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Holm Tetens (Berlin) Der Gott der Philosophen * Überlegungen zur natürlichen Theologie Der Gott der Philosophen ist tot, und die Philosophen haben ihn getötet. So kann man den berühmten Aphorismus von Nietzsche aus „Die fröhliche Wissenschaft“ zu einer Teildiagnose über den gegenwärtigen Zustand der Philosophie abwandeln. Der Gott der Philosophen, das ist erst einmal der Gott, über den Philosophen nachdenken. Er stirbt, sobald die Philosophen nicht mehr über ihn nachdenken. Hat sich damit für die Philosophie natürliche Theologie erledigt? Denn im Kontext der Philosophie bedeutet natürliche Theologie ja, darüber nachzudenken, was sich über Gott, sein Dasein und seine Eigenschaften mit guten Gründen schon allein durch vernünftiges Überlegen und noch ohne Berufung auf die Offenbarung Gottes sagen lässt. Doch wenn Philosophen nicht mehr über Gott nachdenken, so scheint sich dieses Projekt natürlicher Theologie in der Philosophie erledigt zu haben. Ist das wirklich so? Und wenn ja, lässt sich natürliche Theologie trotzdem innerhalb der Philosophie wiederbeleben? Wie könnte, wie müsste eine solche Wiederbelebung natürlicher Theologie aussehen? Und schließlich, wie steht es dann mit den Theologen? Können sie uns Philosophen helfen? Wollen sie uns überhaupt helfen? * * Vortrag im Rahmen der Festveranstaltung am Reformationstag mit Promotionsfeier der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen am 31. Oktober 2014.

Tetens Vortrag Tuebingen

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Holm Tetens (Berlin)

Der Gott der Philosophen*

Überlegungen zur natürlichen Theologie

Der Gott der Philosophen ist tot, und die Philosophen

haben ihn getötet. So kann man den berühmten Aphorismus von

Nietzsche aus „Die fröhliche Wissenschaft“ zu einer Teildiagnose

über den gegenwärtigen Zustand der Philosophie abwandeln. Der

Gott der Philosophen, das ist erst einmal der Gott, über den

Philosophen nachdenken. Er stirbt, sobald die Philosophen nicht

mehr über ihn nachdenken. Hat sich damit für die Philosophie

natürliche Theologie erledigt? Denn im Kontext der Philosophie

bedeutet natürliche Theologie ja, darüber nachzudenken, was sich

über Gott, sein Dasein und seine Eigenschaften mit guten

Gründen schon allein durch vernünftiges Überlegen und noch

ohne Berufung auf die Offenbarung Gottes sagen lässt. Doch

wenn Philosophen nicht mehr über Gott nachdenken, so scheint

sich dieses Projekt natürlicher Theologie in der Philosophie

erledigt zu haben. Ist das wirklich so? Und wenn ja, lässt sich

natürliche Theologie trotzdem innerhalb der Philosophie

wiederbeleben? Wie könnte, wie müsste eine solche

Wiederbelebung natürlicher Theologie aussehen? Und schließlich,

wie steht es dann mit den Theologen? Können sie uns

Philosophen helfen? Wollen sie uns überhaupt helfen?

** Vortrag im Rahmen der Festveranstaltung am Reformationstag mitPromotionsfeier der Evangelisch-Theologischen Fakultät der UniversitätTübingen am 31. Oktober 2014.

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Das sind die Fragen, zu denen ich drei Thesen vortragen

und zur Diskussion stellen möchte. Ich will Sie gleich warnen.

Erwarten Sie nicht, dass ich Ihnen ein Stück inhaltlicher

philosophischer Theologie vortrage. Bis auf eine einzige kleine

Andeutung, werde ich Ihnen in diesem Vortrag nicht verraten, was

es nach meiner Sicht mit dem Gott der Philosophen inhaltlich auf

sich hat und wie er sich zum Gott des Glaubens verhält. In dieser

Hinsicht kann ich zu meiner Ehrenrettung nur anmerken, dass ich

meine inhaltliche Grundidee einer philosophischen Theologie in

einem kleinen Büchlein mit dem Titel „Gott denken. Ein Versuch

über rationale Theologie“ niedergelegt habe, von dem immerhin

schon die Druckfahnen existieren. Doch davon heute wie gesagt

nichts. Stattdessen möchte ich über die Möglichkeit

philosophischer Theologie in der Zeit ihrer bisher stärksten Krise

nachdenken. Die erste These trage ich Ihnen unter der Überschrift

vor:

