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INHALT 20 Jahre Klassische Philologie an der Universität Potsdam Nicola Hömke: Eröffnung der Feierstunde 43 Jörg Rüpke: Divi Augusti oder: Wozu braucht man die neuen Götter? 46 Peter Riemer: Ein Anfang mit RE und ohne Bleistift: Kuriositäten der ersten Stunde. Eingeleitet von Eugen Braun 52 Ursula Gärtner: Anfang und Ende bei Phaedrus 58 Josef Rabl: Rezensionen 70 Grex Potsdamiensis: Die Verkürbissung des Kaisers Nero (Theaterstück) 75 LATEIN Mitteilungsblatt des Landesverbandes Berlin und Brandenburg im Deutschen Altphilologenverband (DAV) http://davbb.de Herausgeber: Der Vorstand des Landesverbandes 1. Vorsitzender: Prof. Dr. Stefan Kipf [email protected] 2. Vorsitzende: StR Gerlinde Lutter · [email protected] Andrea Weiner Beisitzer: Prof. Dr. Nicola Hömke, StD Dr. Josef Rabl Redaktion: Maya Brandl · [email protected] Kassenwart: Peggy Klausnitzer [email protected] ISSN 0945-2257 JAHRGANG LX / HEFT 3-2016 Namentlich gekennzeichnete Artikel müssen nicht unbedingt mit der Mei- nung des Vorstandes übereinstimmen. Anfragen bitte nur an die Schrift- führung des Landesverbandes. – Nichtmitgliedern des Landesverbandes bietet der Verlag ein Jahresabonnement und Einzelhefte an. www.ccbuchner.de UND C. C. BUCHNER VERLAG · BAMBERG GRIECHISCH in Berlin und Brandenburg ©Musée du Louvre, Paris Säulen des Apollontempel in Side Verbandskonto: IBAN: DE51 1605 0000 3522 0069 75 BIC: WELADED1PMB Mittelbrandenburgische Sparkasse

UND ©Musée du Louvre, Paris GRIECHISCHmitteilungen.davbb.de/images/2016/heft-3/lgbb_03_2016.pdf · ©Musée du Louvre, Paris Säulen des Apollontempel in Side Verbandskonto: IBAN:

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I N H A LT 20 Jahre Klassische Philologie an der Universitaumlt Potsdam

Nicola Houmlmke Eroumlffnung der Feierstunde 43

Joumlrg Ruumlpke Divi Augusti oder Wozu braucht man die neuen Goumltter 46

Peter Riemer Ein Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stunde Eingeleitet von Eugen Braun 52

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende bei Phaedrus 58

Josef Rabl Rezensionen 70

Grex Potsdamiensis Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero (Theaterstuumlck) 75

LATEIN

Mitteilungsblatt des Landesverbandes Berlin und Brandenburg im Deutschen

Altphilologenverband (DAV) httpdavbbde

HerausgeberDer Vorstand des Landesverbandes

1 Vorsitzender Prof Dr Stefan Kipf

stefankipfstaffhu-berlinde

2 Vorsitzende StR Gerlinde Lutter middot g1lutteraolcom

Andrea Weiner

BeisitzerProf Dr Nicola Houmlmke StD Dr Josef Rabl

Redaktion Maya Brandl middot mayabrandlgmxdeKassenwart Peggy Klausnitzer peggyklausnitzert-onlinede

ISSN 0945-2257 JAHRGANG LX HEFT 3-2016

Namentlich gekennzeichnete Artikel muumlssen nicht unbedingt mit der Mei- nung des Vorstandes uumlbereinstimmen Anfragen bitte nur an die Schrift- fuumlhrung des Landesverbandes ndash Nichtmitgliedern des Landesverbandes bietet der Verlag ein Jahresabonnement und Einzelhefte an wwwccbuchnerde

UND

C C BUCHNER VERLAG middot BAMBERG

GRIECHISCHin Berlin und Brandenburg

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Verbandskonto IBAN DE51 1605 0000 3522 0069 75

BIC WELADED1PMB Mittelbrandenburgische Sparkasse

Grex Potsdamiensis Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

43LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

Sehr geehrter Herr Prodekanliebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende liebe Gaumlste von nah und fern

ich moumlchte Sie sehr herzlich begruumlszligen zum traditionellen Sommerfest der Klassischen Philologie Potsdam das dieses Jahr ein ganz besonderes ist weil die Klassische Philologie ndash inmit-ten aller Festivitaumlten zur 25-Jahr-Feier ihrer Universitaumlt ndash selbst stolz und froumlhlich ihr immerhin 20-jaumlhriges Bestehen feiert

Wie lange sind eigent-lich 20 Jahre her Als die Klassische Philolo-gie im Herbst 1995 mit ihren beiden Gruumlndungs-professuren sozusagen vom Stapel lief sich in den naumlchsten Wochen eine Studienordnung gab und zum Sommersemester

1996 schlieszliglich den Lehrbetrieb aufnahm tat sie das inmitten eines durchaus trubelig ver-laufenden Jahres

1995 wurde Franz Beckenbauer 50 Jos-hua Kimmich dagegen gerade

erst geboren wurde Jitzchak Rabin in Tel Aviv ermordet

O J Simpson hingegen vom Mordvorwurf frei-gesprochen wurde das Schengener Abkom-men unterzeichnet und gleichzeitig im Jugos-

lawienkrieg gemordet wurde Windows 95 auf

die Menschheit losgelassen und der Berliner Reichstag von Christo verhuumlllt wurde mit BackRub ein Vorlaumlufer

Nicola Houmlmke Eroumlffnung der Feierstunde

Klassische Philologiean der

Universitaumlt Potsdam

ich moumlchte Sie sehr herzlich begruumlszligen zum traditionellen Sommerfest der Klassischen Philologie Potsdam das dieses Jahr ein ganz besonderes ist weil die Klassische Philologie ndash inmit-ten aller Festivitaumlten zur 25-Jahr-Feier ihrer Universitaumlt ndash selbst stolz und froumlhlich

professuren sozusagen vom Stapel lief sich in den naumlchsten Wochen eine Studienordnung gab und zum Sommersemester

1996 schlieszliglich den Lehrbetrieb aufnahm tat sie das inmitten eines durchaus trubelig ver-laufenden Jahres

1995 wurde Franz Beckenbauer 50 Jos-hua Kimmich dagegen gerade

erst geboren wurde Jitzchak Rabin in Tel Aviv ermordet

O J Simpson hingegen

wurde Windows 95 auf die Menschheit losgelassen und der Berliner Reichstag von Christo verhuumlllt wurde mit BackRub ein Vorlaumlufer

20 Jahre

44 JAHRGANG LX middot LGBB 03 2016

von Google ausgetuumlftelt und das Wort bdquoMultime-dialdquo von der Gesellschaft fuumlr Deutsche Sprache zum Wort des Jahres gewaumlhlt stuumlrzten schlieszlig-lich spektakulaumlre Promitrennungen die Welt ins Gefuumlhlschaos nicht genug mit Charles und Diana ndash nein auch die Boyband bdquoTake Thatldquo

Viele von Ihnen haben sicher ihre ganz persoumlnlich gepraumlgten Ruumlckblenden an diese Zeit abgese-hen vielleicht von unseren juumlngsten Bachelor-studierenden bei denen sich die Erinnerungen an 199596 eher auf ihre Kindergartenerlebnisse beschraumlnken duumlrften Aber was die Gruumlndung und die weitere trotz mancher Hindernisse ja durchaus erfolgreiche Entwicklung der Klassi-schen Philologie in Potsdam betrifft so ist es natuumlrlich am besten sich zu solchen Anlaumlssen

Zeitzeugen ins Haus zu holen die zuruumlckblicken und zugleich den Bogen zur heutigen Feierstunde schlagen koumlnnen Daher hatten Ursula Gaumlrtner und ich bereits bei meinem Antritt als Lehrstuhl-vertretung im Maumlrz diesen Jahres daruumlber sin-niert wie schoumln es waumlre zu diesem Anlass alle drei (ja nur drei) bisherigen Lehrstuhlinhaber zusammenzubringen um so mehr freue ich mich dass wir in Umsetzung dieses Vorhabens nicht nur sie selbst aus Graz zu einem Kurzbesuch wie-der hierher zuruumlcklocken konnten sondern dass auch die beiden ehemaligen Gruumlndungsprofesso-ren der Klassischen Philologie bzw Latinistik in Potsdam naumlmlich Herr Prof Dr Joumlrg Ruumlpke und Herr Prof Dr Peter Riemer sich sofort bereiter-klaumlrt haben zur Jubilaumlumsfeier beizutragen und aus ihren einst hier begonnenen Forschungszwei-gen bzw aus ihren persoumlnlichen Erinnerungen an die illustren Anfaumlnge des hiesigen Lehrbetriebs zu berichten

Erinnern Sie sich noch Herr Prof Dr Joumlrg Ruumlp-ke war von 1995 bis zum WS 19992000 Pro-fessor fuumlr Latinistik in Potsdam und wechselte dann von hier auf die Professur fuumlr Vergleichende Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Eu-ropaumlische Polytheismen an die Universitaumlt Erfurt wo er bis heute lehrt Er ist dort seit mehreren Jahren Sprecher der DFG-Kollegforschergruppe bdquoReligioumlse Individualisierung in historischer Per-spektiveldquo und Stellvertretender Direktor des

renommierten Max-Weber-Kollegs fuumlr kultur- und sozialwissenschaftliche Studien Nach Abschluss seines langjaumlhrigen Projekts zur roumlmischen Reichs- und Provinzialreligion

beschaumlftigt er sich nun ua mit dem For-schungsthema bdquoIndividuelles religioumlses Han-

deln zwischen legitimer Pluralitaumlt und Devianzldquo in dem es z B um anthropologische Konzepte von religio und superstitio geht

Wir houmlren ihn heute mit seinem Vortrag bdquoDivi Augusti oder Wozu braucht man die neuen Goumlt-terldquo

gen bzw aus ihren persoumlnlichen Erinnerungen an die illustren Anfaumlnge des hiesigen Lehrbetriebs zu berichten

Erinnern Sie sich noch Herr Prof Dr Joumlrg Ruumlp-ke war von 1995 bis zum WS 19992000 Pro-fessor fuumlr Latinistik in Potsdam und wechselte dann von hier auf die Professur fuumlr Vergleichende Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Eu-ropaumlische Polytheismen an die Universitaumlt Erfurt wo er bis heute lehrt Er ist dort seit mehreren Jahren Sprecher der DFG-Kollegforschergruppe bdquoReligioumlse Individualisierung in historischer Per-spektiveldquo und Stellvertretender Direktor des

schungsthema bdquoIndividuelles religioumlses Han-deln zwischen legitimer Pluralitaumlt und Devianzldquo

in dem es z B um anthropologische Konzepte von religio und superstitio geht

Wir houmlren ihn heute mit seinem Vortrag bdquoDivi Augusti oder Wozu braucht man die neuen Goumlt-terldquo

Prodekan Prof Dr Johannes Haag

45LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

Herr Prof Dr Peter Riemer war ab 1995 Professor fuumlr Klassische Philologie in Potsdam von 1998ndash2000 auch Dekan der Philosophischen Fakultaumlt und wechselte dann im Sommersemester 2000 auf eine Professur fuumlr Klassische Philologie an der Universitaumlt des Saarlandes in Saarbruumlcken wo er bis heute lehrt Sein Forschungsinteresse galt damals wie heute dem griechischen und roumlmi-schen Drama sowie der lateinischen Literatur der Renaissance und seine zahlreichen neuen Pub-likationen belegen eindrucksvoll die Breite und Relevanz dieser spannenden Forschungsgebiete Herr Riemer konnte es leider aus Termingruumlnden nicht einrichten hier heute persoumlnlich zu erschei-nen hat aber in enger Absprache mit seinem damaligen Mitarbeiter Herrn Dr Eugen Braun der unserem Institut ja gluumlcklicherweise bis heute erhalten geblieben ist seine Erinnerungen an die turbulente Anfangszeit zu Papier gebracht und Herrn Braun uumlberzeugen koumlnnen diese ndash erwei-tert um eigene Eindruumlcke ndash hier zu verlesen bdquoEin Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten StundeldquoDie dritte im Bunde Frau Prof Dr Ursula Gaumlrtner muss gluumlcklicherweise auch dem juumlngsten Bache-lorstudierenden nicht eigens vorgestellt werden denn sie hat hier von 2001 bis vor wenigen Mo-naten als seither einzige Lehrstuhlinhaberin fuumlr Klassische Philologie gelehrt bevor sie im Maumlrz fuumlr voraussichtlich fuumlnf Jahre an die Universitaumlt Graz gewechselt ist Neben vielen anderen Auto-ren wie Quintus Smyrnaeus und Valerius Flaccus gehoumlrt ihre Liebe seit mehreren Jahren vor allem den Fabeln des Phaedrus Dazu hat sie letztes Jahr ein Opus magnum vorgelegt und davon han-delt auch ihr heutiger Vortrag mit dem symbol-traumlchtigen Titel bdquoAnfang und Endeldquo Anlaumlsse wie dieser geben daruumlber hinaus auch Gelegenheit sich der fruchtbaren Eingebunden-heit der Klassischen Philologie in den Faumlcher-verbund der Philosophischen Fakultaumlt erneut bewusst zu werden Daher wissen wir es sehr

zu schaumltzen dass sich der Dekan der Fakultaumlt Herr Prof Dr Thomas Brechenmacher bereiter-klaumlrt hatte ein Gruszligwort an die Festgesellschaft zu richten Da er nun unvorhergesehenermaszligen erkrankt ist sind wir umso dankbarer dass unser Prodekan Herr Prof Dr Johannes Haag bereit und willens war kurzfristig fuumlr ihn einzuspringen Zum Abschluss noch ein wichtiger Hinweis Un-sere Feierstunde wird nach dem offiziellen Teil ihre froumlhliche Fortsetzung in und vor bdquounseremldquo Haus 11 mit zwei weiteren Traditionselementen finden naumlmlich dem neuesten Theaterstuumlck des bdquoGrex Potsdamiensisldquo und dem anschlieszligenden Sommer-Grill-Fest aus gegebenem Anlass dies-mal mit Public Viewing des EM-Halbfinalspiels Deutschland ndash Frankreich ab 21 Uhr

Ich freue mich auf einen schoumlnen Abend in gro-szliger bunter Runde danke Ihnen fuumlr Ihr zahlrei-ches Kommen und Ihr Interesse und wuumlnsche der Klassischen Philologie Potsdam alles Gute fuumlr die weitere Zukunft deren erste Phase ich ja erfreuli-cherweise werde selbst miterleben und mitgestal-ten koumlnnen Auf die naumlchsten 20 Jahre

PD Dr Nicola Houmlmke 7 Juli 2016

46 JAHRGANG LX middot LGBB 03 2016

01 S die Arbeit des DFG-Schwerpunktprogramms 1080 bdquoRoumlmische Reichs- und Provinzialreligionldquo etwa Hubert Cancik Konrad Hitzl (Hg) Die Praxis der Herrschervereh- rung in Rom und seinen Provinzen Tuumlbingen 2003 Hubert Cancik Joumlrg Ruumlpke Franca Fabricius Die Religion des Imperium Romanum Koine und Konfrontationen Tuumlbingen 200902 Siehe Ruumlpke Pantheon Geschichte der antiken Religionen Muumlnchen 2016 dem ich hier folge03 Val Max 9151 Liv Per 116 spricht von bdquoSohnldquo und der Abstammung aus niedrigsten Verhaumlltnissen04 Cic Att 146-805 App civ 312-3

Joumlrg Ruumlpke Divi Augusti oder Wozu braucht man die neuen Goumltter

Herzlichen Dank fuumlr die Einladung und herzlichen Gluumlckwunsch zum 20-jaumlh-rigen Jubilaumlum des Lehrbeginns ndash oder zu 20 Jahren Uumlberleben trotz vieler Sparzwaumlnge sicher den Fach-

vertreterinnen wie der Fakultaumlt geschuldet Mein Beitrag soll und kann nur ein kurzer sein Gerne moumlchte ich den Bereich vorstellen der mir in den Jahren 1995ndash99 wichtig war und noch heute wichtig ist die Texte die den Hauptgegenstand der Lateinischen Philologie ausmachen in ihrem groumlszligeren kulturellen Kontext zu sehen Und Teil dieses Kontextes war etwas was die Antike deut-lich von der heutigen Zeit zu trennen scheint die mit der Verehrung Caesars beginnende Vereh-rung roumlmischer Herrscher in Rom und im Impe-rium RomanumbdquoKaiserkultldquo das scheint auf der houmlchsten insti-tutionellen Ebene zu liegen Aber viele Befunde haben Zweifel daran geweckt1 Die Perspektive der bdquogelebten antiken Religionldquo erlaubt es mit der Kamera des Forschers ganz dicht an die Er-eignisse heranzukommen2 Den Anstoszlig zu einer postumen Verehrung des am 15 Maumlrz 44 v Chr ermordeten und anschlieszligend im Tumult auf dem Forum verbrannten Caesars gab ein gewis-ser Gaius Amatius Mit einigen Anhaumlngern lieszlig er einen Altar an der Stelle des Scheiterhaufens

errichten Dieser Amatius war kein unbeschrie-benes Blatt Er war schon fruumlher als angeblicher Enkel des populaumlren Heerfuumlhrers und mehrfachen Konsuls Gaius Marius aufgetreten Obwohl er ei-gentlich ein Pferde- oder Augenarzt namens He-rophilus gewesen sein soll (die Textuumlberlieferung ist nicht eindeutig) sammelte er doch zahlreiche Anhaumlnger als angeblicher Verwandter Caesars der ihn nur mit Muumlhe loswerden konnte3 Selbst Cicero sprach von ihm als Marius4 In dieser Rolle schwor er den Caesar-Moumlrdern Rache wurde je-doch selbst von Marcus Antonius beseitigt bevor der Altar in Betrieb genommen werden konnte Doch das Volk besetzte das Forum und verlangte

Joumlrg Ruumlpke Max-Weber-Kolleg fuumlr kultur- und sozialwissenschaftliche Studien Universitaumlt Erfurt

47LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

auch nach der Ermordung des Amatius den Altar einzuweihen und die ersten Opfer fuumlr Caesar dar-bringen zu lassen5 Caesar als Gott zu verehren war also offensichtlich ein verbreiteter Wunsch Aber seine Verwirklichung barg ein gewisses Risiko Im Ringen um die Macht kam ein Konkur-rent der Caesar als Gott auf seine Seite brachte den Nachfolgern ndash noch ndash gaumlnzlich ungelegen Rufmord ndash das zeigte die Uumlberlieferung uumlber den angeblichen Pferdearzt ndash musste den Mord erst vervollstaumlndigen Gut dreiszligig Jahre vorher war die Reihenfolge der Aktionen und Reaktionen umgekehrt gewesen Mit der Darbringung von Kerzen und Weihrauch verehrten roumlmische Buumlrger den Neffen des be-ruumlhmten Feldherrn Gaius Marius der als Marcus Marius (Gratidianus) zweimaliger Stadtpraumltor gewesen war noch zu Lebzeiten Sulla Mariusrsquo erbitterter Gegner lieszlig den so Verehrten durch Catilina ergreifen ihm die Beine brechen die Augen ausstechen Zunge und Arme abschnei-den und ihn gliedweise bei lebendigem Leibe zerstuumlckeln wie Seneca mehr als einhundert Jahre spaumlter voller Abscheu in seiner Abhandlung bdquoUumlber den Zornldquo berichtete6 Auch hier war die Einbeziehung eines uumlbermenschlichen Akteurs in

das Alltagshandeln roumlmischer Buumlrger ein Risiko das nach dem Wechsel der Machthaber geahndet wurde Neu war das alles nicht Schon 100 Jahre fruumlher lieszlig Plautus seiner Komoumldie Asinaria seine Charaktere daruumlber streiten mit welchen traditi-onellen Goumltternamen sie ihren Wohltaumlter anreden sollten Daruumlber dass Darbringungen vor einer Statue und einem Altar ihn als Gott konstituieren wuumlrden waren sie sich einig7

Religioumlse Kommunikation mit einem neuen Ad-ressaten war also leicht ins Werk zu setzen Durch wenige konventionelle Zeichen oder Handlungen beziehungsweise deren Kombination war sie als solche erkennbar Ob sie von den Anderen als angemessen beurteilt wurde war weit weniger einfach vorherzusagen denn die Initiative muss-te nicht immer bei den sozialen oder politischen Spitzen der Gesellschaft liegen Ganz im Gegen-teil wie gesehen konnten solche Initiativen be-stehende Machtkonstellationen in verschiedener Hinsicht veraumlndern Die Einbeziehung von leben-den oder juumlngst verstorbenen (und mit Verwand-ten versehenen) Personen als neue Adressaten

06 Sen Ira 3181ndash207 Plaut Asin 711ndash718

48 JAHRGANG LX middot LGBB 03 2016

religioumlser Verehrung war insofern nicht weniger brisant als die Einbeziehung von etablierten Gott-heiten etwa gegnerischer Gruppen oder Ethnien ob das nun der Gott der Juden Perser oder Dru-iden warWenn die religioumlse Initiative den Handlungsspiel-raum des Initiators oder der Initiatorin deutlich vergroumlszligern konnte war es wichtig dafuumlr Ver-buumlndete zu gewinnen vielleicht sogar uumlber die eigenen schon vorhandenen Anhaumlnger hinaus In Benevent errichtete vor dem Jahr 15 v Chr der Aufsteiger Publius Veidius Publii filius Pollio ein bdquoCaesareumldquo fuumlr Augustus wie die Kolonie Be-nevent ndash jener Veidius der durch seine Grausam-keit Sklaven an Muraumlnen zu verfuumlttern literari-schen Ruhm gewann8 In Ferentinum errichtete einige Zeit spaumlter Sextus Hortensius Clarus nicht nur ein bdquoAugusteumldquo sondern den Buumlrgern auch ein Forum und ein Nebengebaumlude Er begleitete die Einweihung des auf eigene Kosten und auf eigenem Grund errichteten Gebaumludes mit einem groszligen Bankett9 Gerade soziale Aufsteiger ge-wannen durch die erfolgreiche Etablierung eines Kultortes oder jaumlhrlich wiederholter Rituale eine neue Qualitaumlt oumlffentlicher Praumlsenz Das steigerte ihre Bereitschaft fuumlr die damit entstehenden Kos-ten aufzukommen und die eigene Zeit dafuumlr ein-zusetzen entsprechende Rollen zu uumlbernehmen Die zahlreichen Beispiele von Augustalen (seviri Augustales) die den Kaiserkult in Italien besorg-ten zeigten das10 Religioumlses Handeln auszuwei-ten bot also fuumlr viele Beteiligte einen Gewinn

InstitutionenUnd dennoch etwas Neues zu beginnen war in Gesellschaften die ihre gefuumlhlte Stabilitaumlt aus dem gewannen bdquowas schon immer so gewesen warldquo immer ein Risiko Das nachzuahmen was die Maumlchtigen und Erfolgreichen Haumlndler oder fuumlr Rom arbeitende Verwalter taten war eine Moumlglichkeit ndash wobei auch Widerstand gelegent-lich schick sein konnte aber uns haumlufig verborgen bleibt Sichtbar war Anderes In der Nachahmung roumlmischer religioumlser Praktiken entstanden bei-spielsweise massenhaft Inschriften und Tempel im Westen des Imperium Romanum Wer wurde da verehrt Wenn man durch religioumlses Handeln Handlungsspielraumlume und Positionen in der Mitte der bestehenden provinzialen Gesellschaften er-oumlffnen wollte war es wichtig dass der Angespro-chene das als bdquogoumlttlichldquo bestimmte also auch nicht leicht fassbare und damit nicht uumlber jeden Zweifel erhabene Gegenuumlber fuumlr die Umstehen-den doch zumindest einigermaszligen zustimmungs-faumlhig war11 Den fernen Augustus in Rom zu einem solchen goumlttlichen Gegenuumlber zu machen war sicher uumlberraschend hatte aber viel fuumlr sich Seine Exis-tenz war kaum zu bezweifeln seine Macht eben-so wenig Fuumlr entfernte Provinziale reicher Staumldte oder abgelegener Landdistrikte war das vermut-lich eher zu bestreiten als fuumlr Italiker Maumlnner mit roumlmischem Buumlrgerrecht oder frisch Unterworfene Allen jedoch bot der jeweilige Augustus einen eindeutigen Bezugspunkt eine Person deren Gesicht da und dort zu sehen dessen Name da und dort zu lesen von dessen Wirken da und dort zu erzaumlhlen warWie die Relevanz dieses fernen Gottes fuumlr den Ort in der Provinz im Einzelfall behauptet und wie der Adressat (oder die Adressatin) im Detail bestimmt wurde das hing von Verschiedenem ab von der Kompetenz und dem Wissen sowie dem Interesse an Originalitaumlt der einzelnen Akteure ebenso wie von lokalen Traditionen religioumlser Kommunikation Der Stadtrat der Kolonie Pisa entschied sich nach dem Tod des Lucius Caesar (17 v Chr bis 2 n

08 CIL 91556 Zur Person s Dio 54231ndash 609 CIL 11743110 Valentino Gasparini raquoLes cultes isiaques et les pouvoirs locaux en Italielaquo in L Bricault M J Versluys (Hgg) Power Politics and the Cults of Isis Proceedings of the Vth International Conference of Isis Studies Boulogne- sur-Mer October 13ndash15 2011 Leiden 2014 S 260ndash29911 Zu den Implikationen s Ruumlpke bdquoReligious Agency Identity and Communication Reflecting on History and Theory of Religionrdquo Religion 45 (2015) S 344ndash366

49LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

Chr) des Adoptivsohnes des Augustus einen Altar mit einer jaumlhrlichen Feier fuumlr Luciusrsquo Manes zu errichten ndash das zunehmend gelaumlufig werden-de Di manes wie es massenhaft Grabsteine zu schmuumlcken begann wurde im Text mehrheitlich vermieden12 Doch nicht nur die Bezeichnung des Adressaten formulierte das Gremium und die na-mentlich genannten Schreiber Quintus Petillius Publius Rasinius Bassus Marcus Puppius Quin-tus Sertorius Pica Gnaeus Octavius Rufus und Aulus Albius Gutta sorgfaumlltig Ebenso sorgfaumlltig waren sie in der Anordnung der Handlungen die im Rahmen der Feier auszufuumlhren waren Die fuumlr die herausragenden Rollen des Totenritu-als Zugelassenen mussten schwarze Togen tra-gen Das zu schlachtende Rind und Schaf waren ebenfalls mit Binden schwarz zu schmuumlcken ndash in dem in Rom als tiefste Trauerfarbe verstandenen Blauschwarz13 Je eine Urne voll Milch Honig und

Oumll sollten uumlber den verbrannten Resten der Tiere ausgegossen werden Personen ohne Legitimati-on durch ein oumlffentliches Amt war die Mitwirkung erlaubt sie waren aber auf entweder eine Kerze eine Fackel oder einen Kranz beschraumlnkt die sie in den brennenden Holzstoszlig werfen durften Fuumlr weitere Regelungen schloss man sich dem ein-schlaumlgigen Beschluss des roumlmischen Senates an Das alles so vermerkte die inschriftliche Fassung des Beschlusses war auf einer Inschrift direkt am Altar festzuhalten Die religioumlse Kommunikation mit den Manen des Lucius war in der Auffuumlhrung des 20 August am eindrucksvollsten doch sie war daruumlber hinaus sichtbar schon allein durch den sorgfaumlltig platzierten Altar vor dem nach griechischem Muster auch die Verbrennung statt-fand

Wie muss man sich den goumlttlichen Kaiser vorstellenDas verbreitete Nachdenken uumlber das was Menschen ausmachte hatte sich im massen-haften Auftreten der Bezeichnung di manes auf Grabsteinen seit dem ausgehenden ersten Jahr-hundert v Chr niedergeschlagen Vor diesem Hintergrund wurde auch die Frage ob und wie Herrscher in politischer oder religioumlser Kommu-nikation anzusprechen waren diskutiert Im Feld der Moumlglichkeiten markierte divus eine Position die den Uumlbergang als eine scharf markierte Un-terscheidung fasste Formal der Titel einer Person ndash also etwa bdquoDivus Augustusldquo ndash behauptete man mit seiner Benutzung die Identitaumlt einer Persoumln-lichkeit von Mensch und Gott Aumlhnlich wie in der Republik die Senatoren diskutiert hatten ob beobachtete Vorzeichen als Prodigien fuumlr die res publica zu werten seien so diskutierten sie nun

12 CIL 111420 = ILS 139 sa den nachfolgenden Beschluss nach dem Tod des Bruders Gaius Caesar im Jahr 4 n Chr (CIL 111421 = ILS 140)13 Zu dieser Farblogik s Joumlrg Ruumlpke bdquoVexillum caeruleumrdquo RhM 136 (1993) S 374ndash37614 Zsuzsanna Vaacuterhelyi The Religion of senators in the Roman Empire Cambridge 2010 166

Joumlrg Ruumlpke im Gespraumlch mit Andreas Fritsch

50 JAHRGANG LX middot LGBB 03 2016

ob ein Mensch den sie selbst beobachtet hatten zum Gott geworden sein konnte14 Zugleich wies der Titel der sich auch in aumllteren Gottesnamen ndash Diva Palatua Diva Angerona Diva Rumina Bona Diva15 (auch Bona Dea) ndash fand in die Welt etab-lierter Gottheiten Wie zweideutig aber selbst die Begriffswahl war zeigt die Tatsache dass noch Cicero gerade den Begriff divus fuumlr alte deus als Bezeichnung fuumlr neue durch Vergoumlttlichung von Menschen entstandene Gottheiten verwendet zu haben scheint (hier ist die Textuumlberlieferung pro-blematisch)16 Kurzum in Bezug auf einen ehe-mals lebenden Menschen suggerierte der Begriff divus eine erkennbare Statusaumlnderung In Rom lieferten die Senatoren oder die Nachfol-ger der Verstorbenen mit dem Konsekrationsri-tual die Grundlage fuumlr diese Veraumlnderung Bild-lich zum Teil auch rituell war die Metapher der Himmelfahrt ndash ob in Gestalt eines aufsteigenden Adlers oder als Fahrt auf dem Sonnenwagen ndash dafuumlr zentral Dieser Aufstieg konnte beobachtet werden war wie das Auftauchen eines neuen Sterns eines Kometen im Falle Caesars (oder das leere Grab mit dem weggeschobenen Stein im Falle Jesu) empirisch fassbar oder durch Au-genzeugen beglaubigt Das etablierte Ritual knuumlpfte an alte Geschichten an beginnend mit Romulus und wiederholte diese zuverlaumlssig und beobachtbar es fand immer auf dem Marsfeld statt die Organisatoren lieszligen immer einen Adler aufsteigen den jedermann beobachten konnte es gab immer einen Scheiterhaufen selbst wenn die Leiche laumlngst beseitigt war17 Die Aufstiegs-

geschichte diese bdquoAszendenz-Theologieldquo war krude Doch sie erlaubte auch Kontrolle Nicht jedem wurde das Marsfeld fuumlr ein solches Ritual geoumlffnet Fuumlr die Alternativen zu diesem scharf markierten Aufstieg vom Menschen zum Gott gab es keine vergleichbare Kontrolle und rituelle Standardisie-rung Die reichsten Assoziationen bot die Vorstel-lung der andere und vor allem der Herrscher koumlnne die Epiphanie eines bekannten Gottes sein Diese Annahme in eigene religioumlse Kommu-nikation einzubauen war nicht nur ehrenvoll fuumlr den so identifizierten Kaiser (falls ein boumlswilliger Beobachter den Vorwurf der Majestaumltsverletzung geltend machen wollte) sondern erschloss auch ein reiches Spektrum an Bildern und Geschichten die zur weiteren Plausibilisierung herangezogen werden konnten In der konkreten Situation duumlrf-te aber zumeist der umgekehrte Vorgang wichti-ger gewesen sein Die Ansprache des bekannten Gottes konnte mit den persoumlnlichen und politi-schen Facetten des Kaisers wichtiger und in der Situation relevanter gemacht werden Die Figur des Herkules war hier eine naheliegende Wahl war dieser doch tatkraumlftig Ordnung schaffend und zudem selbst ein Aufsteiger vom Menschen zum Gott Er war also eine passende Reflexions-figur fuumlr den Sachverhalt der hier zur Debatte stand Das Spektrum war jedoch noch weiter Es reichte von Iuppiter dem zentralen politischen Gott der Stadt Rom und Zeus der eine vergleich-bare Rolle in vielen Staumldten der ostmediterranen Welt spielte uumlber den triumphierenden Dionysus (uumlbertragen auf Liber Pater) bis hin zu Apollo und Romulus Quirinus In manchen Faumlllen legte der Betroffene solche Gleichsetzungen selbst nahe indem er etwa eine Gottheit zu einem besonders wichtigen eigenen Adressaten machte ihr Tempel oder Spiele stiftete oder sich selbst entsprechend kleidete Naumlhe und genealogische Beziehung Epiphanie oder innere Praumlsenz des Goumlttlichen ndash die Moumlg-lichkeiten das Verhaumlltnis zu konzeptualisieren waren vielfaumlltig ein Bedarf an Praumlzision war eher

15 ZB Varro ling 745 Fasti Praenestini Inscr It 132139 Ov am 3637 fast 5148 Plin Nat 365 Solin 16 Aug civ 610 (Varro) 16 Cic leg 222 in der Textrekonstruktion durch Andrew Dyck 17 So Anne-Francoise Jaccottet raquoDu Corps Humain au Corps Divin Lrsquoapotheacuteose dans lrsquoimaginaire et les repreacutesentations figureacuteeslaquo in P Borgeaud D Fabiano (Hgg) Reception et Construction du Divine dans lrsquoAntiquiteacute Recherches et Rencontres 31 Genegraveve 2013 S 293ndash32218 ILS 119-121

51LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

selten In Ritualen die den Initiatoren so wichtig waren dass sie auch in inschriftlicher Form einen Niederschlag fanden wurde so die verstorbene Livia als (im Dativ der Empfaumlngerin) Livia Augusti dea Iuno Livia (Liviae) Augusti und Ceres Iulia (Iuliae) Augustaae angesprochen18 Was im Sprachlichen doppeldeutig blieb lieszlig sich bildlich klaumlren etwa indem der Urheber der religioumlsen Kommunikation zwei Statuen nebeneinander stellte (Dea) Roma und Augustus waren ein be-liebtes Paar Venus und Caesar ein umstrittenes Die Wahl des Materials konnte dem Objekt eine Nuance geben die Betrachterinnen und Betrach-ter einte oder polarisierte Man konnte keine Goldstatue aufstellen und dann behaupten den Dargestellten nicht zu vergoumlttlichen Gerade die klar ausgewiesene Eigenstaumlndigkeit der Persoumln-lichkeit des Menschen provozierte dabei die Frage nach seinem ontologischen Status nach seinem Ort in einer Ordnung die fuumlr Engel Daumlmonen und Goumltter selbstverstaumlndlich aber im Detail raumlt-selhaft und in der jeweiligen Situation umstritten sein musste19

Uumlberlegungen zur Person des Augustus oder sei- ner Familie anzustellen war aber ndash allenfalls ndash ein Nebenaspekt bei der Wahl gerade solcher Adres-

saten in religioumlser Kommunikation Der zentrale bdquoTrickldquo dieser Wahl bestand vielmehr in der enor-men Relevanzsteigerung einer Kommunikation die in einen lokalen Kontext einen unbezweifel-bar reichsweit handelnden Akteur einbezog Das mochten Umstehende als bdquounnoumltigldquo betrachten das aumlnderte jedoch nichts daran dass der oder die Initiatorin damit ihr Anliegen aufgewertet hatte ndash gleichzeitig freilich dazu aufgefordert war eine entsprechend aufwendige Gestaltung dieser Kommunikation zu liefern Amatius hatte das gespuumlrt ndash und seine maumlchtigeren Konkurren-ten auch Ob als Gott oder nur Widmungstraumlger als Adressat nicht nur religioumlser sondern auch literarischer Kommunikation Als moumlglicher Gott war der Herrscher wichtiger geworden In der Kenntnis um diese antiken Zusammenhaumlnge sieht man die Kommunikation mit und uumlber heutige Autokraten anders Weit muss man dazu nicht schweifen

Impressum ISSN 0945-2257

Latein und Griechisch in Berlin und Brandenburg erscheint vierteljaumlhrlich und wird herausgegeben vom Vorstand des Landesverbandes Berlin und Brandenburg im Deutschen Altphilologenverband (DAV) wwwdavbbde

1 Vorsitzender Prof Dr Stefan Kipf Humboldt Universitaumlt zu Berlin Didaktik Griechisch und Latein middot Unter den Linden 6 middot 10099 Berlin stefankipfstaffhu-berlinde

2 Vorsitzende StR Gerlinde Lutter Tagore-SchuleGymnasium Berlin middot g1lutteraolcom Andrea Weiner Alexander von Humboldt Gymnasium Eberswalde

Schriftleitung des Maya BrandlMitteilungsblattes Zehntwerderweg 171 a middot 13469 Berlin middot mayabrandlgmxde

Kassenwartin StR Peggy Klausnitzer peggyklausnitzert-onlinede

Beisitzer Prof Dr Nicola Houmlmke StD Dr Josef Rabl

Grafik Layout Fabian Ehlers Karlsruher Straszlige 12 middot 10711 Berlin middot wwwart-und-adde

19 Unter einem Begriff wie bdquoEngelldquo (angelos) konnten sich wiederum unterschiedlichste lokale Vorstellungen verbergen Rangar H Cline Ancient Angels Conceptualizing Angeloi in the Roman Empire Religions in the Graeco-Roman World 172 Leiden 2011 S 75

IMPR

ESSU

M

Peter Riemer Ein Anfang mit BE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stunde

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Liebe Ursula liebe Nicola lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende liebe Gaumlste bevor ich Peter Riemers Vortrag zum heutigen Jubilauml-umsfest verlese erlauben Sie mir einige

persoumlnliche Bemerkungen Wie die meisten von Ihnen wissen vertritt Nicola Houmlmke seit dem fuumlr uns schmerzlichen (aber verstaumlndlichen) Wech-sel Ursula Gaumlrtners nach Graz den Lehrstuhl fuumlr Klassische Philologie an unserer Universitaumlt Die Art und Weise wie sie dies tut etwa bei dem von Frau Gaumlrtner begruumlndeten sbquojour fi xelsquo oder im Altertumswissenschaftlichen Kolloquium fi nde ich hervorragend ich bin ihr nicht nur deswegen sehr dankbar und wuumlnsche Ihr dass sie dies auch weiterhin so tun kannAls mir Nicola Houmlmke vor kurzem mitteilte dass Peter Riemer seinen Vortrag an unserem Jubilauml-umsfest leider nicht halten koumlnne er es aber gut faumlnde wenn ich in seinem Namen seine Rede vortruumlge hatte ich aus verschiedenen Gruumlnden zunaumlchst groszlige Bedenken Einer dieser Gruumlnde reicht bis in meine Kindheit zuruumlck Bei der Feier der Heiligen Messe konnte ich als Ministrant nicht selten nur zu deutlich erleben wie sich die sonst durchaus neugierig gespannte Aufmerksamkeit meiner kleinen nordsaarlaumlndischen Heimatge-meinde just in dem Augenblick in einen ndash eu-phemistisch ausgedruumlckt ndash auffaumlllig veraumlnderten Ruhezustand verwandelte in dem der Pfarrer ankuumlndigte er werde statt zu predigen einen Hirtenbrief des Trierer Landesbischofs verlesen Nachdem mir Peter Riemer dann mitteilte dass er in seinem Vortrag vor allem aus sehr persoumln-licher Sicht an die Anfaumlnge des Potsdamer Insti-tuts fuumlr Klassische Philologie erinnern wolle ha-ben sich meine Bedenken sofort zerstreut Seine Gedanken und Erinnerungen die ich Ihnen gleich vortrage zeugen wie ich schon beim ersten Le-

sen feststellen konnte noch vom selben anste-ckenden Enthusiasmus mit dem er bereits vor zwanzig Jahren die ersten Studierenden in Pots-dam fuumlr die Beschaumlftigung mit antiken Texten zu begeistern verstanden hat Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine weitere ganz kurze persoumlnliche digressio Ich lese gerade ein spannendes Buch des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa der darin die Frage nach dem gelingenden bzw guten Leben mit Hilfe des Kriteriums der Resonanzerfahrung zu beantworten versucht Seine diesbezuumlglichen Analysen der verschiede-nen Lebenssphaumlren der Familie der Arbeit der Religion der Kunst des Sports fuumlhren ihn zu der nicht ganz uumlberraschenden Diagnose dass es fuumlr die Menschen kapitalistischer vor allem von Entfremdung gepraumlgter Gesellschaften der Postmoderne immer schwieriger werde lebens-wichtige Resonanz-Erfahrungen zu machen bei denen es in unterschiedlichen Zusammenhaumlngen nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-

Eingeleitet von Eugen Braun

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ven sondern auch leiblichen Beruumlhrung zwischen Subjekt und Welt komme (Wenn Ihnen dies jetzt zu unverstaumlndlich bzw philosophisch vor-kommt so haben Sie heute ab 21 Uhr wenn man Herrn Rosa glauben will die Moumlglichkeit ganz anschaulich auf dem Fernsehbildschirm ein zu-mindest bdquopraumlreflexives somatisch-soziales Reso-nanzgeschehenldquo mit zu verfolgen vorausgesetzt natuumlrlich Sie finden uumlberhaupt Gefallen daran 22 erwachsenen Menschen dabei zuzuschauen wie sie einem Ball hinterherlaufen und diesen in ein Tor zu befoumlrdern versuchen) Bei der Lektuumlre von Herrn Rosas Buch hat sich mir unwillkuumlrlich auch die Frage nach moumlglichen Resonanzerfah-rungen auf der Universitaumlt gestellt ich habe noch keine abschlieszligende Antwort gefunden Dass die Universitaumlt als Staumltte des Lernens und Lehrens primaumlr kein Ort zur Erfuumlllung lebensphilosophi-scher Sehnsuumlchte sein kann und darf sondern vor allem einen werturteilsfreien Fachunterricht zum Ziel haben muss der allenfalls zu einer bes-seren rationalen Abwaumlgung der verschiedenen Welt- und Lebensanschauungen beitragen kann wie sie auch in Texten der griechisch-roumlmischen Antike paradigmatisch erkennbar sind habe ich von Max Weber gelernt In seinem beruumlhmten Vortrag bdquoWissenschaft als Berufldquo hat Weber wie Sie wissen ebendies vor fast genau hundert Jahren den Studenten der Muumlnchener Universi-taumlt nachdruumlcklich verstaumlndlich zu machen ver-sucht In diesem Vortrag (Weber war uumlbrigens sbquoSchwipp-Schwagerlsquo von Wilamowitz) findet sich allerdings auch der bekannte Satz bdquoNichts ist fuumlr den Menschen als Menschen etwas wert was er nicht mit Leidenschaft tun kannldquo Wenn Studie-rende heute das Studium der Klassischen Philo-logie wie es scheint vor allem absolvieren und absolvieren muumlssen um sog Leistungspunkte zu erwerben entspricht dies einer allgemeinen Ent-wicklung der Universitaumlten die ich nicht weiter kommentieren will Dass Studierende sich dieser Entwicklung zum Trotz jedoch zum Gluumlck immer noch in Seminaren ja sogar Grammatikuumlbungen fuumlr den sbquoStofflsquo begeistern lassen habe ich selbst

noch heute Morgen erleben duumlrfen und in den letzten Jahren immer wieder vereinzelten Ruumlck-meldungen insbesondere zu Veranstaltungen Ursula Gaumlrtners entnehmen koumlnnen Aus der An-fangszeit unseres Instituts faumlllt mir in diesem Zu-sammenhang besonders Joumlrg Ruumlpkes Vorlesung uumlber Roumlmische Geschichtsschreibung ein deren Mitschnitt bzw Aufnahme Frau Geyer dann zu einem sehr begehrten Buch gemacht hat Wie spannend seine fachwissenschaftliche Beschrei-bung religioumlsen Handelns in der Antike (und der damit verbundenen vertikalen Resonanzachsen) sein kann haben Sie alle gerade selbst erleben koumlnnen (Ich persoumlnlich bin schon sehr gespannt auf sein neues Buch uumlber die Geschichte der an-tiken Religionen das am 19 September erscheint und fuumlr das ich an dieser Stelle schon einmal Reklame machen darf) Wie es Peter Riemer in seiner Potsdamer Zeit auf charismatische Weise verstanden hat das Interesse der Studierenden etwa fuumlr die Aeneis in lebendigen Diskussionen immer mehr zu vertiefen weiszlig ich von einzelnen Seminarteilnehmern und wie eindrucksvoll es ihm nicht nur damals gelungen ist sondern auch heute noch gelingt in den akademischen Lehr-betrieb auch Erfahrungen kuumlnstlerisch-performa-tiver Resonanz zu integrieren geht auch aus dem folgenden Vortrag hervor den ich nun verlesen darf (Dabei versuche ich den moumlglicherweise doch aufkommenden Gedanken dass Saarbruuml-cken wo Herr Riemer derzeit lehrt nicht weit von Trier entfernt liegt so gut es geht zu unter-druumlcken) Der Vortrag traumlgt den Titel sbquoEin Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stundersquo und beginnt mit den Worten

Liebe Frau Gaumlrtner liebe Frau Houmlmke lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende und sofern anwesend natuumlrlich auch zu begruuml-szligen der Dekan SpectabilisEs ist wirklich bedauerlich dass ich am heutigen Tag nicht selbst dabei sein kann das Institutsju-bilaumlum zu feiern Eine schon seit Monaten termi-nierte Berufungskommission mit Probevortraumlgen

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und der anschlieszligenden Entscheidungsfindung an eben dem 7 Juli 2016 laumlsst mich einfach nicht aus Saarbruumlcken fort Aber zumindest koumlnnen diese Zeilen hier verlesen werden Es muss wohl der 4 oder 5 Oktober 1995 gewesen sein als wir in Golm die kuumlnftigen Raumlume des Instituts fuumlr Klassische Philologie aufsuchten Eugen Braun und ich ndash wir waren verabredet und er moumlglicher-weise vor mir da Joumlrg Ruumlpke kam dann erst in der Woche darauf wenn ich mich recht entsinne ndash da hatten wir die Raumlume schon halbwegs einge-nommen freilich noch ohne neues Mobiliar Alles war muffig und ziemlich heruntergekommen Das hatte nichts mit den aktuellen Anglisten zu tun von denen wir die Raumlume erbten Vielmehr fanden sich in den Schreibtischen und Schraumln-ken Abschlussarbeiten und andere Unterlagen (Korrespondenzen und Berichte) aus der Zeit der Brandenburgischen Landeshochschule und zwar noch aus den Jahren vor der Wende Man hatte den Eindruck die Zimmer seien seit Gruumlndung der Universitaumlt 1991 nur nebenbei quasi behelfs-weise genutzt worden Sie konnten 11 so wie sie waren in ein DDR-Hochschul-Museum uumlberfuumlhrt werden Dietrich Schwanitz hatte offenbar diesel-ben Eindruumlcke gehabt und in seinem Roman bdquoDer Zirkelldquo absolut treffend wiedergegeben Schwa-nitz ist dem Ruf auf eine Potsdamer Anglistik-Professur bekanntlich nicht gefolgt (vielleicht deshalb) Nun gut Da standen wir also und mussten irgendwie anfangen Keine Beschriftung deutete darauf hin dass hier einmal das Institut fuumlr Klassische Philologie sein wuumlrde Wir brauch-ten dringend Material Computer Drucker Papier Nicht einmal Bleistifte waren vorhanden Fuumlr Bestellungen von Material und Geraumlten gab es Formblaumltter Die bekamen wir von Frau Schwarz der Verwaltungschefin der Fakultaumlt Wir fuumlllten die Formulare aus und mussten feststellen dass selbst dies nicht so einfach war wenn man noch gar nichts besaszlig Denn auf den Formularen wurde ein Stempel verlangt Man musste sogar wenn man einen Stempel bestellen wollte erst einmal selbst einen Stempel haben bdquoStempel und

Unterschriftldquo hieszlig es unten auf dem Blatt Kurios Wir zogen in die Romanistik und liehen uns von dort einen Stempel aus bdquoInstitut fuumlr Romanis-tikldquo Natuumlrlich strichen wir die Romanistik durch und schrieben in Druckbuchstaben sozusagen in lsquoStempelschriftrsquo bdquoKlassische Philologieldquo daruumlber und bestellten auf diese Weise erst einmal einen Stempel und dann das uumlbrige Material So ka-men wir an unsere ersten Bleistifte

Zu einem Universitaumltsinstitut gehoumlrt selbstver-staumlndlich eine gut bestuumlckte Bibliothek Da wir ja praktisch bei Null anfingen brauchten wir von allem alles Lexika und Handbuumlcher Primaumlrtexte und Sekundaumlrliteratur Weil auch andere Institu-te fuumlr ihre Buchbestaumlnde Geld benoumltigten aber schon vor uns da waren und ihre Anspruumlche laumlngst geltend gemacht hatten blieb fuumlr uns nur noch ein kleiner Rest aus dem Topf der Beschaf-fungsmittel Der Hinweis auf die gut ausgestatte-ten Bibliotheken in Berlin war uns nur ein schwa-cher Trost Schlieszliglich sollten so dachten wir die Studenten auch drauszligen in Golm Buumlcher vorfin-den die ihrem Studium dienten Wir skizzierten daher einen klassisch-philologischen Grundbe-stand und baten Frau Gaschuumltz die fuumlr unsere Bibliothek zustaumlndig war zu kaufen was der Markt eben hergab Aber auf dem Buumlchermarkt fanden sich freilich kaum aumlltere Werke bis zuruumlck ins 19 Jahrhundert Deshalb nahmen wir Kontakt mit den Instituten in Greifswald und Halle auf die sich gern von ihren Dubletten trennten um dafuumlr etwas Geld fuumlr Neuanschaffungen zu erhalten Joumlrg Ruumlpke wird sicher noch die Fahrt zu Martin Hose in Greifswald in Erinnerung haben (ich hoffe in guter) die wir so zuumlgig unternahmen (zugleich in Gespraumlche vertieft) dass uns irgendwo auf der Landstraszlige ein mecklenburg-vorpommersches Blitzgeraumlt erwischte Jedesmal wenn ich seitdem auf dem Weg an die Ostsee oder zuruumlck geblitzt werde (und das passiert leider immer wieder Mecklenburg-Vorpommern hat mehr Blitzgeraumlte als Einwohner) faumlllt mir die denkwuumlrdige Tour von damals wieder ein

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Somit bekamen wir nach und nach ndash wie gesagt fuumlr wenig Geld ndash einen systematischen Buchbe-stand in erstaunlicher Fuumllle zusammen Und da verschlug es mir den Atem als Frau Gaschuumltz aus dem Magazin der Potsdamer UB eine vollstaumlndi-ge Realenzyklopaumldie hervorzauberte Eine RE in Potsdam noch aus der Gruumlndungszeit der Paumld-agogischen Hochschule Wie war das moumlglich Die Klassische Philologie besaszlig als wir kamen noch keinen Bleistift hatte aber schon eine RE im Keller Des Raumltsels Loumlsung Wir waren nicht die ersten Ende der 40-er Jahre des 20 Jahrhun-derts sollte die Paumldagogische Hochschule auch Latein und Griechisch im Programm haben und kein geringerer als Werner Peeck (der letzte Wila-mowitz-Schuumller) war mit der Einrichtung betraut worden Auch er hatte damals mit Buumlcherkaumlufen begonnen Doch die Aufgabe der Lateinlehrer-ausbildung fuumlr die Oberschulen der DDR fiel dann den Hallensern zu Peeck ging folglich nach Halle sicherlich auch mit einigen Buumlchern im Gepaumlck Die RE lieszlig er aber in Potsdam zuruumlck Somit koumlnnten zieht man die Unterbrechung bis 1995 ab die Peeckschen Jahre hinzugerechnet werden und das heute zu feierende Jubilaumlum waumlre ein 25-JaumlhrigesIm Wintersemester 199596 hatten wir selbst-verstaumlndlich Lehrveranstaltungen angekuumlndigt Aber es kamen keine Studenten Wie denn auch Wir besaszligen ja nicht einmal eine Studienordnung Also setzten wir uns regelmaumlszligig zusammen Joumlrg Ruumlpke Eugen Braun und ich und bastelten an unseren Ordnungen fuumlr das Studium der Latei-nischen und der Griechischen Philologie Und es war nicht einfach die Ordnungen in der gebote-nen Eile durch die Gremien zu bringen vor allem die sogenannte LSK die Senatskommission fuumlr Studium und Lehre tat sich schwer damals gelei-tet von dem Mathematikdidaktiker Thomas Jahn-ke Ich erwaumlhne ihn namentlich weil er noch ein Schuumller des beruumlhmten Frankfurter Gymnasialleh-rers Eduard Bornemann war dem wir wunderba-re lateinische und griechische Grammatiken und Schulbuumlcher verdanken Herr Jahnke war unseren

Studiengaumlngen sehr zugetan an ihm lag es nicht dass sich manches verzoumlgerte Das der LSK ange-houmlrende Mitglied des Bildungsministeriums legte uns immer wieder Steine in den Weg Der Mann wollte unserem Konzept eines breit angelegten Lateinstudiums unter Einbeziehung sprachwis-senschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Ele-mente und definitiv gestuumltzt auf die klassischen Autoren nicht zustimmen und wollte uns glaub-haft machen dass das Latein des Mittelalters und das Neulateinische viel wichtiger seien fuumlr einen modernen Schulunterricht Nun gut Irgendwie hatten wir den Kampf dann doch gewonnen und das Ministerium beruhigen koumlnnen Wir erhielten postwendend den Auftrag uumlber hundert Latein-lehrer fuumlr das Land Brandenburg nachzuschulen Darin bestand dann tatsaumlchlich die groszlige Aufga-be der ersten Jahre des Instituts Jeden Freitag hatten wir unseren bdquoLehrertagldquo und ermoumlglich-ten (unterstuumltzt von der Weiterbildungs-GmbH in Babelsberg) einer groszligen Reihe von schon lange taumltigen Lehrerinnen und ndashlehrern das Erweite-rungsfach Latein zu erwerben vielleicht ist der eine oder die andere von damals heute hier ganz herzliche Gruumlszlige Es war eine wunderbare Zeit mit sehr schoumlnen Erfahrungen Aus einem Vergil-Proseminar uumlber die Aeneis im Winter 199798 ist die Idee hervorgegangen dass die Tragik der Didofigur nicht separat betrachtet werden koumlnne auch die Rolle des Aeneas habe tragische Zuumlge Die Tragik des Aeneas wenn man sie ernsthaft in den Blick nimmt geht auf Aischylos zuruumlck Die-sen Kerngedanken habe ich aus den Diskussionen mit den Lehrern mitgenommen Entsprechendes publiziert und zuletzt sogar im Rahmen eines Theaterprojekts auf die Buumlhne bringen koumlnnen

Joumlrg Ruumlpke und ich wurden ja glaube ich gebe-ten von Dingen zu berichten die wir aus Potsdam mitgenommen bzw die uns beeinflusst haben Dies waumlre eines das Aischyleische in der Aeneis Dann waumlre auf jeden Fall zu nennen eine von Joumlrg Ruumlpke Pedro Barcelo und mir zusammen mit John Scheid im Steiner-Verlag herausgegebene

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Reihe die noch im Namen ihren Ursprung verraumlt bdquodie Postdamer altertumswissenschaftlichen Bei-traumlgeldquo mittlerweile 55 Baumlnde umfassend

Was mir Potsdam mit auf den Weg gegeben hat ist zudem die Interdisziplinaritaumlt In Koumlln wo ich akademisch aufgewachsen bin konzentrierten sich die einzelnen Disziplinen sehr auf sich selbst (ich glaube das machen sie auch heute noch) Das mag an der Groumlszlige der Faumlcher oder auch an der Groumlszlige der dortigen Philosophischen Fakultaumlt liegen In Potsdam haben wir von Beginn an unter weitaus engeren Bedingungen die Naumlhe zu ande-ren Disziplinen und das Miteinander gesucht Ich denke gern an die gemeinsamen Lehrveranstal-tungen mit dem Anglisten Peter Drexler oder mit der Germanistin Margrid Bircken zuruumlck Aus der Zusammenarbeit mit diesen Nachbarphilologien ist denn auch der Studiengang bdquoVergleichende Literaturwissenschaftldquo hervorgegangen heute ndash nachdem die Kunstgeschichte die seinerzeit noch fehlte dazugekommen ist ndash bdquoVergleichende Lite-ratur- und Kunstwissenschaftldquo Aumlhnliches erlebe ich in Saarbruumlcken wo wir durch die Reduktion verschiedener Faumlcher auf einzelne Professuren geradezu gezwungen sind kooperativ zu for-schen und zu lehren Die Gemeinschaft der Alter-tumswissenschaften mit Alter Geschichte Klassi-scher Archaumlologie Vor- und Fruumlhgeschichte und der Klassischen Philologie in Bachelor- und Mas-terstudiengaumlngen ist ein Beispiel Kuumlnftig werden noch die bdquoEuropaumlischen Literaturenldquo mit alt- und neuphilologischen Angeboten an der Universitaumlt des Saarlandes dazukommen Dies kann durch-aus mit dem verglichen werden was wir damals in Potsdam schon kennengelernt haben Wenn ich bdquowirldquo sage beziehe ich immer Christoph Ku-gelmeier mit ein der mir im Sommer 2000 als Assistent ins Saarland folgte und heute als auszliger-planmaumlszligiger Professor zu einem unverzichtbaren Kollegen geworden istAls letzten Punkt in Sachen Mitnahme und Wei-terwirken moumlchte ich erwaumlhnen dass die Verbin-dung zwischen dem ortsansaumlssigen Theater und

der Klassischen Philologie hier in Potsdam fuumlr uns praumlgend war Das Hans-Otto-Theater war damals offen fuumlr vielfaumlltige Kooperationen mit uns Altphi-lologen Wir konnten eine Tagung zum bdquoChor im antiken und modernen Dramaldquo auf der Proben-buumlhne des Theaters durchfuumlhren keine rein wis-senschaftliche Konferenz sondern eine Mischung aus Theorie und Praxis Klassische Philologen Anglisten und Germanisten kamen zu Wort Da-neben aber berichtete ein Opernregisseur der die euripideischen Bakchen in Athen inszeniert hatte von seiner Arbeit der griechische Komponist der die Original-Chorpartien der Bakchen zum Klin-gen gebracht hatte erklaumlrte uns seine Prinzipien ein Berliner Regisseur sprach uumlber zwei Oumldipus-Inszenierungen in Afrika und Chemnitz usw die-se Erfahrung eines produktiven Bruumlckenschlags zwischen den Dramentexten und der Buumlhne praumlgt seitdem unsere Arbeit Wir sind heute wie-der eng verbunden mit der Buumlhnenpraxis diesmal mit dem Saarlaumlndischen Staatstheater dem wir wie seinerzeit in Potsdam hin und wieder fuumlr die Inszenierung antiker Stuumlcke beratend zur Seite stehen und richten Konferenzen aus auf denen Dramaturgen und Regisseure mit Literaturwis-senschaftlern ins Gespraumlch kommen

Vielleicht haben wir damit ein Stuumlck Potsdam an die Saar geholt Wir denken jedenfalls mit Weh-mut und Dankbarkeit an die Potsdamer Jahre zu-ruumlck Sie waren und sind nach wie vor wertvoll fuumlr uns Und ich empfinde es als ein besonderes Gluumlck dass das Potsdamer Institut eine so schouml-ne Entwicklung nach unserem Weggang genom-men hat Ein groszliges Kompliment an dieser Stelle an Ursula Gaumlrtner und und das gesamte Team Zu diesem Team gehoumlrt natuumlrlich Frau Geyer sie ist Herz und Seele des Instituts fuumlr Studierende und Mitarbeiter Da haben Joumlrg Ruumlpke und ich damals wohl eine unserer besten Entscheidungen getrof-fen gerade sie als Sekretaumlrin einzustellen Auch ihr ein herzlicher Gruszlig von der Saar an die Havel Und dies leitet uumlber zu geographisch-personalen Aspekten mit denen ich die Rede schlieszligen

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moumlchte Nicht nur hat Nicola Houmlmke die jetzt fuumlr einige Jahre die Geschicke der Klassischen Philo-logie am Neuen Palais mit bestimmt ihren Weg nach Potsdam uumlber Rostock genommen Auch Frau Geyer war vor ihrer Potsdamer Zeit an der Rostocker Universitaumlt in Diensten Dasselbe trifft auf Eugen Braun zu Eine wahrhaft gluumlckliche Rostock-Potsdam-Konnexion

Zu Ursula Gaumlrtner Sie war mir schon ein Begriff als sie sich in Leipzig habilitierte denn Ekkehard Staumlrk hatte 1999 in einem Potsdamer Promoti-onsverfahren gegutachtet (es ging um Plautus) und konnte wie er mir im Januar 2000 schrieb nicht an der Disputatio Anfang Februar teilneh-men weil er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation mit seinen Kraumlften haushalten musste und ihm in diesem Zeitraum die Habilitation von Frau Gaumlrtner mehr am Herzen lag Wir hatten da-fuumlr vollstes Verstaumlndnis Und so war es erfreulich zu sehen dass eben diese Ursula Gaumlrtner sich bald darauf um die Nachfolge auf dem Lehrstuhl in Potsdam bewarb und das auch noch mit Erfolg ndash Sie heute in Graz zu wissen ist ebenfalls begluuml-ckend Bitte nicht missverstehen Das hat nichts mit dem Wegsein von Potsdam als vielmehr mit

dem Dasein in Graz zu tun Auch hier wieder eine kuriose Fuumlgung Im Jahre 2010 waren Norbert Franz fuumlr die Slavistik und ich fuumlr die Klassische Philologie als Gutachter in Graz taumltig Es ging um die Evaluation der Literaturwissenschaften dort In dem Abschlussbericht konnten bzw mussten wir hervorheben dass die Grazer Klassische Phi-lologie nie zu einer vollen Entfaltung gelangt wenn nur die Griechischprofessur besetzt ist Bei aller Liebe fuumlr das Griechische Ohne Latein geht es nicht Ob sich die Universitaumlt jene Hinweise auf die Bedeutung der lateinischen Literatur fuumlr die uumlbrigen Literaturwissenschaften zu Herzen ge-nommen hat weiszlig ich nicht Aber das Ergebnis stimmt Jetzt hat die dortige Klassische Philologie mit der Besetzung der Latinistik wieder eine aus-sichtsreiche Zukunft Daher mein Zuruf Macte virtute esto

Der Zuruf gilt auch den Potsdamern Ich wuumlnsche dem Institut fuumlr Klassische Philologie und der Alt-philologie in Brandenburg insgesamt weiterhin groumlszligtmoumlgliche Wirksamkeit Und fuumlr heute ein schoumlnes Fest

Ihr Peter Riemer

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1 VorbemerkungEs ist merkwuumlrdig bei dem traditionellen Som-merfest der Klassischen Philologie als Vortra-gende aufzutreten nachdem ich selbst in all den Jahren unsere Gastvortragenden vorgestellt habe und letztes Jahr Frau Nicola Houmlmke die mich nun gerade vorgestellt hat Als wir zum ersten Mal das diesjaumlhrige Sommerfest ansprachen war auch gar nicht klar ob ich weg sein wuumlrde Nur dass alle bisherigen Professorinnen und Professoren sprechen sollten stand bald fest Dass ich dies nun als ehemalige Professorin tue erfuumlllt mich mit einem merkwuumlrdigen Gefuumlhl Der Titel mei-nes Vortrags war als Platzhalter gedacht er blieb dann aber weil er so passend war Der persoumln-liche Bezug ist offensichtlich Mir ging natuumlrlich sehr viel durch den Kopf nach uumlber einem Jahr-zehnt hier vor Ort wo ich so viele Studierende und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe Aber es war gewuumlnscht uumlber etwas zu sprechen das in Potsdam seinen Anfang nahm Ich habe hier begonnen mich intensiv mit Phaedrus zu beschaumlftigen mehrere Auf-saumltze sind hier entstanden dann der Kommentar zu Buch 1 und zuletzt bis in die letzten Stunden vor dem Umzug im Februar ein ausfuumlhrlicher For-schungsbericht In mehreren Seminaren konnte ich mit Studierenden meine Ideen zu Phaedrus diskutieren hier ist die Gelegenheit mich auch hierfuumlr einmal zu bedanken Das Gleiche gilt fuumlr das Altertumswissenschaftliche Kolloquium so-wie die Diskussionsrunden an unserem Jour fi xe Bei einem solchen Thema denkt man bisweilen es sei abgeschlossen doch dann tun sich immer

Uumlberlegungen aus gegebenem Anlass Ein Vortrag in vier Kapiteln und zwei Vorbemerkungen

Der Vortragsstil wurde beibehalten

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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Grex Potsdamiensis

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Page 2: UND ©Musée du Louvre, Paris GRIECHISCHmitteilungen.davbb.de/images/2016/heft-3/lgbb_03_2016.pdf · ©Musée du Louvre, Paris Säulen des Apollontempel in Side Verbandskonto: IBAN:

Grex Potsdamiensis Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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Sehr geehrter Herr Prodekanliebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende liebe Gaumlste von nah und fern

ich moumlchte Sie sehr herzlich begruumlszligen zum traditionellen Sommerfest der Klassischen Philologie Potsdam das dieses Jahr ein ganz besonderes ist weil die Klassische Philologie ndash inmit-ten aller Festivitaumlten zur 25-Jahr-Feier ihrer Universitaumlt ndash selbst stolz und froumlhlich ihr immerhin 20-jaumlhriges Bestehen feiert

Wie lange sind eigent-lich 20 Jahre her Als die Klassische Philolo-gie im Herbst 1995 mit ihren beiden Gruumlndungs-professuren sozusagen vom Stapel lief sich in den naumlchsten Wochen eine Studienordnung gab und zum Sommersemester

1996 schlieszliglich den Lehrbetrieb aufnahm tat sie das inmitten eines durchaus trubelig ver-laufenden Jahres

1995 wurde Franz Beckenbauer 50 Jos-hua Kimmich dagegen gerade

erst geboren wurde Jitzchak Rabin in Tel Aviv ermordet

O J Simpson hingegen vom Mordvorwurf frei-gesprochen wurde das Schengener Abkom-men unterzeichnet und gleichzeitig im Jugos-

lawienkrieg gemordet wurde Windows 95 auf

die Menschheit losgelassen und der Berliner Reichstag von Christo verhuumlllt wurde mit BackRub ein Vorlaumlufer

Nicola Houmlmke Eroumlffnung der Feierstunde

Klassische Philologiean der

Universitaumlt Potsdam

ich moumlchte Sie sehr herzlich begruumlszligen zum traditionellen Sommerfest der Klassischen Philologie Potsdam das dieses Jahr ein ganz besonderes ist weil die Klassische Philologie ndash inmit-ten aller Festivitaumlten zur 25-Jahr-Feier ihrer Universitaumlt ndash selbst stolz und froumlhlich

professuren sozusagen vom Stapel lief sich in den naumlchsten Wochen eine Studienordnung gab und zum Sommersemester

1996 schlieszliglich den Lehrbetrieb aufnahm tat sie das inmitten eines durchaus trubelig ver-laufenden Jahres

1995 wurde Franz Beckenbauer 50 Jos-hua Kimmich dagegen gerade

erst geboren wurde Jitzchak Rabin in Tel Aviv ermordet

O J Simpson hingegen

wurde Windows 95 auf die Menschheit losgelassen und der Berliner Reichstag von Christo verhuumlllt wurde mit BackRub ein Vorlaumlufer

20 Jahre

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von Google ausgetuumlftelt und das Wort bdquoMultime-dialdquo von der Gesellschaft fuumlr Deutsche Sprache zum Wort des Jahres gewaumlhlt stuumlrzten schlieszlig-lich spektakulaumlre Promitrennungen die Welt ins Gefuumlhlschaos nicht genug mit Charles und Diana ndash nein auch die Boyband bdquoTake Thatldquo

Viele von Ihnen haben sicher ihre ganz persoumlnlich gepraumlgten Ruumlckblenden an diese Zeit abgese-hen vielleicht von unseren juumlngsten Bachelor-studierenden bei denen sich die Erinnerungen an 199596 eher auf ihre Kindergartenerlebnisse beschraumlnken duumlrften Aber was die Gruumlndung und die weitere trotz mancher Hindernisse ja durchaus erfolgreiche Entwicklung der Klassi-schen Philologie in Potsdam betrifft so ist es natuumlrlich am besten sich zu solchen Anlaumlssen

Zeitzeugen ins Haus zu holen die zuruumlckblicken und zugleich den Bogen zur heutigen Feierstunde schlagen koumlnnen Daher hatten Ursula Gaumlrtner und ich bereits bei meinem Antritt als Lehrstuhl-vertretung im Maumlrz diesen Jahres daruumlber sin-niert wie schoumln es waumlre zu diesem Anlass alle drei (ja nur drei) bisherigen Lehrstuhlinhaber zusammenzubringen um so mehr freue ich mich dass wir in Umsetzung dieses Vorhabens nicht nur sie selbst aus Graz zu einem Kurzbesuch wie-der hierher zuruumlcklocken konnten sondern dass auch die beiden ehemaligen Gruumlndungsprofesso-ren der Klassischen Philologie bzw Latinistik in Potsdam naumlmlich Herr Prof Dr Joumlrg Ruumlpke und Herr Prof Dr Peter Riemer sich sofort bereiter-klaumlrt haben zur Jubilaumlumsfeier beizutragen und aus ihren einst hier begonnenen Forschungszwei-gen bzw aus ihren persoumlnlichen Erinnerungen an die illustren Anfaumlnge des hiesigen Lehrbetriebs zu berichten

Erinnern Sie sich noch Herr Prof Dr Joumlrg Ruumlp-ke war von 1995 bis zum WS 19992000 Pro-fessor fuumlr Latinistik in Potsdam und wechselte dann von hier auf die Professur fuumlr Vergleichende Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Eu-ropaumlische Polytheismen an die Universitaumlt Erfurt wo er bis heute lehrt Er ist dort seit mehreren Jahren Sprecher der DFG-Kollegforschergruppe bdquoReligioumlse Individualisierung in historischer Per-spektiveldquo und Stellvertretender Direktor des

renommierten Max-Weber-Kollegs fuumlr kultur- und sozialwissenschaftliche Studien Nach Abschluss seines langjaumlhrigen Projekts zur roumlmischen Reichs- und Provinzialreligion

beschaumlftigt er sich nun ua mit dem For-schungsthema bdquoIndividuelles religioumlses Han-

deln zwischen legitimer Pluralitaumlt und Devianzldquo in dem es z B um anthropologische Konzepte von religio und superstitio geht

Wir houmlren ihn heute mit seinem Vortrag bdquoDivi Augusti oder Wozu braucht man die neuen Goumlt-terldquo

gen bzw aus ihren persoumlnlichen Erinnerungen an die illustren Anfaumlnge des hiesigen Lehrbetriebs zu berichten

Erinnern Sie sich noch Herr Prof Dr Joumlrg Ruumlp-ke war von 1995 bis zum WS 19992000 Pro-fessor fuumlr Latinistik in Potsdam und wechselte dann von hier auf die Professur fuumlr Vergleichende Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Eu-ropaumlische Polytheismen an die Universitaumlt Erfurt wo er bis heute lehrt Er ist dort seit mehreren Jahren Sprecher der DFG-Kollegforschergruppe bdquoReligioumlse Individualisierung in historischer Per-spektiveldquo und Stellvertretender Direktor des

schungsthema bdquoIndividuelles religioumlses Han-deln zwischen legitimer Pluralitaumlt und Devianzldquo

in dem es z B um anthropologische Konzepte von religio und superstitio geht

Wir houmlren ihn heute mit seinem Vortrag bdquoDivi Augusti oder Wozu braucht man die neuen Goumlt-terldquo

Prodekan Prof Dr Johannes Haag

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Herr Prof Dr Peter Riemer war ab 1995 Professor fuumlr Klassische Philologie in Potsdam von 1998ndash2000 auch Dekan der Philosophischen Fakultaumlt und wechselte dann im Sommersemester 2000 auf eine Professur fuumlr Klassische Philologie an der Universitaumlt des Saarlandes in Saarbruumlcken wo er bis heute lehrt Sein Forschungsinteresse galt damals wie heute dem griechischen und roumlmi-schen Drama sowie der lateinischen Literatur der Renaissance und seine zahlreichen neuen Pub-likationen belegen eindrucksvoll die Breite und Relevanz dieser spannenden Forschungsgebiete Herr Riemer konnte es leider aus Termingruumlnden nicht einrichten hier heute persoumlnlich zu erschei-nen hat aber in enger Absprache mit seinem damaligen Mitarbeiter Herrn Dr Eugen Braun der unserem Institut ja gluumlcklicherweise bis heute erhalten geblieben ist seine Erinnerungen an die turbulente Anfangszeit zu Papier gebracht und Herrn Braun uumlberzeugen koumlnnen diese ndash erwei-tert um eigene Eindruumlcke ndash hier zu verlesen bdquoEin Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten StundeldquoDie dritte im Bunde Frau Prof Dr Ursula Gaumlrtner muss gluumlcklicherweise auch dem juumlngsten Bache-lorstudierenden nicht eigens vorgestellt werden denn sie hat hier von 2001 bis vor wenigen Mo-naten als seither einzige Lehrstuhlinhaberin fuumlr Klassische Philologie gelehrt bevor sie im Maumlrz fuumlr voraussichtlich fuumlnf Jahre an die Universitaumlt Graz gewechselt ist Neben vielen anderen Auto-ren wie Quintus Smyrnaeus und Valerius Flaccus gehoumlrt ihre Liebe seit mehreren Jahren vor allem den Fabeln des Phaedrus Dazu hat sie letztes Jahr ein Opus magnum vorgelegt und davon han-delt auch ihr heutiger Vortrag mit dem symbol-traumlchtigen Titel bdquoAnfang und Endeldquo Anlaumlsse wie dieser geben daruumlber hinaus auch Gelegenheit sich der fruchtbaren Eingebunden-heit der Klassischen Philologie in den Faumlcher-verbund der Philosophischen Fakultaumlt erneut bewusst zu werden Daher wissen wir es sehr

zu schaumltzen dass sich der Dekan der Fakultaumlt Herr Prof Dr Thomas Brechenmacher bereiter-klaumlrt hatte ein Gruszligwort an die Festgesellschaft zu richten Da er nun unvorhergesehenermaszligen erkrankt ist sind wir umso dankbarer dass unser Prodekan Herr Prof Dr Johannes Haag bereit und willens war kurzfristig fuumlr ihn einzuspringen Zum Abschluss noch ein wichtiger Hinweis Un-sere Feierstunde wird nach dem offiziellen Teil ihre froumlhliche Fortsetzung in und vor bdquounseremldquo Haus 11 mit zwei weiteren Traditionselementen finden naumlmlich dem neuesten Theaterstuumlck des bdquoGrex Potsdamiensisldquo und dem anschlieszligenden Sommer-Grill-Fest aus gegebenem Anlass dies-mal mit Public Viewing des EM-Halbfinalspiels Deutschland ndash Frankreich ab 21 Uhr

Ich freue mich auf einen schoumlnen Abend in gro-szliger bunter Runde danke Ihnen fuumlr Ihr zahlrei-ches Kommen und Ihr Interesse und wuumlnsche der Klassischen Philologie Potsdam alles Gute fuumlr die weitere Zukunft deren erste Phase ich ja erfreuli-cherweise werde selbst miterleben und mitgestal-ten koumlnnen Auf die naumlchsten 20 Jahre

PD Dr Nicola Houmlmke 7 Juli 2016

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01 S die Arbeit des DFG-Schwerpunktprogramms 1080 bdquoRoumlmische Reichs- und Provinzialreligionldquo etwa Hubert Cancik Konrad Hitzl (Hg) Die Praxis der Herrschervereh- rung in Rom und seinen Provinzen Tuumlbingen 2003 Hubert Cancik Joumlrg Ruumlpke Franca Fabricius Die Religion des Imperium Romanum Koine und Konfrontationen Tuumlbingen 200902 Siehe Ruumlpke Pantheon Geschichte der antiken Religionen Muumlnchen 2016 dem ich hier folge03 Val Max 9151 Liv Per 116 spricht von bdquoSohnldquo und der Abstammung aus niedrigsten Verhaumlltnissen04 Cic Att 146-805 App civ 312-3

Joumlrg Ruumlpke Divi Augusti oder Wozu braucht man die neuen Goumltter

Herzlichen Dank fuumlr die Einladung und herzlichen Gluumlckwunsch zum 20-jaumlh-rigen Jubilaumlum des Lehrbeginns ndash oder zu 20 Jahren Uumlberleben trotz vieler Sparzwaumlnge sicher den Fach-

vertreterinnen wie der Fakultaumlt geschuldet Mein Beitrag soll und kann nur ein kurzer sein Gerne moumlchte ich den Bereich vorstellen der mir in den Jahren 1995ndash99 wichtig war und noch heute wichtig ist die Texte die den Hauptgegenstand der Lateinischen Philologie ausmachen in ihrem groumlszligeren kulturellen Kontext zu sehen Und Teil dieses Kontextes war etwas was die Antike deut-lich von der heutigen Zeit zu trennen scheint die mit der Verehrung Caesars beginnende Vereh-rung roumlmischer Herrscher in Rom und im Impe-rium RomanumbdquoKaiserkultldquo das scheint auf der houmlchsten insti-tutionellen Ebene zu liegen Aber viele Befunde haben Zweifel daran geweckt1 Die Perspektive der bdquogelebten antiken Religionldquo erlaubt es mit der Kamera des Forschers ganz dicht an die Er-eignisse heranzukommen2 Den Anstoszlig zu einer postumen Verehrung des am 15 Maumlrz 44 v Chr ermordeten und anschlieszligend im Tumult auf dem Forum verbrannten Caesars gab ein gewis-ser Gaius Amatius Mit einigen Anhaumlngern lieszlig er einen Altar an der Stelle des Scheiterhaufens

errichten Dieser Amatius war kein unbeschrie-benes Blatt Er war schon fruumlher als angeblicher Enkel des populaumlren Heerfuumlhrers und mehrfachen Konsuls Gaius Marius aufgetreten Obwohl er ei-gentlich ein Pferde- oder Augenarzt namens He-rophilus gewesen sein soll (die Textuumlberlieferung ist nicht eindeutig) sammelte er doch zahlreiche Anhaumlnger als angeblicher Verwandter Caesars der ihn nur mit Muumlhe loswerden konnte3 Selbst Cicero sprach von ihm als Marius4 In dieser Rolle schwor er den Caesar-Moumlrdern Rache wurde je-doch selbst von Marcus Antonius beseitigt bevor der Altar in Betrieb genommen werden konnte Doch das Volk besetzte das Forum und verlangte

Joumlrg Ruumlpke Max-Weber-Kolleg fuumlr kultur- und sozialwissenschaftliche Studien Universitaumlt Erfurt

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auch nach der Ermordung des Amatius den Altar einzuweihen und die ersten Opfer fuumlr Caesar dar-bringen zu lassen5 Caesar als Gott zu verehren war also offensichtlich ein verbreiteter Wunsch Aber seine Verwirklichung barg ein gewisses Risiko Im Ringen um die Macht kam ein Konkur-rent der Caesar als Gott auf seine Seite brachte den Nachfolgern ndash noch ndash gaumlnzlich ungelegen Rufmord ndash das zeigte die Uumlberlieferung uumlber den angeblichen Pferdearzt ndash musste den Mord erst vervollstaumlndigen Gut dreiszligig Jahre vorher war die Reihenfolge der Aktionen und Reaktionen umgekehrt gewesen Mit der Darbringung von Kerzen und Weihrauch verehrten roumlmische Buumlrger den Neffen des be-ruumlhmten Feldherrn Gaius Marius der als Marcus Marius (Gratidianus) zweimaliger Stadtpraumltor gewesen war noch zu Lebzeiten Sulla Mariusrsquo erbitterter Gegner lieszlig den so Verehrten durch Catilina ergreifen ihm die Beine brechen die Augen ausstechen Zunge und Arme abschnei-den und ihn gliedweise bei lebendigem Leibe zerstuumlckeln wie Seneca mehr als einhundert Jahre spaumlter voller Abscheu in seiner Abhandlung bdquoUumlber den Zornldquo berichtete6 Auch hier war die Einbeziehung eines uumlbermenschlichen Akteurs in

das Alltagshandeln roumlmischer Buumlrger ein Risiko das nach dem Wechsel der Machthaber geahndet wurde Neu war das alles nicht Schon 100 Jahre fruumlher lieszlig Plautus seiner Komoumldie Asinaria seine Charaktere daruumlber streiten mit welchen traditi-onellen Goumltternamen sie ihren Wohltaumlter anreden sollten Daruumlber dass Darbringungen vor einer Statue und einem Altar ihn als Gott konstituieren wuumlrden waren sie sich einig7

Religioumlse Kommunikation mit einem neuen Ad-ressaten war also leicht ins Werk zu setzen Durch wenige konventionelle Zeichen oder Handlungen beziehungsweise deren Kombination war sie als solche erkennbar Ob sie von den Anderen als angemessen beurteilt wurde war weit weniger einfach vorherzusagen denn die Initiative muss-te nicht immer bei den sozialen oder politischen Spitzen der Gesellschaft liegen Ganz im Gegen-teil wie gesehen konnten solche Initiativen be-stehende Machtkonstellationen in verschiedener Hinsicht veraumlndern Die Einbeziehung von leben-den oder juumlngst verstorbenen (und mit Verwand-ten versehenen) Personen als neue Adressaten

06 Sen Ira 3181ndash207 Plaut Asin 711ndash718

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religioumlser Verehrung war insofern nicht weniger brisant als die Einbeziehung von etablierten Gott-heiten etwa gegnerischer Gruppen oder Ethnien ob das nun der Gott der Juden Perser oder Dru-iden warWenn die religioumlse Initiative den Handlungsspiel-raum des Initiators oder der Initiatorin deutlich vergroumlszligern konnte war es wichtig dafuumlr Ver-buumlndete zu gewinnen vielleicht sogar uumlber die eigenen schon vorhandenen Anhaumlnger hinaus In Benevent errichtete vor dem Jahr 15 v Chr der Aufsteiger Publius Veidius Publii filius Pollio ein bdquoCaesareumldquo fuumlr Augustus wie die Kolonie Be-nevent ndash jener Veidius der durch seine Grausam-keit Sklaven an Muraumlnen zu verfuumlttern literari-schen Ruhm gewann8 In Ferentinum errichtete einige Zeit spaumlter Sextus Hortensius Clarus nicht nur ein bdquoAugusteumldquo sondern den Buumlrgern auch ein Forum und ein Nebengebaumlude Er begleitete die Einweihung des auf eigene Kosten und auf eigenem Grund errichteten Gebaumludes mit einem groszligen Bankett9 Gerade soziale Aufsteiger ge-wannen durch die erfolgreiche Etablierung eines Kultortes oder jaumlhrlich wiederholter Rituale eine neue Qualitaumlt oumlffentlicher Praumlsenz Das steigerte ihre Bereitschaft fuumlr die damit entstehenden Kos-ten aufzukommen und die eigene Zeit dafuumlr ein-zusetzen entsprechende Rollen zu uumlbernehmen Die zahlreichen Beispiele von Augustalen (seviri Augustales) die den Kaiserkult in Italien besorg-ten zeigten das10 Religioumlses Handeln auszuwei-ten bot also fuumlr viele Beteiligte einen Gewinn

InstitutionenUnd dennoch etwas Neues zu beginnen war in Gesellschaften die ihre gefuumlhlte Stabilitaumlt aus dem gewannen bdquowas schon immer so gewesen warldquo immer ein Risiko Das nachzuahmen was die Maumlchtigen und Erfolgreichen Haumlndler oder fuumlr Rom arbeitende Verwalter taten war eine Moumlglichkeit ndash wobei auch Widerstand gelegent-lich schick sein konnte aber uns haumlufig verborgen bleibt Sichtbar war Anderes In der Nachahmung roumlmischer religioumlser Praktiken entstanden bei-spielsweise massenhaft Inschriften und Tempel im Westen des Imperium Romanum Wer wurde da verehrt Wenn man durch religioumlses Handeln Handlungsspielraumlume und Positionen in der Mitte der bestehenden provinzialen Gesellschaften er-oumlffnen wollte war es wichtig dass der Angespro-chene das als bdquogoumlttlichldquo bestimmte also auch nicht leicht fassbare und damit nicht uumlber jeden Zweifel erhabene Gegenuumlber fuumlr die Umstehen-den doch zumindest einigermaszligen zustimmungs-faumlhig war11 Den fernen Augustus in Rom zu einem solchen goumlttlichen Gegenuumlber zu machen war sicher uumlberraschend hatte aber viel fuumlr sich Seine Exis-tenz war kaum zu bezweifeln seine Macht eben-so wenig Fuumlr entfernte Provinziale reicher Staumldte oder abgelegener Landdistrikte war das vermut-lich eher zu bestreiten als fuumlr Italiker Maumlnner mit roumlmischem Buumlrgerrecht oder frisch Unterworfene Allen jedoch bot der jeweilige Augustus einen eindeutigen Bezugspunkt eine Person deren Gesicht da und dort zu sehen dessen Name da und dort zu lesen von dessen Wirken da und dort zu erzaumlhlen warWie die Relevanz dieses fernen Gottes fuumlr den Ort in der Provinz im Einzelfall behauptet und wie der Adressat (oder die Adressatin) im Detail bestimmt wurde das hing von Verschiedenem ab von der Kompetenz und dem Wissen sowie dem Interesse an Originalitaumlt der einzelnen Akteure ebenso wie von lokalen Traditionen religioumlser Kommunikation Der Stadtrat der Kolonie Pisa entschied sich nach dem Tod des Lucius Caesar (17 v Chr bis 2 n

08 CIL 91556 Zur Person s Dio 54231ndash 609 CIL 11743110 Valentino Gasparini raquoLes cultes isiaques et les pouvoirs locaux en Italielaquo in L Bricault M J Versluys (Hgg) Power Politics and the Cults of Isis Proceedings of the Vth International Conference of Isis Studies Boulogne- sur-Mer October 13ndash15 2011 Leiden 2014 S 260ndash29911 Zu den Implikationen s Ruumlpke bdquoReligious Agency Identity and Communication Reflecting on History and Theory of Religionrdquo Religion 45 (2015) S 344ndash366

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Chr) des Adoptivsohnes des Augustus einen Altar mit einer jaumlhrlichen Feier fuumlr Luciusrsquo Manes zu errichten ndash das zunehmend gelaumlufig werden-de Di manes wie es massenhaft Grabsteine zu schmuumlcken begann wurde im Text mehrheitlich vermieden12 Doch nicht nur die Bezeichnung des Adressaten formulierte das Gremium und die na-mentlich genannten Schreiber Quintus Petillius Publius Rasinius Bassus Marcus Puppius Quin-tus Sertorius Pica Gnaeus Octavius Rufus und Aulus Albius Gutta sorgfaumlltig Ebenso sorgfaumlltig waren sie in der Anordnung der Handlungen die im Rahmen der Feier auszufuumlhren waren Die fuumlr die herausragenden Rollen des Totenritu-als Zugelassenen mussten schwarze Togen tra-gen Das zu schlachtende Rind und Schaf waren ebenfalls mit Binden schwarz zu schmuumlcken ndash in dem in Rom als tiefste Trauerfarbe verstandenen Blauschwarz13 Je eine Urne voll Milch Honig und

Oumll sollten uumlber den verbrannten Resten der Tiere ausgegossen werden Personen ohne Legitimati-on durch ein oumlffentliches Amt war die Mitwirkung erlaubt sie waren aber auf entweder eine Kerze eine Fackel oder einen Kranz beschraumlnkt die sie in den brennenden Holzstoszlig werfen durften Fuumlr weitere Regelungen schloss man sich dem ein-schlaumlgigen Beschluss des roumlmischen Senates an Das alles so vermerkte die inschriftliche Fassung des Beschlusses war auf einer Inschrift direkt am Altar festzuhalten Die religioumlse Kommunikation mit den Manen des Lucius war in der Auffuumlhrung des 20 August am eindrucksvollsten doch sie war daruumlber hinaus sichtbar schon allein durch den sorgfaumlltig platzierten Altar vor dem nach griechischem Muster auch die Verbrennung statt-fand

Wie muss man sich den goumlttlichen Kaiser vorstellenDas verbreitete Nachdenken uumlber das was Menschen ausmachte hatte sich im massen-haften Auftreten der Bezeichnung di manes auf Grabsteinen seit dem ausgehenden ersten Jahr-hundert v Chr niedergeschlagen Vor diesem Hintergrund wurde auch die Frage ob und wie Herrscher in politischer oder religioumlser Kommu-nikation anzusprechen waren diskutiert Im Feld der Moumlglichkeiten markierte divus eine Position die den Uumlbergang als eine scharf markierte Un-terscheidung fasste Formal der Titel einer Person ndash also etwa bdquoDivus Augustusldquo ndash behauptete man mit seiner Benutzung die Identitaumlt einer Persoumln-lichkeit von Mensch und Gott Aumlhnlich wie in der Republik die Senatoren diskutiert hatten ob beobachtete Vorzeichen als Prodigien fuumlr die res publica zu werten seien so diskutierten sie nun

12 CIL 111420 = ILS 139 sa den nachfolgenden Beschluss nach dem Tod des Bruders Gaius Caesar im Jahr 4 n Chr (CIL 111421 = ILS 140)13 Zu dieser Farblogik s Joumlrg Ruumlpke bdquoVexillum caeruleumrdquo RhM 136 (1993) S 374ndash37614 Zsuzsanna Vaacuterhelyi The Religion of senators in the Roman Empire Cambridge 2010 166

