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ESSAY Zusammenfassung: Anders als von Herfried Münkler konstatiert ist eine für die Botschaften irregulärer Gewaltakteure empfängliche und unterstützungswillige Öffentlichkeit auch für das Terrornetzwerk Al-Qaida von zentraler Bedeutung. Die in den vergangenen Jahren zu beobach- tende Intention der Terroristen, eine Maximierung materieller Schäden und von Todesopfern in der Zivilbevölkerung herbeizuführen, belegt keineswegs das Fehlen jeglicher politischer Zielset- zungen. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer bewussten Entgrenzung des Feindbegriffs. Al-Qaida hat dezidierte und genuin politische Ziele; den Kern seiner Strategie macht jedoch das Bemühen um eine hinreichende Mobilisierung der islamischen Bevölkerung aus. Die daraus resultierende fundamentale Bedeutung des „zu interessierenden Dritten“ für Al-Qaida bietet zahlreiche Ansatz- punkte für eine Strategie der „Gegenmobilisierung“, die sich stärker auf den Bereich der public diplomacy konzentriert denn auf militärische Gewaltanwendung. Schlüsselwörter: Terrorismus · Grand strategy · Al-Qaida · Afghanistan · Öffentlichkeit Of sympathisers and collateral damage. A responsive and supportive audience remains essential to contemporary transnational terrorism Abstract: Despite Herfried Münkler’s assertion to the contrary, a responsive and supportive au- dience remains essential for transnational terrorism. While it is true that terrorist networks like Al-Qaeda seek to maximise material damage and the number of civilian casualties, this does not imply that Al-Qaeda does not have a political agenda. The attempt to increase the inflicted damage stems from a deliberate dissolving of prior limits to the application of terrorist violence. At the heart of Al-Qaeda’s strategy is the attempt to mobilise the Islamic masses. Therefore, a responsive and supportive audience is indeed of fundamental importance to Al-Qaeda. This insight presents unique opportunities for developing a strategy of “countermobilisation”, which focuses on public diplomacy rather than the mere use of military force. Z Außen Sicherheitspolit (2010) 3:223–239 DOI 10.1007/s12399-010-0132-0 Von Sympathisanten und Kollateralschäden. Die bleibende Bedeutung des „zu interessierenden Dritten“ für den transnationalen Terrorismus Christoph Schwarz · Ralph Rotte Online publiziert: 23.03.2010 © VS-Verlag 2010 C. Schwarz, M.A. () Institut für Politische Wissenschaft Ahornstraße 55, 52074 Aachen, Deutschland E-Mail: [email protected] Prof. Dr. R. Rotte () Institut für Politische Wissenschaft Ahornstraße 55, 52074 Aachen, Deutschland E-Mail: [email protected]

Von Sympathisanten und Kollateralschäden. Die bleibende Bedeutung des „zu interessierenden Dritten“ für den transnationalen Terrorismus

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Essay

Zusammenfassung:  anders  als  von  Herfried  Münkler  konstatiert  ist  eine  für  die  Botschaften irregulärer  Gewaltakteure  empfängliche  und  unterstützungswillige  Öffentlichkeit  auch  für  das Terrornetzwerk al-Qaida von zentraler Bedeutung. Die  in den vergangenen Jahren zu beobach-tende  Intention  der Terroristen,  eine  Maximierung  materieller schäden  und  von Todesopfern  in der Zivilbevölkerung herbeizuführen, belegt keineswegs das Fehlen jeglicher politischer Zielset-zungen. sie ist vielmehr das Ergebnis einer bewussten Entgrenzung des Feindbegriffs. al-Qaida hat dezidierte und genuin politische Ziele; den Kern seiner strategie macht jedoch das Bemühen um eine hinreichende Mobilisierung der  islamischen Bevölkerung aus. Die daraus  resultierende fundamentale Bedeutung des „zu interessierenden Dritten“ für al-Qaida bietet zahlreiche ansatz-punkte für eine strategie der „Gegenmobilisierung“, die sich stärker auf den Bereich der public diplomacy konzentriert denn auf militärische Gewaltanwendung.

Schlüsselwörter:  Terrorismus · Grand strategy · al-Qaida · afghanistan · Öffentlichkeit

Of sympathisers and collateral damage. A responsive and supportive  audience remains essential to contemporary transnational terrorism

Abstract:  Despite Herfried Münkler’s assertion to the contrary, a responsive and supportive au-dience  remains  essential  for  transnational  terrorism. While  it  is  true  that  terrorist  networks  like al-Qaeda  seek  to  maximise  material  damage  and  the  number  of  civilian  casualties,  this  does not imply that Al-Qaeda does not have a political agenda. The attempt to increase the inflicted damage stems from a deliberate dissolving of prior limits to the application of terrorist violence. at  the  heart  of  al-Qaeda’s  strategy  is  the  attempt  to  mobilise  the  Islamic  masses.  Therefore, a  responsive  and  supportive  audience  is  indeed  of  fundamental  importance  to al-Qaeda.  This insight  presents  unique opportunities  for  developing  a  strategy of  “countermobilisation”, which focuses on public diplomacy rather than the mere use of military force.