I Theologischer Analphabetismus

Ich beginne mit der Erinnerung an eine Frage, die die

Gemüter zurzeit durchaus bewegt. Erleben wir gegenwärtig eine

Rückkehr der Religionen? Ist damit widerlegt, was viele

Theoretiker der Moderne angenommen hatten, nämlich dass sich

der Prozess der Säkularisierung, ist er erst einmal in Gang

gekommen, nicht mehr wieder umkehren lässt? Eine Antwort

muss, dafür sprechen alle soliden religionssoziologischen und

religionswissenschaftlichen Forschungsbefunde, sehr differenziert

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und vorsichtig ausfallen. Und doch glaube ich, dass man einen

auffälligen Befund schwerlich wird in Abrede stellen können. Eine

rapide wachsende Zahl von Angehörigen der intellektuellen Eliten

in den hochindustrialisierten Ländern Westeuropas wendet sich

von den Kirchen und der Theologie ab und wird von ihnen nicht

mehr erreicht. Die Entplausibilisierung jedes substanziellen

Gottesgedankens – das ist es ja, was man allein sinnvoll mit

Nietzsche den „Tod Gottes“ nennen kann,- schreitet unter den

intellektuellen Eliten doch einigermaßen munter voran.

Die Abkehr maßgeblicher intellektueller Kreise von

Theologie und Religion lässt sich paradigmatisch und

eindrucksvoll in ihrer Wucht und Wirkung am Innenleben eines

Faches an unseren Universitäten besonders gut studieren, ich rede

von meinem eigenen Fach, ich rede von der Philosophie.

Betrachten wir die Philosophie!

Ich verstehe die Philosophie so, dass sie auf einer Leitfrage

beruht. Erst aus dieser Leitfrage heraus ergibt sich letzten Endes

die geradezu uferlose Vielzahl der Themen und

Problemstellungen, die an der Philosophie immer wieder irritiert.

Angesichts der Vielzahl ihrer Probleme und Fragestellungen – es

gibt fast nichts, über das Philosophen nicht nachdenken - , droht

die Philosophie in ein zusammenhangloses Sammelsurium von

Fragen und Themen auseinanderzufallen, gäbe es nicht doch so

etwas wie eine Leitfrage, die die scheinbar disparaten Fragen der

Philosophie am Ende zusammenhält. Ich würde diese Leitfrage,

die natürlich notgedrungen sehr allgemein ausfallen muss, in

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folgender Weise formulieren: Wie lassen sich das Ganze der

Wirklichkeit und die besondere Stellung des Menschen in ihr

vernünftig denken, und zwar vernünftig denken nicht zuletzt mit

Blick auf das Glück des Menschen und die Bedingungen eines

gelingenden, eines guten menschlichen Lebens?

Im Rahmen dieser Leitfrage haben von den Vorsokratikern

bis Hegel alle Philosophen, die es in die Annalen der

Philosophiegeschichte gebracht haben, über die beiden folgenden

mit einander zusammenhängenden Fragen nachgedacht:

1. Lässt sich das Ganze der Wirklichkeit vernünftig ohne Gott denken?

2. Können insbesondere wir Menschen uns als vernünftige moralische

Personen ohne Gott verstehen?

Bis auf wenige Ausnahmen – hier wären etwa Epikur,

Hume oder radikale Materialisten unter den französischen

Aufklärungsphilosophen des 18. Jahrhunderts wie LaMettrie und

d’Holbach zu nennen - haben fast alle Philosophen bis zu Hegel

beide Fragen verneint. Nein, weder das Ganze der Wirklichkeit

noch die Stellung der Menschen als vernünftige moralische

Personen lassen sich angemessen und im Ernst ohne Gott denken.

Natürlich, auch nach Hegel haben Philosophen über Gott

nachgedacht und die beiden Leitfragen einer philosophischen

Theologie weiterhin so beantwortet wie die überwältigende

Mehrheit der Philosophen bis Hegel. Aber nach Hegel schrumpfte

die Zahl der Philosophen, die sich das Ganze der Wirklichkeit

nicht sinnvoll ohne Gott denken konnten, doch in

atemberaubender Schnelligkeit. Zunehmend mehr Philosophen

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antworteten gegenteilig: Dieser Meinungsumschwung ist an sich

schon bemerkenswert. Aber angesichts einer geradezu

erdrückenden Präsenz des Gottesgedankens in der weitaus

längsten Zeit der bisherigen abendländischen

Philosophiegeschichte ist etwas anderes noch viel

bemerkenswerter. Inzwischen ist nämlich für die überwältigende

Mehrheit der Philosophen Gott mit der größten

Selbstverständlichkeit überhaupt kein ernstzunehmendes Thema

ihres Philosophierens mehr. Diese Mehrheit unter den

Philosophen macht sich noch nicht einmal mehr die Mühe, auch

nur etwas ausführlicher zu begründen, dass und warum das Ganze

der Wirklichkeit und die Stellung des Menschen in ihr problemlos

ohne Gott zu denken sind. Der methodische Atheismus der

Wissenschaften mit seiner Laplaceschen Maxime „Die Hypothese

Gott benötigen wir nicht“ ist längst als eine Art von

selbstverständlichem Gewohnheitsatheismus auf die

überwältigende Mehrheit der heutigen Philosophen

übergesprungen.