Joumlrg Ruumlpke im Gespraumlch mit Andreas Fritsch

50 JAHRGANG LX middot LGBB 03 2016

ob ein Mensch den sie selbst beobachtet hatten zum Gott geworden sein konnte14 Zugleich wies der Titel der sich auch in aumllteren Gottesnamen ndash Diva Palatua Diva Angerona Diva Rumina Bona Diva15 (auch Bona Dea) ndash fand in die Welt etab-lierter Gottheiten Wie zweideutig aber selbst die Begriffswahl war zeigt die Tatsache dass noch Cicero gerade den Begriff divus fuumlr alte deus als Bezeichnung fuumlr neue durch Vergoumlttlichung von Menschen entstandene Gottheiten verwendet zu haben scheint (hier ist die Textuumlberlieferung pro-blematisch)16 Kurzum in Bezug auf einen ehe-mals lebenden Menschen suggerierte der Begriff divus eine erkennbare Statusaumlnderung In Rom lieferten die Senatoren oder die Nachfol-ger der Verstorbenen mit dem Konsekrationsri-tual die Grundlage fuumlr diese Veraumlnderung Bild-lich zum Teil auch rituell war die Metapher der Himmelfahrt ndash ob in Gestalt eines aufsteigenden Adlers oder als Fahrt auf dem Sonnenwagen ndash dafuumlr zentral Dieser Aufstieg konnte beobachtet werden war wie das Auftauchen eines neuen Sterns eines Kometen im Falle Caesars (oder das leere Grab mit dem weggeschobenen Stein im Falle Jesu) empirisch fassbar oder durch Au-genzeugen beglaubigt Das etablierte Ritual knuumlpfte an alte Geschichten an beginnend mit Romulus und wiederholte diese zuverlaumlssig und beobachtbar es fand immer auf dem Marsfeld statt die Organisatoren lieszligen immer einen Adler aufsteigen den jedermann beobachten konnte es gab immer einen Scheiterhaufen selbst wenn die Leiche laumlngst beseitigt war17 Die Aufstiegs-

geschichte diese bdquoAszendenz-Theologieldquo war krude Doch sie erlaubte auch Kontrolle Nicht jedem wurde das Marsfeld fuumlr ein solches Ritual geoumlffnet Fuumlr die Alternativen zu diesem scharf markierten Aufstieg vom Menschen zum Gott gab es keine vergleichbare Kontrolle und rituelle Standardisie-rung Die reichsten Assoziationen bot die Vorstel-lung der andere und vor allem der Herrscher koumlnne die Epiphanie eines bekannten Gottes sein Diese Annahme in eigene religioumlse Kommu-nikation einzubauen war nicht nur ehrenvoll fuumlr den so identifizierten Kaiser (falls ein boumlswilliger Beobachter den Vorwurf der Majestaumltsverletzung geltend machen wollte) sondern erschloss auch ein reiches Spektrum an Bildern und Geschichten die zur weiteren Plausibilisierung herangezogen werden konnten In der konkreten Situation duumlrf-te aber zumeist der umgekehrte Vorgang wichti-ger gewesen sein Die Ansprache des bekannten Gottes konnte mit den persoumlnlichen und politi-schen Facetten des Kaisers wichtiger und in der Situation relevanter gemacht werden Die Figur des Herkules war hier eine naheliegende Wahl war dieser doch tatkraumlftig Ordnung schaffend und zudem selbst ein Aufsteiger vom Menschen zum Gott Er war also eine passende Reflexions-figur fuumlr den Sachverhalt der hier zur Debatte stand Das Spektrum war jedoch noch weiter Es reichte von Iuppiter dem zentralen politischen Gott der Stadt Rom und Zeus der eine vergleich-bare Rolle in vielen Staumldten der ostmediterranen Welt spielte uumlber den triumphierenden Dionysus (uumlbertragen auf Liber Pater) bis hin zu Apollo und Romulus Quirinus In manchen Faumlllen legte der Betroffene solche Gleichsetzungen selbst nahe indem er etwa eine Gottheit zu einem besonders wichtigen eigenen Adressaten machte ihr Tempel oder Spiele stiftete oder sich selbst entsprechend kleidete Naumlhe und genealogische Beziehung Epiphanie oder innere Praumlsenz des Goumlttlichen ndash die Moumlg-lichkeiten das Verhaumlltnis zu konzeptualisieren waren vielfaumlltig ein Bedarf an Praumlzision war eher

15 ZB Varro ling 745 Fasti Praenestini Inscr It 132139 Ov am 3637 fast 5148 Plin Nat 365 Solin 16 Aug civ 610 (Varro) 16 Cic leg 222 in der Textrekonstruktion durch Andrew Dyck 17 So Anne-Francoise Jaccottet raquoDu Corps Humain au Corps Divin Lrsquoapotheacuteose dans lrsquoimaginaire et les repreacutesentations figureacuteeslaquo in P Borgeaud D Fabiano (Hgg) Reception et Construction du Divine dans lrsquoAntiquiteacute Recherches et Rencontres 31 Genegraveve 2013 S 293ndash32218 ILS 119-121

51LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

selten In Ritualen die den Initiatoren so wichtig waren dass sie auch in inschriftlicher Form einen Niederschlag fanden wurde so die verstorbene Livia als (im Dativ der Empfaumlngerin) Livia Augusti dea Iuno Livia (Liviae) Augusti und Ceres Iulia (Iuliae) Augustaae angesprochen18 Was im Sprachlichen doppeldeutig blieb lieszlig sich bildlich klaumlren etwa indem der Urheber der religioumlsen Kommunikation zwei Statuen nebeneinander stellte (Dea) Roma und Augustus waren ein be-liebtes Paar Venus und Caesar ein umstrittenes Die Wahl des Materials konnte dem Objekt eine Nuance geben die Betrachterinnen und Betrach-ter einte oder polarisierte Man konnte keine Goldstatue aufstellen und dann behaupten den Dargestellten nicht zu vergoumlttlichen Gerade die klar ausgewiesene Eigenstaumlndigkeit der Persoumln-lichkeit des Menschen provozierte dabei die Frage nach seinem ontologischen Status nach seinem Ort in einer Ordnung die fuumlr Engel Daumlmonen und Goumltter selbstverstaumlndlich aber im Detail raumlt-selhaft und in der jeweiligen Situation umstritten sein musste19

Uumlberlegungen zur Person des Augustus oder sei- ner Familie anzustellen war aber ndash allenfalls ndash ein Nebenaspekt bei der Wahl gerade solcher Adres-

saten in religioumlser Kommunikation Der zentrale bdquoTrickldquo dieser Wahl bestand vielmehr in der enor-men Relevanzsteigerung einer Kommunikation die in einen lokalen Kontext einen unbezweifel-bar reichsweit handelnden Akteur einbezog Das mochten Umstehende als bdquounnoumltigldquo betrachten das aumlnderte jedoch nichts daran dass der oder die Initiatorin damit ihr Anliegen aufgewertet hatte ndash gleichzeitig freilich dazu aufgefordert war eine entsprechend aufwendige Gestaltung dieser Kommunikation zu liefern Amatius hatte das gespuumlrt ndash und seine maumlchtigeren Konkurren-ten auch Ob als Gott oder nur Widmungstraumlger als Adressat nicht nur religioumlser sondern auch literarischer Kommunikation Als moumlglicher Gott war der Herrscher wichtiger geworden In der Kenntnis um diese antiken Zusammenhaumlnge sieht man die Kommunikation mit und uumlber heutige Autokraten anders Weit muss man dazu nicht schweifen

Impressum ISSN 0945-2257

Latein und Griechisch in Berlin und Brandenburg erscheint vierteljaumlhrlich und wird herausgegeben vom Vorstand des Landesverbandes Berlin und Brandenburg im Deutschen Altphilologenverband (DAV) wwwdavbbde

1 Vorsitzender Prof Dr Stefan Kipf Humboldt Universitaumlt zu Berlin Didaktik Griechisch und Latein middot Unter den Linden 6 middot 10099 Berlin stefankipfstaffhu-berlinde

2 Vorsitzende StR Gerlinde Lutter Tagore-SchuleGymnasium Berlin middot g1lutteraolcom Andrea Weiner Alexander von Humboldt Gymnasium Eberswalde

Schriftleitung des Maya BrandlMitteilungsblattes Zehntwerderweg 171 a middot 13469 Berlin middot mayabrandlgmxde

Kassenwartin StR Peggy Klausnitzer peggyklausnitzert-onlinede

Beisitzer Prof Dr Nicola Houmlmke StD Dr Josef Rabl

Grafik Layout Fabian Ehlers Karlsruher Straszlige 12 middot 10711 Berlin middot wwwart-und-adde

19 Unter einem Begriff wie bdquoEngelldquo (angelos) konnten sich wiederum unterschiedlichste lokale Vorstellungen verbergen Rangar H Cline Ancient Angels Conceptualizing Angeloi in the Roman Empire Religions in the Graeco-Roman World 172 Leiden 2011 S 75

IMPR

ESSU

M

Peter Riemer Ein Anfang mit BE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stunde

52 JAHRGANG LX middot LGBB 03 2016

Liebe Ursula liebe Nicola lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende liebe Gaumlste bevor ich Peter Riemers Vortrag zum heutigen Jubilauml-umsfest verlese erlauben Sie mir einige

persoumlnliche Bemerkungen Wie die meisten von Ihnen wissen vertritt Nicola Houmlmke seit dem fuumlr uns schmerzlichen (aber verstaumlndlichen) Wech-sel Ursula Gaumlrtners nach Graz den Lehrstuhl fuumlr Klassische Philologie an unserer Universitaumlt Die Art und Weise wie sie dies tut etwa bei dem von Frau Gaumlrtner begruumlndeten sbquojour fi xelsquo oder im Altertumswissenschaftlichen Kolloquium fi nde ich hervorragend ich bin ihr nicht nur deswegen sehr dankbar und wuumlnsche Ihr dass sie dies auch weiterhin so tun kannAls mir Nicola Houmlmke vor kurzem mitteilte dass Peter Riemer seinen Vortrag an unserem Jubilauml-umsfest leider nicht halten koumlnne er es aber gut faumlnde wenn ich in seinem Namen seine Rede vortruumlge hatte ich aus verschiedenen Gruumlnden zunaumlchst groszlige Bedenken Einer dieser Gruumlnde reicht bis in meine Kindheit zuruumlck Bei der Feier der Heiligen Messe konnte ich als Ministrant nicht selten nur zu deutlich erleben wie sich die sonst durchaus neugierig gespannte Aufmerksamkeit meiner kleinen nordsaarlaumlndischen Heimatge-meinde just in dem Augenblick in einen ndash eu-phemistisch ausgedruumlckt ndash auffaumlllig veraumlnderten Ruhezustand verwandelte in dem der Pfarrer ankuumlndigte er werde statt zu predigen einen Hirtenbrief des Trierer Landesbischofs verlesen Nachdem mir Peter Riemer dann mitteilte dass er in seinem Vortrag vor allem aus sehr persoumln-licher Sicht an die Anfaumlnge des Potsdamer Insti-tuts fuumlr Klassische Philologie erinnern wolle ha-ben sich meine Bedenken sofort zerstreut Seine Gedanken und Erinnerungen die ich Ihnen gleich vortrage zeugen wie ich schon beim ersten Le-

sen feststellen konnte noch vom selben anste-ckenden Enthusiasmus mit dem er bereits vor zwanzig Jahren die ersten Studierenden in Pots-dam fuumlr die Beschaumlftigung mit antiken Texten zu begeistern verstanden hat Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine weitere ganz kurze persoumlnliche digressio Ich lese gerade ein spannendes Buch des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa der darin die Frage nach dem gelingenden bzw guten Leben mit Hilfe des Kriteriums der Resonanzerfahrung zu beantworten versucht Seine diesbezuumlglichen Analysen der verschiede-nen Lebenssphaumlren der Familie der Arbeit der Religion der Kunst des Sports fuumlhren ihn zu der nicht ganz uumlberraschenden Diagnose dass es fuumlr die Menschen kapitalistischer vor allem von Entfremdung gepraumlgter Gesellschaften der Postmoderne immer schwieriger werde lebens-wichtige Resonanz-Erfahrungen zu machen bei denen es in unterschiedlichen Zusammenhaumlngen nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-

Eingeleitet von Eugen Braun

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ven sondern auch leiblichen Beruumlhrung zwischen Subjekt und Welt komme (Wenn Ihnen dies jetzt zu unverstaumlndlich bzw philosophisch vor-kommt so haben Sie heute ab 21 Uhr wenn man Herrn Rosa glauben will die Moumlglichkeit ganz anschaulich auf dem Fernsehbildschirm ein zu-mindest bdquopraumlreflexives somatisch-soziales Reso-nanzgeschehenldquo mit zu verfolgen vorausgesetzt natuumlrlich Sie finden uumlberhaupt Gefallen daran 22 erwachsenen Menschen dabei zuzuschauen wie sie einem Ball hinterherlaufen und diesen in ein Tor zu befoumlrdern versuchen) Bei der Lektuumlre von Herrn Rosas Buch hat sich mir unwillkuumlrlich auch die Frage nach moumlglichen Resonanzerfah-rungen auf der Universitaumlt gestellt ich habe noch keine abschlieszligende Antwort gefunden Dass die Universitaumlt als Staumltte des Lernens und Lehrens primaumlr kein Ort zur Erfuumlllung lebensphilosophi-scher Sehnsuumlchte sein kann und darf sondern vor allem einen werturteilsfreien Fachunterricht zum Ziel haben muss der allenfalls zu einer bes-seren rationalen Abwaumlgung der verschiedenen Welt- und Lebensanschauungen beitragen kann wie sie auch in Texten der griechisch-roumlmischen Antike paradigmatisch erkennbar sind habe ich von Max Weber gelernt In seinem beruumlhmten Vortrag bdquoWissenschaft als Berufldquo hat Weber wie Sie wissen ebendies vor fast genau hundert Jahren den Studenten der Muumlnchener Universi-taumlt nachdruumlcklich verstaumlndlich zu machen ver-sucht In diesem Vortrag (Weber war uumlbrigens sbquoSchwipp-Schwagerlsquo von Wilamowitz) findet sich allerdings auch der bekannte Satz bdquoNichts ist fuumlr den Menschen als Menschen etwas wert was er nicht mit Leidenschaft tun kannldquo Wenn Studie-rende heute das Studium der Klassischen Philo-logie wie es scheint vor allem absolvieren und absolvieren muumlssen um sog Leistungspunkte zu erwerben entspricht dies einer allgemeinen Ent-wicklung der Universitaumlten die ich nicht weiter kommentieren will Dass Studierende sich dieser Entwicklung zum Trotz jedoch zum Gluumlck immer noch in Seminaren ja sogar Grammatikuumlbungen fuumlr den sbquoStofflsquo begeistern lassen habe ich selbst

noch heute Morgen erleben duumlrfen und in den letzten Jahren immer wieder vereinzelten Ruumlck-meldungen insbesondere zu Veranstaltungen Ursula Gaumlrtners entnehmen koumlnnen Aus der An-fangszeit unseres Instituts faumlllt mir in diesem Zu-sammenhang besonders Joumlrg Ruumlpkes Vorlesung uumlber Roumlmische Geschichtsschreibung ein deren Mitschnitt bzw Aufnahme Frau Geyer dann zu einem sehr begehrten Buch gemacht hat Wie spannend seine fachwissenschaftliche Beschrei-bung religioumlsen Handelns in der Antike (und der damit verbundenen vertikalen Resonanzachsen) sein kann haben Sie alle gerade selbst erleben koumlnnen (Ich persoumlnlich bin schon sehr gespannt auf sein neues Buch uumlber die Geschichte der an-tiken Religionen das am 19 September erscheint und fuumlr das ich an dieser Stelle schon einmal Reklame machen darf) Wie es Peter Riemer in seiner Potsdamer Zeit auf charismatische Weise verstanden hat das Interesse der Studierenden etwa fuumlr die Aeneis in lebendigen Diskussionen immer mehr zu vertiefen weiszlig ich von einzelnen Seminarteilnehmern und wie eindrucksvoll es ihm nicht nur damals gelungen ist sondern auch heute noch gelingt in den akademischen Lehr-betrieb auch Erfahrungen kuumlnstlerisch-performa-tiver Resonanz zu integrieren geht auch aus dem folgenden Vortrag hervor den ich nun verlesen darf (Dabei versuche ich den moumlglicherweise doch aufkommenden Gedanken dass Saarbruuml-cken wo Herr Riemer derzeit lehrt nicht weit von Trier entfernt liegt so gut es geht zu unter-druumlcken) Der Vortrag traumlgt den Titel sbquoEin Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stundersquo und beginnt mit den Worten

Liebe Frau Gaumlrtner liebe Frau Houmlmke lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende und sofern anwesend natuumlrlich auch zu begruuml-szligen der Dekan SpectabilisEs ist wirklich bedauerlich dass ich am heutigen Tag nicht selbst dabei sein kann das Institutsju-bilaumlum zu feiern Eine schon seit Monaten termi-nierte Berufungskommission mit Probevortraumlgen

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und der anschlieszligenden Entscheidungsfindung an eben dem 7 Juli 2016 laumlsst mich einfach nicht aus Saarbruumlcken fort Aber zumindest koumlnnen diese Zeilen hier verlesen werden Es muss wohl der 4 oder 5 Oktober 1995 gewesen sein als wir in Golm die kuumlnftigen Raumlume des Instituts fuumlr Klassische Philologie aufsuchten Eugen Braun und ich ndash wir waren verabredet und er moumlglicher-weise vor mir da Joumlrg Ruumlpke kam dann erst in der Woche darauf wenn ich mich recht entsinne ndash da hatten wir die Raumlume schon halbwegs einge-nommen freilich noch ohne neues Mobiliar Alles war muffig und ziemlich heruntergekommen Das hatte nichts mit den aktuellen Anglisten zu tun von denen wir die Raumlume erbten Vielmehr fanden sich in den Schreibtischen und Schraumln-ken Abschlussarbeiten und andere Unterlagen (Korrespondenzen und Berichte) aus der Zeit der Brandenburgischen Landeshochschule und zwar noch aus den Jahren vor der Wende Man hatte den Eindruck die Zimmer seien seit Gruumlndung der Universitaumlt 1991 nur nebenbei quasi behelfs-weise genutzt worden Sie konnten 11 so wie sie waren in ein DDR-Hochschul-Museum uumlberfuumlhrt werden Dietrich Schwanitz hatte offenbar diesel-ben Eindruumlcke gehabt und in seinem Roman bdquoDer Zirkelldquo absolut treffend wiedergegeben Schwa-nitz ist dem Ruf auf eine Potsdamer Anglistik-Professur bekanntlich nicht gefolgt (vielleicht deshalb) Nun gut Da standen wir also und mussten irgendwie anfangen Keine Beschriftung deutete darauf hin dass hier einmal das Institut fuumlr Klassische Philologie sein wuumlrde Wir brauch-ten dringend Material Computer Drucker Papier Nicht einmal Bleistifte waren vorhanden Fuumlr Bestellungen von Material und Geraumlten gab es Formblaumltter Die bekamen wir von Frau Schwarz der Verwaltungschefin der Fakultaumlt Wir fuumlllten die Formulare aus und mussten feststellen dass selbst dies nicht so einfach war wenn man noch gar nichts besaszlig Denn auf den Formularen wurde ein Stempel verlangt Man musste sogar wenn man einen Stempel bestellen wollte erst einmal selbst einen Stempel haben bdquoStempel und

Unterschriftldquo hieszlig es unten auf dem Blatt Kurios Wir zogen in die Romanistik und liehen uns von dort einen Stempel aus bdquoInstitut fuumlr Romanis-tikldquo Natuumlrlich strichen wir die Romanistik durch und schrieben in Druckbuchstaben sozusagen in lsquoStempelschriftrsquo bdquoKlassische Philologieldquo daruumlber und bestellten auf diese Weise erst einmal einen Stempel und dann das uumlbrige Material So ka-men wir an unsere ersten Bleistifte

Zu einem Universitaumltsinstitut gehoumlrt selbstver-staumlndlich eine gut bestuumlckte Bibliothek Da wir ja praktisch bei Null anfingen brauchten wir von allem alles Lexika und Handbuumlcher Primaumlrtexte und Sekundaumlrliteratur Weil auch andere Institu-te fuumlr ihre Buchbestaumlnde Geld benoumltigten aber schon vor uns da waren und ihre Anspruumlche laumlngst geltend gemacht hatten blieb fuumlr uns nur noch ein kleiner Rest aus dem Topf der Beschaf-fungsmittel Der Hinweis auf die gut ausgestatte-ten Bibliotheken in Berlin war uns nur ein schwa-cher Trost Schlieszliglich sollten so dachten wir die Studenten auch drauszligen in Golm Buumlcher vorfin-den die ihrem Studium dienten Wir skizzierten daher einen klassisch-philologischen Grundbe-stand und baten Frau Gaschuumltz die fuumlr unsere Bibliothek zustaumlndig war zu kaufen was der Markt eben hergab Aber auf dem Buumlchermarkt fanden sich freilich kaum aumlltere Werke bis zuruumlck ins 19 Jahrhundert Deshalb nahmen wir Kontakt mit den Instituten in Greifswald und Halle auf die sich gern von ihren Dubletten trennten um dafuumlr etwas Geld fuumlr Neuanschaffungen zu erhalten Joumlrg Ruumlpke wird sicher noch die Fahrt zu Martin Hose in Greifswald in Erinnerung haben (ich hoffe in guter) die wir so zuumlgig unternahmen (zugleich in Gespraumlche vertieft) dass uns irgendwo auf der Landstraszlige ein mecklenburg-vorpommersches Blitzgeraumlt erwischte Jedesmal wenn ich seitdem auf dem Weg an die Ostsee oder zuruumlck geblitzt werde (und das passiert leider immer wieder Mecklenburg-Vorpommern hat mehr Blitzgeraumlte als Einwohner) faumlllt mir die denkwuumlrdige Tour von damals wieder ein

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Somit bekamen wir nach und nach ndash wie gesagt fuumlr wenig Geld ndash einen systematischen Buchbe-stand in erstaunlicher Fuumllle zusammen Und da verschlug es mir den Atem als Frau Gaschuumltz aus dem Magazin der Potsdamer UB eine vollstaumlndi-ge Realenzyklopaumldie hervorzauberte Eine RE in Potsdam noch aus der Gruumlndungszeit der Paumld-agogischen Hochschule Wie war das moumlglich Die Klassische Philologie besaszlig als wir kamen noch keinen Bleistift hatte aber schon eine RE im Keller Des Raumltsels Loumlsung Wir waren nicht die ersten Ende der 40-er Jahre des 20 Jahrhun-derts sollte die Paumldagogische Hochschule auch Latein und Griechisch im Programm haben und kein geringerer als Werner Peeck (der letzte Wila-mowitz-Schuumller) war mit der Einrichtung betraut worden Auch er hatte damals mit Buumlcherkaumlufen begonnen Doch die Aufgabe der Lateinlehrer-ausbildung fuumlr die Oberschulen der DDR fiel dann den Hallensern zu Peeck ging folglich nach Halle sicherlich auch mit einigen Buumlchern im Gepaumlck Die RE lieszlig er aber in Potsdam zuruumlck Somit koumlnnten zieht man die Unterbrechung bis 1995 ab die Peeckschen Jahre hinzugerechnet werden und das heute zu feierende Jubilaumlum waumlre ein 25-JaumlhrigesIm Wintersemester 199596 hatten wir selbst-verstaumlndlich Lehrveranstaltungen angekuumlndigt Aber es kamen keine Studenten Wie denn auch Wir besaszligen ja nicht einmal eine Studienordnung Also setzten wir uns regelmaumlszligig zusammen Joumlrg Ruumlpke Eugen Braun und ich und bastelten an unseren Ordnungen fuumlr das Studium der Latei-nischen und der Griechischen Philologie Und es war nicht einfach die Ordnungen in der gebote-nen Eile durch die Gremien zu bringen vor allem die sogenannte LSK die Senatskommission fuumlr Studium und Lehre tat sich schwer damals gelei-tet von dem Mathematikdidaktiker Thomas Jahn-ke Ich erwaumlhne ihn namentlich weil er noch ein Schuumller des beruumlhmten Frankfurter Gymnasialleh-rers Eduard Bornemann war dem wir wunderba-re lateinische und griechische Grammatiken und Schulbuumlcher verdanken Herr Jahnke war unseren

Studiengaumlngen sehr zugetan an ihm lag es nicht dass sich manches verzoumlgerte Das der LSK ange-houmlrende Mitglied des Bildungsministeriums legte uns immer wieder Steine in den Weg Der Mann wollte unserem Konzept eines breit angelegten Lateinstudiums unter Einbeziehung sprachwis-senschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Ele-mente und definitiv gestuumltzt auf die klassischen Autoren nicht zustimmen und wollte uns glaub-haft machen dass das Latein des Mittelalters und das Neulateinische viel wichtiger seien fuumlr einen modernen Schulunterricht Nun gut Irgendwie hatten wir den Kampf dann doch gewonnen und das Ministerium beruhigen koumlnnen Wir erhielten postwendend den Auftrag uumlber hundert Latein-lehrer fuumlr das Land Brandenburg nachzuschulen Darin bestand dann tatsaumlchlich die groszlige Aufga-be der ersten Jahre des Instituts Jeden Freitag hatten wir unseren bdquoLehrertagldquo und ermoumlglich-ten (unterstuumltzt von der Weiterbildungs-GmbH in Babelsberg) einer groszligen Reihe von schon lange taumltigen Lehrerinnen und ndashlehrern das Erweite-rungsfach Latein zu erwerben vielleicht ist der eine oder die andere von damals heute hier ganz herzliche Gruumlszlige Es war eine wunderbare Zeit mit sehr schoumlnen Erfahrungen Aus einem Vergil-Proseminar uumlber die Aeneis im Winter 199798 ist die Idee hervorgegangen dass die Tragik der Didofigur nicht separat betrachtet werden koumlnne auch die Rolle des Aeneas habe tragische Zuumlge Die Tragik des Aeneas wenn man sie ernsthaft in den Blick nimmt geht auf Aischylos zuruumlck Die-sen Kerngedanken habe ich aus den Diskussionen mit den Lehrern mitgenommen Entsprechendes publiziert und zuletzt sogar im Rahmen eines Theaterprojekts auf die Buumlhne bringen koumlnnen

Joumlrg Ruumlpke und ich wurden ja glaube ich gebe-ten von Dingen zu berichten die wir aus Potsdam mitgenommen bzw die uns beeinflusst haben Dies waumlre eines das Aischyleische in der Aeneis Dann waumlre auf jeden Fall zu nennen eine von Joumlrg Ruumlpke Pedro Barcelo und mir zusammen mit John Scheid im Steiner-Verlag herausgegebene

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Reihe die noch im Namen ihren Ursprung verraumlt bdquodie Postdamer altertumswissenschaftlichen Bei-traumlgeldquo mittlerweile 55 Baumlnde umfassend

Was mir Potsdam mit auf den Weg gegeben hat ist zudem die Interdisziplinaritaumlt In Koumlln wo ich akademisch aufgewachsen bin konzentrierten sich die einzelnen Disziplinen sehr auf sich selbst (ich glaube das machen sie auch heute noch) Das mag an der Groumlszlige der Faumlcher oder auch an der Groumlszlige der dortigen Philosophischen Fakultaumlt liegen In Potsdam haben wir von Beginn an unter weitaus engeren Bedingungen die Naumlhe zu ande-ren Disziplinen und das Miteinander gesucht Ich denke gern an die gemeinsamen Lehrveranstal-tungen mit dem Anglisten Peter Drexler oder mit der Germanistin Margrid Bircken zuruumlck Aus der Zusammenarbeit mit diesen Nachbarphilologien ist denn auch der Studiengang bdquoVergleichende Literaturwissenschaftldquo hervorgegangen heute ndash nachdem die Kunstgeschichte die seinerzeit noch fehlte dazugekommen ist ndash bdquoVergleichende Lite-ratur- und Kunstwissenschaftldquo Aumlhnliches erlebe ich in Saarbruumlcken wo wir durch die Reduktion verschiedener Faumlcher auf einzelne Professuren geradezu gezwungen sind kooperativ zu for-schen und zu lehren Die Gemeinschaft der Alter-tumswissenschaften mit Alter Geschichte Klassi-scher Archaumlologie Vor- und Fruumlhgeschichte und der Klassischen Philologie in Bachelor- und Mas-terstudiengaumlngen ist ein Beispiel Kuumlnftig werden noch die bdquoEuropaumlischen Literaturenldquo mit alt- und neuphilologischen Angeboten an der Universitaumlt des Saarlandes dazukommen Dies kann durch-aus mit dem verglichen werden was wir damals in Potsdam schon kennengelernt haben Wenn ich bdquowirldquo sage beziehe ich immer Christoph Ku-gelmeier mit ein der mir im Sommer 2000 als Assistent ins Saarland folgte und heute als auszliger-planmaumlszligiger Professor zu einem unverzichtbaren Kollegen geworden istAls letzten Punkt in Sachen Mitnahme und Wei-terwirken moumlchte ich erwaumlhnen dass die Verbin-dung zwischen dem ortsansaumlssigen Theater und

der Klassischen Philologie hier in Potsdam fuumlr uns praumlgend war Das Hans-Otto-Theater war damals offen fuumlr vielfaumlltige Kooperationen mit uns Altphi-lologen Wir konnten eine Tagung zum bdquoChor im antiken und modernen Dramaldquo auf der Proben-buumlhne des Theaters durchfuumlhren keine rein wis-senschaftliche Konferenz sondern eine Mischung aus Theorie und Praxis Klassische Philologen Anglisten und Germanisten kamen zu Wort Da-neben aber berichtete ein Opernregisseur der die euripideischen Bakchen in Athen inszeniert hatte von seiner Arbeit der griechische Komponist der die Original-Chorpartien der Bakchen zum Klin-gen gebracht hatte erklaumlrte uns seine Prinzipien ein Berliner Regisseur sprach uumlber zwei Oumldipus-Inszenierungen in Afrika und Chemnitz usw die-se Erfahrung eines produktiven Bruumlckenschlags zwischen den Dramentexten und der Buumlhne praumlgt seitdem unsere Arbeit Wir sind heute wie-der eng verbunden mit der Buumlhnenpraxis diesmal mit dem Saarlaumlndischen Staatstheater dem wir wie seinerzeit in Potsdam hin und wieder fuumlr die Inszenierung antiker Stuumlcke beratend zur Seite stehen und richten Konferenzen aus auf denen Dramaturgen und Regisseure mit Literaturwis-senschaftlern ins Gespraumlch kommen

Vielleicht haben wir damit ein Stuumlck Potsdam an die Saar geholt Wir denken jedenfalls mit Weh-mut und Dankbarkeit an die Potsdamer Jahre zu-ruumlck Sie waren und sind nach wie vor wertvoll fuumlr uns Und ich empfinde es als ein besonderes Gluumlck dass das Potsdamer Institut eine so schouml-ne Entwicklung nach unserem Weggang genom-men hat Ein groszliges Kompliment an dieser Stelle an Ursula Gaumlrtner und und das gesamte Team Zu diesem Team gehoumlrt natuumlrlich Frau Geyer sie ist Herz und Seele des Instituts fuumlr Studierende und Mitarbeiter Da haben Joumlrg Ruumlpke und ich damals wohl eine unserer besten Entscheidungen getrof-fen gerade sie als Sekretaumlrin einzustellen Auch ihr ein herzlicher Gruszlig von der Saar an die Havel Und dies leitet uumlber zu geographisch-personalen Aspekten mit denen ich die Rede schlieszligen

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moumlchte Nicht nur hat Nicola Houmlmke die jetzt fuumlr einige Jahre die Geschicke der Klassischen Philo-logie am Neuen Palais mit bestimmt ihren Weg nach Potsdam uumlber Rostock genommen Auch Frau Geyer war vor ihrer Potsdamer Zeit an der Rostocker Universitaumlt in Diensten Dasselbe trifft auf Eugen Braun zu Eine wahrhaft gluumlckliche Rostock-Potsdam-Konnexion

Zu Ursula Gaumlrtner Sie war mir schon ein Begriff als sie sich in Leipzig habilitierte denn Ekkehard Staumlrk hatte 1999 in einem Potsdamer Promoti-onsverfahren gegutachtet (es ging um Plautus) und konnte wie er mir im Januar 2000 schrieb nicht an der Disputatio Anfang Februar teilneh-men weil er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation mit seinen Kraumlften haushalten musste und ihm in diesem Zeitraum die Habilitation von Frau Gaumlrtner mehr am Herzen lag Wir hatten da-fuumlr vollstes Verstaumlndnis Und so war es erfreulich zu sehen dass eben diese Ursula Gaumlrtner sich bald darauf um die Nachfolge auf dem Lehrstuhl in Potsdam bewarb und das auch noch mit Erfolg ndash Sie heute in Graz zu wissen ist ebenfalls begluuml-ckend Bitte nicht missverstehen Das hat nichts mit dem Wegsein von Potsdam als vielmehr mit

dem Dasein in Graz zu tun Auch hier wieder eine kuriose Fuumlgung Im Jahre 2010 waren Norbert Franz fuumlr die Slavistik und ich fuumlr die Klassische Philologie als Gutachter in Graz taumltig Es ging um die Evaluation der Literaturwissenschaften dort In dem Abschlussbericht konnten bzw mussten wir hervorheben dass die Grazer Klassische Phi-lologie nie zu einer vollen Entfaltung gelangt wenn nur die Griechischprofessur besetzt ist Bei aller Liebe fuumlr das Griechische Ohne Latein geht es nicht Ob sich die Universitaumlt jene Hinweise auf die Bedeutung der lateinischen Literatur fuumlr die uumlbrigen Literaturwissenschaften zu Herzen ge-nommen hat weiszlig ich nicht Aber das Ergebnis stimmt Jetzt hat die dortige Klassische Philologie mit der Besetzung der Latinistik wieder eine aus-sichtsreiche Zukunft Daher mein Zuruf Macte virtute esto

Der Zuruf gilt auch den Potsdamern Ich wuumlnsche dem Institut fuumlr Klassische Philologie und der Alt-philologie in Brandenburg insgesamt weiterhin groumlszligtmoumlgliche Wirksamkeit Und fuumlr heute ein schoumlnes Fest

Ihr Peter Riemer

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1 VorbemerkungEs ist merkwuumlrdig bei dem traditionellen Som-merfest der Klassischen Philologie als Vortra-gende aufzutreten nachdem ich selbst in all den Jahren unsere Gastvortragenden vorgestellt habe und letztes Jahr Frau Nicola Houmlmke die mich nun gerade vorgestellt hat Als wir zum ersten Mal das diesjaumlhrige Sommerfest ansprachen war auch gar nicht klar ob ich weg sein wuumlrde Nur dass alle bisherigen Professorinnen und Professoren sprechen sollten stand bald fest Dass ich dies nun als ehemalige Professorin tue erfuumlllt mich mit einem merkwuumlrdigen Gefuumlhl Der Titel mei-nes Vortrags war als Platzhalter gedacht er blieb dann aber weil er so passend war Der persoumln-liche Bezug ist offensichtlich Mir ging natuumlrlich sehr viel durch den Kopf nach uumlber einem Jahr-zehnt hier vor Ort wo ich so viele Studierende und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe Aber es war gewuumlnscht uumlber etwas zu sprechen das in Potsdam seinen Anfang nahm Ich habe hier begonnen mich intensiv mit Phaedrus zu beschaumlftigen mehrere Auf-saumltze sind hier entstanden dann der Kommentar zu Buch 1 und zuletzt bis in die letzten Stunden vor dem Umzug im Februar ein ausfuumlhrlicher For-schungsbericht In mehreren Seminaren konnte ich mit Studierenden meine Ideen zu Phaedrus diskutieren hier ist die Gelegenheit mich auch hierfuumlr einmal zu bedanken Das Gleiche gilt fuumlr das Altertumswissenschaftliche Kolloquium so-wie die Diskussionsrunden an unserem Jour fi xe Bei einem solchen Thema denkt man bisweilen es sei abgeschlossen doch dann tun sich immer

Uumlberlegungen aus gegebenem Anlass Ein Vortrag in vier Kapiteln und zwei Vorbemerkungen

Der Vortragsstil wurde beibehalten

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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43LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

Sehr geehrter Herr Prodekanliebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende liebe Gaumlste von nah und fern

ich moumlchte Sie sehr herzlich begruumlszligen zum traditionellen Sommerfest der Klassischen Philologie Potsdam das dieses Jahr ein ganz besonderes ist weil die Klassische Philologie ndash inmit-ten aller Festivitaumlten zur 25-Jahr-Feier ihrer Universitaumlt ndash selbst stolz und froumlhlich ihr immerhin 20-jaumlhriges Bestehen feiert

Wie lange sind eigent-lich 20 Jahre her Als die Klassische Philolo-gie im Herbst 1995 mit ihren beiden Gruumlndungs-professuren sozusagen vom Stapel lief sich in den naumlchsten Wochen eine Studienordnung gab und zum Sommersemester

1996 schlieszliglich den Lehrbetrieb aufnahm tat sie das inmitten eines durchaus trubelig ver-laufenden Jahres

1995 wurde Franz Beckenbauer 50 Jos-hua Kimmich dagegen gerade

erst geboren wurde Jitzchak Rabin in Tel Aviv ermordet

O J Simpson hingegen vom Mordvorwurf frei-gesprochen wurde das Schengener Abkom-men unterzeichnet und gleichzeitig im Jugos-

lawienkrieg gemordet wurde Windows 95 auf

die Menschheit losgelassen und der Berliner Reichstag von Christo verhuumlllt wurde mit BackRub ein Vorlaumlufer

Nicola Houmlmke Eroumlffnung der Feierstunde

Klassische Philologiean der

Universitaumlt Potsdam

ich moumlchte Sie sehr herzlich begruumlszligen zum traditionellen Sommerfest der Klassischen Philologie Potsdam das dieses Jahr ein ganz besonderes ist weil die Klassische Philologie ndash inmit-ten aller Festivitaumlten zur 25-Jahr-Feier ihrer Universitaumlt ndash selbst stolz und froumlhlich

professuren sozusagen vom Stapel lief sich in den naumlchsten Wochen eine Studienordnung gab und zum Sommersemester

1996 schlieszliglich den Lehrbetrieb aufnahm tat sie das inmitten eines durchaus trubelig ver-laufenden Jahres

1995 wurde Franz Beckenbauer 50 Jos-hua Kimmich dagegen gerade

erst geboren wurde Jitzchak Rabin in Tel Aviv ermordet

O J Simpson hingegen

wurde Windows 95 auf die Menschheit losgelassen und der Berliner Reichstag von Christo verhuumlllt wurde mit BackRub ein Vorlaumlufer

20 Jahre

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von Google ausgetuumlftelt und das Wort bdquoMultime-dialdquo von der Gesellschaft fuumlr Deutsche Sprache zum Wort des Jahres gewaumlhlt stuumlrzten schlieszlig-lich spektakulaumlre Promitrennungen die Welt ins Gefuumlhlschaos nicht genug mit Charles und Diana ndash nein auch die Boyband bdquoTake Thatldquo

Viele von Ihnen haben sicher ihre ganz persoumlnlich gepraumlgten Ruumlckblenden an diese Zeit abgese-hen vielleicht von unseren juumlngsten Bachelor-studierenden bei denen sich die Erinnerungen an 199596 eher auf ihre Kindergartenerlebnisse beschraumlnken duumlrften Aber was die Gruumlndung und die weitere trotz mancher Hindernisse ja durchaus erfolgreiche Entwicklung der Klassi-schen Philologie in Potsdam betrifft so ist es natuumlrlich am besten sich zu solchen Anlaumlssen

Zeitzeugen ins Haus zu holen die zuruumlckblicken und zugleich den Bogen zur heutigen Feierstunde schlagen koumlnnen Daher hatten Ursula Gaumlrtner und ich bereits bei meinem Antritt als Lehrstuhl-vertretung im Maumlrz diesen Jahres daruumlber sin-niert wie schoumln es waumlre zu diesem Anlass alle drei (ja nur drei) bisherigen Lehrstuhlinhaber zusammenzubringen um so mehr freue ich mich dass wir in Umsetzung dieses Vorhabens nicht nur sie selbst aus Graz zu einem Kurzbesuch wie-der hierher zuruumlcklocken konnten sondern dass auch die beiden ehemaligen Gruumlndungsprofesso-ren der Klassischen Philologie bzw Latinistik in Potsdam naumlmlich Herr Prof Dr Joumlrg Ruumlpke und Herr Prof Dr Peter Riemer sich sofort bereiter-klaumlrt haben zur Jubilaumlumsfeier beizutragen und aus ihren einst hier begonnenen Forschungszwei-gen bzw aus ihren persoumlnlichen Erinnerungen an die illustren Anfaumlnge des hiesigen Lehrbetriebs zu berichten

Erinnern Sie sich noch Herr Prof Dr Joumlrg Ruumlp-ke war von 1995 bis zum WS 19992000 Pro-fessor fuumlr Latinistik in Potsdam und wechselte dann von hier auf die Professur fuumlr Vergleichende Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Eu-ropaumlische Polytheismen an die Universitaumlt Erfurt wo er bis heute lehrt Er ist dort seit mehreren Jahren Sprecher der DFG-Kollegforschergruppe bdquoReligioumlse Individualisierung in historischer Per-spektiveldquo und Stellvertretender Direktor des

renommierten Max-Weber-Kollegs fuumlr kultur- und sozialwissenschaftliche Studien Nach Abschluss seines langjaumlhrigen Projekts zur roumlmischen Reichs- und Provinzialreligion

beschaumlftigt er sich nun ua mit dem For-schungsthema bdquoIndividuelles religioumlses Han-

deln zwischen legitimer Pluralitaumlt und Devianzldquo in dem es z B um anthropologische Konzepte von religio und superstitio geht

Wir houmlren ihn heute mit seinem Vortrag bdquoDivi Augusti oder Wozu braucht man die neuen Goumlt-terldquo

gen bzw aus ihren persoumlnlichen Erinnerungen an die illustren Anfaumlnge des hiesigen Lehrbetriebs zu berichten

Erinnern Sie sich noch Herr Prof Dr Joumlrg Ruumlp-ke war von 1995 bis zum WS 19992000 Pro-fessor fuumlr Latinistik in Potsdam und wechselte dann von hier auf die Professur fuumlr Vergleichende Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Eu-ropaumlische Polytheismen an die Universitaumlt Erfurt wo er bis heute lehrt Er ist dort seit mehreren Jahren Sprecher der DFG-Kollegforschergruppe bdquoReligioumlse Individualisierung in historischer Per-spektiveldquo und Stellvertretender Direktor des

schungsthema bdquoIndividuelles religioumlses Han-deln zwischen legitimer Pluralitaumlt und Devianzldquo

in dem es z B um anthropologische Konzepte von religio und superstitio geht

Wir houmlren ihn heute mit seinem Vortrag bdquoDivi Augusti oder Wozu braucht man die neuen Goumlt-terldquo

Prodekan Prof Dr Johannes Haag

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Herr Prof Dr Peter Riemer war ab 1995 Professor fuumlr Klassische Philologie in Potsdam von 1998ndash2000 auch Dekan der Philosophischen Fakultaumlt und wechselte dann im Sommersemester 2000 auf eine Professur fuumlr Klassische Philologie an der Universitaumlt des Saarlandes in Saarbruumlcken wo er bis heute lehrt Sein Forschungsinteresse galt damals wie heute dem griechischen und roumlmi-schen Drama sowie der lateinischen Literatur der Renaissance und seine zahlreichen neuen Pub-likationen belegen eindrucksvoll die Breite und Relevanz dieser spannenden Forschungsgebiete Herr Riemer konnte es leider aus Termingruumlnden nicht einrichten hier heute persoumlnlich zu erschei-nen hat aber in enger Absprache mit seinem damaligen Mitarbeiter Herrn Dr Eugen Braun der unserem Institut ja gluumlcklicherweise bis heute erhalten geblieben ist seine Erinnerungen an die turbulente Anfangszeit zu Papier gebracht und Herrn Braun uumlberzeugen koumlnnen diese ndash erwei-tert um eigene Eindruumlcke ndash hier zu verlesen bdquoEin Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten StundeldquoDie dritte im Bunde Frau Prof Dr Ursula Gaumlrtner muss gluumlcklicherweise auch dem juumlngsten Bache-lorstudierenden nicht eigens vorgestellt werden denn sie hat hier von 2001 bis vor wenigen Mo-naten als seither einzige Lehrstuhlinhaberin fuumlr Klassische Philologie gelehrt bevor sie im Maumlrz fuumlr voraussichtlich fuumlnf Jahre an die Universitaumlt Graz gewechselt ist Neben vielen anderen Auto-ren wie Quintus Smyrnaeus und Valerius Flaccus gehoumlrt ihre Liebe seit mehreren Jahren vor allem den Fabeln des Phaedrus Dazu hat sie letztes Jahr ein Opus magnum vorgelegt und davon han-delt auch ihr heutiger Vortrag mit dem symbol-traumlchtigen Titel bdquoAnfang und Endeldquo Anlaumlsse wie dieser geben daruumlber hinaus auch Gelegenheit sich der fruchtbaren Eingebunden-heit der Klassischen Philologie in den Faumlcher-verbund der Philosophischen Fakultaumlt erneut bewusst zu werden Daher wissen wir es sehr

zu schaumltzen dass sich der Dekan der Fakultaumlt Herr Prof Dr Thomas Brechenmacher bereiter-klaumlrt hatte ein Gruszligwort an die Festgesellschaft zu richten Da er nun unvorhergesehenermaszligen erkrankt ist sind wir umso dankbarer dass unser Prodekan Herr Prof Dr Johannes Haag bereit und willens war kurzfristig fuumlr ihn einzuspringen Zum Abschluss noch ein wichtiger Hinweis Un-sere Feierstunde wird nach dem offiziellen Teil ihre froumlhliche Fortsetzung in und vor bdquounseremldquo Haus 11 mit zwei weiteren Traditionselementen finden naumlmlich dem neuesten Theaterstuumlck des bdquoGrex Potsdamiensisldquo und dem anschlieszligenden Sommer-Grill-Fest aus gegebenem Anlass dies-mal mit Public Viewing des EM-Halbfinalspiels Deutschland ndash Frankreich ab 21 Uhr

Ich freue mich auf einen schoumlnen Abend in gro-szliger bunter Runde danke Ihnen fuumlr Ihr zahlrei-ches Kommen und Ihr Interesse und wuumlnsche der Klassischen Philologie Potsdam alles Gute fuumlr die weitere Zukunft deren erste Phase ich ja erfreuli-cherweise werde selbst miterleben und mitgestal-ten koumlnnen Auf die naumlchsten 20 Jahre

PD Dr Nicola Houmlmke 7 Juli 2016

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01 S die Arbeit des DFG-Schwerpunktprogramms 1080 bdquoRoumlmische Reichs- und Provinzialreligionldquo etwa Hubert Cancik Konrad Hitzl (Hg) Die Praxis der Herrschervereh- rung in Rom und seinen Provinzen Tuumlbingen 2003 Hubert Cancik Joumlrg Ruumlpke Franca Fabricius Die Religion des Imperium Romanum Koine und Konfrontationen Tuumlbingen 200902 Siehe Ruumlpke Pantheon Geschichte der antiken Religionen Muumlnchen 2016 dem ich hier folge03 Val Max 9151 Liv Per 116 spricht von bdquoSohnldquo und der Abstammung aus niedrigsten Verhaumlltnissen04 Cic Att 146-805 App civ 312-3

Joumlrg Ruumlpke Divi Augusti oder Wozu braucht man die neuen Goumltter

Herzlichen Dank fuumlr die Einladung und herzlichen Gluumlckwunsch zum 20-jaumlh-rigen Jubilaumlum des Lehrbeginns ndash oder zu 20 Jahren Uumlberleben trotz vieler Sparzwaumlnge sicher den Fach-

vertreterinnen wie der Fakultaumlt geschuldet Mein Beitrag soll und kann nur ein kurzer sein Gerne moumlchte ich den Bereich vorstellen der mir in den Jahren 1995ndash99 wichtig war und noch heute wichtig ist die Texte die den Hauptgegenstand der Lateinischen Philologie ausmachen in ihrem groumlszligeren kulturellen Kontext zu sehen Und Teil dieses Kontextes war etwas was die Antike deut-lich von der heutigen Zeit zu trennen scheint die mit der Verehrung Caesars beginnende Vereh-rung roumlmischer Herrscher in Rom und im Impe-rium RomanumbdquoKaiserkultldquo das scheint auf der houmlchsten insti-tutionellen Ebene zu liegen Aber viele Befunde haben Zweifel daran geweckt1 Die Perspektive der bdquogelebten antiken Religionldquo erlaubt es mit der Kamera des Forschers ganz dicht an die Er-eignisse heranzukommen2 Den Anstoszlig zu einer postumen Verehrung des am 15 Maumlrz 44 v Chr ermordeten und anschlieszligend im Tumult auf dem Forum verbrannten Caesars gab ein gewis-ser Gaius Amatius Mit einigen Anhaumlngern lieszlig er einen Altar an der Stelle des Scheiterhaufens

errichten Dieser Amatius war kein unbeschrie-benes Blatt Er war schon fruumlher als angeblicher Enkel des populaumlren Heerfuumlhrers und mehrfachen Konsuls Gaius Marius aufgetreten Obwohl er ei-gentlich ein Pferde- oder Augenarzt namens He-rophilus gewesen sein soll (die Textuumlberlieferung ist nicht eindeutig) sammelte er doch zahlreiche Anhaumlnger als angeblicher Verwandter Caesars der ihn nur mit Muumlhe loswerden konnte3 Selbst Cicero sprach von ihm als Marius4 In dieser Rolle schwor er den Caesar-Moumlrdern Rache wurde je-doch selbst von Marcus Antonius beseitigt bevor der Altar in Betrieb genommen werden konnte Doch das Volk besetzte das Forum und verlangte

Joumlrg Ruumlpke Max-Weber-Kolleg fuumlr kultur- und sozialwissenschaftliche Studien Universitaumlt Erfurt

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auch nach der Ermordung des Amatius den Altar einzuweihen und die ersten Opfer fuumlr Caesar dar-bringen zu lassen5 Caesar als Gott zu verehren war also offensichtlich ein verbreiteter Wunsch Aber seine Verwirklichung barg ein gewisses Risiko Im Ringen um die Macht kam ein Konkur-rent der Caesar als Gott auf seine Seite brachte den Nachfolgern ndash noch ndash gaumlnzlich ungelegen Rufmord ndash das zeigte die Uumlberlieferung uumlber den angeblichen Pferdearzt ndash musste den Mord erst vervollstaumlndigen Gut dreiszligig Jahre vorher war die Reihenfolge der Aktionen und Reaktionen umgekehrt gewesen Mit der Darbringung von Kerzen und Weihrauch verehrten roumlmische Buumlrger den Neffen des be-ruumlhmten Feldherrn Gaius Marius der als Marcus Marius (Gratidianus) zweimaliger Stadtpraumltor gewesen war noch zu Lebzeiten Sulla Mariusrsquo erbitterter Gegner lieszlig den so Verehrten durch Catilina ergreifen ihm die Beine brechen die Augen ausstechen Zunge und Arme abschnei-den und ihn gliedweise bei lebendigem Leibe zerstuumlckeln wie Seneca mehr als einhundert Jahre spaumlter voller Abscheu in seiner Abhandlung bdquoUumlber den Zornldquo berichtete6 Auch hier war die Einbeziehung eines uumlbermenschlichen Akteurs in

das Alltagshandeln roumlmischer Buumlrger ein Risiko das nach dem Wechsel der Machthaber geahndet wurde Neu war das alles nicht Schon 100 Jahre fruumlher lieszlig Plautus seiner Komoumldie Asinaria seine Charaktere daruumlber streiten mit welchen traditi-onellen Goumltternamen sie ihren Wohltaumlter anreden sollten Daruumlber dass Darbringungen vor einer Statue und einem Altar ihn als Gott konstituieren wuumlrden waren sie sich einig7

Religioumlse Kommunikation mit einem neuen Ad-ressaten war also leicht ins Werk zu setzen Durch wenige konventionelle Zeichen oder Handlungen beziehungsweise deren Kombination war sie als solche erkennbar Ob sie von den Anderen als angemessen beurteilt wurde war weit weniger einfach vorherzusagen denn die Initiative muss-te nicht immer bei den sozialen oder politischen Spitzen der Gesellschaft liegen Ganz im Gegen-teil wie gesehen konnten solche Initiativen be-stehende Machtkonstellationen in verschiedener Hinsicht veraumlndern Die Einbeziehung von leben-den oder juumlngst verstorbenen (und mit Verwand-ten versehenen) Personen als neue Adressaten

06 Sen Ira 3181ndash207 Plaut Asin 711ndash718

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religioumlser Verehrung war insofern nicht weniger brisant als die Einbeziehung von etablierten Gott-heiten etwa gegnerischer Gruppen oder Ethnien ob das nun der Gott der Juden Perser oder Dru-iden warWenn die religioumlse Initiative den Handlungsspiel-raum des Initiators oder der Initiatorin deutlich vergroumlszligern konnte war es wichtig dafuumlr Ver-buumlndete zu gewinnen vielleicht sogar uumlber die eigenen schon vorhandenen Anhaumlnger hinaus In Benevent errichtete vor dem Jahr 15 v Chr der Aufsteiger Publius Veidius Publii filius Pollio ein bdquoCaesareumldquo fuumlr Augustus wie die Kolonie Be-nevent ndash jener Veidius der durch seine Grausam-keit Sklaven an Muraumlnen zu verfuumlttern literari-schen Ruhm gewann8 In Ferentinum errichtete einige Zeit spaumlter Sextus Hortensius Clarus nicht nur ein bdquoAugusteumldquo sondern den Buumlrgern auch ein Forum und ein Nebengebaumlude Er begleitete die Einweihung des auf eigene Kosten und auf eigenem Grund errichteten Gebaumludes mit einem groszligen Bankett9 Gerade soziale Aufsteiger ge-wannen durch die erfolgreiche Etablierung eines Kultortes oder jaumlhrlich wiederholter Rituale eine neue Qualitaumlt oumlffentlicher Praumlsenz Das steigerte ihre Bereitschaft fuumlr die damit entstehenden Kos-ten aufzukommen und die eigene Zeit dafuumlr ein-zusetzen entsprechende Rollen zu uumlbernehmen Die zahlreichen Beispiele von Augustalen (seviri Augustales) die den Kaiserkult in Italien besorg-ten zeigten das10 Religioumlses Handeln auszuwei-ten bot also fuumlr viele Beteiligte einen Gewinn

InstitutionenUnd dennoch etwas Neues zu beginnen war in Gesellschaften die ihre gefuumlhlte Stabilitaumlt aus dem gewannen bdquowas schon immer so gewesen warldquo immer ein Risiko Das nachzuahmen was die Maumlchtigen und Erfolgreichen Haumlndler oder fuumlr Rom arbeitende Verwalter taten war eine Moumlglichkeit ndash wobei auch Widerstand gelegent-lich schick sein konnte aber uns haumlufig verborgen bleibt Sichtbar war Anderes In der Nachahmung roumlmischer religioumlser Praktiken entstanden bei-spielsweise massenhaft Inschriften und Tempel im Westen des Imperium Romanum Wer wurde da verehrt Wenn man durch religioumlses Handeln Handlungsspielraumlume und Positionen in der Mitte der bestehenden provinzialen Gesellschaften er-oumlffnen wollte war es wichtig dass der Angespro-chene das als bdquogoumlttlichldquo bestimmte also auch nicht leicht fassbare und damit nicht uumlber jeden Zweifel erhabene Gegenuumlber fuumlr die Umstehen-den doch zumindest einigermaszligen zustimmungs-faumlhig war11 Den fernen Augustus in Rom zu einem solchen goumlttlichen Gegenuumlber zu machen war sicher uumlberraschend hatte aber viel fuumlr sich Seine Exis-tenz war kaum zu bezweifeln seine Macht eben-so wenig Fuumlr entfernte Provinziale reicher Staumldte oder abgelegener Landdistrikte war das vermut-lich eher zu bestreiten als fuumlr Italiker Maumlnner mit roumlmischem Buumlrgerrecht oder frisch Unterworfene Allen jedoch bot der jeweilige Augustus einen eindeutigen Bezugspunkt eine Person deren Gesicht da und dort zu sehen dessen Name da und dort zu lesen von dessen Wirken da und dort zu erzaumlhlen warWie die Relevanz dieses fernen Gottes fuumlr den Ort in der Provinz im Einzelfall behauptet und wie der Adressat (oder die Adressatin) im Detail bestimmt wurde das hing von Verschiedenem ab von der Kompetenz und dem Wissen sowie dem Interesse an Originalitaumlt der einzelnen Akteure ebenso wie von lokalen Traditionen religioumlser Kommunikation Der Stadtrat der Kolonie Pisa entschied sich nach dem Tod des Lucius Caesar (17 v Chr bis 2 n

08 CIL 91556 Zur Person s Dio 54231ndash 609 CIL 11743110 Valentino Gasparini raquoLes cultes isiaques et les pouvoirs locaux en Italielaquo in L Bricault M J Versluys (Hgg) Power Politics and the Cults of Isis Proceedings of the Vth International Conference of Isis Studies Boulogne- sur-Mer October 13ndash15 2011 Leiden 2014 S 260ndash29911 Zu den Implikationen s Ruumlpke bdquoReligious Agency Identity and Communication Reflecting on History and Theory of Religionrdquo Religion 45 (2015) S 344ndash366

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Chr) des Adoptivsohnes des Augustus einen Altar mit einer jaumlhrlichen Feier fuumlr Luciusrsquo Manes zu errichten ndash das zunehmend gelaumlufig werden-de Di manes wie es massenhaft Grabsteine zu schmuumlcken begann wurde im Text mehrheitlich vermieden12 Doch nicht nur die Bezeichnung des Adressaten formulierte das Gremium und die na-mentlich genannten Schreiber Quintus Petillius Publius Rasinius Bassus Marcus Puppius Quin-tus Sertorius Pica Gnaeus Octavius Rufus und Aulus Albius Gutta sorgfaumlltig Ebenso sorgfaumlltig waren sie in der Anordnung der Handlungen die im Rahmen der Feier auszufuumlhren waren Die fuumlr die herausragenden Rollen des Totenritu-als Zugelassenen mussten schwarze Togen tra-gen Das zu schlachtende Rind und Schaf waren ebenfalls mit Binden schwarz zu schmuumlcken ndash in dem in Rom als tiefste Trauerfarbe verstandenen Blauschwarz13 Je eine Urne voll Milch Honig und

Oumll sollten uumlber den verbrannten Resten der Tiere ausgegossen werden Personen ohne Legitimati-on durch ein oumlffentliches Amt war die Mitwirkung erlaubt sie waren aber auf entweder eine Kerze eine Fackel oder einen Kranz beschraumlnkt die sie in den brennenden Holzstoszlig werfen durften Fuumlr weitere Regelungen schloss man sich dem ein-schlaumlgigen Beschluss des roumlmischen Senates an Das alles so vermerkte die inschriftliche Fassung des Beschlusses war auf einer Inschrift direkt am Altar festzuhalten Die religioumlse Kommunikation mit den Manen des Lucius war in der Auffuumlhrung des 20 August am eindrucksvollsten doch sie war daruumlber hinaus sichtbar schon allein durch den sorgfaumlltig platzierten Altar vor dem nach griechischem Muster auch die Verbrennung statt-fand

Wie muss man sich den goumlttlichen Kaiser vorstellenDas verbreitete Nachdenken uumlber das was Menschen ausmachte hatte sich im massen-haften Auftreten der Bezeichnung di manes auf Grabsteinen seit dem ausgehenden ersten Jahr-hundert v Chr niedergeschlagen Vor diesem Hintergrund wurde auch die Frage ob und wie Herrscher in politischer oder religioumlser Kommu-nikation anzusprechen waren diskutiert Im Feld der Moumlglichkeiten markierte divus eine Position die den Uumlbergang als eine scharf markierte Un-terscheidung fasste Formal der Titel einer Person ndash also etwa bdquoDivus Augustusldquo ndash behauptete man mit seiner Benutzung die Identitaumlt einer Persoumln-lichkeit von Mensch und Gott Aumlhnlich wie in der Republik die Senatoren diskutiert hatten ob beobachtete Vorzeichen als Prodigien fuumlr die res publica zu werten seien so diskutierten sie nun

12 CIL 111420 = ILS 139 sa den nachfolgenden Beschluss nach dem Tod des Bruders Gaius Caesar im Jahr 4 n Chr (CIL 111421 = ILS 140)13 Zu dieser Farblogik s Joumlrg Ruumlpke bdquoVexillum caeruleumrdquo RhM 136 (1993) S 374ndash37614 Zsuzsanna Vaacuterhelyi The Religion of senators in the Roman Empire Cambridge 2010 166

Joumlrg Ruumlpke im Gespraumlch mit Andreas Fritsch

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ob ein Mensch den sie selbst beobachtet hatten zum Gott geworden sein konnte14 Zugleich wies der Titel der sich auch in aumllteren Gottesnamen ndash Diva Palatua Diva Angerona Diva Rumina Bona Diva15 (auch Bona Dea) ndash fand in die Welt etab-lierter Gottheiten Wie zweideutig aber selbst die Begriffswahl war zeigt die Tatsache dass noch Cicero gerade den Begriff divus fuumlr alte deus als Bezeichnung fuumlr neue durch Vergoumlttlichung von Menschen entstandene Gottheiten verwendet zu haben scheint (hier ist die Textuumlberlieferung pro-blematisch)16 Kurzum in Bezug auf einen ehe-mals lebenden Menschen suggerierte der Begriff divus eine erkennbare Statusaumlnderung In Rom lieferten die Senatoren oder die Nachfol-ger der Verstorbenen mit dem Konsekrationsri-tual die Grundlage fuumlr diese Veraumlnderung Bild-lich zum Teil auch rituell war die Metapher der Himmelfahrt ndash ob in Gestalt eines aufsteigenden Adlers oder als Fahrt auf dem Sonnenwagen ndash dafuumlr zentral Dieser Aufstieg konnte beobachtet werden war wie das Auftauchen eines neuen Sterns eines Kometen im Falle Caesars (oder das leere Grab mit dem weggeschobenen Stein im Falle Jesu) empirisch fassbar oder durch Au-genzeugen beglaubigt Das etablierte Ritual knuumlpfte an alte Geschichten an beginnend mit Romulus und wiederholte diese zuverlaumlssig und beobachtbar es fand immer auf dem Marsfeld statt die Organisatoren lieszligen immer einen Adler aufsteigen den jedermann beobachten konnte es gab immer einen Scheiterhaufen selbst wenn die Leiche laumlngst beseitigt war17 Die Aufstiegs-

geschichte diese bdquoAszendenz-Theologieldquo war krude Doch sie erlaubte auch Kontrolle Nicht jedem wurde das Marsfeld fuumlr ein solches Ritual geoumlffnet Fuumlr die Alternativen zu diesem scharf markierten Aufstieg vom Menschen zum Gott gab es keine vergleichbare Kontrolle und rituelle Standardisie-rung Die reichsten Assoziationen bot die Vorstel-lung der andere und vor allem der Herrscher koumlnne die Epiphanie eines bekannten Gottes sein Diese Annahme in eigene religioumlse Kommu-nikation einzubauen war nicht nur ehrenvoll fuumlr den so identifizierten Kaiser (falls ein boumlswilliger Beobachter den Vorwurf der Majestaumltsverletzung geltend machen wollte) sondern erschloss auch ein reiches Spektrum an Bildern und Geschichten die zur weiteren Plausibilisierung herangezogen werden konnten In der konkreten Situation duumlrf-te aber zumeist der umgekehrte Vorgang wichti-ger gewesen sein Die Ansprache des bekannten Gottes konnte mit den persoumlnlichen und politi-schen Facetten des Kaisers wichtiger und in der Situation relevanter gemacht werden Die Figur des Herkules war hier eine naheliegende Wahl war dieser doch tatkraumlftig Ordnung schaffend und zudem selbst ein Aufsteiger vom Menschen zum Gott Er war also eine passende Reflexions-figur fuumlr den Sachverhalt der hier zur Debatte stand Das Spektrum war jedoch noch weiter Es reichte von Iuppiter dem zentralen politischen Gott der Stadt Rom und Zeus der eine vergleich-bare Rolle in vielen Staumldten der ostmediterranen Welt spielte uumlber den triumphierenden Dionysus (uumlbertragen auf Liber Pater) bis hin zu Apollo und Romulus Quirinus In manchen Faumlllen legte der Betroffene solche Gleichsetzungen selbst nahe indem er etwa eine Gottheit zu einem besonders wichtigen eigenen Adressaten machte ihr Tempel oder Spiele stiftete oder sich selbst entsprechend kleidete Naumlhe und genealogische Beziehung Epiphanie oder innere Praumlsenz des Goumlttlichen ndash die Moumlg-lichkeiten das Verhaumlltnis zu konzeptualisieren waren vielfaumlltig ein Bedarf an Praumlzision war eher

15 ZB Varro ling 745 Fasti Praenestini Inscr It 132139 Ov am 3637 fast 5148 Plin Nat 365 Solin 16 Aug civ 610 (Varro) 16 Cic leg 222 in der Textrekonstruktion durch Andrew Dyck 17 So Anne-Francoise Jaccottet raquoDu Corps Humain au Corps Divin Lrsquoapotheacuteose dans lrsquoimaginaire et les repreacutesentations figureacuteeslaquo in P Borgeaud D Fabiano (Hgg) Reception et Construction du Divine dans lrsquoAntiquiteacute Recherches et Rencontres 31 Genegraveve 2013 S 293ndash32218 ILS 119-121

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selten In Ritualen die den Initiatoren so wichtig waren dass sie auch in inschriftlicher Form einen Niederschlag fanden wurde so die verstorbene Livia als (im Dativ der Empfaumlngerin) Livia Augusti dea Iuno Livia (Liviae) Augusti und Ceres Iulia (Iuliae) Augustaae angesprochen18 Was im Sprachlichen doppeldeutig blieb lieszlig sich bildlich klaumlren etwa indem der Urheber der religioumlsen Kommunikation zwei Statuen nebeneinander stellte (Dea) Roma und Augustus waren ein be-liebtes Paar Venus und Caesar ein umstrittenes Die Wahl des Materials konnte dem Objekt eine Nuance geben die Betrachterinnen und Betrach-ter einte oder polarisierte Man konnte keine Goldstatue aufstellen und dann behaupten den Dargestellten nicht zu vergoumlttlichen Gerade die klar ausgewiesene Eigenstaumlndigkeit der Persoumln-lichkeit des Menschen provozierte dabei die Frage nach seinem ontologischen Status nach seinem Ort in einer Ordnung die fuumlr Engel Daumlmonen und Goumltter selbstverstaumlndlich aber im Detail raumlt-selhaft und in der jeweiligen Situation umstritten sein musste19

Uumlberlegungen zur Person des Augustus oder sei- ner Familie anzustellen war aber ndash allenfalls ndash ein Nebenaspekt bei der Wahl gerade solcher Adres-

saten in religioumlser Kommunikation Der zentrale bdquoTrickldquo dieser Wahl bestand vielmehr in der enor-men Relevanzsteigerung einer Kommunikation die in einen lokalen Kontext einen unbezweifel-bar reichsweit handelnden Akteur einbezog Das mochten Umstehende als bdquounnoumltigldquo betrachten das aumlnderte jedoch nichts daran dass der oder die Initiatorin damit ihr Anliegen aufgewertet hatte ndash gleichzeitig freilich dazu aufgefordert war eine entsprechend aufwendige Gestaltung dieser Kommunikation zu liefern Amatius hatte das gespuumlrt ndash und seine maumlchtigeren Konkurren-ten auch Ob als Gott oder nur Widmungstraumlger als Adressat nicht nur religioumlser sondern auch literarischer Kommunikation Als moumlglicher Gott war der Herrscher wichtiger geworden In der Kenntnis um diese antiken Zusammenhaumlnge sieht man die Kommunikation mit und uumlber heutige Autokraten anders Weit muss man dazu nicht schweifen

Impressum ISSN 0945-2257

Latein und Griechisch in Berlin und Brandenburg erscheint vierteljaumlhrlich und wird herausgegeben vom Vorstand des Landesverbandes Berlin und Brandenburg im Deutschen Altphilologenverband (DAV) wwwdavbbde

1 Vorsitzender Prof Dr Stefan Kipf Humboldt Universitaumlt zu Berlin Didaktik Griechisch und Latein middot Unter den Linden 6 middot 10099 Berlin stefankipfstaffhu-berlinde

2 Vorsitzende StR Gerlinde Lutter Tagore-SchuleGymnasium Berlin middot g1lutteraolcom Andrea Weiner Alexander von Humboldt Gymnasium Eberswalde

Schriftleitung des Maya BrandlMitteilungsblattes Zehntwerderweg 171 a middot 13469 Berlin middot mayabrandlgmxde

Kassenwartin StR Peggy Klausnitzer peggyklausnitzert-onlinede

Beisitzer Prof Dr Nicola Houmlmke StD Dr Josef Rabl

Grafik Layout Fabian Ehlers Karlsruher Straszlige 12 middot 10711 Berlin middot wwwart-und-adde

19 Unter einem Begriff wie bdquoEngelldquo (angelos) konnten sich wiederum unterschiedlichste lokale Vorstellungen verbergen Rangar H Cline Ancient Angels Conceptualizing Angeloi in the Roman Empire Religions in the Graeco-Roman World 172 Leiden 2011 S 75

IMPR

ESSU

M

Peter Riemer Ein Anfang mit BE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stunde

52 JAHRGANG LX middot LGBB 03 2016

Liebe Ursula liebe Nicola lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende liebe Gaumlste bevor ich Peter Riemers Vortrag zum heutigen Jubilauml-umsfest verlese erlauben Sie mir einige

persoumlnliche Bemerkungen Wie die meisten von Ihnen wissen vertritt Nicola Houmlmke seit dem fuumlr uns schmerzlichen (aber verstaumlndlichen) Wech-sel Ursula Gaumlrtners nach Graz den Lehrstuhl fuumlr Klassische Philologie an unserer Universitaumlt Die Art und Weise wie sie dies tut etwa bei dem von Frau Gaumlrtner begruumlndeten sbquojour fi xelsquo oder im Altertumswissenschaftlichen Kolloquium fi nde ich hervorragend ich bin ihr nicht nur deswegen sehr dankbar und wuumlnsche Ihr dass sie dies auch weiterhin so tun kannAls mir Nicola Houmlmke vor kurzem mitteilte dass Peter Riemer seinen Vortrag an unserem Jubilauml-umsfest leider nicht halten koumlnne er es aber gut faumlnde wenn ich in seinem Namen seine Rede vortruumlge hatte ich aus verschiedenen Gruumlnden zunaumlchst groszlige Bedenken Einer dieser Gruumlnde reicht bis in meine Kindheit zuruumlck Bei der Feier der Heiligen Messe konnte ich als Ministrant nicht selten nur zu deutlich erleben wie sich die sonst durchaus neugierig gespannte Aufmerksamkeit meiner kleinen nordsaarlaumlndischen Heimatge-meinde just in dem Augenblick in einen ndash eu-phemistisch ausgedruumlckt ndash auffaumlllig veraumlnderten Ruhezustand verwandelte in dem der Pfarrer ankuumlndigte er werde statt zu predigen einen Hirtenbrief des Trierer Landesbischofs verlesen Nachdem mir Peter Riemer dann mitteilte dass er in seinem Vortrag vor allem aus sehr persoumln-licher Sicht an die Anfaumlnge des Potsdamer Insti-tuts fuumlr Klassische Philologie erinnern wolle ha-ben sich meine Bedenken sofort zerstreut Seine Gedanken und Erinnerungen die ich Ihnen gleich vortrage zeugen wie ich schon beim ersten Le-

sen feststellen konnte noch vom selben anste-ckenden Enthusiasmus mit dem er bereits vor zwanzig Jahren die ersten Studierenden in Pots-dam fuumlr die Beschaumlftigung mit antiken Texten zu begeistern verstanden hat Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine weitere ganz kurze persoumlnliche digressio Ich lese gerade ein spannendes Buch des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa der darin die Frage nach dem gelingenden bzw guten Leben mit Hilfe des Kriteriums der Resonanzerfahrung zu beantworten versucht Seine diesbezuumlglichen Analysen der verschiede-nen Lebenssphaumlren der Familie der Arbeit der Religion der Kunst des Sports fuumlhren ihn zu der nicht ganz uumlberraschenden Diagnose dass es fuumlr die Menschen kapitalistischer vor allem von Entfremdung gepraumlgter Gesellschaften der Postmoderne immer schwieriger werde lebens-wichtige Resonanz-Erfahrungen zu machen bei denen es in unterschiedlichen Zusammenhaumlngen nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-

Eingeleitet von Eugen Braun

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ven sondern auch leiblichen Beruumlhrung zwischen Subjekt und Welt komme (Wenn Ihnen dies jetzt zu unverstaumlndlich bzw philosophisch vor-kommt so haben Sie heute ab 21 Uhr wenn man Herrn Rosa glauben will die Moumlglichkeit ganz anschaulich auf dem Fernsehbildschirm ein zu-mindest bdquopraumlreflexives somatisch-soziales Reso-nanzgeschehenldquo mit zu verfolgen vorausgesetzt natuumlrlich Sie finden uumlberhaupt Gefallen daran 22 erwachsenen Menschen dabei zuzuschauen wie sie einem Ball hinterherlaufen und diesen in ein Tor zu befoumlrdern versuchen) Bei der Lektuumlre von Herrn Rosas Buch hat sich mir unwillkuumlrlich auch die Frage nach moumlglichen Resonanzerfah-rungen auf der Universitaumlt gestellt ich habe noch keine abschlieszligende Antwort gefunden Dass die Universitaumlt als Staumltte des Lernens und Lehrens primaumlr kein Ort zur Erfuumlllung lebensphilosophi-scher Sehnsuumlchte sein kann und darf sondern vor allem einen werturteilsfreien Fachunterricht zum Ziel haben muss der allenfalls zu einer bes-seren rationalen Abwaumlgung der verschiedenen Welt- und Lebensanschauungen beitragen kann wie sie auch in Texten der griechisch-roumlmischen Antike paradigmatisch erkennbar sind habe ich von Max Weber gelernt In seinem beruumlhmten Vortrag bdquoWissenschaft als Berufldquo hat Weber wie Sie wissen ebendies vor fast genau hundert Jahren den Studenten der Muumlnchener Universi-taumlt nachdruumlcklich verstaumlndlich zu machen ver-sucht In diesem Vortrag (Weber war uumlbrigens sbquoSchwipp-Schwagerlsquo von Wilamowitz) findet sich allerdings auch der bekannte Satz bdquoNichts ist fuumlr den Menschen als Menschen etwas wert was er nicht mit Leidenschaft tun kannldquo Wenn Studie-rende heute das Studium der Klassischen Philo-logie wie es scheint vor allem absolvieren und absolvieren muumlssen um sog Leistungspunkte zu erwerben entspricht dies einer allgemeinen Ent-wicklung der Universitaumlten die ich nicht weiter kommentieren will Dass Studierende sich dieser Entwicklung zum Trotz jedoch zum Gluumlck immer noch in Seminaren ja sogar Grammatikuumlbungen fuumlr den sbquoStofflsquo begeistern lassen habe ich selbst

noch heute Morgen erleben duumlrfen und in den letzten Jahren immer wieder vereinzelten Ruumlck-meldungen insbesondere zu Veranstaltungen Ursula Gaumlrtners entnehmen koumlnnen Aus der An-fangszeit unseres Instituts faumlllt mir in diesem Zu-sammenhang besonders Joumlrg Ruumlpkes Vorlesung uumlber Roumlmische Geschichtsschreibung ein deren Mitschnitt bzw Aufnahme Frau Geyer dann zu einem sehr begehrten Buch gemacht hat Wie spannend seine fachwissenschaftliche Beschrei-bung religioumlsen Handelns in der Antike (und der damit verbundenen vertikalen Resonanzachsen) sein kann haben Sie alle gerade selbst erleben koumlnnen (Ich persoumlnlich bin schon sehr gespannt auf sein neues Buch uumlber die Geschichte der an-tiken Religionen das am 19 September erscheint und fuumlr das ich an dieser Stelle schon einmal Reklame machen darf) Wie es Peter Riemer in seiner Potsdamer Zeit auf charismatische Weise verstanden hat das Interesse der Studierenden etwa fuumlr die Aeneis in lebendigen Diskussionen immer mehr zu vertiefen weiszlig ich von einzelnen Seminarteilnehmern und wie eindrucksvoll es ihm nicht nur damals gelungen ist sondern auch heute noch gelingt in den akademischen Lehr-betrieb auch Erfahrungen kuumlnstlerisch-performa-tiver Resonanz zu integrieren geht auch aus dem folgenden Vortrag hervor den ich nun verlesen darf (Dabei versuche ich den moumlglicherweise doch aufkommenden Gedanken dass Saarbruuml-cken wo Herr Riemer derzeit lehrt nicht weit von Trier entfernt liegt so gut es geht zu unter-druumlcken) Der Vortrag traumlgt den Titel sbquoEin Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stundersquo und beginnt mit den Worten

Liebe Frau Gaumlrtner liebe Frau Houmlmke lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende und sofern anwesend natuumlrlich auch zu begruuml-szligen der Dekan SpectabilisEs ist wirklich bedauerlich dass ich am heutigen Tag nicht selbst dabei sein kann das Institutsju-bilaumlum zu feiern Eine schon seit Monaten termi-nierte Berufungskommission mit Probevortraumlgen

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und der anschlieszligenden Entscheidungsfindung an eben dem 7 Juli 2016 laumlsst mich einfach nicht aus Saarbruumlcken fort Aber zumindest koumlnnen diese Zeilen hier verlesen werden Es muss wohl der 4 oder 5 Oktober 1995 gewesen sein als wir in Golm die kuumlnftigen Raumlume des Instituts fuumlr Klassische Philologie aufsuchten Eugen Braun und ich ndash wir waren verabredet und er moumlglicher-weise vor mir da Joumlrg Ruumlpke kam dann erst in der Woche darauf wenn ich mich recht entsinne ndash da hatten wir die Raumlume schon halbwegs einge-nommen freilich noch ohne neues Mobiliar Alles war muffig und ziemlich heruntergekommen Das hatte nichts mit den aktuellen Anglisten zu tun von denen wir die Raumlume erbten Vielmehr fanden sich in den Schreibtischen und Schraumln-ken Abschlussarbeiten und andere Unterlagen (Korrespondenzen und Berichte) aus der Zeit der Brandenburgischen Landeshochschule und zwar noch aus den Jahren vor der Wende Man hatte den Eindruck die Zimmer seien seit Gruumlndung der Universitaumlt 1991 nur nebenbei quasi behelfs-weise genutzt worden Sie konnten 11 so wie sie waren in ein DDR-Hochschul-Museum uumlberfuumlhrt werden Dietrich Schwanitz hatte offenbar diesel-ben Eindruumlcke gehabt und in seinem Roman bdquoDer Zirkelldquo absolut treffend wiedergegeben Schwa-nitz ist dem Ruf auf eine Potsdamer Anglistik-Professur bekanntlich nicht gefolgt (vielleicht deshalb) Nun gut Da standen wir also und mussten irgendwie anfangen Keine Beschriftung deutete darauf hin dass hier einmal das Institut fuumlr Klassische Philologie sein wuumlrde Wir brauch-ten dringend Material Computer Drucker Papier Nicht einmal Bleistifte waren vorhanden Fuumlr Bestellungen von Material und Geraumlten gab es Formblaumltter Die bekamen wir von Frau Schwarz der Verwaltungschefin der Fakultaumlt Wir fuumlllten die Formulare aus und mussten feststellen dass selbst dies nicht so einfach war wenn man noch gar nichts besaszlig Denn auf den Formularen wurde ein Stempel verlangt Man musste sogar wenn man einen Stempel bestellen wollte erst einmal selbst einen Stempel haben bdquoStempel und

Unterschriftldquo hieszlig es unten auf dem Blatt Kurios Wir zogen in die Romanistik und liehen uns von dort einen Stempel aus bdquoInstitut fuumlr Romanis-tikldquo Natuumlrlich strichen wir die Romanistik durch und schrieben in Druckbuchstaben sozusagen in lsquoStempelschriftrsquo bdquoKlassische Philologieldquo daruumlber und bestellten auf diese Weise erst einmal einen Stempel und dann das uumlbrige Material So ka-men wir an unsere ersten Bleistifte

Zu einem Universitaumltsinstitut gehoumlrt selbstver-staumlndlich eine gut bestuumlckte Bibliothek Da wir ja praktisch bei Null anfingen brauchten wir von allem alles Lexika und Handbuumlcher Primaumlrtexte und Sekundaumlrliteratur Weil auch andere Institu-te fuumlr ihre Buchbestaumlnde Geld benoumltigten aber schon vor uns da waren und ihre Anspruumlche laumlngst geltend gemacht hatten blieb fuumlr uns nur noch ein kleiner Rest aus dem Topf der Beschaf-fungsmittel Der Hinweis auf die gut ausgestatte-ten Bibliotheken in Berlin war uns nur ein schwa-cher Trost Schlieszliglich sollten so dachten wir die Studenten auch drauszligen in Golm Buumlcher vorfin-den die ihrem Studium dienten Wir skizzierten daher einen klassisch-philologischen Grundbe-stand und baten Frau Gaschuumltz die fuumlr unsere Bibliothek zustaumlndig war zu kaufen was der Markt eben hergab Aber auf dem Buumlchermarkt fanden sich freilich kaum aumlltere Werke bis zuruumlck ins 19 Jahrhundert Deshalb nahmen wir Kontakt mit den Instituten in Greifswald und Halle auf die sich gern von ihren Dubletten trennten um dafuumlr etwas Geld fuumlr Neuanschaffungen zu erhalten Joumlrg Ruumlpke wird sicher noch die Fahrt zu Martin Hose in Greifswald in Erinnerung haben (ich hoffe in guter) die wir so zuumlgig unternahmen (zugleich in Gespraumlche vertieft) dass uns irgendwo auf der Landstraszlige ein mecklenburg-vorpommersches Blitzgeraumlt erwischte Jedesmal wenn ich seitdem auf dem Weg an die Ostsee oder zuruumlck geblitzt werde (und das passiert leider immer wieder Mecklenburg-Vorpommern hat mehr Blitzgeraumlte als Einwohner) faumlllt mir die denkwuumlrdige Tour von damals wieder ein

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Somit bekamen wir nach und nach ndash wie gesagt fuumlr wenig Geld ndash einen systematischen Buchbe-stand in erstaunlicher Fuumllle zusammen Und da verschlug es mir den Atem als Frau Gaschuumltz aus dem Magazin der Potsdamer UB eine vollstaumlndi-ge Realenzyklopaumldie hervorzauberte Eine RE in Potsdam noch aus der Gruumlndungszeit der Paumld-agogischen Hochschule Wie war das moumlglich Die Klassische Philologie besaszlig als wir kamen noch keinen Bleistift hatte aber schon eine RE im Keller Des Raumltsels Loumlsung Wir waren nicht die ersten Ende der 40-er Jahre des 20 Jahrhun-derts sollte die Paumldagogische Hochschule auch Latein und Griechisch im Programm haben und kein geringerer als Werner Peeck (der letzte Wila-mowitz-Schuumller) war mit der Einrichtung betraut worden Auch er hatte damals mit Buumlcherkaumlufen begonnen Doch die Aufgabe der Lateinlehrer-ausbildung fuumlr die Oberschulen der DDR fiel dann den Hallensern zu Peeck ging folglich nach Halle sicherlich auch mit einigen Buumlchern im Gepaumlck Die RE lieszlig er aber in Potsdam zuruumlck Somit koumlnnten zieht man die Unterbrechung bis 1995 ab die Peeckschen Jahre hinzugerechnet werden und das heute zu feierende Jubilaumlum waumlre ein 25-JaumlhrigesIm Wintersemester 199596 hatten wir selbst-verstaumlndlich Lehrveranstaltungen angekuumlndigt Aber es kamen keine Studenten Wie denn auch Wir besaszligen ja nicht einmal eine Studienordnung Also setzten wir uns regelmaumlszligig zusammen Joumlrg Ruumlpke Eugen Braun und ich und bastelten an unseren Ordnungen fuumlr das Studium der Latei-nischen und der Griechischen Philologie Und es war nicht einfach die Ordnungen in der gebote-nen Eile durch die Gremien zu bringen vor allem die sogenannte LSK die Senatskommission fuumlr Studium und Lehre tat sich schwer damals gelei-tet von dem Mathematikdidaktiker Thomas Jahn-ke Ich erwaumlhne ihn namentlich weil er noch ein Schuumller des beruumlhmten Frankfurter Gymnasialleh-rers Eduard Bornemann war dem wir wunderba-re lateinische und griechische Grammatiken und Schulbuumlcher verdanken Herr Jahnke war unseren

Studiengaumlngen sehr zugetan an ihm lag es nicht dass sich manches verzoumlgerte Das der LSK ange-houmlrende Mitglied des Bildungsministeriums legte uns immer wieder Steine in den Weg Der Mann wollte unserem Konzept eines breit angelegten Lateinstudiums unter Einbeziehung sprachwis-senschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Ele-mente und definitiv gestuumltzt auf die klassischen Autoren nicht zustimmen und wollte uns glaub-haft machen dass das Latein des Mittelalters und das Neulateinische viel wichtiger seien fuumlr einen modernen Schulunterricht Nun gut Irgendwie hatten wir den Kampf dann doch gewonnen und das Ministerium beruhigen koumlnnen Wir erhielten postwendend den Auftrag uumlber hundert Latein-lehrer fuumlr das Land Brandenburg nachzuschulen Darin bestand dann tatsaumlchlich die groszlige Aufga-be der ersten Jahre des Instituts Jeden Freitag hatten wir unseren bdquoLehrertagldquo und ermoumlglich-ten (unterstuumltzt von der Weiterbildungs-GmbH in Babelsberg) einer groszligen Reihe von schon lange taumltigen Lehrerinnen und ndashlehrern das Erweite-rungsfach Latein zu erwerben vielleicht ist der eine oder die andere von damals heute hier ganz herzliche Gruumlszlige Es war eine wunderbare Zeit mit sehr schoumlnen Erfahrungen Aus einem Vergil-Proseminar uumlber die Aeneis im Winter 199798 ist die Idee hervorgegangen dass die Tragik der Didofigur nicht separat betrachtet werden koumlnne auch die Rolle des Aeneas habe tragische Zuumlge Die Tragik des Aeneas wenn man sie ernsthaft in den Blick nimmt geht auf Aischylos zuruumlck Die-sen Kerngedanken habe ich aus den Diskussionen mit den Lehrern mitgenommen Entsprechendes publiziert und zuletzt sogar im Rahmen eines Theaterprojekts auf die Buumlhne bringen koumlnnen

Joumlrg Ruumlpke und ich wurden ja glaube ich gebe-ten von Dingen zu berichten die wir aus Potsdam mitgenommen bzw die uns beeinflusst haben Dies waumlre eines das Aischyleische in der Aeneis Dann waumlre auf jeden Fall zu nennen eine von Joumlrg Ruumlpke Pedro Barcelo und mir zusammen mit John Scheid im Steiner-Verlag herausgegebene

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Reihe die noch im Namen ihren Ursprung verraumlt bdquodie Postdamer altertumswissenschaftlichen Bei-traumlgeldquo mittlerweile 55 Baumlnde umfassend

Was mir Potsdam mit auf den Weg gegeben hat ist zudem die Interdisziplinaritaumlt In Koumlln wo ich akademisch aufgewachsen bin konzentrierten sich die einzelnen Disziplinen sehr auf sich selbst (ich glaube das machen sie auch heute noch) Das mag an der Groumlszlige der Faumlcher oder auch an der Groumlszlige der dortigen Philosophischen Fakultaumlt liegen In Potsdam haben wir von Beginn an unter weitaus engeren Bedingungen die Naumlhe zu ande-ren Disziplinen und das Miteinander gesucht Ich denke gern an die gemeinsamen Lehrveranstal-tungen mit dem Anglisten Peter Drexler oder mit der Germanistin Margrid Bircken zuruumlck Aus der Zusammenarbeit mit diesen Nachbarphilologien ist denn auch der Studiengang bdquoVergleichende Literaturwissenschaftldquo hervorgegangen heute ndash nachdem die Kunstgeschichte die seinerzeit noch fehlte dazugekommen ist ndash bdquoVergleichende Lite-ratur- und Kunstwissenschaftldquo Aumlhnliches erlebe ich in Saarbruumlcken wo wir durch die Reduktion verschiedener Faumlcher auf einzelne Professuren geradezu gezwungen sind kooperativ zu for-schen und zu lehren Die Gemeinschaft der Alter-tumswissenschaften mit Alter Geschichte Klassi-scher Archaumlologie Vor- und Fruumlhgeschichte und der Klassischen Philologie in Bachelor- und Mas-terstudiengaumlngen ist ein Beispiel Kuumlnftig werden noch die bdquoEuropaumlischen Literaturenldquo mit alt- und neuphilologischen Angeboten an der Universitaumlt des Saarlandes dazukommen Dies kann durch-aus mit dem verglichen werden was wir damals in Potsdam schon kennengelernt haben Wenn ich bdquowirldquo sage beziehe ich immer Christoph Ku-gelmeier mit ein der mir im Sommer 2000 als Assistent ins Saarland folgte und heute als auszliger-planmaumlszligiger Professor zu einem unverzichtbaren Kollegen geworden istAls letzten Punkt in Sachen Mitnahme und Wei-terwirken moumlchte ich erwaumlhnen dass die Verbin-dung zwischen dem ortsansaumlssigen Theater und

der Klassischen Philologie hier in Potsdam fuumlr uns praumlgend war Das Hans-Otto-Theater war damals offen fuumlr vielfaumlltige Kooperationen mit uns Altphi-lologen Wir konnten eine Tagung zum bdquoChor im antiken und modernen Dramaldquo auf der Proben-buumlhne des Theaters durchfuumlhren keine rein wis-senschaftliche Konferenz sondern eine Mischung aus Theorie und Praxis Klassische Philologen Anglisten und Germanisten kamen zu Wort Da-neben aber berichtete ein Opernregisseur der die euripideischen Bakchen in Athen inszeniert hatte von seiner Arbeit der griechische Komponist der die Original-Chorpartien der Bakchen zum Klin-gen gebracht hatte erklaumlrte uns seine Prinzipien ein Berliner Regisseur sprach uumlber zwei Oumldipus-Inszenierungen in Afrika und Chemnitz usw die-se Erfahrung eines produktiven Bruumlckenschlags zwischen den Dramentexten und der Buumlhne praumlgt seitdem unsere Arbeit Wir sind heute wie-der eng verbunden mit der Buumlhnenpraxis diesmal mit dem Saarlaumlndischen Staatstheater dem wir wie seinerzeit in Potsdam hin und wieder fuumlr die Inszenierung antiker Stuumlcke beratend zur Seite stehen und richten Konferenzen aus auf denen Dramaturgen und Regisseure mit Literaturwis-senschaftlern ins Gespraumlch kommen