Z außen sicherheitspolit (2010) 3:223–239DOI 10.1007/s12399-010-0132-0

Von Sympathisanten und Kollateralschäden.  Die bleibende Bedeutung des „zu interessierenden Dritten“ für den transnationalen Terrorismus

Christoph Schwarz · Ralph Rotte

Online publiziert: 23.03.2010  © Vs-Verlag 2010

C. schwarz, M.a. ()Institut für Politische Wissenschaftahornstraße 55, 52074 aachen, DeutschlandE-Mail: [email protected]

Prof. Dr. R. Rotte ()Institut für Politische Wissenschaftahornstraße 55, 52074 aachen, DeutschlandE-Mail: [email protected]

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Keywords:  Terrorism · Grand strategy · al-Qaeda · afghanistan · Public opinion

„In the absence of this popular support, the Islamic mujahed movement would be crushed in the shadows […]. Therefore, our planning must strive to involve the Muslim masses in the battle, and to bring the mujahed movement to the masses and not conduct the struggle far from them.“

Ayman Al-Zawahiri (2005, S. 4)

1   Einleitung

Ende Juli 2009 hat Taliban-Führer Mullah Omar einen aufruf an seine Kämpfer gerichtet, in dem er diese dazu auffordert, in den anstehenden Kämpfen unnötige Verluste unter der afghanischen  Zivilbevölkerung  nach  Kräften  zu  vermeiden.  Dies  zeigt  nicht  nur,  dass die „battle for hearts and minds“, die „schlacht um Herzen und Verstand“ der afghanen sowohl von der NaTO als auch den Taliban vor den Wahlen im vergangenen Jahr ins Zen-trum der auseinandersetzung gerückt wurde. Es zeigt auch, dass der bereits als obsolet angesehene „zu interessierende Dritte“ nach wie vor eine zentrale Größe im strategischen Kalkül  heutiger aufstandsbewegungen und Terrororganisationen  ist. Eine  für  die Bot-schaften  irregulärer Gewaltakteure empfängliche und unterstützungswillige Öffentlich-keit – der „zu interessierende Dritte“ – spielt auch in den Überlegungen al-Qaidas eine zentrale Rolle.

2   Das Theorem des „zu interessierenden Dritten“

Es ist eine paradoxe situation, wenn der Begründer eines Theorems selbiges für obso-let erklärt. Herfried Münkler hat genau dies getan. Mit Blick auf die Erscheinungsfor-men des Terrorismus in der Gegenwart hat Münkler wiederholt erklärt, dass die Figur des „zu interessierenden Dritten“ durch die „labile psychische Infrastruktur der west-lichen  Gesellschaften“  (Münkler  2004a,  s.  36)  als  eigentlichem  Ziel  terroristischer Gewalt  ersetzt  worden  sei.  Ursprünglich  hatte  der  Theoretiker  der  „neuen  Kriege“ mit seiner Begriffsprägung in einer „glücklichen Formulierung“ (Waldmann 1998, s. 37) das  strategische Kalkül des Terroristen dahin gehend beschrieben, dass „Gewalt angewendet wird im unterstellten Interesse von selbst unbeteiligten Dritten, die durch die Gewaltanwendung erst zum Handeln motiviert werden sollen“ (Münkler 1992, s. 166). Warum soll diese fiktive öffentliche Figur, die für nationalistisch-separatistischen ebenso  wie  für  sozialrevolutionären  Terrorismus  eine  schlüsselgröße  darstellte,  für den  fundamentalistisch-islamistischen Terror  à  la al-Qaida  nunmehr  gegenstandslos geworden sein?

Münkler benennt hierfür drei ursächliche Entwicklungen. Erstens sei eine Verselbst-ständigung terroristischer Gewalt gegenüber politischen Zielsetzungen zu konstatieren. Letztere  seien  ohnehin  nur  noch  vergleichsweise  schwach  ausgeprägt.  Terroristische 

