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A. Holstein 1 · G. Wieczorek 2 · D. Nahrwold 1 · E.-H. Egberts 1 1 Medizinische Klinik I, Klinikum Lippe-Detmold 2 Institut für Pathologie, Klinikum Lippe-Detmold Vater und Sohn mit Muskelschmerzen und Kraftlosigkeit Wiederholte Blutkulturen zeigten kein Keimwachstum. Technische gestützte Untersuchungen EKG: Sinustachykardie von 110/Minute, ansonsten unauffällig. Röntgen Thorax, Sonographie des Abdomens und Echo- kardiographie waren unauffällig. Die Computertomographie des Gehirns und Gesichtsschädels bestätigte eine ausgeprägte Sinusitis maxillaris und ethmoidalis. Muskelbiopsie Bei persistierender schwerer Sinusitis erfolgte eine erneute antibiotische Be- handlung mit Sulbactam/Ampicillin. Da die Sinusitis für die schweren Myal- gien mit Laborkonstellationen einer Myositis sowie für die Eosinophilie kei- ne Erklärung bot, wurde unter der Ver- dachtsdiagnose der Polymyositis bzw. Eosinophilen Myositis eine Biopsie des äußerst schmerzhaften Musculus del- toideus durchgeführt. Hier ergab sich zunächst der Befund einer unspezifi- schen interstitiellen Myositis mit ein- zelnen Eosinophilen. Aufgrund der un- Fallbericht Anamnese Ein 48jähriger Feuerwehrmann stellte sich mit dem Initialsymptom eines akut aufgetretenen einseitigen periorbitalen Ödems einem Augenarzt vor und wurde von ihm in eine HNO-Klinik eingewie- sen. Dort diagnostizierte man klinisch und radiologisch eine Sinusitis maxilla- ris und ethmoidalis, es erfolgte eine ins- gesamt 10tägige Cephalosporin-Behand- lung. Das periorbitale Ödem zeigte eine vollständige Rückbildung, der Patient war konstant fieberfrei und wurde nach 7 Tagen entlassen. Jedoch entwickelte sich in den folgenden Tagen ein schwe- res Krankheitsbild mit Fieber, Tachy- kardie, Gewichtsverlust, Kraftlosigkeit und ausgeprägten Muskel- und Gelenk- schmerzen. Bereits geringste Belastun- gen, wie das Anheben einer Mineral- wasserflasche oder das Umdrehen im Bett, bereiteten heftigste Schmerzen der beanspruchten Muskelgruppen, die erst ca.10–15 Sekunden nach der Bela- stung auftraten. Da sich die Beschwer- den dramatisch verstärkten, wurde der Patient im August 1995, 11 Tage nach dem Initialsymptom des periorbitalen Ödems, in unsere Klinik eingewiesen. Die Vorgeschichte und Familienana- mnese des Patienten waren unauffällig; keine Auslandsaufenthalte in den letz- ten Jahren. Der Internist 6·99 | 673 Kasuistik Internist 1999 · 40:673–677 © Springer-Verlag 1999 Dr. A. Holstein Medizinische Klinik I, Klinikum Lippe-Detmold, Röntgenstraße 18, D-32756 Detmold& / f n - b l o c k : & b d y : Befunde Körperlicher Untersuchungsbefund 48jähriger Patient, 182 cm, 92 kg, in re- duziertem Allgemein- und gutem Er- nährungszustand. Temperatur rektal 39,0° C. Puls 108/min, rhythmisch. RR 110/70 mm Hg. Hirnnerven und peri- pher-neurologischer Status unauffällig. Kopf, Hals, Haut unauffällig. Keine Lymphknotenvergrößerungen. Keine Ödeme. Kardial und pulmonal unauf- fälliger Status. Abdomen weich, Leber und Milz nicht vergrößert tastbar. Hochgradige Druckdolenz der gesam- ten Muskulatur, betont von Oberarmen und Oberschenkeln. Laborbefunde BKS 40/75 mm n.W.,C-reaktives Protein 12,3 mg/dl (normal <0,5 mg/dl), Alpha 2 - Globuline 15,9%, Leukozyten 13800/μL, Eosinophile 21%, LDH 383 U/L, CPK 251 U/L, CK-MK 14 U/L, GOT 19 U/L, GPT 29 U/L; IgE 322 IE/ml (normal <180 IE/ml). Im Urinstatus geringgradige Leukozyturie und Erythrozyturie. Im Normbereich lagen Rotes Blut- bild, Kreatinin, Harnstoff, Elektrolyte, Harnsäure, Quick, PTT,AP, γ-GT, Biliru- bin, Amylase, Lipase, Blutglukosetages- profil, TSH, Anti-Streptolysin, Rheuma- faktor,Antinukleäre Antikörper,ANCA, Toxoplasmose-Antikörper (IgG, IgM).