Vielleicht haben wir damit ein Stuumlck Potsdam an die Saar geholt Wir denken jedenfalls mit Weh-mut und Dankbarkeit an die Potsdamer Jahre zu-ruumlck Sie waren und sind nach wie vor wertvoll fuumlr uns Und ich empfinde es als ein besonderes Gluumlck dass das Potsdamer Institut eine so schouml-ne Entwicklung nach unserem Weggang genom-men hat Ein groszliges Kompliment an dieser Stelle an Ursula Gaumlrtner und und das gesamte Team Zu diesem Team gehoumlrt natuumlrlich Frau Geyer sie ist Herz und Seele des Instituts fuumlr Studierende und Mitarbeiter Da haben Joumlrg Ruumlpke und ich damals wohl eine unserer besten Entscheidungen getrof-fen gerade sie als Sekretaumlrin einzustellen Auch ihr ein herzlicher Gruszlig von der Saar an die Havel Und dies leitet uumlber zu geographisch-personalen Aspekten mit denen ich die Rede schlieszligen

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moumlchte Nicht nur hat Nicola Houmlmke die jetzt fuumlr einige Jahre die Geschicke der Klassischen Philo-logie am Neuen Palais mit bestimmt ihren Weg nach Potsdam uumlber Rostock genommen Auch Frau Geyer war vor ihrer Potsdamer Zeit an der Rostocker Universitaumlt in Diensten Dasselbe trifft auf Eugen Braun zu Eine wahrhaft gluumlckliche Rostock-Potsdam-Konnexion

Zu Ursula Gaumlrtner Sie war mir schon ein Begriff als sie sich in Leipzig habilitierte denn Ekkehard Staumlrk hatte 1999 in einem Potsdamer Promoti-onsverfahren gegutachtet (es ging um Plautus) und konnte wie er mir im Januar 2000 schrieb nicht an der Disputatio Anfang Februar teilneh-men weil er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation mit seinen Kraumlften haushalten musste und ihm in diesem Zeitraum die Habilitation von Frau Gaumlrtner mehr am Herzen lag Wir hatten da-fuumlr vollstes Verstaumlndnis Und so war es erfreulich zu sehen dass eben diese Ursula Gaumlrtner sich bald darauf um die Nachfolge auf dem Lehrstuhl in Potsdam bewarb und das auch noch mit Erfolg ndash Sie heute in Graz zu wissen ist ebenfalls begluuml-ckend Bitte nicht missverstehen Das hat nichts mit dem Wegsein von Potsdam als vielmehr mit

dem Dasein in Graz zu tun Auch hier wieder eine kuriose Fuumlgung Im Jahre 2010 waren Norbert Franz fuumlr die Slavistik und ich fuumlr die Klassische Philologie als Gutachter in Graz taumltig Es ging um die Evaluation der Literaturwissenschaften dort In dem Abschlussbericht konnten bzw mussten wir hervorheben dass die Grazer Klassische Phi-lologie nie zu einer vollen Entfaltung gelangt wenn nur die Griechischprofessur besetzt ist Bei aller Liebe fuumlr das Griechische Ohne Latein geht es nicht Ob sich die Universitaumlt jene Hinweise auf die Bedeutung der lateinischen Literatur fuumlr die uumlbrigen Literaturwissenschaften zu Herzen ge-nommen hat weiszlig ich nicht Aber das Ergebnis stimmt Jetzt hat die dortige Klassische Philologie mit der Besetzung der Latinistik wieder eine aus-sichtsreiche Zukunft Daher mein Zuruf Macte virtute esto

Der Zuruf gilt auch den Potsdamern Ich wuumlnsche dem Institut fuumlr Klassische Philologie und der Alt-philologie in Brandenburg insgesamt weiterhin groumlszligtmoumlgliche Wirksamkeit Und fuumlr heute ein schoumlnes Fest

Ihr Peter Riemer

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1 VorbemerkungEs ist merkwuumlrdig bei dem traditionellen Som-merfest der Klassischen Philologie als Vortra-gende aufzutreten nachdem ich selbst in all den Jahren unsere Gastvortragenden vorgestellt habe und letztes Jahr Frau Nicola Houmlmke die mich nun gerade vorgestellt hat Als wir zum ersten Mal das diesjaumlhrige Sommerfest ansprachen war auch gar nicht klar ob ich weg sein wuumlrde Nur dass alle bisherigen Professorinnen und Professoren sprechen sollten stand bald fest Dass ich dies nun als ehemalige Professorin tue erfuumlllt mich mit einem merkwuumlrdigen Gefuumlhl Der Titel mei-nes Vortrags war als Platzhalter gedacht er blieb dann aber weil er so passend war Der persoumln-liche Bezug ist offensichtlich Mir ging natuumlrlich sehr viel durch den Kopf nach uumlber einem Jahr-zehnt hier vor Ort wo ich so viele Studierende und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe Aber es war gewuumlnscht uumlber etwas zu sprechen das in Potsdam seinen Anfang nahm Ich habe hier begonnen mich intensiv mit Phaedrus zu beschaumlftigen mehrere Auf-saumltze sind hier entstanden dann der Kommentar zu Buch 1 und zuletzt bis in die letzten Stunden vor dem Umzug im Februar ein ausfuumlhrlicher For-schungsbericht In mehreren Seminaren konnte ich mit Studierenden meine Ideen zu Phaedrus diskutieren hier ist die Gelegenheit mich auch hierfuumlr einmal zu bedanken Das Gleiche gilt fuumlr das Altertumswissenschaftliche Kolloquium so-wie die Diskussionsrunden an unserem Jour fi xe Bei einem solchen Thema denkt man bisweilen es sei abgeschlossen doch dann tun sich immer

Uumlberlegungen aus gegebenem Anlass Ein Vortrag in vier Kapiteln und zwei Vorbemerkungen

Der Vortragsstil wurde beibehalten

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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von Google ausgetuumlftelt und das Wort bdquoMultime-dialdquo von der Gesellschaft fuumlr Deutsche Sprache zum Wort des Jahres gewaumlhlt stuumlrzten schlieszlig-lich spektakulaumlre Promitrennungen die Welt ins Gefuumlhlschaos nicht genug mit Charles und Diana ndash nein auch die Boyband bdquoTake Thatldquo

Viele von Ihnen haben sicher ihre ganz persoumlnlich gepraumlgten Ruumlckblenden an diese Zeit abgese-hen vielleicht von unseren juumlngsten Bachelor-studierenden bei denen sich die Erinnerungen an 199596 eher auf ihre Kindergartenerlebnisse beschraumlnken duumlrften Aber was die Gruumlndung und die weitere trotz mancher Hindernisse ja durchaus erfolgreiche Entwicklung der Klassi-schen Philologie in Potsdam betrifft so ist es natuumlrlich am besten sich zu solchen Anlaumlssen

Zeitzeugen ins Haus zu holen die zuruumlckblicken und zugleich den Bogen zur heutigen Feierstunde schlagen koumlnnen Daher hatten Ursula Gaumlrtner und ich bereits bei meinem Antritt als Lehrstuhl-vertretung im Maumlrz diesen Jahres daruumlber sin-niert wie schoumln es waumlre zu diesem Anlass alle drei (ja nur drei) bisherigen Lehrstuhlinhaber zusammenzubringen um so mehr freue ich mich dass wir in Umsetzung dieses Vorhabens nicht nur sie selbst aus Graz zu einem Kurzbesuch wie-der hierher zuruumlcklocken konnten sondern dass auch die beiden ehemaligen Gruumlndungsprofesso-ren der Klassischen Philologie bzw Latinistik in Potsdam naumlmlich Herr Prof Dr Joumlrg Ruumlpke und Herr Prof Dr Peter Riemer sich sofort bereiter-klaumlrt haben zur Jubilaumlumsfeier beizutragen und aus ihren einst hier begonnenen Forschungszwei-gen bzw aus ihren persoumlnlichen Erinnerungen an die illustren Anfaumlnge des hiesigen Lehrbetriebs zu berichten

Erinnern Sie sich noch Herr Prof Dr Joumlrg Ruumlp-ke war von 1995 bis zum WS 19992000 Pro-fessor fuumlr Latinistik in Potsdam und wechselte dann von hier auf die Professur fuumlr Vergleichende Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Eu-ropaumlische Polytheismen an die Universitaumlt Erfurt wo er bis heute lehrt Er ist dort seit mehreren Jahren Sprecher der DFG-Kollegforschergruppe bdquoReligioumlse Individualisierung in historischer Per-spektiveldquo und Stellvertretender Direktor des

renommierten Max-Weber-Kollegs fuumlr kultur- und sozialwissenschaftliche Studien Nach Abschluss seines langjaumlhrigen Projekts zur roumlmischen Reichs- und Provinzialreligion

beschaumlftigt er sich nun ua mit dem For-schungsthema bdquoIndividuelles religioumlses Han-

deln zwischen legitimer Pluralitaumlt und Devianzldquo in dem es z B um anthropologische Konzepte von religio und superstitio geht

Wir houmlren ihn heute mit seinem Vortrag bdquoDivi Augusti oder Wozu braucht man die neuen Goumlt-terldquo

gen bzw aus ihren persoumlnlichen Erinnerungen an die illustren Anfaumlnge des hiesigen Lehrbetriebs zu berichten

Erinnern Sie sich noch Herr Prof Dr Joumlrg Ruumlp-ke war von 1995 bis zum WS 19992000 Pro-fessor fuumlr Latinistik in Potsdam und wechselte dann von hier auf die Professur fuumlr Vergleichende Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Eu-ropaumlische Polytheismen an die Universitaumlt Erfurt wo er bis heute lehrt Er ist dort seit mehreren Jahren Sprecher der DFG-Kollegforschergruppe bdquoReligioumlse Individualisierung in historischer Per-spektiveldquo und Stellvertretender Direktor des

schungsthema bdquoIndividuelles religioumlses Han-deln zwischen legitimer Pluralitaumlt und Devianzldquo

in dem es z B um anthropologische Konzepte von religio und superstitio geht

Wir houmlren ihn heute mit seinem Vortrag bdquoDivi Augusti oder Wozu braucht man die neuen Goumlt-terldquo

Prodekan Prof Dr Johannes Haag

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Herr Prof Dr Peter Riemer war ab 1995 Professor fuumlr Klassische Philologie in Potsdam von 1998ndash2000 auch Dekan der Philosophischen Fakultaumlt und wechselte dann im Sommersemester 2000 auf eine Professur fuumlr Klassische Philologie an der Universitaumlt des Saarlandes in Saarbruumlcken wo er bis heute lehrt Sein Forschungsinteresse galt damals wie heute dem griechischen und roumlmi-schen Drama sowie der lateinischen Literatur der Renaissance und seine zahlreichen neuen Pub-likationen belegen eindrucksvoll die Breite und Relevanz dieser spannenden Forschungsgebiete Herr Riemer konnte es leider aus Termingruumlnden nicht einrichten hier heute persoumlnlich zu erschei-nen hat aber in enger Absprache mit seinem damaligen Mitarbeiter Herrn Dr Eugen Braun der unserem Institut ja gluumlcklicherweise bis heute erhalten geblieben ist seine Erinnerungen an die turbulente Anfangszeit zu Papier gebracht und Herrn Braun uumlberzeugen koumlnnen diese ndash erwei-tert um eigene Eindruumlcke ndash hier zu verlesen bdquoEin Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten StundeldquoDie dritte im Bunde Frau Prof Dr Ursula Gaumlrtner muss gluumlcklicherweise auch dem juumlngsten Bache-lorstudierenden nicht eigens vorgestellt werden denn sie hat hier von 2001 bis vor wenigen Mo-naten als seither einzige Lehrstuhlinhaberin fuumlr Klassische Philologie gelehrt bevor sie im Maumlrz fuumlr voraussichtlich fuumlnf Jahre an die Universitaumlt Graz gewechselt ist Neben vielen anderen Auto-ren wie Quintus Smyrnaeus und Valerius Flaccus gehoumlrt ihre Liebe seit mehreren Jahren vor allem den Fabeln des Phaedrus Dazu hat sie letztes Jahr ein Opus magnum vorgelegt und davon han-delt auch ihr heutiger Vortrag mit dem symbol-traumlchtigen Titel bdquoAnfang und Endeldquo Anlaumlsse wie dieser geben daruumlber hinaus auch Gelegenheit sich der fruchtbaren Eingebunden-heit der Klassischen Philologie in den Faumlcher-verbund der Philosophischen Fakultaumlt erneut bewusst zu werden Daher wissen wir es sehr

zu schaumltzen dass sich der Dekan der Fakultaumlt Herr Prof Dr Thomas Brechenmacher bereiter-klaumlrt hatte ein Gruszligwort an die Festgesellschaft zu richten Da er nun unvorhergesehenermaszligen erkrankt ist sind wir umso dankbarer dass unser Prodekan Herr Prof Dr Johannes Haag bereit und willens war kurzfristig fuumlr ihn einzuspringen Zum Abschluss noch ein wichtiger Hinweis Un-sere Feierstunde wird nach dem offiziellen Teil ihre froumlhliche Fortsetzung in und vor bdquounseremldquo Haus 11 mit zwei weiteren Traditionselementen finden naumlmlich dem neuesten Theaterstuumlck des bdquoGrex Potsdamiensisldquo und dem anschlieszligenden Sommer-Grill-Fest aus gegebenem Anlass dies-mal mit Public Viewing des EM-Halbfinalspiels Deutschland ndash Frankreich ab 21 Uhr

Ich freue mich auf einen schoumlnen Abend in gro-szliger bunter Runde danke Ihnen fuumlr Ihr zahlrei-ches Kommen und Ihr Interesse und wuumlnsche der Klassischen Philologie Potsdam alles Gute fuumlr die weitere Zukunft deren erste Phase ich ja erfreuli-cherweise werde selbst miterleben und mitgestal-ten koumlnnen Auf die naumlchsten 20 Jahre

PD Dr Nicola Houmlmke 7 Juli 2016

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01 S die Arbeit des DFG-Schwerpunktprogramms 1080 bdquoRoumlmische Reichs- und Provinzialreligionldquo etwa Hubert Cancik Konrad Hitzl (Hg) Die Praxis der Herrschervereh- rung in Rom und seinen Provinzen Tuumlbingen 2003 Hubert Cancik Joumlrg Ruumlpke Franca Fabricius Die Religion des Imperium Romanum Koine und Konfrontationen Tuumlbingen 200902 Siehe Ruumlpke Pantheon Geschichte der antiken Religionen Muumlnchen 2016 dem ich hier folge03 Val Max 9151 Liv Per 116 spricht von bdquoSohnldquo und der Abstammung aus niedrigsten Verhaumlltnissen04 Cic Att 146-805 App civ 312-3

Joumlrg Ruumlpke Divi Augusti oder Wozu braucht man die neuen Goumltter

Herzlichen Dank fuumlr die Einladung und herzlichen Gluumlckwunsch zum 20-jaumlh-rigen Jubilaumlum des Lehrbeginns ndash oder zu 20 Jahren Uumlberleben trotz vieler Sparzwaumlnge sicher den Fach-

vertreterinnen wie der Fakultaumlt geschuldet Mein Beitrag soll und kann nur ein kurzer sein Gerne moumlchte ich den Bereich vorstellen der mir in den Jahren 1995ndash99 wichtig war und noch heute wichtig ist die Texte die den Hauptgegenstand der Lateinischen Philologie ausmachen in ihrem groumlszligeren kulturellen Kontext zu sehen Und Teil dieses Kontextes war etwas was die Antike deut-lich von der heutigen Zeit zu trennen scheint die mit der Verehrung Caesars beginnende Vereh-rung roumlmischer Herrscher in Rom und im Impe-rium RomanumbdquoKaiserkultldquo das scheint auf der houmlchsten insti-tutionellen Ebene zu liegen Aber viele Befunde haben Zweifel daran geweckt1 Die Perspektive der bdquogelebten antiken Religionldquo erlaubt es mit der Kamera des Forschers ganz dicht an die Er-eignisse heranzukommen2 Den Anstoszlig zu einer postumen Verehrung des am 15 Maumlrz 44 v Chr ermordeten und anschlieszligend im Tumult auf dem Forum verbrannten Caesars gab ein gewis-ser Gaius Amatius Mit einigen Anhaumlngern lieszlig er einen Altar an der Stelle des Scheiterhaufens

errichten Dieser Amatius war kein unbeschrie-benes Blatt Er war schon fruumlher als angeblicher Enkel des populaumlren Heerfuumlhrers und mehrfachen Konsuls Gaius Marius aufgetreten Obwohl er ei-gentlich ein Pferde- oder Augenarzt namens He-rophilus gewesen sein soll (die Textuumlberlieferung ist nicht eindeutig) sammelte er doch zahlreiche Anhaumlnger als angeblicher Verwandter Caesars der ihn nur mit Muumlhe loswerden konnte3 Selbst Cicero sprach von ihm als Marius4 In dieser Rolle schwor er den Caesar-Moumlrdern Rache wurde je-doch selbst von Marcus Antonius beseitigt bevor der Altar in Betrieb genommen werden konnte Doch das Volk besetzte das Forum und verlangte

Joumlrg Ruumlpke Max-Weber-Kolleg fuumlr kultur- und sozialwissenschaftliche Studien Universitaumlt Erfurt

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auch nach der Ermordung des Amatius den Altar einzuweihen und die ersten Opfer fuumlr Caesar dar-bringen zu lassen5 Caesar als Gott zu verehren war also offensichtlich ein verbreiteter Wunsch Aber seine Verwirklichung barg ein gewisses Risiko Im Ringen um die Macht kam ein Konkur-rent der Caesar als Gott auf seine Seite brachte den Nachfolgern ndash noch ndash gaumlnzlich ungelegen Rufmord ndash das zeigte die Uumlberlieferung uumlber den angeblichen Pferdearzt ndash musste den Mord erst vervollstaumlndigen Gut dreiszligig Jahre vorher war die Reihenfolge der Aktionen und Reaktionen umgekehrt gewesen Mit der Darbringung von Kerzen und Weihrauch verehrten roumlmische Buumlrger den Neffen des be-ruumlhmten Feldherrn Gaius Marius der als Marcus Marius (Gratidianus) zweimaliger Stadtpraumltor gewesen war noch zu Lebzeiten Sulla Mariusrsquo erbitterter Gegner lieszlig den so Verehrten durch Catilina ergreifen ihm die Beine brechen die Augen ausstechen Zunge und Arme abschnei-den und ihn gliedweise bei lebendigem Leibe zerstuumlckeln wie Seneca mehr als einhundert Jahre spaumlter voller Abscheu in seiner Abhandlung bdquoUumlber den Zornldquo berichtete6 Auch hier war die Einbeziehung eines uumlbermenschlichen Akteurs in

das Alltagshandeln roumlmischer Buumlrger ein Risiko das nach dem Wechsel der Machthaber geahndet wurde Neu war das alles nicht Schon 100 Jahre fruumlher lieszlig Plautus seiner Komoumldie Asinaria seine Charaktere daruumlber streiten mit welchen traditi-onellen Goumltternamen sie ihren Wohltaumlter anreden sollten Daruumlber dass Darbringungen vor einer Statue und einem Altar ihn als Gott konstituieren wuumlrden waren sie sich einig7

Religioumlse Kommunikation mit einem neuen Ad-ressaten war also leicht ins Werk zu setzen Durch wenige konventionelle Zeichen oder Handlungen beziehungsweise deren Kombination war sie als solche erkennbar Ob sie von den Anderen als angemessen beurteilt wurde war weit weniger einfach vorherzusagen denn die Initiative muss-te nicht immer bei den sozialen oder politischen Spitzen der Gesellschaft liegen Ganz im Gegen-teil wie gesehen konnten solche Initiativen be-stehende Machtkonstellationen in verschiedener Hinsicht veraumlndern Die Einbeziehung von leben-den oder juumlngst verstorbenen (und mit Verwand-ten versehenen) Personen als neue Adressaten

06 Sen Ira 3181ndash207 Plaut Asin 711ndash718

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religioumlser Verehrung war insofern nicht weniger brisant als die Einbeziehung von etablierten Gott-heiten etwa gegnerischer Gruppen oder Ethnien ob das nun der Gott der Juden Perser oder Dru-iden warWenn die religioumlse Initiative den Handlungsspiel-raum des Initiators oder der Initiatorin deutlich vergroumlszligern konnte war es wichtig dafuumlr Ver-buumlndete zu gewinnen vielleicht sogar uumlber die eigenen schon vorhandenen Anhaumlnger hinaus In Benevent errichtete vor dem Jahr 15 v Chr der Aufsteiger Publius Veidius Publii filius Pollio ein bdquoCaesareumldquo fuumlr Augustus wie die Kolonie Be-nevent ndash jener Veidius der durch seine Grausam-keit Sklaven an Muraumlnen zu verfuumlttern literari-schen Ruhm gewann8 In Ferentinum errichtete einige Zeit spaumlter Sextus Hortensius Clarus nicht nur ein bdquoAugusteumldquo sondern den Buumlrgern auch ein Forum und ein Nebengebaumlude Er begleitete die Einweihung des auf eigene Kosten und auf eigenem Grund errichteten Gebaumludes mit einem groszligen Bankett9 Gerade soziale Aufsteiger ge-wannen durch die erfolgreiche Etablierung eines Kultortes oder jaumlhrlich wiederholter Rituale eine neue Qualitaumlt oumlffentlicher Praumlsenz Das steigerte ihre Bereitschaft fuumlr die damit entstehenden Kos-ten aufzukommen und die eigene Zeit dafuumlr ein-zusetzen entsprechende Rollen zu uumlbernehmen Die zahlreichen Beispiele von Augustalen (seviri Augustales) die den Kaiserkult in Italien besorg-ten zeigten das10 Religioumlses Handeln auszuwei-ten bot also fuumlr viele Beteiligte einen Gewinn

InstitutionenUnd dennoch etwas Neues zu beginnen war in Gesellschaften die ihre gefuumlhlte Stabilitaumlt aus dem gewannen bdquowas schon immer so gewesen warldquo immer ein Risiko Das nachzuahmen was die Maumlchtigen und Erfolgreichen Haumlndler oder fuumlr Rom arbeitende Verwalter taten war eine Moumlglichkeit ndash wobei auch Widerstand gelegent-lich schick sein konnte aber uns haumlufig verborgen bleibt Sichtbar war Anderes In der Nachahmung roumlmischer religioumlser Praktiken entstanden bei-spielsweise massenhaft Inschriften und Tempel im Westen des Imperium Romanum Wer wurde da verehrt Wenn man durch religioumlses Handeln Handlungsspielraumlume und Positionen in der Mitte der bestehenden provinzialen Gesellschaften er-oumlffnen wollte war es wichtig dass der Angespro-chene das als bdquogoumlttlichldquo bestimmte also auch nicht leicht fassbare und damit nicht uumlber jeden Zweifel erhabene Gegenuumlber fuumlr die Umstehen-den doch zumindest einigermaszligen zustimmungs-faumlhig war11 Den fernen Augustus in Rom zu einem solchen goumlttlichen Gegenuumlber zu machen war sicher uumlberraschend hatte aber viel fuumlr sich Seine Exis-tenz war kaum zu bezweifeln seine Macht eben-so wenig Fuumlr entfernte Provinziale reicher Staumldte oder abgelegener Landdistrikte war das vermut-lich eher zu bestreiten als fuumlr Italiker Maumlnner mit roumlmischem Buumlrgerrecht oder frisch Unterworfene Allen jedoch bot der jeweilige Augustus einen eindeutigen Bezugspunkt eine Person deren Gesicht da und dort zu sehen dessen Name da und dort zu lesen von dessen Wirken da und dort zu erzaumlhlen warWie die Relevanz dieses fernen Gottes fuumlr den Ort in der Provinz im Einzelfall behauptet und wie der Adressat (oder die Adressatin) im Detail bestimmt wurde das hing von Verschiedenem ab von der Kompetenz und dem Wissen sowie dem Interesse an Originalitaumlt der einzelnen Akteure ebenso wie von lokalen Traditionen religioumlser Kommunikation Der Stadtrat der Kolonie Pisa entschied sich nach dem Tod des Lucius Caesar (17 v Chr bis 2 n

08 CIL 91556 Zur Person s Dio 54231ndash 609 CIL 11743110 Valentino Gasparini raquoLes cultes isiaques et les pouvoirs locaux en Italielaquo in L Bricault M J Versluys (Hgg) Power Politics and the Cults of Isis Proceedings of the Vth International Conference of Isis Studies Boulogne- sur-Mer October 13ndash15 2011 Leiden 2014 S 260ndash29911 Zu den Implikationen s Ruumlpke bdquoReligious Agency Identity and Communication Reflecting on History and Theory of Religionrdquo Religion 45 (2015) S 344ndash366

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Chr) des Adoptivsohnes des Augustus einen Altar mit einer jaumlhrlichen Feier fuumlr Luciusrsquo Manes zu errichten ndash das zunehmend gelaumlufig werden-de Di manes wie es massenhaft Grabsteine zu schmuumlcken begann wurde im Text mehrheitlich vermieden12 Doch nicht nur die Bezeichnung des Adressaten formulierte das Gremium und die na-mentlich genannten Schreiber Quintus Petillius Publius Rasinius Bassus Marcus Puppius Quin-tus Sertorius Pica Gnaeus Octavius Rufus und Aulus Albius Gutta sorgfaumlltig Ebenso sorgfaumlltig waren sie in der Anordnung der Handlungen die im Rahmen der Feier auszufuumlhren waren Die fuumlr die herausragenden Rollen des Totenritu-als Zugelassenen mussten schwarze Togen tra-gen Das zu schlachtende Rind und Schaf waren ebenfalls mit Binden schwarz zu schmuumlcken ndash in dem in Rom als tiefste Trauerfarbe verstandenen Blauschwarz13 Je eine Urne voll Milch Honig und

Oumll sollten uumlber den verbrannten Resten der Tiere ausgegossen werden Personen ohne Legitimati-on durch ein oumlffentliches Amt war die Mitwirkung erlaubt sie waren aber auf entweder eine Kerze eine Fackel oder einen Kranz beschraumlnkt die sie in den brennenden Holzstoszlig werfen durften Fuumlr weitere Regelungen schloss man sich dem ein-schlaumlgigen Beschluss des roumlmischen Senates an Das alles so vermerkte die inschriftliche Fassung des Beschlusses war auf einer Inschrift direkt am Altar festzuhalten Die religioumlse Kommunikation mit den Manen des Lucius war in der Auffuumlhrung des 20 August am eindrucksvollsten doch sie war daruumlber hinaus sichtbar schon allein durch den sorgfaumlltig platzierten Altar vor dem nach griechischem Muster auch die Verbrennung statt-fand

Wie muss man sich den goumlttlichen Kaiser vorstellenDas verbreitete Nachdenken uumlber das was Menschen ausmachte hatte sich im massen-haften Auftreten der Bezeichnung di manes auf Grabsteinen seit dem ausgehenden ersten Jahr-hundert v Chr niedergeschlagen Vor diesem Hintergrund wurde auch die Frage ob und wie Herrscher in politischer oder religioumlser Kommu-nikation anzusprechen waren diskutiert Im Feld der Moumlglichkeiten markierte divus eine Position die den Uumlbergang als eine scharf markierte Un-terscheidung fasste Formal der Titel einer Person ndash also etwa bdquoDivus Augustusldquo ndash behauptete man mit seiner Benutzung die Identitaumlt einer Persoumln-lichkeit von Mensch und Gott Aumlhnlich wie in der Republik die Senatoren diskutiert hatten ob beobachtete Vorzeichen als Prodigien fuumlr die res publica zu werten seien so diskutierten sie nun

12 CIL 111420 = ILS 139 sa den nachfolgenden Beschluss nach dem Tod des Bruders Gaius Caesar im Jahr 4 n Chr (CIL 111421 = ILS 140)13 Zu dieser Farblogik s Joumlrg Ruumlpke bdquoVexillum caeruleumrdquo RhM 136 (1993) S 374ndash37614 Zsuzsanna Vaacuterhelyi The Religion of senators in the Roman Empire Cambridge 2010 166

Joumlrg Ruumlpke im Gespraumlch mit Andreas Fritsch

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ob ein Mensch den sie selbst beobachtet hatten zum Gott geworden sein konnte14 Zugleich wies der Titel der sich auch in aumllteren Gottesnamen ndash Diva Palatua Diva Angerona Diva Rumina Bona Diva15 (auch Bona Dea) ndash fand in die Welt etab-lierter Gottheiten Wie zweideutig aber selbst die Begriffswahl war zeigt die Tatsache dass noch Cicero gerade den Begriff divus fuumlr alte deus als Bezeichnung fuumlr neue durch Vergoumlttlichung von Menschen entstandene Gottheiten verwendet zu haben scheint (hier ist die Textuumlberlieferung pro-blematisch)16 Kurzum in Bezug auf einen ehe-mals lebenden Menschen suggerierte der Begriff divus eine erkennbare Statusaumlnderung In Rom lieferten die Senatoren oder die Nachfol-ger der Verstorbenen mit dem Konsekrationsri-tual die Grundlage fuumlr diese Veraumlnderung Bild-lich zum Teil auch rituell war die Metapher der Himmelfahrt ndash ob in Gestalt eines aufsteigenden Adlers oder als Fahrt auf dem Sonnenwagen ndash dafuumlr zentral Dieser Aufstieg konnte beobachtet werden war wie das Auftauchen eines neuen Sterns eines Kometen im Falle Caesars (oder das leere Grab mit dem weggeschobenen Stein im Falle Jesu) empirisch fassbar oder durch Au-genzeugen beglaubigt Das etablierte Ritual knuumlpfte an alte Geschichten an beginnend mit Romulus und wiederholte diese zuverlaumlssig und beobachtbar es fand immer auf dem Marsfeld statt die Organisatoren lieszligen immer einen Adler aufsteigen den jedermann beobachten konnte es gab immer einen Scheiterhaufen selbst wenn die Leiche laumlngst beseitigt war17 Die Aufstiegs-

geschichte diese bdquoAszendenz-Theologieldquo war krude Doch sie erlaubte auch Kontrolle Nicht jedem wurde das Marsfeld fuumlr ein solches Ritual geoumlffnet Fuumlr die Alternativen zu diesem scharf markierten Aufstieg vom Menschen zum Gott gab es keine vergleichbare Kontrolle und rituelle Standardisie-rung Die reichsten Assoziationen bot die Vorstel-lung der andere und vor allem der Herrscher koumlnne die Epiphanie eines bekannten Gottes sein Diese Annahme in eigene religioumlse Kommu-nikation einzubauen war nicht nur ehrenvoll fuumlr den so identifizierten Kaiser (falls ein boumlswilliger Beobachter den Vorwurf der Majestaumltsverletzung geltend machen wollte) sondern erschloss auch ein reiches Spektrum an Bildern und Geschichten die zur weiteren Plausibilisierung herangezogen werden konnten In der konkreten Situation duumlrf-te aber zumeist der umgekehrte Vorgang wichti-ger gewesen sein Die Ansprache des bekannten Gottes konnte mit den persoumlnlichen und politi-schen Facetten des Kaisers wichtiger und in der Situation relevanter gemacht werden Die Figur des Herkules war hier eine naheliegende Wahl war dieser doch tatkraumlftig Ordnung schaffend und zudem selbst ein Aufsteiger vom Menschen zum Gott Er war also eine passende Reflexions-figur fuumlr den Sachverhalt der hier zur Debatte stand Das Spektrum war jedoch noch weiter Es reichte von Iuppiter dem zentralen politischen Gott der Stadt Rom und Zeus der eine vergleich-bare Rolle in vielen Staumldten der ostmediterranen Welt spielte uumlber den triumphierenden Dionysus (uumlbertragen auf Liber Pater) bis hin zu Apollo und Romulus Quirinus In manchen Faumlllen legte der Betroffene solche Gleichsetzungen selbst nahe indem er etwa eine Gottheit zu einem besonders wichtigen eigenen Adressaten machte ihr Tempel oder Spiele stiftete oder sich selbst entsprechend kleidete Naumlhe und genealogische Beziehung Epiphanie oder innere Praumlsenz des Goumlttlichen ndash die Moumlg-lichkeiten das Verhaumlltnis zu konzeptualisieren waren vielfaumlltig ein Bedarf an Praumlzision war eher

15 ZB Varro ling 745 Fasti Praenestini Inscr It 132139 Ov am 3637 fast 5148 Plin Nat 365 Solin 16 Aug civ 610 (Varro) 16 Cic leg 222 in der Textrekonstruktion durch Andrew Dyck 17 So Anne-Francoise Jaccottet raquoDu Corps Humain au Corps Divin Lrsquoapotheacuteose dans lrsquoimaginaire et les repreacutesentations figureacuteeslaquo in P Borgeaud D Fabiano (Hgg) Reception et Construction du Divine dans lrsquoAntiquiteacute Recherches et Rencontres 31 Genegraveve 2013 S 293ndash32218 ILS 119-121

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selten In Ritualen die den Initiatoren so wichtig waren dass sie auch in inschriftlicher Form einen Niederschlag fanden wurde so die verstorbene Livia als (im Dativ der Empfaumlngerin) Livia Augusti dea Iuno Livia (Liviae) Augusti und Ceres Iulia (Iuliae) Augustaae angesprochen18 Was im Sprachlichen doppeldeutig blieb lieszlig sich bildlich klaumlren etwa indem der Urheber der religioumlsen Kommunikation zwei Statuen nebeneinander stellte (Dea) Roma und Augustus waren ein be-liebtes Paar Venus und Caesar ein umstrittenes Die Wahl des Materials konnte dem Objekt eine Nuance geben die Betrachterinnen und Betrach-ter einte oder polarisierte Man konnte keine Goldstatue aufstellen und dann behaupten den Dargestellten nicht zu vergoumlttlichen Gerade die klar ausgewiesene Eigenstaumlndigkeit der Persoumln-lichkeit des Menschen provozierte dabei die Frage nach seinem ontologischen Status nach seinem Ort in einer Ordnung die fuumlr Engel Daumlmonen und Goumltter selbstverstaumlndlich aber im Detail raumlt-selhaft und in der jeweiligen Situation umstritten sein musste19

Uumlberlegungen zur Person des Augustus oder sei- ner Familie anzustellen war aber ndash allenfalls ndash ein Nebenaspekt bei der Wahl gerade solcher Adres-

saten in religioumlser Kommunikation Der zentrale bdquoTrickldquo dieser Wahl bestand vielmehr in der enor-men Relevanzsteigerung einer Kommunikation die in einen lokalen Kontext einen unbezweifel-bar reichsweit handelnden Akteur einbezog Das mochten Umstehende als bdquounnoumltigldquo betrachten das aumlnderte jedoch nichts daran dass der oder die Initiatorin damit ihr Anliegen aufgewertet hatte ndash gleichzeitig freilich dazu aufgefordert war eine entsprechend aufwendige Gestaltung dieser Kommunikation zu liefern Amatius hatte das gespuumlrt ndash und seine maumlchtigeren Konkurren-ten auch Ob als Gott oder nur Widmungstraumlger als Adressat nicht nur religioumlser sondern auch literarischer Kommunikation Als moumlglicher Gott war der Herrscher wichtiger geworden In der Kenntnis um diese antiken Zusammenhaumlnge sieht man die Kommunikation mit und uumlber heutige Autokraten anders Weit muss man dazu nicht schweifen

Impressum ISSN 0945-2257

Latein und Griechisch in Berlin und Brandenburg erscheint vierteljaumlhrlich und wird herausgegeben vom Vorstand des Landesverbandes Berlin und Brandenburg im Deutschen Altphilologenverband (DAV) wwwdavbbde

1 Vorsitzender Prof Dr Stefan Kipf Humboldt Universitaumlt zu Berlin Didaktik Griechisch und Latein middot Unter den Linden 6 middot 10099 Berlin stefankipfstaffhu-berlinde

2 Vorsitzende StR Gerlinde Lutter Tagore-SchuleGymnasium Berlin middot g1lutteraolcom Andrea Weiner Alexander von Humboldt Gymnasium Eberswalde

Schriftleitung des Maya BrandlMitteilungsblattes Zehntwerderweg 171 a middot 13469 Berlin middot mayabrandlgmxde

Kassenwartin StR Peggy Klausnitzer peggyklausnitzert-onlinede

Beisitzer Prof Dr Nicola Houmlmke StD Dr Josef Rabl

Grafik Layout Fabian Ehlers Karlsruher Straszlige 12 middot 10711 Berlin middot wwwart-und-adde

19 Unter einem Begriff wie bdquoEngelldquo (angelos) konnten sich wiederum unterschiedlichste lokale Vorstellungen verbergen Rangar H Cline Ancient Angels Conceptualizing Angeloi in the Roman Empire Religions in the Graeco-Roman World 172 Leiden 2011 S 75

IMPR

ESSU

M

Peter Riemer Ein Anfang mit BE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stunde

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Liebe Ursula liebe Nicola lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende liebe Gaumlste bevor ich Peter Riemers Vortrag zum heutigen Jubilauml-umsfest verlese erlauben Sie mir einige

persoumlnliche Bemerkungen Wie die meisten von Ihnen wissen vertritt Nicola Houmlmke seit dem fuumlr uns schmerzlichen (aber verstaumlndlichen) Wech-sel Ursula Gaumlrtners nach Graz den Lehrstuhl fuumlr Klassische Philologie an unserer Universitaumlt Die Art und Weise wie sie dies tut etwa bei dem von Frau Gaumlrtner begruumlndeten sbquojour fi xelsquo oder im Altertumswissenschaftlichen Kolloquium fi nde ich hervorragend ich bin ihr nicht nur deswegen sehr dankbar und wuumlnsche Ihr dass sie dies auch weiterhin so tun kannAls mir Nicola Houmlmke vor kurzem mitteilte dass Peter Riemer seinen Vortrag an unserem Jubilauml-umsfest leider nicht halten koumlnne er es aber gut faumlnde wenn ich in seinem Namen seine Rede vortruumlge hatte ich aus verschiedenen Gruumlnden zunaumlchst groszlige Bedenken Einer dieser Gruumlnde reicht bis in meine Kindheit zuruumlck Bei der Feier der Heiligen Messe konnte ich als Ministrant nicht selten nur zu deutlich erleben wie sich die sonst durchaus neugierig gespannte Aufmerksamkeit meiner kleinen nordsaarlaumlndischen Heimatge-meinde just in dem Augenblick in einen ndash eu-phemistisch ausgedruumlckt ndash auffaumlllig veraumlnderten Ruhezustand verwandelte in dem der Pfarrer ankuumlndigte er werde statt zu predigen einen Hirtenbrief des Trierer Landesbischofs verlesen Nachdem mir Peter Riemer dann mitteilte dass er in seinem Vortrag vor allem aus sehr persoumln-licher Sicht an die Anfaumlnge des Potsdamer Insti-tuts fuumlr Klassische Philologie erinnern wolle ha-ben sich meine Bedenken sofort zerstreut Seine Gedanken und Erinnerungen die ich Ihnen gleich vortrage zeugen wie ich schon beim ersten Le-

sen feststellen konnte noch vom selben anste-ckenden Enthusiasmus mit dem er bereits vor zwanzig Jahren die ersten Studierenden in Pots-dam fuumlr die Beschaumlftigung mit antiken Texten zu begeistern verstanden hat Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine weitere ganz kurze persoumlnliche digressio Ich lese gerade ein spannendes Buch des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa der darin die Frage nach dem gelingenden bzw guten Leben mit Hilfe des Kriteriums der Resonanzerfahrung zu beantworten versucht Seine diesbezuumlglichen Analysen der verschiede-nen Lebenssphaumlren der Familie der Arbeit der Religion der Kunst des Sports fuumlhren ihn zu der nicht ganz uumlberraschenden Diagnose dass es fuumlr die Menschen kapitalistischer vor allem von Entfremdung gepraumlgter Gesellschaften der Postmoderne immer schwieriger werde lebens-wichtige Resonanz-Erfahrungen zu machen bei denen es in unterschiedlichen Zusammenhaumlngen nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-

Eingeleitet von Eugen Braun

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ven sondern auch leiblichen Beruumlhrung zwischen Subjekt und Welt komme (Wenn Ihnen dies jetzt zu unverstaumlndlich bzw philosophisch vor-kommt so haben Sie heute ab 21 Uhr wenn man Herrn Rosa glauben will die Moumlglichkeit ganz anschaulich auf dem Fernsehbildschirm ein zu-mindest bdquopraumlreflexives somatisch-soziales Reso-nanzgeschehenldquo mit zu verfolgen vorausgesetzt natuumlrlich Sie finden uumlberhaupt Gefallen daran 22 erwachsenen Menschen dabei zuzuschauen wie sie einem Ball hinterherlaufen und diesen in ein Tor zu befoumlrdern versuchen) Bei der Lektuumlre von Herrn Rosas Buch hat sich mir unwillkuumlrlich auch die Frage nach moumlglichen Resonanzerfah-rungen auf der Universitaumlt gestellt ich habe noch keine abschlieszligende Antwort gefunden Dass die Universitaumlt als Staumltte des Lernens und Lehrens primaumlr kein Ort zur Erfuumlllung lebensphilosophi-scher Sehnsuumlchte sein kann und darf sondern vor allem einen werturteilsfreien Fachunterricht zum Ziel haben muss der allenfalls zu einer bes-seren rationalen Abwaumlgung der verschiedenen Welt- und Lebensanschauungen beitragen kann wie sie auch in Texten der griechisch-roumlmischen Antike paradigmatisch erkennbar sind habe ich von Max Weber gelernt In seinem beruumlhmten Vortrag bdquoWissenschaft als Berufldquo hat Weber wie Sie wissen ebendies vor fast genau hundert Jahren den Studenten der Muumlnchener Universi-taumlt nachdruumlcklich verstaumlndlich zu machen ver-sucht In diesem Vortrag (Weber war uumlbrigens sbquoSchwipp-Schwagerlsquo von Wilamowitz) findet sich allerdings auch der bekannte Satz bdquoNichts ist fuumlr den Menschen als Menschen etwas wert was er nicht mit Leidenschaft tun kannldquo Wenn Studie-rende heute das Studium der Klassischen Philo-logie wie es scheint vor allem absolvieren und absolvieren muumlssen um sog Leistungspunkte zu erwerben entspricht dies einer allgemeinen Ent-wicklung der Universitaumlten die ich nicht weiter kommentieren will Dass Studierende sich dieser Entwicklung zum Trotz jedoch zum Gluumlck immer noch in Seminaren ja sogar Grammatikuumlbungen fuumlr den sbquoStofflsquo begeistern lassen habe ich selbst

noch heute Morgen erleben duumlrfen und in den letzten Jahren immer wieder vereinzelten Ruumlck-meldungen insbesondere zu Veranstaltungen Ursula Gaumlrtners entnehmen koumlnnen Aus der An-fangszeit unseres Instituts faumlllt mir in diesem Zu-sammenhang besonders Joumlrg Ruumlpkes Vorlesung uumlber Roumlmische Geschichtsschreibung ein deren Mitschnitt bzw Aufnahme Frau Geyer dann zu einem sehr begehrten Buch gemacht hat Wie spannend seine fachwissenschaftliche Beschrei-bung religioumlsen Handelns in der Antike (und der damit verbundenen vertikalen Resonanzachsen) sein kann haben Sie alle gerade selbst erleben koumlnnen (Ich persoumlnlich bin schon sehr gespannt auf sein neues Buch uumlber die Geschichte der an-tiken Religionen das am 19 September erscheint und fuumlr das ich an dieser Stelle schon einmal Reklame machen darf) Wie es Peter Riemer in seiner Potsdamer Zeit auf charismatische Weise verstanden hat das Interesse der Studierenden etwa fuumlr die Aeneis in lebendigen Diskussionen immer mehr zu vertiefen weiszlig ich von einzelnen Seminarteilnehmern und wie eindrucksvoll es ihm nicht nur damals gelungen ist sondern auch heute noch gelingt in den akademischen Lehr-betrieb auch Erfahrungen kuumlnstlerisch-performa-tiver Resonanz zu integrieren geht auch aus dem folgenden Vortrag hervor den ich nun verlesen darf (Dabei versuche ich den moumlglicherweise doch aufkommenden Gedanken dass Saarbruuml-cken wo Herr Riemer derzeit lehrt nicht weit von Trier entfernt liegt so gut es geht zu unter-druumlcken) Der Vortrag traumlgt den Titel sbquoEin Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stundersquo und beginnt mit den Worten

Liebe Frau Gaumlrtner liebe Frau Houmlmke lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende und sofern anwesend natuumlrlich auch zu begruuml-szligen der Dekan SpectabilisEs ist wirklich bedauerlich dass ich am heutigen Tag nicht selbst dabei sein kann das Institutsju-bilaumlum zu feiern Eine schon seit Monaten termi-nierte Berufungskommission mit Probevortraumlgen

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und der anschlieszligenden Entscheidungsfindung an eben dem 7 Juli 2016 laumlsst mich einfach nicht aus Saarbruumlcken fort Aber zumindest koumlnnen diese Zeilen hier verlesen werden Es muss wohl der 4 oder 5 Oktober 1995 gewesen sein als wir in Golm die kuumlnftigen Raumlume des Instituts fuumlr Klassische Philologie aufsuchten Eugen Braun und ich ndash wir waren verabredet und er moumlglicher-weise vor mir da Joumlrg Ruumlpke kam dann erst in der Woche darauf wenn ich mich recht entsinne ndash da hatten wir die Raumlume schon halbwegs einge-nommen freilich noch ohne neues Mobiliar Alles war muffig und ziemlich heruntergekommen Das hatte nichts mit den aktuellen Anglisten zu tun von denen wir die Raumlume erbten Vielmehr fanden sich in den Schreibtischen und Schraumln-ken Abschlussarbeiten und andere Unterlagen (Korrespondenzen und Berichte) aus der Zeit der Brandenburgischen Landeshochschule und zwar noch aus den Jahren vor der Wende Man hatte den Eindruck die Zimmer seien seit Gruumlndung der Universitaumlt 1991 nur nebenbei quasi behelfs-weise genutzt worden Sie konnten 11 so wie sie waren in ein DDR-Hochschul-Museum uumlberfuumlhrt werden Dietrich Schwanitz hatte offenbar diesel-ben Eindruumlcke gehabt und in seinem Roman bdquoDer Zirkelldquo absolut treffend wiedergegeben Schwa-nitz ist dem Ruf auf eine Potsdamer Anglistik-Professur bekanntlich nicht gefolgt (vielleicht deshalb) Nun gut Da standen wir also und mussten irgendwie anfangen Keine Beschriftung deutete darauf hin dass hier einmal das Institut fuumlr Klassische Philologie sein wuumlrde Wir brauch-ten dringend Material Computer Drucker Papier Nicht einmal Bleistifte waren vorhanden Fuumlr Bestellungen von Material und Geraumlten gab es Formblaumltter Die bekamen wir von Frau Schwarz der Verwaltungschefin der Fakultaumlt Wir fuumlllten die Formulare aus und mussten feststellen dass selbst dies nicht so einfach war wenn man noch gar nichts besaszlig Denn auf den Formularen wurde ein Stempel verlangt Man musste sogar wenn man einen Stempel bestellen wollte erst einmal selbst einen Stempel haben bdquoStempel und

Unterschriftldquo hieszlig es unten auf dem Blatt Kurios Wir zogen in die Romanistik und liehen uns von dort einen Stempel aus bdquoInstitut fuumlr Romanis-tikldquo Natuumlrlich strichen wir die Romanistik durch und schrieben in Druckbuchstaben sozusagen in lsquoStempelschriftrsquo bdquoKlassische Philologieldquo daruumlber und bestellten auf diese Weise erst einmal einen Stempel und dann das uumlbrige Material So ka-men wir an unsere ersten Bleistifte

Zu einem Universitaumltsinstitut gehoumlrt selbstver-staumlndlich eine gut bestuumlckte Bibliothek Da wir ja praktisch bei Null anfingen brauchten wir von allem alles Lexika und Handbuumlcher Primaumlrtexte und Sekundaumlrliteratur Weil auch andere Institu-te fuumlr ihre Buchbestaumlnde Geld benoumltigten aber schon vor uns da waren und ihre Anspruumlche laumlngst geltend gemacht hatten blieb fuumlr uns nur noch ein kleiner Rest aus dem Topf der Beschaf-fungsmittel Der Hinweis auf die gut ausgestatte-ten Bibliotheken in Berlin war uns nur ein schwa-cher Trost Schlieszliglich sollten so dachten wir die Studenten auch drauszligen in Golm Buumlcher vorfin-den die ihrem Studium dienten Wir skizzierten daher einen klassisch-philologischen Grundbe-stand und baten Frau Gaschuumltz die fuumlr unsere Bibliothek zustaumlndig war zu kaufen was der Markt eben hergab Aber auf dem Buumlchermarkt fanden sich freilich kaum aumlltere Werke bis zuruumlck ins 19 Jahrhundert Deshalb nahmen wir Kontakt mit den Instituten in Greifswald und Halle auf die sich gern von ihren Dubletten trennten um dafuumlr etwas Geld fuumlr Neuanschaffungen zu erhalten Joumlrg Ruumlpke wird sicher noch die Fahrt zu Martin Hose in Greifswald in Erinnerung haben (ich hoffe in guter) die wir so zuumlgig unternahmen (zugleich in Gespraumlche vertieft) dass uns irgendwo auf der Landstraszlige ein mecklenburg-vorpommersches Blitzgeraumlt erwischte Jedesmal wenn ich seitdem auf dem Weg an die Ostsee oder zuruumlck geblitzt werde (und das passiert leider immer wieder Mecklenburg-Vorpommern hat mehr Blitzgeraumlte als Einwohner) faumlllt mir die denkwuumlrdige Tour von damals wieder ein

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Somit bekamen wir nach und nach ndash wie gesagt fuumlr wenig Geld ndash einen systematischen Buchbe-stand in erstaunlicher Fuumllle zusammen Und da verschlug es mir den Atem als Frau Gaschuumltz aus dem Magazin der Potsdamer UB eine vollstaumlndi-ge Realenzyklopaumldie hervorzauberte Eine RE in Potsdam noch aus der Gruumlndungszeit der Paumld-agogischen Hochschule Wie war das moumlglich Die Klassische Philologie besaszlig als wir kamen noch keinen Bleistift hatte aber schon eine RE im Keller Des Raumltsels Loumlsung Wir waren nicht die ersten Ende der 40-er Jahre des 20 Jahrhun-derts sollte die Paumldagogische Hochschule auch Latein und Griechisch im Programm haben und kein geringerer als Werner Peeck (der letzte Wila-mowitz-Schuumller) war mit der Einrichtung betraut worden Auch er hatte damals mit Buumlcherkaumlufen begonnen Doch die Aufgabe der Lateinlehrer-ausbildung fuumlr die Oberschulen der DDR fiel dann den Hallensern zu Peeck ging folglich nach Halle sicherlich auch mit einigen Buumlchern im Gepaumlck Die RE lieszlig er aber in Potsdam zuruumlck Somit koumlnnten zieht man die Unterbrechung bis 1995 ab die Peeckschen Jahre hinzugerechnet werden und das heute zu feierende Jubilaumlum waumlre ein 25-JaumlhrigesIm Wintersemester 199596 hatten wir selbst-verstaumlndlich Lehrveranstaltungen angekuumlndigt Aber es kamen keine Studenten Wie denn auch Wir besaszligen ja nicht einmal eine Studienordnung Also setzten wir uns regelmaumlszligig zusammen Joumlrg Ruumlpke Eugen Braun und ich und bastelten an unseren Ordnungen fuumlr das Studium der Latei-nischen und der Griechischen Philologie Und es war nicht einfach die Ordnungen in der gebote-nen Eile durch die Gremien zu bringen vor allem die sogenannte LSK die Senatskommission fuumlr Studium und Lehre tat sich schwer damals gelei-tet von dem Mathematikdidaktiker Thomas Jahn-ke Ich erwaumlhne ihn namentlich weil er noch ein Schuumller des beruumlhmten Frankfurter Gymnasialleh-rers Eduard Bornemann war dem wir wunderba-re lateinische und griechische Grammatiken und Schulbuumlcher verdanken Herr Jahnke war unseren

Studiengaumlngen sehr zugetan an ihm lag es nicht dass sich manches verzoumlgerte Das der LSK ange-houmlrende Mitglied des Bildungsministeriums legte uns immer wieder Steine in den Weg Der Mann wollte unserem Konzept eines breit angelegten Lateinstudiums unter Einbeziehung sprachwis-senschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Ele-mente und definitiv gestuumltzt auf die klassischen Autoren nicht zustimmen und wollte uns glaub-haft machen dass das Latein des Mittelalters und das Neulateinische viel wichtiger seien fuumlr einen modernen Schulunterricht Nun gut Irgendwie hatten wir den Kampf dann doch gewonnen und das Ministerium beruhigen koumlnnen Wir erhielten postwendend den Auftrag uumlber hundert Latein-lehrer fuumlr das Land Brandenburg nachzuschulen Darin bestand dann tatsaumlchlich die groszlige Aufga-be der ersten Jahre des Instituts Jeden Freitag hatten wir unseren bdquoLehrertagldquo und ermoumlglich-ten (unterstuumltzt von der Weiterbildungs-GmbH in Babelsberg) einer groszligen Reihe von schon lange taumltigen Lehrerinnen und ndashlehrern das Erweite-rungsfach Latein zu erwerben vielleicht ist der eine oder die andere von damals heute hier ganz herzliche Gruumlszlige Es war eine wunderbare Zeit mit sehr schoumlnen Erfahrungen Aus einem Vergil-Proseminar uumlber die Aeneis im Winter 199798 ist die Idee hervorgegangen dass die Tragik der Didofigur nicht separat betrachtet werden koumlnne auch die Rolle des Aeneas habe tragische Zuumlge Die Tragik des Aeneas wenn man sie ernsthaft in den Blick nimmt geht auf Aischylos zuruumlck Die-sen Kerngedanken habe ich aus den Diskussionen mit den Lehrern mitgenommen Entsprechendes publiziert und zuletzt sogar im Rahmen eines Theaterprojekts auf die Buumlhne bringen koumlnnen

Joumlrg Ruumlpke und ich wurden ja glaube ich gebe-ten von Dingen zu berichten die wir aus Potsdam mitgenommen bzw die uns beeinflusst haben Dies waumlre eines das Aischyleische in der Aeneis Dann waumlre auf jeden Fall zu nennen eine von Joumlrg Ruumlpke Pedro Barcelo und mir zusammen mit John Scheid im Steiner-Verlag herausgegebene

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Reihe die noch im Namen ihren Ursprung verraumlt bdquodie Postdamer altertumswissenschaftlichen Bei-traumlgeldquo mittlerweile 55 Baumlnde umfassend

Was mir Potsdam mit auf den Weg gegeben hat ist zudem die Interdisziplinaritaumlt In Koumlln wo ich akademisch aufgewachsen bin konzentrierten sich die einzelnen Disziplinen sehr auf sich selbst (ich glaube das machen sie auch heute noch) Das mag an der Groumlszlige der Faumlcher oder auch an der Groumlszlige der dortigen Philosophischen Fakultaumlt liegen In Potsdam haben wir von Beginn an unter weitaus engeren Bedingungen die Naumlhe zu ande-ren Disziplinen und das Miteinander gesucht Ich denke gern an die gemeinsamen Lehrveranstal-tungen mit dem Anglisten Peter Drexler oder mit der Germanistin Margrid Bircken zuruumlck Aus der Zusammenarbeit mit diesen Nachbarphilologien ist denn auch der Studiengang bdquoVergleichende Literaturwissenschaftldquo hervorgegangen heute ndash nachdem die Kunstgeschichte die seinerzeit noch fehlte dazugekommen ist ndash bdquoVergleichende Lite-ratur- und Kunstwissenschaftldquo Aumlhnliches erlebe ich in Saarbruumlcken wo wir durch die Reduktion verschiedener Faumlcher auf einzelne Professuren geradezu gezwungen sind kooperativ zu for-schen und zu lehren Die Gemeinschaft der Alter-tumswissenschaften mit Alter Geschichte Klassi-scher Archaumlologie Vor- und Fruumlhgeschichte und der Klassischen Philologie in Bachelor- und Mas-terstudiengaumlngen ist ein Beispiel Kuumlnftig werden noch die bdquoEuropaumlischen Literaturenldquo mit alt- und neuphilologischen Angeboten an der Universitaumlt des Saarlandes dazukommen Dies kann durch-aus mit dem verglichen werden was wir damals in Potsdam schon kennengelernt haben Wenn ich bdquowirldquo sage beziehe ich immer Christoph Ku-gelmeier mit ein der mir im Sommer 2000 als Assistent ins Saarland folgte und heute als auszliger-planmaumlszligiger Professor zu einem unverzichtbaren Kollegen geworden istAls letzten Punkt in Sachen Mitnahme und Wei-terwirken moumlchte ich erwaumlhnen dass die Verbin-dung zwischen dem ortsansaumlssigen Theater und

der Klassischen Philologie hier in Potsdam fuumlr uns praumlgend war Das Hans-Otto-Theater war damals offen fuumlr vielfaumlltige Kooperationen mit uns Altphi-lologen Wir konnten eine Tagung zum bdquoChor im antiken und modernen Dramaldquo auf der Proben-buumlhne des Theaters durchfuumlhren keine rein wis-senschaftliche Konferenz sondern eine Mischung aus Theorie und Praxis Klassische Philologen Anglisten und Germanisten kamen zu Wort Da-neben aber berichtete ein Opernregisseur der die euripideischen Bakchen in Athen inszeniert hatte von seiner Arbeit der griechische Komponist der die Original-Chorpartien der Bakchen zum Klin-gen gebracht hatte erklaumlrte uns seine Prinzipien ein Berliner Regisseur sprach uumlber zwei Oumldipus-Inszenierungen in Afrika und Chemnitz usw die-se Erfahrung eines produktiven Bruumlckenschlags zwischen den Dramentexten und der Buumlhne praumlgt seitdem unsere Arbeit Wir sind heute wie-der eng verbunden mit der Buumlhnenpraxis diesmal mit dem Saarlaumlndischen Staatstheater dem wir wie seinerzeit in Potsdam hin und wieder fuumlr die Inszenierung antiker Stuumlcke beratend zur Seite stehen und richten Konferenzen aus auf denen Dramaturgen und Regisseure mit Literaturwis-senschaftlern ins Gespraumlch kommen

Vielleicht haben wir damit ein Stuumlck Potsdam an die Saar geholt Wir denken jedenfalls mit Weh-mut und Dankbarkeit an die Potsdamer Jahre zu-ruumlck Sie waren und sind nach wie vor wertvoll fuumlr uns Und ich empfinde es als ein besonderes Gluumlck dass das Potsdamer Institut eine so schouml-ne Entwicklung nach unserem Weggang genom-men hat Ein groszliges Kompliment an dieser Stelle an Ursula Gaumlrtner und und das gesamte Team Zu diesem Team gehoumlrt natuumlrlich Frau Geyer sie ist Herz und Seele des Instituts fuumlr Studierende und Mitarbeiter Da haben Joumlrg Ruumlpke und ich damals wohl eine unserer besten Entscheidungen getrof-fen gerade sie als Sekretaumlrin einzustellen Auch ihr ein herzlicher Gruszlig von der Saar an die Havel Und dies leitet uumlber zu geographisch-personalen Aspekten mit denen ich die Rede schlieszligen

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moumlchte Nicht nur hat Nicola Houmlmke die jetzt fuumlr einige Jahre die Geschicke der Klassischen Philo-logie am Neuen Palais mit bestimmt ihren Weg nach Potsdam uumlber Rostock genommen Auch Frau Geyer war vor ihrer Potsdamer Zeit an der Rostocker Universitaumlt in Diensten Dasselbe trifft auf Eugen Braun zu Eine wahrhaft gluumlckliche Rostock-Potsdam-Konnexion

Zu Ursula Gaumlrtner Sie war mir schon ein Begriff als sie sich in Leipzig habilitierte denn Ekkehard Staumlrk hatte 1999 in einem Potsdamer Promoti-onsverfahren gegutachtet (es ging um Plautus) und konnte wie er mir im Januar 2000 schrieb nicht an der Disputatio Anfang Februar teilneh-men weil er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation mit seinen Kraumlften haushalten musste und ihm in diesem Zeitraum die Habilitation von Frau Gaumlrtner mehr am Herzen lag Wir hatten da-fuumlr vollstes Verstaumlndnis Und so war es erfreulich zu sehen dass eben diese Ursula Gaumlrtner sich bald darauf um die Nachfolge auf dem Lehrstuhl in Potsdam bewarb und das auch noch mit Erfolg ndash Sie heute in Graz zu wissen ist ebenfalls begluuml-ckend Bitte nicht missverstehen Das hat nichts mit dem Wegsein von Potsdam als vielmehr mit

dem Dasein in Graz zu tun Auch hier wieder eine kuriose Fuumlgung Im Jahre 2010 waren Norbert Franz fuumlr die Slavistik und ich fuumlr die Klassische Philologie als Gutachter in Graz taumltig Es ging um die Evaluation der Literaturwissenschaften dort In dem Abschlussbericht konnten bzw mussten wir hervorheben dass die Grazer Klassische Phi-lologie nie zu einer vollen Entfaltung gelangt wenn nur die Griechischprofessur besetzt ist Bei aller Liebe fuumlr das Griechische Ohne Latein geht es nicht Ob sich die Universitaumlt jene Hinweise auf die Bedeutung der lateinischen Literatur fuumlr die uumlbrigen Literaturwissenschaften zu Herzen ge-nommen hat weiszlig ich nicht Aber das Ergebnis stimmt Jetzt hat die dortige Klassische Philologie mit der Besetzung der Latinistik wieder eine aus-sichtsreiche Zukunft Daher mein Zuruf Macte virtute esto

Der Zuruf gilt auch den Potsdamern Ich wuumlnsche dem Institut fuumlr Klassische Philologie und der Alt-philologie in Brandenburg insgesamt weiterhin groumlszligtmoumlgliche Wirksamkeit Und fuumlr heute ein schoumlnes Fest

Ihr Peter Riemer

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1 VorbemerkungEs ist merkwuumlrdig bei dem traditionellen Som-merfest der Klassischen Philologie als Vortra-gende aufzutreten nachdem ich selbst in all den Jahren unsere Gastvortragenden vorgestellt habe und letztes Jahr Frau Nicola Houmlmke die mich nun gerade vorgestellt hat Als wir zum ersten Mal das diesjaumlhrige Sommerfest ansprachen war auch gar nicht klar ob ich weg sein wuumlrde Nur dass alle bisherigen Professorinnen und Professoren sprechen sollten stand bald fest Dass ich dies nun als ehemalige Professorin tue erfuumlllt mich mit einem merkwuumlrdigen Gefuumlhl Der Titel mei-nes Vortrags war als Platzhalter gedacht er blieb dann aber weil er so passend war Der persoumln-liche Bezug ist offensichtlich Mir ging natuumlrlich sehr viel durch den Kopf nach uumlber einem Jahr-zehnt hier vor Ort wo ich so viele Studierende und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe Aber es war gewuumlnscht uumlber etwas zu sprechen das in Potsdam seinen Anfang nahm Ich habe hier begonnen mich intensiv mit Phaedrus zu beschaumlftigen mehrere Auf-saumltze sind hier entstanden dann der Kommentar zu Buch 1 und zuletzt bis in die letzten Stunden vor dem Umzug im Februar ein ausfuumlhrlicher For-schungsbericht In mehreren Seminaren konnte ich mit Studierenden meine Ideen zu Phaedrus diskutieren hier ist die Gelegenheit mich auch hierfuumlr einmal zu bedanken Das Gleiche gilt fuumlr das Altertumswissenschaftliche Kolloquium so-wie die Diskussionsrunden an unserem Jour fi xe Bei einem solchen Thema denkt man bisweilen es sei abgeschlossen doch dann tun sich immer

Uumlberlegungen aus gegebenem Anlass Ein Vortrag in vier Kapiteln und zwei Vorbemerkungen

Der Vortragsstil wurde beibehalten

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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Herr Prof Dr Peter Riemer war ab 1995 Professor fuumlr Klassische Philologie in Potsdam von 1998ndash2000 auch Dekan der Philosophischen Fakultaumlt und wechselte dann im Sommersemester 2000 auf eine Professur fuumlr Klassische Philologie an der Universitaumlt des Saarlandes in Saarbruumlcken wo er bis heute lehrt Sein Forschungsinteresse galt damals wie heute dem griechischen und roumlmi-schen Drama sowie der lateinischen Literatur der Renaissance und seine zahlreichen neuen Pub-likationen belegen eindrucksvoll die Breite und Relevanz dieser spannenden Forschungsgebiete Herr Riemer konnte es leider aus Termingruumlnden nicht einrichten hier heute persoumlnlich zu erschei-nen hat aber in enger Absprache mit seinem damaligen Mitarbeiter Herrn Dr Eugen Braun der unserem Institut ja gluumlcklicherweise bis heute erhalten geblieben ist seine Erinnerungen an die turbulente Anfangszeit zu Papier gebracht und Herrn Braun uumlberzeugen koumlnnen diese ndash erwei-tert um eigene Eindruumlcke ndash hier zu verlesen bdquoEin Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten StundeldquoDie dritte im Bunde Frau Prof Dr Ursula Gaumlrtner muss gluumlcklicherweise auch dem juumlngsten Bache-lorstudierenden nicht eigens vorgestellt werden denn sie hat hier von 2001 bis vor wenigen Mo-naten als seither einzige Lehrstuhlinhaberin fuumlr Klassische Philologie gelehrt bevor sie im Maumlrz fuumlr voraussichtlich fuumlnf Jahre an die Universitaumlt Graz gewechselt ist Neben vielen anderen Auto-ren wie Quintus Smyrnaeus und Valerius Flaccus gehoumlrt ihre Liebe seit mehreren Jahren vor allem den Fabeln des Phaedrus Dazu hat sie letztes Jahr ein Opus magnum vorgelegt und davon han-delt auch ihr heutiger Vortrag mit dem symbol-traumlchtigen Titel bdquoAnfang und Endeldquo Anlaumlsse wie dieser geben daruumlber hinaus auch Gelegenheit sich der fruchtbaren Eingebunden-heit der Klassischen Philologie in den Faumlcher-verbund der Philosophischen Fakultaumlt erneut bewusst zu werden Daher wissen wir es sehr

zu schaumltzen dass sich der Dekan der Fakultaumlt Herr Prof Dr Thomas Brechenmacher bereiter-klaumlrt hatte ein Gruszligwort an die Festgesellschaft zu richten Da er nun unvorhergesehenermaszligen erkrankt ist sind wir umso dankbarer dass unser Prodekan Herr Prof Dr Johannes Haag bereit und willens war kurzfristig fuumlr ihn einzuspringen Zum Abschluss noch ein wichtiger Hinweis Un-sere Feierstunde wird nach dem offiziellen Teil ihre froumlhliche Fortsetzung in und vor bdquounseremldquo Haus 11 mit zwei weiteren Traditionselementen finden naumlmlich dem neuesten Theaterstuumlck des bdquoGrex Potsdamiensisldquo und dem anschlieszligenden Sommer-Grill-Fest aus gegebenem Anlass dies-mal mit Public Viewing des EM-Halbfinalspiels Deutschland ndash Frankreich ab 21 Uhr

Ich freue mich auf einen schoumlnen Abend in gro-szliger bunter Runde danke Ihnen fuumlr Ihr zahlrei-ches Kommen und Ihr Interesse und wuumlnsche der Klassischen Philologie Potsdam alles Gute fuumlr die weitere Zukunft deren erste Phase ich ja erfreuli-cherweise werde selbst miterleben und mitgestal-ten koumlnnen Auf die naumlchsten 20 Jahre

PD Dr Nicola Houmlmke 7 Juli 2016

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01 S die Arbeit des DFG-Schwerpunktprogramms 1080 bdquoRoumlmische Reichs- und Provinzialreligionldquo etwa Hubert Cancik Konrad Hitzl (Hg) Die Praxis der Herrschervereh- rung in Rom und seinen Provinzen Tuumlbingen 2003 Hubert Cancik Joumlrg Ruumlpke Franca Fabricius Die Religion des Imperium Romanum Koine und Konfrontationen Tuumlbingen 200902 Siehe Ruumlpke Pantheon Geschichte der antiken Religionen Muumlnchen 2016 dem ich hier folge03 Val Max 9151 Liv Per 116 spricht von bdquoSohnldquo und der Abstammung aus niedrigsten Verhaumlltnissen04 Cic Att 146-805 App civ 312-3

Joumlrg Ruumlpke Divi Augusti oder Wozu braucht man die neuen Goumltter

Herzlichen Dank fuumlr die Einladung und herzlichen Gluumlckwunsch zum 20-jaumlh-rigen Jubilaumlum des Lehrbeginns ndash oder zu 20 Jahren Uumlberleben trotz vieler Sparzwaumlnge sicher den Fach-

vertreterinnen wie der Fakultaumlt geschuldet Mein Beitrag soll und kann nur ein kurzer sein Gerne moumlchte ich den Bereich vorstellen der mir in den Jahren 1995ndash99 wichtig war und noch heute wichtig ist die Texte die den Hauptgegenstand der Lateinischen Philologie ausmachen in ihrem groumlszligeren kulturellen Kontext zu sehen Und Teil dieses Kontextes war etwas was die Antike deut-lich von der heutigen Zeit zu trennen scheint die mit der Verehrung Caesars beginnende Vereh-rung roumlmischer Herrscher in Rom und im Impe-rium RomanumbdquoKaiserkultldquo das scheint auf der houmlchsten insti-tutionellen Ebene zu liegen Aber viele Befunde haben Zweifel daran geweckt1 Die Perspektive der bdquogelebten antiken Religionldquo erlaubt es mit der Kamera des Forschers ganz dicht an die Er-eignisse heranzukommen2 Den Anstoszlig zu einer postumen Verehrung des am 15 Maumlrz 44 v Chr ermordeten und anschlieszligend im Tumult auf dem Forum verbrannten Caesars gab ein gewis-ser Gaius Amatius Mit einigen Anhaumlngern lieszlig er einen Altar an der Stelle des Scheiterhaufens

errichten Dieser Amatius war kein unbeschrie-benes Blatt Er war schon fruumlher als angeblicher Enkel des populaumlren Heerfuumlhrers und mehrfachen Konsuls Gaius Marius aufgetreten Obwohl er ei-gentlich ein Pferde- oder Augenarzt namens He-rophilus gewesen sein soll (die Textuumlberlieferung ist nicht eindeutig) sammelte er doch zahlreiche Anhaumlnger als angeblicher Verwandter Caesars der ihn nur mit Muumlhe loswerden konnte3 Selbst Cicero sprach von ihm als Marius4 In dieser Rolle schwor er den Caesar-Moumlrdern Rache wurde je-doch selbst von Marcus Antonius beseitigt bevor der Altar in Betrieb genommen werden konnte Doch das Volk besetzte das Forum und verlangte

Joumlrg Ruumlpke Max-Weber-Kolleg fuumlr kultur- und sozialwissenschaftliche Studien Universitaumlt Erfurt

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auch nach der Ermordung des Amatius den Altar einzuweihen und die ersten Opfer fuumlr Caesar dar-bringen zu lassen5 Caesar als Gott zu verehren war also offensichtlich ein verbreiteter Wunsch Aber seine Verwirklichung barg ein gewisses Risiko Im Ringen um die Macht kam ein Konkur-rent der Caesar als Gott auf seine Seite brachte den Nachfolgern ndash noch ndash gaumlnzlich ungelegen Rufmord ndash das zeigte die Uumlberlieferung uumlber den angeblichen Pferdearzt ndash musste den Mord erst vervollstaumlndigen Gut dreiszligig Jahre vorher war die Reihenfolge der Aktionen und Reaktionen umgekehrt gewesen Mit der Darbringung von Kerzen und Weihrauch verehrten roumlmische Buumlrger den Neffen des be-ruumlhmten Feldherrn Gaius Marius der als Marcus Marius (Gratidianus) zweimaliger Stadtpraumltor gewesen war noch zu Lebzeiten Sulla Mariusrsquo erbitterter Gegner lieszlig den so Verehrten durch Catilina ergreifen ihm die Beine brechen die Augen ausstechen Zunge und Arme abschnei-den und ihn gliedweise bei lebendigem Leibe zerstuumlckeln wie Seneca mehr als einhundert Jahre spaumlter voller Abscheu in seiner Abhandlung bdquoUumlber den Zornldquo berichtete6 Auch hier war die Einbeziehung eines uumlbermenschlichen Akteurs in

das Alltagshandeln roumlmischer Buumlrger ein Risiko das nach dem Wechsel der Machthaber geahndet wurde Neu war das alles nicht Schon 100 Jahre fruumlher lieszlig Plautus seiner Komoumldie Asinaria seine Charaktere daruumlber streiten mit welchen traditi-onellen Goumltternamen sie ihren Wohltaumlter anreden sollten Daruumlber dass Darbringungen vor einer Statue und einem Altar ihn als Gott konstituieren wuumlrden waren sie sich einig7

Religioumlse Kommunikation mit einem neuen Ad-ressaten war also leicht ins Werk zu setzen Durch wenige konventionelle Zeichen oder Handlungen beziehungsweise deren Kombination war sie als solche erkennbar Ob sie von den Anderen als angemessen beurteilt wurde war weit weniger einfach vorherzusagen denn die Initiative muss-te nicht immer bei den sozialen oder politischen Spitzen der Gesellschaft liegen Ganz im Gegen-teil wie gesehen konnten solche Initiativen be-stehende Machtkonstellationen in verschiedener Hinsicht veraumlndern Die Einbeziehung von leben-den oder juumlngst verstorbenen (und mit Verwand-ten versehenen) Personen als neue Adressaten

06 Sen Ira 3181ndash207 Plaut Asin 711ndash718

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religioumlser Verehrung war insofern nicht weniger brisant als die Einbeziehung von etablierten Gott-heiten etwa gegnerischer Gruppen oder Ethnien ob das nun der Gott der Juden Perser oder Dru-iden warWenn die religioumlse Initiative den Handlungsspiel-raum des Initiators oder der Initiatorin deutlich vergroumlszligern konnte war es wichtig dafuumlr Ver-buumlndete zu gewinnen vielleicht sogar uumlber die eigenen schon vorhandenen Anhaumlnger hinaus In Benevent errichtete vor dem Jahr 15 v Chr der Aufsteiger Publius Veidius Publii filius Pollio ein bdquoCaesareumldquo fuumlr Augustus wie die Kolonie Be-nevent ndash jener Veidius der durch seine Grausam-keit Sklaven an Muraumlnen zu verfuumlttern literari-schen Ruhm gewann8 In Ferentinum errichtete einige Zeit spaumlter Sextus Hortensius Clarus nicht nur ein bdquoAugusteumldquo sondern den Buumlrgern auch ein Forum und ein Nebengebaumlude Er begleitete die Einweihung des auf eigene Kosten und auf eigenem Grund errichteten Gebaumludes mit einem groszligen Bankett9 Gerade soziale Aufsteiger ge-wannen durch die erfolgreiche Etablierung eines Kultortes oder jaumlhrlich wiederholter Rituale eine neue Qualitaumlt oumlffentlicher Praumlsenz Das steigerte ihre Bereitschaft fuumlr die damit entstehenden Kos-ten aufzukommen und die eigene Zeit dafuumlr ein-zusetzen entsprechende Rollen zu uumlbernehmen Die zahlreichen Beispiele von Augustalen (seviri Augustales) die den Kaiserkult in Italien besorg-ten zeigten das10 Religioumlses Handeln auszuwei-ten bot also fuumlr viele Beteiligte einen Gewinn

InstitutionenUnd dennoch etwas Neues zu beginnen war in Gesellschaften die ihre gefuumlhlte Stabilitaumlt aus dem gewannen bdquowas schon immer so gewesen warldquo immer ein Risiko Das nachzuahmen was die Maumlchtigen und Erfolgreichen Haumlndler oder fuumlr Rom arbeitende Verwalter taten war eine Moumlglichkeit ndash wobei auch Widerstand gelegent-lich schick sein konnte aber uns haumlufig verborgen bleibt Sichtbar war Anderes In der Nachahmung roumlmischer religioumlser Praktiken entstanden bei-spielsweise massenhaft Inschriften und Tempel im Westen des Imperium Romanum Wer wurde da verehrt Wenn man durch religioumlses Handeln Handlungsspielraumlume und Positionen in der Mitte der bestehenden provinzialen Gesellschaften er-oumlffnen wollte war es wichtig dass der Angespro-chene das als bdquogoumlttlichldquo bestimmte also auch nicht leicht fassbare und damit nicht uumlber jeden Zweifel erhabene Gegenuumlber fuumlr die Umstehen-den doch zumindest einigermaszligen zustimmungs-faumlhig war11 Den fernen Augustus in Rom zu einem solchen goumlttlichen Gegenuumlber zu machen war sicher uumlberraschend hatte aber viel fuumlr sich Seine Exis-tenz war kaum zu bezweifeln seine Macht eben-so wenig Fuumlr entfernte Provinziale reicher Staumldte oder abgelegener Landdistrikte war das vermut-lich eher zu bestreiten als fuumlr Italiker Maumlnner mit roumlmischem Buumlrgerrecht oder frisch Unterworfene Allen jedoch bot der jeweilige Augustus einen eindeutigen Bezugspunkt eine Person deren Gesicht da und dort zu sehen dessen Name da und dort zu lesen von dessen Wirken da und dort zu erzaumlhlen warWie die Relevanz dieses fernen Gottes fuumlr den Ort in der Provinz im Einzelfall behauptet und wie der Adressat (oder die Adressatin) im Detail bestimmt wurde das hing von Verschiedenem ab von der Kompetenz und dem Wissen sowie dem Interesse an Originalitaumlt der einzelnen Akteure ebenso wie von lokalen Traditionen religioumlser Kommunikation Der Stadtrat der Kolonie Pisa entschied sich nach dem Tod des Lucius Caesar (17 v Chr bis 2 n

08 CIL 91556 Zur Person s Dio 54231ndash 609 CIL 11743110 Valentino Gasparini raquoLes cultes isiaques et les pouvoirs locaux en Italielaquo in L Bricault M J Versluys (Hgg) Power Politics and the Cults of Isis Proceedings of the Vth International Conference of Isis Studies Boulogne- sur-Mer October 13ndash15 2011 Leiden 2014 S 260ndash29911 Zu den Implikationen s Ruumlpke bdquoReligious Agency Identity and Communication Reflecting on History and Theory of Religionrdquo Religion 45 (2015) S 344ndash366

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Chr) des Adoptivsohnes des Augustus einen Altar mit einer jaumlhrlichen Feier fuumlr Luciusrsquo Manes zu errichten ndash das zunehmend gelaumlufig werden-de Di manes wie es massenhaft Grabsteine zu schmuumlcken begann wurde im Text mehrheitlich vermieden12 Doch nicht nur die Bezeichnung des Adressaten formulierte das Gremium und die na-mentlich genannten Schreiber Quintus Petillius Publius Rasinius Bassus Marcus Puppius Quin-tus Sertorius Pica Gnaeus Octavius Rufus und Aulus Albius Gutta sorgfaumlltig Ebenso sorgfaumlltig waren sie in der Anordnung der Handlungen die im Rahmen der Feier auszufuumlhren waren Die fuumlr die herausragenden Rollen des Totenritu-als Zugelassenen mussten schwarze Togen tra-gen Das zu schlachtende Rind und Schaf waren ebenfalls mit Binden schwarz zu schmuumlcken ndash in dem in Rom als tiefste Trauerfarbe verstandenen Blauschwarz13 Je eine Urne voll Milch Honig und

Oumll sollten uumlber den verbrannten Resten der Tiere ausgegossen werden Personen ohne Legitimati-on durch ein oumlffentliches Amt war die Mitwirkung erlaubt sie waren aber auf entweder eine Kerze eine Fackel oder einen Kranz beschraumlnkt die sie in den brennenden Holzstoszlig werfen durften Fuumlr weitere Regelungen schloss man sich dem ein-schlaumlgigen Beschluss des roumlmischen Senates an Das alles so vermerkte die inschriftliche Fassung des Beschlusses war auf einer Inschrift direkt am Altar festzuhalten Die religioumlse Kommunikation mit den Manen des Lucius war in der Auffuumlhrung des 20 August am eindrucksvollsten doch sie war daruumlber hinaus sichtbar schon allein durch den sorgfaumlltig platzierten Altar vor dem nach griechischem Muster auch die Verbrennung statt-fand

Wie muss man sich den goumlttlichen Kaiser vorstellenDas verbreitete Nachdenken uumlber das was Menschen ausmachte hatte sich im massen-haften Auftreten der Bezeichnung di manes auf Grabsteinen seit dem ausgehenden ersten Jahr-hundert v Chr niedergeschlagen Vor diesem Hintergrund wurde auch die Frage ob und wie Herrscher in politischer oder religioumlser Kommu-nikation anzusprechen waren diskutiert Im Feld der Moumlglichkeiten markierte divus eine Position die den Uumlbergang als eine scharf markierte Un-terscheidung fasste Formal der Titel einer Person ndash also etwa bdquoDivus Augustusldquo ndash behauptete man mit seiner Benutzung die Identitaumlt einer Persoumln-lichkeit von Mensch und Gott Aumlhnlich wie in der Republik die Senatoren diskutiert hatten ob beobachtete Vorzeichen als Prodigien fuumlr die res publica zu werten seien so diskutierten sie nun

12 CIL 111420 = ILS 139 sa den nachfolgenden Beschluss nach dem Tod des Bruders Gaius Caesar im Jahr 4 n Chr (CIL 111421 = ILS 140)13 Zu dieser Farblogik s Joumlrg Ruumlpke bdquoVexillum caeruleumrdquo RhM 136 (1993) S 374ndash37614 Zsuzsanna Vaacuterhelyi The Religion of senators in the Roman Empire Cambridge 2010 166

Joumlrg Ruumlpke im Gespraumlch mit Andreas Fritsch

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ob ein Mensch den sie selbst beobachtet hatten zum Gott geworden sein konnte14 Zugleich wies der Titel der sich auch in aumllteren Gottesnamen ndash Diva Palatua Diva Angerona Diva Rumina Bona Diva15 (auch Bona Dea) ndash fand in die Welt etab-lierter Gottheiten Wie zweideutig aber selbst die Begriffswahl war zeigt die Tatsache dass noch Cicero gerade den Begriff divus fuumlr alte deus als Bezeichnung fuumlr neue durch Vergoumlttlichung von Menschen entstandene Gottheiten verwendet zu haben scheint (hier ist die Textuumlberlieferung pro-blematisch)16 Kurzum in Bezug auf einen ehe-mals lebenden Menschen suggerierte der Begriff divus eine erkennbare Statusaumlnderung In Rom lieferten die Senatoren oder die Nachfol-ger der Verstorbenen mit dem Konsekrationsri-tual die Grundlage fuumlr diese Veraumlnderung Bild-lich zum Teil auch rituell war die Metapher der Himmelfahrt ndash ob in Gestalt eines aufsteigenden Adlers oder als Fahrt auf dem Sonnenwagen ndash dafuumlr zentral Dieser Aufstieg konnte beobachtet werden war wie das Auftauchen eines neuen Sterns eines Kometen im Falle Caesars (oder das leere Grab mit dem weggeschobenen Stein im Falle Jesu) empirisch fassbar oder durch Au-genzeugen beglaubigt Das etablierte Ritual knuumlpfte an alte Geschichten an beginnend mit Romulus und wiederholte diese zuverlaumlssig und beobachtbar es fand immer auf dem Marsfeld statt die Organisatoren lieszligen immer einen Adler aufsteigen den jedermann beobachten konnte es gab immer einen Scheiterhaufen selbst wenn die Leiche laumlngst beseitigt war17 Die Aufstiegs-

geschichte diese bdquoAszendenz-Theologieldquo war krude Doch sie erlaubte auch Kontrolle Nicht jedem wurde das Marsfeld fuumlr ein solches Ritual geoumlffnet Fuumlr die Alternativen zu diesem scharf markierten Aufstieg vom Menschen zum Gott gab es keine vergleichbare Kontrolle und rituelle Standardisie-rung Die reichsten Assoziationen bot die Vorstel-lung der andere und vor allem der Herrscher koumlnne die Epiphanie eines bekannten Gottes sein Diese Annahme in eigene religioumlse Kommu-nikation einzubauen war nicht nur ehrenvoll fuumlr den so identifizierten Kaiser (falls ein boumlswilliger Beobachter den Vorwurf der Majestaumltsverletzung geltend machen wollte) sondern erschloss auch ein reiches Spektrum an Bildern und Geschichten die zur weiteren Plausibilisierung herangezogen werden konnten In der konkreten Situation duumlrf-te aber zumeist der umgekehrte Vorgang wichti-ger gewesen sein Die Ansprache des bekannten Gottes konnte mit den persoumlnlichen und politi-schen Facetten des Kaisers wichtiger und in der Situation relevanter gemacht werden Die Figur des Herkules war hier eine naheliegende Wahl war dieser doch tatkraumlftig Ordnung schaffend und zudem selbst ein Aufsteiger vom Menschen zum Gott Er war also eine passende Reflexions-figur fuumlr den Sachverhalt der hier zur Debatte stand Das Spektrum war jedoch noch weiter Es reichte von Iuppiter dem zentralen politischen Gott der Stadt Rom und Zeus der eine vergleich-bare Rolle in vielen Staumldten der ostmediterranen Welt spielte uumlber den triumphierenden Dionysus (uumlbertragen auf Liber Pater) bis hin zu Apollo und Romulus Quirinus In manchen Faumlllen legte der Betroffene solche Gleichsetzungen selbst nahe indem er etwa eine Gottheit zu einem besonders wichtigen eigenen Adressaten machte ihr Tempel oder Spiele stiftete oder sich selbst entsprechend kleidete Naumlhe und genealogische Beziehung Epiphanie oder innere Praumlsenz des Goumlttlichen ndash die Moumlg-lichkeiten das Verhaumlltnis zu konzeptualisieren waren vielfaumlltig ein Bedarf an Praumlzision war eher

15 ZB Varro ling 745 Fasti Praenestini Inscr It 132139 Ov am 3637 fast 5148 Plin Nat 365 Solin 16 Aug civ 610 (Varro) 16 Cic leg 222 in der Textrekonstruktion durch Andrew Dyck 17 So Anne-Francoise Jaccottet raquoDu Corps Humain au Corps Divin Lrsquoapotheacuteose dans lrsquoimaginaire et les repreacutesentations figureacuteeslaquo in P Borgeaud D Fabiano (Hgg) Reception et Construction du Divine dans lrsquoAntiquiteacute Recherches et Rencontres 31 Genegraveve 2013 S 293ndash32218 ILS 119-121

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selten In Ritualen die den Initiatoren so wichtig waren dass sie auch in inschriftlicher Form einen Niederschlag fanden wurde so die verstorbene Livia als (im Dativ der Empfaumlngerin) Livia Augusti dea Iuno Livia (Liviae) Augusti und Ceres Iulia (Iuliae) Augustaae angesprochen18 Was im Sprachlichen doppeldeutig blieb lieszlig sich bildlich klaumlren etwa indem der Urheber der religioumlsen Kommunikation zwei Statuen nebeneinander stellte (Dea) Roma und Augustus waren ein be-liebtes Paar Venus und Caesar ein umstrittenes Die Wahl des Materials konnte dem Objekt eine Nuance geben die Betrachterinnen und Betrach-ter einte oder polarisierte Man konnte keine Goldstatue aufstellen und dann behaupten den Dargestellten nicht zu vergoumlttlichen Gerade die klar ausgewiesene Eigenstaumlndigkeit der Persoumln-lichkeit des Menschen provozierte dabei die Frage nach seinem ontologischen Status nach seinem Ort in einer Ordnung die fuumlr Engel Daumlmonen und Goumltter selbstverstaumlndlich aber im Detail raumlt-selhaft und in der jeweiligen Situation umstritten sein musste19

Uumlberlegungen zur Person des Augustus oder sei- ner Familie anzustellen war aber ndash allenfalls ndash ein Nebenaspekt bei der Wahl gerade solcher Adres-

saten in religioumlser Kommunikation Der zentrale bdquoTrickldquo dieser Wahl bestand vielmehr in der enor-men Relevanzsteigerung einer Kommunikation die in einen lokalen Kontext einen unbezweifel-bar reichsweit handelnden Akteur einbezog Das mochten Umstehende als bdquounnoumltigldquo betrachten das aumlnderte jedoch nichts daran dass der oder die Initiatorin damit ihr Anliegen aufgewertet hatte ndash gleichzeitig freilich dazu aufgefordert war eine entsprechend aufwendige Gestaltung dieser Kommunikation zu liefern Amatius hatte das gespuumlrt ndash und seine maumlchtigeren Konkurren-ten auch Ob als Gott oder nur Widmungstraumlger als Adressat nicht nur religioumlser sondern auch literarischer Kommunikation Als moumlglicher Gott war der Herrscher wichtiger geworden In der Kenntnis um diese antiken Zusammenhaumlnge sieht man die Kommunikation mit und uumlber heutige Autokraten anders Weit muss man dazu nicht schweifen

