phänomenale 1398 Punkte. Die Globalisierung des Eishockeys und die damit verbun-dene Ausnivellierung der Kräfte zeigt sich daran, dass seit 1991 genau gleich viele verschiedene Nationen WM- oder Olympia-Gold gewinnen konnten, wie dies zwischen 1910 und 1991 der Fall gewesen ist. Nämlich je sechs. Ebenfalls globalisiert ist mittlerweile die NHL, die unter anderem Spieler aus 15 verschiedenen europäischen Ländern be-schäftigt. Besonders bemerkenswert ist zudem die Tatsa-che, dass auch das Fraueneishockey immer mehr an Ein-fl uss und Ausstrahlung gewinnt. Seit der ersten Frauen-WM im Jahr 1990 hat sich der weibliche Eishockeysport nicht nur in qualitativer Hinsicht deutlich gemausert, sondern auch in quantitativen Belangen. So spielen in Kanada mittlerweile über 60 000 lizenzierte Mädchen und Frauen Eishockey. Die Entwicklung, dies ist klar, ist damit noch lange nicht an ihrem Zenit angelangt. Zum Glück! l

SEIT 1991 KONNTEN GLEICH VIELE VERSCHIEDENE NATIONEN WM- ODER OLYMPIA-GOLD GEWINNEN, WIE DIES ZWISCHEN 1910 UND 1991 DER FALL GEWESEN IST. DIESE AUSNIVEL-LIERUNG DER KRÄFTE IST DIE INDIREKTE FOLGE DES ENDE DER 1980ER-JAHRE ERFOLGTEN ZUSAMMENBRUCHS DER KOMMUNIS-

TISCHEN STAATEN IN OSTEUROPA. IN DEN DEKADEN VIER UND FÜNF DES BESTEHENS DER IIHF WURDE DAS EISHOCKEY ABER NICHT «NUR» GLOBALISIERT, SONDERN AUCH EMANZIPIERT. 1990 FAND DIE ERSTE FRAUEN-WM ÜBERHAUPT STATT UND WAR DER BEGINN EINER BEWEGUNG, DEREN ENTWICK-LUNG NOCH LÄNGST NICHT AN IHRE GRENZEN GESTOSSEN IST.

1988-2007: Globalisiert und emanzipiert

2002 konnten sich auch die Slowaken (im Bild beim Sieges-Tatzelwurm angeführt von Miroslaw Satan) in die exklusive Reihe der Weltmeister-Nationen einreihen.

SILBER FÜR 100 JAHRE EISHOCKEYDer Bund widmet dem 100-Jahr-Doppeljubiläum des Schweizerischen Eishockeyverbands SIHA und der Inter-national Ice Hockey Federation IIHF im Jahr 2008 eine Sondermünze in Silber. Offi zieller Ausgabetag war der 18. Januar 2008; präsentiert wurde die Jubiläumsmünze jedoch bereits Ende November am Sitz der IIHF in Zürich und durch Bundesrat Hans-Rudolf Merz. Weitere Infor-mationen zur Sonderprägung «100 Jahre Eishockey» gibt es auf www.swissmint.ch, wo sie seit 18.1.2008 direkt bestellt werden kann. Mit dem Verkaufserlös unterstützt der Bund Kulturprojekte in der ganzen Schweiz.

verlor diese ihre Dominanz an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. Eine der Ausnahmen war 1992 das Olympische Turnier von Albertville, als das Team der Ge-meinschaft unabhängiger Staaten nochmals Gold gewann. Ein Titel der übrigens nachträglich von der IIHF Russland zugeteilt wurde.Die NHL wiederum profi tierte von der Öffnung Osteuropas und wurde erst dadurch zur wirklich globalen Liga. Die Er-weiterung der NHL um neun zusätzliche Teams in der Zeit-spanne von 1980 bis 2000 ist der beste Beweis dafür, dass der Zufl uss von Spielern aus Europa vor allem in den 1990er-Jahren exponentiell zunahm. Ein Thema, das noch immer aktuell ist. Dies, da viele europäische Nationen den zu frühen Verlust an Talenten in die nordamerikanischen Minor Leagues bemängeln und im Januar 2008 in Verhand-lungen mit dem IIIHF, der NHL und der NHLPA das entspre-chende Spielerschutzalter zumindest von 18 auf 20 erhö-hen konnten. Bemängeln konnten die NHL-Bosse sicherlich nicht den Einfl uss der europäischen Stars. Viele starke Eu-ropäer – das jüngste und wohl überragendste Beispiel ist

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Nähergeht nicht.

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