Diese, wie gesagt, philosophiehistorisch markante

Entwicklung geht einher mit einem konsequenten, aber im

Einzelfall doch immer wieder verblüffenden Analphabetismus in

Fragen der Theologie und ihrer Geschichte, ganz zu schweigen

von elementaren Kenntnissen über die Bibel, die Kirchen und ihre

Geschichte. Über diese Wissensgebiete haben nach meinen

eigenen Erfahrungen als Hochschullehrer in der Philosophie 98

bis 99 Prozent der heutigen Philosophiestudenten, auch der sehr

guten Philosophiestudenten keinen blassen Schimmer, und sie

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wissen auch am Ende ihres Philosophiestudiums immer noch fast

nichts darüber, natürlich nicht zuletzt deshalb, weil ihre

akademischen philosophischen Lehrer zunehmend weniger

darüber wissen. Ich habe mir sagen lassen, dass man im Fach

Kunstgeschichte an meiner Berliner Nachbaruniversität, der

Humboldt Universität, für die Studierenden eine Kurs

„Einführung in das Christentum und seine Geschichte“ etabliert

hat, damit man nicht erleben muss, dass ein Kunststudent,

aufgefordert ein Bild zu beschreiben, antwortet „Ich sehe auf dem

Bild eine Frau im blauen Mantel mit einem Kind auf dem Arm,

um sie herum steht Landbevölkerung ….“ Eine Einführung in das

Christentum, seine Theologie und deren Geschichte für

Studierende des Faches Philosophie ist von der Sache her

mindestens ebenso vonnöten. Doch im Gegensatz zur

Kunstgeschichte nimmt die wissenschaftliche Gemeinschaft der

akademischen Philosophen dieses Nichtwissen noch nicht einmal

mehr als ein Problem, als ein Defizit wahr.

Sie als Theologen hier werden vielleicht naiv fragen, wie

man Platon, Aristoteles, Thomas von Aquin, Descartes, Leibniz,

Kant, um nur einige Geistesriesen aus der Philosophiegeschichte

zu nennen, lesen und verstehen könne, ohne die Frage nach Gott

intellektuell immer noch ernst zu nehmen und ohne etwas über die

Theologie und die Kirchen und die Kirchengeschichte zu wissen.

Gut gefragt. Nur, ich kann Ihnen nicht zureichend antworten. Ich

kann nur konstatieren, dass die Ausklammerung theologischer

Gehalte aus der Philosophie und Philosophiegeschichte

offensichtlich irgendwie geht, irgendwie gehen muss. Die weit

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verbreitete Rede von Gott bei fast allen Philosophen aus der

Philosophiegeschichte behandelt man in der Regel als eine Art von

intellektuellem Zeitgeistkolorit der entsprechenden Epochen aus

der Philosophiegeschichte – „so hat man damals eben geredet!“ -

und versucht ansonsten, einen Philosophen nur so weit zur

Kenntnis zu nehmen und systematisch zu rekonstruieren, dass

dessen Überlegungen zu Gott keine Beweiskraft tragende Rolle

mehr einnehmen.

Deshalb ist der Gott der Philosophen inzwischen

verstorben. Der Gott der Philosophen ist tot und die Philosophen

haben ihn getötet. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie, die Theologen,

immer das Ausmaß wahrzunehmen bereit sind, in dem das, was

Sie als Theologen leidenschaftlich bewegt, in der Philosophie zum

Non-Thema geworden ist, ohne dass das Ausklammern der

Gottesproblematik im weitesten Sinne auch nur noch den Hauch

eines ernsthaften Rechtfertigungsdrucks bei Philosophen erzeugen

würde.

Wie auch immer, etwas gilt es in seinen dramatischen

Ausmaßen festzuhalten. Und das ist auch schon die erste der

angekündigten drei Thesen. Wer heute als Philosoph noch oder

wieder fragt, was sich aus vernünftigen Überlegungen heraus über

Gott, sein Dasein, seine Eigenschaften sagen lässt, der ist damit

konfrontiert, dass die Mehrheit der Kollegen diese Frage längst

mit einem lapidaren „Nichts“ beschieden hat und sie weiteren

Nachdenkens längst nicht mehr für würdig befindet. Wer heute als

Philosoph sich dem Projekt einer Philosophischen Theologie

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verschreibt, tut das also in einem besonderen und in einem

besonders ungünstigen kulturell-philosophischen Klima. Es

verlangt von einer Natürlichen Theologie vor allem und zunächst

einmal, die intellektuelle Legitimität und Dignität des

philosophischen Fragens nach Gott allererst zurückzuerobern.

Wie könnte, wie müsste eine solche Rückeroberung der

Frage nach Gott, ihrer Legitimität und Dignität innerhalb der

Philosophie heute aussehen? Dazu möchte ich eine zweite These

formulieren. Ich entwickle diese These in einem Abschnitt unter

der Überschrift:

II Wider die Hegemonie des Naturalismus

Dass die allermeisten Philosophen gar nicht mehr über Gott

nachdenken, lässt sich auf einen philosophischen Begriff bringen.