Impressum ISSN 0945-2257

Latein und Griechisch in Berlin und Brandenburg erscheint vierteljaumlhrlich und wird herausgegeben vom Vorstand des Landesverbandes Berlin und Brandenburg im Deutschen Altphilologenverband (DAV) wwwdavbbde

1 Vorsitzender Prof Dr Stefan Kipf Humboldt Universitaumlt zu Berlin Didaktik Griechisch und Latein middot Unter den Linden 6 middot 10099 Berlin stefankipfstaffhu-berlinde

2 Vorsitzende StR Gerlinde Lutter Tagore-SchuleGymnasium Berlin middot g1lutteraolcom Andrea Weiner Alexander von Humboldt Gymnasium Eberswalde

Schriftleitung des Maya BrandlMitteilungsblattes Zehntwerderweg 171 a middot 13469 Berlin middot mayabrandlgmxde

Kassenwartin StR Peggy Klausnitzer peggyklausnitzert-onlinede

Beisitzer Prof Dr Nicola Houmlmke StD Dr Josef Rabl

Grafik Layout Fabian Ehlers Karlsruher Straszlige 12 middot 10711 Berlin middot wwwart-und-adde

19 Unter einem Begriff wie bdquoEngelldquo (angelos) konnten sich wiederum unterschiedlichste lokale Vorstellungen verbergen Rangar H Cline Ancient Angels Conceptualizing Angeloi in the Roman Empire Religions in the Graeco-Roman World 172 Leiden 2011 S 75

IMPR

ESSU

M

Peter Riemer Ein Anfang mit BE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stunde

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Liebe Ursula liebe Nicola lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende liebe Gaumlste bevor ich Peter Riemers Vortrag zum heutigen Jubilauml-umsfest verlese erlauben Sie mir einige

persoumlnliche Bemerkungen Wie die meisten von Ihnen wissen vertritt Nicola Houmlmke seit dem fuumlr uns schmerzlichen (aber verstaumlndlichen) Wech-sel Ursula Gaumlrtners nach Graz den Lehrstuhl fuumlr Klassische Philologie an unserer Universitaumlt Die Art und Weise wie sie dies tut etwa bei dem von Frau Gaumlrtner begruumlndeten sbquojour fi xelsquo oder im Altertumswissenschaftlichen Kolloquium fi nde ich hervorragend ich bin ihr nicht nur deswegen sehr dankbar und wuumlnsche Ihr dass sie dies auch weiterhin so tun kannAls mir Nicola Houmlmke vor kurzem mitteilte dass Peter Riemer seinen Vortrag an unserem Jubilauml-umsfest leider nicht halten koumlnne er es aber gut faumlnde wenn ich in seinem Namen seine Rede vortruumlge hatte ich aus verschiedenen Gruumlnden zunaumlchst groszlige Bedenken Einer dieser Gruumlnde reicht bis in meine Kindheit zuruumlck Bei der Feier der Heiligen Messe konnte ich als Ministrant nicht selten nur zu deutlich erleben wie sich die sonst durchaus neugierig gespannte Aufmerksamkeit meiner kleinen nordsaarlaumlndischen Heimatge-meinde just in dem Augenblick in einen ndash eu-phemistisch ausgedruumlckt ndash auffaumlllig veraumlnderten Ruhezustand verwandelte in dem der Pfarrer ankuumlndigte er werde statt zu predigen einen Hirtenbrief des Trierer Landesbischofs verlesen Nachdem mir Peter Riemer dann mitteilte dass er in seinem Vortrag vor allem aus sehr persoumln-licher Sicht an die Anfaumlnge des Potsdamer Insti-tuts fuumlr Klassische Philologie erinnern wolle ha-ben sich meine Bedenken sofort zerstreut Seine Gedanken und Erinnerungen die ich Ihnen gleich vortrage zeugen wie ich schon beim ersten Le-

sen feststellen konnte noch vom selben anste-ckenden Enthusiasmus mit dem er bereits vor zwanzig Jahren die ersten Studierenden in Pots-dam fuumlr die Beschaumlftigung mit antiken Texten zu begeistern verstanden hat Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine weitere ganz kurze persoumlnliche digressio Ich lese gerade ein spannendes Buch des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa der darin die Frage nach dem gelingenden bzw guten Leben mit Hilfe des Kriteriums der Resonanzerfahrung zu beantworten versucht Seine diesbezuumlglichen Analysen der verschiede-nen Lebenssphaumlren der Familie der Arbeit der Religion der Kunst des Sports fuumlhren ihn zu der nicht ganz uumlberraschenden Diagnose dass es fuumlr die Menschen kapitalistischer vor allem von Entfremdung gepraumlgter Gesellschaften der Postmoderne immer schwieriger werde lebens-wichtige Resonanz-Erfahrungen zu machen bei denen es in unterschiedlichen Zusammenhaumlngen nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-

Eingeleitet von Eugen Braun

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ven sondern auch leiblichen Beruumlhrung zwischen Subjekt und Welt komme (Wenn Ihnen dies jetzt zu unverstaumlndlich bzw philosophisch vor-kommt so haben Sie heute ab 21 Uhr wenn man Herrn Rosa glauben will die Moumlglichkeit ganz anschaulich auf dem Fernsehbildschirm ein zu-mindest bdquopraumlreflexives somatisch-soziales Reso-nanzgeschehenldquo mit zu verfolgen vorausgesetzt natuumlrlich Sie finden uumlberhaupt Gefallen daran 22 erwachsenen Menschen dabei zuzuschauen wie sie einem Ball hinterherlaufen und diesen in ein Tor zu befoumlrdern versuchen) Bei der Lektuumlre von Herrn Rosas Buch hat sich mir unwillkuumlrlich auch die Frage nach moumlglichen Resonanzerfah-rungen auf der Universitaumlt gestellt ich habe noch keine abschlieszligende Antwort gefunden Dass die Universitaumlt als Staumltte des Lernens und Lehrens primaumlr kein Ort zur Erfuumlllung lebensphilosophi-scher Sehnsuumlchte sein kann und darf sondern vor allem einen werturteilsfreien Fachunterricht zum Ziel haben muss der allenfalls zu einer bes-seren rationalen Abwaumlgung der verschiedenen Welt- und Lebensanschauungen beitragen kann wie sie auch in Texten der griechisch-roumlmischen Antike paradigmatisch erkennbar sind habe ich von Max Weber gelernt In seinem beruumlhmten Vortrag bdquoWissenschaft als Berufldquo hat Weber wie Sie wissen ebendies vor fast genau hundert Jahren den Studenten der Muumlnchener Universi-taumlt nachdruumlcklich verstaumlndlich zu machen ver-sucht In diesem Vortrag (Weber war uumlbrigens sbquoSchwipp-Schwagerlsquo von Wilamowitz) findet sich allerdings auch der bekannte Satz bdquoNichts ist fuumlr den Menschen als Menschen etwas wert was er nicht mit Leidenschaft tun kannldquo Wenn Studie-rende heute das Studium der Klassischen Philo-logie wie es scheint vor allem absolvieren und absolvieren muumlssen um sog Leistungspunkte zu erwerben entspricht dies einer allgemeinen Ent-wicklung der Universitaumlten die ich nicht weiter kommentieren will Dass Studierende sich dieser Entwicklung zum Trotz jedoch zum Gluumlck immer noch in Seminaren ja sogar Grammatikuumlbungen fuumlr den sbquoStofflsquo begeistern lassen habe ich selbst

noch heute Morgen erleben duumlrfen und in den letzten Jahren immer wieder vereinzelten Ruumlck-meldungen insbesondere zu Veranstaltungen Ursula Gaumlrtners entnehmen koumlnnen Aus der An-fangszeit unseres Instituts faumlllt mir in diesem Zu-sammenhang besonders Joumlrg Ruumlpkes Vorlesung uumlber Roumlmische Geschichtsschreibung ein deren Mitschnitt bzw Aufnahme Frau Geyer dann zu einem sehr begehrten Buch gemacht hat Wie spannend seine fachwissenschaftliche Beschrei-bung religioumlsen Handelns in der Antike (und der damit verbundenen vertikalen Resonanzachsen) sein kann haben Sie alle gerade selbst erleben koumlnnen (Ich persoumlnlich bin schon sehr gespannt auf sein neues Buch uumlber die Geschichte der an-tiken Religionen das am 19 September erscheint und fuumlr das ich an dieser Stelle schon einmal Reklame machen darf) Wie es Peter Riemer in seiner Potsdamer Zeit auf charismatische Weise verstanden hat das Interesse der Studierenden etwa fuumlr die Aeneis in lebendigen Diskussionen immer mehr zu vertiefen weiszlig ich von einzelnen Seminarteilnehmern und wie eindrucksvoll es ihm nicht nur damals gelungen ist sondern auch heute noch gelingt in den akademischen Lehr-betrieb auch Erfahrungen kuumlnstlerisch-performa-tiver Resonanz zu integrieren geht auch aus dem folgenden Vortrag hervor den ich nun verlesen darf (Dabei versuche ich den moumlglicherweise doch aufkommenden Gedanken dass Saarbruuml-cken wo Herr Riemer derzeit lehrt nicht weit von Trier entfernt liegt so gut es geht zu unter-druumlcken) Der Vortrag traumlgt den Titel sbquoEin Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stundersquo und beginnt mit den Worten

Liebe Frau Gaumlrtner liebe Frau Houmlmke lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende und sofern anwesend natuumlrlich auch zu begruuml-szligen der Dekan SpectabilisEs ist wirklich bedauerlich dass ich am heutigen Tag nicht selbst dabei sein kann das Institutsju-bilaumlum zu feiern Eine schon seit Monaten termi-nierte Berufungskommission mit Probevortraumlgen

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und der anschlieszligenden Entscheidungsfindung an eben dem 7 Juli 2016 laumlsst mich einfach nicht aus Saarbruumlcken fort Aber zumindest koumlnnen diese Zeilen hier verlesen werden Es muss wohl der 4 oder 5 Oktober 1995 gewesen sein als wir in Golm die kuumlnftigen Raumlume des Instituts fuumlr Klassische Philologie aufsuchten Eugen Braun und ich ndash wir waren verabredet und er moumlglicher-weise vor mir da Joumlrg Ruumlpke kam dann erst in der Woche darauf wenn ich mich recht entsinne ndash da hatten wir die Raumlume schon halbwegs einge-nommen freilich noch ohne neues Mobiliar Alles war muffig und ziemlich heruntergekommen Das hatte nichts mit den aktuellen Anglisten zu tun von denen wir die Raumlume erbten Vielmehr fanden sich in den Schreibtischen und Schraumln-ken Abschlussarbeiten und andere Unterlagen (Korrespondenzen und Berichte) aus der Zeit der Brandenburgischen Landeshochschule und zwar noch aus den Jahren vor der Wende Man hatte den Eindruck die Zimmer seien seit Gruumlndung der Universitaumlt 1991 nur nebenbei quasi behelfs-weise genutzt worden Sie konnten 11 so wie sie waren in ein DDR-Hochschul-Museum uumlberfuumlhrt werden Dietrich Schwanitz hatte offenbar diesel-ben Eindruumlcke gehabt und in seinem Roman bdquoDer Zirkelldquo absolut treffend wiedergegeben Schwa-nitz ist dem Ruf auf eine Potsdamer Anglistik-Professur bekanntlich nicht gefolgt (vielleicht deshalb) Nun gut Da standen wir also und mussten irgendwie anfangen Keine Beschriftung deutete darauf hin dass hier einmal das Institut fuumlr Klassische Philologie sein wuumlrde Wir brauch-ten dringend Material Computer Drucker Papier Nicht einmal Bleistifte waren vorhanden Fuumlr Bestellungen von Material und Geraumlten gab es Formblaumltter Die bekamen wir von Frau Schwarz der Verwaltungschefin der Fakultaumlt Wir fuumlllten die Formulare aus und mussten feststellen dass selbst dies nicht so einfach war wenn man noch gar nichts besaszlig Denn auf den Formularen wurde ein Stempel verlangt Man musste sogar wenn man einen Stempel bestellen wollte erst einmal selbst einen Stempel haben bdquoStempel und

Unterschriftldquo hieszlig es unten auf dem Blatt Kurios Wir zogen in die Romanistik und liehen uns von dort einen Stempel aus bdquoInstitut fuumlr Romanis-tikldquo Natuumlrlich strichen wir die Romanistik durch und schrieben in Druckbuchstaben sozusagen in lsquoStempelschriftrsquo bdquoKlassische Philologieldquo daruumlber und bestellten auf diese Weise erst einmal einen Stempel und dann das uumlbrige Material So ka-men wir an unsere ersten Bleistifte

Zu einem Universitaumltsinstitut gehoumlrt selbstver-staumlndlich eine gut bestuumlckte Bibliothek Da wir ja praktisch bei Null anfingen brauchten wir von allem alles Lexika und Handbuumlcher Primaumlrtexte und Sekundaumlrliteratur Weil auch andere Institu-te fuumlr ihre Buchbestaumlnde Geld benoumltigten aber schon vor uns da waren und ihre Anspruumlche laumlngst geltend gemacht hatten blieb fuumlr uns nur noch ein kleiner Rest aus dem Topf der Beschaf-fungsmittel Der Hinweis auf die gut ausgestatte-ten Bibliotheken in Berlin war uns nur ein schwa-cher Trost Schlieszliglich sollten so dachten wir die Studenten auch drauszligen in Golm Buumlcher vorfin-den die ihrem Studium dienten Wir skizzierten daher einen klassisch-philologischen Grundbe-stand und baten Frau Gaschuumltz die fuumlr unsere Bibliothek zustaumlndig war zu kaufen was der Markt eben hergab Aber auf dem Buumlchermarkt fanden sich freilich kaum aumlltere Werke bis zuruumlck ins 19 Jahrhundert Deshalb nahmen wir Kontakt mit den Instituten in Greifswald und Halle auf die sich gern von ihren Dubletten trennten um dafuumlr etwas Geld fuumlr Neuanschaffungen zu erhalten Joumlrg Ruumlpke wird sicher noch die Fahrt zu Martin Hose in Greifswald in Erinnerung haben (ich hoffe in guter) die wir so zuumlgig unternahmen (zugleich in Gespraumlche vertieft) dass uns irgendwo auf der Landstraszlige ein mecklenburg-vorpommersches Blitzgeraumlt erwischte Jedesmal wenn ich seitdem auf dem Weg an die Ostsee oder zuruumlck geblitzt werde (und das passiert leider immer wieder Mecklenburg-Vorpommern hat mehr Blitzgeraumlte als Einwohner) faumlllt mir die denkwuumlrdige Tour von damals wieder ein

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Somit bekamen wir nach und nach ndash wie gesagt fuumlr wenig Geld ndash einen systematischen Buchbe-stand in erstaunlicher Fuumllle zusammen Und da verschlug es mir den Atem als Frau Gaschuumltz aus dem Magazin der Potsdamer UB eine vollstaumlndi-ge Realenzyklopaumldie hervorzauberte Eine RE in Potsdam noch aus der Gruumlndungszeit der Paumld-agogischen Hochschule Wie war das moumlglich Die Klassische Philologie besaszlig als wir kamen noch keinen Bleistift hatte aber schon eine RE im Keller Des Raumltsels Loumlsung Wir waren nicht die ersten Ende der 40-er Jahre des 20 Jahrhun-derts sollte die Paumldagogische Hochschule auch Latein und Griechisch im Programm haben und kein geringerer als Werner Peeck (der letzte Wila-mowitz-Schuumller) war mit der Einrichtung betraut worden Auch er hatte damals mit Buumlcherkaumlufen begonnen Doch die Aufgabe der Lateinlehrer-ausbildung fuumlr die Oberschulen der DDR fiel dann den Hallensern zu Peeck ging folglich nach Halle sicherlich auch mit einigen Buumlchern im Gepaumlck Die RE lieszlig er aber in Potsdam zuruumlck Somit koumlnnten zieht man die Unterbrechung bis 1995 ab die Peeckschen Jahre hinzugerechnet werden und das heute zu feierende Jubilaumlum waumlre ein 25-JaumlhrigesIm Wintersemester 199596 hatten wir selbst-verstaumlndlich Lehrveranstaltungen angekuumlndigt Aber es kamen keine Studenten Wie denn auch Wir besaszligen ja nicht einmal eine Studienordnung Also setzten wir uns regelmaumlszligig zusammen Joumlrg Ruumlpke Eugen Braun und ich und bastelten an unseren Ordnungen fuumlr das Studium der Latei-nischen und der Griechischen Philologie Und es war nicht einfach die Ordnungen in der gebote-nen Eile durch die Gremien zu bringen vor allem die sogenannte LSK die Senatskommission fuumlr Studium und Lehre tat sich schwer damals gelei-tet von dem Mathematikdidaktiker Thomas Jahn-ke Ich erwaumlhne ihn namentlich weil er noch ein Schuumller des beruumlhmten Frankfurter Gymnasialleh-rers Eduard Bornemann war dem wir wunderba-re lateinische und griechische Grammatiken und Schulbuumlcher verdanken Herr Jahnke war unseren

Studiengaumlngen sehr zugetan an ihm lag es nicht dass sich manches verzoumlgerte Das der LSK ange-houmlrende Mitglied des Bildungsministeriums legte uns immer wieder Steine in den Weg Der Mann wollte unserem Konzept eines breit angelegten Lateinstudiums unter Einbeziehung sprachwis-senschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Ele-mente und definitiv gestuumltzt auf die klassischen Autoren nicht zustimmen und wollte uns glaub-haft machen dass das Latein des Mittelalters und das Neulateinische viel wichtiger seien fuumlr einen modernen Schulunterricht Nun gut Irgendwie hatten wir den Kampf dann doch gewonnen und das Ministerium beruhigen koumlnnen Wir erhielten postwendend den Auftrag uumlber hundert Latein-lehrer fuumlr das Land Brandenburg nachzuschulen Darin bestand dann tatsaumlchlich die groszlige Aufga-be der ersten Jahre des Instituts Jeden Freitag hatten wir unseren bdquoLehrertagldquo und ermoumlglich-ten (unterstuumltzt von der Weiterbildungs-GmbH in Babelsberg) einer groszligen Reihe von schon lange taumltigen Lehrerinnen und ndashlehrern das Erweite-rungsfach Latein zu erwerben vielleicht ist der eine oder die andere von damals heute hier ganz herzliche Gruumlszlige Es war eine wunderbare Zeit mit sehr schoumlnen Erfahrungen Aus einem Vergil-Proseminar uumlber die Aeneis im Winter 199798 ist die Idee hervorgegangen dass die Tragik der Didofigur nicht separat betrachtet werden koumlnne auch die Rolle des Aeneas habe tragische Zuumlge Die Tragik des Aeneas wenn man sie ernsthaft in den Blick nimmt geht auf Aischylos zuruumlck Die-sen Kerngedanken habe ich aus den Diskussionen mit den Lehrern mitgenommen Entsprechendes publiziert und zuletzt sogar im Rahmen eines Theaterprojekts auf die Buumlhne bringen koumlnnen

Joumlrg Ruumlpke und ich wurden ja glaube ich gebe-ten von Dingen zu berichten die wir aus Potsdam mitgenommen bzw die uns beeinflusst haben Dies waumlre eines das Aischyleische in der Aeneis Dann waumlre auf jeden Fall zu nennen eine von Joumlrg Ruumlpke Pedro Barcelo und mir zusammen mit John Scheid im Steiner-Verlag herausgegebene

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Reihe die noch im Namen ihren Ursprung verraumlt bdquodie Postdamer altertumswissenschaftlichen Bei-traumlgeldquo mittlerweile 55 Baumlnde umfassend

Was mir Potsdam mit auf den Weg gegeben hat ist zudem die Interdisziplinaritaumlt In Koumlln wo ich akademisch aufgewachsen bin konzentrierten sich die einzelnen Disziplinen sehr auf sich selbst (ich glaube das machen sie auch heute noch) Das mag an der Groumlszlige der Faumlcher oder auch an der Groumlszlige der dortigen Philosophischen Fakultaumlt liegen In Potsdam haben wir von Beginn an unter weitaus engeren Bedingungen die Naumlhe zu ande-ren Disziplinen und das Miteinander gesucht Ich denke gern an die gemeinsamen Lehrveranstal-tungen mit dem Anglisten Peter Drexler oder mit der Germanistin Margrid Bircken zuruumlck Aus der Zusammenarbeit mit diesen Nachbarphilologien ist denn auch der Studiengang bdquoVergleichende Literaturwissenschaftldquo hervorgegangen heute ndash nachdem die Kunstgeschichte die seinerzeit noch fehlte dazugekommen ist ndash bdquoVergleichende Lite-ratur- und Kunstwissenschaftldquo Aumlhnliches erlebe ich in Saarbruumlcken wo wir durch die Reduktion verschiedener Faumlcher auf einzelne Professuren geradezu gezwungen sind kooperativ zu for-schen und zu lehren Die Gemeinschaft der Alter-tumswissenschaften mit Alter Geschichte Klassi-scher Archaumlologie Vor- und Fruumlhgeschichte und der Klassischen Philologie in Bachelor- und Mas-terstudiengaumlngen ist ein Beispiel Kuumlnftig werden noch die bdquoEuropaumlischen Literaturenldquo mit alt- und neuphilologischen Angeboten an der Universitaumlt des Saarlandes dazukommen Dies kann durch-aus mit dem verglichen werden was wir damals in Potsdam schon kennengelernt haben Wenn ich bdquowirldquo sage beziehe ich immer Christoph Ku-gelmeier mit ein der mir im Sommer 2000 als Assistent ins Saarland folgte und heute als auszliger-planmaumlszligiger Professor zu einem unverzichtbaren Kollegen geworden istAls letzten Punkt in Sachen Mitnahme und Wei-terwirken moumlchte ich erwaumlhnen dass die Verbin-dung zwischen dem ortsansaumlssigen Theater und

der Klassischen Philologie hier in Potsdam fuumlr uns praumlgend war Das Hans-Otto-Theater war damals offen fuumlr vielfaumlltige Kooperationen mit uns Altphi-lologen Wir konnten eine Tagung zum bdquoChor im antiken und modernen Dramaldquo auf der Proben-buumlhne des Theaters durchfuumlhren keine rein wis-senschaftliche Konferenz sondern eine Mischung aus Theorie und Praxis Klassische Philologen Anglisten und Germanisten kamen zu Wort Da-neben aber berichtete ein Opernregisseur der die euripideischen Bakchen in Athen inszeniert hatte von seiner Arbeit der griechische Komponist der die Original-Chorpartien der Bakchen zum Klin-gen gebracht hatte erklaumlrte uns seine Prinzipien ein Berliner Regisseur sprach uumlber zwei Oumldipus-Inszenierungen in Afrika und Chemnitz usw die-se Erfahrung eines produktiven Bruumlckenschlags zwischen den Dramentexten und der Buumlhne praumlgt seitdem unsere Arbeit Wir sind heute wie-der eng verbunden mit der Buumlhnenpraxis diesmal mit dem Saarlaumlndischen Staatstheater dem wir wie seinerzeit in Potsdam hin und wieder fuumlr die Inszenierung antiker Stuumlcke beratend zur Seite stehen und richten Konferenzen aus auf denen Dramaturgen und Regisseure mit Literaturwis-senschaftlern ins Gespraumlch kommen

Vielleicht haben wir damit ein Stuumlck Potsdam an die Saar geholt Wir denken jedenfalls mit Weh-mut und Dankbarkeit an die Potsdamer Jahre zu-ruumlck Sie waren und sind nach wie vor wertvoll fuumlr uns Und ich empfinde es als ein besonderes Gluumlck dass das Potsdamer Institut eine so schouml-ne Entwicklung nach unserem Weggang genom-men hat Ein groszliges Kompliment an dieser Stelle an Ursula Gaumlrtner und und das gesamte Team Zu diesem Team gehoumlrt natuumlrlich Frau Geyer sie ist Herz und Seele des Instituts fuumlr Studierende und Mitarbeiter Da haben Joumlrg Ruumlpke und ich damals wohl eine unserer besten Entscheidungen getrof-fen gerade sie als Sekretaumlrin einzustellen Auch ihr ein herzlicher Gruszlig von der Saar an die Havel Und dies leitet uumlber zu geographisch-personalen Aspekten mit denen ich die Rede schlieszligen

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moumlchte Nicht nur hat Nicola Houmlmke die jetzt fuumlr einige Jahre die Geschicke der Klassischen Philo-logie am Neuen Palais mit bestimmt ihren Weg nach Potsdam uumlber Rostock genommen Auch Frau Geyer war vor ihrer Potsdamer Zeit an der Rostocker Universitaumlt in Diensten Dasselbe trifft auf Eugen Braun zu Eine wahrhaft gluumlckliche Rostock-Potsdam-Konnexion

Zu Ursula Gaumlrtner Sie war mir schon ein Begriff als sie sich in Leipzig habilitierte denn Ekkehard Staumlrk hatte 1999 in einem Potsdamer Promoti-onsverfahren gegutachtet (es ging um Plautus) und konnte wie er mir im Januar 2000 schrieb nicht an der Disputatio Anfang Februar teilneh-men weil er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation mit seinen Kraumlften haushalten musste und ihm in diesem Zeitraum die Habilitation von Frau Gaumlrtner mehr am Herzen lag Wir hatten da-fuumlr vollstes Verstaumlndnis Und so war es erfreulich zu sehen dass eben diese Ursula Gaumlrtner sich bald darauf um die Nachfolge auf dem Lehrstuhl in Potsdam bewarb und das auch noch mit Erfolg ndash Sie heute in Graz zu wissen ist ebenfalls begluuml-ckend Bitte nicht missverstehen Das hat nichts mit dem Wegsein von Potsdam als vielmehr mit

dem Dasein in Graz zu tun Auch hier wieder eine kuriose Fuumlgung Im Jahre 2010 waren Norbert Franz fuumlr die Slavistik und ich fuumlr die Klassische Philologie als Gutachter in Graz taumltig Es ging um die Evaluation der Literaturwissenschaften dort In dem Abschlussbericht konnten bzw mussten wir hervorheben dass die Grazer Klassische Phi-lologie nie zu einer vollen Entfaltung gelangt wenn nur die Griechischprofessur besetzt ist Bei aller Liebe fuumlr das Griechische Ohne Latein geht es nicht Ob sich die Universitaumlt jene Hinweise auf die Bedeutung der lateinischen Literatur fuumlr die uumlbrigen Literaturwissenschaften zu Herzen ge-nommen hat weiszlig ich nicht Aber das Ergebnis stimmt Jetzt hat die dortige Klassische Philologie mit der Besetzung der Latinistik wieder eine aus-sichtsreiche Zukunft Daher mein Zuruf Macte virtute esto

Der Zuruf gilt auch den Potsdamern Ich wuumlnsche dem Institut fuumlr Klassische Philologie und der Alt-philologie in Brandenburg insgesamt weiterhin groumlszligtmoumlgliche Wirksamkeit Und fuumlr heute ein schoumlnes Fest

Ihr Peter Riemer

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1 VorbemerkungEs ist merkwuumlrdig bei dem traditionellen Som-merfest der Klassischen Philologie als Vortra-gende aufzutreten nachdem ich selbst in all den Jahren unsere Gastvortragenden vorgestellt habe und letztes Jahr Frau Nicola Houmlmke die mich nun gerade vorgestellt hat Als wir zum ersten Mal das diesjaumlhrige Sommerfest ansprachen war auch gar nicht klar ob ich weg sein wuumlrde Nur dass alle bisherigen Professorinnen und Professoren sprechen sollten stand bald fest Dass ich dies nun als ehemalige Professorin tue erfuumlllt mich mit einem merkwuumlrdigen Gefuumlhl Der Titel mei-nes Vortrags war als Platzhalter gedacht er blieb dann aber weil er so passend war Der persoumln-liche Bezug ist offensichtlich Mir ging natuumlrlich sehr viel durch den Kopf nach uumlber einem Jahr-zehnt hier vor Ort wo ich so viele Studierende und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe Aber es war gewuumlnscht uumlber etwas zu sprechen das in Potsdam seinen Anfang nahm Ich habe hier begonnen mich intensiv mit Phaedrus zu beschaumlftigen mehrere Auf-saumltze sind hier entstanden dann der Kommentar zu Buch 1 und zuletzt bis in die letzten Stunden vor dem Umzug im Februar ein ausfuumlhrlicher For-schungsbericht In mehreren Seminaren konnte ich mit Studierenden meine Ideen zu Phaedrus diskutieren hier ist die Gelegenheit mich auch hierfuumlr einmal zu bedanken Das Gleiche gilt fuumlr das Altertumswissenschaftliche Kolloquium so-wie die Diskussionsrunden an unserem Jour fi xe Bei einem solchen Thema denkt man bisweilen es sei abgeschlossen doch dann tun sich immer

Uumlberlegungen aus gegebenem Anlass Ein Vortrag in vier Kapiteln und zwei Vorbemerkungen

Der Vortragsstil wurde beibehalten

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

70 JAHRGANG LX middot LGBB 03 2016

REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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01 S die Arbeit des DFG-Schwerpunktprogramms 1080 bdquoRoumlmische Reichs- und Provinzialreligionldquo etwa Hubert Cancik Konrad Hitzl (Hg) Die Praxis der Herrschervereh- rung in Rom und seinen Provinzen Tuumlbingen 2003 Hubert Cancik Joumlrg Ruumlpke Franca Fabricius Die Religion des Imperium Romanum Koine und Konfrontationen Tuumlbingen 200902 Siehe Ruumlpke Pantheon Geschichte der antiken Religionen Muumlnchen 2016 dem ich hier folge03 Val Max 9151 Liv Per 116 spricht von bdquoSohnldquo und der Abstammung aus niedrigsten Verhaumlltnissen04 Cic Att 146-805 App civ 312-3

Joumlrg Ruumlpke Divi Augusti oder Wozu braucht man die neuen Goumltter

Herzlichen Dank fuumlr die Einladung und herzlichen Gluumlckwunsch zum 20-jaumlh-rigen Jubilaumlum des Lehrbeginns ndash oder zu 20 Jahren Uumlberleben trotz vieler Sparzwaumlnge sicher den Fach-

vertreterinnen wie der Fakultaumlt geschuldet Mein Beitrag soll und kann nur ein kurzer sein Gerne moumlchte ich den Bereich vorstellen der mir in den Jahren 1995ndash99 wichtig war und noch heute wichtig ist die Texte die den Hauptgegenstand der Lateinischen Philologie ausmachen in ihrem groumlszligeren kulturellen Kontext zu sehen Und Teil dieses Kontextes war etwas was die Antike deut-lich von der heutigen Zeit zu trennen scheint die mit der Verehrung Caesars beginnende Vereh-rung roumlmischer Herrscher in Rom und im Impe-rium RomanumbdquoKaiserkultldquo das scheint auf der houmlchsten insti-tutionellen Ebene zu liegen Aber viele Befunde haben Zweifel daran geweckt1 Die Perspektive der bdquogelebten antiken Religionldquo erlaubt es mit der Kamera des Forschers ganz dicht an die Er-eignisse heranzukommen2 Den Anstoszlig zu einer postumen Verehrung des am 15 Maumlrz 44 v Chr ermordeten und anschlieszligend im Tumult auf dem Forum verbrannten Caesars gab ein gewis-ser Gaius Amatius Mit einigen Anhaumlngern lieszlig er einen Altar an der Stelle des Scheiterhaufens

errichten Dieser Amatius war kein unbeschrie-benes Blatt Er war schon fruumlher als angeblicher Enkel des populaumlren Heerfuumlhrers und mehrfachen Konsuls Gaius Marius aufgetreten Obwohl er ei-gentlich ein Pferde- oder Augenarzt namens He-rophilus gewesen sein soll (die Textuumlberlieferung ist nicht eindeutig) sammelte er doch zahlreiche Anhaumlnger als angeblicher Verwandter Caesars der ihn nur mit Muumlhe loswerden konnte3 Selbst Cicero sprach von ihm als Marius4 In dieser Rolle schwor er den Caesar-Moumlrdern Rache wurde je-doch selbst von Marcus Antonius beseitigt bevor der Altar in Betrieb genommen werden konnte Doch das Volk besetzte das Forum und verlangte

Joumlrg Ruumlpke Max-Weber-Kolleg fuumlr kultur- und sozialwissenschaftliche Studien Universitaumlt Erfurt

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auch nach der Ermordung des Amatius den Altar einzuweihen und die ersten Opfer fuumlr Caesar dar-bringen zu lassen5 Caesar als Gott zu verehren war also offensichtlich ein verbreiteter Wunsch Aber seine Verwirklichung barg ein gewisses Risiko Im Ringen um die Macht kam ein Konkur-rent der Caesar als Gott auf seine Seite brachte den Nachfolgern ndash noch ndash gaumlnzlich ungelegen Rufmord ndash das zeigte die Uumlberlieferung uumlber den angeblichen Pferdearzt ndash musste den Mord erst vervollstaumlndigen Gut dreiszligig Jahre vorher war die Reihenfolge der Aktionen und Reaktionen umgekehrt gewesen Mit der Darbringung von Kerzen und Weihrauch verehrten roumlmische Buumlrger den Neffen des be-ruumlhmten Feldherrn Gaius Marius der als Marcus Marius (Gratidianus) zweimaliger Stadtpraumltor gewesen war noch zu Lebzeiten Sulla Mariusrsquo erbitterter Gegner lieszlig den so Verehrten durch Catilina ergreifen ihm die Beine brechen die Augen ausstechen Zunge und Arme abschnei-den und ihn gliedweise bei lebendigem Leibe zerstuumlckeln wie Seneca mehr als einhundert Jahre spaumlter voller Abscheu in seiner Abhandlung bdquoUumlber den Zornldquo berichtete6 Auch hier war die Einbeziehung eines uumlbermenschlichen Akteurs in

das Alltagshandeln roumlmischer Buumlrger ein Risiko das nach dem Wechsel der Machthaber geahndet wurde Neu war das alles nicht Schon 100 Jahre fruumlher lieszlig Plautus seiner Komoumldie Asinaria seine Charaktere daruumlber streiten mit welchen traditi-onellen Goumltternamen sie ihren Wohltaumlter anreden sollten Daruumlber dass Darbringungen vor einer Statue und einem Altar ihn als Gott konstituieren wuumlrden waren sie sich einig7

Religioumlse Kommunikation mit einem neuen Ad-ressaten war also leicht ins Werk zu setzen Durch wenige konventionelle Zeichen oder Handlungen beziehungsweise deren Kombination war sie als solche erkennbar Ob sie von den Anderen als angemessen beurteilt wurde war weit weniger einfach vorherzusagen denn die Initiative muss-te nicht immer bei den sozialen oder politischen Spitzen der Gesellschaft liegen Ganz im Gegen-teil wie gesehen konnten solche Initiativen be-stehende Machtkonstellationen in verschiedener Hinsicht veraumlndern Die Einbeziehung von leben-den oder juumlngst verstorbenen (und mit Verwand-ten versehenen) Personen als neue Adressaten

06 Sen Ira 3181ndash207 Plaut Asin 711ndash718

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religioumlser Verehrung war insofern nicht weniger brisant als die Einbeziehung von etablierten Gott-heiten etwa gegnerischer Gruppen oder Ethnien ob das nun der Gott der Juden Perser oder Dru-iden warWenn die religioumlse Initiative den Handlungsspiel-raum des Initiators oder der Initiatorin deutlich vergroumlszligern konnte war es wichtig dafuumlr Ver-buumlndete zu gewinnen vielleicht sogar uumlber die eigenen schon vorhandenen Anhaumlnger hinaus In Benevent errichtete vor dem Jahr 15 v Chr der Aufsteiger Publius Veidius Publii filius Pollio ein bdquoCaesareumldquo fuumlr Augustus wie die Kolonie Be-nevent ndash jener Veidius der durch seine Grausam-keit Sklaven an Muraumlnen zu verfuumlttern literari-schen Ruhm gewann8 In Ferentinum errichtete einige Zeit spaumlter Sextus Hortensius Clarus nicht nur ein bdquoAugusteumldquo sondern den Buumlrgern auch ein Forum und ein Nebengebaumlude Er begleitete die Einweihung des auf eigene Kosten und auf eigenem Grund errichteten Gebaumludes mit einem groszligen Bankett9 Gerade soziale Aufsteiger ge-wannen durch die erfolgreiche Etablierung eines Kultortes oder jaumlhrlich wiederholter Rituale eine neue Qualitaumlt oumlffentlicher Praumlsenz Das steigerte ihre Bereitschaft fuumlr die damit entstehenden Kos-ten aufzukommen und die eigene Zeit dafuumlr ein-zusetzen entsprechende Rollen zu uumlbernehmen Die zahlreichen Beispiele von Augustalen (seviri Augustales) die den Kaiserkult in Italien besorg-ten zeigten das10 Religioumlses Handeln auszuwei-ten bot also fuumlr viele Beteiligte einen Gewinn

InstitutionenUnd dennoch etwas Neues zu beginnen war in Gesellschaften die ihre gefuumlhlte Stabilitaumlt aus dem gewannen bdquowas schon immer so gewesen warldquo immer ein Risiko Das nachzuahmen was die Maumlchtigen und Erfolgreichen Haumlndler oder fuumlr Rom arbeitende Verwalter taten war eine Moumlglichkeit ndash wobei auch Widerstand gelegent-lich schick sein konnte aber uns haumlufig verborgen bleibt Sichtbar war Anderes In der Nachahmung roumlmischer religioumlser Praktiken entstanden bei-spielsweise massenhaft Inschriften und Tempel im Westen des Imperium Romanum Wer wurde da verehrt Wenn man durch religioumlses Handeln Handlungsspielraumlume und Positionen in der Mitte der bestehenden provinzialen Gesellschaften er-oumlffnen wollte war es wichtig dass der Angespro-chene das als bdquogoumlttlichldquo bestimmte also auch nicht leicht fassbare und damit nicht uumlber jeden Zweifel erhabene Gegenuumlber fuumlr die Umstehen-den doch zumindest einigermaszligen zustimmungs-faumlhig war11 Den fernen Augustus in Rom zu einem solchen goumlttlichen Gegenuumlber zu machen war sicher uumlberraschend hatte aber viel fuumlr sich Seine Exis-tenz war kaum zu bezweifeln seine Macht eben-so wenig Fuumlr entfernte Provinziale reicher Staumldte oder abgelegener Landdistrikte war das vermut-lich eher zu bestreiten als fuumlr Italiker Maumlnner mit roumlmischem Buumlrgerrecht oder frisch Unterworfene Allen jedoch bot der jeweilige Augustus einen eindeutigen Bezugspunkt eine Person deren Gesicht da und dort zu sehen dessen Name da und dort zu lesen von dessen Wirken da und dort zu erzaumlhlen warWie die Relevanz dieses fernen Gottes fuumlr den Ort in der Provinz im Einzelfall behauptet und wie der Adressat (oder die Adressatin) im Detail bestimmt wurde das hing von Verschiedenem ab von der Kompetenz und dem Wissen sowie dem Interesse an Originalitaumlt der einzelnen Akteure ebenso wie von lokalen Traditionen religioumlser Kommunikation Der Stadtrat der Kolonie Pisa entschied sich nach dem Tod des Lucius Caesar (17 v Chr bis 2 n

08 CIL 91556 Zur Person s Dio 54231ndash 609 CIL 11743110 Valentino Gasparini raquoLes cultes isiaques et les pouvoirs locaux en Italielaquo in L Bricault M J Versluys (Hgg) Power Politics and the Cults of Isis Proceedings of the Vth International Conference of Isis Studies Boulogne- sur-Mer October 13ndash15 2011 Leiden 2014 S 260ndash29911 Zu den Implikationen s Ruumlpke bdquoReligious Agency Identity and Communication Reflecting on History and Theory of Religionrdquo Religion 45 (2015) S 344ndash366

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Chr) des Adoptivsohnes des Augustus einen Altar mit einer jaumlhrlichen Feier fuumlr Luciusrsquo Manes zu errichten ndash das zunehmend gelaumlufig werden-de Di manes wie es massenhaft Grabsteine zu schmuumlcken begann wurde im Text mehrheitlich vermieden12 Doch nicht nur die Bezeichnung des Adressaten formulierte das Gremium und die na-mentlich genannten Schreiber Quintus Petillius Publius Rasinius Bassus Marcus Puppius Quin-tus Sertorius Pica Gnaeus Octavius Rufus und Aulus Albius Gutta sorgfaumlltig Ebenso sorgfaumlltig waren sie in der Anordnung der Handlungen die im Rahmen der Feier auszufuumlhren waren Die fuumlr die herausragenden Rollen des Totenritu-als Zugelassenen mussten schwarze Togen tra-gen Das zu schlachtende Rind und Schaf waren ebenfalls mit Binden schwarz zu schmuumlcken ndash in dem in Rom als tiefste Trauerfarbe verstandenen Blauschwarz13 Je eine Urne voll Milch Honig und

Oumll sollten uumlber den verbrannten Resten der Tiere ausgegossen werden Personen ohne Legitimati-on durch ein oumlffentliches Amt war die Mitwirkung erlaubt sie waren aber auf entweder eine Kerze eine Fackel oder einen Kranz beschraumlnkt die sie in den brennenden Holzstoszlig werfen durften Fuumlr weitere Regelungen schloss man sich dem ein-schlaumlgigen Beschluss des roumlmischen Senates an Das alles so vermerkte die inschriftliche Fassung des Beschlusses war auf einer Inschrift direkt am Altar festzuhalten Die religioumlse Kommunikation mit den Manen des Lucius war in der Auffuumlhrung des 20 August am eindrucksvollsten doch sie war daruumlber hinaus sichtbar schon allein durch den sorgfaumlltig platzierten Altar vor dem nach griechischem Muster auch die Verbrennung statt-fand

Wie muss man sich den goumlttlichen Kaiser vorstellenDas verbreitete Nachdenken uumlber das was Menschen ausmachte hatte sich im massen-haften Auftreten der Bezeichnung di manes auf Grabsteinen seit dem ausgehenden ersten Jahr-hundert v Chr niedergeschlagen Vor diesem Hintergrund wurde auch die Frage ob und wie Herrscher in politischer oder religioumlser Kommu-nikation anzusprechen waren diskutiert Im Feld der Moumlglichkeiten markierte divus eine Position die den Uumlbergang als eine scharf markierte Un-terscheidung fasste Formal der Titel einer Person ndash also etwa bdquoDivus Augustusldquo ndash behauptete man mit seiner Benutzung die Identitaumlt einer Persoumln-lichkeit von Mensch und Gott Aumlhnlich wie in der Republik die Senatoren diskutiert hatten ob beobachtete Vorzeichen als Prodigien fuumlr die res publica zu werten seien so diskutierten sie nun

12 CIL 111420 = ILS 139 sa den nachfolgenden Beschluss nach dem Tod des Bruders Gaius Caesar im Jahr 4 n Chr (CIL 111421 = ILS 140)13 Zu dieser Farblogik s Joumlrg Ruumlpke bdquoVexillum caeruleumrdquo RhM 136 (1993) S 374ndash37614 Zsuzsanna Vaacuterhelyi The Religion of senators in the Roman Empire Cambridge 2010 166

Joumlrg Ruumlpke im Gespraumlch mit Andreas Fritsch

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ob ein Mensch den sie selbst beobachtet hatten zum Gott geworden sein konnte14 Zugleich wies der Titel der sich auch in aumllteren Gottesnamen ndash Diva Palatua Diva Angerona Diva Rumina Bona Diva15 (auch Bona Dea) ndash fand in die Welt etab-lierter Gottheiten Wie zweideutig aber selbst die Begriffswahl war zeigt die Tatsache dass noch Cicero gerade den Begriff divus fuumlr alte deus als Bezeichnung fuumlr neue durch Vergoumlttlichung von Menschen entstandene Gottheiten verwendet zu haben scheint (hier ist die Textuumlberlieferung pro-blematisch)16 Kurzum in Bezug auf einen ehe-mals lebenden Menschen suggerierte der Begriff divus eine erkennbare Statusaumlnderung In Rom lieferten die Senatoren oder die Nachfol-ger der Verstorbenen mit dem Konsekrationsri-tual die Grundlage fuumlr diese Veraumlnderung Bild-lich zum Teil auch rituell war die Metapher der Himmelfahrt ndash ob in Gestalt eines aufsteigenden Adlers oder als Fahrt auf dem Sonnenwagen ndash dafuumlr zentral Dieser Aufstieg konnte beobachtet werden war wie das Auftauchen eines neuen Sterns eines Kometen im Falle Caesars (oder das leere Grab mit dem weggeschobenen Stein im Falle Jesu) empirisch fassbar oder durch Au-genzeugen beglaubigt Das etablierte Ritual knuumlpfte an alte Geschichten an beginnend mit Romulus und wiederholte diese zuverlaumlssig und beobachtbar es fand immer auf dem Marsfeld statt die Organisatoren lieszligen immer einen Adler aufsteigen den jedermann beobachten konnte es gab immer einen Scheiterhaufen selbst wenn die Leiche laumlngst beseitigt war17 Die Aufstiegs-

geschichte diese bdquoAszendenz-Theologieldquo war krude Doch sie erlaubte auch Kontrolle Nicht jedem wurde das Marsfeld fuumlr ein solches Ritual geoumlffnet Fuumlr die Alternativen zu diesem scharf markierten Aufstieg vom Menschen zum Gott gab es keine vergleichbare Kontrolle und rituelle Standardisie-rung Die reichsten Assoziationen bot die Vorstel-lung der andere und vor allem der Herrscher koumlnne die Epiphanie eines bekannten Gottes sein Diese Annahme in eigene religioumlse Kommu-nikation einzubauen war nicht nur ehrenvoll fuumlr den so identifizierten Kaiser (falls ein boumlswilliger Beobachter den Vorwurf der Majestaumltsverletzung geltend machen wollte) sondern erschloss auch ein reiches Spektrum an Bildern und Geschichten die zur weiteren Plausibilisierung herangezogen werden konnten In der konkreten Situation duumlrf-te aber zumeist der umgekehrte Vorgang wichti-ger gewesen sein Die Ansprache des bekannten Gottes konnte mit den persoumlnlichen und politi-schen Facetten des Kaisers wichtiger und in der Situation relevanter gemacht werden Die Figur des Herkules war hier eine naheliegende Wahl war dieser doch tatkraumlftig Ordnung schaffend und zudem selbst ein Aufsteiger vom Menschen zum Gott Er war also eine passende Reflexions-figur fuumlr den Sachverhalt der hier zur Debatte stand Das Spektrum war jedoch noch weiter Es reichte von Iuppiter dem zentralen politischen Gott der Stadt Rom und Zeus der eine vergleich-bare Rolle in vielen Staumldten der ostmediterranen Welt spielte uumlber den triumphierenden Dionysus (uumlbertragen auf Liber Pater) bis hin zu Apollo und Romulus Quirinus In manchen Faumlllen legte der Betroffene solche Gleichsetzungen selbst nahe indem er etwa eine Gottheit zu einem besonders wichtigen eigenen Adressaten machte ihr Tempel oder Spiele stiftete oder sich selbst entsprechend kleidete Naumlhe und genealogische Beziehung Epiphanie oder innere Praumlsenz des Goumlttlichen ndash die Moumlg-lichkeiten das Verhaumlltnis zu konzeptualisieren waren vielfaumlltig ein Bedarf an Praumlzision war eher

15 ZB Varro ling 745 Fasti Praenestini Inscr It 132139 Ov am 3637 fast 5148 Plin Nat 365 Solin 16 Aug civ 610 (Varro) 16 Cic leg 222 in der Textrekonstruktion durch Andrew Dyck 17 So Anne-Francoise Jaccottet raquoDu Corps Humain au Corps Divin Lrsquoapotheacuteose dans lrsquoimaginaire et les repreacutesentations figureacuteeslaquo in P Borgeaud D Fabiano (Hgg) Reception et Construction du Divine dans lrsquoAntiquiteacute Recherches et Rencontres 31 Genegraveve 2013 S 293ndash32218 ILS 119-121

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selten In Ritualen die den Initiatoren so wichtig waren dass sie auch in inschriftlicher Form einen Niederschlag fanden wurde so die verstorbene Livia als (im Dativ der Empfaumlngerin) Livia Augusti dea Iuno Livia (Liviae) Augusti und Ceres Iulia (Iuliae) Augustaae angesprochen18 Was im Sprachlichen doppeldeutig blieb lieszlig sich bildlich klaumlren etwa indem der Urheber der religioumlsen Kommunikation zwei Statuen nebeneinander stellte (Dea) Roma und Augustus waren ein be-liebtes Paar Venus und Caesar ein umstrittenes Die Wahl des Materials konnte dem Objekt eine Nuance geben die Betrachterinnen und Betrach-ter einte oder polarisierte Man konnte keine Goldstatue aufstellen und dann behaupten den Dargestellten nicht zu vergoumlttlichen Gerade die klar ausgewiesene Eigenstaumlndigkeit der Persoumln-lichkeit des Menschen provozierte dabei die Frage nach seinem ontologischen Status nach seinem Ort in einer Ordnung die fuumlr Engel Daumlmonen und Goumltter selbstverstaumlndlich aber im Detail raumlt-selhaft und in der jeweiligen Situation umstritten sein musste19

Uumlberlegungen zur Person des Augustus oder sei- ner Familie anzustellen war aber ndash allenfalls ndash ein Nebenaspekt bei der Wahl gerade solcher Adres-

saten in religioumlser Kommunikation Der zentrale bdquoTrickldquo dieser Wahl bestand vielmehr in der enor-men Relevanzsteigerung einer Kommunikation die in einen lokalen Kontext einen unbezweifel-bar reichsweit handelnden Akteur einbezog Das mochten Umstehende als bdquounnoumltigldquo betrachten das aumlnderte jedoch nichts daran dass der oder die Initiatorin damit ihr Anliegen aufgewertet hatte ndash gleichzeitig freilich dazu aufgefordert war eine entsprechend aufwendige Gestaltung dieser Kommunikation zu liefern Amatius hatte das gespuumlrt ndash und seine maumlchtigeren Konkurren-ten auch Ob als Gott oder nur Widmungstraumlger als Adressat nicht nur religioumlser sondern auch literarischer Kommunikation Als moumlglicher Gott war der Herrscher wichtiger geworden In der Kenntnis um diese antiken Zusammenhaumlnge sieht man die Kommunikation mit und uumlber heutige Autokraten anders Weit muss man dazu nicht schweifen

Impressum ISSN 0945-2257

Latein und Griechisch in Berlin und Brandenburg erscheint vierteljaumlhrlich und wird herausgegeben vom Vorstand des Landesverbandes Berlin und Brandenburg im Deutschen Altphilologenverband (DAV) wwwdavbbde

1 Vorsitzender Prof Dr Stefan Kipf Humboldt Universitaumlt zu Berlin Didaktik Griechisch und Latein middot Unter den Linden 6 middot 10099 Berlin stefankipfstaffhu-berlinde

2 Vorsitzende StR Gerlinde Lutter Tagore-SchuleGymnasium Berlin middot g1lutteraolcom Andrea Weiner Alexander von Humboldt Gymnasium Eberswalde

Schriftleitung des Maya BrandlMitteilungsblattes Zehntwerderweg 171 a middot 13469 Berlin middot mayabrandlgmxde

Kassenwartin StR Peggy Klausnitzer peggyklausnitzert-onlinede

Beisitzer Prof Dr Nicola Houmlmke StD Dr Josef Rabl

Grafik Layout Fabian Ehlers Karlsruher Straszlige 12 middot 10711 Berlin middot wwwart-und-adde

19 Unter einem Begriff wie bdquoEngelldquo (angelos) konnten sich wiederum unterschiedlichste lokale Vorstellungen verbergen Rangar H Cline Ancient Angels Conceptualizing Angeloi in the Roman Empire Religions in the Graeco-Roman World 172 Leiden 2011 S 75

IMPR

ESSU

M

Peter Riemer Ein Anfang mit BE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stunde

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Liebe Ursula liebe Nicola lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende liebe Gaumlste bevor ich Peter Riemers Vortrag zum heutigen Jubilauml-umsfest verlese erlauben Sie mir einige

persoumlnliche Bemerkungen Wie die meisten von Ihnen wissen vertritt Nicola Houmlmke seit dem fuumlr uns schmerzlichen (aber verstaumlndlichen) Wech-sel Ursula Gaumlrtners nach Graz den Lehrstuhl fuumlr Klassische Philologie an unserer Universitaumlt Die Art und Weise wie sie dies tut etwa bei dem von Frau Gaumlrtner begruumlndeten sbquojour fi xelsquo oder im Altertumswissenschaftlichen Kolloquium fi nde ich hervorragend ich bin ihr nicht nur deswegen sehr dankbar und wuumlnsche Ihr dass sie dies auch weiterhin so tun kannAls mir Nicola Houmlmke vor kurzem mitteilte dass Peter Riemer seinen Vortrag an unserem Jubilauml-umsfest leider nicht halten koumlnne er es aber gut faumlnde wenn ich in seinem Namen seine Rede vortruumlge hatte ich aus verschiedenen Gruumlnden zunaumlchst groszlige Bedenken Einer dieser Gruumlnde reicht bis in meine Kindheit zuruumlck Bei der Feier der Heiligen Messe konnte ich als Ministrant nicht selten nur zu deutlich erleben wie sich die sonst durchaus neugierig gespannte Aufmerksamkeit meiner kleinen nordsaarlaumlndischen Heimatge-meinde just in dem Augenblick in einen ndash eu-phemistisch ausgedruumlckt ndash auffaumlllig veraumlnderten Ruhezustand verwandelte in dem der Pfarrer ankuumlndigte er werde statt zu predigen einen Hirtenbrief des Trierer Landesbischofs verlesen Nachdem mir Peter Riemer dann mitteilte dass er in seinem Vortrag vor allem aus sehr persoumln-licher Sicht an die Anfaumlnge des Potsdamer Insti-tuts fuumlr Klassische Philologie erinnern wolle ha-ben sich meine Bedenken sofort zerstreut Seine Gedanken und Erinnerungen die ich Ihnen gleich vortrage zeugen wie ich schon beim ersten Le-

sen feststellen konnte noch vom selben anste-ckenden Enthusiasmus mit dem er bereits vor zwanzig Jahren die ersten Studierenden in Pots-dam fuumlr die Beschaumlftigung mit antiken Texten zu begeistern verstanden hat Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine weitere ganz kurze persoumlnliche digressio Ich lese gerade ein spannendes Buch des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa der darin die Frage nach dem gelingenden bzw guten Leben mit Hilfe des Kriteriums der Resonanzerfahrung zu beantworten versucht Seine diesbezuumlglichen Analysen der verschiede-nen Lebenssphaumlren der Familie der Arbeit der Religion der Kunst des Sports fuumlhren ihn zu der nicht ganz uumlberraschenden Diagnose dass es fuumlr die Menschen kapitalistischer vor allem von Entfremdung gepraumlgter Gesellschaften der Postmoderne immer schwieriger werde lebens-wichtige Resonanz-Erfahrungen zu machen bei denen es in unterschiedlichen Zusammenhaumlngen nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-

Eingeleitet von Eugen Braun

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ven sondern auch leiblichen Beruumlhrung zwischen Subjekt und Welt komme (Wenn Ihnen dies jetzt zu unverstaumlndlich bzw philosophisch vor-kommt so haben Sie heute ab 21 Uhr wenn man Herrn Rosa glauben will die Moumlglichkeit ganz anschaulich auf dem Fernsehbildschirm ein zu-mindest bdquopraumlreflexives somatisch-soziales Reso-nanzgeschehenldquo mit zu verfolgen vorausgesetzt natuumlrlich Sie finden uumlberhaupt Gefallen daran 22 erwachsenen Menschen dabei zuzuschauen wie sie einem Ball hinterherlaufen und diesen in ein Tor zu befoumlrdern versuchen) Bei der Lektuumlre von Herrn Rosas Buch hat sich mir unwillkuumlrlich auch die Frage nach moumlglichen Resonanzerfah-rungen auf der Universitaumlt gestellt ich habe noch keine abschlieszligende Antwort gefunden Dass die Universitaumlt als Staumltte des Lernens und Lehrens primaumlr kein Ort zur Erfuumlllung lebensphilosophi-scher Sehnsuumlchte sein kann und darf sondern vor allem einen werturteilsfreien Fachunterricht zum Ziel haben muss der allenfalls zu einer bes-seren rationalen Abwaumlgung der verschiedenen Welt- und Lebensanschauungen beitragen kann wie sie auch in Texten der griechisch-roumlmischen Antike paradigmatisch erkennbar sind habe ich von Max Weber gelernt In seinem beruumlhmten Vortrag bdquoWissenschaft als Berufldquo hat Weber wie Sie wissen ebendies vor fast genau hundert Jahren den Studenten der Muumlnchener Universi-taumlt nachdruumlcklich verstaumlndlich zu machen ver-sucht In diesem Vortrag (Weber war uumlbrigens sbquoSchwipp-Schwagerlsquo von Wilamowitz) findet sich allerdings auch der bekannte Satz bdquoNichts ist fuumlr den Menschen als Menschen etwas wert was er nicht mit Leidenschaft tun kannldquo Wenn Studie-rende heute das Studium der Klassischen Philo-logie wie es scheint vor allem absolvieren und absolvieren muumlssen um sog Leistungspunkte zu erwerben entspricht dies einer allgemeinen Ent-wicklung der Universitaumlten die ich nicht weiter kommentieren will Dass Studierende sich dieser Entwicklung zum Trotz jedoch zum Gluumlck immer noch in Seminaren ja sogar Grammatikuumlbungen fuumlr den sbquoStofflsquo begeistern lassen habe ich selbst

noch heute Morgen erleben duumlrfen und in den letzten Jahren immer wieder vereinzelten Ruumlck-meldungen insbesondere zu Veranstaltungen Ursula Gaumlrtners entnehmen koumlnnen Aus der An-fangszeit unseres Instituts faumlllt mir in diesem Zu-sammenhang besonders Joumlrg Ruumlpkes Vorlesung uumlber Roumlmische Geschichtsschreibung ein deren Mitschnitt bzw Aufnahme Frau Geyer dann zu einem sehr begehrten Buch gemacht hat Wie spannend seine fachwissenschaftliche Beschrei-bung religioumlsen Handelns in der Antike (und der damit verbundenen vertikalen Resonanzachsen) sein kann haben Sie alle gerade selbst erleben koumlnnen (Ich persoumlnlich bin schon sehr gespannt auf sein neues Buch uumlber die Geschichte der an-tiken Religionen das am 19 September erscheint und fuumlr das ich an dieser Stelle schon einmal Reklame machen darf) Wie es Peter Riemer in seiner Potsdamer Zeit auf charismatische Weise verstanden hat das Interesse der Studierenden etwa fuumlr die Aeneis in lebendigen Diskussionen immer mehr zu vertiefen weiszlig ich von einzelnen Seminarteilnehmern und wie eindrucksvoll es ihm nicht nur damals gelungen ist sondern auch heute noch gelingt in den akademischen Lehr-betrieb auch Erfahrungen kuumlnstlerisch-performa-tiver Resonanz zu integrieren geht auch aus dem folgenden Vortrag hervor den ich nun verlesen darf (Dabei versuche ich den moumlglicherweise doch aufkommenden Gedanken dass Saarbruuml-cken wo Herr Riemer derzeit lehrt nicht weit von Trier entfernt liegt so gut es geht zu unter-druumlcken) Der Vortrag traumlgt den Titel sbquoEin Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stundersquo und beginnt mit den Worten

Liebe Frau Gaumlrtner liebe Frau Houmlmke lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende und sofern anwesend natuumlrlich auch zu begruuml-szligen der Dekan SpectabilisEs ist wirklich bedauerlich dass ich am heutigen Tag nicht selbst dabei sein kann das Institutsju-bilaumlum zu feiern Eine schon seit Monaten termi-nierte Berufungskommission mit Probevortraumlgen

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und der anschlieszligenden Entscheidungsfindung an eben dem 7 Juli 2016 laumlsst mich einfach nicht aus Saarbruumlcken fort Aber zumindest koumlnnen diese Zeilen hier verlesen werden Es muss wohl der 4 oder 5 Oktober 1995 gewesen sein als wir in Golm die kuumlnftigen Raumlume des Instituts fuumlr Klassische Philologie aufsuchten Eugen Braun und ich ndash wir waren verabredet und er moumlglicher-weise vor mir da Joumlrg Ruumlpke kam dann erst in der Woche darauf wenn ich mich recht entsinne ndash da hatten wir die Raumlume schon halbwegs einge-nommen freilich noch ohne neues Mobiliar Alles war muffig und ziemlich heruntergekommen Das hatte nichts mit den aktuellen Anglisten zu tun von denen wir die Raumlume erbten Vielmehr fanden sich in den Schreibtischen und Schraumln-ken Abschlussarbeiten und andere Unterlagen (Korrespondenzen und Berichte) aus der Zeit der Brandenburgischen Landeshochschule und zwar noch aus den Jahren vor der Wende Man hatte den Eindruck die Zimmer seien seit Gruumlndung der Universitaumlt 1991 nur nebenbei quasi behelfs-weise genutzt worden Sie konnten 11 so wie sie waren in ein DDR-Hochschul-Museum uumlberfuumlhrt werden Dietrich Schwanitz hatte offenbar diesel-ben Eindruumlcke gehabt und in seinem Roman bdquoDer Zirkelldquo absolut treffend wiedergegeben Schwa-nitz ist dem Ruf auf eine Potsdamer Anglistik-Professur bekanntlich nicht gefolgt (vielleicht deshalb) Nun gut Da standen wir also und mussten irgendwie anfangen Keine Beschriftung deutete darauf hin dass hier einmal das Institut fuumlr Klassische Philologie sein wuumlrde Wir brauch-ten dringend Material Computer Drucker Papier Nicht einmal Bleistifte waren vorhanden Fuumlr Bestellungen von Material und Geraumlten gab es Formblaumltter Die bekamen wir von Frau Schwarz der Verwaltungschefin der Fakultaumlt Wir fuumlllten die Formulare aus und mussten feststellen dass selbst dies nicht so einfach war wenn man noch gar nichts besaszlig Denn auf den Formularen wurde ein Stempel verlangt Man musste sogar wenn man einen Stempel bestellen wollte erst einmal selbst einen Stempel haben bdquoStempel und

Unterschriftldquo hieszlig es unten auf dem Blatt Kurios Wir zogen in die Romanistik und liehen uns von dort einen Stempel aus bdquoInstitut fuumlr Romanis-tikldquo Natuumlrlich strichen wir die Romanistik durch und schrieben in Druckbuchstaben sozusagen in lsquoStempelschriftrsquo bdquoKlassische Philologieldquo daruumlber und bestellten auf diese Weise erst einmal einen Stempel und dann das uumlbrige Material So ka-men wir an unsere ersten Bleistifte

Zu einem Universitaumltsinstitut gehoumlrt selbstver-staumlndlich eine gut bestuumlckte Bibliothek Da wir ja praktisch bei Null anfingen brauchten wir von allem alles Lexika und Handbuumlcher Primaumlrtexte und Sekundaumlrliteratur Weil auch andere Institu-te fuumlr ihre Buchbestaumlnde Geld benoumltigten aber schon vor uns da waren und ihre Anspruumlche laumlngst geltend gemacht hatten blieb fuumlr uns nur noch ein kleiner Rest aus dem Topf der Beschaf-fungsmittel Der Hinweis auf die gut ausgestatte-ten Bibliotheken in Berlin war uns nur ein schwa-cher Trost Schlieszliglich sollten so dachten wir die Studenten auch drauszligen in Golm Buumlcher vorfin-den die ihrem Studium dienten Wir skizzierten daher einen klassisch-philologischen Grundbe-stand und baten Frau Gaschuumltz die fuumlr unsere Bibliothek zustaumlndig war zu kaufen was der Markt eben hergab Aber auf dem Buumlchermarkt fanden sich freilich kaum aumlltere Werke bis zuruumlck ins 19 Jahrhundert Deshalb nahmen wir Kontakt mit den Instituten in Greifswald und Halle auf die sich gern von ihren Dubletten trennten um dafuumlr etwas Geld fuumlr Neuanschaffungen zu erhalten Joumlrg Ruumlpke wird sicher noch die Fahrt zu Martin Hose in Greifswald in Erinnerung haben (ich hoffe in guter) die wir so zuumlgig unternahmen (zugleich in Gespraumlche vertieft) dass uns irgendwo auf der Landstraszlige ein mecklenburg-vorpommersches Blitzgeraumlt erwischte Jedesmal wenn ich seitdem auf dem Weg an die Ostsee oder zuruumlck geblitzt werde (und das passiert leider immer wieder Mecklenburg-Vorpommern hat mehr Blitzgeraumlte als Einwohner) faumlllt mir die denkwuumlrdige Tour von damals wieder ein

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Somit bekamen wir nach und nach ndash wie gesagt fuumlr wenig Geld ndash einen systematischen Buchbe-stand in erstaunlicher Fuumllle zusammen Und da verschlug es mir den Atem als Frau Gaschuumltz aus dem Magazin der Potsdamer UB eine vollstaumlndi-ge Realenzyklopaumldie hervorzauberte Eine RE in Potsdam noch aus der Gruumlndungszeit der Paumld-agogischen Hochschule Wie war das moumlglich Die Klassische Philologie besaszlig als wir kamen noch keinen Bleistift hatte aber schon eine RE im Keller Des Raumltsels Loumlsung Wir waren nicht die ersten Ende der 40-er Jahre des 20 Jahrhun-derts sollte die Paumldagogische Hochschule auch Latein und Griechisch im Programm haben und kein geringerer als Werner Peeck (der letzte Wila-mowitz-Schuumller) war mit der Einrichtung betraut worden Auch er hatte damals mit Buumlcherkaumlufen begonnen Doch die Aufgabe der Lateinlehrer-ausbildung fuumlr die Oberschulen der DDR fiel dann den Hallensern zu Peeck ging folglich nach Halle sicherlich auch mit einigen Buumlchern im Gepaumlck Die RE lieszlig er aber in Potsdam zuruumlck Somit koumlnnten zieht man die Unterbrechung bis 1995 ab die Peeckschen Jahre hinzugerechnet werden und das heute zu feierende Jubilaumlum waumlre ein 25-JaumlhrigesIm Wintersemester 199596 hatten wir selbst-verstaumlndlich Lehrveranstaltungen angekuumlndigt Aber es kamen keine Studenten Wie denn auch Wir besaszligen ja nicht einmal eine Studienordnung Also setzten wir uns regelmaumlszligig zusammen Joumlrg Ruumlpke Eugen Braun und ich und bastelten an unseren Ordnungen fuumlr das Studium der Latei-nischen und der Griechischen Philologie Und es war nicht einfach die Ordnungen in der gebote-nen Eile durch die Gremien zu bringen vor allem die sogenannte LSK die Senatskommission fuumlr Studium und Lehre tat sich schwer damals gelei-tet von dem Mathematikdidaktiker Thomas Jahn-ke Ich erwaumlhne ihn namentlich weil er noch ein Schuumller des beruumlhmten Frankfurter Gymnasialleh-rers Eduard Bornemann war dem wir wunderba-re lateinische und griechische Grammatiken und Schulbuumlcher verdanken Herr Jahnke war unseren

Studiengaumlngen sehr zugetan an ihm lag es nicht dass sich manches verzoumlgerte Das der LSK ange-houmlrende Mitglied des Bildungsministeriums legte uns immer wieder Steine in den Weg Der Mann wollte unserem Konzept eines breit angelegten Lateinstudiums unter Einbeziehung sprachwis-senschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Ele-mente und definitiv gestuumltzt auf die klassischen Autoren nicht zustimmen und wollte uns glaub-haft machen dass das Latein des Mittelalters und das Neulateinische viel wichtiger seien fuumlr einen modernen Schulunterricht Nun gut Irgendwie hatten wir den Kampf dann doch gewonnen und das Ministerium beruhigen koumlnnen Wir erhielten postwendend den Auftrag uumlber hundert Latein-lehrer fuumlr das Land Brandenburg nachzuschulen Darin bestand dann tatsaumlchlich die groszlige Aufga-be der ersten Jahre des Instituts Jeden Freitag hatten wir unseren bdquoLehrertagldquo und ermoumlglich-ten (unterstuumltzt von der Weiterbildungs-GmbH in Babelsberg) einer groszligen Reihe von schon lange taumltigen Lehrerinnen und ndashlehrern das Erweite-rungsfach Latein zu erwerben vielleicht ist der eine oder die andere von damals heute hier ganz herzliche Gruumlszlige Es war eine wunderbare Zeit mit sehr schoumlnen Erfahrungen Aus einem Vergil-Proseminar uumlber die Aeneis im Winter 199798 ist die Idee hervorgegangen dass die Tragik der Didofigur nicht separat betrachtet werden koumlnne auch die Rolle des Aeneas habe tragische Zuumlge Die Tragik des Aeneas wenn man sie ernsthaft in den Blick nimmt geht auf Aischylos zuruumlck Die-sen Kerngedanken habe ich aus den Diskussionen mit den Lehrern mitgenommen Entsprechendes publiziert und zuletzt sogar im Rahmen eines Theaterprojekts auf die Buumlhne bringen koumlnnen

Joumlrg Ruumlpke und ich wurden ja glaube ich gebe-ten von Dingen zu berichten die wir aus Potsdam mitgenommen bzw die uns beeinflusst haben Dies waumlre eines das Aischyleische in der Aeneis Dann waumlre auf jeden Fall zu nennen eine von Joumlrg Ruumlpke Pedro Barcelo und mir zusammen mit John Scheid im Steiner-Verlag herausgegebene

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Reihe die noch im Namen ihren Ursprung verraumlt bdquodie Postdamer altertumswissenschaftlichen Bei-traumlgeldquo mittlerweile 55 Baumlnde umfassend

Was mir Potsdam mit auf den Weg gegeben hat ist zudem die Interdisziplinaritaumlt In Koumlln wo ich akademisch aufgewachsen bin konzentrierten sich die einzelnen Disziplinen sehr auf sich selbst (ich glaube das machen sie auch heute noch) Das mag an der Groumlszlige der Faumlcher oder auch an der Groumlszlige der dortigen Philosophischen Fakultaumlt liegen In Potsdam haben wir von Beginn an unter weitaus engeren Bedingungen die Naumlhe zu ande-ren Disziplinen und das Miteinander gesucht Ich denke gern an die gemeinsamen Lehrveranstal-tungen mit dem Anglisten Peter Drexler oder mit der Germanistin Margrid Bircken zuruumlck Aus der Zusammenarbeit mit diesen Nachbarphilologien ist denn auch der Studiengang bdquoVergleichende Literaturwissenschaftldquo hervorgegangen heute ndash nachdem die Kunstgeschichte die seinerzeit noch fehlte dazugekommen ist ndash bdquoVergleichende Lite-ratur- und Kunstwissenschaftldquo Aumlhnliches erlebe ich in Saarbruumlcken wo wir durch die Reduktion verschiedener Faumlcher auf einzelne Professuren geradezu gezwungen sind kooperativ zu for-schen und zu lehren Die Gemeinschaft der Alter-tumswissenschaften mit Alter Geschichte Klassi-scher Archaumlologie Vor- und Fruumlhgeschichte und der Klassischen Philologie in Bachelor- und Mas-terstudiengaumlngen ist ein Beispiel Kuumlnftig werden noch die bdquoEuropaumlischen Literaturenldquo mit alt- und neuphilologischen Angeboten an der Universitaumlt des Saarlandes dazukommen Dies kann durch-aus mit dem verglichen werden was wir damals in Potsdam schon kennengelernt haben Wenn ich bdquowirldquo sage beziehe ich immer Christoph Ku-gelmeier mit ein der mir im Sommer 2000 als Assistent ins Saarland folgte und heute als auszliger-planmaumlszligiger Professor zu einem unverzichtbaren Kollegen geworden istAls letzten Punkt in Sachen Mitnahme und Wei-terwirken moumlchte ich erwaumlhnen dass die Verbin-dung zwischen dem ortsansaumlssigen Theater und

der Klassischen Philologie hier in Potsdam fuumlr uns praumlgend war Das Hans-Otto-Theater war damals offen fuumlr vielfaumlltige Kooperationen mit uns Altphi-lologen Wir konnten eine Tagung zum bdquoChor im antiken und modernen Dramaldquo auf der Proben-buumlhne des Theaters durchfuumlhren keine rein wis-senschaftliche Konferenz sondern eine Mischung aus Theorie und Praxis Klassische Philologen Anglisten und Germanisten kamen zu Wort Da-neben aber berichtete ein Opernregisseur der die euripideischen Bakchen in Athen inszeniert hatte von seiner Arbeit der griechische Komponist der die Original-Chorpartien der Bakchen zum Klin-gen gebracht hatte erklaumlrte uns seine Prinzipien ein Berliner Regisseur sprach uumlber zwei Oumldipus-Inszenierungen in Afrika und Chemnitz usw die-se Erfahrung eines produktiven Bruumlckenschlags zwischen den Dramentexten und der Buumlhne praumlgt seitdem unsere Arbeit Wir sind heute wie-der eng verbunden mit der Buumlhnenpraxis diesmal mit dem Saarlaumlndischen Staatstheater dem wir wie seinerzeit in Potsdam hin und wieder fuumlr die Inszenierung antiker Stuumlcke beratend zur Seite stehen und richten Konferenzen aus auf denen Dramaturgen und Regisseure mit Literaturwis-senschaftlern ins Gespraumlch kommen

Vielleicht haben wir damit ein Stuumlck Potsdam an die Saar geholt Wir denken jedenfalls mit Weh-mut und Dankbarkeit an die Potsdamer Jahre zu-ruumlck Sie waren und sind nach wie vor wertvoll fuumlr uns Und ich empfinde es als ein besonderes Gluumlck dass das Potsdamer Institut eine so schouml-ne Entwicklung nach unserem Weggang genom-men hat Ein groszliges Kompliment an dieser Stelle an Ursula Gaumlrtner und und das gesamte Team Zu diesem Team gehoumlrt natuumlrlich Frau Geyer sie ist Herz und Seele des Instituts fuumlr Studierende und Mitarbeiter Da haben Joumlrg Ruumlpke und ich damals wohl eine unserer besten Entscheidungen getrof-fen gerade sie als Sekretaumlrin einzustellen Auch ihr ein herzlicher Gruszlig von der Saar an die Havel Und dies leitet uumlber zu geographisch-personalen Aspekten mit denen ich die Rede schlieszligen

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moumlchte Nicht nur hat Nicola Houmlmke die jetzt fuumlr einige Jahre die Geschicke der Klassischen Philo-logie am Neuen Palais mit bestimmt ihren Weg nach Potsdam uumlber Rostock genommen Auch Frau Geyer war vor ihrer Potsdamer Zeit an der Rostocker Universitaumlt in Diensten Dasselbe trifft auf Eugen Braun zu Eine wahrhaft gluumlckliche Rostock-Potsdam-Konnexion

Zu Ursula Gaumlrtner Sie war mir schon ein Begriff als sie sich in Leipzig habilitierte denn Ekkehard Staumlrk hatte 1999 in einem Potsdamer Promoti-onsverfahren gegutachtet (es ging um Plautus) und konnte wie er mir im Januar 2000 schrieb nicht an der Disputatio Anfang Februar teilneh-men weil er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation mit seinen Kraumlften haushalten musste und ihm in diesem Zeitraum die Habilitation von Frau Gaumlrtner mehr am Herzen lag Wir hatten da-fuumlr vollstes Verstaumlndnis Und so war es erfreulich zu sehen dass eben diese Ursula Gaumlrtner sich bald darauf um die Nachfolge auf dem Lehrstuhl in Potsdam bewarb und das auch noch mit Erfolg ndash Sie heute in Graz zu wissen ist ebenfalls begluuml-ckend Bitte nicht missverstehen Das hat nichts mit dem Wegsein von Potsdam als vielmehr mit

dem Dasein in Graz zu tun Auch hier wieder eine kuriose Fuumlgung Im Jahre 2010 waren Norbert Franz fuumlr die Slavistik und ich fuumlr die Klassische Philologie als Gutachter in Graz taumltig Es ging um die Evaluation der Literaturwissenschaften dort In dem Abschlussbericht konnten bzw mussten wir hervorheben dass die Grazer Klassische Phi-lologie nie zu einer vollen Entfaltung gelangt wenn nur die Griechischprofessur besetzt ist Bei aller Liebe fuumlr das Griechische Ohne Latein geht es nicht Ob sich die Universitaumlt jene Hinweise auf die Bedeutung der lateinischen Literatur fuumlr die uumlbrigen Literaturwissenschaften zu Herzen ge-nommen hat weiszlig ich nicht Aber das Ergebnis stimmt Jetzt hat die dortige Klassische Philologie mit der Besetzung der Latinistik wieder eine aus-sichtsreiche Zukunft Daher mein Zuruf Macte virtute esto

Der Zuruf gilt auch den Potsdamern Ich wuumlnsche dem Institut fuumlr Klassische Philologie und der Alt-philologie in Brandenburg insgesamt weiterhin groumlszligtmoumlgliche Wirksamkeit Und fuumlr heute ein schoumlnes Fest

Ihr Peter Riemer

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1 VorbemerkungEs ist merkwuumlrdig bei dem traditionellen Som-merfest der Klassischen Philologie als Vortra-gende aufzutreten nachdem ich selbst in all den Jahren unsere Gastvortragenden vorgestellt habe und letztes Jahr Frau Nicola Houmlmke die mich nun gerade vorgestellt hat Als wir zum ersten Mal das diesjaumlhrige Sommerfest ansprachen war auch gar nicht klar ob ich weg sein wuumlrde Nur dass alle bisherigen Professorinnen und Professoren sprechen sollten stand bald fest Dass ich dies nun als ehemalige Professorin tue erfuumlllt mich mit einem merkwuumlrdigen Gefuumlhl Der Titel mei-nes Vortrags war als Platzhalter gedacht er blieb dann aber weil er so passend war Der persoumln-liche Bezug ist offensichtlich Mir ging natuumlrlich sehr viel durch den Kopf nach uumlber einem Jahr-zehnt hier vor Ort wo ich so viele Studierende und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe Aber es war gewuumlnscht uumlber etwas zu sprechen das in Potsdam seinen Anfang nahm Ich habe hier begonnen mich intensiv mit Phaedrus zu beschaumlftigen mehrere Auf-saumltze sind hier entstanden dann der Kommentar zu Buch 1 und zuletzt bis in die letzten Stunden vor dem Umzug im Februar ein ausfuumlhrlicher For-schungsbericht In mehreren Seminaren konnte ich mit Studierenden meine Ideen zu Phaedrus diskutieren hier ist die Gelegenheit mich auch hierfuumlr einmal zu bedanken Das Gleiche gilt fuumlr das Altertumswissenschaftliche Kolloquium so-wie die Diskussionsrunden an unserem Jour fi xe Bei einem solchen Thema denkt man bisweilen es sei abgeschlossen doch dann tun sich immer

Uumlberlegungen aus gegebenem Anlass Ein Vortrag in vier Kapiteln und zwei Vorbemerkungen

Der Vortragsstil wurde beibehalten

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

75LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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Grex Potsdamiensis

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auch nach der Ermordung des Amatius den Altar einzuweihen und die ersten Opfer fuumlr Caesar dar-bringen zu lassen5 Caesar als Gott zu verehren war also offensichtlich ein verbreiteter Wunsch Aber seine Verwirklichung barg ein gewisses Risiko Im Ringen um die Macht kam ein Konkur-rent der Caesar als Gott auf seine Seite brachte den Nachfolgern ndash noch ndash gaumlnzlich ungelegen Rufmord ndash das zeigte die Uumlberlieferung uumlber den angeblichen Pferdearzt ndash musste den Mord erst vervollstaumlndigen Gut dreiszligig Jahre vorher war die Reihenfolge der Aktionen und Reaktionen umgekehrt gewesen Mit der Darbringung von Kerzen und Weihrauch verehrten roumlmische Buumlrger den Neffen des be-ruumlhmten Feldherrn Gaius Marius der als Marcus Marius (Gratidianus) zweimaliger Stadtpraumltor gewesen war noch zu Lebzeiten Sulla Mariusrsquo erbitterter Gegner lieszlig den so Verehrten durch Catilina ergreifen ihm die Beine brechen die Augen ausstechen Zunge und Arme abschnei-den und ihn gliedweise bei lebendigem Leibe zerstuumlckeln wie Seneca mehr als einhundert Jahre spaumlter voller Abscheu in seiner Abhandlung bdquoUumlber den Zornldquo berichtete6 Auch hier war die Einbeziehung eines uumlbermenschlichen Akteurs in

das Alltagshandeln roumlmischer Buumlrger ein Risiko das nach dem Wechsel der Machthaber geahndet wurde Neu war das alles nicht Schon 100 Jahre fruumlher lieszlig Plautus seiner Komoumldie Asinaria seine Charaktere daruumlber streiten mit welchen traditi-onellen Goumltternamen sie ihren Wohltaumlter anreden sollten Daruumlber dass Darbringungen vor einer Statue und einem Altar ihn als Gott konstituieren wuumlrden waren sie sich einig7

Religioumlse Kommunikation mit einem neuen Ad-ressaten war also leicht ins Werk zu setzen Durch wenige konventionelle Zeichen oder Handlungen beziehungsweise deren Kombination war sie als solche erkennbar Ob sie von den Anderen als angemessen beurteilt wurde war weit weniger einfach vorherzusagen denn die Initiative muss-te nicht immer bei den sozialen oder politischen Spitzen der Gesellschaft liegen Ganz im Gegen-teil wie gesehen konnten solche Initiativen be-stehende Machtkonstellationen in verschiedener Hinsicht veraumlndern Die Einbeziehung von leben-den oder juumlngst verstorbenen (und mit Verwand-ten versehenen) Personen als neue Adressaten

06 Sen Ira 3181ndash207 Plaut Asin 711ndash718

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religioumlser Verehrung war insofern nicht weniger brisant als die Einbeziehung von etablierten Gott-heiten etwa gegnerischer Gruppen oder Ethnien ob das nun der Gott der Juden Perser oder Dru-iden warWenn die religioumlse Initiative den Handlungsspiel-raum des Initiators oder der Initiatorin deutlich vergroumlszligern konnte war es wichtig dafuumlr Ver-buumlndete zu gewinnen vielleicht sogar uumlber die eigenen schon vorhandenen Anhaumlnger hinaus In Benevent errichtete vor dem Jahr 15 v Chr der Aufsteiger Publius Veidius Publii filius Pollio ein bdquoCaesareumldquo fuumlr Augustus wie die Kolonie Be-nevent ndash jener Veidius der durch seine Grausam-keit Sklaven an Muraumlnen zu verfuumlttern literari-schen Ruhm gewann8 In Ferentinum errichtete einige Zeit spaumlter Sextus Hortensius Clarus nicht nur ein bdquoAugusteumldquo sondern den Buumlrgern auch ein Forum und ein Nebengebaumlude Er begleitete die Einweihung des auf eigene Kosten und auf eigenem Grund errichteten Gebaumludes mit einem groszligen Bankett9 Gerade soziale Aufsteiger ge-wannen durch die erfolgreiche Etablierung eines Kultortes oder jaumlhrlich wiederholter Rituale eine neue Qualitaumlt oumlffentlicher Praumlsenz Das steigerte ihre Bereitschaft fuumlr die damit entstehenden Kos-ten aufzukommen und die eigene Zeit dafuumlr ein-zusetzen entsprechende Rollen zu uumlbernehmen Die zahlreichen Beispiele von Augustalen (seviri Augustales) die den Kaiserkult in Italien besorg-ten zeigten das10 Religioumlses Handeln auszuwei-ten bot also fuumlr viele Beteiligte einen Gewinn

InstitutionenUnd dennoch etwas Neues zu beginnen war in Gesellschaften die ihre gefuumlhlte Stabilitaumlt aus dem gewannen bdquowas schon immer so gewesen warldquo immer ein Risiko Das nachzuahmen was die Maumlchtigen und Erfolgreichen Haumlndler oder fuumlr Rom arbeitende Verwalter taten war eine Moumlglichkeit ndash wobei auch Widerstand gelegent-lich schick sein konnte aber uns haumlufig verborgen bleibt Sichtbar war Anderes In der Nachahmung roumlmischer religioumlser Praktiken entstanden bei-spielsweise massenhaft Inschriften und Tempel im Westen des Imperium Romanum Wer wurde da verehrt Wenn man durch religioumlses Handeln Handlungsspielraumlume und Positionen in der Mitte der bestehenden provinzialen Gesellschaften er-oumlffnen wollte war es wichtig dass der Angespro-chene das als bdquogoumlttlichldquo bestimmte also auch nicht leicht fassbare und damit nicht uumlber jeden Zweifel erhabene Gegenuumlber fuumlr die Umstehen-den doch zumindest einigermaszligen zustimmungs-faumlhig war11 Den fernen Augustus in Rom zu einem solchen goumlttlichen Gegenuumlber zu machen war sicher uumlberraschend hatte aber viel fuumlr sich Seine Exis-tenz war kaum zu bezweifeln seine Macht eben-so wenig Fuumlr entfernte Provinziale reicher Staumldte oder abgelegener Landdistrikte war das vermut-lich eher zu bestreiten als fuumlr Italiker Maumlnner mit roumlmischem Buumlrgerrecht oder frisch Unterworfene Allen jedoch bot der jeweilige Augustus einen eindeutigen Bezugspunkt eine Person deren Gesicht da und dort zu sehen dessen Name da und dort zu lesen von dessen Wirken da und dort zu erzaumlhlen warWie die Relevanz dieses fernen Gottes fuumlr den Ort in der Provinz im Einzelfall behauptet und wie der Adressat (oder die Adressatin) im Detail bestimmt wurde das hing von Verschiedenem ab von der Kompetenz und dem Wissen sowie dem Interesse an Originalitaumlt der einzelnen Akteure ebenso wie von lokalen Traditionen religioumlser Kommunikation Der Stadtrat der Kolonie Pisa entschied sich nach dem Tod des Lucius Caesar (17 v Chr bis 2 n

08 CIL 91556 Zur Person s Dio 54231ndash 609 CIL 11743110 Valentino Gasparini raquoLes cultes isiaques et les pouvoirs locaux en Italielaquo in L Bricault M J Versluys (Hgg) Power Politics and the Cults of Isis Proceedings of the Vth International Conference of Isis Studies Boulogne- sur-Mer October 13ndash15 2011 Leiden 2014 S 260ndash29911 Zu den Implikationen s Ruumlpke bdquoReligious Agency Identity and Communication Reflecting on History and Theory of Religionrdquo Religion 45 (2015) S 344ndash366

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Chr) des Adoptivsohnes des Augustus einen Altar mit einer jaumlhrlichen Feier fuumlr Luciusrsquo Manes zu errichten ndash das zunehmend gelaumlufig werden-de Di manes wie es massenhaft Grabsteine zu schmuumlcken begann wurde im Text mehrheitlich vermieden12 Doch nicht nur die Bezeichnung des Adressaten formulierte das Gremium und die na-mentlich genannten Schreiber Quintus Petillius Publius Rasinius Bassus Marcus Puppius Quin-tus Sertorius Pica Gnaeus Octavius Rufus und Aulus Albius Gutta sorgfaumlltig Ebenso sorgfaumlltig waren sie in der Anordnung der Handlungen die im Rahmen der Feier auszufuumlhren waren Die fuumlr die herausragenden Rollen des Totenritu-als Zugelassenen mussten schwarze Togen tra-gen Das zu schlachtende Rind und Schaf waren ebenfalls mit Binden schwarz zu schmuumlcken ndash in dem in Rom als tiefste Trauerfarbe verstandenen Blauschwarz13 Je eine Urne voll Milch Honig und

Oumll sollten uumlber den verbrannten Resten der Tiere ausgegossen werden Personen ohne Legitimati-on durch ein oumlffentliches Amt war die Mitwirkung erlaubt sie waren aber auf entweder eine Kerze eine Fackel oder einen Kranz beschraumlnkt die sie in den brennenden Holzstoszlig werfen durften Fuumlr weitere Regelungen schloss man sich dem ein-schlaumlgigen Beschluss des roumlmischen Senates an Das alles so vermerkte die inschriftliche Fassung des Beschlusses war auf einer Inschrift direkt am Altar festzuhalten Die religioumlse Kommunikation mit den Manen des Lucius war in der Auffuumlhrung des 20 August am eindrucksvollsten doch sie war daruumlber hinaus sichtbar schon allein durch den sorgfaumlltig platzierten Altar vor dem nach griechischem Muster auch die Verbrennung statt-fand

Wie muss man sich den goumlttlichen Kaiser vorstellenDas verbreitete Nachdenken uumlber das was Menschen ausmachte hatte sich im massen-haften Auftreten der Bezeichnung di manes auf Grabsteinen seit dem ausgehenden ersten Jahr-hundert v Chr niedergeschlagen Vor diesem Hintergrund wurde auch die Frage ob und wie Herrscher in politischer oder religioumlser Kommu-nikation anzusprechen waren diskutiert Im Feld der Moumlglichkeiten markierte divus eine Position die den Uumlbergang als eine scharf markierte Un-terscheidung fasste Formal der Titel einer Person ndash also etwa bdquoDivus Augustusldquo ndash behauptete man mit seiner Benutzung die Identitaumlt einer Persoumln-lichkeit von Mensch und Gott Aumlhnlich wie in der Republik die Senatoren diskutiert hatten ob beobachtete Vorzeichen als Prodigien fuumlr die res publica zu werten seien so diskutierten sie nun

12 CIL 111420 = ILS 139 sa den nachfolgenden Beschluss nach dem Tod des Bruders Gaius Caesar im Jahr 4 n Chr (CIL 111421 = ILS 140)13 Zu dieser Farblogik s Joumlrg Ruumlpke bdquoVexillum caeruleumrdquo RhM 136 (1993) S 374ndash37614 Zsuzsanna Vaacuterhelyi The Religion of senators in the Roman Empire Cambridge 2010 166