Vater und Sohn mit Muskelschmerzen und Kraftlosigkeit

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Page 1: Vater und Sohn mit Muskelschmerzen und Kraftlosigkeit

A. Holstein1 · G.Wieczorek2 · D. Nahrwold1 · E.-H. Egberts1

1 Medizinische Klinik I, Klinikum Lippe-Detmold2 Institut für Pathologie, Klinikum Lippe-Detmold

Vater und Sohnmit Muskelschmerzenund Kraftlosigkeit

Wiederholte Blutkulturen zeigten keinKeimwachstum.

Technische gestützte Untersuchungen

EKG: Sinustachykardie von 110/Minute,ansonsten unauffällig. Röntgen Thorax,Sonographie des Abdomens und Echo-kardiographie waren unauffällig. DieComputertomographie des Gehirnsund Gesichtsschädels bestätigte eineausgeprägte Sinusitis maxillaris undethmoidalis.

Muskelbiopsie

Bei persistierender schwerer Sinusitiserfolgte eine erneute antibiotische Be-handlung mit Sulbactam/Ampicillin.Da die Sinusitis für die schweren Myal-gien mit Laborkonstellationen einerMyositis sowie für die Eosinophilie kei-ne Erklärung bot, wurde unter der Ver-dachtsdiagnose der Polymyositis bzw.Eosinophilen Myositis eine Biopsie desäußerst schmerzhaften Musculus del-toideus durchgeführt. Hier ergab sichzunächst der Befund einer unspezifi-schen interstitiellen Myositis mit ein-zelnen Eosinophilen. Aufgrund der un-

Fallbericht

Anamnese

Ein 48jähriger Feuerwehrmann stelltesich mit dem Initialsymptom eines akutaufgetretenen einseitigen periorbitalenÖdems einem Augenarzt vor und wurdevon ihm in eine HNO-Klinik eingewie-sen. Dort diagnostizierte man klinischund radiologisch eine Sinusitis maxilla-ris und ethmoidalis, es erfolgte eine ins-gesamt 10tägige Cephalosporin-Behand-lung. Das periorbitale Ödem zeigte einevollständige Rückbildung, der Patientwar konstant fieberfrei und wurde nach7 Tagen entlassen. Jedoch entwickeltesich in den folgenden Tagen ein schwe-res Krankheitsbild mit Fieber, Tachy-kardie, Gewichtsverlust, Kraftlosigkeitund ausgeprägten Muskel- und Gelenk-schmerzen. Bereits geringste Belastun-gen, wie das Anheben einer Mineral-wasserflasche oder das Umdrehen imBett, bereiteten heftigste Schmerzender beanspruchten Muskelgruppen, dieerst ca.10–15 Sekunden nach der Bela-stung auftraten. Da sich die Beschwer-den dramatisch verstärkten, wurde derPatient im August 1995, 11 Tage nachdem Initialsymptom des periorbitalenÖdems, in unsere Klinik eingewiesen.Die Vorgeschichte und Familienana-mnese des Patienten waren unauffällig;keine Auslandsaufenthalte in den letz-ten Jahren.

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KasuistikInternist1999 · 40:673–677 © Springer-Verlag 1999

Dr. A. HolsteinMedizinische Klinik I, Klinikum Lippe-Detmold,

Röntgenstraße 18, D-32756 Detmold&/fn-block:&bdy:

Befunde

Körperlicher Untersuchungsbefund

48jähriger Patient, 182 cm, 92 kg, in re-duziertem Allgemein- und gutem Er-nährungszustand. Temperatur rektal39,0° C. Puls 108/min, rhythmisch. RR110/70 mm Hg. Hirnnerven und peri-pher-neurologischer Status unauffällig.Kopf, Hals, Haut unauffällig. KeineLymphknotenvergrößerungen. KeineÖdeme. Kardial und pulmonal unauf-fälliger Status. Abdomen weich, Leberund Milz nicht vergrößert tastbar.Hochgradige Druckdolenz der gesam-ten Muskulatur, betont von Oberarmenund Oberschenkeln.