Die allermeisten Philosophen sind heutzutage Naturalisten, und

zwar einfach so, als ob es sich ohne weiteres von selbst verstünde,

dass man im Ernst niemals etwas anderes als Naturalist sein

könne. Im Mittelpunkt des Naturalismus steht eine These, die,

wenn man nicht genauer hinschaut, in der Tat harmlos und

plausibel daherkommt: Die Erfahrungswelt, wie sie im Prinzip

zutreffend durch die empirischen Wissenschaften beschrieben und

erklärt wird, macht schon die ganze Wirklichkeit aus. Oder

scheinbar noch unschuldiger: Es gibt nichts, was sich nicht mit

den Mittel der empirischen Wissenschaften im Prinzip zureichend

erfassen, beschreiben und erklären ließe. Deshalb lässt sich der

Naturalismus auch noch anders formulieren: Es sind die

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empirischen Wissenschaften und nur die empirischen

Wissenschaften, die uns die Wirklichkeit erschließen, während

magische, mythische, religiöse und philosophisch-metaphysische

Auffassungen der Welt, wie sie in der Kulturgeschichte der

Menschheit ja auch massiv aufgetreten sind, die eigentliche

Realität verfehlen.

Ansgar Beckermann bringt den Naturalismus treffend

durch zwei Thesen auf den Begriff: „1. Die gesamte Realität

besteht nur aus natürlichen Dingen; in der Realität gibt es weder

Götter noch Geister noch Seelen noch andere übernatürliche

Mächte und Kräfte. 2. Philosophie und Wissenschaft gehören

enger zusammen als gemeinhin angenommen wird; letztlich sind

es die Wissenschaften, die uns sagen, was es in der Welt gibt und

wie das, was es gibt, beschaffen ist.“

Dass die Philosophen Antworten auf die Frage nach dem

Ganzen der Wirklichkeit an die Wissenschaften delegieren sollten,

begründet Beckermann mit einer besonderen

Unvoreingenommenheit der Wissenschaften. Er schreibt: „Es gibt

kein methodisches a priori, das bewirkt, dass sich die

Wissenschaften nur mit bestimmten Aspekten der Welt befassen

oder dass sie die Welt nur aus einer bestimmten Perspektive

erfassen können. Denn Wissenschaft ist nicht durch eine

bestimmte Methode definiert; vielmehr ist sie der systematische

Versuch herauszufinden, welche Hypothesen am besten gestützt

sind.“ Die Welt wissenschaftlich zu untersuchen, fällt für

Beckermann damit zusammen, sie unvoreingenommen, ohne

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Scheuklappen, ohne Vor-Urteile zu betrachten. „Wenn man die

Welt unvoreingenommen beobachtet“, so noch einmal

Beckermann, „zeigen sich in ihr weder Götter noch Geister, noch

andere übernatürliche Mächte und Kräfte.“

Beckermann präsentiert uns folgende Strategie: Man setze

die Realität mit dem erfahrungswissenschaftlich Erfassbaren in

eins und deklariere den methodischen Atheismus von einem

methodische Apriori der Wissenschaften, was er in Wahrheit ist, in

eine selbstverständliche und fraglose Konsequenz

wissenschaftlicher Unvoreingenommenheit gegenüber der Welt

um, ja dann hat sich die Gottesfrage ein für alle Mal erledigt, in der

Philosophie und natürlich auch anderswo.

Die skizzierte Überlegung ist natürlich ein Kurzschluss,

aber ein nichtsdestotrotz sehr wirkungsmächtiger und weit

verbreiteter. Eines jedenfalls ist klar: Wer, wie ich in der ersten

These formuliert habe, die Legitimität und Dignität der Frage nach

Gott innerhalb der Philosophie und für Philosophen

zurückerobern will, muss beim weit verbreiteten Naturalismus

unter Philosophen ansetzen. Er muss den vorherrschenden

Naturalismus philosophisch so aufbrechen, dass Schwächen und

Defizite des Naturalismus in Stärken einer natürlichen Theologie

umgemünzt werden können. Und damit bin auch schon bei

meiner zweiten These: Natürliche Theologie fragt ja unter

anderem so: Gibt es Merkmale der Erfahrungswelt, die mehr oder

weniger eindeutig mit guten Gründen auf Gott als Schöpfer der

Welt verweisen? So unvermittelt kann man Natürliche Theologie

heutzutage nicht wieder und nicht mehr in Gang bringen. Man

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muss heute dialektisch vermittelter und raffinierter fragen: Gibt es

Schwierigkeiten mit der vorherrschenden naturalistischen Deutung

der empirischen Welt, demzufolge nichts in der Welt auf Gott als

ihren Schöpfer hindeutet, und sind es diese internen

Schwierigkeiten einer Weltdeutung im Sinne des methodischen

Atheismus, die im Gegenteil gerade Hinweise und Gründe liefert,

die Welt als Schöpfung Gottes anzusehen?