Joumlrg Ruumlpke im Gespraumlch mit Andreas Fritsch

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ob ein Mensch den sie selbst beobachtet hatten zum Gott geworden sein konnte14 Zugleich wies der Titel der sich auch in aumllteren Gottesnamen ndash Diva Palatua Diva Angerona Diva Rumina Bona Diva15 (auch Bona Dea) ndash fand in die Welt etab-lierter Gottheiten Wie zweideutig aber selbst die Begriffswahl war zeigt die Tatsache dass noch Cicero gerade den Begriff divus fuumlr alte deus als Bezeichnung fuumlr neue durch Vergoumlttlichung von Menschen entstandene Gottheiten verwendet zu haben scheint (hier ist die Textuumlberlieferung pro-blematisch)16 Kurzum in Bezug auf einen ehe-mals lebenden Menschen suggerierte der Begriff divus eine erkennbare Statusaumlnderung In Rom lieferten die Senatoren oder die Nachfol-ger der Verstorbenen mit dem Konsekrationsri-tual die Grundlage fuumlr diese Veraumlnderung Bild-lich zum Teil auch rituell war die Metapher der Himmelfahrt ndash ob in Gestalt eines aufsteigenden Adlers oder als Fahrt auf dem Sonnenwagen ndash dafuumlr zentral Dieser Aufstieg konnte beobachtet werden war wie das Auftauchen eines neuen Sterns eines Kometen im Falle Caesars (oder das leere Grab mit dem weggeschobenen Stein im Falle Jesu) empirisch fassbar oder durch Au-genzeugen beglaubigt Das etablierte Ritual knuumlpfte an alte Geschichten an beginnend mit Romulus und wiederholte diese zuverlaumlssig und beobachtbar es fand immer auf dem Marsfeld statt die Organisatoren lieszligen immer einen Adler aufsteigen den jedermann beobachten konnte es gab immer einen Scheiterhaufen selbst wenn die Leiche laumlngst beseitigt war17 Die Aufstiegs-

geschichte diese bdquoAszendenz-Theologieldquo war krude Doch sie erlaubte auch Kontrolle Nicht jedem wurde das Marsfeld fuumlr ein solches Ritual geoumlffnet Fuumlr die Alternativen zu diesem scharf markierten Aufstieg vom Menschen zum Gott gab es keine vergleichbare Kontrolle und rituelle Standardisie-rung Die reichsten Assoziationen bot die Vorstel-lung der andere und vor allem der Herrscher koumlnne die Epiphanie eines bekannten Gottes sein Diese Annahme in eigene religioumlse Kommu-nikation einzubauen war nicht nur ehrenvoll fuumlr den so identifizierten Kaiser (falls ein boumlswilliger Beobachter den Vorwurf der Majestaumltsverletzung geltend machen wollte) sondern erschloss auch ein reiches Spektrum an Bildern und Geschichten die zur weiteren Plausibilisierung herangezogen werden konnten In der konkreten Situation duumlrf-te aber zumeist der umgekehrte Vorgang wichti-ger gewesen sein Die Ansprache des bekannten Gottes konnte mit den persoumlnlichen und politi-schen Facetten des Kaisers wichtiger und in der Situation relevanter gemacht werden Die Figur des Herkules war hier eine naheliegende Wahl war dieser doch tatkraumlftig Ordnung schaffend und zudem selbst ein Aufsteiger vom Menschen zum Gott Er war also eine passende Reflexions-figur fuumlr den Sachverhalt der hier zur Debatte stand Das Spektrum war jedoch noch weiter Es reichte von Iuppiter dem zentralen politischen Gott der Stadt Rom und Zeus der eine vergleich-bare Rolle in vielen Staumldten der ostmediterranen Welt spielte uumlber den triumphierenden Dionysus (uumlbertragen auf Liber Pater) bis hin zu Apollo und Romulus Quirinus In manchen Faumlllen legte der Betroffene solche Gleichsetzungen selbst nahe indem er etwa eine Gottheit zu einem besonders wichtigen eigenen Adressaten machte ihr Tempel oder Spiele stiftete oder sich selbst entsprechend kleidete Naumlhe und genealogische Beziehung Epiphanie oder innere Praumlsenz des Goumlttlichen ndash die Moumlg-lichkeiten das Verhaumlltnis zu konzeptualisieren waren vielfaumlltig ein Bedarf an Praumlzision war eher

15 ZB Varro ling 745 Fasti Praenestini Inscr It 132139 Ov am 3637 fast 5148 Plin Nat 365 Solin 16 Aug civ 610 (Varro) 16 Cic leg 222 in der Textrekonstruktion durch Andrew Dyck 17 So Anne-Francoise Jaccottet raquoDu Corps Humain au Corps Divin Lrsquoapotheacuteose dans lrsquoimaginaire et les repreacutesentations figureacuteeslaquo in P Borgeaud D Fabiano (Hgg) Reception et Construction du Divine dans lrsquoAntiquiteacute Recherches et Rencontres 31 Genegraveve 2013 S 293ndash32218 ILS 119-121

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selten In Ritualen die den Initiatoren so wichtig waren dass sie auch in inschriftlicher Form einen Niederschlag fanden wurde so die verstorbene Livia als (im Dativ der Empfaumlngerin) Livia Augusti dea Iuno Livia (Liviae) Augusti und Ceres Iulia (Iuliae) Augustaae angesprochen18 Was im Sprachlichen doppeldeutig blieb lieszlig sich bildlich klaumlren etwa indem der Urheber der religioumlsen Kommunikation zwei Statuen nebeneinander stellte (Dea) Roma und Augustus waren ein be-liebtes Paar Venus und Caesar ein umstrittenes Die Wahl des Materials konnte dem Objekt eine Nuance geben die Betrachterinnen und Betrach-ter einte oder polarisierte Man konnte keine Goldstatue aufstellen und dann behaupten den Dargestellten nicht zu vergoumlttlichen Gerade die klar ausgewiesene Eigenstaumlndigkeit der Persoumln-lichkeit des Menschen provozierte dabei die Frage nach seinem ontologischen Status nach seinem Ort in einer Ordnung die fuumlr Engel Daumlmonen und Goumltter selbstverstaumlndlich aber im Detail raumlt-selhaft und in der jeweiligen Situation umstritten sein musste19

Uumlberlegungen zur Person des Augustus oder sei- ner Familie anzustellen war aber ndash allenfalls ndash ein Nebenaspekt bei der Wahl gerade solcher Adres-

saten in religioumlser Kommunikation Der zentrale bdquoTrickldquo dieser Wahl bestand vielmehr in der enor-men Relevanzsteigerung einer Kommunikation die in einen lokalen Kontext einen unbezweifel-bar reichsweit handelnden Akteur einbezog Das mochten Umstehende als bdquounnoumltigldquo betrachten das aumlnderte jedoch nichts daran dass der oder die Initiatorin damit ihr Anliegen aufgewertet hatte ndash gleichzeitig freilich dazu aufgefordert war eine entsprechend aufwendige Gestaltung dieser Kommunikation zu liefern Amatius hatte das gespuumlrt ndash und seine maumlchtigeren Konkurren-ten auch Ob als Gott oder nur Widmungstraumlger als Adressat nicht nur religioumlser sondern auch literarischer Kommunikation Als moumlglicher Gott war der Herrscher wichtiger geworden In der Kenntnis um diese antiken Zusammenhaumlnge sieht man die Kommunikation mit und uumlber heutige Autokraten anders Weit muss man dazu nicht schweifen

Impressum ISSN 0945-2257

Latein und Griechisch in Berlin und Brandenburg erscheint vierteljaumlhrlich und wird herausgegeben vom Vorstand des Landesverbandes Berlin und Brandenburg im Deutschen Altphilologenverband (DAV) wwwdavbbde

1 Vorsitzender Prof Dr Stefan Kipf Humboldt Universitaumlt zu Berlin Didaktik Griechisch und Latein middot Unter den Linden 6 middot 10099 Berlin stefankipfstaffhu-berlinde

2 Vorsitzende StR Gerlinde Lutter Tagore-SchuleGymnasium Berlin middot g1lutteraolcom Andrea Weiner Alexander von Humboldt Gymnasium Eberswalde

Schriftleitung des Maya BrandlMitteilungsblattes Zehntwerderweg 171 a middot 13469 Berlin middot mayabrandlgmxde

Kassenwartin StR Peggy Klausnitzer peggyklausnitzert-onlinede

Beisitzer Prof Dr Nicola Houmlmke StD Dr Josef Rabl

Grafik Layout Fabian Ehlers Karlsruher Straszlige 12 middot 10711 Berlin middot wwwart-und-adde

19 Unter einem Begriff wie bdquoEngelldquo (angelos) konnten sich wiederum unterschiedlichste lokale Vorstellungen verbergen Rangar H Cline Ancient Angels Conceptualizing Angeloi in the Roman Empire Religions in the Graeco-Roman World 172 Leiden 2011 S 75

IMPR

ESSU

M

Peter Riemer Ein Anfang mit BE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stunde

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Liebe Ursula liebe Nicola lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende liebe Gaumlste bevor ich Peter Riemers Vortrag zum heutigen Jubilauml-umsfest verlese erlauben Sie mir einige

persoumlnliche Bemerkungen Wie die meisten von Ihnen wissen vertritt Nicola Houmlmke seit dem fuumlr uns schmerzlichen (aber verstaumlndlichen) Wech-sel Ursula Gaumlrtners nach Graz den Lehrstuhl fuumlr Klassische Philologie an unserer Universitaumlt Die Art und Weise wie sie dies tut etwa bei dem von Frau Gaumlrtner begruumlndeten sbquojour fi xelsquo oder im Altertumswissenschaftlichen Kolloquium fi nde ich hervorragend ich bin ihr nicht nur deswegen sehr dankbar und wuumlnsche Ihr dass sie dies auch weiterhin so tun kannAls mir Nicola Houmlmke vor kurzem mitteilte dass Peter Riemer seinen Vortrag an unserem Jubilauml-umsfest leider nicht halten koumlnne er es aber gut faumlnde wenn ich in seinem Namen seine Rede vortruumlge hatte ich aus verschiedenen Gruumlnden zunaumlchst groszlige Bedenken Einer dieser Gruumlnde reicht bis in meine Kindheit zuruumlck Bei der Feier der Heiligen Messe konnte ich als Ministrant nicht selten nur zu deutlich erleben wie sich die sonst durchaus neugierig gespannte Aufmerksamkeit meiner kleinen nordsaarlaumlndischen Heimatge-meinde just in dem Augenblick in einen ndash eu-phemistisch ausgedruumlckt ndash auffaumlllig veraumlnderten Ruhezustand verwandelte in dem der Pfarrer ankuumlndigte er werde statt zu predigen einen Hirtenbrief des Trierer Landesbischofs verlesen Nachdem mir Peter Riemer dann mitteilte dass er in seinem Vortrag vor allem aus sehr persoumln-licher Sicht an die Anfaumlnge des Potsdamer Insti-tuts fuumlr Klassische Philologie erinnern wolle ha-ben sich meine Bedenken sofort zerstreut Seine Gedanken und Erinnerungen die ich Ihnen gleich vortrage zeugen wie ich schon beim ersten Le-

sen feststellen konnte noch vom selben anste-ckenden Enthusiasmus mit dem er bereits vor zwanzig Jahren die ersten Studierenden in Pots-dam fuumlr die Beschaumlftigung mit antiken Texten zu begeistern verstanden hat Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine weitere ganz kurze persoumlnliche digressio Ich lese gerade ein spannendes Buch des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa der darin die Frage nach dem gelingenden bzw guten Leben mit Hilfe des Kriteriums der Resonanzerfahrung zu beantworten versucht Seine diesbezuumlglichen Analysen der verschiede-nen Lebenssphaumlren der Familie der Arbeit der Religion der Kunst des Sports fuumlhren ihn zu der nicht ganz uumlberraschenden Diagnose dass es fuumlr die Menschen kapitalistischer vor allem von Entfremdung gepraumlgter Gesellschaften der Postmoderne immer schwieriger werde lebens-wichtige Resonanz-Erfahrungen zu machen bei denen es in unterschiedlichen Zusammenhaumlngen nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-

Eingeleitet von Eugen Braun

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ven sondern auch leiblichen Beruumlhrung zwischen Subjekt und Welt komme (Wenn Ihnen dies jetzt zu unverstaumlndlich bzw philosophisch vor-kommt so haben Sie heute ab 21 Uhr wenn man Herrn Rosa glauben will die Moumlglichkeit ganz anschaulich auf dem Fernsehbildschirm ein zu-mindest bdquopraumlreflexives somatisch-soziales Reso-nanzgeschehenldquo mit zu verfolgen vorausgesetzt natuumlrlich Sie finden uumlberhaupt Gefallen daran 22 erwachsenen Menschen dabei zuzuschauen wie sie einem Ball hinterherlaufen und diesen in ein Tor zu befoumlrdern versuchen) Bei der Lektuumlre von Herrn Rosas Buch hat sich mir unwillkuumlrlich auch die Frage nach moumlglichen Resonanzerfah-rungen auf der Universitaumlt gestellt ich habe noch keine abschlieszligende Antwort gefunden Dass die Universitaumlt als Staumltte des Lernens und Lehrens primaumlr kein Ort zur Erfuumlllung lebensphilosophi-scher Sehnsuumlchte sein kann und darf sondern vor allem einen werturteilsfreien Fachunterricht zum Ziel haben muss der allenfalls zu einer bes-seren rationalen Abwaumlgung der verschiedenen Welt- und Lebensanschauungen beitragen kann wie sie auch in Texten der griechisch-roumlmischen Antike paradigmatisch erkennbar sind habe ich von Max Weber gelernt In seinem beruumlhmten Vortrag bdquoWissenschaft als Berufldquo hat Weber wie Sie wissen ebendies vor fast genau hundert Jahren den Studenten der Muumlnchener Universi-taumlt nachdruumlcklich verstaumlndlich zu machen ver-sucht In diesem Vortrag (Weber war uumlbrigens sbquoSchwipp-Schwagerlsquo von Wilamowitz) findet sich allerdings auch der bekannte Satz bdquoNichts ist fuumlr den Menschen als Menschen etwas wert was er nicht mit Leidenschaft tun kannldquo Wenn Studie-rende heute das Studium der Klassischen Philo-logie wie es scheint vor allem absolvieren und absolvieren muumlssen um sog Leistungspunkte zu erwerben entspricht dies einer allgemeinen Ent-wicklung der Universitaumlten die ich nicht weiter kommentieren will Dass Studierende sich dieser Entwicklung zum Trotz jedoch zum Gluumlck immer noch in Seminaren ja sogar Grammatikuumlbungen fuumlr den sbquoStofflsquo begeistern lassen habe ich selbst

noch heute Morgen erleben duumlrfen und in den letzten Jahren immer wieder vereinzelten Ruumlck-meldungen insbesondere zu Veranstaltungen Ursula Gaumlrtners entnehmen koumlnnen Aus der An-fangszeit unseres Instituts faumlllt mir in diesem Zu-sammenhang besonders Joumlrg Ruumlpkes Vorlesung uumlber Roumlmische Geschichtsschreibung ein deren Mitschnitt bzw Aufnahme Frau Geyer dann zu einem sehr begehrten Buch gemacht hat Wie spannend seine fachwissenschaftliche Beschrei-bung religioumlsen Handelns in der Antike (und der damit verbundenen vertikalen Resonanzachsen) sein kann haben Sie alle gerade selbst erleben koumlnnen (Ich persoumlnlich bin schon sehr gespannt auf sein neues Buch uumlber die Geschichte der an-tiken Religionen das am 19 September erscheint und fuumlr das ich an dieser Stelle schon einmal Reklame machen darf) Wie es Peter Riemer in seiner Potsdamer Zeit auf charismatische Weise verstanden hat das Interesse der Studierenden etwa fuumlr die Aeneis in lebendigen Diskussionen immer mehr zu vertiefen weiszlig ich von einzelnen Seminarteilnehmern und wie eindrucksvoll es ihm nicht nur damals gelungen ist sondern auch heute noch gelingt in den akademischen Lehr-betrieb auch Erfahrungen kuumlnstlerisch-performa-tiver Resonanz zu integrieren geht auch aus dem folgenden Vortrag hervor den ich nun verlesen darf (Dabei versuche ich den moumlglicherweise doch aufkommenden Gedanken dass Saarbruuml-cken wo Herr Riemer derzeit lehrt nicht weit von Trier entfernt liegt so gut es geht zu unter-druumlcken) Der Vortrag traumlgt den Titel sbquoEin Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stundersquo und beginnt mit den Worten

Liebe Frau Gaumlrtner liebe Frau Houmlmke lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende und sofern anwesend natuumlrlich auch zu begruuml-szligen der Dekan SpectabilisEs ist wirklich bedauerlich dass ich am heutigen Tag nicht selbst dabei sein kann das Institutsju-bilaumlum zu feiern Eine schon seit Monaten termi-nierte Berufungskommission mit Probevortraumlgen

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und der anschlieszligenden Entscheidungsfindung an eben dem 7 Juli 2016 laumlsst mich einfach nicht aus Saarbruumlcken fort Aber zumindest koumlnnen diese Zeilen hier verlesen werden Es muss wohl der 4 oder 5 Oktober 1995 gewesen sein als wir in Golm die kuumlnftigen Raumlume des Instituts fuumlr Klassische Philologie aufsuchten Eugen Braun und ich ndash wir waren verabredet und er moumlglicher-weise vor mir da Joumlrg Ruumlpke kam dann erst in der Woche darauf wenn ich mich recht entsinne ndash da hatten wir die Raumlume schon halbwegs einge-nommen freilich noch ohne neues Mobiliar Alles war muffig und ziemlich heruntergekommen Das hatte nichts mit den aktuellen Anglisten zu tun von denen wir die Raumlume erbten Vielmehr fanden sich in den Schreibtischen und Schraumln-ken Abschlussarbeiten und andere Unterlagen (Korrespondenzen und Berichte) aus der Zeit der Brandenburgischen Landeshochschule und zwar noch aus den Jahren vor der Wende Man hatte den Eindruck die Zimmer seien seit Gruumlndung der Universitaumlt 1991 nur nebenbei quasi behelfs-weise genutzt worden Sie konnten 11 so wie sie waren in ein DDR-Hochschul-Museum uumlberfuumlhrt werden Dietrich Schwanitz hatte offenbar diesel-ben Eindruumlcke gehabt und in seinem Roman bdquoDer Zirkelldquo absolut treffend wiedergegeben Schwa-nitz ist dem Ruf auf eine Potsdamer Anglistik-Professur bekanntlich nicht gefolgt (vielleicht deshalb) Nun gut Da standen wir also und mussten irgendwie anfangen Keine Beschriftung deutete darauf hin dass hier einmal das Institut fuumlr Klassische Philologie sein wuumlrde Wir brauch-ten dringend Material Computer Drucker Papier Nicht einmal Bleistifte waren vorhanden Fuumlr Bestellungen von Material und Geraumlten gab es Formblaumltter Die bekamen wir von Frau Schwarz der Verwaltungschefin der Fakultaumlt Wir fuumlllten die Formulare aus und mussten feststellen dass selbst dies nicht so einfach war wenn man noch gar nichts besaszlig Denn auf den Formularen wurde ein Stempel verlangt Man musste sogar wenn man einen Stempel bestellen wollte erst einmal selbst einen Stempel haben bdquoStempel und

Unterschriftldquo hieszlig es unten auf dem Blatt Kurios Wir zogen in die Romanistik und liehen uns von dort einen Stempel aus bdquoInstitut fuumlr Romanis-tikldquo Natuumlrlich strichen wir die Romanistik durch und schrieben in Druckbuchstaben sozusagen in lsquoStempelschriftrsquo bdquoKlassische Philologieldquo daruumlber und bestellten auf diese Weise erst einmal einen Stempel und dann das uumlbrige Material So ka-men wir an unsere ersten Bleistifte

Zu einem Universitaumltsinstitut gehoumlrt selbstver-staumlndlich eine gut bestuumlckte Bibliothek Da wir ja praktisch bei Null anfingen brauchten wir von allem alles Lexika und Handbuumlcher Primaumlrtexte und Sekundaumlrliteratur Weil auch andere Institu-te fuumlr ihre Buchbestaumlnde Geld benoumltigten aber schon vor uns da waren und ihre Anspruumlche laumlngst geltend gemacht hatten blieb fuumlr uns nur noch ein kleiner Rest aus dem Topf der Beschaf-fungsmittel Der Hinweis auf die gut ausgestatte-ten Bibliotheken in Berlin war uns nur ein schwa-cher Trost Schlieszliglich sollten so dachten wir die Studenten auch drauszligen in Golm Buumlcher vorfin-den die ihrem Studium dienten Wir skizzierten daher einen klassisch-philologischen Grundbe-stand und baten Frau Gaschuumltz die fuumlr unsere Bibliothek zustaumlndig war zu kaufen was der Markt eben hergab Aber auf dem Buumlchermarkt fanden sich freilich kaum aumlltere Werke bis zuruumlck ins 19 Jahrhundert Deshalb nahmen wir Kontakt mit den Instituten in Greifswald und Halle auf die sich gern von ihren Dubletten trennten um dafuumlr etwas Geld fuumlr Neuanschaffungen zu erhalten Joumlrg Ruumlpke wird sicher noch die Fahrt zu Martin Hose in Greifswald in Erinnerung haben (ich hoffe in guter) die wir so zuumlgig unternahmen (zugleich in Gespraumlche vertieft) dass uns irgendwo auf der Landstraszlige ein mecklenburg-vorpommersches Blitzgeraumlt erwischte Jedesmal wenn ich seitdem auf dem Weg an die Ostsee oder zuruumlck geblitzt werde (und das passiert leider immer wieder Mecklenburg-Vorpommern hat mehr Blitzgeraumlte als Einwohner) faumlllt mir die denkwuumlrdige Tour von damals wieder ein

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Somit bekamen wir nach und nach ndash wie gesagt fuumlr wenig Geld ndash einen systematischen Buchbe-stand in erstaunlicher Fuumllle zusammen Und da verschlug es mir den Atem als Frau Gaschuumltz aus dem Magazin der Potsdamer UB eine vollstaumlndi-ge Realenzyklopaumldie hervorzauberte Eine RE in Potsdam noch aus der Gruumlndungszeit der Paumld-agogischen Hochschule Wie war das moumlglich Die Klassische Philologie besaszlig als wir kamen noch keinen Bleistift hatte aber schon eine RE im Keller Des Raumltsels Loumlsung Wir waren nicht die ersten Ende der 40-er Jahre des 20 Jahrhun-derts sollte die Paumldagogische Hochschule auch Latein und Griechisch im Programm haben und kein geringerer als Werner Peeck (der letzte Wila-mowitz-Schuumller) war mit der Einrichtung betraut worden Auch er hatte damals mit Buumlcherkaumlufen begonnen Doch die Aufgabe der Lateinlehrer-ausbildung fuumlr die Oberschulen der DDR fiel dann den Hallensern zu Peeck ging folglich nach Halle sicherlich auch mit einigen Buumlchern im Gepaumlck Die RE lieszlig er aber in Potsdam zuruumlck Somit koumlnnten zieht man die Unterbrechung bis 1995 ab die Peeckschen Jahre hinzugerechnet werden und das heute zu feierende Jubilaumlum waumlre ein 25-JaumlhrigesIm Wintersemester 199596 hatten wir selbst-verstaumlndlich Lehrveranstaltungen angekuumlndigt Aber es kamen keine Studenten Wie denn auch Wir besaszligen ja nicht einmal eine Studienordnung Also setzten wir uns regelmaumlszligig zusammen Joumlrg Ruumlpke Eugen Braun und ich und bastelten an unseren Ordnungen fuumlr das Studium der Latei-nischen und der Griechischen Philologie Und es war nicht einfach die Ordnungen in der gebote-nen Eile durch die Gremien zu bringen vor allem die sogenannte LSK die Senatskommission fuumlr Studium und Lehre tat sich schwer damals gelei-tet von dem Mathematikdidaktiker Thomas Jahn-ke Ich erwaumlhne ihn namentlich weil er noch ein Schuumller des beruumlhmten Frankfurter Gymnasialleh-rers Eduard Bornemann war dem wir wunderba-re lateinische und griechische Grammatiken und Schulbuumlcher verdanken Herr Jahnke war unseren

Studiengaumlngen sehr zugetan an ihm lag es nicht dass sich manches verzoumlgerte Das der LSK ange-houmlrende Mitglied des Bildungsministeriums legte uns immer wieder Steine in den Weg Der Mann wollte unserem Konzept eines breit angelegten Lateinstudiums unter Einbeziehung sprachwis-senschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Ele-mente und definitiv gestuumltzt auf die klassischen Autoren nicht zustimmen und wollte uns glaub-haft machen dass das Latein des Mittelalters und das Neulateinische viel wichtiger seien fuumlr einen modernen Schulunterricht Nun gut Irgendwie hatten wir den Kampf dann doch gewonnen und das Ministerium beruhigen koumlnnen Wir erhielten postwendend den Auftrag uumlber hundert Latein-lehrer fuumlr das Land Brandenburg nachzuschulen Darin bestand dann tatsaumlchlich die groszlige Aufga-be der ersten Jahre des Instituts Jeden Freitag hatten wir unseren bdquoLehrertagldquo und ermoumlglich-ten (unterstuumltzt von der Weiterbildungs-GmbH in Babelsberg) einer groszligen Reihe von schon lange taumltigen Lehrerinnen und ndashlehrern das Erweite-rungsfach Latein zu erwerben vielleicht ist der eine oder die andere von damals heute hier ganz herzliche Gruumlszlige Es war eine wunderbare Zeit mit sehr schoumlnen Erfahrungen Aus einem Vergil-Proseminar uumlber die Aeneis im Winter 199798 ist die Idee hervorgegangen dass die Tragik der Didofigur nicht separat betrachtet werden koumlnne auch die Rolle des Aeneas habe tragische Zuumlge Die Tragik des Aeneas wenn man sie ernsthaft in den Blick nimmt geht auf Aischylos zuruumlck Die-sen Kerngedanken habe ich aus den Diskussionen mit den Lehrern mitgenommen Entsprechendes publiziert und zuletzt sogar im Rahmen eines Theaterprojekts auf die Buumlhne bringen koumlnnen

Joumlrg Ruumlpke und ich wurden ja glaube ich gebe-ten von Dingen zu berichten die wir aus Potsdam mitgenommen bzw die uns beeinflusst haben Dies waumlre eines das Aischyleische in der Aeneis Dann waumlre auf jeden Fall zu nennen eine von Joumlrg Ruumlpke Pedro Barcelo und mir zusammen mit John Scheid im Steiner-Verlag herausgegebene

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Reihe die noch im Namen ihren Ursprung verraumlt bdquodie Postdamer altertumswissenschaftlichen Bei-traumlgeldquo mittlerweile 55 Baumlnde umfassend

Was mir Potsdam mit auf den Weg gegeben hat ist zudem die Interdisziplinaritaumlt In Koumlln wo ich akademisch aufgewachsen bin konzentrierten sich die einzelnen Disziplinen sehr auf sich selbst (ich glaube das machen sie auch heute noch) Das mag an der Groumlszlige der Faumlcher oder auch an der Groumlszlige der dortigen Philosophischen Fakultaumlt liegen In Potsdam haben wir von Beginn an unter weitaus engeren Bedingungen die Naumlhe zu ande-ren Disziplinen und das Miteinander gesucht Ich denke gern an die gemeinsamen Lehrveranstal-tungen mit dem Anglisten Peter Drexler oder mit der Germanistin Margrid Bircken zuruumlck Aus der Zusammenarbeit mit diesen Nachbarphilologien ist denn auch der Studiengang bdquoVergleichende Literaturwissenschaftldquo hervorgegangen heute ndash nachdem die Kunstgeschichte die seinerzeit noch fehlte dazugekommen ist ndash bdquoVergleichende Lite-ratur- und Kunstwissenschaftldquo Aumlhnliches erlebe ich in Saarbruumlcken wo wir durch die Reduktion verschiedener Faumlcher auf einzelne Professuren geradezu gezwungen sind kooperativ zu for-schen und zu lehren Die Gemeinschaft der Alter-tumswissenschaften mit Alter Geschichte Klassi-scher Archaumlologie Vor- und Fruumlhgeschichte und der Klassischen Philologie in Bachelor- und Mas-terstudiengaumlngen ist ein Beispiel Kuumlnftig werden noch die bdquoEuropaumlischen Literaturenldquo mit alt- und neuphilologischen Angeboten an der Universitaumlt des Saarlandes dazukommen Dies kann durch-aus mit dem verglichen werden was wir damals in Potsdam schon kennengelernt haben Wenn ich bdquowirldquo sage beziehe ich immer Christoph Ku-gelmeier mit ein der mir im Sommer 2000 als Assistent ins Saarland folgte und heute als auszliger-planmaumlszligiger Professor zu einem unverzichtbaren Kollegen geworden istAls letzten Punkt in Sachen Mitnahme und Wei-terwirken moumlchte ich erwaumlhnen dass die Verbin-dung zwischen dem ortsansaumlssigen Theater und

der Klassischen Philologie hier in Potsdam fuumlr uns praumlgend war Das Hans-Otto-Theater war damals offen fuumlr vielfaumlltige Kooperationen mit uns Altphi-lologen Wir konnten eine Tagung zum bdquoChor im antiken und modernen Dramaldquo auf der Proben-buumlhne des Theaters durchfuumlhren keine rein wis-senschaftliche Konferenz sondern eine Mischung aus Theorie und Praxis Klassische Philologen Anglisten und Germanisten kamen zu Wort Da-neben aber berichtete ein Opernregisseur der die euripideischen Bakchen in Athen inszeniert hatte von seiner Arbeit der griechische Komponist der die Original-Chorpartien der Bakchen zum Klin-gen gebracht hatte erklaumlrte uns seine Prinzipien ein Berliner Regisseur sprach uumlber zwei Oumldipus-Inszenierungen in Afrika und Chemnitz usw die-se Erfahrung eines produktiven Bruumlckenschlags zwischen den Dramentexten und der Buumlhne praumlgt seitdem unsere Arbeit Wir sind heute wie-der eng verbunden mit der Buumlhnenpraxis diesmal mit dem Saarlaumlndischen Staatstheater dem wir wie seinerzeit in Potsdam hin und wieder fuumlr die Inszenierung antiker Stuumlcke beratend zur Seite stehen und richten Konferenzen aus auf denen Dramaturgen und Regisseure mit Literaturwis-senschaftlern ins Gespraumlch kommen

Vielleicht haben wir damit ein Stuumlck Potsdam an die Saar geholt Wir denken jedenfalls mit Weh-mut und Dankbarkeit an die Potsdamer Jahre zu-ruumlck Sie waren und sind nach wie vor wertvoll fuumlr uns Und ich empfinde es als ein besonderes Gluumlck dass das Potsdamer Institut eine so schouml-ne Entwicklung nach unserem Weggang genom-men hat Ein groszliges Kompliment an dieser Stelle an Ursula Gaumlrtner und und das gesamte Team Zu diesem Team gehoumlrt natuumlrlich Frau Geyer sie ist Herz und Seele des Instituts fuumlr Studierende und Mitarbeiter Da haben Joumlrg Ruumlpke und ich damals wohl eine unserer besten Entscheidungen getrof-fen gerade sie als Sekretaumlrin einzustellen Auch ihr ein herzlicher Gruszlig von der Saar an die Havel Und dies leitet uumlber zu geographisch-personalen Aspekten mit denen ich die Rede schlieszligen

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moumlchte Nicht nur hat Nicola Houmlmke die jetzt fuumlr einige Jahre die Geschicke der Klassischen Philo-logie am Neuen Palais mit bestimmt ihren Weg nach Potsdam uumlber Rostock genommen Auch Frau Geyer war vor ihrer Potsdamer Zeit an der Rostocker Universitaumlt in Diensten Dasselbe trifft auf Eugen Braun zu Eine wahrhaft gluumlckliche Rostock-Potsdam-Konnexion

Zu Ursula Gaumlrtner Sie war mir schon ein Begriff als sie sich in Leipzig habilitierte denn Ekkehard Staumlrk hatte 1999 in einem Potsdamer Promoti-onsverfahren gegutachtet (es ging um Plautus) und konnte wie er mir im Januar 2000 schrieb nicht an der Disputatio Anfang Februar teilneh-men weil er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation mit seinen Kraumlften haushalten musste und ihm in diesem Zeitraum die Habilitation von Frau Gaumlrtner mehr am Herzen lag Wir hatten da-fuumlr vollstes Verstaumlndnis Und so war es erfreulich zu sehen dass eben diese Ursula Gaumlrtner sich bald darauf um die Nachfolge auf dem Lehrstuhl in Potsdam bewarb und das auch noch mit Erfolg ndash Sie heute in Graz zu wissen ist ebenfalls begluuml-ckend Bitte nicht missverstehen Das hat nichts mit dem Wegsein von Potsdam als vielmehr mit

dem Dasein in Graz zu tun Auch hier wieder eine kuriose Fuumlgung Im Jahre 2010 waren Norbert Franz fuumlr die Slavistik und ich fuumlr die Klassische Philologie als Gutachter in Graz taumltig Es ging um die Evaluation der Literaturwissenschaften dort In dem Abschlussbericht konnten bzw mussten wir hervorheben dass die Grazer Klassische Phi-lologie nie zu einer vollen Entfaltung gelangt wenn nur die Griechischprofessur besetzt ist Bei aller Liebe fuumlr das Griechische Ohne Latein geht es nicht Ob sich die Universitaumlt jene Hinweise auf die Bedeutung der lateinischen Literatur fuumlr die uumlbrigen Literaturwissenschaften zu Herzen ge-nommen hat weiszlig ich nicht Aber das Ergebnis stimmt Jetzt hat die dortige Klassische Philologie mit der Besetzung der Latinistik wieder eine aus-sichtsreiche Zukunft Daher mein Zuruf Macte virtute esto

Der Zuruf gilt auch den Potsdamern Ich wuumlnsche dem Institut fuumlr Klassische Philologie und der Alt-philologie in Brandenburg insgesamt weiterhin groumlszligtmoumlgliche Wirksamkeit Und fuumlr heute ein schoumlnes Fest

Ihr Peter Riemer

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1 VorbemerkungEs ist merkwuumlrdig bei dem traditionellen Som-merfest der Klassischen Philologie als Vortra-gende aufzutreten nachdem ich selbst in all den Jahren unsere Gastvortragenden vorgestellt habe und letztes Jahr Frau Nicola Houmlmke die mich nun gerade vorgestellt hat Als wir zum ersten Mal das diesjaumlhrige Sommerfest ansprachen war auch gar nicht klar ob ich weg sein wuumlrde Nur dass alle bisherigen Professorinnen und Professoren sprechen sollten stand bald fest Dass ich dies nun als ehemalige Professorin tue erfuumlllt mich mit einem merkwuumlrdigen Gefuumlhl Der Titel mei-nes Vortrags war als Platzhalter gedacht er blieb dann aber weil er so passend war Der persoumln-liche Bezug ist offensichtlich Mir ging natuumlrlich sehr viel durch den Kopf nach uumlber einem Jahr-zehnt hier vor Ort wo ich so viele Studierende und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe Aber es war gewuumlnscht uumlber etwas zu sprechen das in Potsdam seinen Anfang nahm Ich habe hier begonnen mich intensiv mit Phaedrus zu beschaumlftigen mehrere Auf-saumltze sind hier entstanden dann der Kommentar zu Buch 1 und zuletzt bis in die letzten Stunden vor dem Umzug im Februar ein ausfuumlhrlicher For-schungsbericht In mehreren Seminaren konnte ich mit Studierenden meine Ideen zu Phaedrus diskutieren hier ist die Gelegenheit mich auch hierfuumlr einmal zu bedanken Das Gleiche gilt fuumlr das Altertumswissenschaftliche Kolloquium so-wie die Diskussionsrunden an unserem Jour fi xe Bei einem solchen Thema denkt man bisweilen es sei abgeschlossen doch dann tun sich immer

Uumlberlegungen aus gegebenem Anlass Ein Vortrag in vier Kapiteln und zwei Vorbemerkungen

Der Vortragsstil wurde beibehalten

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

69LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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religioumlser Verehrung war insofern nicht weniger brisant als die Einbeziehung von etablierten Gott-heiten etwa gegnerischer Gruppen oder Ethnien ob das nun der Gott der Juden Perser oder Dru-iden warWenn die religioumlse Initiative den Handlungsspiel-raum des Initiators oder der Initiatorin deutlich vergroumlszligern konnte war es wichtig dafuumlr Ver-buumlndete zu gewinnen vielleicht sogar uumlber die eigenen schon vorhandenen Anhaumlnger hinaus In Benevent errichtete vor dem Jahr 15 v Chr der Aufsteiger Publius Veidius Publii filius Pollio ein bdquoCaesareumldquo fuumlr Augustus wie die Kolonie Be-nevent ndash jener Veidius der durch seine Grausam-keit Sklaven an Muraumlnen zu verfuumlttern literari-schen Ruhm gewann8 In Ferentinum errichtete einige Zeit spaumlter Sextus Hortensius Clarus nicht nur ein bdquoAugusteumldquo sondern den Buumlrgern auch ein Forum und ein Nebengebaumlude Er begleitete die Einweihung des auf eigene Kosten und auf eigenem Grund errichteten Gebaumludes mit einem groszligen Bankett9 Gerade soziale Aufsteiger ge-wannen durch die erfolgreiche Etablierung eines Kultortes oder jaumlhrlich wiederholter Rituale eine neue Qualitaumlt oumlffentlicher Praumlsenz Das steigerte ihre Bereitschaft fuumlr die damit entstehenden Kos-ten aufzukommen und die eigene Zeit dafuumlr ein-zusetzen entsprechende Rollen zu uumlbernehmen Die zahlreichen Beispiele von Augustalen (seviri Augustales) die den Kaiserkult in Italien besorg-ten zeigten das10 Religioumlses Handeln auszuwei-ten bot also fuumlr viele Beteiligte einen Gewinn

InstitutionenUnd dennoch etwas Neues zu beginnen war in Gesellschaften die ihre gefuumlhlte Stabilitaumlt aus dem gewannen bdquowas schon immer so gewesen warldquo immer ein Risiko Das nachzuahmen was die Maumlchtigen und Erfolgreichen Haumlndler oder fuumlr Rom arbeitende Verwalter taten war eine Moumlglichkeit ndash wobei auch Widerstand gelegent-lich schick sein konnte aber uns haumlufig verborgen bleibt Sichtbar war Anderes In der Nachahmung roumlmischer religioumlser Praktiken entstanden bei-spielsweise massenhaft Inschriften und Tempel im Westen des Imperium Romanum Wer wurde da verehrt Wenn man durch religioumlses Handeln Handlungsspielraumlume und Positionen in der Mitte der bestehenden provinzialen Gesellschaften er-oumlffnen wollte war es wichtig dass der Angespro-chene das als bdquogoumlttlichldquo bestimmte also auch nicht leicht fassbare und damit nicht uumlber jeden Zweifel erhabene Gegenuumlber fuumlr die Umstehen-den doch zumindest einigermaszligen zustimmungs-faumlhig war11 Den fernen Augustus in Rom zu einem solchen goumlttlichen Gegenuumlber zu machen war sicher uumlberraschend hatte aber viel fuumlr sich Seine Exis-tenz war kaum zu bezweifeln seine Macht eben-so wenig Fuumlr entfernte Provinziale reicher Staumldte oder abgelegener Landdistrikte war das vermut-lich eher zu bestreiten als fuumlr Italiker Maumlnner mit roumlmischem Buumlrgerrecht oder frisch Unterworfene Allen jedoch bot der jeweilige Augustus einen eindeutigen Bezugspunkt eine Person deren Gesicht da und dort zu sehen dessen Name da und dort zu lesen von dessen Wirken da und dort zu erzaumlhlen warWie die Relevanz dieses fernen Gottes fuumlr den Ort in der Provinz im Einzelfall behauptet und wie der Adressat (oder die Adressatin) im Detail bestimmt wurde das hing von Verschiedenem ab von der Kompetenz und dem Wissen sowie dem Interesse an Originalitaumlt der einzelnen Akteure ebenso wie von lokalen Traditionen religioumlser Kommunikation Der Stadtrat der Kolonie Pisa entschied sich nach dem Tod des Lucius Caesar (17 v Chr bis 2 n

08 CIL 91556 Zur Person s Dio 54231ndash 609 CIL 11743110 Valentino Gasparini raquoLes cultes isiaques et les pouvoirs locaux en Italielaquo in L Bricault M J Versluys (Hgg) Power Politics and the Cults of Isis Proceedings of the Vth International Conference of Isis Studies Boulogne- sur-Mer October 13ndash15 2011 Leiden 2014 S 260ndash29911 Zu den Implikationen s Ruumlpke bdquoReligious Agency Identity and Communication Reflecting on History and Theory of Religionrdquo Religion 45 (2015) S 344ndash366

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Chr) des Adoptivsohnes des Augustus einen Altar mit einer jaumlhrlichen Feier fuumlr Luciusrsquo Manes zu errichten ndash das zunehmend gelaumlufig werden-de Di manes wie es massenhaft Grabsteine zu schmuumlcken begann wurde im Text mehrheitlich vermieden12 Doch nicht nur die Bezeichnung des Adressaten formulierte das Gremium und die na-mentlich genannten Schreiber Quintus Petillius Publius Rasinius Bassus Marcus Puppius Quin-tus Sertorius Pica Gnaeus Octavius Rufus und Aulus Albius Gutta sorgfaumlltig Ebenso sorgfaumlltig waren sie in der Anordnung der Handlungen die im Rahmen der Feier auszufuumlhren waren Die fuumlr die herausragenden Rollen des Totenritu-als Zugelassenen mussten schwarze Togen tra-gen Das zu schlachtende Rind und Schaf waren ebenfalls mit Binden schwarz zu schmuumlcken ndash in dem in Rom als tiefste Trauerfarbe verstandenen Blauschwarz13 Je eine Urne voll Milch Honig und

Oumll sollten uumlber den verbrannten Resten der Tiere ausgegossen werden Personen ohne Legitimati-on durch ein oumlffentliches Amt war die Mitwirkung erlaubt sie waren aber auf entweder eine Kerze eine Fackel oder einen Kranz beschraumlnkt die sie in den brennenden Holzstoszlig werfen durften Fuumlr weitere Regelungen schloss man sich dem ein-schlaumlgigen Beschluss des roumlmischen Senates an Das alles so vermerkte die inschriftliche Fassung des Beschlusses war auf einer Inschrift direkt am Altar festzuhalten Die religioumlse Kommunikation mit den Manen des Lucius war in der Auffuumlhrung des 20 August am eindrucksvollsten doch sie war daruumlber hinaus sichtbar schon allein durch den sorgfaumlltig platzierten Altar vor dem nach griechischem Muster auch die Verbrennung statt-fand

Wie muss man sich den goumlttlichen Kaiser vorstellenDas verbreitete Nachdenken uumlber das was Menschen ausmachte hatte sich im massen-haften Auftreten der Bezeichnung di manes auf Grabsteinen seit dem ausgehenden ersten Jahr-hundert v Chr niedergeschlagen Vor diesem Hintergrund wurde auch die Frage ob und wie Herrscher in politischer oder religioumlser Kommu-nikation anzusprechen waren diskutiert Im Feld der Moumlglichkeiten markierte divus eine Position die den Uumlbergang als eine scharf markierte Un-terscheidung fasste Formal der Titel einer Person ndash also etwa bdquoDivus Augustusldquo ndash behauptete man mit seiner Benutzung die Identitaumlt einer Persoumln-lichkeit von Mensch und Gott Aumlhnlich wie in der Republik die Senatoren diskutiert hatten ob beobachtete Vorzeichen als Prodigien fuumlr die res publica zu werten seien so diskutierten sie nun

12 CIL 111420 = ILS 139 sa den nachfolgenden Beschluss nach dem Tod des Bruders Gaius Caesar im Jahr 4 n Chr (CIL 111421 = ILS 140)13 Zu dieser Farblogik s Joumlrg Ruumlpke bdquoVexillum caeruleumrdquo RhM 136 (1993) S 374ndash37614 Zsuzsanna Vaacuterhelyi The Religion of senators in the Roman Empire Cambridge 2010 166

Joumlrg Ruumlpke im Gespraumlch mit Andreas Fritsch

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ob ein Mensch den sie selbst beobachtet hatten zum Gott geworden sein konnte14 Zugleich wies der Titel der sich auch in aumllteren Gottesnamen ndash Diva Palatua Diva Angerona Diva Rumina Bona Diva15 (auch Bona Dea) ndash fand in die Welt etab-lierter Gottheiten Wie zweideutig aber selbst die Begriffswahl war zeigt die Tatsache dass noch Cicero gerade den Begriff divus fuumlr alte deus als Bezeichnung fuumlr neue durch Vergoumlttlichung von Menschen entstandene Gottheiten verwendet zu haben scheint (hier ist die Textuumlberlieferung pro-blematisch)16 Kurzum in Bezug auf einen ehe-mals lebenden Menschen suggerierte der Begriff divus eine erkennbare Statusaumlnderung In Rom lieferten die Senatoren oder die Nachfol-ger der Verstorbenen mit dem Konsekrationsri-tual die Grundlage fuumlr diese Veraumlnderung Bild-lich zum Teil auch rituell war die Metapher der Himmelfahrt ndash ob in Gestalt eines aufsteigenden Adlers oder als Fahrt auf dem Sonnenwagen ndash dafuumlr zentral Dieser Aufstieg konnte beobachtet werden war wie das Auftauchen eines neuen Sterns eines Kometen im Falle Caesars (oder das leere Grab mit dem weggeschobenen Stein im Falle Jesu) empirisch fassbar oder durch Au-genzeugen beglaubigt Das etablierte Ritual knuumlpfte an alte Geschichten an beginnend mit Romulus und wiederholte diese zuverlaumlssig und beobachtbar es fand immer auf dem Marsfeld statt die Organisatoren lieszligen immer einen Adler aufsteigen den jedermann beobachten konnte es gab immer einen Scheiterhaufen selbst wenn die Leiche laumlngst beseitigt war17 Die Aufstiegs-

geschichte diese bdquoAszendenz-Theologieldquo war krude Doch sie erlaubte auch Kontrolle Nicht jedem wurde das Marsfeld fuumlr ein solches Ritual geoumlffnet Fuumlr die Alternativen zu diesem scharf markierten Aufstieg vom Menschen zum Gott gab es keine vergleichbare Kontrolle und rituelle Standardisie-rung Die reichsten Assoziationen bot die Vorstel-lung der andere und vor allem der Herrscher koumlnne die Epiphanie eines bekannten Gottes sein Diese Annahme in eigene religioumlse Kommu-nikation einzubauen war nicht nur ehrenvoll fuumlr den so identifizierten Kaiser (falls ein boumlswilliger Beobachter den Vorwurf der Majestaumltsverletzung geltend machen wollte) sondern erschloss auch ein reiches Spektrum an Bildern und Geschichten die zur weiteren Plausibilisierung herangezogen werden konnten In der konkreten Situation duumlrf-te aber zumeist der umgekehrte Vorgang wichti-ger gewesen sein Die Ansprache des bekannten Gottes konnte mit den persoumlnlichen und politi-schen Facetten des Kaisers wichtiger und in der Situation relevanter gemacht werden Die Figur des Herkules war hier eine naheliegende Wahl war dieser doch tatkraumlftig Ordnung schaffend und zudem selbst ein Aufsteiger vom Menschen zum Gott Er war also eine passende Reflexions-figur fuumlr den Sachverhalt der hier zur Debatte stand Das Spektrum war jedoch noch weiter Es reichte von Iuppiter dem zentralen politischen Gott der Stadt Rom und Zeus der eine vergleich-bare Rolle in vielen Staumldten der ostmediterranen Welt spielte uumlber den triumphierenden Dionysus (uumlbertragen auf Liber Pater) bis hin zu Apollo und Romulus Quirinus In manchen Faumlllen legte der Betroffene solche Gleichsetzungen selbst nahe indem er etwa eine Gottheit zu einem besonders wichtigen eigenen Adressaten machte ihr Tempel oder Spiele stiftete oder sich selbst entsprechend kleidete Naumlhe und genealogische Beziehung Epiphanie oder innere Praumlsenz des Goumlttlichen ndash die Moumlg-lichkeiten das Verhaumlltnis zu konzeptualisieren waren vielfaumlltig ein Bedarf an Praumlzision war eher

15 ZB Varro ling 745 Fasti Praenestini Inscr It 132139 Ov am 3637 fast 5148 Plin Nat 365 Solin 16 Aug civ 610 (Varro) 16 Cic leg 222 in der Textrekonstruktion durch Andrew Dyck 17 So Anne-Francoise Jaccottet raquoDu Corps Humain au Corps Divin Lrsquoapotheacuteose dans lrsquoimaginaire et les repreacutesentations figureacuteeslaquo in P Borgeaud D Fabiano (Hgg) Reception et Construction du Divine dans lrsquoAntiquiteacute Recherches et Rencontres 31 Genegraveve 2013 S 293ndash32218 ILS 119-121

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selten In Ritualen die den Initiatoren so wichtig waren dass sie auch in inschriftlicher Form einen Niederschlag fanden wurde so die verstorbene Livia als (im Dativ der Empfaumlngerin) Livia Augusti dea Iuno Livia (Liviae) Augusti und Ceres Iulia (Iuliae) Augustaae angesprochen18 Was im Sprachlichen doppeldeutig blieb lieszlig sich bildlich klaumlren etwa indem der Urheber der religioumlsen Kommunikation zwei Statuen nebeneinander stellte (Dea) Roma und Augustus waren ein be-liebtes Paar Venus und Caesar ein umstrittenes Die Wahl des Materials konnte dem Objekt eine Nuance geben die Betrachterinnen und Betrach-ter einte oder polarisierte Man konnte keine Goldstatue aufstellen und dann behaupten den Dargestellten nicht zu vergoumlttlichen Gerade die klar ausgewiesene Eigenstaumlndigkeit der Persoumln-lichkeit des Menschen provozierte dabei die Frage nach seinem ontologischen Status nach seinem Ort in einer Ordnung die fuumlr Engel Daumlmonen und Goumltter selbstverstaumlndlich aber im Detail raumlt-selhaft und in der jeweiligen Situation umstritten sein musste19

Uumlberlegungen zur Person des Augustus oder sei- ner Familie anzustellen war aber ndash allenfalls ndash ein Nebenaspekt bei der Wahl gerade solcher Adres-

saten in religioumlser Kommunikation Der zentrale bdquoTrickldquo dieser Wahl bestand vielmehr in der enor-men Relevanzsteigerung einer Kommunikation die in einen lokalen Kontext einen unbezweifel-bar reichsweit handelnden Akteur einbezog Das mochten Umstehende als bdquounnoumltigldquo betrachten das aumlnderte jedoch nichts daran dass der oder die Initiatorin damit ihr Anliegen aufgewertet hatte ndash gleichzeitig freilich dazu aufgefordert war eine entsprechend aufwendige Gestaltung dieser Kommunikation zu liefern Amatius hatte das gespuumlrt ndash und seine maumlchtigeren Konkurren-ten auch Ob als Gott oder nur Widmungstraumlger als Adressat nicht nur religioumlser sondern auch literarischer Kommunikation Als moumlglicher Gott war der Herrscher wichtiger geworden In der Kenntnis um diese antiken Zusammenhaumlnge sieht man die Kommunikation mit und uumlber heutige Autokraten anders Weit muss man dazu nicht schweifen

Impressum ISSN 0945-2257

Latein und Griechisch in Berlin und Brandenburg erscheint vierteljaumlhrlich und wird herausgegeben vom Vorstand des Landesverbandes Berlin und Brandenburg im Deutschen Altphilologenverband (DAV) wwwdavbbde

1 Vorsitzender Prof Dr Stefan Kipf Humboldt Universitaumlt zu Berlin Didaktik Griechisch und Latein middot Unter den Linden 6 middot 10099 Berlin stefankipfstaffhu-berlinde

2 Vorsitzende StR Gerlinde Lutter Tagore-SchuleGymnasium Berlin middot g1lutteraolcom Andrea Weiner Alexander von Humboldt Gymnasium Eberswalde

Schriftleitung des Maya BrandlMitteilungsblattes Zehntwerderweg 171 a middot 13469 Berlin middot mayabrandlgmxde

Kassenwartin StR Peggy Klausnitzer peggyklausnitzert-onlinede

Beisitzer Prof Dr Nicola Houmlmke StD Dr Josef Rabl

Grafik Layout Fabian Ehlers Karlsruher Straszlige 12 middot 10711 Berlin middot wwwart-und-adde

19 Unter einem Begriff wie bdquoEngelldquo (angelos) konnten sich wiederum unterschiedlichste lokale Vorstellungen verbergen Rangar H Cline Ancient Angels Conceptualizing Angeloi in the Roman Empire Religions in the Graeco-Roman World 172 Leiden 2011 S 75

IMPR

ESSU

M

Peter Riemer Ein Anfang mit BE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stunde

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Liebe Ursula liebe Nicola lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende liebe Gaumlste bevor ich Peter Riemers Vortrag zum heutigen Jubilauml-umsfest verlese erlauben Sie mir einige

persoumlnliche Bemerkungen Wie die meisten von Ihnen wissen vertritt Nicola Houmlmke seit dem fuumlr uns schmerzlichen (aber verstaumlndlichen) Wech-sel Ursula Gaumlrtners nach Graz den Lehrstuhl fuumlr Klassische Philologie an unserer Universitaumlt Die Art und Weise wie sie dies tut etwa bei dem von Frau Gaumlrtner begruumlndeten sbquojour fi xelsquo oder im Altertumswissenschaftlichen Kolloquium fi nde ich hervorragend ich bin ihr nicht nur deswegen sehr dankbar und wuumlnsche Ihr dass sie dies auch weiterhin so tun kannAls mir Nicola Houmlmke vor kurzem mitteilte dass Peter Riemer seinen Vortrag an unserem Jubilauml-umsfest leider nicht halten koumlnne er es aber gut faumlnde wenn ich in seinem Namen seine Rede vortruumlge hatte ich aus verschiedenen Gruumlnden zunaumlchst groszlige Bedenken Einer dieser Gruumlnde reicht bis in meine Kindheit zuruumlck Bei der Feier der Heiligen Messe konnte ich als Ministrant nicht selten nur zu deutlich erleben wie sich die sonst durchaus neugierig gespannte Aufmerksamkeit meiner kleinen nordsaarlaumlndischen Heimatge-meinde just in dem Augenblick in einen ndash eu-phemistisch ausgedruumlckt ndash auffaumlllig veraumlnderten Ruhezustand verwandelte in dem der Pfarrer ankuumlndigte er werde statt zu predigen einen Hirtenbrief des Trierer Landesbischofs verlesen Nachdem mir Peter Riemer dann mitteilte dass er in seinem Vortrag vor allem aus sehr persoumln-licher Sicht an die Anfaumlnge des Potsdamer Insti-tuts fuumlr Klassische Philologie erinnern wolle ha-ben sich meine Bedenken sofort zerstreut Seine Gedanken und Erinnerungen die ich Ihnen gleich vortrage zeugen wie ich schon beim ersten Le-

sen feststellen konnte noch vom selben anste-ckenden Enthusiasmus mit dem er bereits vor zwanzig Jahren die ersten Studierenden in Pots-dam fuumlr die Beschaumlftigung mit antiken Texten zu begeistern verstanden hat Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine weitere ganz kurze persoumlnliche digressio Ich lese gerade ein spannendes Buch des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa der darin die Frage nach dem gelingenden bzw guten Leben mit Hilfe des Kriteriums der Resonanzerfahrung zu beantworten versucht Seine diesbezuumlglichen Analysen der verschiede-nen Lebenssphaumlren der Familie der Arbeit der Religion der Kunst des Sports fuumlhren ihn zu der nicht ganz uumlberraschenden Diagnose dass es fuumlr die Menschen kapitalistischer vor allem von Entfremdung gepraumlgter Gesellschaften der Postmoderne immer schwieriger werde lebens-wichtige Resonanz-Erfahrungen zu machen bei denen es in unterschiedlichen Zusammenhaumlngen nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-

Eingeleitet von Eugen Braun

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ven sondern auch leiblichen Beruumlhrung zwischen Subjekt und Welt komme (Wenn Ihnen dies jetzt zu unverstaumlndlich bzw philosophisch vor-kommt so haben Sie heute ab 21 Uhr wenn man Herrn Rosa glauben will die Moumlglichkeit ganz anschaulich auf dem Fernsehbildschirm ein zu-mindest bdquopraumlreflexives somatisch-soziales Reso-nanzgeschehenldquo mit zu verfolgen vorausgesetzt natuumlrlich Sie finden uumlberhaupt Gefallen daran 22 erwachsenen Menschen dabei zuzuschauen wie sie einem Ball hinterherlaufen und diesen in ein Tor zu befoumlrdern versuchen) Bei der Lektuumlre von Herrn Rosas Buch hat sich mir unwillkuumlrlich auch die Frage nach moumlglichen Resonanzerfah-rungen auf der Universitaumlt gestellt ich habe noch keine abschlieszligende Antwort gefunden Dass die Universitaumlt als Staumltte des Lernens und Lehrens primaumlr kein Ort zur Erfuumlllung lebensphilosophi-scher Sehnsuumlchte sein kann und darf sondern vor allem einen werturteilsfreien Fachunterricht zum Ziel haben muss der allenfalls zu einer bes-seren rationalen Abwaumlgung der verschiedenen Welt- und Lebensanschauungen beitragen kann wie sie auch in Texten der griechisch-roumlmischen Antike paradigmatisch erkennbar sind habe ich von Max Weber gelernt In seinem beruumlhmten Vortrag bdquoWissenschaft als Berufldquo hat Weber wie Sie wissen ebendies vor fast genau hundert Jahren den Studenten der Muumlnchener Universi-taumlt nachdruumlcklich verstaumlndlich zu machen ver-sucht In diesem Vortrag (Weber war uumlbrigens sbquoSchwipp-Schwagerlsquo von Wilamowitz) findet sich allerdings auch der bekannte Satz bdquoNichts ist fuumlr den Menschen als Menschen etwas wert was er nicht mit Leidenschaft tun kannldquo Wenn Studie-rende heute das Studium der Klassischen Philo-logie wie es scheint vor allem absolvieren und absolvieren muumlssen um sog Leistungspunkte zu erwerben entspricht dies einer allgemeinen Ent-wicklung der Universitaumlten die ich nicht weiter kommentieren will Dass Studierende sich dieser Entwicklung zum Trotz jedoch zum Gluumlck immer noch in Seminaren ja sogar Grammatikuumlbungen fuumlr den sbquoStofflsquo begeistern lassen habe ich selbst

noch heute Morgen erleben duumlrfen und in den letzten Jahren immer wieder vereinzelten Ruumlck-meldungen insbesondere zu Veranstaltungen Ursula Gaumlrtners entnehmen koumlnnen Aus der An-fangszeit unseres Instituts faumlllt mir in diesem Zu-sammenhang besonders Joumlrg Ruumlpkes Vorlesung uumlber Roumlmische Geschichtsschreibung ein deren Mitschnitt bzw Aufnahme Frau Geyer dann zu einem sehr begehrten Buch gemacht hat Wie spannend seine fachwissenschaftliche Beschrei-bung religioumlsen Handelns in der Antike (und der damit verbundenen vertikalen Resonanzachsen) sein kann haben Sie alle gerade selbst erleben koumlnnen (Ich persoumlnlich bin schon sehr gespannt auf sein neues Buch uumlber die Geschichte der an-tiken Religionen das am 19 September erscheint und fuumlr das ich an dieser Stelle schon einmal Reklame machen darf) Wie es Peter Riemer in seiner Potsdamer Zeit auf charismatische Weise verstanden hat das Interesse der Studierenden etwa fuumlr die Aeneis in lebendigen Diskussionen immer mehr zu vertiefen weiszlig ich von einzelnen Seminarteilnehmern und wie eindrucksvoll es ihm nicht nur damals gelungen ist sondern auch heute noch gelingt in den akademischen Lehr-betrieb auch Erfahrungen kuumlnstlerisch-performa-tiver Resonanz zu integrieren geht auch aus dem folgenden Vortrag hervor den ich nun verlesen darf (Dabei versuche ich den moumlglicherweise doch aufkommenden Gedanken dass Saarbruuml-cken wo Herr Riemer derzeit lehrt nicht weit von Trier entfernt liegt so gut es geht zu unter-druumlcken) Der Vortrag traumlgt den Titel sbquoEin Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stundersquo und beginnt mit den Worten

Liebe Frau Gaumlrtner liebe Frau Houmlmke lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende und sofern anwesend natuumlrlich auch zu begruuml-szligen der Dekan SpectabilisEs ist wirklich bedauerlich dass ich am heutigen Tag nicht selbst dabei sein kann das Institutsju-bilaumlum zu feiern Eine schon seit Monaten termi-nierte Berufungskommission mit Probevortraumlgen

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und der anschlieszligenden Entscheidungsfindung an eben dem 7 Juli 2016 laumlsst mich einfach nicht aus Saarbruumlcken fort Aber zumindest koumlnnen diese Zeilen hier verlesen werden Es muss wohl der 4 oder 5 Oktober 1995 gewesen sein als wir in Golm die kuumlnftigen Raumlume des Instituts fuumlr Klassische Philologie aufsuchten Eugen Braun und ich ndash wir waren verabredet und er moumlglicher-weise vor mir da Joumlrg Ruumlpke kam dann erst in der Woche darauf wenn ich mich recht entsinne ndash da hatten wir die Raumlume schon halbwegs einge-nommen freilich noch ohne neues Mobiliar Alles war muffig und ziemlich heruntergekommen Das hatte nichts mit den aktuellen Anglisten zu tun von denen wir die Raumlume erbten Vielmehr fanden sich in den Schreibtischen und Schraumln-ken Abschlussarbeiten und andere Unterlagen (Korrespondenzen und Berichte) aus der Zeit der Brandenburgischen Landeshochschule und zwar noch aus den Jahren vor der Wende Man hatte den Eindruck die Zimmer seien seit Gruumlndung der Universitaumlt 1991 nur nebenbei quasi behelfs-weise genutzt worden Sie konnten 11 so wie sie waren in ein DDR-Hochschul-Museum uumlberfuumlhrt werden Dietrich Schwanitz hatte offenbar diesel-ben Eindruumlcke gehabt und in seinem Roman bdquoDer Zirkelldquo absolut treffend wiedergegeben Schwa-nitz ist dem Ruf auf eine Potsdamer Anglistik-Professur bekanntlich nicht gefolgt (vielleicht deshalb) Nun gut Da standen wir also und mussten irgendwie anfangen Keine Beschriftung deutete darauf hin dass hier einmal das Institut fuumlr Klassische Philologie sein wuumlrde Wir brauch-ten dringend Material Computer Drucker Papier Nicht einmal Bleistifte waren vorhanden Fuumlr Bestellungen von Material und Geraumlten gab es Formblaumltter Die bekamen wir von Frau Schwarz der Verwaltungschefin der Fakultaumlt Wir fuumlllten die Formulare aus und mussten feststellen dass selbst dies nicht so einfach war wenn man noch gar nichts besaszlig Denn auf den Formularen wurde ein Stempel verlangt Man musste sogar wenn man einen Stempel bestellen wollte erst einmal selbst einen Stempel haben bdquoStempel und

Unterschriftldquo hieszlig es unten auf dem Blatt Kurios Wir zogen in die Romanistik und liehen uns von dort einen Stempel aus bdquoInstitut fuumlr Romanis-tikldquo Natuumlrlich strichen wir die Romanistik durch und schrieben in Druckbuchstaben sozusagen in lsquoStempelschriftrsquo bdquoKlassische Philologieldquo daruumlber und bestellten auf diese Weise erst einmal einen Stempel und dann das uumlbrige Material So ka-men wir an unsere ersten Bleistifte

Zu einem Universitaumltsinstitut gehoumlrt selbstver-staumlndlich eine gut bestuumlckte Bibliothek Da wir ja praktisch bei Null anfingen brauchten wir von allem alles Lexika und Handbuumlcher Primaumlrtexte und Sekundaumlrliteratur Weil auch andere Institu-te fuumlr ihre Buchbestaumlnde Geld benoumltigten aber schon vor uns da waren und ihre Anspruumlche laumlngst geltend gemacht hatten blieb fuumlr uns nur noch ein kleiner Rest aus dem Topf der Beschaf-fungsmittel Der Hinweis auf die gut ausgestatte-ten Bibliotheken in Berlin war uns nur ein schwa-cher Trost Schlieszliglich sollten so dachten wir die Studenten auch drauszligen in Golm Buumlcher vorfin-den die ihrem Studium dienten Wir skizzierten daher einen klassisch-philologischen Grundbe-stand und baten Frau Gaschuumltz die fuumlr unsere Bibliothek zustaumlndig war zu kaufen was der Markt eben hergab Aber auf dem Buumlchermarkt fanden sich freilich kaum aumlltere Werke bis zuruumlck ins 19 Jahrhundert Deshalb nahmen wir Kontakt mit den Instituten in Greifswald und Halle auf die sich gern von ihren Dubletten trennten um dafuumlr etwas Geld fuumlr Neuanschaffungen zu erhalten Joumlrg Ruumlpke wird sicher noch die Fahrt zu Martin Hose in Greifswald in Erinnerung haben (ich hoffe in guter) die wir so zuumlgig unternahmen (zugleich in Gespraumlche vertieft) dass uns irgendwo auf der Landstraszlige ein mecklenburg-vorpommersches Blitzgeraumlt erwischte Jedesmal wenn ich seitdem auf dem Weg an die Ostsee oder zuruumlck geblitzt werde (und das passiert leider immer wieder Mecklenburg-Vorpommern hat mehr Blitzgeraumlte als Einwohner) faumlllt mir die denkwuumlrdige Tour von damals wieder ein

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Somit bekamen wir nach und nach ndash wie gesagt fuumlr wenig Geld ndash einen systematischen Buchbe-stand in erstaunlicher Fuumllle zusammen Und da verschlug es mir den Atem als Frau Gaschuumltz aus dem Magazin der Potsdamer UB eine vollstaumlndi-ge Realenzyklopaumldie hervorzauberte Eine RE in Potsdam noch aus der Gruumlndungszeit der Paumld-agogischen Hochschule Wie war das moumlglich Die Klassische Philologie besaszlig als wir kamen noch keinen Bleistift hatte aber schon eine RE im Keller Des Raumltsels Loumlsung Wir waren nicht die ersten Ende der 40-er Jahre des 20 Jahrhun-derts sollte die Paumldagogische Hochschule auch Latein und Griechisch im Programm haben und kein geringerer als Werner Peeck (der letzte Wila-mowitz-Schuumller) war mit der Einrichtung betraut worden Auch er hatte damals mit Buumlcherkaumlufen begonnen Doch die Aufgabe der Lateinlehrer-ausbildung fuumlr die Oberschulen der DDR fiel dann den Hallensern zu Peeck ging folglich nach Halle sicherlich auch mit einigen Buumlchern im Gepaumlck Die RE lieszlig er aber in Potsdam zuruumlck Somit koumlnnten zieht man die Unterbrechung bis 1995 ab die Peeckschen Jahre hinzugerechnet werden und das heute zu feierende Jubilaumlum waumlre ein 25-JaumlhrigesIm Wintersemester 199596 hatten wir selbst-verstaumlndlich Lehrveranstaltungen angekuumlndigt Aber es kamen keine Studenten Wie denn auch Wir besaszligen ja nicht einmal eine Studienordnung Also setzten wir uns regelmaumlszligig zusammen Joumlrg Ruumlpke Eugen Braun und ich und bastelten an unseren Ordnungen fuumlr das Studium der Latei-nischen und der Griechischen Philologie Und es war nicht einfach die Ordnungen in der gebote-nen Eile durch die Gremien zu bringen vor allem die sogenannte LSK die Senatskommission fuumlr Studium und Lehre tat sich schwer damals gelei-tet von dem Mathematikdidaktiker Thomas Jahn-ke Ich erwaumlhne ihn namentlich weil er noch ein Schuumller des beruumlhmten Frankfurter Gymnasialleh-rers Eduard Bornemann war dem wir wunderba-re lateinische und griechische Grammatiken und Schulbuumlcher verdanken Herr Jahnke war unseren

Studiengaumlngen sehr zugetan an ihm lag es nicht dass sich manches verzoumlgerte Das der LSK ange-houmlrende Mitglied des Bildungsministeriums legte uns immer wieder Steine in den Weg Der Mann wollte unserem Konzept eines breit angelegten Lateinstudiums unter Einbeziehung sprachwis-senschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Ele-mente und definitiv gestuumltzt auf die klassischen Autoren nicht zustimmen und wollte uns glaub-haft machen dass das Latein des Mittelalters und das Neulateinische viel wichtiger seien fuumlr einen modernen Schulunterricht Nun gut Irgendwie hatten wir den Kampf dann doch gewonnen und das Ministerium beruhigen koumlnnen Wir erhielten postwendend den Auftrag uumlber hundert Latein-lehrer fuumlr das Land Brandenburg nachzuschulen Darin bestand dann tatsaumlchlich die groszlige Aufga-be der ersten Jahre des Instituts Jeden Freitag hatten wir unseren bdquoLehrertagldquo und ermoumlglich-ten (unterstuumltzt von der Weiterbildungs-GmbH in Babelsberg) einer groszligen Reihe von schon lange taumltigen Lehrerinnen und ndashlehrern das Erweite-rungsfach Latein zu erwerben vielleicht ist der eine oder die andere von damals heute hier ganz herzliche Gruumlszlige Es war eine wunderbare Zeit mit sehr schoumlnen Erfahrungen Aus einem Vergil-Proseminar uumlber die Aeneis im Winter 199798 ist die Idee hervorgegangen dass die Tragik der Didofigur nicht separat betrachtet werden koumlnne auch die Rolle des Aeneas habe tragische Zuumlge Die Tragik des Aeneas wenn man sie ernsthaft in den Blick nimmt geht auf Aischylos zuruumlck Die-sen Kerngedanken habe ich aus den Diskussionen mit den Lehrern mitgenommen Entsprechendes publiziert und zuletzt sogar im Rahmen eines Theaterprojekts auf die Buumlhne bringen koumlnnen

Joumlrg Ruumlpke und ich wurden ja glaube ich gebe-ten von Dingen zu berichten die wir aus Potsdam mitgenommen bzw die uns beeinflusst haben Dies waumlre eines das Aischyleische in der Aeneis Dann waumlre auf jeden Fall zu nennen eine von Joumlrg Ruumlpke Pedro Barcelo und mir zusammen mit John Scheid im Steiner-Verlag herausgegebene

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Reihe die noch im Namen ihren Ursprung verraumlt bdquodie Postdamer altertumswissenschaftlichen Bei-traumlgeldquo mittlerweile 55 Baumlnde umfassend

Was mir Potsdam mit auf den Weg gegeben hat ist zudem die Interdisziplinaritaumlt In Koumlln wo ich akademisch aufgewachsen bin konzentrierten sich die einzelnen Disziplinen sehr auf sich selbst (ich glaube das machen sie auch heute noch) Das mag an der Groumlszlige der Faumlcher oder auch an der Groumlszlige der dortigen Philosophischen Fakultaumlt liegen In Potsdam haben wir von Beginn an unter weitaus engeren Bedingungen die Naumlhe zu ande-ren Disziplinen und das Miteinander gesucht Ich denke gern an die gemeinsamen Lehrveranstal-tungen mit dem Anglisten Peter Drexler oder mit der Germanistin Margrid Bircken zuruumlck Aus der Zusammenarbeit mit diesen Nachbarphilologien ist denn auch der Studiengang bdquoVergleichende Literaturwissenschaftldquo hervorgegangen heute ndash nachdem die Kunstgeschichte die seinerzeit noch fehlte dazugekommen ist ndash bdquoVergleichende Lite-ratur- und Kunstwissenschaftldquo Aumlhnliches erlebe ich in Saarbruumlcken wo wir durch die Reduktion verschiedener Faumlcher auf einzelne Professuren geradezu gezwungen sind kooperativ zu for-schen und zu lehren Die Gemeinschaft der Alter-tumswissenschaften mit Alter Geschichte Klassi-scher Archaumlologie Vor- und Fruumlhgeschichte und der Klassischen Philologie in Bachelor- und Mas-terstudiengaumlngen ist ein Beispiel Kuumlnftig werden noch die bdquoEuropaumlischen Literaturenldquo mit alt- und neuphilologischen Angeboten an der Universitaumlt des Saarlandes dazukommen Dies kann durch-aus mit dem verglichen werden was wir damals in Potsdam schon kennengelernt haben Wenn ich bdquowirldquo sage beziehe ich immer Christoph Ku-gelmeier mit ein der mir im Sommer 2000 als Assistent ins Saarland folgte und heute als auszliger-planmaumlszligiger Professor zu einem unverzichtbaren Kollegen geworden istAls letzten Punkt in Sachen Mitnahme und Wei-terwirken moumlchte ich erwaumlhnen dass die Verbin-dung zwischen dem ortsansaumlssigen Theater und

der Klassischen Philologie hier in Potsdam fuumlr uns praumlgend war Das Hans-Otto-Theater war damals offen fuumlr vielfaumlltige Kooperationen mit uns Altphi-lologen Wir konnten eine Tagung zum bdquoChor im antiken und modernen Dramaldquo auf der Proben-buumlhne des Theaters durchfuumlhren keine rein wis-senschaftliche Konferenz sondern eine Mischung aus Theorie und Praxis Klassische Philologen Anglisten und Germanisten kamen zu Wort Da-neben aber berichtete ein Opernregisseur der die euripideischen Bakchen in Athen inszeniert hatte von seiner Arbeit der griechische Komponist der die Original-Chorpartien der Bakchen zum Klin-gen gebracht hatte erklaumlrte uns seine Prinzipien ein Berliner Regisseur sprach uumlber zwei Oumldipus-Inszenierungen in Afrika und Chemnitz usw die-se Erfahrung eines produktiven Bruumlckenschlags zwischen den Dramentexten und der Buumlhne praumlgt seitdem unsere Arbeit Wir sind heute wie-der eng verbunden mit der Buumlhnenpraxis diesmal mit dem Saarlaumlndischen Staatstheater dem wir wie seinerzeit in Potsdam hin und wieder fuumlr die Inszenierung antiker Stuumlcke beratend zur Seite stehen und richten Konferenzen aus auf denen Dramaturgen und Regisseure mit Literaturwis-senschaftlern ins Gespraumlch kommen

Vielleicht haben wir damit ein Stuumlck Potsdam an die Saar geholt Wir denken jedenfalls mit Weh-mut und Dankbarkeit an die Potsdamer Jahre zu-ruumlck Sie waren und sind nach wie vor wertvoll fuumlr uns Und ich empfinde es als ein besonderes Gluumlck dass das Potsdamer Institut eine so schouml-ne Entwicklung nach unserem Weggang genom-men hat Ein groszliges Kompliment an dieser Stelle an Ursula Gaumlrtner und und das gesamte Team Zu diesem Team gehoumlrt natuumlrlich Frau Geyer sie ist Herz und Seele des Instituts fuumlr Studierende und Mitarbeiter Da haben Joumlrg Ruumlpke und ich damals wohl eine unserer besten Entscheidungen getrof-fen gerade sie als Sekretaumlrin einzustellen Auch ihr ein herzlicher Gruszlig von der Saar an die Havel Und dies leitet uumlber zu geographisch-personalen Aspekten mit denen ich die Rede schlieszligen

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moumlchte Nicht nur hat Nicola Houmlmke die jetzt fuumlr einige Jahre die Geschicke der Klassischen Philo-logie am Neuen Palais mit bestimmt ihren Weg nach Potsdam uumlber Rostock genommen Auch Frau Geyer war vor ihrer Potsdamer Zeit an der Rostocker Universitaumlt in Diensten Dasselbe trifft auf Eugen Braun zu Eine wahrhaft gluumlckliche Rostock-Potsdam-Konnexion

Zu Ursula Gaumlrtner Sie war mir schon ein Begriff als sie sich in Leipzig habilitierte denn Ekkehard Staumlrk hatte 1999 in einem Potsdamer Promoti-onsverfahren gegutachtet (es ging um Plautus) und konnte wie er mir im Januar 2000 schrieb nicht an der Disputatio Anfang Februar teilneh-men weil er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation mit seinen Kraumlften haushalten musste und ihm in diesem Zeitraum die Habilitation von Frau Gaumlrtner mehr am Herzen lag Wir hatten da-fuumlr vollstes Verstaumlndnis Und so war es erfreulich zu sehen dass eben diese Ursula Gaumlrtner sich bald darauf um die Nachfolge auf dem Lehrstuhl in Potsdam bewarb und das auch noch mit Erfolg ndash Sie heute in Graz zu wissen ist ebenfalls begluuml-ckend Bitte nicht missverstehen Das hat nichts mit dem Wegsein von Potsdam als vielmehr mit

dem Dasein in Graz zu tun Auch hier wieder eine kuriose Fuumlgung Im Jahre 2010 waren Norbert Franz fuumlr die Slavistik und ich fuumlr die Klassische Philologie als Gutachter in Graz taumltig Es ging um die Evaluation der Literaturwissenschaften dort In dem Abschlussbericht konnten bzw mussten wir hervorheben dass die Grazer Klassische Phi-lologie nie zu einer vollen Entfaltung gelangt wenn nur die Griechischprofessur besetzt ist Bei aller Liebe fuumlr das Griechische Ohne Latein geht es nicht Ob sich die Universitaumlt jene Hinweise auf die Bedeutung der lateinischen Literatur fuumlr die uumlbrigen Literaturwissenschaften zu Herzen ge-nommen hat weiszlig ich nicht Aber das Ergebnis stimmt Jetzt hat die dortige Klassische Philologie mit der Besetzung der Latinistik wieder eine aus-sichtsreiche Zukunft Daher mein Zuruf Macte virtute esto

Der Zuruf gilt auch den Potsdamern Ich wuumlnsche dem Institut fuumlr Klassische Philologie und der Alt-philologie in Brandenburg insgesamt weiterhin groumlszligtmoumlgliche Wirksamkeit Und fuumlr heute ein schoumlnes Fest

Ihr Peter Riemer

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1 VorbemerkungEs ist merkwuumlrdig bei dem traditionellen Som-merfest der Klassischen Philologie als Vortra-gende aufzutreten nachdem ich selbst in all den Jahren unsere Gastvortragenden vorgestellt habe und letztes Jahr Frau Nicola Houmlmke die mich nun gerade vorgestellt hat Als wir zum ersten Mal das diesjaumlhrige Sommerfest ansprachen war auch gar nicht klar ob ich weg sein wuumlrde Nur dass alle bisherigen Professorinnen und Professoren sprechen sollten stand bald fest Dass ich dies nun als ehemalige Professorin tue erfuumlllt mich mit einem merkwuumlrdigen Gefuumlhl Der Titel mei-nes Vortrags war als Platzhalter gedacht er blieb dann aber weil er so passend war Der persoumln-liche Bezug ist offensichtlich Mir ging natuumlrlich sehr viel durch den Kopf nach uumlber einem Jahr-zehnt hier vor Ort wo ich so viele Studierende und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe Aber es war gewuumlnscht uumlber etwas zu sprechen das in Potsdam seinen Anfang nahm Ich habe hier begonnen mich intensiv mit Phaedrus zu beschaumlftigen mehrere Auf-saumltze sind hier entstanden dann der Kommentar zu Buch 1 und zuletzt bis in die letzten Stunden vor dem Umzug im Februar ein ausfuumlhrlicher For-schungsbericht In mehreren Seminaren konnte ich mit Studierenden meine Ideen zu Phaedrus diskutieren hier ist die Gelegenheit mich auch hierfuumlr einmal zu bedanken Das Gleiche gilt fuumlr das Altertumswissenschaftliche Kolloquium so-wie die Diskussionsrunden an unserem Jour fi xe Bei einem solchen Thema denkt man bisweilen es sei abgeschlossen doch dann tun sich immer

Uumlberlegungen aus gegebenem Anlass Ein Vortrag in vier Kapiteln und zwei Vorbemerkungen

Der Vortragsstil wurde beibehalten

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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Chr) des Adoptivsohnes des Augustus einen Altar mit einer jaumlhrlichen Feier fuumlr Luciusrsquo Manes zu errichten ndash das zunehmend gelaumlufig werden-de Di manes wie es massenhaft Grabsteine zu schmuumlcken begann wurde im Text mehrheitlich vermieden12 Doch nicht nur die Bezeichnung des Adressaten formulierte das Gremium und die na-mentlich genannten Schreiber Quintus Petillius Publius Rasinius Bassus Marcus Puppius Quin-tus Sertorius Pica Gnaeus Octavius Rufus und Aulus Albius Gutta sorgfaumlltig Ebenso sorgfaumlltig waren sie in der Anordnung der Handlungen die im Rahmen der Feier auszufuumlhren waren Die fuumlr die herausragenden Rollen des Totenritu-als Zugelassenen mussten schwarze Togen tra-gen Das zu schlachtende Rind und Schaf waren ebenfalls mit Binden schwarz zu schmuumlcken ndash in dem in Rom als tiefste Trauerfarbe verstandenen Blauschwarz13 Je eine Urne voll Milch Honig und

Oumll sollten uumlber den verbrannten Resten der Tiere ausgegossen werden Personen ohne Legitimati-on durch ein oumlffentliches Amt war die Mitwirkung erlaubt sie waren aber auf entweder eine Kerze eine Fackel oder einen Kranz beschraumlnkt die sie in den brennenden Holzstoszlig werfen durften Fuumlr weitere Regelungen schloss man sich dem ein-schlaumlgigen Beschluss des roumlmischen Senates an Das alles so vermerkte die inschriftliche Fassung des Beschlusses war auf einer Inschrift direkt am Altar festzuhalten Die religioumlse Kommunikation mit den Manen des Lucius war in der Auffuumlhrung des 20 August am eindrucksvollsten doch sie war daruumlber hinaus sichtbar schon allein durch den sorgfaumlltig platzierten Altar vor dem nach griechischem Muster auch die Verbrennung statt-fand

Wie muss man sich den goumlttlichen Kaiser vorstellenDas verbreitete Nachdenken uumlber das was Menschen ausmachte hatte sich im massen-haften Auftreten der Bezeichnung di manes auf Grabsteinen seit dem ausgehenden ersten Jahr-hundert v Chr niedergeschlagen Vor diesem Hintergrund wurde auch die Frage ob und wie Herrscher in politischer oder religioumlser Kommu-nikation anzusprechen waren diskutiert Im Feld der Moumlglichkeiten markierte divus eine Position die den Uumlbergang als eine scharf markierte Un-terscheidung fasste Formal der Titel einer Person ndash also etwa bdquoDivus Augustusldquo ndash behauptete man mit seiner Benutzung die Identitaumlt einer Persoumln-lichkeit von Mensch und Gott Aumlhnlich wie in der Republik die Senatoren diskutiert hatten ob beobachtete Vorzeichen als Prodigien fuumlr die res publica zu werten seien so diskutierten sie nun

12 CIL 111420 = ILS 139 sa den nachfolgenden Beschluss nach dem Tod des Bruders Gaius Caesar im Jahr 4 n Chr (CIL 111421 = ILS 140)13 Zu dieser Farblogik s Joumlrg Ruumlpke bdquoVexillum caeruleumrdquo RhM 136 (1993) S 374ndash37614 Zsuzsanna Vaacuterhelyi The Religion of senators in the Roman Empire Cambridge 2010 166

Joumlrg Ruumlpke im Gespraumlch mit Andreas Fritsch

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ob ein Mensch den sie selbst beobachtet hatten zum Gott geworden sein konnte14 Zugleich wies der Titel der sich auch in aumllteren Gottesnamen ndash Diva Palatua Diva Angerona Diva Rumina Bona Diva15 (auch Bona Dea) ndash fand in die Welt etab-lierter Gottheiten Wie zweideutig aber selbst die Begriffswahl war zeigt die Tatsache dass noch Cicero gerade den Begriff divus fuumlr alte deus als Bezeichnung fuumlr neue durch Vergoumlttlichung von Menschen entstandene Gottheiten verwendet zu haben scheint (hier ist die Textuumlberlieferung pro-blematisch)16 Kurzum in Bezug auf einen ehe-mals lebenden Menschen suggerierte der Begriff divus eine erkennbare Statusaumlnderung In Rom lieferten die Senatoren oder die Nachfol-ger der Verstorbenen mit dem Konsekrationsri-tual die Grundlage fuumlr diese Veraumlnderung Bild-lich zum Teil auch rituell war die Metapher der Himmelfahrt ndash ob in Gestalt eines aufsteigenden Adlers oder als Fahrt auf dem Sonnenwagen ndash dafuumlr zentral Dieser Aufstieg konnte beobachtet werden war wie das Auftauchen eines neuen Sterns eines Kometen im Falle Caesars (oder das leere Grab mit dem weggeschobenen Stein im Falle Jesu) empirisch fassbar oder durch Au-genzeugen beglaubigt Das etablierte Ritual knuumlpfte an alte Geschichten an beginnend mit Romulus und wiederholte diese zuverlaumlssig und beobachtbar es fand immer auf dem Marsfeld statt die Organisatoren lieszligen immer einen Adler aufsteigen den jedermann beobachten konnte es gab immer einen Scheiterhaufen selbst wenn die Leiche laumlngst beseitigt war17 Die Aufstiegs-

geschichte diese bdquoAszendenz-Theologieldquo war krude Doch sie erlaubte auch Kontrolle Nicht jedem wurde das Marsfeld fuumlr ein solches Ritual geoumlffnet Fuumlr die Alternativen zu diesem scharf markierten Aufstieg vom Menschen zum Gott gab es keine vergleichbare Kontrolle und rituelle Standardisie-rung Die reichsten Assoziationen bot die Vorstel-lung der andere und vor allem der Herrscher koumlnne die Epiphanie eines bekannten Gottes sein Diese Annahme in eigene religioumlse Kommu-nikation einzubauen war nicht nur ehrenvoll fuumlr den so identifizierten Kaiser (falls ein boumlswilliger Beobachter den Vorwurf der Majestaumltsverletzung geltend machen wollte) sondern erschloss auch ein reiches Spektrum an Bildern und Geschichten die zur weiteren Plausibilisierung herangezogen werden konnten In der konkreten Situation duumlrf-te aber zumeist der umgekehrte Vorgang wichti-ger gewesen sein Die Ansprache des bekannten Gottes konnte mit den persoumlnlichen und politi-schen Facetten des Kaisers wichtiger und in der Situation relevanter gemacht werden Die Figur des Herkules war hier eine naheliegende Wahl war dieser doch tatkraumlftig Ordnung schaffend und zudem selbst ein Aufsteiger vom Menschen zum Gott Er war also eine passende Reflexions-figur fuumlr den Sachverhalt der hier zur Debatte stand Das Spektrum war jedoch noch weiter Es reichte von Iuppiter dem zentralen politischen Gott der Stadt Rom und Zeus der eine vergleich-bare Rolle in vielen Staumldten der ostmediterranen Welt spielte uumlber den triumphierenden Dionysus (uumlbertragen auf Liber Pater) bis hin zu Apollo und Romulus Quirinus In manchen Faumlllen legte der Betroffene solche Gleichsetzungen selbst nahe indem er etwa eine Gottheit zu einem besonders wichtigen eigenen Adressaten machte ihr Tempel oder Spiele stiftete oder sich selbst entsprechend kleidete Naumlhe und genealogische Beziehung Epiphanie oder innere Praumlsenz des Goumlttlichen ndash die Moumlg-lichkeiten das Verhaumlltnis zu konzeptualisieren waren vielfaumlltig ein Bedarf an Praumlzision war eher

15 ZB Varro ling 745 Fasti Praenestini Inscr It 132139 Ov am 3637 fast 5148 Plin Nat 365 Solin 16 Aug civ 610 (Varro) 16 Cic leg 222 in der Textrekonstruktion durch Andrew Dyck 17 So Anne-Francoise Jaccottet raquoDu Corps Humain au Corps Divin Lrsquoapotheacuteose dans lrsquoimaginaire et les repreacutesentations figureacuteeslaquo in P Borgeaud D Fabiano (Hgg) Reception et Construction du Divine dans lrsquoAntiquiteacute Recherches et Rencontres 31 Genegraveve 2013 S 293ndash32218 ILS 119-121

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selten In Ritualen die den Initiatoren so wichtig waren dass sie auch in inschriftlicher Form einen Niederschlag fanden wurde so die verstorbene Livia als (im Dativ der Empfaumlngerin) Livia Augusti dea Iuno Livia (Liviae) Augusti und Ceres Iulia (Iuliae) Augustaae angesprochen18 Was im Sprachlichen doppeldeutig blieb lieszlig sich bildlich klaumlren etwa indem der Urheber der religioumlsen Kommunikation zwei Statuen nebeneinander stellte (Dea) Roma und Augustus waren ein be-liebtes Paar Venus und Caesar ein umstrittenes Die Wahl des Materials konnte dem Objekt eine Nuance geben die Betrachterinnen und Betrach-ter einte oder polarisierte Man konnte keine Goldstatue aufstellen und dann behaupten den Dargestellten nicht zu vergoumlttlichen Gerade die klar ausgewiesene Eigenstaumlndigkeit der Persoumln-lichkeit des Menschen provozierte dabei die Frage nach seinem ontologischen Status nach seinem Ort in einer Ordnung die fuumlr Engel Daumlmonen und Goumltter selbstverstaumlndlich aber im Detail raumlt-selhaft und in der jeweiligen Situation umstritten sein musste19

Uumlberlegungen zur Person des Augustus oder sei- ner Familie anzustellen war aber ndash allenfalls ndash ein Nebenaspekt bei der Wahl gerade solcher Adres-

saten in religioumlser Kommunikation Der zentrale bdquoTrickldquo dieser Wahl bestand vielmehr in der enor-men Relevanzsteigerung einer Kommunikation die in einen lokalen Kontext einen unbezweifel-bar reichsweit handelnden Akteur einbezog Das mochten Umstehende als bdquounnoumltigldquo betrachten das aumlnderte jedoch nichts daran dass der oder die Initiatorin damit ihr Anliegen aufgewertet hatte ndash gleichzeitig freilich dazu aufgefordert war eine entsprechend aufwendige Gestaltung dieser Kommunikation zu liefern Amatius hatte das gespuumlrt ndash und seine maumlchtigeren Konkurren-ten auch Ob als Gott oder nur Widmungstraumlger als Adressat nicht nur religioumlser sondern auch literarischer Kommunikation Als moumlglicher Gott war der Herrscher wichtiger geworden In der Kenntnis um diese antiken Zusammenhaumlnge sieht man die Kommunikation mit und uumlber heutige Autokraten anders Weit muss man dazu nicht schweifen