Laborbefunde

BKS 40/75 mm n.W., C-reaktives Protein12,3 mg/dl (normal <0,5 mg/dl),Alpha2-Globuline 15,9%, Leukozyten 13800/µL,Eosinophile 21%, LDH 383 U/L, CPK 251U/L, CK-MK 14 U/L, GOT 19 U/L, GPT29 U/L; IgE 322 IE/ml (normal <180IE/ml). Im Urinstatus geringgradigeLeukozyturie und Erythrozyturie.

Im Normbereich lagen Rotes Blut-bild, Kreatinin, Harnstoff, Elektrolyte,Harnsäure, Quick, PTT, AP, γ-GT, Biliru-bin, Amylase, Lipase, Blutglukosetages-profil, TSH, Anti-Streptolysin, Rheuma-faktor,Antinukleäre Antikörper,ANCA,Toxoplasmose-Antikörper (IgG, IgM).

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befriedigenden histologischen Diagnosewurde das klinische Krankheitsbildeingehend mit dem Patholen diskutiert,wegen der Eosinophilie die Differen-tialdiagnose einer Parasitose betont.Daraufhin erfolgte die Aufarbeitungder Muskelpräparate in Stufenschnit-ten. Erst jetzt ergab sich die endgültige,überraschende Diagnose (Abb. 1).

Diagnose

Akute Trichinose

Therapie und Verlauf

Retrospektiv bestätigte auch der Nach-weis spezifischer Antikörper gegen Tri-chinella spiralis (Enzym-Immuno-As-say Titer >100, Indirekter Hämaggluti-nationtest Titer 1:320) die histologischeDiagnose.

Erst nach genauem Befragen warzu eruieren, daß der 23jährige Sohn desPatienten ebenfalls seit ca. 2 Wochenüber Myalgien und Kraftlosigkeit in Ar-men und Beinen sowie Gewichtsverlustlitt. Zudem hätten vor 3 Wochen für ei-nen Tag breiige Diarrhöen bestanden.Insgesamt waren die Beschwerden desSohnes jedoch deutlich milder als dieseines Vaters. Bei einer Eosinophilievon 28% im Blutbild sicherte die Mus-kelbioposie aus dem M. deltoideus auchbeim Sohn die Trichinose.

Vater und Sohn gaben an, ca. 2 Wo-chen vor Beginn ihrer Symptomatik ge-grillt und unvollständig durchgebrate-ne Schweinefilets verzehrt zu haben.Das Fleisch hatten sie an dem Verkaufs-wagen einer Schlachterei gekauft. Dadie Mutter keinen Hunger hatte, aß sie

importiert, so daß das trichinöse Tiernicht identifiziert und zurückverfolgt wer-den konnte.Bei jährlich ca. 190 MillionenSchweineschlachtungen in den EU-Län-dern [1] muß jedoch eine fehlerhafte Tri-chinenbeschauung diskutiert werden.Alternativ könnte es sich um illegal im-portiertes Fleisch aus einem Nicht-EU-Staat gehandelt haben, das nicht kontrol-liert wurde. In unserer Region wurdenkeine weiteren Trichinose-Fälle entdeckt.

In Deutschland treten akute mensch-liche Trichinosen gegenwärtig nur nochsporadisch auf. Die Prävalenz der Jahre1990–1997 betrug 0–10 Fälle/Jahr (Ta-belle 1), wobei es sich um isolierte In-fektionen handelte, deren Erreger inder Regel aus importiertem Fleischstammten bzw. die im ferneren Auslanderworben wurden. Gerade der Ferntou-rismus mit Fleischverzehr in Ländernohne gesetzliche Pflicht zur Trichinen-untersuchung stellt eine potentielle In-fektionsquelle dar.

Die letzte Epidemie in Deutschlandtrat 1982 in Bitburg in der Eifel auf, da-mals waren nach dem Verzehr vonSchweinefleisch 402 Personen erkrankt[15]. Aus Osteuropa, aber auch ausFrankreich und Spanien wurden in denletzten Jahren noch begrenzte Epidemi-en mitgeteilt [4, 5, 12, 16]. Die Anerken-nung trichinenfreier Regionen, bei-spielsweise für die Niederlande undDänemark, wird von Experten kritischbeurteilt [3].