Gibt es solche Schwierigkeiten und Defizite des

Naturalismus, die eine Philosophische Theologie dialektisch für

die eigene Sache ausbeuten kann? Davon soll die dritte These

handeln. Ich lege Sie ihnen auseinander unter der Überschrift:

III Wider die Metaphysikphobie

Der Naturalismus ist eine Auskunft über das Ganze der

Wirklichkeit und die Stellung des Menschen in ihr. Jeder, der eine

solche Auskunft geben möchte, steht im Wesentlichen vor zwei

miteinander verschränkten Aufgaben. Erstens muss er in seiner

Sicht vom Ganzen der Wirklichkeit alle Arten von Entitäten

überzeugend unterbringen, deren Existenz man beim besten

Willen nicht ableugnen kann. Zweitens muss er zeigen, wie diese

verschiedenen Arten von grundlegenden Entitäten so miteinander

zusammenhängen, dass daraus die Einheit der Wirklichkeit

resultiert.

Nun drängen sich zwei Arten von Entitäten derart auf, dass

jedes philosophische Panorama des Ganzen der Welt mit ihnen

angemessen zurechtkommen muss. Da sind zum einen die

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materiellen Dinge und Prozesse in der Welt, wie insbesondere die

Naturwissenschaften sie beschreiben und erklären. Da sind zum

anderen wir Menschen als erlebnisfähige selbst-reflexive Ich-

Subjekte. Jede ernstzunehmende philosophische Auskunft über

das Universum und unseren Platz in ihm ist daher mit der Frage

konfrontiert: Wie haben wir uns die Wirklichkeit im Ganzen

vorzustellen, damit wir verstehen, wie in ein und derselben Welt

materielle Dinge und Prozesse und zugleich erlebnisfähige

selbstreflexive Ich-Subjekte vorkommen können?

Diese Frage steht im Zentrum des Leib-Seele- oder des

Körper-Geist-Problems, mit dem die Philosophie natürlich seit

ihren griechischen Anfängen ringt. Fällt damit nicht die von mir

oben formulierte Leitfrage der Philosophie mit der Grundfrage

des Körper-Geist-Problems zusammen? In gewisser Weise schon.

Jedenfalls stimme ich Franz von Kutschera zu, wenn er schreibt:

„Auch heute kann man das Problem des Verhältnisses von

Seelisch-Geistigem und Physischem wegen seiner

Schlüsselfunktion für die Konzeption der gesamten Wirklichkeit

als die zentrale Frage der Philosophie bezeichnen.“

Nun hat in den letzten 60 Jahren die Philosophie eine im

Grunde genommen beispiellos intensive Diskussion des Körper-

Geist-Problems hinter sich gebracht. Dabei waren und sind die

allermeisten Lösungsvorschläge von vornherein im Naturalismus

kategorial verortet. Und doch hat keiner der zum Teil höchst

unterschiedlichen naturalistischen Lösungsvorschläge restlos

überzeugt und sich durchsetzen können. Es gelingt dem

Naturalismus bis auf den heutigen Tag nicht, überzeugend zu

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erklären und verständlich zu machen, warum in einer anfänglich

rein materiellen und ausschließlich von zielblinden Naturgesetzen

regierte Welt eines Tages wir Menschen als geistige selbstreflexive

Ich-Subjekte auftreten, warum wir in der Lage sind, durch

vernünftiges Denken einerseits die Natur zumindest partiell richtig

zu erkennen und andererseits auch moralische und ästhetische

Werte anzuerkennen und uns in unserem Handeln an ihnen zu

orientieren. Jedenfalls sind alle naturalistischen Versuche, diese

drei markanten Phänomene des Geistes naturalistisch zu erklären,

in der Philosophie höchst umstritten. In welchen Erklärungsnöten

der Naturalismus weiterhin steckt, hat jüngst der amerikanische

Philosoph Thomas Nagel in seinem Buch „Geist und Kosmos.

Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der

Natur so gut wie sicher falsch ist“ wirklich eindrucksvoll

aufgezeigt.

Man könnte gegen meinen Lagebericht aus der Philosophie

einwenden, offensichtlich sei der Naturalismus in der Philosophie

doch hart umkämpft, und das passe nicht gut zu meiner

Behauptung, die naturalistische Option gelte unter Philosophen als

keiner weiteren Diskussion bedürftige Selbstverständlichkeit für

jeden wissenschaftlich aufgeklärten Zeitgenossen.