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Gewalt wäre damit nicht mehr instrumenteller Natur, nicht länger Mittel zur Realisierung eines  übergeordneten  politischen  Zwecks  im  Clausewitz’schen  sinne,  sondern  selbst-zweck geworden. Zweitens benötigten terroristische akteure nicht mehr länger die Unter-stützung durch die  lokale Bevölkerung, da  sie  ihre  logistischen Bedürfnisse durch die Kooperation mit der organisierten Kriminalität, durch Partizipation an der schattengloba-lisierung, befriedigen können. schließlich werde die ausführung von anschlägen durch die am 11. september 2001 dramatisch demonstrierte Fähigkeit der Terroristen erleich-tert, die Infrastruktur der angegriffenen Länder in Waffen zu verwandeln. sind Terroristen damit weder aus logistischen, noch operativ-taktischen und schließlich auch nicht etwai-gen  politischen  Gründen  gezwungen,  die  sympathien  der  ortsansässigen  Bevölkerung zu gewinnen, dann sind schließlich – so Münkler – auch jegliche Beschränkungen in der Gewaltanwendung überflüssig geworden. Folgt man dieser Argumentation, so hat schein-bar das klassische Diktum Brian Jenkins’, dem zufolge „Terroristen viele Zuschauer und nicht viele Tote“ wollten, seine Gültigkeit unwiederbringlich verloren. Mehr noch: Die Kombination  medialer  Marktlogik  und  entgrenzter  Gewaltbereitschaft  hätte  ein  neues Paradigma geschaffen, das da lautet: „Mehr Tote, mehr Zuschauer“.

allein, die analyse des „neuen“ Münkler geht fehl; seine „alte“ Diagnose bezüglich der Bedeutung des „zu interessierenden Dritten“ gilt auch heute. Unzweifelhaft trifft die Beobachtung zu, dass die terroristische Gewaltanwendung – zumindest im Fall des funda-mentalistisch-islamistischen Terrorismus – in den vergangenen Jahren deutlich erkennbar auf eine Maximierung materieller schäden und vor allem Todesopfer in der Zivilbevöl-kerung abzielt. Dies ist nicht zuletzt am Verhältnis der Todesopfer pro anschlag deutlich zu ersehen; in vergleichender Perspektive zeigt der Trend hier in den vergangenen Jahren deutlich nach oben. Dies gilt übrigens auch, wenn man die anschläge des 11. september 2001  außen  vor  lässt.  Jenseits  der  Übereinstimmung  hinsichtlich  der  Phänomenologie endet  die  Gemeinsamkeit  jedoch  spätestens  dann,  wenn  es  um  die  Ursachen  der  ent-grenzten Gewaltanwendung geht. anders als von Münkler behauptet, ist diese weder auf das Fehlen politischer Zielsetzungen noch die unabhängig von der lokalen Bevölkerung vorhandene Befähigung, Operationsbereitschaft herzustellen, zurückzuführen. Vielmehr ist sie das Ergebnis einer durch die al-Qaida-Führung bewusst vorgenommenen Entgren-zung des Feindbegriffs. sämtliche als „Ungläubige“ eingestufte Personen, egal ob Mos-lem oder nicht, sind im wahrsten sinne des Wortes zum abschuss freigegeben. George W. Bushs berüchtigte Formel, nach der „ihr entweder für uns oder gegen uns seid“ ist durch al-Qaida sowohl hinsichtlich Exklusion, aber gerade auch in Bezug auf Inklusion, auf die spitze getrieben worden. Während einerseits jede als ungläubig eingestufte Person getö-tet werden darf, kann andererseits prinzipiell jeder, der sich zu den Zielen der Organisa-tion und dem islamischen Glauben bekennt, dieser beitreten. auch dies ist eine Neuerung im Vergleich zu terroristischen Vorläuferorganisationen: Es war noch nie so einfach, einer Terrororganisation beizutreten, oder sich ihr zumindest zugehörig zu fühlen.

3   Al-Qaida und der „zu interessierende Dritte“

Zwar  vermindert  der  extensive  Feindbegriff  tendenziell  sowohl  die  Hemmschwelle gegenüber der gewaltsamen Handlung als auch die hierfür notwendigen anforderungen 

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in Bezug auf Planung und Durchführung. Gleichwohl ist er nicht frei von teils drastischen Risiken und Nachteilen. Die größte Gefahr besteht in der möglichen ablehnenden Reak-tion gegenüber derart indiskriminierten und ausufernden Formen der Gewaltanwendung durch potenzielle sympathisanten und Unterstützer, aus deren Kreis zukünftige Rekruten gewonnen  werden  sollen.  Deutliche anzeichen  für  derartige  Negativreaktionen  hat  es bereits zur Genüge gegeben. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang nicht nur an die unmittelbar nach den anschlägen von New york und Washington einsetzende, weltweite Welle der sympathie gegenüber den Usa und der amerikanischen Bevölkerung, die auch weite Teile der islamischen Welt einschloss. Von unmittelbarerer Bedeutung dürfte hier jedoch  die  offen  missbilligende  Haltung  maßgeblicher  islamischer  Religionsgelehrter sowie der zeitweise deutliche abfall der Popularität Osama bin Ladens in der arabischen Welt  im  unmittelbaren  Gefolge  besonders  brutaler anschläge  sein  (vgl.  Gerges  2007; Ritzmann 2008; Pew Research Center 2009).