Impressum ISSN 0945-2257

Latein und Griechisch in Berlin und Brandenburg erscheint vierteljaumlhrlich und wird herausgegeben vom Vorstand des Landesverbandes Berlin und Brandenburg im Deutschen Altphilologenverband (DAV) wwwdavbbde

1 Vorsitzender Prof Dr Stefan Kipf Humboldt Universitaumlt zu Berlin Didaktik Griechisch und Latein middot Unter den Linden 6 middot 10099 Berlin stefankipfstaffhu-berlinde

2 Vorsitzende StR Gerlinde Lutter Tagore-SchuleGymnasium Berlin middot g1lutteraolcom Andrea Weiner Alexander von Humboldt Gymnasium Eberswalde

Schriftleitung des Maya BrandlMitteilungsblattes Zehntwerderweg 171 a middot 13469 Berlin middot mayabrandlgmxde

Kassenwartin StR Peggy Klausnitzer peggyklausnitzert-onlinede

Beisitzer Prof Dr Nicola Houmlmke StD Dr Josef Rabl

Grafik Layout Fabian Ehlers Karlsruher Straszlige 12 middot 10711 Berlin middot wwwart-und-adde

19 Unter einem Begriff wie bdquoEngelldquo (angelos) konnten sich wiederum unterschiedlichste lokale Vorstellungen verbergen Rangar H Cline Ancient Angels Conceptualizing Angeloi in the Roman Empire Religions in the Graeco-Roman World 172 Leiden 2011 S 75

IMPR

ESSU

M

Peter Riemer Ein Anfang mit BE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stunde

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Liebe Ursula liebe Nicola lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende liebe Gaumlste bevor ich Peter Riemers Vortrag zum heutigen Jubilauml-umsfest verlese erlauben Sie mir einige

persoumlnliche Bemerkungen Wie die meisten von Ihnen wissen vertritt Nicola Houmlmke seit dem fuumlr uns schmerzlichen (aber verstaumlndlichen) Wech-sel Ursula Gaumlrtners nach Graz den Lehrstuhl fuumlr Klassische Philologie an unserer Universitaumlt Die Art und Weise wie sie dies tut etwa bei dem von Frau Gaumlrtner begruumlndeten sbquojour fi xelsquo oder im Altertumswissenschaftlichen Kolloquium fi nde ich hervorragend ich bin ihr nicht nur deswegen sehr dankbar und wuumlnsche Ihr dass sie dies auch weiterhin so tun kannAls mir Nicola Houmlmke vor kurzem mitteilte dass Peter Riemer seinen Vortrag an unserem Jubilauml-umsfest leider nicht halten koumlnne er es aber gut faumlnde wenn ich in seinem Namen seine Rede vortruumlge hatte ich aus verschiedenen Gruumlnden zunaumlchst groszlige Bedenken Einer dieser Gruumlnde reicht bis in meine Kindheit zuruumlck Bei der Feier der Heiligen Messe konnte ich als Ministrant nicht selten nur zu deutlich erleben wie sich die sonst durchaus neugierig gespannte Aufmerksamkeit meiner kleinen nordsaarlaumlndischen Heimatge-meinde just in dem Augenblick in einen ndash eu-phemistisch ausgedruumlckt ndash auffaumlllig veraumlnderten Ruhezustand verwandelte in dem der Pfarrer ankuumlndigte er werde statt zu predigen einen Hirtenbrief des Trierer Landesbischofs verlesen Nachdem mir Peter Riemer dann mitteilte dass er in seinem Vortrag vor allem aus sehr persoumln-licher Sicht an die Anfaumlnge des Potsdamer Insti-tuts fuumlr Klassische Philologie erinnern wolle ha-ben sich meine Bedenken sofort zerstreut Seine Gedanken und Erinnerungen die ich Ihnen gleich vortrage zeugen wie ich schon beim ersten Le-

sen feststellen konnte noch vom selben anste-ckenden Enthusiasmus mit dem er bereits vor zwanzig Jahren die ersten Studierenden in Pots-dam fuumlr die Beschaumlftigung mit antiken Texten zu begeistern verstanden hat Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine weitere ganz kurze persoumlnliche digressio Ich lese gerade ein spannendes Buch des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa der darin die Frage nach dem gelingenden bzw guten Leben mit Hilfe des Kriteriums der Resonanzerfahrung zu beantworten versucht Seine diesbezuumlglichen Analysen der verschiede-nen Lebenssphaumlren der Familie der Arbeit der Religion der Kunst des Sports fuumlhren ihn zu der nicht ganz uumlberraschenden Diagnose dass es fuumlr die Menschen kapitalistischer vor allem von Entfremdung gepraumlgter Gesellschaften der Postmoderne immer schwieriger werde lebens-wichtige Resonanz-Erfahrungen zu machen bei denen es in unterschiedlichen Zusammenhaumlngen nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-

Eingeleitet von Eugen Braun

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ven sondern auch leiblichen Beruumlhrung zwischen Subjekt und Welt komme (Wenn Ihnen dies jetzt zu unverstaumlndlich bzw philosophisch vor-kommt so haben Sie heute ab 21 Uhr wenn man Herrn Rosa glauben will die Moumlglichkeit ganz anschaulich auf dem Fernsehbildschirm ein zu-mindest bdquopraumlreflexives somatisch-soziales Reso-nanzgeschehenldquo mit zu verfolgen vorausgesetzt natuumlrlich Sie finden uumlberhaupt Gefallen daran 22 erwachsenen Menschen dabei zuzuschauen wie sie einem Ball hinterherlaufen und diesen in ein Tor zu befoumlrdern versuchen) Bei der Lektuumlre von Herrn Rosas Buch hat sich mir unwillkuumlrlich auch die Frage nach moumlglichen Resonanzerfah-rungen auf der Universitaumlt gestellt ich habe noch keine abschlieszligende Antwort gefunden Dass die Universitaumlt als Staumltte des Lernens und Lehrens primaumlr kein Ort zur Erfuumlllung lebensphilosophi-scher Sehnsuumlchte sein kann und darf sondern vor allem einen werturteilsfreien Fachunterricht zum Ziel haben muss der allenfalls zu einer bes-seren rationalen Abwaumlgung der verschiedenen Welt- und Lebensanschauungen beitragen kann wie sie auch in Texten der griechisch-roumlmischen Antike paradigmatisch erkennbar sind habe ich von Max Weber gelernt In seinem beruumlhmten Vortrag bdquoWissenschaft als Berufldquo hat Weber wie Sie wissen ebendies vor fast genau hundert Jahren den Studenten der Muumlnchener Universi-taumlt nachdruumlcklich verstaumlndlich zu machen ver-sucht In diesem Vortrag (Weber war uumlbrigens sbquoSchwipp-Schwagerlsquo von Wilamowitz) findet sich allerdings auch der bekannte Satz bdquoNichts ist fuumlr den Menschen als Menschen etwas wert was er nicht mit Leidenschaft tun kannldquo Wenn Studie-rende heute das Studium der Klassischen Philo-logie wie es scheint vor allem absolvieren und absolvieren muumlssen um sog Leistungspunkte zu erwerben entspricht dies einer allgemeinen Ent-wicklung der Universitaumlten die ich nicht weiter kommentieren will Dass Studierende sich dieser Entwicklung zum Trotz jedoch zum Gluumlck immer noch in Seminaren ja sogar Grammatikuumlbungen fuumlr den sbquoStofflsquo begeistern lassen habe ich selbst

noch heute Morgen erleben duumlrfen und in den letzten Jahren immer wieder vereinzelten Ruumlck-meldungen insbesondere zu Veranstaltungen Ursula Gaumlrtners entnehmen koumlnnen Aus der An-fangszeit unseres Instituts faumlllt mir in diesem Zu-sammenhang besonders Joumlrg Ruumlpkes Vorlesung uumlber Roumlmische Geschichtsschreibung ein deren Mitschnitt bzw Aufnahme Frau Geyer dann zu einem sehr begehrten Buch gemacht hat Wie spannend seine fachwissenschaftliche Beschrei-bung religioumlsen Handelns in der Antike (und der damit verbundenen vertikalen Resonanzachsen) sein kann haben Sie alle gerade selbst erleben koumlnnen (Ich persoumlnlich bin schon sehr gespannt auf sein neues Buch uumlber die Geschichte der an-tiken Religionen das am 19 September erscheint und fuumlr das ich an dieser Stelle schon einmal Reklame machen darf) Wie es Peter Riemer in seiner Potsdamer Zeit auf charismatische Weise verstanden hat das Interesse der Studierenden etwa fuumlr die Aeneis in lebendigen Diskussionen immer mehr zu vertiefen weiszlig ich von einzelnen Seminarteilnehmern und wie eindrucksvoll es ihm nicht nur damals gelungen ist sondern auch heute noch gelingt in den akademischen Lehr-betrieb auch Erfahrungen kuumlnstlerisch-performa-tiver Resonanz zu integrieren geht auch aus dem folgenden Vortrag hervor den ich nun verlesen darf (Dabei versuche ich den moumlglicherweise doch aufkommenden Gedanken dass Saarbruuml-cken wo Herr Riemer derzeit lehrt nicht weit von Trier entfernt liegt so gut es geht zu unter-druumlcken) Der Vortrag traumlgt den Titel sbquoEin Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stundersquo und beginnt mit den Worten

Liebe Frau Gaumlrtner liebe Frau Houmlmke lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende und sofern anwesend natuumlrlich auch zu begruuml-szligen der Dekan SpectabilisEs ist wirklich bedauerlich dass ich am heutigen Tag nicht selbst dabei sein kann das Institutsju-bilaumlum zu feiern Eine schon seit Monaten termi-nierte Berufungskommission mit Probevortraumlgen

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und der anschlieszligenden Entscheidungsfindung an eben dem 7 Juli 2016 laumlsst mich einfach nicht aus Saarbruumlcken fort Aber zumindest koumlnnen diese Zeilen hier verlesen werden Es muss wohl der 4 oder 5 Oktober 1995 gewesen sein als wir in Golm die kuumlnftigen Raumlume des Instituts fuumlr Klassische Philologie aufsuchten Eugen Braun und ich ndash wir waren verabredet und er moumlglicher-weise vor mir da Joumlrg Ruumlpke kam dann erst in der Woche darauf wenn ich mich recht entsinne ndash da hatten wir die Raumlume schon halbwegs einge-nommen freilich noch ohne neues Mobiliar Alles war muffig und ziemlich heruntergekommen Das hatte nichts mit den aktuellen Anglisten zu tun von denen wir die Raumlume erbten Vielmehr fanden sich in den Schreibtischen und Schraumln-ken Abschlussarbeiten und andere Unterlagen (Korrespondenzen und Berichte) aus der Zeit der Brandenburgischen Landeshochschule und zwar noch aus den Jahren vor der Wende Man hatte den Eindruck die Zimmer seien seit Gruumlndung der Universitaumlt 1991 nur nebenbei quasi behelfs-weise genutzt worden Sie konnten 11 so wie sie waren in ein DDR-Hochschul-Museum uumlberfuumlhrt werden Dietrich Schwanitz hatte offenbar diesel-ben Eindruumlcke gehabt und in seinem Roman bdquoDer Zirkelldquo absolut treffend wiedergegeben Schwa-nitz ist dem Ruf auf eine Potsdamer Anglistik-Professur bekanntlich nicht gefolgt (vielleicht deshalb) Nun gut Da standen wir also und mussten irgendwie anfangen Keine Beschriftung deutete darauf hin dass hier einmal das Institut fuumlr Klassische Philologie sein wuumlrde Wir brauch-ten dringend Material Computer Drucker Papier Nicht einmal Bleistifte waren vorhanden Fuumlr Bestellungen von Material und Geraumlten gab es Formblaumltter Die bekamen wir von Frau Schwarz der Verwaltungschefin der Fakultaumlt Wir fuumlllten die Formulare aus und mussten feststellen dass selbst dies nicht so einfach war wenn man noch gar nichts besaszlig Denn auf den Formularen wurde ein Stempel verlangt Man musste sogar wenn man einen Stempel bestellen wollte erst einmal selbst einen Stempel haben bdquoStempel und

Unterschriftldquo hieszlig es unten auf dem Blatt Kurios Wir zogen in die Romanistik und liehen uns von dort einen Stempel aus bdquoInstitut fuumlr Romanis-tikldquo Natuumlrlich strichen wir die Romanistik durch und schrieben in Druckbuchstaben sozusagen in lsquoStempelschriftrsquo bdquoKlassische Philologieldquo daruumlber und bestellten auf diese Weise erst einmal einen Stempel und dann das uumlbrige Material So ka-men wir an unsere ersten Bleistifte

Zu einem Universitaumltsinstitut gehoumlrt selbstver-staumlndlich eine gut bestuumlckte Bibliothek Da wir ja praktisch bei Null anfingen brauchten wir von allem alles Lexika und Handbuumlcher Primaumlrtexte und Sekundaumlrliteratur Weil auch andere Institu-te fuumlr ihre Buchbestaumlnde Geld benoumltigten aber schon vor uns da waren und ihre Anspruumlche laumlngst geltend gemacht hatten blieb fuumlr uns nur noch ein kleiner Rest aus dem Topf der Beschaf-fungsmittel Der Hinweis auf die gut ausgestatte-ten Bibliotheken in Berlin war uns nur ein schwa-cher Trost Schlieszliglich sollten so dachten wir die Studenten auch drauszligen in Golm Buumlcher vorfin-den die ihrem Studium dienten Wir skizzierten daher einen klassisch-philologischen Grundbe-stand und baten Frau Gaschuumltz die fuumlr unsere Bibliothek zustaumlndig war zu kaufen was der Markt eben hergab Aber auf dem Buumlchermarkt fanden sich freilich kaum aumlltere Werke bis zuruumlck ins 19 Jahrhundert Deshalb nahmen wir Kontakt mit den Instituten in Greifswald und Halle auf die sich gern von ihren Dubletten trennten um dafuumlr etwas Geld fuumlr Neuanschaffungen zu erhalten Joumlrg Ruumlpke wird sicher noch die Fahrt zu Martin Hose in Greifswald in Erinnerung haben (ich hoffe in guter) die wir so zuumlgig unternahmen (zugleich in Gespraumlche vertieft) dass uns irgendwo auf der Landstraszlige ein mecklenburg-vorpommersches Blitzgeraumlt erwischte Jedesmal wenn ich seitdem auf dem Weg an die Ostsee oder zuruumlck geblitzt werde (und das passiert leider immer wieder Mecklenburg-Vorpommern hat mehr Blitzgeraumlte als Einwohner) faumlllt mir die denkwuumlrdige Tour von damals wieder ein

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Somit bekamen wir nach und nach ndash wie gesagt fuumlr wenig Geld ndash einen systematischen Buchbe-stand in erstaunlicher Fuumllle zusammen Und da verschlug es mir den Atem als Frau Gaschuumltz aus dem Magazin der Potsdamer UB eine vollstaumlndi-ge Realenzyklopaumldie hervorzauberte Eine RE in Potsdam noch aus der Gruumlndungszeit der Paumld-agogischen Hochschule Wie war das moumlglich Die Klassische Philologie besaszlig als wir kamen noch keinen Bleistift hatte aber schon eine RE im Keller Des Raumltsels Loumlsung Wir waren nicht die ersten Ende der 40-er Jahre des 20 Jahrhun-derts sollte die Paumldagogische Hochschule auch Latein und Griechisch im Programm haben und kein geringerer als Werner Peeck (der letzte Wila-mowitz-Schuumller) war mit der Einrichtung betraut worden Auch er hatte damals mit Buumlcherkaumlufen begonnen Doch die Aufgabe der Lateinlehrer-ausbildung fuumlr die Oberschulen der DDR fiel dann den Hallensern zu Peeck ging folglich nach Halle sicherlich auch mit einigen Buumlchern im Gepaumlck Die RE lieszlig er aber in Potsdam zuruumlck Somit koumlnnten zieht man die Unterbrechung bis 1995 ab die Peeckschen Jahre hinzugerechnet werden und das heute zu feierende Jubilaumlum waumlre ein 25-JaumlhrigesIm Wintersemester 199596 hatten wir selbst-verstaumlndlich Lehrveranstaltungen angekuumlndigt Aber es kamen keine Studenten Wie denn auch Wir besaszligen ja nicht einmal eine Studienordnung Also setzten wir uns regelmaumlszligig zusammen Joumlrg Ruumlpke Eugen Braun und ich und bastelten an unseren Ordnungen fuumlr das Studium der Latei-nischen und der Griechischen Philologie Und es war nicht einfach die Ordnungen in der gebote-nen Eile durch die Gremien zu bringen vor allem die sogenannte LSK die Senatskommission fuumlr Studium und Lehre tat sich schwer damals gelei-tet von dem Mathematikdidaktiker Thomas Jahn-ke Ich erwaumlhne ihn namentlich weil er noch ein Schuumller des beruumlhmten Frankfurter Gymnasialleh-rers Eduard Bornemann war dem wir wunderba-re lateinische und griechische Grammatiken und Schulbuumlcher verdanken Herr Jahnke war unseren

Studiengaumlngen sehr zugetan an ihm lag es nicht dass sich manches verzoumlgerte Das der LSK ange-houmlrende Mitglied des Bildungsministeriums legte uns immer wieder Steine in den Weg Der Mann wollte unserem Konzept eines breit angelegten Lateinstudiums unter Einbeziehung sprachwis-senschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Ele-mente und definitiv gestuumltzt auf die klassischen Autoren nicht zustimmen und wollte uns glaub-haft machen dass das Latein des Mittelalters und das Neulateinische viel wichtiger seien fuumlr einen modernen Schulunterricht Nun gut Irgendwie hatten wir den Kampf dann doch gewonnen und das Ministerium beruhigen koumlnnen Wir erhielten postwendend den Auftrag uumlber hundert Latein-lehrer fuumlr das Land Brandenburg nachzuschulen Darin bestand dann tatsaumlchlich die groszlige Aufga-be der ersten Jahre des Instituts Jeden Freitag hatten wir unseren bdquoLehrertagldquo und ermoumlglich-ten (unterstuumltzt von der Weiterbildungs-GmbH in Babelsberg) einer groszligen Reihe von schon lange taumltigen Lehrerinnen und ndashlehrern das Erweite-rungsfach Latein zu erwerben vielleicht ist der eine oder die andere von damals heute hier ganz herzliche Gruumlszlige Es war eine wunderbare Zeit mit sehr schoumlnen Erfahrungen Aus einem Vergil-Proseminar uumlber die Aeneis im Winter 199798 ist die Idee hervorgegangen dass die Tragik der Didofigur nicht separat betrachtet werden koumlnne auch die Rolle des Aeneas habe tragische Zuumlge Die Tragik des Aeneas wenn man sie ernsthaft in den Blick nimmt geht auf Aischylos zuruumlck Die-sen Kerngedanken habe ich aus den Diskussionen mit den Lehrern mitgenommen Entsprechendes publiziert und zuletzt sogar im Rahmen eines Theaterprojekts auf die Buumlhne bringen koumlnnen

Joumlrg Ruumlpke und ich wurden ja glaube ich gebe-ten von Dingen zu berichten die wir aus Potsdam mitgenommen bzw die uns beeinflusst haben Dies waumlre eines das Aischyleische in der Aeneis Dann waumlre auf jeden Fall zu nennen eine von Joumlrg Ruumlpke Pedro Barcelo und mir zusammen mit John Scheid im Steiner-Verlag herausgegebene

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Reihe die noch im Namen ihren Ursprung verraumlt bdquodie Postdamer altertumswissenschaftlichen Bei-traumlgeldquo mittlerweile 55 Baumlnde umfassend

Was mir Potsdam mit auf den Weg gegeben hat ist zudem die Interdisziplinaritaumlt In Koumlln wo ich akademisch aufgewachsen bin konzentrierten sich die einzelnen Disziplinen sehr auf sich selbst (ich glaube das machen sie auch heute noch) Das mag an der Groumlszlige der Faumlcher oder auch an der Groumlszlige der dortigen Philosophischen Fakultaumlt liegen In Potsdam haben wir von Beginn an unter weitaus engeren Bedingungen die Naumlhe zu ande-ren Disziplinen und das Miteinander gesucht Ich denke gern an die gemeinsamen Lehrveranstal-tungen mit dem Anglisten Peter Drexler oder mit der Germanistin Margrid Bircken zuruumlck Aus der Zusammenarbeit mit diesen Nachbarphilologien ist denn auch der Studiengang bdquoVergleichende Literaturwissenschaftldquo hervorgegangen heute ndash nachdem die Kunstgeschichte die seinerzeit noch fehlte dazugekommen ist ndash bdquoVergleichende Lite-ratur- und Kunstwissenschaftldquo Aumlhnliches erlebe ich in Saarbruumlcken wo wir durch die Reduktion verschiedener Faumlcher auf einzelne Professuren geradezu gezwungen sind kooperativ zu for-schen und zu lehren Die Gemeinschaft der Alter-tumswissenschaften mit Alter Geschichte Klassi-scher Archaumlologie Vor- und Fruumlhgeschichte und der Klassischen Philologie in Bachelor- und Mas-terstudiengaumlngen ist ein Beispiel Kuumlnftig werden noch die bdquoEuropaumlischen Literaturenldquo mit alt- und neuphilologischen Angeboten an der Universitaumlt des Saarlandes dazukommen Dies kann durch-aus mit dem verglichen werden was wir damals in Potsdam schon kennengelernt haben Wenn ich bdquowirldquo sage beziehe ich immer Christoph Ku-gelmeier mit ein der mir im Sommer 2000 als Assistent ins Saarland folgte und heute als auszliger-planmaumlszligiger Professor zu einem unverzichtbaren Kollegen geworden istAls letzten Punkt in Sachen Mitnahme und Wei-terwirken moumlchte ich erwaumlhnen dass die Verbin-dung zwischen dem ortsansaumlssigen Theater und

der Klassischen Philologie hier in Potsdam fuumlr uns praumlgend war Das Hans-Otto-Theater war damals offen fuumlr vielfaumlltige Kooperationen mit uns Altphi-lologen Wir konnten eine Tagung zum bdquoChor im antiken und modernen Dramaldquo auf der Proben-buumlhne des Theaters durchfuumlhren keine rein wis-senschaftliche Konferenz sondern eine Mischung aus Theorie und Praxis Klassische Philologen Anglisten und Germanisten kamen zu Wort Da-neben aber berichtete ein Opernregisseur der die euripideischen Bakchen in Athen inszeniert hatte von seiner Arbeit der griechische Komponist der die Original-Chorpartien der Bakchen zum Klin-gen gebracht hatte erklaumlrte uns seine Prinzipien ein Berliner Regisseur sprach uumlber zwei Oumldipus-Inszenierungen in Afrika und Chemnitz usw die-se Erfahrung eines produktiven Bruumlckenschlags zwischen den Dramentexten und der Buumlhne praumlgt seitdem unsere Arbeit Wir sind heute wie-der eng verbunden mit der Buumlhnenpraxis diesmal mit dem Saarlaumlndischen Staatstheater dem wir wie seinerzeit in Potsdam hin und wieder fuumlr die Inszenierung antiker Stuumlcke beratend zur Seite stehen und richten Konferenzen aus auf denen Dramaturgen und Regisseure mit Literaturwis-senschaftlern ins Gespraumlch kommen

Vielleicht haben wir damit ein Stuumlck Potsdam an die Saar geholt Wir denken jedenfalls mit Weh-mut und Dankbarkeit an die Potsdamer Jahre zu-ruumlck Sie waren und sind nach wie vor wertvoll fuumlr uns Und ich empfinde es als ein besonderes Gluumlck dass das Potsdamer Institut eine so schouml-ne Entwicklung nach unserem Weggang genom-men hat Ein groszliges Kompliment an dieser Stelle an Ursula Gaumlrtner und und das gesamte Team Zu diesem Team gehoumlrt natuumlrlich Frau Geyer sie ist Herz und Seele des Instituts fuumlr Studierende und Mitarbeiter Da haben Joumlrg Ruumlpke und ich damals wohl eine unserer besten Entscheidungen getrof-fen gerade sie als Sekretaumlrin einzustellen Auch ihr ein herzlicher Gruszlig von der Saar an die Havel Und dies leitet uumlber zu geographisch-personalen Aspekten mit denen ich die Rede schlieszligen

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moumlchte Nicht nur hat Nicola Houmlmke die jetzt fuumlr einige Jahre die Geschicke der Klassischen Philo-logie am Neuen Palais mit bestimmt ihren Weg nach Potsdam uumlber Rostock genommen Auch Frau Geyer war vor ihrer Potsdamer Zeit an der Rostocker Universitaumlt in Diensten Dasselbe trifft auf Eugen Braun zu Eine wahrhaft gluumlckliche Rostock-Potsdam-Konnexion

Zu Ursula Gaumlrtner Sie war mir schon ein Begriff als sie sich in Leipzig habilitierte denn Ekkehard Staumlrk hatte 1999 in einem Potsdamer Promoti-onsverfahren gegutachtet (es ging um Plautus) und konnte wie er mir im Januar 2000 schrieb nicht an der Disputatio Anfang Februar teilneh-men weil er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation mit seinen Kraumlften haushalten musste und ihm in diesem Zeitraum die Habilitation von Frau Gaumlrtner mehr am Herzen lag Wir hatten da-fuumlr vollstes Verstaumlndnis Und so war es erfreulich zu sehen dass eben diese Ursula Gaumlrtner sich bald darauf um die Nachfolge auf dem Lehrstuhl in Potsdam bewarb und das auch noch mit Erfolg ndash Sie heute in Graz zu wissen ist ebenfalls begluuml-ckend Bitte nicht missverstehen Das hat nichts mit dem Wegsein von Potsdam als vielmehr mit

dem Dasein in Graz zu tun Auch hier wieder eine kuriose Fuumlgung Im Jahre 2010 waren Norbert Franz fuumlr die Slavistik und ich fuumlr die Klassische Philologie als Gutachter in Graz taumltig Es ging um die Evaluation der Literaturwissenschaften dort In dem Abschlussbericht konnten bzw mussten wir hervorheben dass die Grazer Klassische Phi-lologie nie zu einer vollen Entfaltung gelangt wenn nur die Griechischprofessur besetzt ist Bei aller Liebe fuumlr das Griechische Ohne Latein geht es nicht Ob sich die Universitaumlt jene Hinweise auf die Bedeutung der lateinischen Literatur fuumlr die uumlbrigen Literaturwissenschaften zu Herzen ge-nommen hat weiszlig ich nicht Aber das Ergebnis stimmt Jetzt hat die dortige Klassische Philologie mit der Besetzung der Latinistik wieder eine aus-sichtsreiche Zukunft Daher mein Zuruf Macte virtute esto

Der Zuruf gilt auch den Potsdamern Ich wuumlnsche dem Institut fuumlr Klassische Philologie und der Alt-philologie in Brandenburg insgesamt weiterhin groumlszligtmoumlgliche Wirksamkeit Und fuumlr heute ein schoumlnes Fest

Ihr Peter Riemer

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1 VorbemerkungEs ist merkwuumlrdig bei dem traditionellen Som-merfest der Klassischen Philologie als Vortra-gende aufzutreten nachdem ich selbst in all den Jahren unsere Gastvortragenden vorgestellt habe und letztes Jahr Frau Nicola Houmlmke die mich nun gerade vorgestellt hat Als wir zum ersten Mal das diesjaumlhrige Sommerfest ansprachen war auch gar nicht klar ob ich weg sein wuumlrde Nur dass alle bisherigen Professorinnen und Professoren sprechen sollten stand bald fest Dass ich dies nun als ehemalige Professorin tue erfuumlllt mich mit einem merkwuumlrdigen Gefuumlhl Der Titel mei-nes Vortrags war als Platzhalter gedacht er blieb dann aber weil er so passend war Der persoumln-liche Bezug ist offensichtlich Mir ging natuumlrlich sehr viel durch den Kopf nach uumlber einem Jahr-zehnt hier vor Ort wo ich so viele Studierende und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe Aber es war gewuumlnscht uumlber etwas zu sprechen das in Potsdam seinen Anfang nahm Ich habe hier begonnen mich intensiv mit Phaedrus zu beschaumlftigen mehrere Auf-saumltze sind hier entstanden dann der Kommentar zu Buch 1 und zuletzt bis in die letzten Stunden vor dem Umzug im Februar ein ausfuumlhrlicher For-schungsbericht In mehreren Seminaren konnte ich mit Studierenden meine Ideen zu Phaedrus diskutieren hier ist die Gelegenheit mich auch hierfuumlr einmal zu bedanken Das Gleiche gilt fuumlr das Altertumswissenschaftliche Kolloquium so-wie die Diskussionsrunden an unserem Jour fi xe Bei einem solchen Thema denkt man bisweilen es sei abgeschlossen doch dann tun sich immer

Uumlberlegungen aus gegebenem Anlass Ein Vortrag in vier Kapiteln und zwei Vorbemerkungen

Der Vortragsstil wurde beibehalten

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

75LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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ob ein Mensch den sie selbst beobachtet hatten zum Gott geworden sein konnte14 Zugleich wies der Titel der sich auch in aumllteren Gottesnamen ndash Diva Palatua Diva Angerona Diva Rumina Bona Diva15 (auch Bona Dea) ndash fand in die Welt etab-lierter Gottheiten Wie zweideutig aber selbst die Begriffswahl war zeigt die Tatsache dass noch Cicero gerade den Begriff divus fuumlr alte deus als Bezeichnung fuumlr neue durch Vergoumlttlichung von Menschen entstandene Gottheiten verwendet zu haben scheint (hier ist die Textuumlberlieferung pro-blematisch)16 Kurzum in Bezug auf einen ehe-mals lebenden Menschen suggerierte der Begriff divus eine erkennbare Statusaumlnderung In Rom lieferten die Senatoren oder die Nachfol-ger der Verstorbenen mit dem Konsekrationsri-tual die Grundlage fuumlr diese Veraumlnderung Bild-lich zum Teil auch rituell war die Metapher der Himmelfahrt ndash ob in Gestalt eines aufsteigenden Adlers oder als Fahrt auf dem Sonnenwagen ndash dafuumlr zentral Dieser Aufstieg konnte beobachtet werden war wie das Auftauchen eines neuen Sterns eines Kometen im Falle Caesars (oder das leere Grab mit dem weggeschobenen Stein im Falle Jesu) empirisch fassbar oder durch Au-genzeugen beglaubigt Das etablierte Ritual knuumlpfte an alte Geschichten an beginnend mit Romulus und wiederholte diese zuverlaumlssig und beobachtbar es fand immer auf dem Marsfeld statt die Organisatoren lieszligen immer einen Adler aufsteigen den jedermann beobachten konnte es gab immer einen Scheiterhaufen selbst wenn die Leiche laumlngst beseitigt war17 Die Aufstiegs-

geschichte diese bdquoAszendenz-Theologieldquo war krude Doch sie erlaubte auch Kontrolle Nicht jedem wurde das Marsfeld fuumlr ein solches Ritual geoumlffnet Fuumlr die Alternativen zu diesem scharf markierten Aufstieg vom Menschen zum Gott gab es keine vergleichbare Kontrolle und rituelle Standardisie-rung Die reichsten Assoziationen bot die Vorstel-lung der andere und vor allem der Herrscher koumlnne die Epiphanie eines bekannten Gottes sein Diese Annahme in eigene religioumlse Kommu-nikation einzubauen war nicht nur ehrenvoll fuumlr den so identifizierten Kaiser (falls ein boumlswilliger Beobachter den Vorwurf der Majestaumltsverletzung geltend machen wollte) sondern erschloss auch ein reiches Spektrum an Bildern und Geschichten die zur weiteren Plausibilisierung herangezogen werden konnten In der konkreten Situation duumlrf-te aber zumeist der umgekehrte Vorgang wichti-ger gewesen sein Die Ansprache des bekannten Gottes konnte mit den persoumlnlichen und politi-schen Facetten des Kaisers wichtiger und in der Situation relevanter gemacht werden Die Figur des Herkules war hier eine naheliegende Wahl war dieser doch tatkraumlftig Ordnung schaffend und zudem selbst ein Aufsteiger vom Menschen zum Gott Er war also eine passende Reflexions-figur fuumlr den Sachverhalt der hier zur Debatte stand Das Spektrum war jedoch noch weiter Es reichte von Iuppiter dem zentralen politischen Gott der Stadt Rom und Zeus der eine vergleich-bare Rolle in vielen Staumldten der ostmediterranen Welt spielte uumlber den triumphierenden Dionysus (uumlbertragen auf Liber Pater) bis hin zu Apollo und Romulus Quirinus In manchen Faumlllen legte der Betroffene solche Gleichsetzungen selbst nahe indem er etwa eine Gottheit zu einem besonders wichtigen eigenen Adressaten machte ihr Tempel oder Spiele stiftete oder sich selbst entsprechend kleidete Naumlhe und genealogische Beziehung Epiphanie oder innere Praumlsenz des Goumlttlichen ndash die Moumlg-lichkeiten das Verhaumlltnis zu konzeptualisieren waren vielfaumlltig ein Bedarf an Praumlzision war eher

15 ZB Varro ling 745 Fasti Praenestini Inscr It 132139 Ov am 3637 fast 5148 Plin Nat 365 Solin 16 Aug civ 610 (Varro) 16 Cic leg 222 in der Textrekonstruktion durch Andrew Dyck 17 So Anne-Francoise Jaccottet raquoDu Corps Humain au Corps Divin Lrsquoapotheacuteose dans lrsquoimaginaire et les repreacutesentations figureacuteeslaquo in P Borgeaud D Fabiano (Hgg) Reception et Construction du Divine dans lrsquoAntiquiteacute Recherches et Rencontres 31 Genegraveve 2013 S 293ndash32218 ILS 119-121

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selten In Ritualen die den Initiatoren so wichtig waren dass sie auch in inschriftlicher Form einen Niederschlag fanden wurde so die verstorbene Livia als (im Dativ der Empfaumlngerin) Livia Augusti dea Iuno Livia (Liviae) Augusti und Ceres Iulia (Iuliae) Augustaae angesprochen18 Was im Sprachlichen doppeldeutig blieb lieszlig sich bildlich klaumlren etwa indem der Urheber der religioumlsen Kommunikation zwei Statuen nebeneinander stellte (Dea) Roma und Augustus waren ein be-liebtes Paar Venus und Caesar ein umstrittenes Die Wahl des Materials konnte dem Objekt eine Nuance geben die Betrachterinnen und Betrach-ter einte oder polarisierte Man konnte keine Goldstatue aufstellen und dann behaupten den Dargestellten nicht zu vergoumlttlichen Gerade die klar ausgewiesene Eigenstaumlndigkeit der Persoumln-lichkeit des Menschen provozierte dabei die Frage nach seinem ontologischen Status nach seinem Ort in einer Ordnung die fuumlr Engel Daumlmonen und Goumltter selbstverstaumlndlich aber im Detail raumlt-selhaft und in der jeweiligen Situation umstritten sein musste19

Uumlberlegungen zur Person des Augustus oder sei- ner Familie anzustellen war aber ndash allenfalls ndash ein Nebenaspekt bei der Wahl gerade solcher Adres-

saten in religioumlser Kommunikation Der zentrale bdquoTrickldquo dieser Wahl bestand vielmehr in der enor-men Relevanzsteigerung einer Kommunikation die in einen lokalen Kontext einen unbezweifel-bar reichsweit handelnden Akteur einbezog Das mochten Umstehende als bdquounnoumltigldquo betrachten das aumlnderte jedoch nichts daran dass der oder die Initiatorin damit ihr Anliegen aufgewertet hatte ndash gleichzeitig freilich dazu aufgefordert war eine entsprechend aufwendige Gestaltung dieser Kommunikation zu liefern Amatius hatte das gespuumlrt ndash und seine maumlchtigeren Konkurren-ten auch Ob als Gott oder nur Widmungstraumlger als Adressat nicht nur religioumlser sondern auch literarischer Kommunikation Als moumlglicher Gott war der Herrscher wichtiger geworden In der Kenntnis um diese antiken Zusammenhaumlnge sieht man die Kommunikation mit und uumlber heutige Autokraten anders Weit muss man dazu nicht schweifen

Impressum ISSN 0945-2257

Latein und Griechisch in Berlin und Brandenburg erscheint vierteljaumlhrlich und wird herausgegeben vom Vorstand des Landesverbandes Berlin und Brandenburg im Deutschen Altphilologenverband (DAV) wwwdavbbde

1 Vorsitzender Prof Dr Stefan Kipf Humboldt Universitaumlt zu Berlin Didaktik Griechisch und Latein middot Unter den Linden 6 middot 10099 Berlin stefankipfstaffhu-berlinde

2 Vorsitzende StR Gerlinde Lutter Tagore-SchuleGymnasium Berlin middot g1lutteraolcom Andrea Weiner Alexander von Humboldt Gymnasium Eberswalde

Schriftleitung des Maya BrandlMitteilungsblattes Zehntwerderweg 171 a middot 13469 Berlin middot mayabrandlgmxde

Kassenwartin StR Peggy Klausnitzer peggyklausnitzert-onlinede

Beisitzer Prof Dr Nicola Houmlmke StD Dr Josef Rabl

Grafik Layout Fabian Ehlers Karlsruher Straszlige 12 middot 10711 Berlin middot wwwart-und-adde

19 Unter einem Begriff wie bdquoEngelldquo (angelos) konnten sich wiederum unterschiedlichste lokale Vorstellungen verbergen Rangar H Cline Ancient Angels Conceptualizing Angeloi in the Roman Empire Religions in the Graeco-Roman World 172 Leiden 2011 S 75

IMPR

ESSU

M

Peter Riemer Ein Anfang mit BE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stunde

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Liebe Ursula liebe Nicola lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende liebe Gaumlste bevor ich Peter Riemers Vortrag zum heutigen Jubilauml-umsfest verlese erlauben Sie mir einige

persoumlnliche Bemerkungen Wie die meisten von Ihnen wissen vertritt Nicola Houmlmke seit dem fuumlr uns schmerzlichen (aber verstaumlndlichen) Wech-sel Ursula Gaumlrtners nach Graz den Lehrstuhl fuumlr Klassische Philologie an unserer Universitaumlt Die Art und Weise wie sie dies tut etwa bei dem von Frau Gaumlrtner begruumlndeten sbquojour fi xelsquo oder im Altertumswissenschaftlichen Kolloquium fi nde ich hervorragend ich bin ihr nicht nur deswegen sehr dankbar und wuumlnsche Ihr dass sie dies auch weiterhin so tun kannAls mir Nicola Houmlmke vor kurzem mitteilte dass Peter Riemer seinen Vortrag an unserem Jubilauml-umsfest leider nicht halten koumlnne er es aber gut faumlnde wenn ich in seinem Namen seine Rede vortruumlge hatte ich aus verschiedenen Gruumlnden zunaumlchst groszlige Bedenken Einer dieser Gruumlnde reicht bis in meine Kindheit zuruumlck Bei der Feier der Heiligen Messe konnte ich als Ministrant nicht selten nur zu deutlich erleben wie sich die sonst durchaus neugierig gespannte Aufmerksamkeit meiner kleinen nordsaarlaumlndischen Heimatge-meinde just in dem Augenblick in einen ndash eu-phemistisch ausgedruumlckt ndash auffaumlllig veraumlnderten Ruhezustand verwandelte in dem der Pfarrer ankuumlndigte er werde statt zu predigen einen Hirtenbrief des Trierer Landesbischofs verlesen Nachdem mir Peter Riemer dann mitteilte dass er in seinem Vortrag vor allem aus sehr persoumln-licher Sicht an die Anfaumlnge des Potsdamer Insti-tuts fuumlr Klassische Philologie erinnern wolle ha-ben sich meine Bedenken sofort zerstreut Seine Gedanken und Erinnerungen die ich Ihnen gleich vortrage zeugen wie ich schon beim ersten Le-

sen feststellen konnte noch vom selben anste-ckenden Enthusiasmus mit dem er bereits vor zwanzig Jahren die ersten Studierenden in Pots-dam fuumlr die Beschaumlftigung mit antiken Texten zu begeistern verstanden hat Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine weitere ganz kurze persoumlnliche digressio Ich lese gerade ein spannendes Buch des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa der darin die Frage nach dem gelingenden bzw guten Leben mit Hilfe des Kriteriums der Resonanzerfahrung zu beantworten versucht Seine diesbezuumlglichen Analysen der verschiede-nen Lebenssphaumlren der Familie der Arbeit der Religion der Kunst des Sports fuumlhren ihn zu der nicht ganz uumlberraschenden Diagnose dass es fuumlr die Menschen kapitalistischer vor allem von Entfremdung gepraumlgter Gesellschaften der Postmoderne immer schwieriger werde lebens-wichtige Resonanz-Erfahrungen zu machen bei denen es in unterschiedlichen Zusammenhaumlngen nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-

Eingeleitet von Eugen Braun

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ven sondern auch leiblichen Beruumlhrung zwischen Subjekt und Welt komme (Wenn Ihnen dies jetzt zu unverstaumlndlich bzw philosophisch vor-kommt so haben Sie heute ab 21 Uhr wenn man Herrn Rosa glauben will die Moumlglichkeit ganz anschaulich auf dem Fernsehbildschirm ein zu-mindest bdquopraumlreflexives somatisch-soziales Reso-nanzgeschehenldquo mit zu verfolgen vorausgesetzt natuumlrlich Sie finden uumlberhaupt Gefallen daran 22 erwachsenen Menschen dabei zuzuschauen wie sie einem Ball hinterherlaufen und diesen in ein Tor zu befoumlrdern versuchen) Bei der Lektuumlre von Herrn Rosas Buch hat sich mir unwillkuumlrlich auch die Frage nach moumlglichen Resonanzerfah-rungen auf der Universitaumlt gestellt ich habe noch keine abschlieszligende Antwort gefunden Dass die Universitaumlt als Staumltte des Lernens und Lehrens primaumlr kein Ort zur Erfuumlllung lebensphilosophi-scher Sehnsuumlchte sein kann und darf sondern vor allem einen werturteilsfreien Fachunterricht zum Ziel haben muss der allenfalls zu einer bes-seren rationalen Abwaumlgung der verschiedenen Welt- und Lebensanschauungen beitragen kann wie sie auch in Texten der griechisch-roumlmischen Antike paradigmatisch erkennbar sind habe ich von Max Weber gelernt In seinem beruumlhmten Vortrag bdquoWissenschaft als Berufldquo hat Weber wie Sie wissen ebendies vor fast genau hundert Jahren den Studenten der Muumlnchener Universi-taumlt nachdruumlcklich verstaumlndlich zu machen ver-sucht In diesem Vortrag (Weber war uumlbrigens sbquoSchwipp-Schwagerlsquo von Wilamowitz) findet sich allerdings auch der bekannte Satz bdquoNichts ist fuumlr den Menschen als Menschen etwas wert was er nicht mit Leidenschaft tun kannldquo Wenn Studie-rende heute das Studium der Klassischen Philo-logie wie es scheint vor allem absolvieren und absolvieren muumlssen um sog Leistungspunkte zu erwerben entspricht dies einer allgemeinen Ent-wicklung der Universitaumlten die ich nicht weiter kommentieren will Dass Studierende sich dieser Entwicklung zum Trotz jedoch zum Gluumlck immer noch in Seminaren ja sogar Grammatikuumlbungen fuumlr den sbquoStofflsquo begeistern lassen habe ich selbst

noch heute Morgen erleben duumlrfen und in den letzten Jahren immer wieder vereinzelten Ruumlck-meldungen insbesondere zu Veranstaltungen Ursula Gaumlrtners entnehmen koumlnnen Aus der An-fangszeit unseres Instituts faumlllt mir in diesem Zu-sammenhang besonders Joumlrg Ruumlpkes Vorlesung uumlber Roumlmische Geschichtsschreibung ein deren Mitschnitt bzw Aufnahme Frau Geyer dann zu einem sehr begehrten Buch gemacht hat Wie spannend seine fachwissenschaftliche Beschrei-bung religioumlsen Handelns in der Antike (und der damit verbundenen vertikalen Resonanzachsen) sein kann haben Sie alle gerade selbst erleben koumlnnen (Ich persoumlnlich bin schon sehr gespannt auf sein neues Buch uumlber die Geschichte der an-tiken Religionen das am 19 September erscheint und fuumlr das ich an dieser Stelle schon einmal Reklame machen darf) Wie es Peter Riemer in seiner Potsdamer Zeit auf charismatische Weise verstanden hat das Interesse der Studierenden etwa fuumlr die Aeneis in lebendigen Diskussionen immer mehr zu vertiefen weiszlig ich von einzelnen Seminarteilnehmern und wie eindrucksvoll es ihm nicht nur damals gelungen ist sondern auch heute noch gelingt in den akademischen Lehr-betrieb auch Erfahrungen kuumlnstlerisch-performa-tiver Resonanz zu integrieren geht auch aus dem folgenden Vortrag hervor den ich nun verlesen darf (Dabei versuche ich den moumlglicherweise doch aufkommenden Gedanken dass Saarbruuml-cken wo Herr Riemer derzeit lehrt nicht weit von Trier entfernt liegt so gut es geht zu unter-druumlcken) Der Vortrag traumlgt den Titel sbquoEin Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stundersquo und beginnt mit den Worten

Liebe Frau Gaumlrtner liebe Frau Houmlmke lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende und sofern anwesend natuumlrlich auch zu begruuml-szligen der Dekan SpectabilisEs ist wirklich bedauerlich dass ich am heutigen Tag nicht selbst dabei sein kann das Institutsju-bilaumlum zu feiern Eine schon seit Monaten termi-nierte Berufungskommission mit Probevortraumlgen

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und der anschlieszligenden Entscheidungsfindung an eben dem 7 Juli 2016 laumlsst mich einfach nicht aus Saarbruumlcken fort Aber zumindest koumlnnen diese Zeilen hier verlesen werden Es muss wohl der 4 oder 5 Oktober 1995 gewesen sein als wir in Golm die kuumlnftigen Raumlume des Instituts fuumlr Klassische Philologie aufsuchten Eugen Braun und ich ndash wir waren verabredet und er moumlglicher-weise vor mir da Joumlrg Ruumlpke kam dann erst in der Woche darauf wenn ich mich recht entsinne ndash da hatten wir die Raumlume schon halbwegs einge-nommen freilich noch ohne neues Mobiliar Alles war muffig und ziemlich heruntergekommen Das hatte nichts mit den aktuellen Anglisten zu tun von denen wir die Raumlume erbten Vielmehr fanden sich in den Schreibtischen und Schraumln-ken Abschlussarbeiten und andere Unterlagen (Korrespondenzen und Berichte) aus der Zeit der Brandenburgischen Landeshochschule und zwar noch aus den Jahren vor der Wende Man hatte den Eindruck die Zimmer seien seit Gruumlndung der Universitaumlt 1991 nur nebenbei quasi behelfs-weise genutzt worden Sie konnten 11 so wie sie waren in ein DDR-Hochschul-Museum uumlberfuumlhrt werden Dietrich Schwanitz hatte offenbar diesel-ben Eindruumlcke gehabt und in seinem Roman bdquoDer Zirkelldquo absolut treffend wiedergegeben Schwa-nitz ist dem Ruf auf eine Potsdamer Anglistik-Professur bekanntlich nicht gefolgt (vielleicht deshalb) Nun gut Da standen wir also und mussten irgendwie anfangen Keine Beschriftung deutete darauf hin dass hier einmal das Institut fuumlr Klassische Philologie sein wuumlrde Wir brauch-ten dringend Material Computer Drucker Papier Nicht einmal Bleistifte waren vorhanden Fuumlr Bestellungen von Material und Geraumlten gab es Formblaumltter Die bekamen wir von Frau Schwarz der Verwaltungschefin der Fakultaumlt Wir fuumlllten die Formulare aus und mussten feststellen dass selbst dies nicht so einfach war wenn man noch gar nichts besaszlig Denn auf den Formularen wurde ein Stempel verlangt Man musste sogar wenn man einen Stempel bestellen wollte erst einmal selbst einen Stempel haben bdquoStempel und

Unterschriftldquo hieszlig es unten auf dem Blatt Kurios Wir zogen in die Romanistik und liehen uns von dort einen Stempel aus bdquoInstitut fuumlr Romanis-tikldquo Natuumlrlich strichen wir die Romanistik durch und schrieben in Druckbuchstaben sozusagen in lsquoStempelschriftrsquo bdquoKlassische Philologieldquo daruumlber und bestellten auf diese Weise erst einmal einen Stempel und dann das uumlbrige Material So ka-men wir an unsere ersten Bleistifte

Zu einem Universitaumltsinstitut gehoumlrt selbstver-staumlndlich eine gut bestuumlckte Bibliothek Da wir ja praktisch bei Null anfingen brauchten wir von allem alles Lexika und Handbuumlcher Primaumlrtexte und Sekundaumlrliteratur Weil auch andere Institu-te fuumlr ihre Buchbestaumlnde Geld benoumltigten aber schon vor uns da waren und ihre Anspruumlche laumlngst geltend gemacht hatten blieb fuumlr uns nur noch ein kleiner Rest aus dem Topf der Beschaf-fungsmittel Der Hinweis auf die gut ausgestatte-ten Bibliotheken in Berlin war uns nur ein schwa-cher Trost Schlieszliglich sollten so dachten wir die Studenten auch drauszligen in Golm Buumlcher vorfin-den die ihrem Studium dienten Wir skizzierten daher einen klassisch-philologischen Grundbe-stand und baten Frau Gaschuumltz die fuumlr unsere Bibliothek zustaumlndig war zu kaufen was der Markt eben hergab Aber auf dem Buumlchermarkt fanden sich freilich kaum aumlltere Werke bis zuruumlck ins 19 Jahrhundert Deshalb nahmen wir Kontakt mit den Instituten in Greifswald und Halle auf die sich gern von ihren Dubletten trennten um dafuumlr etwas Geld fuumlr Neuanschaffungen zu erhalten Joumlrg Ruumlpke wird sicher noch die Fahrt zu Martin Hose in Greifswald in Erinnerung haben (ich hoffe in guter) die wir so zuumlgig unternahmen (zugleich in Gespraumlche vertieft) dass uns irgendwo auf der Landstraszlige ein mecklenburg-vorpommersches Blitzgeraumlt erwischte Jedesmal wenn ich seitdem auf dem Weg an die Ostsee oder zuruumlck geblitzt werde (und das passiert leider immer wieder Mecklenburg-Vorpommern hat mehr Blitzgeraumlte als Einwohner) faumlllt mir die denkwuumlrdige Tour von damals wieder ein

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Somit bekamen wir nach und nach ndash wie gesagt fuumlr wenig Geld ndash einen systematischen Buchbe-stand in erstaunlicher Fuumllle zusammen Und da verschlug es mir den Atem als Frau Gaschuumltz aus dem Magazin der Potsdamer UB eine vollstaumlndi-ge Realenzyklopaumldie hervorzauberte Eine RE in Potsdam noch aus der Gruumlndungszeit der Paumld-agogischen Hochschule Wie war das moumlglich Die Klassische Philologie besaszlig als wir kamen noch keinen Bleistift hatte aber schon eine RE im Keller Des Raumltsels Loumlsung Wir waren nicht die ersten Ende der 40-er Jahre des 20 Jahrhun-derts sollte die Paumldagogische Hochschule auch Latein und Griechisch im Programm haben und kein geringerer als Werner Peeck (der letzte Wila-mowitz-Schuumller) war mit der Einrichtung betraut worden Auch er hatte damals mit Buumlcherkaumlufen begonnen Doch die Aufgabe der Lateinlehrer-ausbildung fuumlr die Oberschulen der DDR fiel dann den Hallensern zu Peeck ging folglich nach Halle sicherlich auch mit einigen Buumlchern im Gepaumlck Die RE lieszlig er aber in Potsdam zuruumlck Somit koumlnnten zieht man die Unterbrechung bis 1995 ab die Peeckschen Jahre hinzugerechnet werden und das heute zu feierende Jubilaumlum waumlre ein 25-JaumlhrigesIm Wintersemester 199596 hatten wir selbst-verstaumlndlich Lehrveranstaltungen angekuumlndigt Aber es kamen keine Studenten Wie denn auch Wir besaszligen ja nicht einmal eine Studienordnung Also setzten wir uns regelmaumlszligig zusammen Joumlrg Ruumlpke Eugen Braun und ich und bastelten an unseren Ordnungen fuumlr das Studium der Latei-nischen und der Griechischen Philologie Und es war nicht einfach die Ordnungen in der gebote-nen Eile durch die Gremien zu bringen vor allem die sogenannte LSK die Senatskommission fuumlr Studium und Lehre tat sich schwer damals gelei-tet von dem Mathematikdidaktiker Thomas Jahn-ke Ich erwaumlhne ihn namentlich weil er noch ein Schuumller des beruumlhmten Frankfurter Gymnasialleh-rers Eduard Bornemann war dem wir wunderba-re lateinische und griechische Grammatiken und Schulbuumlcher verdanken Herr Jahnke war unseren

Studiengaumlngen sehr zugetan an ihm lag es nicht dass sich manches verzoumlgerte Das der LSK ange-houmlrende Mitglied des Bildungsministeriums legte uns immer wieder Steine in den Weg Der Mann wollte unserem Konzept eines breit angelegten Lateinstudiums unter Einbeziehung sprachwis-senschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Ele-mente und definitiv gestuumltzt auf die klassischen Autoren nicht zustimmen und wollte uns glaub-haft machen dass das Latein des Mittelalters und das Neulateinische viel wichtiger seien fuumlr einen modernen Schulunterricht Nun gut Irgendwie hatten wir den Kampf dann doch gewonnen und das Ministerium beruhigen koumlnnen Wir erhielten postwendend den Auftrag uumlber hundert Latein-lehrer fuumlr das Land Brandenburg nachzuschulen Darin bestand dann tatsaumlchlich die groszlige Aufga-be der ersten Jahre des Instituts Jeden Freitag hatten wir unseren bdquoLehrertagldquo und ermoumlglich-ten (unterstuumltzt von der Weiterbildungs-GmbH in Babelsberg) einer groszligen Reihe von schon lange taumltigen Lehrerinnen und ndashlehrern das Erweite-rungsfach Latein zu erwerben vielleicht ist der eine oder die andere von damals heute hier ganz herzliche Gruumlszlige Es war eine wunderbare Zeit mit sehr schoumlnen Erfahrungen Aus einem Vergil-Proseminar uumlber die Aeneis im Winter 199798 ist die Idee hervorgegangen dass die Tragik der Didofigur nicht separat betrachtet werden koumlnne auch die Rolle des Aeneas habe tragische Zuumlge Die Tragik des Aeneas wenn man sie ernsthaft in den Blick nimmt geht auf Aischylos zuruumlck Die-sen Kerngedanken habe ich aus den Diskussionen mit den Lehrern mitgenommen Entsprechendes publiziert und zuletzt sogar im Rahmen eines Theaterprojekts auf die Buumlhne bringen koumlnnen

Joumlrg Ruumlpke und ich wurden ja glaube ich gebe-ten von Dingen zu berichten die wir aus Potsdam mitgenommen bzw die uns beeinflusst haben Dies waumlre eines das Aischyleische in der Aeneis Dann waumlre auf jeden Fall zu nennen eine von Joumlrg Ruumlpke Pedro Barcelo und mir zusammen mit John Scheid im Steiner-Verlag herausgegebene

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Reihe die noch im Namen ihren Ursprung verraumlt bdquodie Postdamer altertumswissenschaftlichen Bei-traumlgeldquo mittlerweile 55 Baumlnde umfassend

Was mir Potsdam mit auf den Weg gegeben hat ist zudem die Interdisziplinaritaumlt In Koumlln wo ich akademisch aufgewachsen bin konzentrierten sich die einzelnen Disziplinen sehr auf sich selbst (ich glaube das machen sie auch heute noch) Das mag an der Groumlszlige der Faumlcher oder auch an der Groumlszlige der dortigen Philosophischen Fakultaumlt liegen In Potsdam haben wir von Beginn an unter weitaus engeren Bedingungen die Naumlhe zu ande-ren Disziplinen und das Miteinander gesucht Ich denke gern an die gemeinsamen Lehrveranstal-tungen mit dem Anglisten Peter Drexler oder mit der Germanistin Margrid Bircken zuruumlck Aus der Zusammenarbeit mit diesen Nachbarphilologien ist denn auch der Studiengang bdquoVergleichende Literaturwissenschaftldquo hervorgegangen heute ndash nachdem die Kunstgeschichte die seinerzeit noch fehlte dazugekommen ist ndash bdquoVergleichende Lite-ratur- und Kunstwissenschaftldquo Aumlhnliches erlebe ich in Saarbruumlcken wo wir durch die Reduktion verschiedener Faumlcher auf einzelne Professuren geradezu gezwungen sind kooperativ zu for-schen und zu lehren Die Gemeinschaft der Alter-tumswissenschaften mit Alter Geschichte Klassi-scher Archaumlologie Vor- und Fruumlhgeschichte und der Klassischen Philologie in Bachelor- und Mas-terstudiengaumlngen ist ein Beispiel Kuumlnftig werden noch die bdquoEuropaumlischen Literaturenldquo mit alt- und neuphilologischen Angeboten an der Universitaumlt des Saarlandes dazukommen Dies kann durch-aus mit dem verglichen werden was wir damals in Potsdam schon kennengelernt haben Wenn ich bdquowirldquo sage beziehe ich immer Christoph Ku-gelmeier mit ein der mir im Sommer 2000 als Assistent ins Saarland folgte und heute als auszliger-planmaumlszligiger Professor zu einem unverzichtbaren Kollegen geworden istAls letzten Punkt in Sachen Mitnahme und Wei-terwirken moumlchte ich erwaumlhnen dass die Verbin-dung zwischen dem ortsansaumlssigen Theater und

der Klassischen Philologie hier in Potsdam fuumlr uns praumlgend war Das Hans-Otto-Theater war damals offen fuumlr vielfaumlltige Kooperationen mit uns Altphi-lologen Wir konnten eine Tagung zum bdquoChor im antiken und modernen Dramaldquo auf der Proben-buumlhne des Theaters durchfuumlhren keine rein wis-senschaftliche Konferenz sondern eine Mischung aus Theorie und Praxis Klassische Philologen Anglisten und Germanisten kamen zu Wort Da-neben aber berichtete ein Opernregisseur der die euripideischen Bakchen in Athen inszeniert hatte von seiner Arbeit der griechische Komponist der die Original-Chorpartien der Bakchen zum Klin-gen gebracht hatte erklaumlrte uns seine Prinzipien ein Berliner Regisseur sprach uumlber zwei Oumldipus-Inszenierungen in Afrika und Chemnitz usw die-se Erfahrung eines produktiven Bruumlckenschlags zwischen den Dramentexten und der Buumlhne praumlgt seitdem unsere Arbeit Wir sind heute wie-der eng verbunden mit der Buumlhnenpraxis diesmal mit dem Saarlaumlndischen Staatstheater dem wir wie seinerzeit in Potsdam hin und wieder fuumlr die Inszenierung antiker Stuumlcke beratend zur Seite stehen und richten Konferenzen aus auf denen Dramaturgen und Regisseure mit Literaturwis-senschaftlern ins Gespraumlch kommen

Vielleicht haben wir damit ein Stuumlck Potsdam an die Saar geholt Wir denken jedenfalls mit Weh-mut und Dankbarkeit an die Potsdamer Jahre zu-ruumlck Sie waren und sind nach wie vor wertvoll fuumlr uns Und ich empfinde es als ein besonderes Gluumlck dass das Potsdamer Institut eine so schouml-ne Entwicklung nach unserem Weggang genom-men hat Ein groszliges Kompliment an dieser Stelle an Ursula Gaumlrtner und und das gesamte Team Zu diesem Team gehoumlrt natuumlrlich Frau Geyer sie ist Herz und Seele des Instituts fuumlr Studierende und Mitarbeiter Da haben Joumlrg Ruumlpke und ich damals wohl eine unserer besten Entscheidungen getrof-fen gerade sie als Sekretaumlrin einzustellen Auch ihr ein herzlicher Gruszlig von der Saar an die Havel Und dies leitet uumlber zu geographisch-personalen Aspekten mit denen ich die Rede schlieszligen

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moumlchte Nicht nur hat Nicola Houmlmke die jetzt fuumlr einige Jahre die Geschicke der Klassischen Philo-logie am Neuen Palais mit bestimmt ihren Weg nach Potsdam uumlber Rostock genommen Auch Frau Geyer war vor ihrer Potsdamer Zeit an der Rostocker Universitaumlt in Diensten Dasselbe trifft auf Eugen Braun zu Eine wahrhaft gluumlckliche Rostock-Potsdam-Konnexion

Zu Ursula Gaumlrtner Sie war mir schon ein Begriff als sie sich in Leipzig habilitierte denn Ekkehard Staumlrk hatte 1999 in einem Potsdamer Promoti-onsverfahren gegutachtet (es ging um Plautus) und konnte wie er mir im Januar 2000 schrieb nicht an der Disputatio Anfang Februar teilneh-men weil er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation mit seinen Kraumlften haushalten musste und ihm in diesem Zeitraum die Habilitation von Frau Gaumlrtner mehr am Herzen lag Wir hatten da-fuumlr vollstes Verstaumlndnis Und so war es erfreulich zu sehen dass eben diese Ursula Gaumlrtner sich bald darauf um die Nachfolge auf dem Lehrstuhl in Potsdam bewarb und das auch noch mit Erfolg ndash Sie heute in Graz zu wissen ist ebenfalls begluuml-ckend Bitte nicht missverstehen Das hat nichts mit dem Wegsein von Potsdam als vielmehr mit

dem Dasein in Graz zu tun Auch hier wieder eine kuriose Fuumlgung Im Jahre 2010 waren Norbert Franz fuumlr die Slavistik und ich fuumlr die Klassische Philologie als Gutachter in Graz taumltig Es ging um die Evaluation der Literaturwissenschaften dort In dem Abschlussbericht konnten bzw mussten wir hervorheben dass die Grazer Klassische Phi-lologie nie zu einer vollen Entfaltung gelangt wenn nur die Griechischprofessur besetzt ist Bei aller Liebe fuumlr das Griechische Ohne Latein geht es nicht Ob sich die Universitaumlt jene Hinweise auf die Bedeutung der lateinischen Literatur fuumlr die uumlbrigen Literaturwissenschaften zu Herzen ge-nommen hat weiszlig ich nicht Aber das Ergebnis stimmt Jetzt hat die dortige Klassische Philologie mit der Besetzung der Latinistik wieder eine aus-sichtsreiche Zukunft Daher mein Zuruf Macte virtute esto

Der Zuruf gilt auch den Potsdamern Ich wuumlnsche dem Institut fuumlr Klassische Philologie und der Alt-philologie in Brandenburg insgesamt weiterhin groumlszligtmoumlgliche Wirksamkeit Und fuumlr heute ein schoumlnes Fest

Ihr Peter Riemer

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1 VorbemerkungEs ist merkwuumlrdig bei dem traditionellen Som-merfest der Klassischen Philologie als Vortra-gende aufzutreten nachdem ich selbst in all den Jahren unsere Gastvortragenden vorgestellt habe und letztes Jahr Frau Nicola Houmlmke die mich nun gerade vorgestellt hat Als wir zum ersten Mal das diesjaumlhrige Sommerfest ansprachen war auch gar nicht klar ob ich weg sein wuumlrde Nur dass alle bisherigen Professorinnen und Professoren sprechen sollten stand bald fest Dass ich dies nun als ehemalige Professorin tue erfuumlllt mich mit einem merkwuumlrdigen Gefuumlhl Der Titel mei-nes Vortrags war als Platzhalter gedacht er blieb dann aber weil er so passend war Der persoumln-liche Bezug ist offensichtlich Mir ging natuumlrlich sehr viel durch den Kopf nach uumlber einem Jahr-zehnt hier vor Ort wo ich so viele Studierende und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe Aber es war gewuumlnscht uumlber etwas zu sprechen das in Potsdam seinen Anfang nahm Ich habe hier begonnen mich intensiv mit Phaedrus zu beschaumlftigen mehrere Auf-saumltze sind hier entstanden dann der Kommentar zu Buch 1 und zuletzt bis in die letzten Stunden vor dem Umzug im Februar ein ausfuumlhrlicher For-schungsbericht In mehreren Seminaren konnte ich mit Studierenden meine Ideen zu Phaedrus diskutieren hier ist die Gelegenheit mich auch hierfuumlr einmal zu bedanken Das Gleiche gilt fuumlr das Altertumswissenschaftliche Kolloquium so-wie die Diskussionsrunden an unserem Jour fi xe Bei einem solchen Thema denkt man bisweilen es sei abgeschlossen doch dann tun sich immer

Uumlberlegungen aus gegebenem Anlass Ein Vortrag in vier Kapiteln und zwei Vorbemerkungen

Der Vortragsstil wurde beibehalten

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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selten In Ritualen die den Initiatoren so wichtig waren dass sie auch in inschriftlicher Form einen Niederschlag fanden wurde so die verstorbene Livia als (im Dativ der Empfaumlngerin) Livia Augusti dea Iuno Livia (Liviae) Augusti und Ceres Iulia (Iuliae) Augustaae angesprochen18 Was im Sprachlichen doppeldeutig blieb lieszlig sich bildlich klaumlren etwa indem der Urheber der religioumlsen Kommunikation zwei Statuen nebeneinander stellte (Dea) Roma und Augustus waren ein be-liebtes Paar Venus und Caesar ein umstrittenes Die Wahl des Materials konnte dem Objekt eine Nuance geben die Betrachterinnen und Betrach-ter einte oder polarisierte Man konnte keine Goldstatue aufstellen und dann behaupten den Dargestellten nicht zu vergoumlttlichen Gerade die klar ausgewiesene Eigenstaumlndigkeit der Persoumln-lichkeit des Menschen provozierte dabei die Frage nach seinem ontologischen Status nach seinem Ort in einer Ordnung die fuumlr Engel Daumlmonen und Goumltter selbstverstaumlndlich aber im Detail raumlt-selhaft und in der jeweiligen Situation umstritten sein musste19

Uumlberlegungen zur Person des Augustus oder sei- ner Familie anzustellen war aber ndash allenfalls ndash ein Nebenaspekt bei der Wahl gerade solcher Adres-

saten in religioumlser Kommunikation Der zentrale bdquoTrickldquo dieser Wahl bestand vielmehr in der enor-men Relevanzsteigerung einer Kommunikation die in einen lokalen Kontext einen unbezweifel-bar reichsweit handelnden Akteur einbezog Das mochten Umstehende als bdquounnoumltigldquo betrachten das aumlnderte jedoch nichts daran dass der oder die Initiatorin damit ihr Anliegen aufgewertet hatte ndash gleichzeitig freilich dazu aufgefordert war eine entsprechend aufwendige Gestaltung dieser Kommunikation zu liefern Amatius hatte das gespuumlrt ndash und seine maumlchtigeren Konkurren-ten auch Ob als Gott oder nur Widmungstraumlger als Adressat nicht nur religioumlser sondern auch literarischer Kommunikation Als moumlglicher Gott war der Herrscher wichtiger geworden In der Kenntnis um diese antiken Zusammenhaumlnge sieht man die Kommunikation mit und uumlber heutige Autokraten anders Weit muss man dazu nicht schweifen

Impressum ISSN 0945-2257

Latein und Griechisch in Berlin und Brandenburg erscheint vierteljaumlhrlich und wird herausgegeben vom Vorstand des Landesverbandes Berlin und Brandenburg im Deutschen Altphilologenverband (DAV) wwwdavbbde

1 Vorsitzender Prof Dr Stefan Kipf Humboldt Universitaumlt zu Berlin Didaktik Griechisch und Latein middot Unter den Linden 6 middot 10099 Berlin stefankipfstaffhu-berlinde

2 Vorsitzende StR Gerlinde Lutter Tagore-SchuleGymnasium Berlin middot g1lutteraolcom Andrea Weiner Alexander von Humboldt Gymnasium Eberswalde

Schriftleitung des Maya BrandlMitteilungsblattes Zehntwerderweg 171 a middot 13469 Berlin middot mayabrandlgmxde

Kassenwartin StR Peggy Klausnitzer peggyklausnitzert-onlinede

Beisitzer Prof Dr Nicola Houmlmke StD Dr Josef Rabl

Grafik Layout Fabian Ehlers Karlsruher Straszlige 12 middot 10711 Berlin middot wwwart-und-adde

19 Unter einem Begriff wie bdquoEngelldquo (angelos) konnten sich wiederum unterschiedlichste lokale Vorstellungen verbergen Rangar H Cline Ancient Angels Conceptualizing Angeloi in the Roman Empire Religions in the Graeco-Roman World 172 Leiden 2011 S 75

IMPR

ESSU

M

Peter Riemer Ein Anfang mit BE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stunde

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Liebe Ursula liebe Nicola lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende liebe Gaumlste bevor ich Peter Riemers Vortrag zum heutigen Jubilauml-umsfest verlese erlauben Sie mir einige

persoumlnliche Bemerkungen Wie die meisten von Ihnen wissen vertritt Nicola Houmlmke seit dem fuumlr uns schmerzlichen (aber verstaumlndlichen) Wech-sel Ursula Gaumlrtners nach Graz den Lehrstuhl fuumlr Klassische Philologie an unserer Universitaumlt Die Art und Weise wie sie dies tut etwa bei dem von Frau Gaumlrtner begruumlndeten sbquojour fi xelsquo oder im Altertumswissenschaftlichen Kolloquium fi nde ich hervorragend ich bin ihr nicht nur deswegen sehr dankbar und wuumlnsche Ihr dass sie dies auch weiterhin so tun kannAls mir Nicola Houmlmke vor kurzem mitteilte dass Peter Riemer seinen Vortrag an unserem Jubilauml-umsfest leider nicht halten koumlnne er es aber gut faumlnde wenn ich in seinem Namen seine Rede vortruumlge hatte ich aus verschiedenen Gruumlnden zunaumlchst groszlige Bedenken Einer dieser Gruumlnde reicht bis in meine Kindheit zuruumlck Bei der Feier der Heiligen Messe konnte ich als Ministrant nicht selten nur zu deutlich erleben wie sich die sonst durchaus neugierig gespannte Aufmerksamkeit meiner kleinen nordsaarlaumlndischen Heimatge-meinde just in dem Augenblick in einen ndash eu-phemistisch ausgedruumlckt ndash auffaumlllig veraumlnderten Ruhezustand verwandelte in dem der Pfarrer ankuumlndigte er werde statt zu predigen einen Hirtenbrief des Trierer Landesbischofs verlesen Nachdem mir Peter Riemer dann mitteilte dass er in seinem Vortrag vor allem aus sehr persoumln-licher Sicht an die Anfaumlnge des Potsdamer Insti-tuts fuumlr Klassische Philologie erinnern wolle ha-ben sich meine Bedenken sofort zerstreut Seine Gedanken und Erinnerungen die ich Ihnen gleich vortrage zeugen wie ich schon beim ersten Le-

sen feststellen konnte noch vom selben anste-ckenden Enthusiasmus mit dem er bereits vor zwanzig Jahren die ersten Studierenden in Pots-dam fuumlr die Beschaumlftigung mit antiken Texten zu begeistern verstanden hat Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine weitere ganz kurze persoumlnliche digressio Ich lese gerade ein spannendes Buch des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa der darin die Frage nach dem gelingenden bzw guten Leben mit Hilfe des Kriteriums der Resonanzerfahrung zu beantworten versucht Seine diesbezuumlglichen Analysen der verschiede-nen Lebenssphaumlren der Familie der Arbeit der Religion der Kunst des Sports fuumlhren ihn zu der nicht ganz uumlberraschenden Diagnose dass es fuumlr die Menschen kapitalistischer vor allem von Entfremdung gepraumlgter Gesellschaften der Postmoderne immer schwieriger werde lebens-wichtige Resonanz-Erfahrungen zu machen bei denen es in unterschiedlichen Zusammenhaumlngen nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-

Eingeleitet von Eugen Braun

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ven sondern auch leiblichen Beruumlhrung zwischen Subjekt und Welt komme (Wenn Ihnen dies jetzt zu unverstaumlndlich bzw philosophisch vor-kommt so haben Sie heute ab 21 Uhr wenn man Herrn Rosa glauben will die Moumlglichkeit ganz anschaulich auf dem Fernsehbildschirm ein zu-mindest bdquopraumlreflexives somatisch-soziales Reso-nanzgeschehenldquo mit zu verfolgen vorausgesetzt natuumlrlich Sie finden uumlberhaupt Gefallen daran 22 erwachsenen Menschen dabei zuzuschauen wie sie einem Ball hinterherlaufen und diesen in ein Tor zu befoumlrdern versuchen) Bei der Lektuumlre von Herrn Rosas Buch hat sich mir unwillkuumlrlich auch die Frage nach moumlglichen Resonanzerfah-rungen auf der Universitaumlt gestellt ich habe noch keine abschlieszligende Antwort gefunden Dass die Universitaumlt als Staumltte des Lernens und Lehrens primaumlr kein Ort zur Erfuumlllung lebensphilosophi-scher Sehnsuumlchte sein kann und darf sondern vor allem einen werturteilsfreien Fachunterricht zum Ziel haben muss der allenfalls zu einer bes-seren rationalen Abwaumlgung der verschiedenen Welt- und Lebensanschauungen beitragen kann wie sie auch in Texten der griechisch-roumlmischen Antike paradigmatisch erkennbar sind habe ich von Max Weber gelernt In seinem beruumlhmten Vortrag bdquoWissenschaft als Berufldquo hat Weber wie Sie wissen ebendies vor fast genau hundert Jahren den Studenten der Muumlnchener Universi-taumlt nachdruumlcklich verstaumlndlich zu machen ver-sucht In diesem Vortrag (Weber war uumlbrigens sbquoSchwipp-Schwagerlsquo von Wilamowitz) findet sich allerdings auch der bekannte Satz bdquoNichts ist fuumlr den Menschen als Menschen etwas wert was er nicht mit Leidenschaft tun kannldquo Wenn Studie-rende heute das Studium der Klassischen Philo-logie wie es scheint vor allem absolvieren und absolvieren muumlssen um sog Leistungspunkte zu erwerben entspricht dies einer allgemeinen Ent-wicklung der Universitaumlten die ich nicht weiter kommentieren will Dass Studierende sich dieser Entwicklung zum Trotz jedoch zum Gluumlck immer noch in Seminaren ja sogar Grammatikuumlbungen fuumlr den sbquoStofflsquo begeistern lassen habe ich selbst

noch heute Morgen erleben duumlrfen und in den letzten Jahren immer wieder vereinzelten Ruumlck-meldungen insbesondere zu Veranstaltungen Ursula Gaumlrtners entnehmen koumlnnen Aus der An-fangszeit unseres Instituts faumlllt mir in diesem Zu-sammenhang besonders Joumlrg Ruumlpkes Vorlesung uumlber Roumlmische Geschichtsschreibung ein deren Mitschnitt bzw Aufnahme Frau Geyer dann zu einem sehr begehrten Buch gemacht hat Wie spannend seine fachwissenschaftliche Beschrei-bung religioumlsen Handelns in der Antike (und der damit verbundenen vertikalen Resonanzachsen) sein kann haben Sie alle gerade selbst erleben koumlnnen (Ich persoumlnlich bin schon sehr gespannt auf sein neues Buch uumlber die Geschichte der an-tiken Religionen das am 19 September erscheint und fuumlr das ich an dieser Stelle schon einmal Reklame machen darf) Wie es Peter Riemer in seiner Potsdamer Zeit auf charismatische Weise verstanden hat das Interesse der Studierenden etwa fuumlr die Aeneis in lebendigen Diskussionen immer mehr zu vertiefen weiszlig ich von einzelnen Seminarteilnehmern und wie eindrucksvoll es ihm nicht nur damals gelungen ist sondern auch heute noch gelingt in den akademischen Lehr-betrieb auch Erfahrungen kuumlnstlerisch-performa-tiver Resonanz zu integrieren geht auch aus dem folgenden Vortrag hervor den ich nun verlesen darf (Dabei versuche ich den moumlglicherweise doch aufkommenden Gedanken dass Saarbruuml-cken wo Herr Riemer derzeit lehrt nicht weit von Trier entfernt liegt so gut es geht zu unter-druumlcken) Der Vortrag traumlgt den Titel sbquoEin Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stundersquo und beginnt mit den Worten

Liebe Frau Gaumlrtner liebe Frau Houmlmke lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende und sofern anwesend natuumlrlich auch zu begruuml-szligen der Dekan SpectabilisEs ist wirklich bedauerlich dass ich am heutigen Tag nicht selbst dabei sein kann das Institutsju-bilaumlum zu feiern Eine schon seit Monaten termi-nierte Berufungskommission mit Probevortraumlgen

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und der anschlieszligenden Entscheidungsfindung an eben dem 7 Juli 2016 laumlsst mich einfach nicht aus Saarbruumlcken fort Aber zumindest koumlnnen diese Zeilen hier verlesen werden Es muss wohl der 4 oder 5 Oktober 1995 gewesen sein als wir in Golm die kuumlnftigen Raumlume des Instituts fuumlr Klassische Philologie aufsuchten Eugen Braun und ich ndash wir waren verabredet und er moumlglicher-weise vor mir da Joumlrg Ruumlpke kam dann erst in der Woche darauf wenn ich mich recht entsinne ndash da hatten wir die Raumlume schon halbwegs einge-nommen freilich noch ohne neues Mobiliar Alles war muffig und ziemlich heruntergekommen Das hatte nichts mit den aktuellen Anglisten zu tun von denen wir die Raumlume erbten Vielmehr fanden sich in den Schreibtischen und Schraumln-ken Abschlussarbeiten und andere Unterlagen (Korrespondenzen und Berichte) aus der Zeit der Brandenburgischen Landeshochschule und zwar noch aus den Jahren vor der Wende Man hatte den Eindruck die Zimmer seien seit Gruumlndung der Universitaumlt 1991 nur nebenbei quasi behelfs-weise genutzt worden Sie konnten 11 so wie sie waren in ein DDR-Hochschul-Museum uumlberfuumlhrt werden Dietrich Schwanitz hatte offenbar diesel-ben Eindruumlcke gehabt und in seinem Roman bdquoDer Zirkelldquo absolut treffend wiedergegeben Schwa-nitz ist dem Ruf auf eine Potsdamer Anglistik-Professur bekanntlich nicht gefolgt (vielleicht deshalb) Nun gut Da standen wir also und mussten irgendwie anfangen Keine Beschriftung deutete darauf hin dass hier einmal das Institut fuumlr Klassische Philologie sein wuumlrde Wir brauch-ten dringend Material Computer Drucker Papier Nicht einmal Bleistifte waren vorhanden Fuumlr Bestellungen von Material und Geraumlten gab es Formblaumltter Die bekamen wir von Frau Schwarz der Verwaltungschefin der Fakultaumlt Wir fuumlllten die Formulare aus und mussten feststellen dass selbst dies nicht so einfach war wenn man noch gar nichts besaszlig Denn auf den Formularen wurde ein Stempel verlangt Man musste sogar wenn man einen Stempel bestellen wollte erst einmal selbst einen Stempel haben bdquoStempel und

Unterschriftldquo hieszlig es unten auf dem Blatt Kurios Wir zogen in die Romanistik und liehen uns von dort einen Stempel aus bdquoInstitut fuumlr Romanis-tikldquo Natuumlrlich strichen wir die Romanistik durch und schrieben in Druckbuchstaben sozusagen in lsquoStempelschriftrsquo bdquoKlassische Philologieldquo daruumlber und bestellten auf diese Weise erst einmal einen Stempel und dann das uumlbrige Material So ka-men wir an unsere ersten Bleistifte

Zu einem Universitaumltsinstitut gehoumlrt selbstver-staumlndlich eine gut bestuumlckte Bibliothek Da wir ja praktisch bei Null anfingen brauchten wir von allem alles Lexika und Handbuumlcher Primaumlrtexte und Sekundaumlrliteratur Weil auch andere Institu-te fuumlr ihre Buchbestaumlnde Geld benoumltigten aber schon vor uns da waren und ihre Anspruumlche laumlngst geltend gemacht hatten blieb fuumlr uns nur noch ein kleiner Rest aus dem Topf der Beschaf-fungsmittel Der Hinweis auf die gut ausgestatte-ten Bibliotheken in Berlin war uns nur ein schwa-cher Trost Schlieszliglich sollten so dachten wir die Studenten auch drauszligen in Golm Buumlcher vorfin-den die ihrem Studium dienten Wir skizzierten daher einen klassisch-philologischen Grundbe-stand und baten Frau Gaschuumltz die fuumlr unsere Bibliothek zustaumlndig war zu kaufen was der Markt eben hergab Aber auf dem Buumlchermarkt fanden sich freilich kaum aumlltere Werke bis zuruumlck ins 19 Jahrhundert Deshalb nahmen wir Kontakt mit den Instituten in Greifswald und Halle auf die sich gern von ihren Dubletten trennten um dafuumlr etwas Geld fuumlr Neuanschaffungen zu erhalten Joumlrg Ruumlpke wird sicher noch die Fahrt zu Martin Hose in Greifswald in Erinnerung haben (ich hoffe in guter) die wir so zuumlgig unternahmen (zugleich in Gespraumlche vertieft) dass uns irgendwo auf der Landstraszlige ein mecklenburg-vorpommersches Blitzgeraumlt erwischte Jedesmal wenn ich seitdem auf dem Weg an die Ostsee oder zuruumlck geblitzt werde (und das passiert leider immer wieder Mecklenburg-Vorpommern hat mehr Blitzgeraumlte als Einwohner) faumlllt mir die denkwuumlrdige Tour von damals wieder ein

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Somit bekamen wir nach und nach ndash wie gesagt fuumlr wenig Geld ndash einen systematischen Buchbe-stand in erstaunlicher Fuumllle zusammen Und da verschlug es mir den Atem als Frau Gaschuumltz aus dem Magazin der Potsdamer UB eine vollstaumlndi-ge Realenzyklopaumldie hervorzauberte Eine RE in Potsdam noch aus der Gruumlndungszeit der Paumld-agogischen Hochschule Wie war das moumlglich Die Klassische Philologie besaszlig als wir kamen noch keinen Bleistift hatte aber schon eine RE im Keller Des Raumltsels Loumlsung Wir waren nicht die ersten Ende der 40-er Jahre des 20 Jahrhun-derts sollte die Paumldagogische Hochschule auch Latein und Griechisch im Programm haben und kein geringerer als Werner Peeck (der letzte Wila-mowitz-Schuumller) war mit der Einrichtung betraut worden Auch er hatte damals mit Buumlcherkaumlufen begonnen Doch die Aufgabe der Lateinlehrer-ausbildung fuumlr die Oberschulen der DDR fiel dann den Hallensern zu Peeck ging folglich nach Halle sicherlich auch mit einigen Buumlchern im Gepaumlck Die RE lieszlig er aber in Potsdam zuruumlck Somit koumlnnten zieht man die Unterbrechung bis 1995 ab die Peeckschen Jahre hinzugerechnet werden und das heute zu feierende Jubilaumlum waumlre ein 25-JaumlhrigesIm Wintersemester 199596 hatten wir selbst-verstaumlndlich Lehrveranstaltungen angekuumlndigt Aber es kamen keine Studenten Wie denn auch Wir besaszligen ja nicht einmal eine Studienordnung Also setzten wir uns regelmaumlszligig zusammen Joumlrg Ruumlpke Eugen Braun und ich und bastelten an unseren Ordnungen fuumlr das Studium der Latei-nischen und der Griechischen Philologie Und es war nicht einfach die Ordnungen in der gebote-nen Eile durch die Gremien zu bringen vor allem die sogenannte LSK die Senatskommission fuumlr Studium und Lehre tat sich schwer damals gelei-tet von dem Mathematikdidaktiker Thomas Jahn-ke Ich erwaumlhne ihn namentlich weil er noch ein Schuumller des beruumlhmten Frankfurter Gymnasialleh-rers Eduard Bornemann war dem wir wunderba-re lateinische und griechische Grammatiken und Schulbuumlcher verdanken Herr Jahnke war unseren

Studiengaumlngen sehr zugetan an ihm lag es nicht dass sich manches verzoumlgerte Das der LSK ange-houmlrende Mitglied des Bildungsministeriums legte uns immer wieder Steine in den Weg Der Mann wollte unserem Konzept eines breit angelegten Lateinstudiums unter Einbeziehung sprachwis-senschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Ele-mente und definitiv gestuumltzt auf die klassischen Autoren nicht zustimmen und wollte uns glaub-haft machen dass das Latein des Mittelalters und das Neulateinische viel wichtiger seien fuumlr einen modernen Schulunterricht Nun gut Irgendwie hatten wir den Kampf dann doch gewonnen und das Ministerium beruhigen koumlnnen Wir erhielten postwendend den Auftrag uumlber hundert Latein-lehrer fuumlr das Land Brandenburg nachzuschulen Darin bestand dann tatsaumlchlich die groszlige Aufga-be der ersten Jahre des Instituts Jeden Freitag hatten wir unseren bdquoLehrertagldquo und ermoumlglich-ten (unterstuumltzt von der Weiterbildungs-GmbH in Babelsberg) einer groszligen Reihe von schon lange taumltigen Lehrerinnen und ndashlehrern das Erweite-rungsfach Latein zu erwerben vielleicht ist der eine oder die andere von damals heute hier ganz herzliche Gruumlszlige Es war eine wunderbare Zeit mit sehr schoumlnen Erfahrungen Aus einem Vergil-Proseminar uumlber die Aeneis im Winter 199798 ist die Idee hervorgegangen dass die Tragik der Didofigur nicht separat betrachtet werden koumlnne auch die Rolle des Aeneas habe tragische Zuumlge Die Tragik des Aeneas wenn man sie ernsthaft in den Blick nimmt geht auf Aischylos zuruumlck Die-sen Kerngedanken habe ich aus den Diskussionen mit den Lehrern mitgenommen Entsprechendes publiziert und zuletzt sogar im Rahmen eines Theaterprojekts auf die Buumlhne bringen koumlnnen

Joumlrg Ruumlpke und ich wurden ja glaube ich gebe-ten von Dingen zu berichten die wir aus Potsdam mitgenommen bzw die uns beeinflusst haben Dies waumlre eines das Aischyleische in der Aeneis Dann waumlre auf jeden Fall zu nennen eine von Joumlrg Ruumlpke Pedro Barcelo und mir zusammen mit John Scheid im Steiner-Verlag herausgegebene

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Reihe die noch im Namen ihren Ursprung verraumlt bdquodie Postdamer altertumswissenschaftlichen Bei-traumlgeldquo mittlerweile 55 Baumlnde umfassend

Was mir Potsdam mit auf den Weg gegeben hat ist zudem die Interdisziplinaritaumlt In Koumlln wo ich akademisch aufgewachsen bin konzentrierten sich die einzelnen Disziplinen sehr auf sich selbst (ich glaube das machen sie auch heute noch) Das mag an der Groumlszlige der Faumlcher oder auch an der Groumlszlige der dortigen Philosophischen Fakultaumlt liegen In Potsdam haben wir von Beginn an unter weitaus engeren Bedingungen die Naumlhe zu ande-ren Disziplinen und das Miteinander gesucht Ich denke gern an die gemeinsamen Lehrveranstal-tungen mit dem Anglisten Peter Drexler oder mit der Germanistin Margrid Bircken zuruumlck Aus der Zusammenarbeit mit diesen Nachbarphilologien ist denn auch der Studiengang bdquoVergleichende Literaturwissenschaftldquo hervorgegangen heute ndash nachdem die Kunstgeschichte die seinerzeit noch fehlte dazugekommen ist ndash bdquoVergleichende Lite-ratur- und Kunstwissenschaftldquo Aumlhnliches erlebe ich in Saarbruumlcken wo wir durch die Reduktion verschiedener Faumlcher auf einzelne Professuren geradezu gezwungen sind kooperativ zu for-schen und zu lehren Die Gemeinschaft der Alter-tumswissenschaften mit Alter Geschichte Klassi-scher Archaumlologie Vor- und Fruumlhgeschichte und der Klassischen Philologie in Bachelor- und Mas-terstudiengaumlngen ist ein Beispiel Kuumlnftig werden noch die bdquoEuropaumlischen Literaturenldquo mit alt- und neuphilologischen Angeboten an der Universitaumlt des Saarlandes dazukommen Dies kann durch-aus mit dem verglichen werden was wir damals in Potsdam schon kennengelernt haben Wenn ich bdquowirldquo sage beziehe ich immer Christoph Ku-gelmeier mit ein der mir im Sommer 2000 als Assistent ins Saarland folgte und heute als auszliger-planmaumlszligiger Professor zu einem unverzichtbaren Kollegen geworden istAls letzten Punkt in Sachen Mitnahme und Wei-terwirken moumlchte ich erwaumlhnen dass die Verbin-dung zwischen dem ortsansaumlssigen Theater und

der Klassischen Philologie hier in Potsdam fuumlr uns praumlgend war Das Hans-Otto-Theater war damals offen fuumlr vielfaumlltige Kooperationen mit uns Altphi-lologen Wir konnten eine Tagung zum bdquoChor im antiken und modernen Dramaldquo auf der Proben-buumlhne des Theaters durchfuumlhren keine rein wis-senschaftliche Konferenz sondern eine Mischung aus Theorie und Praxis Klassische Philologen Anglisten und Germanisten kamen zu Wort Da-neben aber berichtete ein Opernregisseur der die euripideischen Bakchen in Athen inszeniert hatte von seiner Arbeit der griechische Komponist der die Original-Chorpartien der Bakchen zum Klin-gen gebracht hatte erklaumlrte uns seine Prinzipien ein Berliner Regisseur sprach uumlber zwei Oumldipus-Inszenierungen in Afrika und Chemnitz usw die-se Erfahrung eines produktiven Bruumlckenschlags zwischen den Dramentexten und der Buumlhne praumlgt seitdem unsere Arbeit Wir sind heute wie-der eng verbunden mit der Buumlhnenpraxis diesmal mit dem Saarlaumlndischen Staatstheater dem wir wie seinerzeit in Potsdam hin und wieder fuumlr die Inszenierung antiker Stuumlcke beratend zur Seite stehen und richten Konferenzen aus auf denen Dramaturgen und Regisseure mit Literaturwis-senschaftlern ins Gespraumlch kommen