Das Problem lässt sich schnell auflösen. Bisher habe ich

noch nicht zur Sprache gebracht, dass der Naturalismus in zwei

Grundformen auftritt. Einmal in der radikalen, der

reduktionistischen Variante, wonach alles, was es gibt, letztlich mit

Hilfe der Physik und der anderen Naturwissenschaften

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beschrieben und erklärt werden kann. Diese Version des

Naturalismus bezeichnet man als „Materialismus“ oder noch

besser: als „Physikalismus“. Zum anderen in einer gemäßigten

Variante. Die gemäßigten Naturalisten glauben nicht, dass sich die

geistige und kulturelle Erfahrungswirklichkeit des Menschen

letzten Endes rein naturwissenschaftlich beschreiben und erklären

lässt. Hingegen sind sie sehr wohl der Auffassung, dass auch die

geistigen und kulturellen Aspekte der Erfahrungswirklichkeit,

obwohl nicht auf das Materielle und naturwissenschaftlich

Erfassbare explanatorisch reduzierbar, trotzdem notwendig an

Materielles gebunden sind und bleiben. Der gemäßigte

Naturalismus verbindet einen Dualismus physischer und

psychischer Eigenschaften mit der Vorstellung einer einseitigen

Abhängigkeit des Psychischen vom Physischen, das die eigentliche

und primäre Realität sei.

Die heftige und intensive Debatte um das Körper-Geist-

Problem, von der ich gesprochen habe, spielt sich fast

ausschließlich zwischen radikalen Physikalisten und den

gemäßigten Naturalisten ab. Was bei allen Gegensätzen diese

Beteiligten eint, ist die Überzeugung: Phänomene des Seelisch-

Geistigen treten ausschließlich nur in naturgesetzlicher

Verbindung mit dem Physischen auf, das die primäre Realität

ausmacht.

An nichts ist das naturalistische Vorurteil der gegenwärtigen

Philosophie so gut abzulesen wie an der Tatsache, dass die

Debatte um das Körper-Geist-Problem auf die Alternative

reduziert wird: radikaler Naturalismus versus gemäßigter

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Naturalismus. Genau hier gilt es einzuhaken: Die Alternative

„Physikalismus versus gemäßigter Naturalismus“ ist verkürzt und

in seiner Einseitigkeit falsch. Schon rein logisch-begrifflich gibt es

drei prinzipiell mögliche Antworten auf die Frage, was die

Wirklichkeit im Ganzen ausmacht und welche Stellung

insbesondere der Mensch in ihr einnimmt. Zum ersten die

naturalistische Antwort, die auf einen ontologischen Monismus

des Materiellen hinausläuft, zum zweiten die des Idealismus, die

einen Monismus des Geistigen behauptet, und schließlich die

Antwort des Dualismus.

Das naturalistische Vorurteil in der Gegenwartsphilosophie

blockiert die Optionen des Dualismus und Idealismus fast

vollständig. Dabei legen die nicht zu übersehenden

Erklärungslücken und Erklärungsdefizite, mit denen sowohl harte

Physikalisten wie gemäßigte Naturalisten zu kämpfen haben, die

erneute vorurteilsfreie Diskussion und Prüfung von Dualismus

und Idealismus eigentlich mehr als nur nahe. Doch die Diskussion

in der Philosophie wird gegenwärtig nicht zugunsten einer offenen

und vorurteilsfreien Erörterung der drei Optionen Naturalismus,

Dualismus und Idealismus geöffnet. Wie gesagt, vor allem der

Idealismus ist für die meisten Philosophen „mausetot“. Für diese

Denkblockade gibt es auch einen philosophischen Begriff: Er

lautet Metaphysik, oder besser: die Angst vor der Metaphysik.

Dass der Metaphysikvorwurf so verfängt und jemanden in der

Philosophie so schnell zum Schweigen bringen kann, ist der

Dominanz des Naturalismus in der Philosophie geschuldet. Es

sind nämlich gerade die Naturalisten, die sich zugutehalten,

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konsequent jeglicher Metaphysik abgeschworen zu haben und sich

nur an die wissenschaftliche Erfahrung zu halten.

Allerdings hier geht zweierlei komplett durcheinander. Es

ist in der Tat ein Gebot der Rationalität, sich in der Philosophie in

dem Sinne an die wissenschaftliche Erfahrung zu halten, als man

den anerkannten Ergebnissen der Wissenschaften nicht

widersprechen sollte. In diesem Sinne halten sich die Naturalisten

an die wissenschaftliche Erfahrung. Allerdings, auch jeder Dualist

und jeder Idealist muss und wird, wenn er vernünftig ist, keinem

Ergebnis der Wissenschaft widersprechen.

Etwas ganz anderes aber ist, dass der Naturalist mit seiner

Behauptung, die Erfahrungswirklichkeit, wie sie durch die

Wissenschaften beschrieben wird, mache schon die ganze

Wirklichkeit aus, selber über das hinausgeht, was aus den

Ergebnissen der Wissenschaften folgt. Kein Resultat der

Wissenschaften beweist den Naturalismus. Ein solcher

vermeintlicher Beweis wäre selbstwidersprüchlich. Denn

ersichtlich kann man mit den Methoden der

Erfahrungswissenschaften nicht beweisen, dass es nichts gibt, was

sich nicht mit den methodischen Mitteln der Wissenschaften

erkennen lässt.

Der Naturalismus sitzt in Wahrheit im selben Boot wie

Dualismus und Idealismus. Alle drei Optionen sind Metaphysik.