Erreger und Lebenszyklus

Die Trichinose des Menschen wird amhäufigsten durch Trichinella spiralis

nichts von dem Fleisch und erkranktedemzufolge nicht.

Vater und Sohn erhielten eine 14tä-gige Mebendazol-Therapie (3×500 mg/Tag). Noch unter der Therapie ergabsich eine Normalisierung der serologi-schen Entzündungsparameter sowieder Muskelenzyme, die Eosinophiliebildete sich nur protrahiert über Wo-chen zurück. Während der Sohn anhal-tend beschwerdefrei ist, klagt der Vaterauch 3 Jahre nach der akuten Trichinosenoch über residuale Schulter- und Ober-armschmerzen.

Diskussion

Epidemiologie

Tierische und menschliche Trichinosenkommen weltweit vor. Die gesetzlichePflicht zur Untersuchung des Frischflei-sches auf Trichinen in den 15 Mitglieds-staaten der Europäischen Union (EU)hat die menschliche Trichinose in West-europa zu einer Rarität werden lassen.Die jeweiligen Methoden der Trichinenin-spektion von Muskelgewebe des Schlacht-viehs (Mikroskopie, Trichinoskopie, di-verse artifizielle Digestionsmethoden)sind in den entsprechenden Richtliniender EU dargelegt (EU Council Directive77/96/EEC). Da in unseren Fall das öf-fentlich verkaufte Fleisch angeblich ausDeutschland oder anderen EU-Ländernstammte, muß eine vorherige Trichinen-beschau vorausgesetzt werden. Warumdas trichinöse Schweinefleisch uner-kannt blieb, konnte veterinäramtlichnicht geklärt werden. Der Großhändlerhatte im betreffenden Zeitraum aus 6 ver-schiedenen EU-Ländern Schweinefleisch

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Kasuistik

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Abb. 1 m Quergestreifte Muskulatur (Goldners Trichrom). Anschnitt einer Larve von Trichinella spiral-is. Perivaskulär Rundzellinfiltrate mit einem eosinophilen Granulocyten

Tabelle 1

Häufigkeit menschlicher Trichino-sen in Deutschland 1990–1997a

Jahr Häufigkeit

1990 61991 11992 31993 21994 01995 101996 11997 9Total 32

a Offiziell erfaßte Fälle des StatistischenBundesamtes

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hervorgerufen. Die Infektion erfolgtdurch den Verzehr von rohem oder un-genügend erhitztem Fleisch, welches le-bende Larven der parasitären Nemato-den enthält. Die Gattung Trichinellaumfaßt 5 eng verwandte Spezies vonunterschiedlicher geographischer Ver-teilung und Infektiosität für Mensch

Der domestische Zyklus in Europa wirdin der Regel über mit T. spiralis infizier-te Hausschweine übertragen. Bei sylvati-schen Formen mit T. britovi oder selte-ner auch T. spiralis bilden fleischfres-sende wildlebende Tiere, wie Rotfüch-se, Nager, Wildschweine oder Bären dasErregerreservoir. Die Übertragung do-mestischer und sylvatischer Trichino-sen ist von verschiedensten ökologi-schen Faktoren abhängig [13, 14].

und Tier: Trichinella spiralis, T. nativa,T. nelsoni, T. britovi und T. pseudospira-lis. Für Deutschland und Europa besit-zen T. spiralis und T. britovi die weitausgrößte Bedeutung [6, 7, 12, 13].

Abbildung 2 demonstriert den Le-benszyklus von T. spiralis, der Zykluswird komplett in einem Wirt durchlebt.