Vielleicht haben wir damit ein Stuumlck Potsdam an die Saar geholt Wir denken jedenfalls mit Weh-mut und Dankbarkeit an die Potsdamer Jahre zu-ruumlck Sie waren und sind nach wie vor wertvoll fuumlr uns Und ich empfinde es als ein besonderes Gluumlck dass das Potsdamer Institut eine so schouml-ne Entwicklung nach unserem Weggang genom-men hat Ein groszliges Kompliment an dieser Stelle an Ursula Gaumlrtner und und das gesamte Team Zu diesem Team gehoumlrt natuumlrlich Frau Geyer sie ist Herz und Seele des Instituts fuumlr Studierende und Mitarbeiter Da haben Joumlrg Ruumlpke und ich damals wohl eine unserer besten Entscheidungen getrof-fen gerade sie als Sekretaumlrin einzustellen Auch ihr ein herzlicher Gruszlig von der Saar an die Havel Und dies leitet uumlber zu geographisch-personalen Aspekten mit denen ich die Rede schlieszligen

57LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

moumlchte Nicht nur hat Nicola Houmlmke die jetzt fuumlr einige Jahre die Geschicke der Klassischen Philo-logie am Neuen Palais mit bestimmt ihren Weg nach Potsdam uumlber Rostock genommen Auch Frau Geyer war vor ihrer Potsdamer Zeit an der Rostocker Universitaumlt in Diensten Dasselbe trifft auf Eugen Braun zu Eine wahrhaft gluumlckliche Rostock-Potsdam-Konnexion

Zu Ursula Gaumlrtner Sie war mir schon ein Begriff als sie sich in Leipzig habilitierte denn Ekkehard Staumlrk hatte 1999 in einem Potsdamer Promoti-onsverfahren gegutachtet (es ging um Plautus) und konnte wie er mir im Januar 2000 schrieb nicht an der Disputatio Anfang Februar teilneh-men weil er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation mit seinen Kraumlften haushalten musste und ihm in diesem Zeitraum die Habilitation von Frau Gaumlrtner mehr am Herzen lag Wir hatten da-fuumlr vollstes Verstaumlndnis Und so war es erfreulich zu sehen dass eben diese Ursula Gaumlrtner sich bald darauf um die Nachfolge auf dem Lehrstuhl in Potsdam bewarb und das auch noch mit Erfolg ndash Sie heute in Graz zu wissen ist ebenfalls begluuml-ckend Bitte nicht missverstehen Das hat nichts mit dem Wegsein von Potsdam als vielmehr mit

dem Dasein in Graz zu tun Auch hier wieder eine kuriose Fuumlgung Im Jahre 2010 waren Norbert Franz fuumlr die Slavistik und ich fuumlr die Klassische Philologie als Gutachter in Graz taumltig Es ging um die Evaluation der Literaturwissenschaften dort In dem Abschlussbericht konnten bzw mussten wir hervorheben dass die Grazer Klassische Phi-lologie nie zu einer vollen Entfaltung gelangt wenn nur die Griechischprofessur besetzt ist Bei aller Liebe fuumlr das Griechische Ohne Latein geht es nicht Ob sich die Universitaumlt jene Hinweise auf die Bedeutung der lateinischen Literatur fuumlr die uumlbrigen Literaturwissenschaften zu Herzen ge-nommen hat weiszlig ich nicht Aber das Ergebnis stimmt Jetzt hat die dortige Klassische Philologie mit der Besetzung der Latinistik wieder eine aus-sichtsreiche Zukunft Daher mein Zuruf Macte virtute esto

Der Zuruf gilt auch den Potsdamern Ich wuumlnsche dem Institut fuumlr Klassische Philologie und der Alt-philologie in Brandenburg insgesamt weiterhin groumlszligtmoumlgliche Wirksamkeit Und fuumlr heute ein schoumlnes Fest

Ihr Peter Riemer

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1 VorbemerkungEs ist merkwuumlrdig bei dem traditionellen Som-merfest der Klassischen Philologie als Vortra-gende aufzutreten nachdem ich selbst in all den Jahren unsere Gastvortragenden vorgestellt habe und letztes Jahr Frau Nicola Houmlmke die mich nun gerade vorgestellt hat Als wir zum ersten Mal das diesjaumlhrige Sommerfest ansprachen war auch gar nicht klar ob ich weg sein wuumlrde Nur dass alle bisherigen Professorinnen und Professoren sprechen sollten stand bald fest Dass ich dies nun als ehemalige Professorin tue erfuumlllt mich mit einem merkwuumlrdigen Gefuumlhl Der Titel mei-nes Vortrags war als Platzhalter gedacht er blieb dann aber weil er so passend war Der persoumln-liche Bezug ist offensichtlich Mir ging natuumlrlich sehr viel durch den Kopf nach uumlber einem Jahr-zehnt hier vor Ort wo ich so viele Studierende und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe Aber es war gewuumlnscht uumlber etwas zu sprechen das in Potsdam seinen Anfang nahm Ich habe hier begonnen mich intensiv mit Phaedrus zu beschaumlftigen mehrere Auf-saumltze sind hier entstanden dann der Kommentar zu Buch 1 und zuletzt bis in die letzten Stunden vor dem Umzug im Februar ein ausfuumlhrlicher For-schungsbericht In mehreren Seminaren konnte ich mit Studierenden meine Ideen zu Phaedrus diskutieren hier ist die Gelegenheit mich auch hierfuumlr einmal zu bedanken Das Gleiche gilt fuumlr das Altertumswissenschaftliche Kolloquium so-wie die Diskussionsrunden an unserem Jour fi xe Bei einem solchen Thema denkt man bisweilen es sei abgeschlossen doch dann tun sich immer

Uumlberlegungen aus gegebenem Anlass Ein Vortrag in vier Kapiteln und zwei Vorbemerkungen

Der Vortragsstil wurde beibehalten

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

75LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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Peter Riemer Ein Anfang mit BE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stunde

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Liebe Ursula liebe Nicola lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende liebe Gaumlste bevor ich Peter Riemers Vortrag zum heutigen Jubilauml-umsfest verlese erlauben Sie mir einige

persoumlnliche Bemerkungen Wie die meisten von Ihnen wissen vertritt Nicola Houmlmke seit dem fuumlr uns schmerzlichen (aber verstaumlndlichen) Wech-sel Ursula Gaumlrtners nach Graz den Lehrstuhl fuumlr Klassische Philologie an unserer Universitaumlt Die Art und Weise wie sie dies tut etwa bei dem von Frau Gaumlrtner begruumlndeten sbquojour fi xelsquo oder im Altertumswissenschaftlichen Kolloquium fi nde ich hervorragend ich bin ihr nicht nur deswegen sehr dankbar und wuumlnsche Ihr dass sie dies auch weiterhin so tun kannAls mir Nicola Houmlmke vor kurzem mitteilte dass Peter Riemer seinen Vortrag an unserem Jubilauml-umsfest leider nicht halten koumlnne er es aber gut faumlnde wenn ich in seinem Namen seine Rede vortruumlge hatte ich aus verschiedenen Gruumlnden zunaumlchst groszlige Bedenken Einer dieser Gruumlnde reicht bis in meine Kindheit zuruumlck Bei der Feier der Heiligen Messe konnte ich als Ministrant nicht selten nur zu deutlich erleben wie sich die sonst durchaus neugierig gespannte Aufmerksamkeit meiner kleinen nordsaarlaumlndischen Heimatge-meinde just in dem Augenblick in einen ndash eu-phemistisch ausgedruumlckt ndash auffaumlllig veraumlnderten Ruhezustand verwandelte in dem der Pfarrer ankuumlndigte er werde statt zu predigen einen Hirtenbrief des Trierer Landesbischofs verlesen Nachdem mir Peter Riemer dann mitteilte dass er in seinem Vortrag vor allem aus sehr persoumln-licher Sicht an die Anfaumlnge des Potsdamer Insti-tuts fuumlr Klassische Philologie erinnern wolle ha-ben sich meine Bedenken sofort zerstreut Seine Gedanken und Erinnerungen die ich Ihnen gleich vortrage zeugen wie ich schon beim ersten Le-

sen feststellen konnte noch vom selben anste-ckenden Enthusiasmus mit dem er bereits vor zwanzig Jahren die ersten Studierenden in Pots-dam fuumlr die Beschaumlftigung mit antiken Texten zu begeistern verstanden hat Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine weitere ganz kurze persoumlnliche digressio Ich lese gerade ein spannendes Buch des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa der darin die Frage nach dem gelingenden bzw guten Leben mit Hilfe des Kriteriums der Resonanzerfahrung zu beantworten versucht Seine diesbezuumlglichen Analysen der verschiede-nen Lebenssphaumlren der Familie der Arbeit der Religion der Kunst des Sports fuumlhren ihn zu der nicht ganz uumlberraschenden Diagnose dass es fuumlr die Menschen kapitalistischer vor allem von Entfremdung gepraumlgter Gesellschaften der Postmoderne immer schwieriger werde lebens-wichtige Resonanz-Erfahrungen zu machen bei denen es in unterschiedlichen Zusammenhaumlngen nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-nicht nur zu einer tiefen kognitiven und affekti-

Eingeleitet von Eugen Braun

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ven sondern auch leiblichen Beruumlhrung zwischen Subjekt und Welt komme (Wenn Ihnen dies jetzt zu unverstaumlndlich bzw philosophisch vor-kommt so haben Sie heute ab 21 Uhr wenn man Herrn Rosa glauben will die Moumlglichkeit ganz anschaulich auf dem Fernsehbildschirm ein zu-mindest bdquopraumlreflexives somatisch-soziales Reso-nanzgeschehenldquo mit zu verfolgen vorausgesetzt natuumlrlich Sie finden uumlberhaupt Gefallen daran 22 erwachsenen Menschen dabei zuzuschauen wie sie einem Ball hinterherlaufen und diesen in ein Tor zu befoumlrdern versuchen) Bei der Lektuumlre von Herrn Rosas Buch hat sich mir unwillkuumlrlich auch die Frage nach moumlglichen Resonanzerfah-rungen auf der Universitaumlt gestellt ich habe noch keine abschlieszligende Antwort gefunden Dass die Universitaumlt als Staumltte des Lernens und Lehrens primaumlr kein Ort zur Erfuumlllung lebensphilosophi-scher Sehnsuumlchte sein kann und darf sondern vor allem einen werturteilsfreien Fachunterricht zum Ziel haben muss der allenfalls zu einer bes-seren rationalen Abwaumlgung der verschiedenen Welt- und Lebensanschauungen beitragen kann wie sie auch in Texten der griechisch-roumlmischen Antike paradigmatisch erkennbar sind habe ich von Max Weber gelernt In seinem beruumlhmten Vortrag bdquoWissenschaft als Berufldquo hat Weber wie Sie wissen ebendies vor fast genau hundert Jahren den Studenten der Muumlnchener Universi-taumlt nachdruumlcklich verstaumlndlich zu machen ver-sucht In diesem Vortrag (Weber war uumlbrigens sbquoSchwipp-Schwagerlsquo von Wilamowitz) findet sich allerdings auch der bekannte Satz bdquoNichts ist fuumlr den Menschen als Menschen etwas wert was er nicht mit Leidenschaft tun kannldquo Wenn Studie-rende heute das Studium der Klassischen Philo-logie wie es scheint vor allem absolvieren und absolvieren muumlssen um sog Leistungspunkte zu erwerben entspricht dies einer allgemeinen Ent-wicklung der Universitaumlten die ich nicht weiter kommentieren will Dass Studierende sich dieser Entwicklung zum Trotz jedoch zum Gluumlck immer noch in Seminaren ja sogar Grammatikuumlbungen fuumlr den sbquoStofflsquo begeistern lassen habe ich selbst

noch heute Morgen erleben duumlrfen und in den letzten Jahren immer wieder vereinzelten Ruumlck-meldungen insbesondere zu Veranstaltungen Ursula Gaumlrtners entnehmen koumlnnen Aus der An-fangszeit unseres Instituts faumlllt mir in diesem Zu-sammenhang besonders Joumlrg Ruumlpkes Vorlesung uumlber Roumlmische Geschichtsschreibung ein deren Mitschnitt bzw Aufnahme Frau Geyer dann zu einem sehr begehrten Buch gemacht hat Wie spannend seine fachwissenschaftliche Beschrei-bung religioumlsen Handelns in der Antike (und der damit verbundenen vertikalen Resonanzachsen) sein kann haben Sie alle gerade selbst erleben koumlnnen (Ich persoumlnlich bin schon sehr gespannt auf sein neues Buch uumlber die Geschichte der an-tiken Religionen das am 19 September erscheint und fuumlr das ich an dieser Stelle schon einmal Reklame machen darf) Wie es Peter Riemer in seiner Potsdamer Zeit auf charismatische Weise verstanden hat das Interesse der Studierenden etwa fuumlr die Aeneis in lebendigen Diskussionen immer mehr zu vertiefen weiszlig ich von einzelnen Seminarteilnehmern und wie eindrucksvoll es ihm nicht nur damals gelungen ist sondern auch heute noch gelingt in den akademischen Lehr-betrieb auch Erfahrungen kuumlnstlerisch-performa-tiver Resonanz zu integrieren geht auch aus dem folgenden Vortrag hervor den ich nun verlesen darf (Dabei versuche ich den moumlglicherweise doch aufkommenden Gedanken dass Saarbruuml-cken wo Herr Riemer derzeit lehrt nicht weit von Trier entfernt liegt so gut es geht zu unter-druumlcken) Der Vortrag traumlgt den Titel sbquoEin Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stundersquo und beginnt mit den Worten

Liebe Frau Gaumlrtner liebe Frau Houmlmke lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende und sofern anwesend natuumlrlich auch zu begruuml-szligen der Dekan SpectabilisEs ist wirklich bedauerlich dass ich am heutigen Tag nicht selbst dabei sein kann das Institutsju-bilaumlum zu feiern Eine schon seit Monaten termi-nierte Berufungskommission mit Probevortraumlgen

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und der anschlieszligenden Entscheidungsfindung an eben dem 7 Juli 2016 laumlsst mich einfach nicht aus Saarbruumlcken fort Aber zumindest koumlnnen diese Zeilen hier verlesen werden Es muss wohl der 4 oder 5 Oktober 1995 gewesen sein als wir in Golm die kuumlnftigen Raumlume des Instituts fuumlr Klassische Philologie aufsuchten Eugen Braun und ich ndash wir waren verabredet und er moumlglicher-weise vor mir da Joumlrg Ruumlpke kam dann erst in der Woche darauf wenn ich mich recht entsinne ndash da hatten wir die Raumlume schon halbwegs einge-nommen freilich noch ohne neues Mobiliar Alles war muffig und ziemlich heruntergekommen Das hatte nichts mit den aktuellen Anglisten zu tun von denen wir die Raumlume erbten Vielmehr fanden sich in den Schreibtischen und Schraumln-ken Abschlussarbeiten und andere Unterlagen (Korrespondenzen und Berichte) aus der Zeit der Brandenburgischen Landeshochschule und zwar noch aus den Jahren vor der Wende Man hatte den Eindruck die Zimmer seien seit Gruumlndung der Universitaumlt 1991 nur nebenbei quasi behelfs-weise genutzt worden Sie konnten 11 so wie sie waren in ein DDR-Hochschul-Museum uumlberfuumlhrt werden Dietrich Schwanitz hatte offenbar diesel-ben Eindruumlcke gehabt und in seinem Roman bdquoDer Zirkelldquo absolut treffend wiedergegeben Schwa-nitz ist dem Ruf auf eine Potsdamer Anglistik-Professur bekanntlich nicht gefolgt (vielleicht deshalb) Nun gut Da standen wir also und mussten irgendwie anfangen Keine Beschriftung deutete darauf hin dass hier einmal das Institut fuumlr Klassische Philologie sein wuumlrde Wir brauch-ten dringend Material Computer Drucker Papier Nicht einmal Bleistifte waren vorhanden Fuumlr Bestellungen von Material und Geraumlten gab es Formblaumltter Die bekamen wir von Frau Schwarz der Verwaltungschefin der Fakultaumlt Wir fuumlllten die Formulare aus und mussten feststellen dass selbst dies nicht so einfach war wenn man noch gar nichts besaszlig Denn auf den Formularen wurde ein Stempel verlangt Man musste sogar wenn man einen Stempel bestellen wollte erst einmal selbst einen Stempel haben bdquoStempel und

Unterschriftldquo hieszlig es unten auf dem Blatt Kurios Wir zogen in die Romanistik und liehen uns von dort einen Stempel aus bdquoInstitut fuumlr Romanis-tikldquo Natuumlrlich strichen wir die Romanistik durch und schrieben in Druckbuchstaben sozusagen in lsquoStempelschriftrsquo bdquoKlassische Philologieldquo daruumlber und bestellten auf diese Weise erst einmal einen Stempel und dann das uumlbrige Material So ka-men wir an unsere ersten Bleistifte

Zu einem Universitaumltsinstitut gehoumlrt selbstver-staumlndlich eine gut bestuumlckte Bibliothek Da wir ja praktisch bei Null anfingen brauchten wir von allem alles Lexika und Handbuumlcher Primaumlrtexte und Sekundaumlrliteratur Weil auch andere Institu-te fuumlr ihre Buchbestaumlnde Geld benoumltigten aber schon vor uns da waren und ihre Anspruumlche laumlngst geltend gemacht hatten blieb fuumlr uns nur noch ein kleiner Rest aus dem Topf der Beschaf-fungsmittel Der Hinweis auf die gut ausgestatte-ten Bibliotheken in Berlin war uns nur ein schwa-cher Trost Schlieszliglich sollten so dachten wir die Studenten auch drauszligen in Golm Buumlcher vorfin-den die ihrem Studium dienten Wir skizzierten daher einen klassisch-philologischen Grundbe-stand und baten Frau Gaschuumltz die fuumlr unsere Bibliothek zustaumlndig war zu kaufen was der Markt eben hergab Aber auf dem Buumlchermarkt fanden sich freilich kaum aumlltere Werke bis zuruumlck ins 19 Jahrhundert Deshalb nahmen wir Kontakt mit den Instituten in Greifswald und Halle auf die sich gern von ihren Dubletten trennten um dafuumlr etwas Geld fuumlr Neuanschaffungen zu erhalten Joumlrg Ruumlpke wird sicher noch die Fahrt zu Martin Hose in Greifswald in Erinnerung haben (ich hoffe in guter) die wir so zuumlgig unternahmen (zugleich in Gespraumlche vertieft) dass uns irgendwo auf der Landstraszlige ein mecklenburg-vorpommersches Blitzgeraumlt erwischte Jedesmal wenn ich seitdem auf dem Weg an die Ostsee oder zuruumlck geblitzt werde (und das passiert leider immer wieder Mecklenburg-Vorpommern hat mehr Blitzgeraumlte als Einwohner) faumlllt mir die denkwuumlrdige Tour von damals wieder ein

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Somit bekamen wir nach und nach ndash wie gesagt fuumlr wenig Geld ndash einen systematischen Buchbe-stand in erstaunlicher Fuumllle zusammen Und da verschlug es mir den Atem als Frau Gaschuumltz aus dem Magazin der Potsdamer UB eine vollstaumlndi-ge Realenzyklopaumldie hervorzauberte Eine RE in Potsdam noch aus der Gruumlndungszeit der Paumld-agogischen Hochschule Wie war das moumlglich Die Klassische Philologie besaszlig als wir kamen noch keinen Bleistift hatte aber schon eine RE im Keller Des Raumltsels Loumlsung Wir waren nicht die ersten Ende der 40-er Jahre des 20 Jahrhun-derts sollte die Paumldagogische Hochschule auch Latein und Griechisch im Programm haben und kein geringerer als Werner Peeck (der letzte Wila-mowitz-Schuumller) war mit der Einrichtung betraut worden Auch er hatte damals mit Buumlcherkaumlufen begonnen Doch die Aufgabe der Lateinlehrer-ausbildung fuumlr die Oberschulen der DDR fiel dann den Hallensern zu Peeck ging folglich nach Halle sicherlich auch mit einigen Buumlchern im Gepaumlck Die RE lieszlig er aber in Potsdam zuruumlck Somit koumlnnten zieht man die Unterbrechung bis 1995 ab die Peeckschen Jahre hinzugerechnet werden und das heute zu feierende Jubilaumlum waumlre ein 25-JaumlhrigesIm Wintersemester 199596 hatten wir selbst-verstaumlndlich Lehrveranstaltungen angekuumlndigt Aber es kamen keine Studenten Wie denn auch Wir besaszligen ja nicht einmal eine Studienordnung Also setzten wir uns regelmaumlszligig zusammen Joumlrg Ruumlpke Eugen Braun und ich und bastelten an unseren Ordnungen fuumlr das Studium der Latei-nischen und der Griechischen Philologie Und es war nicht einfach die Ordnungen in der gebote-nen Eile durch die Gremien zu bringen vor allem die sogenannte LSK die Senatskommission fuumlr Studium und Lehre tat sich schwer damals gelei-tet von dem Mathematikdidaktiker Thomas Jahn-ke Ich erwaumlhne ihn namentlich weil er noch ein Schuumller des beruumlhmten Frankfurter Gymnasialleh-rers Eduard Bornemann war dem wir wunderba-re lateinische und griechische Grammatiken und Schulbuumlcher verdanken Herr Jahnke war unseren

Studiengaumlngen sehr zugetan an ihm lag es nicht dass sich manches verzoumlgerte Das der LSK ange-houmlrende Mitglied des Bildungsministeriums legte uns immer wieder Steine in den Weg Der Mann wollte unserem Konzept eines breit angelegten Lateinstudiums unter Einbeziehung sprachwis-senschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Ele-mente und definitiv gestuumltzt auf die klassischen Autoren nicht zustimmen und wollte uns glaub-haft machen dass das Latein des Mittelalters und das Neulateinische viel wichtiger seien fuumlr einen modernen Schulunterricht Nun gut Irgendwie hatten wir den Kampf dann doch gewonnen und das Ministerium beruhigen koumlnnen Wir erhielten postwendend den Auftrag uumlber hundert Latein-lehrer fuumlr das Land Brandenburg nachzuschulen Darin bestand dann tatsaumlchlich die groszlige Aufga-be der ersten Jahre des Instituts Jeden Freitag hatten wir unseren bdquoLehrertagldquo und ermoumlglich-ten (unterstuumltzt von der Weiterbildungs-GmbH in Babelsberg) einer groszligen Reihe von schon lange taumltigen Lehrerinnen und ndashlehrern das Erweite-rungsfach Latein zu erwerben vielleicht ist der eine oder die andere von damals heute hier ganz herzliche Gruumlszlige Es war eine wunderbare Zeit mit sehr schoumlnen Erfahrungen Aus einem Vergil-Proseminar uumlber die Aeneis im Winter 199798 ist die Idee hervorgegangen dass die Tragik der Didofigur nicht separat betrachtet werden koumlnne auch die Rolle des Aeneas habe tragische Zuumlge Die Tragik des Aeneas wenn man sie ernsthaft in den Blick nimmt geht auf Aischylos zuruumlck Die-sen Kerngedanken habe ich aus den Diskussionen mit den Lehrern mitgenommen Entsprechendes publiziert und zuletzt sogar im Rahmen eines Theaterprojekts auf die Buumlhne bringen koumlnnen

Joumlrg Ruumlpke und ich wurden ja glaube ich gebe-ten von Dingen zu berichten die wir aus Potsdam mitgenommen bzw die uns beeinflusst haben Dies waumlre eines das Aischyleische in der Aeneis Dann waumlre auf jeden Fall zu nennen eine von Joumlrg Ruumlpke Pedro Barcelo und mir zusammen mit John Scheid im Steiner-Verlag herausgegebene

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Reihe die noch im Namen ihren Ursprung verraumlt bdquodie Postdamer altertumswissenschaftlichen Bei-traumlgeldquo mittlerweile 55 Baumlnde umfassend

Was mir Potsdam mit auf den Weg gegeben hat ist zudem die Interdisziplinaritaumlt In Koumlln wo ich akademisch aufgewachsen bin konzentrierten sich die einzelnen Disziplinen sehr auf sich selbst (ich glaube das machen sie auch heute noch) Das mag an der Groumlszlige der Faumlcher oder auch an der Groumlszlige der dortigen Philosophischen Fakultaumlt liegen In Potsdam haben wir von Beginn an unter weitaus engeren Bedingungen die Naumlhe zu ande-ren Disziplinen und das Miteinander gesucht Ich denke gern an die gemeinsamen Lehrveranstal-tungen mit dem Anglisten Peter Drexler oder mit der Germanistin Margrid Bircken zuruumlck Aus der Zusammenarbeit mit diesen Nachbarphilologien ist denn auch der Studiengang bdquoVergleichende Literaturwissenschaftldquo hervorgegangen heute ndash nachdem die Kunstgeschichte die seinerzeit noch fehlte dazugekommen ist ndash bdquoVergleichende Lite-ratur- und Kunstwissenschaftldquo Aumlhnliches erlebe ich in Saarbruumlcken wo wir durch die Reduktion verschiedener Faumlcher auf einzelne Professuren geradezu gezwungen sind kooperativ zu for-schen und zu lehren Die Gemeinschaft der Alter-tumswissenschaften mit Alter Geschichte Klassi-scher Archaumlologie Vor- und Fruumlhgeschichte und der Klassischen Philologie in Bachelor- und Mas-terstudiengaumlngen ist ein Beispiel Kuumlnftig werden noch die bdquoEuropaumlischen Literaturenldquo mit alt- und neuphilologischen Angeboten an der Universitaumlt des Saarlandes dazukommen Dies kann durch-aus mit dem verglichen werden was wir damals in Potsdam schon kennengelernt haben Wenn ich bdquowirldquo sage beziehe ich immer Christoph Ku-gelmeier mit ein der mir im Sommer 2000 als Assistent ins Saarland folgte und heute als auszliger-planmaumlszligiger Professor zu einem unverzichtbaren Kollegen geworden istAls letzten Punkt in Sachen Mitnahme und Wei-terwirken moumlchte ich erwaumlhnen dass die Verbin-dung zwischen dem ortsansaumlssigen Theater und

der Klassischen Philologie hier in Potsdam fuumlr uns praumlgend war Das Hans-Otto-Theater war damals offen fuumlr vielfaumlltige Kooperationen mit uns Altphi-lologen Wir konnten eine Tagung zum bdquoChor im antiken und modernen Dramaldquo auf der Proben-buumlhne des Theaters durchfuumlhren keine rein wis-senschaftliche Konferenz sondern eine Mischung aus Theorie und Praxis Klassische Philologen Anglisten und Germanisten kamen zu Wort Da-neben aber berichtete ein Opernregisseur der die euripideischen Bakchen in Athen inszeniert hatte von seiner Arbeit der griechische Komponist der die Original-Chorpartien der Bakchen zum Klin-gen gebracht hatte erklaumlrte uns seine Prinzipien ein Berliner Regisseur sprach uumlber zwei Oumldipus-Inszenierungen in Afrika und Chemnitz usw die-se Erfahrung eines produktiven Bruumlckenschlags zwischen den Dramentexten und der Buumlhne praumlgt seitdem unsere Arbeit Wir sind heute wie-der eng verbunden mit der Buumlhnenpraxis diesmal mit dem Saarlaumlndischen Staatstheater dem wir wie seinerzeit in Potsdam hin und wieder fuumlr die Inszenierung antiker Stuumlcke beratend zur Seite stehen und richten Konferenzen aus auf denen Dramaturgen und Regisseure mit Literaturwis-senschaftlern ins Gespraumlch kommen

Vielleicht haben wir damit ein Stuumlck Potsdam an die Saar geholt Wir denken jedenfalls mit Weh-mut und Dankbarkeit an die Potsdamer Jahre zu-ruumlck Sie waren und sind nach wie vor wertvoll fuumlr uns Und ich empfinde es als ein besonderes Gluumlck dass das Potsdamer Institut eine so schouml-ne Entwicklung nach unserem Weggang genom-men hat Ein groszliges Kompliment an dieser Stelle an Ursula Gaumlrtner und und das gesamte Team Zu diesem Team gehoumlrt natuumlrlich Frau Geyer sie ist Herz und Seele des Instituts fuumlr Studierende und Mitarbeiter Da haben Joumlrg Ruumlpke und ich damals wohl eine unserer besten Entscheidungen getrof-fen gerade sie als Sekretaumlrin einzustellen Auch ihr ein herzlicher Gruszlig von der Saar an die Havel Und dies leitet uumlber zu geographisch-personalen Aspekten mit denen ich die Rede schlieszligen

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moumlchte Nicht nur hat Nicola Houmlmke die jetzt fuumlr einige Jahre die Geschicke der Klassischen Philo-logie am Neuen Palais mit bestimmt ihren Weg nach Potsdam uumlber Rostock genommen Auch Frau Geyer war vor ihrer Potsdamer Zeit an der Rostocker Universitaumlt in Diensten Dasselbe trifft auf Eugen Braun zu Eine wahrhaft gluumlckliche Rostock-Potsdam-Konnexion

Zu Ursula Gaumlrtner Sie war mir schon ein Begriff als sie sich in Leipzig habilitierte denn Ekkehard Staumlrk hatte 1999 in einem Potsdamer Promoti-onsverfahren gegutachtet (es ging um Plautus) und konnte wie er mir im Januar 2000 schrieb nicht an der Disputatio Anfang Februar teilneh-men weil er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation mit seinen Kraumlften haushalten musste und ihm in diesem Zeitraum die Habilitation von Frau Gaumlrtner mehr am Herzen lag Wir hatten da-fuumlr vollstes Verstaumlndnis Und so war es erfreulich zu sehen dass eben diese Ursula Gaumlrtner sich bald darauf um die Nachfolge auf dem Lehrstuhl in Potsdam bewarb und das auch noch mit Erfolg ndash Sie heute in Graz zu wissen ist ebenfalls begluuml-ckend Bitte nicht missverstehen Das hat nichts mit dem Wegsein von Potsdam als vielmehr mit

dem Dasein in Graz zu tun Auch hier wieder eine kuriose Fuumlgung Im Jahre 2010 waren Norbert Franz fuumlr die Slavistik und ich fuumlr die Klassische Philologie als Gutachter in Graz taumltig Es ging um die Evaluation der Literaturwissenschaften dort In dem Abschlussbericht konnten bzw mussten wir hervorheben dass die Grazer Klassische Phi-lologie nie zu einer vollen Entfaltung gelangt wenn nur die Griechischprofessur besetzt ist Bei aller Liebe fuumlr das Griechische Ohne Latein geht es nicht Ob sich die Universitaumlt jene Hinweise auf die Bedeutung der lateinischen Literatur fuumlr die uumlbrigen Literaturwissenschaften zu Herzen ge-nommen hat weiszlig ich nicht Aber das Ergebnis stimmt Jetzt hat die dortige Klassische Philologie mit der Besetzung der Latinistik wieder eine aus-sichtsreiche Zukunft Daher mein Zuruf Macte virtute esto

Der Zuruf gilt auch den Potsdamern Ich wuumlnsche dem Institut fuumlr Klassische Philologie und der Alt-philologie in Brandenburg insgesamt weiterhin groumlszligtmoumlgliche Wirksamkeit Und fuumlr heute ein schoumlnes Fest

Ihr Peter Riemer

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1 VorbemerkungEs ist merkwuumlrdig bei dem traditionellen Som-merfest der Klassischen Philologie als Vortra-gende aufzutreten nachdem ich selbst in all den Jahren unsere Gastvortragenden vorgestellt habe und letztes Jahr Frau Nicola Houmlmke die mich nun gerade vorgestellt hat Als wir zum ersten Mal das diesjaumlhrige Sommerfest ansprachen war auch gar nicht klar ob ich weg sein wuumlrde Nur dass alle bisherigen Professorinnen und Professoren sprechen sollten stand bald fest Dass ich dies nun als ehemalige Professorin tue erfuumlllt mich mit einem merkwuumlrdigen Gefuumlhl Der Titel mei-nes Vortrags war als Platzhalter gedacht er blieb dann aber weil er so passend war Der persoumln-liche Bezug ist offensichtlich Mir ging natuumlrlich sehr viel durch den Kopf nach uumlber einem Jahr-zehnt hier vor Ort wo ich so viele Studierende und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe Aber es war gewuumlnscht uumlber etwas zu sprechen das in Potsdam seinen Anfang nahm Ich habe hier begonnen mich intensiv mit Phaedrus zu beschaumlftigen mehrere Auf-saumltze sind hier entstanden dann der Kommentar zu Buch 1 und zuletzt bis in die letzten Stunden vor dem Umzug im Februar ein ausfuumlhrlicher For-schungsbericht In mehreren Seminaren konnte ich mit Studierenden meine Ideen zu Phaedrus diskutieren hier ist die Gelegenheit mich auch hierfuumlr einmal zu bedanken Das Gleiche gilt fuumlr das Altertumswissenschaftliche Kolloquium so-wie die Diskussionsrunden an unserem Jour fi xe Bei einem solchen Thema denkt man bisweilen es sei abgeschlossen doch dann tun sich immer

Uumlberlegungen aus gegebenem Anlass Ein Vortrag in vier Kapiteln und zwei Vorbemerkungen

Der Vortragsstil wurde beibehalten

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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Grex Potsdamiensis

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Page 13: UND ©Musée du Louvre, Paris GRIECHISCHmitteilungen.davbb.de/images/2016/heft-3/lgbb_03_2016.pdf · ©Musée du Louvre, Paris Säulen des Apollontempel in Side Verbandskonto: IBAN:

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ven sondern auch leiblichen Beruumlhrung zwischen Subjekt und Welt komme (Wenn Ihnen dies jetzt zu unverstaumlndlich bzw philosophisch vor-kommt so haben Sie heute ab 21 Uhr wenn man Herrn Rosa glauben will die Moumlglichkeit ganz anschaulich auf dem Fernsehbildschirm ein zu-mindest bdquopraumlreflexives somatisch-soziales Reso-nanzgeschehenldquo mit zu verfolgen vorausgesetzt natuumlrlich Sie finden uumlberhaupt Gefallen daran 22 erwachsenen Menschen dabei zuzuschauen wie sie einem Ball hinterherlaufen und diesen in ein Tor zu befoumlrdern versuchen) Bei der Lektuumlre von Herrn Rosas Buch hat sich mir unwillkuumlrlich auch die Frage nach moumlglichen Resonanzerfah-rungen auf der Universitaumlt gestellt ich habe noch keine abschlieszligende Antwort gefunden Dass die Universitaumlt als Staumltte des Lernens und Lehrens primaumlr kein Ort zur Erfuumlllung lebensphilosophi-scher Sehnsuumlchte sein kann und darf sondern vor allem einen werturteilsfreien Fachunterricht zum Ziel haben muss der allenfalls zu einer bes-seren rationalen Abwaumlgung der verschiedenen Welt- und Lebensanschauungen beitragen kann wie sie auch in Texten der griechisch-roumlmischen Antike paradigmatisch erkennbar sind habe ich von Max Weber gelernt In seinem beruumlhmten Vortrag bdquoWissenschaft als Berufldquo hat Weber wie Sie wissen ebendies vor fast genau hundert Jahren den Studenten der Muumlnchener Universi-taumlt nachdruumlcklich verstaumlndlich zu machen ver-sucht In diesem Vortrag (Weber war uumlbrigens sbquoSchwipp-Schwagerlsquo von Wilamowitz) findet sich allerdings auch der bekannte Satz bdquoNichts ist fuumlr den Menschen als Menschen etwas wert was er nicht mit Leidenschaft tun kannldquo Wenn Studie-rende heute das Studium der Klassischen Philo-logie wie es scheint vor allem absolvieren und absolvieren muumlssen um sog Leistungspunkte zu erwerben entspricht dies einer allgemeinen Ent-wicklung der Universitaumlten die ich nicht weiter kommentieren will Dass Studierende sich dieser Entwicklung zum Trotz jedoch zum Gluumlck immer noch in Seminaren ja sogar Grammatikuumlbungen fuumlr den sbquoStofflsquo begeistern lassen habe ich selbst

noch heute Morgen erleben duumlrfen und in den letzten Jahren immer wieder vereinzelten Ruumlck-meldungen insbesondere zu Veranstaltungen Ursula Gaumlrtners entnehmen koumlnnen Aus der An-fangszeit unseres Instituts faumlllt mir in diesem Zu-sammenhang besonders Joumlrg Ruumlpkes Vorlesung uumlber Roumlmische Geschichtsschreibung ein deren Mitschnitt bzw Aufnahme Frau Geyer dann zu einem sehr begehrten Buch gemacht hat Wie spannend seine fachwissenschaftliche Beschrei-bung religioumlsen Handelns in der Antike (und der damit verbundenen vertikalen Resonanzachsen) sein kann haben Sie alle gerade selbst erleben koumlnnen (Ich persoumlnlich bin schon sehr gespannt auf sein neues Buch uumlber die Geschichte der an-tiken Religionen das am 19 September erscheint und fuumlr das ich an dieser Stelle schon einmal Reklame machen darf) Wie es Peter Riemer in seiner Potsdamer Zeit auf charismatische Weise verstanden hat das Interesse der Studierenden etwa fuumlr die Aeneis in lebendigen Diskussionen immer mehr zu vertiefen weiszlig ich von einzelnen Seminarteilnehmern und wie eindrucksvoll es ihm nicht nur damals gelungen ist sondern auch heute noch gelingt in den akademischen Lehr-betrieb auch Erfahrungen kuumlnstlerisch-performa-tiver Resonanz zu integrieren geht auch aus dem folgenden Vortrag hervor den ich nun verlesen darf (Dabei versuche ich den moumlglicherweise doch aufkommenden Gedanken dass Saarbruuml-cken wo Herr Riemer derzeit lehrt nicht weit von Trier entfernt liegt so gut es geht zu unter-druumlcken) Der Vortrag traumlgt den Titel sbquoEin Anfang mit RE und ohne Bleistift Kuriositaumlten der ersten Stundersquo und beginnt mit den Worten

Liebe Frau Gaumlrtner liebe Frau Houmlmke lieber Joumlrg liebe Kolleginnen und Kollegen liebe Studierende und sofern anwesend natuumlrlich auch zu begruuml-szligen der Dekan SpectabilisEs ist wirklich bedauerlich dass ich am heutigen Tag nicht selbst dabei sein kann das Institutsju-bilaumlum zu feiern Eine schon seit Monaten termi-nierte Berufungskommission mit Probevortraumlgen

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und der anschlieszligenden Entscheidungsfindung an eben dem 7 Juli 2016 laumlsst mich einfach nicht aus Saarbruumlcken fort Aber zumindest koumlnnen diese Zeilen hier verlesen werden Es muss wohl der 4 oder 5 Oktober 1995 gewesen sein als wir in Golm die kuumlnftigen Raumlume des Instituts fuumlr Klassische Philologie aufsuchten Eugen Braun und ich ndash wir waren verabredet und er moumlglicher-weise vor mir da Joumlrg Ruumlpke kam dann erst in der Woche darauf wenn ich mich recht entsinne ndash da hatten wir die Raumlume schon halbwegs einge-nommen freilich noch ohne neues Mobiliar Alles war muffig und ziemlich heruntergekommen Das hatte nichts mit den aktuellen Anglisten zu tun von denen wir die Raumlume erbten Vielmehr fanden sich in den Schreibtischen und Schraumln-ken Abschlussarbeiten und andere Unterlagen (Korrespondenzen und Berichte) aus der Zeit der Brandenburgischen Landeshochschule und zwar noch aus den Jahren vor der Wende Man hatte den Eindruck die Zimmer seien seit Gruumlndung der Universitaumlt 1991 nur nebenbei quasi behelfs-weise genutzt worden Sie konnten 11 so wie sie waren in ein DDR-Hochschul-Museum uumlberfuumlhrt werden Dietrich Schwanitz hatte offenbar diesel-ben Eindruumlcke gehabt und in seinem Roman bdquoDer Zirkelldquo absolut treffend wiedergegeben Schwa-nitz ist dem Ruf auf eine Potsdamer Anglistik-Professur bekanntlich nicht gefolgt (vielleicht deshalb) Nun gut Da standen wir also und mussten irgendwie anfangen Keine Beschriftung deutete darauf hin dass hier einmal das Institut fuumlr Klassische Philologie sein wuumlrde Wir brauch-ten dringend Material Computer Drucker Papier Nicht einmal Bleistifte waren vorhanden Fuumlr Bestellungen von Material und Geraumlten gab es Formblaumltter Die bekamen wir von Frau Schwarz der Verwaltungschefin der Fakultaumlt Wir fuumlllten die Formulare aus und mussten feststellen dass selbst dies nicht so einfach war wenn man noch gar nichts besaszlig Denn auf den Formularen wurde ein Stempel verlangt Man musste sogar wenn man einen Stempel bestellen wollte erst einmal selbst einen Stempel haben bdquoStempel und

Unterschriftldquo hieszlig es unten auf dem Blatt Kurios Wir zogen in die Romanistik und liehen uns von dort einen Stempel aus bdquoInstitut fuumlr Romanis-tikldquo Natuumlrlich strichen wir die Romanistik durch und schrieben in Druckbuchstaben sozusagen in lsquoStempelschriftrsquo bdquoKlassische Philologieldquo daruumlber und bestellten auf diese Weise erst einmal einen Stempel und dann das uumlbrige Material So ka-men wir an unsere ersten Bleistifte

Zu einem Universitaumltsinstitut gehoumlrt selbstver-staumlndlich eine gut bestuumlckte Bibliothek Da wir ja praktisch bei Null anfingen brauchten wir von allem alles Lexika und Handbuumlcher Primaumlrtexte und Sekundaumlrliteratur Weil auch andere Institu-te fuumlr ihre Buchbestaumlnde Geld benoumltigten aber schon vor uns da waren und ihre Anspruumlche laumlngst geltend gemacht hatten blieb fuumlr uns nur noch ein kleiner Rest aus dem Topf der Beschaf-fungsmittel Der Hinweis auf die gut ausgestatte-ten Bibliotheken in Berlin war uns nur ein schwa-cher Trost Schlieszliglich sollten so dachten wir die Studenten auch drauszligen in Golm Buumlcher vorfin-den die ihrem Studium dienten Wir skizzierten daher einen klassisch-philologischen Grundbe-stand und baten Frau Gaschuumltz die fuumlr unsere Bibliothek zustaumlndig war zu kaufen was der Markt eben hergab Aber auf dem Buumlchermarkt fanden sich freilich kaum aumlltere Werke bis zuruumlck ins 19 Jahrhundert Deshalb nahmen wir Kontakt mit den Instituten in Greifswald und Halle auf die sich gern von ihren Dubletten trennten um dafuumlr etwas Geld fuumlr Neuanschaffungen zu erhalten Joumlrg Ruumlpke wird sicher noch die Fahrt zu Martin Hose in Greifswald in Erinnerung haben (ich hoffe in guter) die wir so zuumlgig unternahmen (zugleich in Gespraumlche vertieft) dass uns irgendwo auf der Landstraszlige ein mecklenburg-vorpommersches Blitzgeraumlt erwischte Jedesmal wenn ich seitdem auf dem Weg an die Ostsee oder zuruumlck geblitzt werde (und das passiert leider immer wieder Mecklenburg-Vorpommern hat mehr Blitzgeraumlte als Einwohner) faumlllt mir die denkwuumlrdige Tour von damals wieder ein

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Somit bekamen wir nach und nach ndash wie gesagt fuumlr wenig Geld ndash einen systematischen Buchbe-stand in erstaunlicher Fuumllle zusammen Und da verschlug es mir den Atem als Frau Gaschuumltz aus dem Magazin der Potsdamer UB eine vollstaumlndi-ge Realenzyklopaumldie hervorzauberte Eine RE in Potsdam noch aus der Gruumlndungszeit der Paumld-agogischen Hochschule Wie war das moumlglich Die Klassische Philologie besaszlig als wir kamen noch keinen Bleistift hatte aber schon eine RE im Keller Des Raumltsels Loumlsung Wir waren nicht die ersten Ende der 40-er Jahre des 20 Jahrhun-derts sollte die Paumldagogische Hochschule auch Latein und Griechisch im Programm haben und kein geringerer als Werner Peeck (der letzte Wila-mowitz-Schuumller) war mit der Einrichtung betraut worden Auch er hatte damals mit Buumlcherkaumlufen begonnen Doch die Aufgabe der Lateinlehrer-ausbildung fuumlr die Oberschulen der DDR fiel dann den Hallensern zu Peeck ging folglich nach Halle sicherlich auch mit einigen Buumlchern im Gepaumlck Die RE lieszlig er aber in Potsdam zuruumlck Somit koumlnnten zieht man die Unterbrechung bis 1995 ab die Peeckschen Jahre hinzugerechnet werden und das heute zu feierende Jubilaumlum waumlre ein 25-JaumlhrigesIm Wintersemester 199596 hatten wir selbst-verstaumlndlich Lehrveranstaltungen angekuumlndigt Aber es kamen keine Studenten Wie denn auch Wir besaszligen ja nicht einmal eine Studienordnung Also setzten wir uns regelmaumlszligig zusammen Joumlrg Ruumlpke Eugen Braun und ich und bastelten an unseren Ordnungen fuumlr das Studium der Latei-nischen und der Griechischen Philologie Und es war nicht einfach die Ordnungen in der gebote-nen Eile durch die Gremien zu bringen vor allem die sogenannte LSK die Senatskommission fuumlr Studium und Lehre tat sich schwer damals gelei-tet von dem Mathematikdidaktiker Thomas Jahn-ke Ich erwaumlhne ihn namentlich weil er noch ein Schuumller des beruumlhmten Frankfurter Gymnasialleh-rers Eduard Bornemann war dem wir wunderba-re lateinische und griechische Grammatiken und Schulbuumlcher verdanken Herr Jahnke war unseren

Studiengaumlngen sehr zugetan an ihm lag es nicht dass sich manches verzoumlgerte Das der LSK ange-houmlrende Mitglied des Bildungsministeriums legte uns immer wieder Steine in den Weg Der Mann wollte unserem Konzept eines breit angelegten Lateinstudiums unter Einbeziehung sprachwis-senschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Ele-mente und definitiv gestuumltzt auf die klassischen Autoren nicht zustimmen und wollte uns glaub-haft machen dass das Latein des Mittelalters und das Neulateinische viel wichtiger seien fuumlr einen modernen Schulunterricht Nun gut Irgendwie hatten wir den Kampf dann doch gewonnen und das Ministerium beruhigen koumlnnen Wir erhielten postwendend den Auftrag uumlber hundert Latein-lehrer fuumlr das Land Brandenburg nachzuschulen Darin bestand dann tatsaumlchlich die groszlige Aufga-be der ersten Jahre des Instituts Jeden Freitag hatten wir unseren bdquoLehrertagldquo und ermoumlglich-ten (unterstuumltzt von der Weiterbildungs-GmbH in Babelsberg) einer groszligen Reihe von schon lange taumltigen Lehrerinnen und ndashlehrern das Erweite-rungsfach Latein zu erwerben vielleicht ist der eine oder die andere von damals heute hier ganz herzliche Gruumlszlige Es war eine wunderbare Zeit mit sehr schoumlnen Erfahrungen Aus einem Vergil-Proseminar uumlber die Aeneis im Winter 199798 ist die Idee hervorgegangen dass die Tragik der Didofigur nicht separat betrachtet werden koumlnne auch die Rolle des Aeneas habe tragische Zuumlge Die Tragik des Aeneas wenn man sie ernsthaft in den Blick nimmt geht auf Aischylos zuruumlck Die-sen Kerngedanken habe ich aus den Diskussionen mit den Lehrern mitgenommen Entsprechendes publiziert und zuletzt sogar im Rahmen eines Theaterprojekts auf die Buumlhne bringen koumlnnen

Joumlrg Ruumlpke und ich wurden ja glaube ich gebe-ten von Dingen zu berichten die wir aus Potsdam mitgenommen bzw die uns beeinflusst haben Dies waumlre eines das Aischyleische in der Aeneis Dann waumlre auf jeden Fall zu nennen eine von Joumlrg Ruumlpke Pedro Barcelo und mir zusammen mit John Scheid im Steiner-Verlag herausgegebene

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Reihe die noch im Namen ihren Ursprung verraumlt bdquodie Postdamer altertumswissenschaftlichen Bei-traumlgeldquo mittlerweile 55 Baumlnde umfassend

Was mir Potsdam mit auf den Weg gegeben hat ist zudem die Interdisziplinaritaumlt In Koumlln wo ich akademisch aufgewachsen bin konzentrierten sich die einzelnen Disziplinen sehr auf sich selbst (ich glaube das machen sie auch heute noch) Das mag an der Groumlszlige der Faumlcher oder auch an der Groumlszlige der dortigen Philosophischen Fakultaumlt liegen In Potsdam haben wir von Beginn an unter weitaus engeren Bedingungen die Naumlhe zu ande-ren Disziplinen und das Miteinander gesucht Ich denke gern an die gemeinsamen Lehrveranstal-tungen mit dem Anglisten Peter Drexler oder mit der Germanistin Margrid Bircken zuruumlck Aus der Zusammenarbeit mit diesen Nachbarphilologien ist denn auch der Studiengang bdquoVergleichende Literaturwissenschaftldquo hervorgegangen heute ndash nachdem die Kunstgeschichte die seinerzeit noch fehlte dazugekommen ist ndash bdquoVergleichende Lite-ratur- und Kunstwissenschaftldquo Aumlhnliches erlebe ich in Saarbruumlcken wo wir durch die Reduktion verschiedener Faumlcher auf einzelne Professuren geradezu gezwungen sind kooperativ zu for-schen und zu lehren Die Gemeinschaft der Alter-tumswissenschaften mit Alter Geschichte Klassi-scher Archaumlologie Vor- und Fruumlhgeschichte und der Klassischen Philologie in Bachelor- und Mas-terstudiengaumlngen ist ein Beispiel Kuumlnftig werden noch die bdquoEuropaumlischen Literaturenldquo mit alt- und neuphilologischen Angeboten an der Universitaumlt des Saarlandes dazukommen Dies kann durch-aus mit dem verglichen werden was wir damals in Potsdam schon kennengelernt haben Wenn ich bdquowirldquo sage beziehe ich immer Christoph Ku-gelmeier mit ein der mir im Sommer 2000 als Assistent ins Saarland folgte und heute als auszliger-planmaumlszligiger Professor zu einem unverzichtbaren Kollegen geworden istAls letzten Punkt in Sachen Mitnahme und Wei-terwirken moumlchte ich erwaumlhnen dass die Verbin-dung zwischen dem ortsansaumlssigen Theater und

der Klassischen Philologie hier in Potsdam fuumlr uns praumlgend war Das Hans-Otto-Theater war damals offen fuumlr vielfaumlltige Kooperationen mit uns Altphi-lologen Wir konnten eine Tagung zum bdquoChor im antiken und modernen Dramaldquo auf der Proben-buumlhne des Theaters durchfuumlhren keine rein wis-senschaftliche Konferenz sondern eine Mischung aus Theorie und Praxis Klassische Philologen Anglisten und Germanisten kamen zu Wort Da-neben aber berichtete ein Opernregisseur der die euripideischen Bakchen in Athen inszeniert hatte von seiner Arbeit der griechische Komponist der die Original-Chorpartien der Bakchen zum Klin-gen gebracht hatte erklaumlrte uns seine Prinzipien ein Berliner Regisseur sprach uumlber zwei Oumldipus-Inszenierungen in Afrika und Chemnitz usw die-se Erfahrung eines produktiven Bruumlckenschlags zwischen den Dramentexten und der Buumlhne praumlgt seitdem unsere Arbeit Wir sind heute wie-der eng verbunden mit der Buumlhnenpraxis diesmal mit dem Saarlaumlndischen Staatstheater dem wir wie seinerzeit in Potsdam hin und wieder fuumlr die Inszenierung antiker Stuumlcke beratend zur Seite stehen und richten Konferenzen aus auf denen Dramaturgen und Regisseure mit Literaturwis-senschaftlern ins Gespraumlch kommen

Vielleicht haben wir damit ein Stuumlck Potsdam an die Saar geholt Wir denken jedenfalls mit Weh-mut und Dankbarkeit an die Potsdamer Jahre zu-ruumlck Sie waren und sind nach wie vor wertvoll fuumlr uns Und ich empfinde es als ein besonderes Gluumlck dass das Potsdamer Institut eine so schouml-ne Entwicklung nach unserem Weggang genom-men hat Ein groszliges Kompliment an dieser Stelle an Ursula Gaumlrtner und und das gesamte Team Zu diesem Team gehoumlrt natuumlrlich Frau Geyer sie ist Herz und Seele des Instituts fuumlr Studierende und Mitarbeiter Da haben Joumlrg Ruumlpke und ich damals wohl eine unserer besten Entscheidungen getrof-fen gerade sie als Sekretaumlrin einzustellen Auch ihr ein herzlicher Gruszlig von der Saar an die Havel Und dies leitet uumlber zu geographisch-personalen Aspekten mit denen ich die Rede schlieszligen

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moumlchte Nicht nur hat Nicola Houmlmke die jetzt fuumlr einige Jahre die Geschicke der Klassischen Philo-logie am Neuen Palais mit bestimmt ihren Weg nach Potsdam uumlber Rostock genommen Auch Frau Geyer war vor ihrer Potsdamer Zeit an der Rostocker Universitaumlt in Diensten Dasselbe trifft auf Eugen Braun zu Eine wahrhaft gluumlckliche Rostock-Potsdam-Konnexion

Zu Ursula Gaumlrtner Sie war mir schon ein Begriff als sie sich in Leipzig habilitierte denn Ekkehard Staumlrk hatte 1999 in einem Potsdamer Promoti-onsverfahren gegutachtet (es ging um Plautus) und konnte wie er mir im Januar 2000 schrieb nicht an der Disputatio Anfang Februar teilneh-men weil er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation mit seinen Kraumlften haushalten musste und ihm in diesem Zeitraum die Habilitation von Frau Gaumlrtner mehr am Herzen lag Wir hatten da-fuumlr vollstes Verstaumlndnis Und so war es erfreulich zu sehen dass eben diese Ursula Gaumlrtner sich bald darauf um die Nachfolge auf dem Lehrstuhl in Potsdam bewarb und das auch noch mit Erfolg ndash Sie heute in Graz zu wissen ist ebenfalls begluuml-ckend Bitte nicht missverstehen Das hat nichts mit dem Wegsein von Potsdam als vielmehr mit

dem Dasein in Graz zu tun Auch hier wieder eine kuriose Fuumlgung Im Jahre 2010 waren Norbert Franz fuumlr die Slavistik und ich fuumlr die Klassische Philologie als Gutachter in Graz taumltig Es ging um die Evaluation der Literaturwissenschaften dort In dem Abschlussbericht konnten bzw mussten wir hervorheben dass die Grazer Klassische Phi-lologie nie zu einer vollen Entfaltung gelangt wenn nur die Griechischprofessur besetzt ist Bei aller Liebe fuumlr das Griechische Ohne Latein geht es nicht Ob sich die Universitaumlt jene Hinweise auf die Bedeutung der lateinischen Literatur fuumlr die uumlbrigen Literaturwissenschaften zu Herzen ge-nommen hat weiszlig ich nicht Aber das Ergebnis stimmt Jetzt hat die dortige Klassische Philologie mit der Besetzung der Latinistik wieder eine aus-sichtsreiche Zukunft Daher mein Zuruf Macte virtute esto

Der Zuruf gilt auch den Potsdamern Ich wuumlnsche dem Institut fuumlr Klassische Philologie und der Alt-philologie in Brandenburg insgesamt weiterhin groumlszligtmoumlgliche Wirksamkeit Und fuumlr heute ein schoumlnes Fest

Ihr Peter Riemer

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1 VorbemerkungEs ist merkwuumlrdig bei dem traditionellen Som-merfest der Klassischen Philologie als Vortra-gende aufzutreten nachdem ich selbst in all den Jahren unsere Gastvortragenden vorgestellt habe und letztes Jahr Frau Nicola Houmlmke die mich nun gerade vorgestellt hat Als wir zum ersten Mal das diesjaumlhrige Sommerfest ansprachen war auch gar nicht klar ob ich weg sein wuumlrde Nur dass alle bisherigen Professorinnen und Professoren sprechen sollten stand bald fest Dass ich dies nun als ehemalige Professorin tue erfuumlllt mich mit einem merkwuumlrdigen Gefuumlhl Der Titel mei-nes Vortrags war als Platzhalter gedacht er blieb dann aber weil er so passend war Der persoumln-liche Bezug ist offensichtlich Mir ging natuumlrlich sehr viel durch den Kopf nach uumlber einem Jahr-zehnt hier vor Ort wo ich so viele Studierende und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe Aber es war gewuumlnscht uumlber etwas zu sprechen das in Potsdam seinen Anfang nahm Ich habe hier begonnen mich intensiv mit Phaedrus zu beschaumlftigen mehrere Auf-saumltze sind hier entstanden dann der Kommentar zu Buch 1 und zuletzt bis in die letzten Stunden vor dem Umzug im Februar ein ausfuumlhrlicher For-schungsbericht In mehreren Seminaren konnte ich mit Studierenden meine Ideen zu Phaedrus diskutieren hier ist die Gelegenheit mich auch hierfuumlr einmal zu bedanken Das Gleiche gilt fuumlr das Altertumswissenschaftliche Kolloquium so-wie die Diskussionsrunden an unserem Jour fi xe Bei einem solchen Thema denkt man bisweilen es sei abgeschlossen doch dann tun sich immer

Uumlberlegungen aus gegebenem Anlass Ein Vortrag in vier Kapiteln und zwei Vorbemerkungen

Der Vortragsstil wurde beibehalten

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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Page 14: UND ©Musée du Louvre, Paris GRIECHISCHmitteilungen.davbb.de/images/2016/heft-3/lgbb_03_2016.pdf · ©Musée du Louvre, Paris Säulen des Apollontempel in Side Verbandskonto: IBAN:

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und der anschlieszligenden Entscheidungsfindung an eben dem 7 Juli 2016 laumlsst mich einfach nicht aus Saarbruumlcken fort Aber zumindest koumlnnen diese Zeilen hier verlesen werden Es muss wohl der 4 oder 5 Oktober 1995 gewesen sein als wir in Golm die kuumlnftigen Raumlume des Instituts fuumlr Klassische Philologie aufsuchten Eugen Braun und ich ndash wir waren verabredet und er moumlglicher-weise vor mir da Joumlrg Ruumlpke kam dann erst in der Woche darauf wenn ich mich recht entsinne ndash da hatten wir die Raumlume schon halbwegs einge-nommen freilich noch ohne neues Mobiliar Alles war muffig und ziemlich heruntergekommen Das hatte nichts mit den aktuellen Anglisten zu tun von denen wir die Raumlume erbten Vielmehr fanden sich in den Schreibtischen und Schraumln-ken Abschlussarbeiten und andere Unterlagen (Korrespondenzen und Berichte) aus der Zeit der Brandenburgischen Landeshochschule und zwar noch aus den Jahren vor der Wende Man hatte den Eindruck die Zimmer seien seit Gruumlndung der Universitaumlt 1991 nur nebenbei quasi behelfs-weise genutzt worden Sie konnten 11 so wie sie waren in ein DDR-Hochschul-Museum uumlberfuumlhrt werden Dietrich Schwanitz hatte offenbar diesel-ben Eindruumlcke gehabt und in seinem Roman bdquoDer Zirkelldquo absolut treffend wiedergegeben Schwa-nitz ist dem Ruf auf eine Potsdamer Anglistik-Professur bekanntlich nicht gefolgt (vielleicht deshalb) Nun gut Da standen wir also und mussten irgendwie anfangen Keine Beschriftung deutete darauf hin dass hier einmal das Institut fuumlr Klassische Philologie sein wuumlrde Wir brauch-ten dringend Material Computer Drucker Papier Nicht einmal Bleistifte waren vorhanden Fuumlr Bestellungen von Material und Geraumlten gab es Formblaumltter Die bekamen wir von Frau Schwarz der Verwaltungschefin der Fakultaumlt Wir fuumlllten die Formulare aus und mussten feststellen dass selbst dies nicht so einfach war wenn man noch gar nichts besaszlig Denn auf den Formularen wurde ein Stempel verlangt Man musste sogar wenn man einen Stempel bestellen wollte erst einmal selbst einen Stempel haben bdquoStempel und

Unterschriftldquo hieszlig es unten auf dem Blatt Kurios Wir zogen in die Romanistik und liehen uns von dort einen Stempel aus bdquoInstitut fuumlr Romanis-tikldquo Natuumlrlich strichen wir die Romanistik durch und schrieben in Druckbuchstaben sozusagen in lsquoStempelschriftrsquo bdquoKlassische Philologieldquo daruumlber und bestellten auf diese Weise erst einmal einen Stempel und dann das uumlbrige Material So ka-men wir an unsere ersten Bleistifte

Zu einem Universitaumltsinstitut gehoumlrt selbstver-staumlndlich eine gut bestuumlckte Bibliothek Da wir ja praktisch bei Null anfingen brauchten wir von allem alles Lexika und Handbuumlcher Primaumlrtexte und Sekundaumlrliteratur Weil auch andere Institu-te fuumlr ihre Buchbestaumlnde Geld benoumltigten aber schon vor uns da waren und ihre Anspruumlche laumlngst geltend gemacht hatten blieb fuumlr uns nur noch ein kleiner Rest aus dem Topf der Beschaf-fungsmittel Der Hinweis auf die gut ausgestatte-ten Bibliotheken in Berlin war uns nur ein schwa-cher Trost Schlieszliglich sollten so dachten wir die Studenten auch drauszligen in Golm Buumlcher vorfin-den die ihrem Studium dienten Wir skizzierten daher einen klassisch-philologischen Grundbe-stand und baten Frau Gaschuumltz die fuumlr unsere Bibliothek zustaumlndig war zu kaufen was der Markt eben hergab Aber auf dem Buumlchermarkt fanden sich freilich kaum aumlltere Werke bis zuruumlck ins 19 Jahrhundert Deshalb nahmen wir Kontakt mit den Instituten in Greifswald und Halle auf die sich gern von ihren Dubletten trennten um dafuumlr etwas Geld fuumlr Neuanschaffungen zu erhalten Joumlrg Ruumlpke wird sicher noch die Fahrt zu Martin Hose in Greifswald in Erinnerung haben (ich hoffe in guter) die wir so zuumlgig unternahmen (zugleich in Gespraumlche vertieft) dass uns irgendwo auf der Landstraszlige ein mecklenburg-vorpommersches Blitzgeraumlt erwischte Jedesmal wenn ich seitdem auf dem Weg an die Ostsee oder zuruumlck geblitzt werde (und das passiert leider immer wieder Mecklenburg-Vorpommern hat mehr Blitzgeraumlte als Einwohner) faumlllt mir die denkwuumlrdige Tour von damals wieder ein

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Somit bekamen wir nach und nach ndash wie gesagt fuumlr wenig Geld ndash einen systematischen Buchbe-stand in erstaunlicher Fuumllle zusammen Und da verschlug es mir den Atem als Frau Gaschuumltz aus dem Magazin der Potsdamer UB eine vollstaumlndi-ge Realenzyklopaumldie hervorzauberte Eine RE in Potsdam noch aus der Gruumlndungszeit der Paumld-agogischen Hochschule Wie war das moumlglich Die Klassische Philologie besaszlig als wir kamen noch keinen Bleistift hatte aber schon eine RE im Keller Des Raumltsels Loumlsung Wir waren nicht die ersten Ende der 40-er Jahre des 20 Jahrhun-derts sollte die Paumldagogische Hochschule auch Latein und Griechisch im Programm haben und kein geringerer als Werner Peeck (der letzte Wila-mowitz-Schuumller) war mit der Einrichtung betraut worden Auch er hatte damals mit Buumlcherkaumlufen begonnen Doch die Aufgabe der Lateinlehrer-ausbildung fuumlr die Oberschulen der DDR fiel dann den Hallensern zu Peeck ging folglich nach Halle sicherlich auch mit einigen Buumlchern im Gepaumlck Die RE lieszlig er aber in Potsdam zuruumlck Somit koumlnnten zieht man die Unterbrechung bis 1995 ab die Peeckschen Jahre hinzugerechnet werden und das heute zu feierende Jubilaumlum waumlre ein 25-JaumlhrigesIm Wintersemester 199596 hatten wir selbst-verstaumlndlich Lehrveranstaltungen angekuumlndigt Aber es kamen keine Studenten Wie denn auch Wir besaszligen ja nicht einmal eine Studienordnung Also setzten wir uns regelmaumlszligig zusammen Joumlrg Ruumlpke Eugen Braun und ich und bastelten an unseren Ordnungen fuumlr das Studium der Latei-nischen und der Griechischen Philologie Und es war nicht einfach die Ordnungen in der gebote-nen Eile durch die Gremien zu bringen vor allem die sogenannte LSK die Senatskommission fuumlr Studium und Lehre tat sich schwer damals gelei-tet von dem Mathematikdidaktiker Thomas Jahn-ke Ich erwaumlhne ihn namentlich weil er noch ein Schuumller des beruumlhmten Frankfurter Gymnasialleh-rers Eduard Bornemann war dem wir wunderba-re lateinische und griechische Grammatiken und Schulbuumlcher verdanken Herr Jahnke war unseren

Studiengaumlngen sehr zugetan an ihm lag es nicht dass sich manches verzoumlgerte Das der LSK ange-houmlrende Mitglied des Bildungsministeriums legte uns immer wieder Steine in den Weg Der Mann wollte unserem Konzept eines breit angelegten Lateinstudiums unter Einbeziehung sprachwis-senschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Ele-mente und definitiv gestuumltzt auf die klassischen Autoren nicht zustimmen und wollte uns glaub-haft machen dass das Latein des Mittelalters und das Neulateinische viel wichtiger seien fuumlr einen modernen Schulunterricht Nun gut Irgendwie hatten wir den Kampf dann doch gewonnen und das Ministerium beruhigen koumlnnen Wir erhielten postwendend den Auftrag uumlber hundert Latein-lehrer fuumlr das Land Brandenburg nachzuschulen Darin bestand dann tatsaumlchlich die groszlige Aufga-be der ersten Jahre des Instituts Jeden Freitag hatten wir unseren bdquoLehrertagldquo und ermoumlglich-ten (unterstuumltzt von der Weiterbildungs-GmbH in Babelsberg) einer groszligen Reihe von schon lange taumltigen Lehrerinnen und ndashlehrern das Erweite-rungsfach Latein zu erwerben vielleicht ist der eine oder die andere von damals heute hier ganz herzliche Gruumlszlige Es war eine wunderbare Zeit mit sehr schoumlnen Erfahrungen Aus einem Vergil-Proseminar uumlber die Aeneis im Winter 199798 ist die Idee hervorgegangen dass die Tragik der Didofigur nicht separat betrachtet werden koumlnne auch die Rolle des Aeneas habe tragische Zuumlge Die Tragik des Aeneas wenn man sie ernsthaft in den Blick nimmt geht auf Aischylos zuruumlck Die-sen Kerngedanken habe ich aus den Diskussionen mit den Lehrern mitgenommen Entsprechendes publiziert und zuletzt sogar im Rahmen eines Theaterprojekts auf die Buumlhne bringen koumlnnen

Joumlrg Ruumlpke und ich wurden ja glaube ich gebe-ten von Dingen zu berichten die wir aus Potsdam mitgenommen bzw die uns beeinflusst haben Dies waumlre eines das Aischyleische in der Aeneis Dann waumlre auf jeden Fall zu nennen eine von Joumlrg Ruumlpke Pedro Barcelo und mir zusammen mit John Scheid im Steiner-Verlag herausgegebene

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Reihe die noch im Namen ihren Ursprung verraumlt bdquodie Postdamer altertumswissenschaftlichen Bei-traumlgeldquo mittlerweile 55 Baumlnde umfassend

Was mir Potsdam mit auf den Weg gegeben hat ist zudem die Interdisziplinaritaumlt In Koumlln wo ich akademisch aufgewachsen bin konzentrierten sich die einzelnen Disziplinen sehr auf sich selbst (ich glaube das machen sie auch heute noch) Das mag an der Groumlszlige der Faumlcher oder auch an der Groumlszlige der dortigen Philosophischen Fakultaumlt liegen In Potsdam haben wir von Beginn an unter weitaus engeren Bedingungen die Naumlhe zu ande-ren Disziplinen und das Miteinander gesucht Ich denke gern an die gemeinsamen Lehrveranstal-tungen mit dem Anglisten Peter Drexler oder mit der Germanistin Margrid Bircken zuruumlck Aus der Zusammenarbeit mit diesen Nachbarphilologien ist denn auch der Studiengang bdquoVergleichende Literaturwissenschaftldquo hervorgegangen heute ndash nachdem die Kunstgeschichte die seinerzeit noch fehlte dazugekommen ist ndash bdquoVergleichende Lite-ratur- und Kunstwissenschaftldquo Aumlhnliches erlebe ich in Saarbruumlcken wo wir durch die Reduktion verschiedener Faumlcher auf einzelne Professuren geradezu gezwungen sind kooperativ zu for-schen und zu lehren Die Gemeinschaft der Alter-tumswissenschaften mit Alter Geschichte Klassi-scher Archaumlologie Vor- und Fruumlhgeschichte und der Klassischen Philologie in Bachelor- und Mas-terstudiengaumlngen ist ein Beispiel Kuumlnftig werden noch die bdquoEuropaumlischen Literaturenldquo mit alt- und neuphilologischen Angeboten an der Universitaumlt des Saarlandes dazukommen Dies kann durch-aus mit dem verglichen werden was wir damals in Potsdam schon kennengelernt haben Wenn ich bdquowirldquo sage beziehe ich immer Christoph Ku-gelmeier mit ein der mir im Sommer 2000 als Assistent ins Saarland folgte und heute als auszliger-planmaumlszligiger Professor zu einem unverzichtbaren Kollegen geworden istAls letzten Punkt in Sachen Mitnahme und Wei-terwirken moumlchte ich erwaumlhnen dass die Verbin-dung zwischen dem ortsansaumlssigen Theater und

der Klassischen Philologie hier in Potsdam fuumlr uns praumlgend war Das Hans-Otto-Theater war damals offen fuumlr vielfaumlltige Kooperationen mit uns Altphi-lologen Wir konnten eine Tagung zum bdquoChor im antiken und modernen Dramaldquo auf der Proben-buumlhne des Theaters durchfuumlhren keine rein wis-senschaftliche Konferenz sondern eine Mischung aus Theorie und Praxis Klassische Philologen Anglisten und Germanisten kamen zu Wort Da-neben aber berichtete ein Opernregisseur der die euripideischen Bakchen in Athen inszeniert hatte von seiner Arbeit der griechische Komponist der die Original-Chorpartien der Bakchen zum Klin-gen gebracht hatte erklaumlrte uns seine Prinzipien ein Berliner Regisseur sprach uumlber zwei Oumldipus-Inszenierungen in Afrika und Chemnitz usw die-se Erfahrung eines produktiven Bruumlckenschlags zwischen den Dramentexten und der Buumlhne praumlgt seitdem unsere Arbeit Wir sind heute wie-der eng verbunden mit der Buumlhnenpraxis diesmal mit dem Saarlaumlndischen Staatstheater dem wir wie seinerzeit in Potsdam hin und wieder fuumlr die Inszenierung antiker Stuumlcke beratend zur Seite stehen und richten Konferenzen aus auf denen Dramaturgen und Regisseure mit Literaturwis-senschaftlern ins Gespraumlch kommen

Vielleicht haben wir damit ein Stuumlck Potsdam an die Saar geholt Wir denken jedenfalls mit Weh-mut und Dankbarkeit an die Potsdamer Jahre zu-ruumlck Sie waren und sind nach wie vor wertvoll fuumlr uns Und ich empfinde es als ein besonderes Gluumlck dass das Potsdamer Institut eine so schouml-ne Entwicklung nach unserem Weggang genom-men hat Ein groszliges Kompliment an dieser Stelle an Ursula Gaumlrtner und und das gesamte Team Zu diesem Team gehoumlrt natuumlrlich Frau Geyer sie ist Herz und Seele des Instituts fuumlr Studierende und Mitarbeiter Da haben Joumlrg Ruumlpke und ich damals wohl eine unserer besten Entscheidungen getrof-fen gerade sie als Sekretaumlrin einzustellen Auch ihr ein herzlicher Gruszlig von der Saar an die Havel Und dies leitet uumlber zu geographisch-personalen Aspekten mit denen ich die Rede schlieszligen

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moumlchte Nicht nur hat Nicola Houmlmke die jetzt fuumlr einige Jahre die Geschicke der Klassischen Philo-logie am Neuen Palais mit bestimmt ihren Weg nach Potsdam uumlber Rostock genommen Auch Frau Geyer war vor ihrer Potsdamer Zeit an der Rostocker Universitaumlt in Diensten Dasselbe trifft auf Eugen Braun zu Eine wahrhaft gluumlckliche Rostock-Potsdam-Konnexion

Zu Ursula Gaumlrtner Sie war mir schon ein Begriff als sie sich in Leipzig habilitierte denn Ekkehard Staumlrk hatte 1999 in einem Potsdamer Promoti-onsverfahren gegutachtet (es ging um Plautus) und konnte wie er mir im Januar 2000 schrieb nicht an der Disputatio Anfang Februar teilneh-men weil er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation mit seinen Kraumlften haushalten musste und ihm in diesem Zeitraum die Habilitation von Frau Gaumlrtner mehr am Herzen lag Wir hatten da-fuumlr vollstes Verstaumlndnis Und so war es erfreulich zu sehen dass eben diese Ursula Gaumlrtner sich bald darauf um die Nachfolge auf dem Lehrstuhl in Potsdam bewarb und das auch noch mit Erfolg ndash Sie heute in Graz zu wissen ist ebenfalls begluuml-ckend Bitte nicht missverstehen Das hat nichts mit dem Wegsein von Potsdam als vielmehr mit

dem Dasein in Graz zu tun Auch hier wieder eine kuriose Fuumlgung Im Jahre 2010 waren Norbert Franz fuumlr die Slavistik und ich fuumlr die Klassische Philologie als Gutachter in Graz taumltig Es ging um die Evaluation der Literaturwissenschaften dort In dem Abschlussbericht konnten bzw mussten wir hervorheben dass die Grazer Klassische Phi-lologie nie zu einer vollen Entfaltung gelangt wenn nur die Griechischprofessur besetzt ist Bei aller Liebe fuumlr das Griechische Ohne Latein geht es nicht Ob sich die Universitaumlt jene Hinweise auf die Bedeutung der lateinischen Literatur fuumlr die uumlbrigen Literaturwissenschaften zu Herzen ge-nommen hat weiszlig ich nicht Aber das Ergebnis stimmt Jetzt hat die dortige Klassische Philologie mit der Besetzung der Latinistik wieder eine aus-sichtsreiche Zukunft Daher mein Zuruf Macte virtute esto

Der Zuruf gilt auch den Potsdamern Ich wuumlnsche dem Institut fuumlr Klassische Philologie und der Alt-philologie in Brandenburg insgesamt weiterhin groumlszligtmoumlgliche Wirksamkeit Und fuumlr heute ein schoumlnes Fest

Ihr Peter Riemer

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1 VorbemerkungEs ist merkwuumlrdig bei dem traditionellen Som-merfest der Klassischen Philologie als Vortra-gende aufzutreten nachdem ich selbst in all den Jahren unsere Gastvortragenden vorgestellt habe und letztes Jahr Frau Nicola Houmlmke die mich nun gerade vorgestellt hat Als wir zum ersten Mal das diesjaumlhrige Sommerfest ansprachen war auch gar nicht klar ob ich weg sein wuumlrde Nur dass alle bisherigen Professorinnen und Professoren sprechen sollten stand bald fest Dass ich dies nun als ehemalige Professorin tue erfuumlllt mich mit einem merkwuumlrdigen Gefuumlhl Der Titel mei-nes Vortrags war als Platzhalter gedacht er blieb dann aber weil er so passend war Der persoumln-liche Bezug ist offensichtlich Mir ging natuumlrlich sehr viel durch den Kopf nach uumlber einem Jahr-zehnt hier vor Ort wo ich so viele Studierende und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe Aber es war gewuumlnscht uumlber etwas zu sprechen das in Potsdam seinen Anfang nahm Ich habe hier begonnen mich intensiv mit Phaedrus zu beschaumlftigen mehrere Auf-saumltze sind hier entstanden dann der Kommentar zu Buch 1 und zuletzt bis in die letzten Stunden vor dem Umzug im Februar ein ausfuumlhrlicher For-schungsbericht In mehreren Seminaren konnte ich mit Studierenden meine Ideen zu Phaedrus diskutieren hier ist die Gelegenheit mich auch hierfuumlr einmal zu bedanken Das Gleiche gilt fuumlr das Altertumswissenschaftliche Kolloquium so-wie die Diskussionsrunden an unserem Jour fi xe Bei einem solchen Thema denkt man bisweilen es sei abgeschlossen doch dann tun sich immer

Uumlberlegungen aus gegebenem Anlass Ein Vortrag in vier Kapiteln und zwei Vorbemerkungen

Der Vortragsstil wurde beibehalten

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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Somit bekamen wir nach und nach ndash wie gesagt fuumlr wenig Geld ndash einen systematischen Buchbe-stand in erstaunlicher Fuumllle zusammen Und da verschlug es mir den Atem als Frau Gaschuumltz aus dem Magazin der Potsdamer UB eine vollstaumlndi-ge Realenzyklopaumldie hervorzauberte Eine RE in Potsdam noch aus der Gruumlndungszeit der Paumld-agogischen Hochschule Wie war das moumlglich Die Klassische Philologie besaszlig als wir kamen noch keinen Bleistift hatte aber schon eine RE im Keller Des Raumltsels Loumlsung Wir waren nicht die ersten Ende der 40-er Jahre des 20 Jahrhun-derts sollte die Paumldagogische Hochschule auch Latein und Griechisch im Programm haben und kein geringerer als Werner Peeck (der letzte Wila-mowitz-Schuumller) war mit der Einrichtung betraut worden Auch er hatte damals mit Buumlcherkaumlufen begonnen Doch die Aufgabe der Lateinlehrer-ausbildung fuumlr die Oberschulen der DDR fiel dann den Hallensern zu Peeck ging folglich nach Halle sicherlich auch mit einigen Buumlchern im Gepaumlck Die RE lieszlig er aber in Potsdam zuruumlck Somit koumlnnten zieht man die Unterbrechung bis 1995 ab die Peeckschen Jahre hinzugerechnet werden und das heute zu feierende Jubilaumlum waumlre ein 25-JaumlhrigesIm Wintersemester 199596 hatten wir selbst-verstaumlndlich Lehrveranstaltungen angekuumlndigt Aber es kamen keine Studenten Wie denn auch Wir besaszligen ja nicht einmal eine Studienordnung Also setzten wir uns regelmaumlszligig zusammen Joumlrg Ruumlpke Eugen Braun und ich und bastelten an unseren Ordnungen fuumlr das Studium der Latei-nischen und der Griechischen Philologie Und es war nicht einfach die Ordnungen in der gebote-nen Eile durch die Gremien zu bringen vor allem die sogenannte LSK die Senatskommission fuumlr Studium und Lehre tat sich schwer damals gelei-tet von dem Mathematikdidaktiker Thomas Jahn-ke Ich erwaumlhne ihn namentlich weil er noch ein Schuumller des beruumlhmten Frankfurter Gymnasialleh-rers Eduard Bornemann war dem wir wunderba-re lateinische und griechische Grammatiken und Schulbuumlcher verdanken Herr Jahnke war unseren

Studiengaumlngen sehr zugetan an ihm lag es nicht dass sich manches verzoumlgerte Das der LSK ange-houmlrende Mitglied des Bildungsministeriums legte uns immer wieder Steine in den Weg Der Mann wollte unserem Konzept eines breit angelegten Lateinstudiums unter Einbeziehung sprachwis-senschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Ele-mente und definitiv gestuumltzt auf die klassischen Autoren nicht zustimmen und wollte uns glaub-haft machen dass das Latein des Mittelalters und das Neulateinische viel wichtiger seien fuumlr einen modernen Schulunterricht Nun gut Irgendwie hatten wir den Kampf dann doch gewonnen und das Ministerium beruhigen koumlnnen Wir erhielten postwendend den Auftrag uumlber hundert Latein-lehrer fuumlr das Land Brandenburg nachzuschulen Darin bestand dann tatsaumlchlich die groszlige Aufga-be der ersten Jahre des Instituts Jeden Freitag hatten wir unseren bdquoLehrertagldquo und ermoumlglich-ten (unterstuumltzt von der Weiterbildungs-GmbH in Babelsberg) einer groszligen Reihe von schon lange taumltigen Lehrerinnen und ndashlehrern das Erweite-rungsfach Latein zu erwerben vielleicht ist der eine oder die andere von damals heute hier ganz herzliche Gruumlszlige Es war eine wunderbare Zeit mit sehr schoumlnen Erfahrungen Aus einem Vergil-Proseminar uumlber die Aeneis im Winter 199798 ist die Idee hervorgegangen dass die Tragik der Didofigur nicht separat betrachtet werden koumlnne auch die Rolle des Aeneas habe tragische Zuumlge Die Tragik des Aeneas wenn man sie ernsthaft in den Blick nimmt geht auf Aischylos zuruumlck Die-sen Kerngedanken habe ich aus den Diskussionen mit den Lehrern mitgenommen Entsprechendes publiziert und zuletzt sogar im Rahmen eines Theaterprojekts auf die Buumlhne bringen koumlnnen

Joumlrg Ruumlpke und ich wurden ja glaube ich gebe-ten von Dingen zu berichten die wir aus Potsdam mitgenommen bzw die uns beeinflusst haben Dies waumlre eines das Aischyleische in der Aeneis Dann waumlre auf jeden Fall zu nennen eine von Joumlrg Ruumlpke Pedro Barcelo und mir zusammen mit John Scheid im Steiner-Verlag herausgegebene

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Reihe die noch im Namen ihren Ursprung verraumlt bdquodie Postdamer altertumswissenschaftlichen Bei-traumlgeldquo mittlerweile 55 Baumlnde umfassend

Was mir Potsdam mit auf den Weg gegeben hat ist zudem die Interdisziplinaritaumlt In Koumlln wo ich akademisch aufgewachsen bin konzentrierten sich die einzelnen Disziplinen sehr auf sich selbst (ich glaube das machen sie auch heute noch) Das mag an der Groumlszlige der Faumlcher oder auch an der Groumlszlige der dortigen Philosophischen Fakultaumlt liegen In Potsdam haben wir von Beginn an unter weitaus engeren Bedingungen die Naumlhe zu ande-ren Disziplinen und das Miteinander gesucht Ich denke gern an die gemeinsamen Lehrveranstal-tungen mit dem Anglisten Peter Drexler oder mit der Germanistin Margrid Bircken zuruumlck Aus der Zusammenarbeit mit diesen Nachbarphilologien ist denn auch der Studiengang bdquoVergleichende Literaturwissenschaftldquo hervorgegangen heute ndash nachdem die Kunstgeschichte die seinerzeit noch fehlte dazugekommen ist ndash bdquoVergleichende Lite-ratur- und Kunstwissenschaftldquo Aumlhnliches erlebe ich in Saarbruumlcken wo wir durch die Reduktion verschiedener Faumlcher auf einzelne Professuren geradezu gezwungen sind kooperativ zu for-schen und zu lehren Die Gemeinschaft der Alter-tumswissenschaften mit Alter Geschichte Klassi-scher Archaumlologie Vor- und Fruumlhgeschichte und der Klassischen Philologie in Bachelor- und Mas-terstudiengaumlngen ist ein Beispiel Kuumlnftig werden noch die bdquoEuropaumlischen Literaturenldquo mit alt- und neuphilologischen Angeboten an der Universitaumlt des Saarlandes dazukommen Dies kann durch-aus mit dem verglichen werden was wir damals in Potsdam schon kennengelernt haben Wenn ich bdquowirldquo sage beziehe ich immer Christoph Ku-gelmeier mit ein der mir im Sommer 2000 als Assistent ins Saarland folgte und heute als auszliger-planmaumlszligiger Professor zu einem unverzichtbaren Kollegen geworden istAls letzten Punkt in Sachen Mitnahme und Wei-terwirken moumlchte ich erwaumlhnen dass die Verbin-dung zwischen dem ortsansaumlssigen Theater und

der Klassischen Philologie hier in Potsdam fuumlr uns praumlgend war Das Hans-Otto-Theater war damals offen fuumlr vielfaumlltige Kooperationen mit uns Altphi-lologen Wir konnten eine Tagung zum bdquoChor im antiken und modernen Dramaldquo auf der Proben-buumlhne des Theaters durchfuumlhren keine rein wis-senschaftliche Konferenz sondern eine Mischung aus Theorie und Praxis Klassische Philologen Anglisten und Germanisten kamen zu Wort Da-neben aber berichtete ein Opernregisseur der die euripideischen Bakchen in Athen inszeniert hatte von seiner Arbeit der griechische Komponist der die Original-Chorpartien der Bakchen zum Klin-gen gebracht hatte erklaumlrte uns seine Prinzipien ein Berliner Regisseur sprach uumlber zwei Oumldipus-Inszenierungen in Afrika und Chemnitz usw die-se Erfahrung eines produktiven Bruumlckenschlags zwischen den Dramentexten und der Buumlhne praumlgt seitdem unsere Arbeit Wir sind heute wie-der eng verbunden mit der Buumlhnenpraxis diesmal mit dem Saarlaumlndischen Staatstheater dem wir wie seinerzeit in Potsdam hin und wieder fuumlr die Inszenierung antiker Stuumlcke beratend zur Seite stehen und richten Konferenzen aus auf denen Dramaturgen und Regisseure mit Literaturwis-senschaftlern ins Gespraumlch kommen

Vielleicht haben wir damit ein Stuumlck Potsdam an die Saar geholt Wir denken jedenfalls mit Weh-mut und Dankbarkeit an die Potsdamer Jahre zu-ruumlck Sie waren und sind nach wie vor wertvoll fuumlr uns Und ich empfinde es als ein besonderes Gluumlck dass das Potsdamer Institut eine so schouml-ne Entwicklung nach unserem Weggang genom-men hat Ein groszliges Kompliment an dieser Stelle an Ursula Gaumlrtner und und das gesamte Team Zu diesem Team gehoumlrt natuumlrlich Frau Geyer sie ist Herz und Seele des Instituts fuumlr Studierende und Mitarbeiter Da haben Joumlrg Ruumlpke und ich damals wohl eine unserer besten Entscheidungen getrof-fen gerade sie als Sekretaumlrin einzustellen Auch ihr ein herzlicher Gruszlig von der Saar an die Havel Und dies leitet uumlber zu geographisch-personalen Aspekten mit denen ich die Rede schlieszligen

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moumlchte Nicht nur hat Nicola Houmlmke die jetzt fuumlr einige Jahre die Geschicke der Klassischen Philo-logie am Neuen Palais mit bestimmt ihren Weg nach Potsdam uumlber Rostock genommen Auch Frau Geyer war vor ihrer Potsdamer Zeit an der Rostocker Universitaumlt in Diensten Dasselbe trifft auf Eugen Braun zu Eine wahrhaft gluumlckliche Rostock-Potsdam-Konnexion

Zu Ursula Gaumlrtner Sie war mir schon ein Begriff als sie sich in Leipzig habilitierte denn Ekkehard Staumlrk hatte 1999 in einem Potsdamer Promoti-onsverfahren gegutachtet (es ging um Plautus) und konnte wie er mir im Januar 2000 schrieb nicht an der Disputatio Anfang Februar teilneh-men weil er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation mit seinen Kraumlften haushalten musste und ihm in diesem Zeitraum die Habilitation von Frau Gaumlrtner mehr am Herzen lag Wir hatten da-fuumlr vollstes Verstaumlndnis Und so war es erfreulich zu sehen dass eben diese Ursula Gaumlrtner sich bald darauf um die Nachfolge auf dem Lehrstuhl in Potsdam bewarb und das auch noch mit Erfolg ndash Sie heute in Graz zu wissen ist ebenfalls begluuml-ckend Bitte nicht missverstehen Das hat nichts mit dem Wegsein von Potsdam als vielmehr mit

dem Dasein in Graz zu tun Auch hier wieder eine kuriose Fuumlgung Im Jahre 2010 waren Norbert Franz fuumlr die Slavistik und ich fuumlr die Klassische Philologie als Gutachter in Graz taumltig Es ging um die Evaluation der Literaturwissenschaften dort In dem Abschlussbericht konnten bzw mussten wir hervorheben dass die Grazer Klassische Phi-lologie nie zu einer vollen Entfaltung gelangt wenn nur die Griechischprofessur besetzt ist Bei aller Liebe fuumlr das Griechische Ohne Latein geht es nicht Ob sich die Universitaumlt jene Hinweise auf die Bedeutung der lateinischen Literatur fuumlr die uumlbrigen Literaturwissenschaften zu Herzen ge-nommen hat weiszlig ich nicht Aber das Ergebnis stimmt Jetzt hat die dortige Klassische Philologie mit der Besetzung der Latinistik wieder eine aus-sichtsreiche Zukunft Daher mein Zuruf Macte virtute esto

Der Zuruf gilt auch den Potsdamern Ich wuumlnsche dem Institut fuumlr Klassische Philologie und der Alt-philologie in Brandenburg insgesamt weiterhin groumlszligtmoumlgliche Wirksamkeit Und fuumlr heute ein schoumlnes Fest