Daran ist nichts Problematisches, im Gegenteil. Erstens:

Metaphysik ist jeder Antwortversuch auf die respektable und

unaufgebbare Leitfrage der Philosophie: Wie sind das Ganze der

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Wirklichkeit und die besondere Stellung des Menschen in ihr

vernünftig zu denken? Zweitens: Jede Antwort auf diese Leitfrage

der Metaphysik ist metaphysisch auch in dem

erkenntnistheoretischen Sinne, dass sie logisch und semantisch

unabdingbar über das hinausgehen muss, was aus den Ergebnissen

der empirischen Einzelwissenschaften allein zwingend folgt. Aber

die Ergebnisse der empirischen Einzelwissenschaften stecken

nicht die Grenzen des vernünftig Denkbaren und Sagbaren ab.

Die Antworten der verschiedenen metaphysischen Optionen

lassen sich mit klaren Begriffen und transparenten Argumenten

unterscheiden, diskutieren und gegeneinander abwägen. Trotz

ihrer kontroversen Pluralität sind in der Metaphysik nicht alle

Katzen grau. In diesem Sinne leben wir entgegen einer unter

Intellektuellen beliebten Rede nicht in einem „nach-

metaphysischen Zeitalter“. Das hätten nur die Naturalisten gerne

so. Wir leben, wie alle relevanten Epochen der europäischen

Geistesgeschichte vor uns, immer mit bestimmten metaphysischen

Antworten auf die Frage nach dem Ganzen der Wirklichkeit und

die besondere Stellung des Menschen in ihr. Keineswegs ist nur

noch die naturalistische Standardantwort auf die Frage nach dem

Ganzen der Wirklichkeit legitim und diskussionswürdig. Aus den

inneren Schwächen und Ungereimtheiten der naturalistischen

Antwort steht zum Beispiel sehr wohl unter anderem die folgende

Option als ernstzunehmende Möglichkeit zur Debatte, eine

Option, die Franz von Kutschera selber verteidigt und so

formuliert: „Es gibt nur Gott und menschliche Subjekte sowie ihre

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geistigen Akte und deren Produkte. Die gesamte Wirklichkeit ist

die geistige Schöpfung eines personalen Gottes“.

Damit komme ich zu meiner dritten These: Wenn

Natürliche Theologie heutezutage dialektisch als Kritik des

Naturalismus anzulegen ist, dann muss sie wesentlich hervorgehen

aus einer Kritik an den Erklärungsdefiziten und Erklärungslücken

naturalistischer Philosophien des Geistes und dazu muss sie sich

wieder für die Optionen des Dualismus und Idealismus öffnen,

und zwar ohne jede Scheu vor der Metaphysik und mit souveräner

Verachtung für den metaphilosophisch undurchdachten Vorwurf,

Metaphysik hätten wir als wissenschaftlich aufgeklärte

Zeitgenossen zu meiden.

Ich will nach diesen drei Thesen alsbald zum Schluss

kommen. Ich tue das unter einer letzten Überschrift:

IV Irritationen aus der Theologie

Ich hatte Sie schon vorgewarnt, dass Sie nichts inhaltlich

über den Gott der Philosophen erfahren werden, bis auf eine

kleine Andeutung. Hier ist sie. Die natürliche Theologie antwortet

auf zwei Fragen: 1. Erstens muss sie kosmologisch fragen: Lässt

sich das Ganze der Wirklichkeit vernünftig ohne Gott denken, wie

die Naturalisten behaupten? Aus meiner Sicht muss man darauf,

zugegebenermaßen durchaus traditionell, antworten: Nein, die

Erklärungslücken und anderen Defizite des Naturalismus deuten

darauf hin, dass man das Ganze der Wirklichkeit nur vernünftig

begreifen kann, wenn man Gott als vernünftigen Schöpfer der

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Wirklichkeit immer mitdenkt. Gott muss als ein vernünftiges

Wesen, Gott muss als Vernunft gedacht werden, um es mit dem

Titel der neuesten Aufsatzsammlung von Vittorio Hösle zu sagen.

Zweitens fragt die Philosophische Theologie

existenzphilosophisch-anthropologisch: Lässt sich die Stellung des

Menschen im Ganzen der Wirklichkeit ohne Gott vernünftig

denken, wie der Naturalismus behauptet? Aus meiner Sicht muss

sie darauf antworten: Die existenzphilosophischen und

anthropologischen Schwierigkeiten und Ungereimtheiten der

naturalistischen Sicht auf den Menschen deuten darauf hin, dass

man die Stellung des Menschen im Ganzen der Wirklichkeit nur

zureichend begreifen kann, denkt man Gott als gerechten und

gnädigen Erlöser der Welt und der Menschen. In diesem Sinne

schlägt schon die Philosophische Theologie beim Übergang von

Antworten auf die erste kosmologische zu Antworten auf die

zweite existenzphilosophisch-anthropologische Teilfrage die

Brücke vom Gott der Philosophen zum Gott des Glaubens. Die

spannende, die aufregende Frage schon innerhalb der

Philosophischen Theologie lautet dann: Wie kann und muss man

Gott als Vernunft und zugleich als gerechten und barmherzigen

Richter und Erlöser der Welt und des Menschen zureichend

denken? Unter den Titelbegriffen „Vernunft“ und „Gnade“ sollte

der Gott der Philosophen mit dem Gott des Glaubens

zusammengedacht werden. Soweit meine inhaltliche Andeutung.