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Abb. 2 m Enterale Phase (a) und parenterale Phase (b) von T. spiralis (modifiziert nach [8])

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Klinische Symptomatik

Die meisten menschlichen Trichinosenverlaufen asymptomatisch oder bleibenbei milder Symptomatik klinisch unbe-merkt. Aufgenommene Erregermengesowie Immunitätslage und Gesund-heitszustand des Wirtes modifizierendas klinische Bild. Die initiale enteralePhase, in der die mit dem Fleisch aufge-nommenen Trichinenlarven zu Adult-würmern reifen, die eine große Zahlvon Larven produzieren, welche dieDünndarmwand penetrieren, ist durchunspezifische gastrointestinale Be-schwerden (z.B. Übelkeit, Leibschmer-zen, Durchfall) gekennzeichnet. In dernach ca. 1 Woche folgenden, parentera-len Phase erfolgt die Generalisierungder neuentwickelten Larven, es resultie-ren u.a. diffuse Myalgien, betont im Ge-sichtsbereich lokalisierte entzündlicheÖdeme und Fieber [6, 7, 11, 12, 15].

Obwohl sich in unserem Fall dieTrichinose des Vaters mit ihren klassi-schen klinischen und laborchemischenSymptomen präsentierte, gestaltete sichdie Diagnose zunächst schwierig. Auf-grund der Seltenheit und fehlenderpersönlicher Erfahrungen der Ärztemit dem Krankheitsbild werden geradesporadische Trichinoseerkrankungenprimär nicht in die Differentialdiagno-se einbezogen [11]. Auch in inserem Fallwurden die Kardinalsymptome der Pa-rasitose

● periorbitales Ödem● Muskelschmerzen● Eosinophilie

initial von verschiedenen Ärzten ver-kannt bzw. auf die koexistente schwe-re Sinusitis bezogen.Erschwerend kam

Hämagglutinations-Test erfolgen [6,12]. Dabei sind die jeweiligen zeitlichenNachweisgrenzen zu beachten. Bei Ver-dacht bzw. Erkrankung bestehen Mel-depflicht.

Therapie und Prognose

Die antihelminthische Behandlung be-steht in der Gabe von Benzimidazolen,insbesondere Mebendazol 200 mg/ Tagoral über 5 Tage oder Albendazol. Beigeringer Resorption und hohem First-Pass-Effekt ist Mebendazol in dergastrointestinalen Phase effektiv, seineWirkung auf das muskuläre Stadiumder Trichinen wird kritisch beurteilt.Das Nebenwirkungsprofil ist günstigerals das des lange als Mittel der Wahlverwendeten Thiabendazol.Albendazolist ebenfalls nebenwirkungsärmer alsThiabendazol. Kortikosteroide sind ad-ditiv bei schweren Verläufen und le-bensbedrohlichen Komplikationen in-diziert, sie wirken antiinflammatorischund symptomatisch [5, 7, 6, 12].

Bei der Trichinose handelt es sichum eine potentiell tödlich verlaufendeErkrankung, insbesondere in Fällen mitspäter Diagnose bzw. mit zentralnervö-ser, myokardialer oder pulmonaler Be-teiligung. Die Letalität wird mit 0,3–maximal ca. 3% angegeben [2, 4, 12].

Bis zu Jahrzehnten nach dem Akut-stadium persistierende Myalgien, Kraft-losigkeit, Kopfschmerzen oder Augen-beschwerden wurden wiederholt mit-geteilt. Die Entität der „ChronischenTrichinose“ wird jedoch kontrovers be-urteilt [9, 10, 12]. Auch in unserem Fallklagt der Vater 3 Jahre nach Infektionnoch über Myalgien und Kraftlosigkeit.

Folgerungen

Trotz der in der EU gesetzmäßig vorge-schriebenen Frischfleischuntersuchungkommt es auch in Deutschland immerwieder zu sporadischen Infektionenmit Trichinen. Daher muß die breite,z.T. unspezifische Symptomatik dermenschlichen Trichinose nach wie vorin die Differentialdiagnose verschie-denster Erkrankungen einbezogen wer-den. Nicht zuletzt unterstreicht unsereKasuistik die Bedeutung der guten in-terdisziplinären Zusammenarbeit. DieDiskussion zwischen Internisten undPathologen über das zunächst unspezifi-sche und unbefriedigende Ergebnis der

hinzu, daß keine gastrointestinalenSymptome bestanden. Tabelle 2 zeigtdie Häufigkeit der wichtigsten klini-schen Symptome von 193 Patientender Bitburger Trichinose-Epidemie [15].