Ihr Peter Riemer

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1 VorbemerkungEs ist merkwuumlrdig bei dem traditionellen Som-merfest der Klassischen Philologie als Vortra-gende aufzutreten nachdem ich selbst in all den Jahren unsere Gastvortragenden vorgestellt habe und letztes Jahr Frau Nicola Houmlmke die mich nun gerade vorgestellt hat Als wir zum ersten Mal das diesjaumlhrige Sommerfest ansprachen war auch gar nicht klar ob ich weg sein wuumlrde Nur dass alle bisherigen Professorinnen und Professoren sprechen sollten stand bald fest Dass ich dies nun als ehemalige Professorin tue erfuumlllt mich mit einem merkwuumlrdigen Gefuumlhl Der Titel mei-nes Vortrags war als Platzhalter gedacht er blieb dann aber weil er so passend war Der persoumln-liche Bezug ist offensichtlich Mir ging natuumlrlich sehr viel durch den Kopf nach uumlber einem Jahr-zehnt hier vor Ort wo ich so viele Studierende und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe Aber es war gewuumlnscht uumlber etwas zu sprechen das in Potsdam seinen Anfang nahm Ich habe hier begonnen mich intensiv mit Phaedrus zu beschaumlftigen mehrere Auf-saumltze sind hier entstanden dann der Kommentar zu Buch 1 und zuletzt bis in die letzten Stunden vor dem Umzug im Februar ein ausfuumlhrlicher For-schungsbericht In mehreren Seminaren konnte ich mit Studierenden meine Ideen zu Phaedrus diskutieren hier ist die Gelegenheit mich auch hierfuumlr einmal zu bedanken Das Gleiche gilt fuumlr das Altertumswissenschaftliche Kolloquium so-wie die Diskussionsrunden an unserem Jour fi xe Bei einem solchen Thema denkt man bisweilen es sei abgeschlossen doch dann tun sich immer

Uumlberlegungen aus gegebenem Anlass Ein Vortrag in vier Kapiteln und zwei Vorbemerkungen

Der Vortragsstil wurde beibehalten

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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Reihe die noch im Namen ihren Ursprung verraumlt bdquodie Postdamer altertumswissenschaftlichen Bei-traumlgeldquo mittlerweile 55 Baumlnde umfassend

Was mir Potsdam mit auf den Weg gegeben hat ist zudem die Interdisziplinaritaumlt In Koumlln wo ich akademisch aufgewachsen bin konzentrierten sich die einzelnen Disziplinen sehr auf sich selbst (ich glaube das machen sie auch heute noch) Das mag an der Groumlszlige der Faumlcher oder auch an der Groumlszlige der dortigen Philosophischen Fakultaumlt liegen In Potsdam haben wir von Beginn an unter weitaus engeren Bedingungen die Naumlhe zu ande-ren Disziplinen und das Miteinander gesucht Ich denke gern an die gemeinsamen Lehrveranstal-tungen mit dem Anglisten Peter Drexler oder mit der Germanistin Margrid Bircken zuruumlck Aus der Zusammenarbeit mit diesen Nachbarphilologien ist denn auch der Studiengang bdquoVergleichende Literaturwissenschaftldquo hervorgegangen heute ndash nachdem die Kunstgeschichte die seinerzeit noch fehlte dazugekommen ist ndash bdquoVergleichende Lite-ratur- und Kunstwissenschaftldquo Aumlhnliches erlebe ich in Saarbruumlcken wo wir durch die Reduktion verschiedener Faumlcher auf einzelne Professuren geradezu gezwungen sind kooperativ zu for-schen und zu lehren Die Gemeinschaft der Alter-tumswissenschaften mit Alter Geschichte Klassi-scher Archaumlologie Vor- und Fruumlhgeschichte und der Klassischen Philologie in Bachelor- und Mas-terstudiengaumlngen ist ein Beispiel Kuumlnftig werden noch die bdquoEuropaumlischen Literaturenldquo mit alt- und neuphilologischen Angeboten an der Universitaumlt des Saarlandes dazukommen Dies kann durch-aus mit dem verglichen werden was wir damals in Potsdam schon kennengelernt haben Wenn ich bdquowirldquo sage beziehe ich immer Christoph Ku-gelmeier mit ein der mir im Sommer 2000 als Assistent ins Saarland folgte und heute als auszliger-planmaumlszligiger Professor zu einem unverzichtbaren Kollegen geworden istAls letzten Punkt in Sachen Mitnahme und Wei-terwirken moumlchte ich erwaumlhnen dass die Verbin-dung zwischen dem ortsansaumlssigen Theater und

der Klassischen Philologie hier in Potsdam fuumlr uns praumlgend war Das Hans-Otto-Theater war damals offen fuumlr vielfaumlltige Kooperationen mit uns Altphi-lologen Wir konnten eine Tagung zum bdquoChor im antiken und modernen Dramaldquo auf der Proben-buumlhne des Theaters durchfuumlhren keine rein wis-senschaftliche Konferenz sondern eine Mischung aus Theorie und Praxis Klassische Philologen Anglisten und Germanisten kamen zu Wort Da-neben aber berichtete ein Opernregisseur der die euripideischen Bakchen in Athen inszeniert hatte von seiner Arbeit der griechische Komponist der die Original-Chorpartien der Bakchen zum Klin-gen gebracht hatte erklaumlrte uns seine Prinzipien ein Berliner Regisseur sprach uumlber zwei Oumldipus-Inszenierungen in Afrika und Chemnitz usw die-se Erfahrung eines produktiven Bruumlckenschlags zwischen den Dramentexten und der Buumlhne praumlgt seitdem unsere Arbeit Wir sind heute wie-der eng verbunden mit der Buumlhnenpraxis diesmal mit dem Saarlaumlndischen Staatstheater dem wir wie seinerzeit in Potsdam hin und wieder fuumlr die Inszenierung antiker Stuumlcke beratend zur Seite stehen und richten Konferenzen aus auf denen Dramaturgen und Regisseure mit Literaturwis-senschaftlern ins Gespraumlch kommen

Vielleicht haben wir damit ein Stuumlck Potsdam an die Saar geholt Wir denken jedenfalls mit Weh-mut und Dankbarkeit an die Potsdamer Jahre zu-ruumlck Sie waren und sind nach wie vor wertvoll fuumlr uns Und ich empfinde es als ein besonderes Gluumlck dass das Potsdamer Institut eine so schouml-ne Entwicklung nach unserem Weggang genom-men hat Ein groszliges Kompliment an dieser Stelle an Ursula Gaumlrtner und und das gesamte Team Zu diesem Team gehoumlrt natuumlrlich Frau Geyer sie ist Herz und Seele des Instituts fuumlr Studierende und Mitarbeiter Da haben Joumlrg Ruumlpke und ich damals wohl eine unserer besten Entscheidungen getrof-fen gerade sie als Sekretaumlrin einzustellen Auch ihr ein herzlicher Gruszlig von der Saar an die Havel Und dies leitet uumlber zu geographisch-personalen Aspekten mit denen ich die Rede schlieszligen

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moumlchte Nicht nur hat Nicola Houmlmke die jetzt fuumlr einige Jahre die Geschicke der Klassischen Philo-logie am Neuen Palais mit bestimmt ihren Weg nach Potsdam uumlber Rostock genommen Auch Frau Geyer war vor ihrer Potsdamer Zeit an der Rostocker Universitaumlt in Diensten Dasselbe trifft auf Eugen Braun zu Eine wahrhaft gluumlckliche Rostock-Potsdam-Konnexion

Zu Ursula Gaumlrtner Sie war mir schon ein Begriff als sie sich in Leipzig habilitierte denn Ekkehard Staumlrk hatte 1999 in einem Potsdamer Promoti-onsverfahren gegutachtet (es ging um Plautus) und konnte wie er mir im Januar 2000 schrieb nicht an der Disputatio Anfang Februar teilneh-men weil er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation mit seinen Kraumlften haushalten musste und ihm in diesem Zeitraum die Habilitation von Frau Gaumlrtner mehr am Herzen lag Wir hatten da-fuumlr vollstes Verstaumlndnis Und so war es erfreulich zu sehen dass eben diese Ursula Gaumlrtner sich bald darauf um die Nachfolge auf dem Lehrstuhl in Potsdam bewarb und das auch noch mit Erfolg ndash Sie heute in Graz zu wissen ist ebenfalls begluuml-ckend Bitte nicht missverstehen Das hat nichts mit dem Wegsein von Potsdam als vielmehr mit

dem Dasein in Graz zu tun Auch hier wieder eine kuriose Fuumlgung Im Jahre 2010 waren Norbert Franz fuumlr die Slavistik und ich fuumlr die Klassische Philologie als Gutachter in Graz taumltig Es ging um die Evaluation der Literaturwissenschaften dort In dem Abschlussbericht konnten bzw mussten wir hervorheben dass die Grazer Klassische Phi-lologie nie zu einer vollen Entfaltung gelangt wenn nur die Griechischprofessur besetzt ist Bei aller Liebe fuumlr das Griechische Ohne Latein geht es nicht Ob sich die Universitaumlt jene Hinweise auf die Bedeutung der lateinischen Literatur fuumlr die uumlbrigen Literaturwissenschaften zu Herzen ge-nommen hat weiszlig ich nicht Aber das Ergebnis stimmt Jetzt hat die dortige Klassische Philologie mit der Besetzung der Latinistik wieder eine aus-sichtsreiche Zukunft Daher mein Zuruf Macte virtute esto

Der Zuruf gilt auch den Potsdamern Ich wuumlnsche dem Institut fuumlr Klassische Philologie und der Alt-philologie in Brandenburg insgesamt weiterhin groumlszligtmoumlgliche Wirksamkeit Und fuumlr heute ein schoumlnes Fest

Ihr Peter Riemer

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1 VorbemerkungEs ist merkwuumlrdig bei dem traditionellen Som-merfest der Klassischen Philologie als Vortra-gende aufzutreten nachdem ich selbst in all den Jahren unsere Gastvortragenden vorgestellt habe und letztes Jahr Frau Nicola Houmlmke die mich nun gerade vorgestellt hat Als wir zum ersten Mal das diesjaumlhrige Sommerfest ansprachen war auch gar nicht klar ob ich weg sein wuumlrde Nur dass alle bisherigen Professorinnen und Professoren sprechen sollten stand bald fest Dass ich dies nun als ehemalige Professorin tue erfuumlllt mich mit einem merkwuumlrdigen Gefuumlhl Der Titel mei-nes Vortrags war als Platzhalter gedacht er blieb dann aber weil er so passend war Der persoumln-liche Bezug ist offensichtlich Mir ging natuumlrlich sehr viel durch den Kopf nach uumlber einem Jahr-zehnt hier vor Ort wo ich so viele Studierende und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe Aber es war gewuumlnscht uumlber etwas zu sprechen das in Potsdam seinen Anfang nahm Ich habe hier begonnen mich intensiv mit Phaedrus zu beschaumlftigen mehrere Auf-saumltze sind hier entstanden dann der Kommentar zu Buch 1 und zuletzt bis in die letzten Stunden vor dem Umzug im Februar ein ausfuumlhrlicher For-schungsbericht In mehreren Seminaren konnte ich mit Studierenden meine Ideen zu Phaedrus diskutieren hier ist die Gelegenheit mich auch hierfuumlr einmal zu bedanken Das Gleiche gilt fuumlr das Altertumswissenschaftliche Kolloquium so-wie die Diskussionsrunden an unserem Jour fi xe Bei einem solchen Thema denkt man bisweilen es sei abgeschlossen doch dann tun sich immer

Uumlberlegungen aus gegebenem Anlass Ein Vortrag in vier Kapiteln und zwei Vorbemerkungen

Der Vortragsstil wurde beibehalten

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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moumlchte Nicht nur hat Nicola Houmlmke die jetzt fuumlr einige Jahre die Geschicke der Klassischen Philo-logie am Neuen Palais mit bestimmt ihren Weg nach Potsdam uumlber Rostock genommen Auch Frau Geyer war vor ihrer Potsdamer Zeit an der Rostocker Universitaumlt in Diensten Dasselbe trifft auf Eugen Braun zu Eine wahrhaft gluumlckliche Rostock-Potsdam-Konnexion

Zu Ursula Gaumlrtner Sie war mir schon ein Begriff als sie sich in Leipzig habilitierte denn Ekkehard Staumlrk hatte 1999 in einem Potsdamer Promoti-onsverfahren gegutachtet (es ging um Plautus) und konnte wie er mir im Januar 2000 schrieb nicht an der Disputatio Anfang Februar teilneh-men weil er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation mit seinen Kraumlften haushalten musste und ihm in diesem Zeitraum die Habilitation von Frau Gaumlrtner mehr am Herzen lag Wir hatten da-fuumlr vollstes Verstaumlndnis Und so war es erfreulich zu sehen dass eben diese Ursula Gaumlrtner sich bald darauf um die Nachfolge auf dem Lehrstuhl in Potsdam bewarb und das auch noch mit Erfolg ndash Sie heute in Graz zu wissen ist ebenfalls begluuml-ckend Bitte nicht missverstehen Das hat nichts mit dem Wegsein von Potsdam als vielmehr mit

dem Dasein in Graz zu tun Auch hier wieder eine kuriose Fuumlgung Im Jahre 2010 waren Norbert Franz fuumlr die Slavistik und ich fuumlr die Klassische Philologie als Gutachter in Graz taumltig Es ging um die Evaluation der Literaturwissenschaften dort In dem Abschlussbericht konnten bzw mussten wir hervorheben dass die Grazer Klassische Phi-lologie nie zu einer vollen Entfaltung gelangt wenn nur die Griechischprofessur besetzt ist Bei aller Liebe fuumlr das Griechische Ohne Latein geht es nicht Ob sich die Universitaumlt jene Hinweise auf die Bedeutung der lateinischen Literatur fuumlr die uumlbrigen Literaturwissenschaften zu Herzen ge-nommen hat weiszlig ich nicht Aber das Ergebnis stimmt Jetzt hat die dortige Klassische Philologie mit der Besetzung der Latinistik wieder eine aus-sichtsreiche Zukunft Daher mein Zuruf Macte virtute esto

Der Zuruf gilt auch den Potsdamern Ich wuumlnsche dem Institut fuumlr Klassische Philologie und der Alt-philologie in Brandenburg insgesamt weiterhin groumlszligtmoumlgliche Wirksamkeit Und fuumlr heute ein schoumlnes Fest

Ihr Peter Riemer

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1 VorbemerkungEs ist merkwuumlrdig bei dem traditionellen Som-merfest der Klassischen Philologie als Vortra-gende aufzutreten nachdem ich selbst in all den Jahren unsere Gastvortragenden vorgestellt habe und letztes Jahr Frau Nicola Houmlmke die mich nun gerade vorgestellt hat Als wir zum ersten Mal das diesjaumlhrige Sommerfest ansprachen war auch gar nicht klar ob ich weg sein wuumlrde Nur dass alle bisherigen Professorinnen und Professoren sprechen sollten stand bald fest Dass ich dies nun als ehemalige Professorin tue erfuumlllt mich mit einem merkwuumlrdigen Gefuumlhl Der Titel mei-nes Vortrags war als Platzhalter gedacht er blieb dann aber weil er so passend war Der persoumln-liche Bezug ist offensichtlich Mir ging natuumlrlich sehr viel durch den Kopf nach uumlber einem Jahr-zehnt hier vor Ort wo ich so viele Studierende und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe Aber es war gewuumlnscht uumlber etwas zu sprechen das in Potsdam seinen Anfang nahm Ich habe hier begonnen mich intensiv mit Phaedrus zu beschaumlftigen mehrere Auf-saumltze sind hier entstanden dann der Kommentar zu Buch 1 und zuletzt bis in die letzten Stunden vor dem Umzug im Februar ein ausfuumlhrlicher For-schungsbericht In mehreren Seminaren konnte ich mit Studierenden meine Ideen zu Phaedrus diskutieren hier ist die Gelegenheit mich auch hierfuumlr einmal zu bedanken Das Gleiche gilt fuumlr das Altertumswissenschaftliche Kolloquium so-wie die Diskussionsrunden an unserem Jour fi xe Bei einem solchen Thema denkt man bisweilen es sei abgeschlossen doch dann tun sich immer

Uumlberlegungen aus gegebenem Anlass Ein Vortrag in vier Kapiteln und zwei Vorbemerkungen

Der Vortragsstil wurde beibehalten

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

75LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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Grex Potsdamiensis

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1 VorbemerkungEs ist merkwuumlrdig bei dem traditionellen Som-merfest der Klassischen Philologie als Vortra-gende aufzutreten nachdem ich selbst in all den Jahren unsere Gastvortragenden vorgestellt habe und letztes Jahr Frau Nicola Houmlmke die mich nun gerade vorgestellt hat Als wir zum ersten Mal das diesjaumlhrige Sommerfest ansprachen war auch gar nicht klar ob ich weg sein wuumlrde Nur dass alle bisherigen Professorinnen und Professoren sprechen sollten stand bald fest Dass ich dies nun als ehemalige Professorin tue erfuumlllt mich mit einem merkwuumlrdigen Gefuumlhl Der Titel mei-nes Vortrags war als Platzhalter gedacht er blieb dann aber weil er so passend war Der persoumln-liche Bezug ist offensichtlich Mir ging natuumlrlich sehr viel durch den Kopf nach uumlber einem Jahr-zehnt hier vor Ort wo ich so viele Studierende und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe Aber es war gewuumlnscht uumlber etwas zu sprechen das in Potsdam seinen Anfang nahm Ich habe hier begonnen mich intensiv mit Phaedrus zu beschaumlftigen mehrere Auf-saumltze sind hier entstanden dann der Kommentar zu Buch 1 und zuletzt bis in die letzten Stunden vor dem Umzug im Februar ein ausfuumlhrlicher For-schungsbericht In mehreren Seminaren konnte ich mit Studierenden meine Ideen zu Phaedrus diskutieren hier ist die Gelegenheit mich auch hierfuumlr einmal zu bedanken Das Gleiche gilt fuumlr das Altertumswissenschaftliche Kolloquium so-wie die Diskussionsrunden an unserem Jour fi xe Bei einem solchen Thema denkt man bisweilen es sei abgeschlossen doch dann tun sich immer

Uumlberlegungen aus gegebenem Anlass Ein Vortrag in vier Kapiteln und zwei Vorbemerkungen

Der Vortragsstil wurde beibehalten

Ursula Gaumlrtner Anfang und Ende

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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weitere Fragen auf ein staumlndiger Wechsel von Anfang und Ende Deshalb habe ich beschlossen auch heute uumlber Phaedrus zu sprechen und zwar in einem kleinen wissenschaftlichen Vortrag Die meisten der hiesigen Studierenden kennen mich nur als Lehrende die Kolleginnen und Kollegen aus Sitzungen aber nicht als Vortragende also sollen Sie mich heute zum Abschied neu kennen-lernen Auch fuumlr dieses Thema erweist sich Pha-edrus als uumlberraschend ergiebig Ich moumlchte also im Folgenden einfuumlhrend einige grundsaumltzliche Uumlberlegungen zu Phaedrus vorstellen ndash selbst wenn einige von Ihnen diese schon kennen da-mit auch die die mit dem Thema nicht vertraut sind wissen wovon ich rede ndash und dann seinen besonderen Umgang mit Anfang und Ende skiz-zieren

2 VorbemerkungSchlaumlgt man heute ein neueres Werk zu Phaedrus auf liest man immer dass der Autor bisher zu schlecht beurteilt wurde natuumlrlich zu Unrecht und dass derdie ForscherIn das zu aumlndern beab-sichtige Ich selbst habe meine ersten Aufsaumltze und Vortraumlge zu Phaedrus etwa so begonnenbdquoUumlber Phaedrus zu sprechen bedarf eines gewis-sen Mutes denn herablassende Aumluszligerungen sind in der wissenschaftlichen Literatur schon eher die Regel Nicht nur Lessing war mit dem lateinischen Fabeldichter meist sbquonicht so recht zufriedenlsquo1 So lesen wir bei Schanz sbquoPhaedrus ist kein Genie er verraumlt wenig dichterische Anlagen er ist nichts als ein treuer Arbeiter Er ist auch kein hochste-hender Charakter ihm fehlt die Heiterkeit der Seele und er belaumlstigt den Leser mit seinen Kla-gen die Eitelkeit beherrscht sein Denken und Sein und laumlsst ihn selbst dem gegenuumlber ungerecht erscheinen dem er doch seinen Ruhm verdankt dem Meister Aesoplsquo2 Thiele sprach von der sbquoArm-seligkeit der Poesie des Phaumldruslsquo Cancik von den sbquoVerslein des guten armen Phaedruslsquo3 Auch aus neuerer Zeit gibt es Aumlhnliches doch zitiere ich dies lieber nicht sonst fragen Sie sich warum ich uumlber diesen Autor heute zu Ihnen sprechen

will ndash Dass man dem Fabeldichter damit unrecht tut scheint sich nur langsam durchzusetzen Er ist zwar in der Schule oft die sbquoklassischelsquo Einstiegs-lektuumlre der Dichtung als ernst zu nehmendem Dichter kommt ihm allerdings immer noch wenig Aufmerksamkeit zuldquo Gerade in den letzten fuumlnf Jahren ist nun eine Reihe neuerer Arbeiten erschienen darunter eine umfassende Ausgabe von Eulogio Baeza An-gulo (2011) eine Monographie von Chiara Ren-da (2012) sowie ein Tagungsband von Caterina Mordeglia (2014) die beiden ersten freilich ganz in der Tradition der spanischen und italienischen traditionellen Deutung nach der spanischen ge-praumlgt von Adrados steht die Motivgeschichte im Zentrum dabei ist vor allem der kynischstoische Hintergrund Deutungsgrundlage nach der italie-nischen gepraumlgt von La Penna die politischsozi-ale Einordnung sbquoFreigelassener als Dichterlsquo sowie die literarische Verortung in der Naumlhe der Satire dh die Bezuumlge zu Horaz insofern waren diese Werke eher enttaumluschend Durch den Beitrag Mordeglias in ihrem Tagungsband wurde man auf eine neu entdeckte Handschrift hingewiesen (Vat lat 5190) ausfuumlhrlicher dann durch Zago4 der eine neue Ausgabe bei Teubner ankuumlndigte aber sein Versprechen noch nicht erfuumlllt hat Daher hat sich mein Einleitungstopos nun etwas veraumlndert Phaedrus ist inzwischen zwar etwas rehabilitiert aber was seinen literarischen Anspielungsreich-tum betrifft noch lange nicht genug gewuumlrdigt Ich moumlchte im Folgenden also einige grundsaumltzli-che Gedanken zu Phaedrus vorstellen sowie dann eine Reihe von Gedichten behandeln die Anfang und Ende unterschiedlich beleuchten

1 Die Frage nach PhaedrusNach der communis opinio koumlnnte fuumlr Phaedrus etwa Folgendes gelten Er sei ca 20ndash15 v Chr in

01 Lessing (1759) 41302 Schanz (1913) 4903 Thiele (1906) 575 Cancik (1974) 26104 Zago (2012a) (2012b) (2015)

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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Griechenland genauer Makedonien geboren sei dann als Sklave nach Rom gekommen habe eine paumldagogische Funktion am Hof innegehabt und sei von Augustus freigelassen worden aus seiner Feder stammten zwei Fabelbuumlcher Seian habe ihn angeklagt weil er sich wie so manch anderer von seinen Fabeln angegriffen fuumlhlte nach des-sen Tod habe Phaedrus bis ins Alter drei weitere Fabelbuumlcher gedichtet in diesen emanzipiere er sich zunehmend von seinem Vorbild Aesop zeige aber auch zunehmend Pessimismus und Enttaumlu-schung uumlber mangelnde Anerkennung In den Fabeln selbst uumlbe er schonungslose Moralkritik hier sei die Stimme des sbquokleinen Mannesrsquo zu ver-nehmen da sich Phaedrus als Freigelassener der plebs verbunden fuumlhle und die Fabel waumlhle da nur so ndash verhuumlllter ndash Protest zu aumluszligern sei dabei rufe er aber nicht zum Aufstand auf vielmehr pre-dige er hinter dem Spott bitter die Anpassung5

In einer Reihe von Aufsaumltzen sowie dem Kommen-tar zum ersten Buch habe ich versucht an diesem Phaedrusbild zu ruumltteln6 Mein Vorwurf gegen eine sbquobiographische Deutunglsquo ist die Gefahr des Zir-kelschlusses Dass Phaedrus Freigelassener war ist aus Fabeln erschlossen dient aber dann als Grundlage der Interpretation eben dieser Fabeln in der dann weitere sbquoBeweiselsquo fuumlr die soziale Ein-ordnung des Dichters und seines Publikums ge-zogen werden Meine Hauptansatzpunkte waren folglich dass wir keine verlaumlsslichen Dokumente zum Leben des Fabeldichters haben dass die meisten sbquoFaktenlsquo aus den Fabeln herausgelesen wurden dass sich viele dieser Aussagen jedoch als poetologische Topoi erklaumlren lassen und man zwischen empirischem und implizitem Autor klar trennen muss7 dass die Rezeptionssituation die-ser eindeutig fuumlr ein Lesepublikum verfassten Gedichte nicht beruumlcksichtigt wurde8 dass man nicht von der sbquoAussage der Fabellsquo schlechthin sprechen sondern zwischen den einzelnen Auto-ren differenzieren muss und dass sich schlieszliglich Phaedrusrsquo Fabeln als houmlchst anspielungsreiche Texte entpuppen deren intertextuelle Bezuumlge noch lange nicht zur Genuumlge erschlossen sind Hat Phaedrus ferner wirklich deshalb die Fabel ge-waumlhlt weil er somit verhuumlllt die Wahrheit sagen konnte Wie muumlssen wir dann seine zahlreichen Aussagen einordnen in denen er darauf verweist dass er in seinen Fabeln etwas verberge bdquoWo-rauf sich das bezieht wird der sagen der mich kenntldquo (31) Denn dadurch werden die Leser erst neugierig gemacht und geradezu aufgefordert nach Anspielungen zu suchen Das haben allen voran die Altphilologen natuumlrlich getan denn wir meinen den Phaedrus ja zu kennen Schlieszliglich sei darauf hingewiesen dass Phaedrus selbst die Vieldeutigkeit bzw schwierige Interpretation sei-ner Gedichte betont (421ff) und der Fabel 411 sogar drei Deutungen folgen laumlsst die der Leser selbst nie erraten wuumlrde wie der Dichter stolz behauptet das glaubt der Leser gerne denn die Deutungen scheinen abwegig9 Sollte man dies ernst nehmen wuumlrde die eigentliche Funktion

05 Vgl mit zT unterschiedlichen Ansaumltzen zB La Penna (1968) Cancik (1974) Schmidt (1979) 84ff Bradley (1984) 150ff Currie (1984) 508ff Kuumlppers (1990) 26 Demandt (1991) Oberg (2000) Blaumlnsdorf (2000) Fitzgerald (2000) 99ff Holzberg (2012) 53ff uva Zur Forschung s Gaumlrtner (2017)06 Gaumlrtner (2000)ndash(2017)07 Zur Gleichsetzung vgl zB La Pennas (1968) VIIIf bdquoLa schiavituacute [] egrave il primo dato biografico essenziale per capire lrsquooperaldquo Vgl Bloomer (1997) 73ff Renda (2012a) u (2012b) Vgl ferner Duff (1960) 107ff Cancik (1974) 271ff Christes (1975) Currie (1984) Bradley (1984) Mantildeas Nuacutentildeez (1998) 20ff Adrados (1999) 120ff Marchesi (2005) Compton (2005) 304f Cascoacuten Dorado (2005) 16ff Baeza Angulo (2011) XVff uva08 Als Sprachrohr der Unterdruumlckten eignen sich vielleicht muumlndliche Vortraumlge aber kaum durchgefeilte Dichtung die nur einem kleinen Kreis Gebildeter zugaumlnglich war Gegen zB Duff (1960) 107ff La Penna (1961) u (1968) Rieks (1967) 80ff Cancik (1974) 273 Christes (1979) LuumlhrKruumlger (1981) Kuumlppers (1990) uva Etwas vorsichtiger Schnur (1985) 15ff09 423ff sed diligenter intuere has nenias | quantam sub titulis utilitatem reperies | non semper ea sunt quae uidentur decipit | frons prima multos rara mens intelle- git | quod interiore condidit cura angulo 41114ff quot res contineat hoc argumentum utiles | non explicabit alius quam qui repperit vgl Gaumlrtner (2007a) 453ff (2015a) 51ff

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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der Fabel gleichsam aufgehoben da der Leser ja nicht versteht was die Fabel verdeutlichen soll Zugleich wuumlrde ihr das Fabeltypische naumlmlich die Uumlbertragbarkeit genommen Es ist daher zu fragen ob uns Phaedrus hier nicht auf die Un-moumlglichkeit einer sbquorichtigenlsquo Deutung der Fabeln hinweisen will und die Anspruumlche einer anspie-lungsreichen Dichtung humorvoll vorfuumlhrt dh Fabeln uumlber die Dichtung schreibtOb dies bei den Fabeln die Anfang und Ende betreffen auch zutrifft soll nun gepruumlft werden

2 Grundsaumltzliches zu Anfang und EndeDie Frage nach Anfang und Ende eines literari-schen Werks ist nicht so simpel wie sie zunaumlchst erscheinen mag Hierbei macht es uns der Anfang noch leichterBei Aristoteles lesen wir folgende Definition (1450b27ff) ἀρχὴ δέ ἐστιν ὃ αὐτὸ μὲν μὴ ἐξ ἀνάγκης μετrsquo ἄλλο ἐστίν μετrsquo ἐκεῖνο δrsquo ἕτερον πέφυκεν εἶναι ἢ γίνεσθαιmiddot τελευτὴ δὲ τοὐναντίον ὃ αὐτὸ μὲν μετrsquo ἄλλο πέφυκεν εἶναι ἢ ἐξ ἀνάγκης ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ μετὰ δὲ τοῦτο ἄλλο οὐδένmiddot μέσον δὲ ὃ καὶ αὐτὸ μετrsquo ἄλλο καὶ μετrsquo ἐκεῖνο ἕτερον

Der Anfang ist das was selbst notwendigerweise nicht nach etwas Anderem ist nach jenem aber ist oder wird von Natur aus etwas Anderes Das Ende ist das Gegenteil das von Natur aus selbst nach etwas Anderem ist entweder notwendiger-weise oder meistens nach diesem aber gibt es nichts Anderes Die Mitte aber ist das was so-wohl selbst nach etwas Anderem ist sowie nach dem etwas Anderes folgt

Je laumlnger man daruumlber nachdenkt desto komple-xer wird die Frage denn die aristotelische Aussage mag zB auf die Tragoumldie oder auch das Epos in physischem Sinne zutreffen die im Text mit einem Prolog bzw einem Prooumlmium beginnen Letzteres ist idR durch Exordialtopik gekennzeichnet wie etwa mit einem Musenanruf sowie mit Angaben

zum Thema (quid) dessen Begruumlndung und Be-deutung und ggf zum Erzaumlhler seiner Dichtung (quale) und zu Rezipienten markiert Doch hat die darin erzaumlhlte Geschichte in der Regel eine Vorgeschichte der Autor und sein Werk haben in der Entstehung eine Vorgeschichte das Werk hat in der Literaturgattung bzw durch intertextuelle Bezuumlge eine Vorgeschichte usw Die Frage nach dem Ende ist noch verwirrender Houmlrt der Text oder die Auffuumlhrung auf ist dann auch die Geschichte zu Ende Und wie wird ein Ende abgesehen vom physischen Textende mar-kiert Die von Fowler in seinem grundlegenden Artikel aufgelisteten fuumlnf bdquosenses of sbquoclosurelsquo in recent criticismldquo koumlnnen fuumlr die folgende Dis-kussion herangezogen werden bdquo(1) The conclu-ding section of a literary work (2) The process by which the reader of a work comes to see the end as satisfyingly final (3) The degree to which an ending is satisfyingly final (4) The degree to which the questions posed in the work are answered tensions released conflicts resolved (5) The degree to which the work allows new cri-tical readingsldquo10

Ist diese Frage bei narrativen Werken wie einem Epos oder dramatischen Werken wie Tragoumldie oder Komoumldie schon schwierig wird sie bei Sammlungen noch komplexer Denn die Fragen stellen sich bei jedem einzelnen Gedicht wie je-dem einzelnen Buch und schlieszliglich der gesamten Sammlung Und noch komplexer wird dies wenn man den Eindruck erhaumllt dass der Autor mit der Erwartung der Leser spielt Ich moumlchte dies an den Fabeln des Phaedrus vorstellen Hier stehen wir freilich durch die Uumlberlieferungslage vor besonde-ren Problemen denn es ist sicher dass in den uns uumlberlieferten fuumlnf Buumlchern zahlreiche Gedichte standen die zT verloren gingen zT in einer an-deren Sammlung heute als Appendix bezeichnet

10 Fowler (1989) 78 Auf die Subjektivitaumlt dieser Aspekte hat Fowler (1997) spaumlter selbst verwiesen Vgl ferner die Uumlberlegungen bei Smith (1968) sowie die Aufsatzsamm- lung von GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013)

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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zwar uumlberliefert sind allerdings ohne Hinweis auf ihre urspruumlngliche Stellung im Werk11

3 Anfang und Ende bei PhaedrusMit einiger Beruhigung stellen wir fest dass bei Phaedrus zu Beginn des ersten Buchs ein Prolog zu finden ist (1prol)

Aesopus auctor quam materiam repperit hanc ego poliui uersibus senariis duplex libelli dos est quod risum mouet et quod prudentis uitam consilio monet calumniari si quis autem uoluerit 5quod arbores loquantur non tantum ferae fictis iocari nos meminerit fabulis Das Material das Aesop als Urheber gefunden hat habe ich in senarischen Versen aufpoliert Zweifach ist die Mitgift des Buumlchleins weil es Ge-laumlchter erweckt und weil es das Leben durch den Rat eines Weisen lenkt Wenn aber einer kritisie-ren wollte dass Baumlume sprechen nicht nur wilde Tiere moumlge er sich erinnern dass wir in erfunde-nen Fabeln scherzen Der Prolog ist deutlich als solcher gekennzeich-net Wir finden zwar keinen Musenanruf aber Angaben zu quid und quale des Buumlchleins Auf-faumlllig zu greifen ist der Pakt zwischen Leser und Autor denn der Leser liest dieses Gedicht (idR) als Erstes weiszlig jedoch dass es wohl erst zum Abschluss dh fuumlr die Ausgabe verfasst wurde Typisch sind Prolepsen wie hier die Ankuumlndigung von Themen umso nachdenklicher stimmen sie in diesem Fall da sie im folgenden Buch nicht er-fuumlllt werden Die hier genannten und verteidigten sprechenden Baumlume tauchen weder im ersten noch in den folgenden Buumlchern auf Meist wird vermutet dass die betreffenden Fabeln der Uumlber-lieferung zum Opfer fielen Es lieszlige sich jedoch

auch vermuten dass die Erwartungen des Lesers gezielt getaumluscht werden Wichtig ist ferner der Ruumlckverweis auf den Urhe-ber der Gattung dem hier die Ehrenstellung des ersten Wortes zukommt Aesopus Dies wird zu-sammen mit dem Ruumlckverweis auf die materia zu einer Art Analepse die das neue Buumlchlein in die stoffliche Tradition einordnet Das Gleiche gilt fuumlr die deutlichen Bezuumlge zur spaumltrepublikanischenaugusteischen Dichtung Man denkt bei libellus und polire vor allem an Catull mit seinem deut-lichen Verweis auf die feine Dichtung des Kalli-machos sowie an die Buchkonzeptionen eines Horaz Vergil Tibull Properz oder Ovid Phaedrus schreibt sich somit gleich zu Beginn in eine litera-rische Vorgeschichte einEin Epilog zu Buch 1 ist nicht uumlberliefert vielleicht ging er verloren fuumlr Letzteres spricht dass wir zu den Buumlchern 2 3 und 4 Epiloge besitzen Zu Buch 5 allerdings wieder nicht sodass dies auch Pla-nung sein koumlnnte doch dazu spaumlter Ob die uumlberlieferte Anordnung der Gedichte die urspruumlngliche ist ist unklar12 Deutliche sbquosenses of closurelsquo lassen sich im ersten Buch nicht finden aber Folgendes sei festgehalten Als 11 lesen wir die bekannte Fabel vom Lamm und Wolf es folgt die Fabel von den Froumlschen die ihre eigene liber-tas verspielen einen Koumlnig von Iuppiter wollen den von ihm gesandten Holzklotz fuumlr zu langwei-lig halten und schlieszliglich Opfer der dann einge-setzten Wasserschlange werden Am Ende des Buches lesen wir in 130 von Froumlschen die beim Kampf von Stieren um ihr eigenes Leben fuumlrch-ten und in 131 von Tauben die einem Falken zum Opfer fallen dem sie toumlrichterweise vertraut haben In einer Ringkomposition entsprechen sich demnach inhaltlich erste und letzte Fabel durch die Betonung des Unrechts des Staumlrkeren gegenuumlber dem Schwaumlcheren sowie zweite und zweitletzte Fabel durch das Motiv der Froumlsche die auch sonst fuumlr toumlrichtes politisches Handeln stehen sodass man formal durchaus nach Smith von einem sbquospecial terminal featurelsquo ausgehen koumlnnte13 Dass in der letzten Fabel die Tauben alle

11 Zum Aufbau vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 38ff12 Vgl Henderson (1998) Gaumlrtner (2015a) 47ff13 Vgl Smith (1968) 151ff

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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ums Leben kommen mag auch als ein solches sbquoterminal featurelsquo dienenDie folgenden Buumlcher sind ebenfalls alle von Prologen eroumlffnet die ich hier leider nicht im Einzelnen vorstellen kann Auf einige Aspekte sei allerdings verwiesen Das Verhaumlltnis zum Vorgaumln-ger Aesop finden wir in allen Prologen themati-siert Auffaumlllig ist dabei eine Verschiebung Im ersten Buch wird Aesop als Urheber der materia eingefuumlhrt Im Prolog zum 2 Buch ist nur noch vom genus des Aesop also der Fabelgattung die Rede und der Autor betont er werde den mos des Alten bewahren aber bisweilen etwas Eigenes einfuumlgen im dritten Prolog wird dann lediglich stilus der Stil des Aesop angefuumlhrt Im vierten nennt er die Fabeln nur noch Aesopiae non Aesopi (aesopisch nicht die des Aesop) Im fuumlnften schlieszliglich behauptet er den Namen Ae-

sopus bisweilen einzusetzen nicht weil er dem Alten noch etwas schulde sondern weil sich ein Werk mit einem groszligen Namen besser ver-markten lasse Normalerweise wird dies als eine biographisch-literarische Entwicklung gedeutet Der Dichter emanzipiere sich allmaumlhlich von sei-nem beruumlhmten Vorbild14 Als Konzept steht das auszliger Frage es ist nur anzuzweifeln ob dies auch biographisch zu deuten istBetrachten wir hierzu weitere Aussagen Im Epilog zu Buch 2 steht zunaumlchst ganz selbstbe-wusst die aemulatio mit Aesop im Vordergrund

Studentenvertreter uumlberreichen Ursula Gaumlrtner einen Band mit den Texten aller Auffuumlhrungen des Grex Potsdamiensis

14 Vgl zB Hausrath (1936) 71 Swoboda (1962) Rieks (1967) 84 Anm 76 Noslashjgaard (1967) 20f Luzzatto (1976) 8 Pisi (1977) 21 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) 323ff Renda (2012a) 13ff uva differenzierter Bernardi Perini (1992)

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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was dann folgt sind Uumlberlegungen zur Rezep-tion die von positiven Moumlglichkeiten dass zB Latium nun einen weiteren Autor habe mit dem es mit Griechenland in Konkurrenz treten koumlnne sich schlieszliglich zu Angstphantasien der voumllligen Ablehnung und dem Tod steigern15 Hier sind deutliche sbquoterminal featureslsquo zu erkennen Umso uumlberraschter ist man den auszligerordentlich selbst-bewussten Prolog zu Buch 3 danach zu lesen Hier begegnet nicht nur der Name Phaedri zum ersten und einzigen Mal zudem an markanter erster Stelle Der Prolog ist auch mit uumlber 60 Ver-sen eines der laumlngsten Gedichte der gesamten Sammlung Dort lesen wir erstaunliche Anfor-derungen an den Leser denn nicht der Dichter sondern der Leser muss zum Lesen der Phaedrus-gedichte sich von seinem negotium befreien sein Leben aumlndern und in den Musenhain eintreten Nach einer Herkunftserklaumlrung versteigt sich das Ich schlieszliglich zu Vergleichen seiner selbst mit den mythischen Saumlngern Linus und Orpheus und kann am Ende ganz kallimacheisch den Neid in die Ferne schickenDer Epilog zu Buch 3 ist aumlhnlich lang Er bringt verschiedene sbquosenses of closurelsquo Ausdruumlcklich ver-weist Phaedrus darauf dass er nun mit dem Schrei-ben aufhoumlre weil er nicht laumlstig scheinen breuitas beweisen und fuumlr seinen Nachfolger Stoff uumlbrig lassen wolle Es folgt dann eine dreist wirkende Bitte an seinen Foumlrderer um Geld eigentlich uumlber-raschend nach der Ankuumlndigung nun nichts mehr zu dichten gewissermaszligen eine Belohnung fuumlr das Nicht-mehr-laumlstig-Fallen Er bittet seinen Goumlnner ihm nun Geld zu geben da das Leben dem Tod taumlglich naumlher ruumlcke er schleppe sich mit ein paar Lebensresten noch so dahin Doch dann scheint er zu bemerken dass er eine selbst gesetzte Grenze (terminus) der Klagen uumlberschreitet Hier wird also nicht nur uumlberdeutlich ein Buchende sondern zu-gleich ein Werkende angekuumlndigt

Mit Verwunderung liest man dann zu Beginn des vierten Buchs Folgendes Der Dichter habe nicht leichtfertig doch ein weiteres Buch in Angriff ge-nommen er habe erkennen muumlssen dass ein an-derer ja nicht ahnen konnte was er Phaedrus im Sinn hatte Dies darf man nicht als bdquoverbluumlffend naivldquo so etwa Koster16 verstehen sondern wie ich meine als erheiternde Umkehrung einer Aus-sage Ovids Dieser behauptet zum Anfang seiner Liebeselegien dass er seine vordem fuumlnf Buumlcher amores auf drei gekuumlrzt habe (am epigr 1ff)17

Um seinen Lesern zu gefallen beschnitt Ovid sein Werk er veroumlffentlicht nur drei statt urspruumlng-lich fuumlnf Buumlcher Phaedrus scheint aber noch viel zu sagen zu haben was er auch veroumlffentlichen muss Doch kuumlndigt er im Epilog zu Buch 4 erneut an sein Werk jetzt zu beenden Er habe immer noch viel zu sagen halte sich aber zuruumlck und wolle fuumlr die breuitas belohnt werden Wieder ein deutliches sbquoterminal featurelsquo aber vielleicht in der Wiederholung schon uumlberdeutlich Denn tatsaumlch-lich folgt noch ein Buch Im schon erwaumlhnten Pro-log zu Buch 5 steht Aesops Name nun wieder am Anfang doch wie gesagt angeblich nur noch aus Marketinggruumlnden warum Phaedrus den Griffel noch einmal in die Hand nimmt wird nicht ge-sagt Buch 5 umfasst nur 10 Fabeln vermutlich sind hier viele verloren gegangen eventuell auch ein Epilog Allerdings steht in der uumlberlieferten Version folgende Fabel am Ende (510)

Canis et uenator Aduersus omnes fortis ueloces feras canis cum domino semper fecisset satis languere coepit annis ingrauantibus aliquando obiectus hispidi pugnae suis arripuit aurem sed cariosis dentibus 5praedam dimisit hic tunc uenator dolens canem obiurgabat cui latrans contra senex bdquoNon te destituit animus sed uires meae quod fuimus laudas si iam damnas quod sumusldquo Hoc cur Philete scripserim pulchre uides 1015 Vgl Glauthier (2009) Gaumlrtner (2016)

16 Koster (1991) 7617 Vgl Gaumlrtner (2007b) 448f (2015a) 49f

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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Hund und Jaumlger Als ein Hund tapfer gegen alle schnel- len wilden Tiere seinen Herrn immer zufriedengestellt hatte begann er schlapp zu sein da die Jahre ihn belasteten Als er einst in den Kampf gegen ein struppiges Schwein geschickt war schnappte er ein Ohr verlor die Beute aber aus seinen morschen Zaumlhnen Hier war der Jaumlger nun aumlrgerlich und machte dem Hund Vorwuumlrfe Dem entgegnete bellend der Alte Dich hat nicht mein Mut im Stich gelassen sondern meine Kraumlfte Was wir waren lobst du wenn du schon verurteilst was wir sindldquo Warum ich das geschrieben habe siehst du Philetus wohl

Die Fabel ist in vielerlei Hinsicht typisch fuumlr Phae-drus Nur erwaumlhnt sei der schlichte aber aus-gewogene Aufbau Dass eine Rede als Reactio die Fabel wirkungsvoll abschlieszligt finden wir bei vielen Phaedrusfabeln Typisch ist ferner die Mischung aus menschlicher und tierischer Welt deren Durchbrechung Phaedrus allerdings spiele-risch zu behandeln scheint indem er den Hund seine Antwort bdquobellenldquo laumlsst (latrans 7) Ferner ty-pisch ist die Rolle des Hunds als Diener des Men-schen die er auch in anderen Fabeln einnimmt Typisch ist zudem die Deutung die diese Fabel erfahren hat Zum einen sah man in dem Hund die Stimme des Unterdruumlckten zum Ausdruck gebracht der trotz treuer Dienste keine entspre-chende Wuumlrdigung erfaumlhrt Vor allem aber war die Fabel fuumlr einen biographischen Ansatz ge-fundenes Fressen In seiner letzten Fabel aumluszligere sich der Dichter selbst der nun geschwaumlcht vom Alter und verbittert von Misserfolg und anhalten-der Kritik uumlber seine eigene Dichtung sinniere und feststellen muumlsse dass er den Biss verloren habe18 Man sah hier eine deutliche Parallele zum schon erwaumlhnten Epilog in Buch 310ff wo das Ich seinen Goumlnner verbluumlffend direkt um Geld bit-

tet da das Leben taumlglich dem Tod naumlher ruumlcke man daher immer weniger vom Lohn habe wenn dieser spaumlter komme er selbst schleppe sich mit den Lebensresten noch so dahin dereinst als senex werde ihm die Gabe wenn der Tod nahe sei nichts mehr nuumltzen Jenes bittere Bild des Alters habe Phaedrus dann am Ende seines letz-ten Buchs wieder aufgegriffen Diese Deutung sah sich vor allem im Epimythion bestaumltigt das auf etwas Biographisches verweise Warum ich dies geschrieben habe siehst du Philetus wohl Doch wissen wir weder wer dieser Philetus war und noch weniger worauf sich diese Aussage beziehen soll Wie ich meine waumlre auch schlicht eine spielerische Verwendung eines literarischen Motivs von Ennius denkbar in dessen Annalen vergleicht sich die Autor-persona selbst mit einem Pferd (ann 522f Sk [=374f V3])

sicuti fortis equos spatio qui saepe supremouicit Olympia nunc senio confectus quiescit

Wie ein tapferes Pferd das oft im aumluszligersten Abstand in Olympia siegte nun vom Alter uumlberwaumlltigt ruht

Es koumlnnte also auch ein rein literarisches Spiel sein in dem der Dichter mit der Lesererwartung spielt da er sich eine persona konstruiert die saumlmtliche Stadien die andere Dichter von sich erwaumlhnen durchlaumluft die Musenweihe die Aus-einandersetzung mit dem liuor die mangelnde Anerkennung die Armut die Bitten an Foumlrderer den Stolz und die Resignation An anderer Stel-le habe ich versucht zu zeigen dass dies nicht biographische Aussagen sind sondern dass der Dichter dem Leser eine Dichter-persona konstru-iert die zu einer Art Zerrbild der anspruchsvollen Dichter der augusteischen und nachfolgenden Zeit wird zu greifen ist dies daran dass tatsaumlch-lich saumlmtliche Elemente auftauchen und dies in einer solchen Zuspitzung die man entweder als

18 So Anm 5

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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sbquopeinlichlsquo bezeichnen muumlsste oder wie ich eher meine als absichtliche heitere Uumlberspitzung Man kann also annehmen dass Phaedrus somit lachend die Schalksmaske eines Narrendichters aufsetzt19 Hierzu gehoumlrt mE nun auch die Zeich-nung des sbquoalten Dichterslsquo Dass der Foumlrderer ei-nen sprechenden Namen hat unterstreicht dies Schon der Name des Foumlrderers des 3 Buchs Eutychus klingt verdaumlchtigt und bedeutet nichts anderes als sbquoGluumlckstrefferlsquo ndash auch dies ironisch zu verstehen denn er muss erst zur Literatur bekehrt und dann um Geld angebettelt werden hier nun begegnen wir einem Philetus dies ist nichts als ein sbquolieber Freundlsquo20 Die so vertraut wirkende An-rede verfuumlhrt uns als Leser noch staumlrker dazu ei-nen biographischen Bezug zu suchen Doch ist sie mE nichts als eine bewusst gesetzte Leerstelle die das Fabeltypische naumlmlich ihre Uumlbertragbar-keit ndash wie oben betont ndash auf den Kopf stelltSo zeigt eine genauere Betrachtung dieser Stelle dass das zunaumlchst triste Bild eines Dichters der seinen Biss verloren hat wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist nichts uumlber den empirischen Dichter aussagt sondern das Thema Alter eher als litera-risches Motiv einsetzt Stand die Fabel in der ur-spruumlnglichen Sammlung ebenfalls am Ende waumlre das Motiv nach Fowler im Sinne eines sbquosense of closurelsquo gezielt eingesetztEs muss Phaedrus daher kaum bdquostarke Uumlberwin-

dung gekostet haben gerade die ideale Dreizahl der Gedichtbuumlcher zu uumlberschreitenldquo so Dams21

Auch Horaz und Properz schrieben nach drei Buuml-chern spaumlter ein viertes So verfuhr auch Ennius der seine Annalen nach einem ersten Abschluss fortsetze Manilius verfasste spaumlter ein fuumlnftes Buch22 Eine auffallende Parallele bietet Martial 83 hier befiehlt allerdings die Muse weiter zu dichten23

bdquoquinque satis fuerant nam sex septemue libelli est nimium quid adhuc ludere Musa iuuat sit pudor et finis iam plus nihil addere nobis fama potest teritur noster ubique liber []ldquo bdquotune potes dulcis ingrate relinquere nugas 11 dic mihi quid melius desidiosus ages []ldquo

bdquoFuumlnf waren genug denn sechs oder sieben Buumlchlein sind schon zu viel Warum gefaumlllt es dir Muse noch weiter zu spielen Jetzt sei Zuruumlckhaltung und und Schluss Schon kann uns nichts mehr der Ruhm geben Uumlberall wird mein Buch in der Hand gehalten ldquo bdquoUndankbarer kannst du denn deine suumlszligen Spielereien aufgeben Sag mir was willst du Traumlger Besseres tun ldquo

Es ist lohnenswert der Parallele zu Ennius weiter nachzugehen Oben wurde schon darauf verwie-sen dass Phaedrus mit dem alten Hund in der Fabel 510 auf das alte Rennpferd bei Ennius anspielen koumlnnte freilich wissen wir nicht wel-chen Platz die Verse in Enniusrsquo Annalen hatten offensichtlich ist jedoch dass sie Teil einer ab-schlieszligenden Passage waren (B 12 15 oder 18) nach der Ennius spaumlter doch fortfuhr24 Geht man also davon aus dass Phaedrus die Fabel 510 an das Ende seiner Sammlung setzte waumlre dies ein anspielungsreicher Witz Denn nun endet das Ge-samtwerk ndash anders als nach den Ankuumlndigungen in 3 epil und 4 epil ndash tatsaumlchlich und zwar mit einer Anspielung auf eine Epilogpassage bei En-nius der danach aber weiterdichtete

19 Zuletzt Gaumlrtner (2015a) 43ff20 Zu den Goumlnnern s Gaumlrtner (2015) 33ff21 Dams (1970) 110f22 Vgl Conte (1992) 155f23 Interessant ist ferner dass auch Martial mit dem Ankuumlndigen von Enden bzw mit Buchenden spielt wie etwa in Buch 10 und 11 vgl Fowler (1989) 107f Houmlschele (2013) 254ff24 Vgl zB Conte (1992) 155f25 Zentrale poetologische Aussagen finden wir auch in anderen antiken Buchsammlungen in der Mitte von Sammlung bzw zu Beginn eines dritten Buchs zB Lucr 41ff Verg ecl 6 georg 31ff Aen 737ff Hor carm 48 Prop 31 Stat silv 31 Vgl Henderson (2001) 60f bdquochief manifesto as a sbquoCentrepiece Prologuelsquoldquo Henderson folgerte freilich dar- aus nichts fuumlr die Konzeption der Buumlcher vgl ferner Thomas (1983) und Conte (1992)

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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LiteraturAdrados (1999) Adrados F R History of the Graeco-Latin Fable Vol I Introduction and from the origins to the hellenistic age Transl by L A Ray Leiden Boston Koumlln 1999 (Menmosyne Suppl 201)Baeza Angulo (2011) Fedro Faacutebulas esoacutepicas Introduccioacuten edicioacuten criacutetica traduccioacuten y notas de E Baeza Angulo Madrid 2011Bernardi Perini (1992) Bernardi Perini G bdquoCui reddidi iampridem quicquid debuildquo Il debito di Fedro con Esopo secondo Fedro in La storia la letteratura e lrsquoarte a Roma da Tiberio a Domiziano Atti del convegno (Mantova Teatro Accademico 4ndash7 ottobre 1990) a cura di G Bernardi Perini Mantova 1992 43-59Blaumlnsdorf (2000) Blaumlnsdorf J Lecture peacutedagogique-morale-politique Problegravemes hermeacuteneu-tiques des fables de Phegravedre REL 78 2000 118ndash38Bloomer (1997) Bloomer W M Latinity and Literary Society at Rome Philadelphia 1997Bradley (1984) Bradley K R Slaves and Masters in the Roman Empire A study in social control Bruxelles 1984 (Coll Latomus 185)Cancik (1974) Cancik H Die kleinen Gattungen der roumlmischen Dichtung in der Zeit des Prinzipats in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd 3 Roumlmische Literatur hrsg v M Fuhrmann Frankfurt 1974 261-89Cascoacuten Dorado (2005) Fedro Faacutebulas Aviano Faacutebulas Faacutebulas de Roacutemulo Introducciones traduccioacuten y notas de A Cascoacuten Dorado Madrid 2005 (Biblioteca claacutesica gredos 343)Christes (1975) Christes J Phaedrus Die Fabel I Darstellung des Gegenstandes in Aditus Neue Wege zum Latein Lese- und Arbeitsbuch fuumlr die ersten Lektuumlrejahre hrsg v R Nickel Teil III Lehrerhandbuch Wuumlrzburg 1975 1-9Compton (2006) Compton T M Victim of the Muses Poet as scapegoat warrior and hero in Greco-Roman and Indo-European myth and history Cambridge Mass London 2006 (Hellenic Studies 11)Conte (1992) Conte G B Proems in the Middle in Beginnings in Classical Literature ed by F Dunn T Cole Cambridge Mass 1992 (YClS 29) 147-59Currie (1984) Currie H MacL Phaedrus the Fabulist ANRW 2321 1984 497-513Dams (1970) Dams P Dichtungskritik bei nachaugusteischen Dichtern Diss Marburg 1970Demandt (1991) Demandt A Politik in den Fabeln Aesops Gymnasium 98 1991 397ndash419Duff (1960) Duff J W A Literary History of Rome in the Silver Age From Tiberius to Hadrian ed by A M Duff London 21960Fitzgerald (2000) Fitzgerald W Slavery and the Roman Literary Imagination Cambridge 2000Fowler (1989) Fowler D First Thoughts on Closure Problems and prospects MD 22 1989 75ndash122Fowler (1997) Fowler D Second Thoughts on Closure in Classical Closure Reading the end in Greek and Latin literature ed by D H Roberts F M Dunn D Fowler Princeton 1997 3ndash22Gaumlrtner (2000) Gaumlrtner U Phaedrus tragicus Zu Phaedr 4 7 und seinem Selbstverstaumlndnis als Dichter in Dramatische Waumlldchen Festschrift fuumlr E Lefegravevre zum 65 Geburtstag hrsg v E Staumlrk G Vogt-Spira Hildesheim Zuumlrich New York 2000 (Spudasmata 80) 661ndash82 Gaumlrtner (2007a) Gaumlrtner U consulto inuoluit ueritatem antiquitas ndash Zu den Werten bei Phaedrus Gymnasium 114 2007 405ndash34Gaumlrtner (2007b) Gaumlrtner U levi calamo ludimus Zum poetologischen Spiel bei Phaedrus Hermes 135 2007 429ndash59

Man kann sich daher durchaus vorstellen dass Phaedrus von vornherein eine Konzeption auf fuumlnf Buumlcher vor Augen hatte Die sbquoEmanzipationlsquo von Aesop als Vorbild (von Versifikation zur sbquoFaumll-schunglsquo) und die Zunahme der Anspruumlche fuumlr sich selbst sind dann nicht biographisch zu erklaumlren sondern erweisen sich als Elemente des poeto-logischen Spiels Der auffallend lange Pro- und Epilog zu Buch 3 steht dann mit zentralen Aus-sagen in der Mitte was sich mit anderen antiken Buchsammlungen vergleichen lieszlige25 Dies ergibt aber nur dann einen Sinn wenn das Gesamtwerk von vornherein auf fuumlnf Buumlcher konzipiert war

4 Schluss

Phaedrus erweist sich also als ein Dichter der mit den Erwartungen des Lesers von Anfang und Ende eines Werkes durchweg spielt ankuumlndigt aufzuhoumlren dann aber doch weiterdichtet Wie ich am Anfang betont habe habe ich groumlszligte Vor-behalte gegen biographische Deutungen Und wenn Sie sich jetzt fragen sollen warum ich heu-te uumlber dieses Thema gesprochen habe moumlchte ich mit einem Phaedruszitat schlieszligen hoc quo pertineat dicet qui me nouerit ndash Worauf sich das bezieht wird sagen wer mich kennt (317)

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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Page 28: UND ©Musée du Louvre, Paris GRIECHISCHmitteilungen.davbb.de/images/2016/heft-3/lgbb_03_2016.pdf · ©Musée du Louvre, Paris Säulen des Apollontempel in Side Verbandskonto: IBAN:

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Gaumlrtner (2007c) Gaumlrtner U Von Esel und Zikade Uumlberlegungen zu Phaedrus LGBB 51 2007 23ndash31Gaumlrtner (2011a) Gaumlrtner U Maske Perle Feile Lyra ndash Phaedrus die literarische Gattung und die klassische Bildung Hermes 139 2011 216ndash48Gaumlrtner (2011b) Gaumlrtner U palam muttire plebeio piaculum est Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der fruumlhen Kaiserzeit in Roumlmische Werte und roumlmische Literatur im fruumlhen Prinzipat hrsg v A Haltenhoff A Heil F-H Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253ndash77Gaumlrtner (2011c) Gaumlrtner U De lusu et severitate Zum Wert des Spiels bei Phaedrus in Noctes Sinenses Festschrift fuumlr F-H Mutschler zum 65 Geburtstag hrsg v A Heil M Korn J Sauer Heidelberg 2011 294ndash302Gaumlrtner (2015a) Gaumlrtner U Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Muumlnchen 2015 (Zetemata149)Gaumlrtner (2015b) Gaumlrtner U Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB 59 2015 79ndash85Gaumlrtner (2016) quod si labori fauerit Latium meo ndash Phaedrus ein Dichter zwischen den Welten in Zwischen den Welten Festschrift Pedro Barceloacute Entre los mundos Homenaje a Perdo Barceloacute hrsg von Chr Kunst E Faber D H de la Fuente Besanccedilon [im Druck]Gaumlrtner (2017) Gaumlrtner U Phaedrus 1975ndash2014 Lustrum 2017 [im Druck]Glauthier (2009) Glauthier P Phaedrus Callimachus and the recusatio to Success ClAnt 28 2009 248-78GrewingAcosta-HughesKirichenko (2013) The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art hrsg v F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013Hausrath (1936) Hausrath A Zur Arbeitsweise des Phaedrus Hermes 71 1936 70ndash103Henderson (1999) Henderson J Phaedrusrsquo Fables The original corpus Mnemosyne 52 1999 308ndash29Henderson (2001) Henderson J Telling Tales on Caesar Roman stories from Phaedrus Oxford 2001Holzberg (2012) Holzberg N Die antike Fabel Eine Einfuumlhrung Darmstadt 32012Houmlschele (2013) Houmlschele R Sit pudor et finis False closure in ancient epigram in The Door Ajar False Closure in Greek and Roman Literature and Art ed by F F Grewing B Acosta-Hughes A Kirichenko Heidelberg 2013 247ndash62Koster (1991) Koster S Phaedrus Skizze seiner Selbstauffassung in Die Antike im Brennpunkt hrsg v P Neukam Muumlnchen 1991 (Klassische Sprachen und Literaturen 25) 59ndash87Kuumlppers (1990) Kuumlppers J Zu Eigenart und Rezeptionsgeschichte der antiken Fabeldichtung in Arbor amoena comis 25 Jahre Mittellateinisches Seminar Bonn hrsg v E Koumlnsgen Stuttgart 1990 23ndash33La Penna (1961) La Penna A La morale della favola esopica come morale delle classi subalterne nellrsquoantichitagrave Societagrave 17 1961 459ndash537La Penna (1968) Fedro Favole Versione di A Richelmy Aggiunte le trenta bdquoFavolae novaeldquo a cura di A La Penna Testi latini a fronte Introduzione di A La Penna Torino 1968Lessing (1759) Gotthold Ephraim Lessing Fabeln Drei Buumlcher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts Berlin bei Christian Friedrich Voss 1759 (Abhandlungen S 111ndash233) zitiert nach Gotthold Ephraim Lessing Werke 5 Bd Literaturkritik Poetik und Philologie hrsg v H G Goumlpfert bearb v J Schoumlnert Muumlnchen 1973 352ndash419LuumlhrKruumlger (1981) Luumlhr F-F Kruumlger J Probleme politischer Bildung im altsprachlichen Unterricht AU 242 1981 5ndash28Luzzatto (1976) Fedro Un poeta tra favola e realtagrave Antologia a cura di M J Luzzatto Torino 1976 Mantildeas Nuacutentildeez (1996) Mantildeas Nuacutentildeez M Aproximacioacuten a la poeacutetica de Fedro Anuario de E-studios Filoloacutegicos 19 1996 321ndash36Mantildeas Nuacutentildeez (1998) Fedro y Aviano Faacutebulas Edicioacuten de M Mantildeas Nuacutentildeez Madrid 1998 (AkalClaacutesica 54)Marchesi (2005) Marchesi I Traces of a Freed Language Horace Petronius and the rhetoric of fable ClAnt 24 2005 307ndash30Mordeglia (2014a) Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a Bertini F a cura di C Mordeglia Bologna 2014Mordeglia (2014b) Mordeglia C Aldo Manuzio il Giovane e un nuovo manoscritto umanistico di Fedro Indagini preliminari in Lupus in fabula Fedro e la favola latina tra antichitagrave e medioevo Studi offerti a F Bertini a cura di C Mordeglia Bologna 2014 131ndash61Noslashjgaard (1967) Noslashjgaard M La fable antique Tome II Les grands fabulistes Koslashbenhavn 1967Oberg (2000) Oberg E Phaedrus-Kommentar Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000Pisi (1977) Pisi G Fedro Traduttore di Esopo Firenze 1977 (Universitagrave degli Studi di Parma Pubblicazioni della facoltagrave di magistero 4)Renda (2012a) Renda C Illitteratum plausum nec desidero Fedro la favola e la poesia Napoli 2012 (Studi Latini 80)

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

73LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

74 JAHRGANG LX middot LGBB 03 2016

bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

75LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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Grex Potsdamiensis

Training 1 ist ein binnendiff erenzierter Sprach-Trainer der weiterfuumlhrende Uumlbungen und Uumlbersetzungstexte zu den Bereichen Sprach- Text- und Kulturkompetenz bietet

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ROMATraining 1ISBN 978-3-661-40002-072 + 24 Seiten mit Lernsoftware euro 1690

DAS ARBEITSHEFT 1 ZU ROMA IST DA

Page 29: UND ©Musée du Louvre, Paris GRIECHISCHmitteilungen.davbb.de/images/2016/heft-3/lgbb_03_2016.pdf · ©Musée du Louvre, Paris Säulen des Apollontempel in Side Verbandskonto: IBAN:

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Renda (2012b) Renda C Come in unrsquoaula di tribunale Lessico giuridico autodifesa e ironia nei prologhi e negli epiloghi dei primi tre libri dellrsquoopera di Fedro in Forme e modi delle lingue e dei testi tecnici antichi a cura di R Grisolia G Matino Napoli 2012 255-86Rieks (1967) Rieks R Homo humanus humanitas Zur Humanitaumlt in der lateinischen Literatur des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts Diss Tuumlbingen 1964 Muumlnchen 1967Schanz (1913) Schanz M Geschichte der roumlmischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian Bd 22 Muumlnchen 31913 (HbAW 82)Schmidt (1979) Schmidt P L Politisches Argument und moralischer Appell Zur Historizitaumlt der antiken Fabel im fruumlhkaiserlichen Rom Der Deutschunterricht 316 1979 74ndash88Schnur (1985) Fabeln der Antike Griechisch ndash Lateinisch ndash Deutsch hrsg u uumlbers v H C Schnur uumlberarbeitet von E Keller Muumlnchen Zuumlrich 21985Smith (1968) Smith B H Poetic Closure A study of How poems end Chicago London 1968Swoboda (1962) Swoboda M De Phaedro Aesopi aemulatore Eos 52 1962 323ndash36Thiele (1906) Thiele G Phaedrus-Studien Hermes 41 1906 562ndash9Thomas (1983) Thomas R F Callimachus the Victoria Berenices and Roman Poetry CQ 33 1983 92ndash113Zago (2012a) Zago G Phaedriana MH 69 2012 190ndash3Zago (2012b) Zago G Fedro Perotti e Lorenzo Astemio Contributo alla storia del testo delle favole fedriane Hermes 140 2012 96ndash103Zago (2015) Zago G Per la storia e la costituzione del testo delle Favole di Fedro Un nuovo manoscritto il Vat lat 5190 e un nuovo testimone indiretto gli Hecatomythia di Lorenzo Astemio MD 74 2015 53ndash118

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

73LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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Grex Potsdamiensis

Training 1 ist ein binnendiff erenzierter Sprach-Trainer der weiterfuumlhrende Uumlbungen und Uumlbersetzungstexte zu den Bereichen Sprach- Text- und Kulturkompetenz bietet

CCBuchner Verlag GmbH amp Co KGLaubanger 8 | 96052 BambergTel +49 951 16098-200 | Fax +49 951 16098-270serviceccbuchnerde | wwwccbuchnerde

In Kuumlrze erscheinenauszligerdem

Lehrermappe 1 Vokabelheft Vokabelkartei 1 Pruumlfungen 1 Abenteuergeschichten 1 Whiteboard-Material

uvm

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ROMATraining 1ISBN 978-3-661-40002-072 + 24 Seiten mit Lernsoftware euro 1690

DAS ARBEITSHEFT 1 ZU ROMA IST DA

Page 30: UND ©Musée du Louvre, Paris GRIECHISCHmitteilungen.davbb.de/images/2016/heft-3/lgbb_03_2016.pdf · ©Musée du Louvre, Paris Säulen des Apollontempel in Side Verbandskonto: IBAN:

bdquoDieses Buch richtet sich an alle Phaedrusfreun-de Studierende aber auch Lehrende an den Schulen um die gerade bei diesen Texten so not-wendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wissenschaft anzuregenrdquo (Vorwort S 11) Die Fabeln des Phaedrus werden in der Schule nach wie vor gerne gelesen wohl mehr als ein Dutzend lateinische Schulausgaben sind in Gebrauch die Fachdidaktik hat sich viel mit ihm und der klei-nen Gattung Fabel beschaumlftigt (Bei Dieter Gerst-mann Bibliographie LateinunterrichtLateinische Autoren Paderborn 1997 330ff fi ndet man in 14 Spalten eine Fuumllle von Literatur zum Autor und zu einzelnen Fabeln) Ein sehr effi zientes didakti-sches Prinzip ist dabei der Vergleich Schuumllerinnen und Schuumller staunen immer wieder wenn sie die Entwicklungsgeschichte einzelner Fabeln durch die Jahrhunderte mit ihren unterschiedlichen Ak-zentuierungen Textumfaumlngen Deutungen und Interpretamenten erleben

Die Wissenschaft interessierten in der Vergan-genheit primaumlr Fragen der Motivgeschichte und sozialgeschichtliche Aspekte bdquoMan meinte hier-durch den Freigelassenen des Augustusrsquo die Stimme des Kleinen Mannesrsquo zu houmlren der pes-simistisch angesichts der Macht der Herrschen-

den die Anpassung predige Ferner wurde hierzu in der Regel ein biographischer Deutungsansatz verfolgt der die Gedichte aus der vermeintlichen Lebenserfahrungen ableiteterdquo (S 10) Ursula Gaumlrtner verweist freilich darauf dass diese Le-bensdaten mehr oder weniger aus den Fabeln erschlossen wurden und ist uumlberzeugt dass sich die Vielschichtigkeit der zunaumlchst so simpel erscheinenden Gedichte erst bei der Betrachtung der zahlreichen intertextuellen Bezuumlge erschlieszligtSie betonte bei ihren Vortraumlgen zu einzelnen Fa-beln des Phaedrus (zB in Potsdam und Berlin) wiederholt dass man bdquoin juumlngerer Zeit begon-

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REZENSIONENndash Von Josef Rabl ndash

Ursula Gaumlrtner Phaedrus Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln (Reihe Zetemata Band 149) CH Beck Muumlnchen 2015 298 Seiten ISBN 978-3-406-67363-4 7800 euro

nen (habe) ihn in literarischer Hinsicht ernst zu nehmen Deutlich wurde dabei dass er sich nicht nur auf verwandte Gattungen wie die iambische Dichtung und besonders die Satire bezieht son-dern dass die Fabeln durch zahlreiche Bezuumlge in ein intertextuelles Gewebe eingebunden sind das sich von der fruumlhgriechischen Literatur bis in die augusteische Dichtung und in Phaedrusrsquo ei-gene Zeit erstrecktrdquo (Vgl Ursula Gaumlrtner Anus diligens iuuenem item puella ndash Phaedrus und die Elegie LGBB Heft 42015 httplgbbdavbbdehomearchiv2015heft-4anus-diligens-iuuenem-item-puella-phaedrus-und-die-elegie) Das ist fraglos ein neuer wissenschaftlicher Ansatz zum Verstaumlndnis der Fabeln des Phaedrus Dieser ist maszliggeblich den langjaumlhrigen Forschungen Ursu-la Gaumlrtners zu verdanken welche die roumlmischen Werte und das poetologische Spiel bei Phaedrus thematisieren Ihre Thesen an 31 Fabeln zu uumlber-pruumlfen dazu leistet der vorliegende Band gute Dienste ein Interpretationskommentar zu Phae-drusrsquo erstem BuchEin Einleitungsteil von 50 Seiten beschaumlftigt sich mit der Gattung Fabel und ihrer Tradition sowie Leben und Werk des Phaedrus Das ist reichlich komplex oft auch kompliziert und verwirrend (bdquo24 Ein Truumlmmerhaufen Die Uumlberlieferungsge-schichte 25 Uumlberschaubar Die Forschungsge-schichterdquo) die Autorin versteht es in sorgfaumlltiger Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur einen roten Faden zu legen Sie beschreibt Phae-drus als ambitionierten und eigenstaumlndigen Dich-ter als poeta doctus et ludens der in seinen hei-teren und lehrreichen Gedichten stets auch ein intellektuelles Spiel mit Idealen und Topoi der kallimacheisch-kleinpoetischen Tradition treibt (vgl S 43f bdquoleui calamo ludimus Die Ausein-andersetzung mit dem Dichtungsprogramm der Vorgaumlngerrdquo) Auf 200 Seiten wird sodann im Interpretations-teil jede der 31 Fabeln des ersten Buches der Reihe nach in ihrer uumlberlieferten Reihenfolge in-terpretiert und kommentiert Jedes Gedicht wird nach seinen Sinnabschnitten analysiert Gaumlrtner

Darstellung besticht besonders dadurch dass sie Phaedrusrsquo ausgefeiltes Spiel auf sprachlich-stilis-tischer Ebene und ndash sehr oft ndash seine metrischen Virtuositaumlt minutioumls darstellt Dies gilt auch fuumlr die intra- und intertextuellen Bezuumlge und Anspie-lungen in den einzelnen Gedichten die Gaumlrtner detailliert benennt Der oftmals reizvolle Blick auf das Nachleben der jeweiligen Fabel bzw die An-merkung dass sich spaumltere Nachdichtungen nicht fi nden oder auch bdquokeine Uumlberraschungen bietenrdquo rundet jedes der 31 Kapitel ab die Aufmerksam-keit gilt dabei spaumltantiken Prosaparaphrasen ebenso wie exemplarischen neuzeitlichen Bear-beitungen ua aus der Feder von Lessing La Fontaine W Busch Arntzen und Thurber

Ursula Gaumlrtners Phaedrusbuch wirbt dafuumlr (unter-stuumltzt von zahlreichen juumlngeren Arbeiten) poeto-logische Aussagen nicht biographisch zu deuten und den Dichter freizulassen aus allzu engen Festlegungen bdquoSeine Heimat ist die Literatur und zwar die griechische wie die lateinischerdquo (S 33) Die Verse des Phaedrus duumlrften demnach noch manches Neue und Uumlberraschende bereit halten

Uumlbrigens Band zwei des Interpretationskommen-tars liege leider seit Monaten in der Warteschleife so Ursula Gaumlrtner Der angekuumlndigte Forschungs-bericht zu Phaedrus erscheint aber demnaumlchst in der Reihe Lustrum ndash Internationale Forschungsbe-richte aus dem Bereich des klassischen Altertums in Goumlttingen

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SchoumlneBuumlcher

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

73LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

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Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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78 JAHRGANG LX middot LGBB 03 2016

Grex Potsdamiensis

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1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

75LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

76 JAHRGANG LX middot LGBB 03 2016

77LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

78 JAHRGANG LX middot LGBB 03 2016

Grex Potsdamiensis

Training 1 ist ein binnendiff erenzierter Sprach-Trainer der weiterfuumlhrende Uumlbungen und Uumlbersetzungstexte zu den Bereichen Sprach- Text- und Kulturkompetenz bietet

CCBuchner Verlag GmbH amp Co KGLaubanger 8 | 96052 BambergTel +49 951 16098-200 | Fax +49 951 16098-270serviceccbuchnerde | wwwccbuchnerde

In Kuumlrze erscheinenauszligerdem

Lehrermappe 1 Vokabelheft Vokabelkartei 1 Pruumlfungen 1 Abenteuergeschichten 1 Whiteboard-Material

uvm

Mehr Informationen fi nden Sie auf wwwccbuchnerde

ROMATraining 1ISBN 978-3-661-40002-072 + 24 Seiten mit Lernsoftware euro 1690

DAS ARBEITSHEFT 1 ZU ROMA IST DA

Page 32: UND ©Musée du Louvre, Paris GRIECHISCHmitteilungen.davbb.de/images/2016/heft-3/lgbb_03_2016.pdf · ©Musée du Louvre, Paris Säulen des Apollontempel in Side Verbandskonto: IBAN:

72 JAHRGANG LX middot LGBB 03 2016

1998 erschien bei Vandenhoeck amp Ruprecht das noch immer lesenswerte Baumlndchen bdquoMit dem Latein am Ende Tradition mit Perspektivenrdquo Sein Verfasser Karl-Wilhelm Weeber hatte sich damals (auf 150 Seiten) vorgenommen bdquoEltern Schuumllern und einer bildungspolitisch interessier-ten Oumlffentlichkeit die Bildungsleistungen des Fachs Latein naumlherzubringenrdquo 18 Jahre spaumlter erscheint vom selben Autor im Theiss Verlag ein 350 Seiten starker Band bdquoLatein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Cordquo Im Focus stehen weiterhin die Bildungsleistungen des Fachs Latein und der gleiche Adressatenkreis aber nicht nur bdquoDieses Buch moumlchte einen Bei-trag dazu leisten indem es aufzeigt wie leben-dig farbig und spannend das scheinbar tote La-tein in unserer gegenwaumlrtigen Welt einschlieszliglich der deutschen Sprache ist wie sich vieles in der Vermittlung des Faches veraumlndert hat und zeit-gemaumlszlig geworden ist ohne indes atemlos hinter dem Zeitgeist herzukeuchenrdquo (S 8) Das Buch ist bdquoeine schriftliche Werbung fuumlr Lateinrdquo (S23) zerpfl uumlckt allerdings auch manches Anti-Latein-

Argument etwa die Auffassung Latein stehe dem Idealtypus des trinlingualen Europaumlersrsquo ent-gegen der neben seiner Muttersprache zwei mo-derne europaumlische Sprachen beherrscht Schaut man sich die einschlaumlgigen Statistiken der Kultus-ministerien an so ist das ein nur auf den ersten Blick einleuchtender de facto aber widerlegbarer Anti-Latein-Einwand Das Gegenteil ist naumlmlich der Fall Wer Latein lernt lernt durchschnittlich mehr andere moderne Fremdsprachen als der Nichtlateinerrsquordquo(S 15) ndash sicher auch weil Latein eine gute Grundlage fuumlr Franzoumlsisch Spanisch und Italienisch schafft

Uumlber den Autor Karl-Wilhelm Weeber braucht man an dieser Stelle kein Wort zu verlieren Es gibt in Deutschland und den benachbarten deutschsprachigen Regionen keine Lehrkraft fuumlr

Karl-Wilhelm Weeber Latein ndash da geht noch was Ruumlckenwind fuumlr Caesar amp Co Mit Zeichnungen von Ferdinand Wedler Theiss Verlag ndash WBG Darmstadt 2016 352 S mit etwa 40 zweifarbigen Abbildungen Preis euro 2495 ISBN 978-3-8062-3341-4

73LGBB 03 2016 middot JAHRGANG LX

Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

SchoumlneBuumlcher

74 JAHRGANG LX middot LGBB 03 2016

bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

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Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

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Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

76 JAHRGANG LX middot LGBB 03 2016

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78 JAHRGANG LX middot LGBB 03 2016

Grex Potsdamiensis

Training 1 ist ein binnendiff erenzierter Sprach-Trainer der weiterfuumlhrende Uumlbungen und Uumlbersetzungstexte zu den Bereichen Sprach- Text- und Kulturkompetenz bietet

CCBuchner Verlag GmbH amp Co KGLaubanger 8 | 96052 BambergTel +49 951 16098-200 | Fax +49 951 16098-270serviceccbuchnerde | wwwccbuchnerde

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Latein die nicht zumindest eines seiner vielen Buumlcher zur roumlmischen Kulturgeschichte und Lite-ratur besitzt und haumlufi g nutzt gleich ob es um das roumlmische Alltagsleben die lateinische Grafi t-tiszene den antiken Sportbetrieb den Luxus im Alten Rom das alltaumlgliche Denglisch das stadtrouml-mische Nachtleben den Badebetrieb Rennbahn und Circus als Massenunterhaltung das Leben auf dem Land den Weinbau das Umweltver-halten in der Antike den roumlmischen Wahlkampf spezielle Figuren wie Diogenes Caesar und Cato oder das sprachliche Erbe Roms (und Griechen-lands) in den europaumlischen Sprachen geht Die Inhalte all dieser langjaumlhrigen Arbeitsfelder Karl-Wilhelm Weebers haben ndash wie koumlnnte es anders sein ndash Eingang gefunden in dieses Buch mit ei-nem groszligen Schuss Humor und Sinn fuumlr Unter-haltsames So ist es plausibel dass aus den 150 Seiten von 1998 schlieszliglich ein Kompendium von 350 Seiten entstanden ist mit Argumenten As-pekten Materialien und Anregungen fuumlr einen lebendigen farbigen und spannenden Lateinun-terricht Gerne waumlre ich sein Schuumller gewesen in einer Anfangsklasse oder in einem Lektuumlrekurs am Wilhelm-Doumlrpfeld-Gymnasium in Wuppertal das er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Ober-studiendirektor leitete

Die zentralen Komponenten des Bildungsfachs Latein und seine Alleinstellungsmerkmale im Ge-samtcurriculum (die dann im Verlauf des Buches z T in mehreren Kapiteln weiter ausgefuumlhrt werden) nennt Weeber schon im ersten Abschnitt bdquoStark in der Gegenwart fi t fuumlr die Zukunft ndash Warum La-tein lebtrdquo (S8-23) bdquoRichtig Grammatikrsquo haumltten sie nur im Lateinunterricht gelernt raumlumen selbst Skeptiker und Kritiker des Lateinunterrichts einrdquo - Uumlbersetzen ist bdquoeine Form gelenkter sprachli-cher Kreativitaumltrdquo bdquodiese Schulung in deutschem Wortschatz und deutscher Ausdrucksfaumlhigkeit wird bei freien Sprachproduktionen wie Aufsaumlt-zen und Berichten nicht erreicht weil man dort aufgrund der groumlszligeren Freiheit leicht ausbuumlxenrsquo kannrdquo ndash Belastbare wissenschaftliche Untersu-

chungen zeigen die kompensatorische Wirkung des Lateinlernens fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller mit Migrationshintergrund ndash bdquoLatein ist nicht nur ein Sprach- sondern auch ein Sachfach das Basiswissen (und haumlufi g noch mehr) uumlber die Zivi-lisation der Roumlmer vermittelt und zwar erheblich umfassender als es der Geschichtsunterricht tut In Sachen antiker Kulturkunde ndash einschlieszliglich griechischer Mythologie und anderer kultureller Leistungen der Griechen die sich Rom zueigen gemacht hat ndash ist Latein ebenfalls konkurrenz-losrdquo ndash Uumlbersetzen Kulturkunde und Grammatik bezeichnet Weeber denn als die drei Alleinstel-lungsmerkmale die natuumlrlich auch im Literatur-unterricht bedientrsquo werden der auf die Spra-cherwerbsphase folgt Selbstverstaumlndlich werde groszligersquo roumlmische Literatur im Lateinunterricht gelesen (Ovid Seneca Cicero Vergil) in diesem Buch habe er indes bdquoden Akzent auf literarische Newcomerrdquo gelegt die seit einigen Jahrzehnten in den Kanon der Schulschriftsteller aufgestiegen sind Petrons Schelmenroman Martials Spott-epigramme Ovids beruumlhmte Liebeskunst ndash bdquoUnd wie passt Caesars Bellum Gallicum dieser alte Hut ndash manch einer wird sagen dieser uralt Lang-weiler ndash in dieses literaturdidaktische Novitaumlten-Kabinett Weil er im Hinblick auf seine literarische Meisterschaft und geschickte manipulative Leser-lenkung gelesen alles andere als ein Langweiler ist Und weil man ihn zudem als hochmodernen Autor lesen kann der uns in mancher Hinsicht die Augen uumlber uns selbst zu oumlffnen vermagrdquo ndash

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bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

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Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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Grex Potsdamiensis

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74 JAHRGANG LX middot LGBB 03 2016

bdquoWo Deutsch und Englisch draufsteht ist oft La-tein drinrdquo Das kann Weeber in unuumlbertrefflicher Weise belegen bdquoLatein bietet neben der Faumlhig-keit viele lateinstaumlmmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas ndash sogar den slawischen ndash zu durchdringen und sie auf ihren urspruumlnglichen Kern zuruumlckzufuumlhren spannen-de Einblicke in die Welt der Lehnwoumlrter die als besonders gut integrierte Sprachmigrantenrsquo ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemuumlht sindrdquo ndash Beilaumlufig konstatiert Weeber dass das Schreckensklischee vom erbarmungslosen Pauk-fach nichts mit der Realitaumlt zu tun habe dass die Faktoren Lernmotivation und Schuumllernaumlhe im La-teinunterricht angekommen seien dass der Typus des klassischenrsquo Lateinlehrers der Vergangenheit angehoumlre dass freilich Lernen zu Latein gehoumlre ganz so wie Gruumlndlichkeit Genauigkeit und Be-harrlichkeit dazugehoumlrten bdquoMan braucht einen langen Atem wenn man Latein lernt ndash ein Durch-haltevermoumlgen das in aumlhnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen trans-ferierbar ist Und es sind Eigenschaften die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen koumlnnenrdquo Noch eine zentrale Position Weebers bdquoLatein und Schule sollen Spaszlig machen aber es ist eine Illusi-on zu glauben dass sie immer nur Spaszlig machen koumlnnen ndash und ziemlich unverantwortlich den totalen Spaszlig-Eindruck zu erwecken Lernen ist auch Arbeit und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen Aber es ist keine vergebene Muumlhe man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafuumlr ndash mehr als an einem paumldagogisch weichgespuumllten Wohlfuumlhl-Ambien-te das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend istrdquo

Dreiszligig Kapitel und ein umfassendes Literaturver-zeichnis mit bis zu einem Dutzend Angaben pro Kapitel machen das Buch aus Der Leser kann sich kapitelweise in beliebiger Reihenfolge durch das Buch arbeiten beginnt vielleicht mit bdquoBio-Latein ndash

Die Symbiose zweier Wissenschaftsweltenrdquo (293ff) mit bdquoGlamouroumlse Deponentien ndash Vom Zauber der Grammatikrdquo (149ff) oder bdquoPetere Populus Pietasrsquo ndash Was heiszligt Uumlbersetzenrsquo (79ff) vertieft sich in einen Lektuumlrevorschlag bdquoZu Gast beim Koumlnig der Angeber ndash Petrons vergnuumlgliches Aufsteiger-Soziogrammrdquo (40ff) in-formiert sich uumlber Sprachfoumlrderung durch Latein in bdquoSalve Mehmet Salve Aylinrdquo (97ff) geht Latein-Spuren in der Gegenwart nach im Kapitel bdquoVoll stabile Sprache ndash Jugendjargon mit Latein-anleihenrdquo (324ff) oder bdquoHamburger Hosentrauml-ger Handy ndash Wie sag ichrsquos auf Lateinrdquo (276ff) oder bdquoSchimpfen Fluchen Verwuumlnschen ndash Ein kleiner Ausflug ins Gossen-Lateinrdquo (186ff) Zur Wahl stehen Kapitel uumlber sprachliche Kompeten-zen bdquoRersquo- und Exrsquo- Conrsquo- und Prorsquo- Sprachbau-steine nicht nur fuumlr Lateinrdquo (106ff) bdquoMitgelernte Sprachen ndash Wie die Mutter Bruumlcken bautrdquo (134ff) oder kulturgeschichtliche Themen wie bdquoWarum 12 = 10 ist ndash Oder Unser roumlmischer Kalenderrdquo (204ff) oder bdquoVon A wie Amulett bis Z wie Zensur ndash Wie die Roumlmer unseren Kulturwortschatz berei-chernrdquo (116ff) oder bdquoZahnpasta und Hooligans ndash Kulturgeschichte in 40 Begriffenrdquo (210ff) Natuumlr-lich geht es auch um Juristenlatein um Kochen mit Apicius lateinische Grafitti das Alte Rom im modernen Film die Latinitas Viva und das Latein-Recykling im Denglisch-Test

Langer Rede kurzer Sinn dieses Buch ist wieder ein bdquoechter Weeberrdquo unterhaltsam sehr anre-gend ndash selbst fuumlr den erfahrenen Unterrichtsprak-tiker ausgesprochen informativ und motivierend also Pflichtlektuumlre fuumlr die neue Lateinlehrergene-ration

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Houmlhepunkt eines jeden Sommersemes-ters der Klassischen Philologen der Universitaumlt Potsdam ist seit Studen-tengedenken das Sommerfest im Gruumlnen und die obligatorische Thea-

terauffuumlhrungIm Jahr der groszligen Trierer Nero-Ausstellung war der Plot plausibel Kaiser Nero hatte zum Dinner geladen aber da er alle potenziellen Angehoumlrigen und Gaumlste fuumlr solch ein Fest bereits hat ermorden lassen bleibt nur ein Dinner for oneEs geht dann aber noch viel weiter Herkules tritt in Aktion Zeus nimmt das Heft in die Hand schlieszliglich sitzen die Goumltter des oumlstlichen und westlichen Imperiums uumlber Nero zu Gericht Die Urteile koumlnnten nicht vielfaumlltiger sein Groszliges Donnerwetter Spott und Kritik aber auch viel Sympathie fuumlr Nero

Messalina macht sich schlieszliglich in der Unter-welt stark fuumlr den Imperator Dennoch steht es schlecht um ihn Seine ermordeten Zeitgenossen wollen keinen Finger fuumlr ihn kruumlmmen

Pythagoras plaumldiert schlieszliglich dafuumlr aus ihm Gemuumlse zu machen ihn zu verkuumlrbissen So ge-schieht es denn auchDas Publikum folgte ndash wie immer ndash houmlchst amuuml-siert dem Geschehen und schmunzelte uumlber die fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Sympathie fuumlr Nero fl otte Aneinanderreihung von Nero-Klischees

Der Grex Potsdamiensis

b tet zum

Sommer ater

Die Verkuumlrbissung des Kaisers Nero

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Grex Potsdamiensis

Training 1 ist ein binnendiff erenzierter Sprach-Trainer der weiterfuumlhrende Uumlbungen und Uumlbersetzungstexte zu den Bereichen Sprach- Text- und Kulturkompetenz bietet

CCBuchner Verlag GmbH amp Co KGLaubanger 8 | 96052 BambergTel +49 951 16098-200 | Fax +49 951 16098-270serviceccbuchnerde | wwwccbuchnerde

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