Aus der Warte der philosophischen natürlichen Theologie

folgt aus meinen Überlegungen zweierlei. Erstens ist die

Philosophische Theologie genuine und legitime Metaphysik.

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Zweitens ist Philosophische Theologie nur als und in der Kritik

des Naturalismus, auch und gerade des gemäßigten Naturalismus

möglich und sinnvoll. Und wenn bereits der Erlösergott des

Glaubens in der Philosophischen Theologie thematisch wird, dann

scheint mir endgültig klar zu sein, was eigentlich auch so klar sein

sollte: Auch Theologie als Explikation des christlichen Glaubens,

seiner Inhalte, seiner Voraussetzungen, seiner Konsequenzen ist

legitime Metaphysik und nicht innerhalb des radikalen oder

gemäßigten Naturalismus möglich und sinnvoll. Mir scheint zum

Beispiel auf der Hand zu liegen, dass die folgenden Sätze erstens

metaphysisch sind, weil sie eine Auskunft über das Ganze der

Wirklichkeit und die Stellung des Menschen in ihr geben, und

zweitens nur Sinn machen und wahr sein können, wenn man sie

im Widerspruch zu den Auskünften des gemäßigten Naturalismus

liest: „Die alte philosophische Frage ‚Warum ist überhaupt etwas

und nicht nichts?‘ wird durch den christlichen Glauben mithin so

beantwortet: Es gibt diese Welt, weil Gott sie aus Freiheit und

Liebe heraus wollte. Er hat die Welt geschaffen, weil er anderem

neben ihm das Dasein wohlwollend gönnt. Es gibt eben nichts auf

der Seite des Geschöpfes, was den Schöpfer dazu veranlasst haben

könnte, das Geschöpf zu schaffen. Gott hat die Geschöpfe

geschaffen aus dem Willen heraus, seine Liebe weiterzugeben.

Dass es diese Welt gibt, hat seinen Grund allein in der Gnade

Gottes.“ Der Text war ein Zitat aus dem „Grundlagentext“ der

EKD zur Reformation „Rechtfertigung und Freiheit“.

Deshalb bin ich als Philosoph doch einigermaßen erstaunt,

wie oft ich bei der Lektüre oder in Gesprächen auf Theologen

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Page 21: Tetens Vortrag Tuebingen

stoße - deutlich mehr evangelische Theologen freilich als

katholische -, die behaupten, Theologie und Glaube kämen völlig

ohne Metaphysik aus und seien auf der Basis des gemäßigten

Naturalismus problemlos denkbar und möglich. Ich glaube nicht,

dass das auch nur im Ansatz wahr sein könnte.

Offensichtlich scheint es für viele Theologen verlockend,

den intellektuellen Eliten dadurch nicht zu nahe zu treten, dass

man den christlichen Glauben und seine Explikation in der

Theologie als metaphysikfrei und als in den bloßen Grenzen des

gemäßigten Naturalismus möglich ausgibt. Allein, es fehlt mir

jeder Glaube, dass sich die intellektuellen Eliten für solch artige

Zugeständnisse an die zeitgeistkonforme naturalistische Weltsicht

mit einem neu entfachten Interesse für die Sache des Glaubens,

der Kirchen und ihrer Theologien bedanken werden. Mit dem

vorherrschenden Naturalismus hart ins Gericht zu gehen, das

scheint mir in unserer geistigen Situation vonnöten, und jedenfalls

hilfreich für diejenigen Philosophen, für die sich auch

philosophisch die Frage nach Gott nicht erledigt hat.

Spätestens mit dieser Schlussbemerkung dürfte deutlich

geworden sein, was mein Vortrag über die Lage der Theologie, der

Lehre von Gott innerhalb der Philosophie immer mitbeinhaltete:

einen Hilferuf aus der Philosophie als Magd der empirischen

Wissenschaften an die Theologie. Ich weiß, so etwas hatten wir

schon lange nicht mehr. Aber so sind nun einmal die Zeiten.

Wie auch immer, Sie haben zur Feier Ihrer Fakultät und

Ihres Faches jedenfalls einen Philosophen zum Vortrag

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Page 22: Tetens Vortrag Tuebingen

eingeladen, der zwar vielleicht auf eigenwillig traditionelle Weise,

aber mit Herz und hoffentlich auch mit ein bisschen Verstand an

der Zukunft der Theologie und damit am Gedeihen und Blühen

Ihrer beeindruckenden Fakultät unbedingt interessiert ist und

Anteil nimmt. Ich bedanke mich sehr, nochmals für die Einladung

und jetzt auch für Ihre geduldige Aufmerksamkeit.

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