Diagnose

Die Verdachtsdiagnose der Trichinoseergibt sich aufgrund der klinischenSymptomatik. Laborchemisch sind Leu-kozytose mit Eosinophilie, Erhöhungder Akutphase-Proteine sowie der Mus-kelenzyme wegweisend.Von großer Be-deutung ist die detaillierte Anamnese:Erkrankungen in der Familie und imsozialen Umfeld, Auslandsaufenthalte,Verzehr von rohem oder ungenügendgebratenem/gekochtem Fleisch bzw.von außergewöhnlichen Fleischsorten(Wildschwein, Pferd, Bär, Kamel, Wal-roß u.a.).

Die definitive Diagnose erfolgtdurch eine Biopsie aus einem involvier-ten, d.h. schmerzhaften Muskel. Am be-sten lassen sich Larven im frischenQuetschpräparat mikroskopisch nach-weisen, bei sehr schwachem Befall ggf.erst nach artifizieller Digestion derMuskelprobe. Eine andere Methode be-steht im histopathologischen Nachweisder Larven [6, 12]. Wie in unserem Fallkann dieser durch die ungleichmäßigeVerteilung der Larven im Muskelgewe-be erschwert werden, so daß eine quan-titative Aufarbeitung in Stufenschnittenempfehlenswert ist. Da die serologischeDiagnostik eine ausreichend hohe Sen-sitivität und Spezifität aufweist, kanndie Diagnose u.a. auch durch den Nach-weis der verschiedenen Trichinella-Spezies assoziierten IgG-Antikörper(ELISA) oder durch den indirekten

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Kasuistik

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Tabelle 2

Symptomatologie der akuten Trichinose (nach [15])

Symptom Häufigkeit

Muskelschmerzen 85%Lid- bzw. Gesichtsödem 83%Gastrointestinale Beschwerden 62%Fieber 60%Grippeähnliche Symptome 56%Kopfschmerzen 26%Augenbeschwerden 19%Eosinophilie im Blutbild 92%Komplikationen (Myokarditis, Pneumonie, 13,5%meningeale Reizung, Hepatitis u.a.)

Page 5: Vater und Sohn mit Muskelschmerzen und Kraftlosigkeit

Muskelbiopsie resultierte in der soforti-gen Aufarbeitung der Präparate in Stu-fenschnitten und führte dann unmittel-bar zur Diagnose.

Wir danken Herrn Prof. Dr. Dr. habil. Ch.Ring, Direktor der Abteilung für Lebensmit-telhygiene- und mikrobiologie des Zen-trums für Lebensmittelwissenschaften ander Tierärztlichen Hochschule Hannover,für die kritische Durchsicht unseres Manu-skriptes.

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Der Internist 6·99 | 677

Zusammenfassung

Bei einem 48jährigen Patienten wurde ein

periorbitales Ödem als Begleitsymptom ei-

ner röntgenologisch gesicherten schweren

Sinusitis maxillaris et ethmoidalis interpre-

tiert.Trotz Antibiose und kompletter Rückbil-

dung des periorbitalen Ödems entwickelte

der Patient ein schweres Krankheitsbild mit

heftigsten disseminierten Myalgien, Kraftlo-

sigkeit, Fieber und Eosinophilie im Blutbild.

Eine Muskelbiopsie des M. deltoideus ergab

zunächst nur den Befund einer unspezifi-

schen Myositis. Erst nach Untersuchung der

Präparate in Serienschnitten zeigten sich

Larven von Trichinella spiralis; somit war die

Diagnose einer akuten Trichinose gesichert.

Beim Sohn des Patienten bestanden eben-

falls Myalgien und Kraftlosigkeit, jedoch in

deutlich milderer Form. Die Muskelbiopsie

bestätigte auch bei ihm eine Trichinose. Re-

trospektiv war zu eruieren, daß Vater und

Sohn ca. 2 Wochen vor Beginn ihrer Sympto-

matik unvollständig durchgebratene

Schweinefilets verzehrt hatten. Beide erhiel-

ten eine antihelminthische Therapie mit

Mebendazol.Während der Sohn beschwer-

defrei ist, klagt der Vater auch 3 Jahre nach

der Infektion immer noch über persistieren-

de Myalgien und Kraftlosigkeit. Die Trichino-

se muß unverändert in die Differentialdia-

gnose verschiedenster Erkrankungen einbe-

zogen werden.

Schlüsselwörter

Myalgien · Akute Trichinose ·

Trichineninspektion