Nicht dass es dieser Vorwarnung bedurft hätte: Wie Lawrence Wright (2007, s. 233) herausgestellt hat, dürfte kaum ein Ereignis so tief im kollektiven Gedächtnis der Ter-rororganisation des saudischen Milliardärssohns bin Laden verankert sein wie die Fol-gen des Todes der zwölfjährigen schajma im Verlauf des fehlgeschlagenen attentats auf den damaligen ägyptischen Ministerpräsidenten sidki. Unmittelbar im anschluss erhob sich ein wahrer sturm öffentlicher Entrüstung gegen die attentäter und die verantwort-liche Organisation al Dschihad in der ägyptischen Öffentlichkeit;  jegliche Unterstüt-zung durch die lokale Bevölkerung war damit auf absehbare Zeit verspielt. Vor diesem Hintergrund kann es kaum überraschen, dass der  seinerzeit  federführende ayman al-Zawahiri,  heute  bekanntermaßen  die  rechte  Hand  von  Osama  bin  Laden,  den  inzwi-schen getöteten statthalter  der al-Qaida  im  Irak, abu Musab  al Zarqawi,  angesichts dessen ausufernder Gewaltpraktiken gerade auch gegenüber Muslimen nachdrücklich zur Mäßigung anhielt. augenscheinlich nimmt die Notwendigkeit, sympathien in der islamischen Welt zu erhalten und auf diesem Weg den stetigen Zufluss an personellen und finanziellen Ressourcen zu gewährleisten, auch im aktuellen strategischen Kalkül al-Qaidas breiten Raum ein.

Die unverminderte Bedeutung des „zu interessierenden Dritten“ für den gegenwärti-gen Terrorismus à la al-Qaida lässt sich auch anhand der strukturellen Evolution des Ter-rornetzwerks nachvollziehen. Münkler attestiert „entterritorialisierten Netzwerken“ eine optimale Eignung, der unerwünschten, ja unter allen Umständen zu vermeidenden direk-ten militärischen Konfrontation mit der in dieser Hinsicht haushoch überlegenen Militär-maschinerie der Vereinigten staaten auch tatsächlich auszuweichen. Unzweifelhaft trifft diese Einschätzung zu: In der Tat ist ein dezentrales, durch flache Hierarchien gekenn-zeichnetes und durch persönliche Loyalitätsbeziehungen zusammengehaltenes Netzwerk schwerer zu infiltrieren, zu schädigen und schließlich zu zerstören als eine „klassische“ Terrororganisation mit hierarchischer Kommandostruktur. al-Qaida hat diese Erfahrung selbst gemacht:  Im Zuge der amerikanischen Intervention  im Oktober 2001  ist die bis dato bestehende Organisation mit ihren hierarchischen Entscheidungsstrukturen und – für eine in der Illegalität operierende Gruppe – teilweise grotesk anmutenden bürokratischen auswüchsen nahezu vollständig zerschlagen worden.

Der Übergang zu stärker dezentralen strukturen war damit keineswegs eine freiwil-lige Entscheidung der al-Qaida-Führung. Vielmehr war es im wahrsten sinne des Wortes 

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eine Frage von Leben und Tod, der handelnden Personen ebenso wie der Organisation als Ganze. Die adaption der Netzwerkstruktur musste einerseits erfolgen, um den Fort-bestand al-Qaidas zu gewährleisten. Diese Transformation konnte andererseits aber auch problemlos in angriff genommen werden, weil sie in Bezug auf den „zu interessierenden Dritten“  keine  negativen  Folgewirkungen  mit  sich  bringt.  Im  Gegenteil:  Erschwert  es die  stärkere  Dezentralisierung  den  erklärten  Feinden  des Terrornetzwerks  bin  Ladens, dieses endgültig zu zerschlagen, so ist allein die dergestalt demonstrierte Widerstands-fähigkeit ein Faktor, der die attraktivität al-Qaidas erhöht und zu ihrem Prestige in der islamischen Welt beiträgt. Darüber hinaus sind die Partizipationsmöglichkeiten in einem dezentralen Netzwerk gegenüber einer auf formeller Mitgliedschaft basierenden Organi-sation mit klar strukturierten Entscheidungs- und Kommandostrukturen erheblich breiter. Wie Brynjar Lia festgestellt hat, ist gerade die Tatsache, dass die „Mitgliedschaft“ in al-Qaida aktuell nahezu jedermann offen steht, ein zentraler Marketingvorteil im Vergleich mit anderen, „klassisch“ organisierten Terrororganisationen. Die Rekrutierungsbasis ist damit maximal ausgedehnt worden (Lia 2008, s. 5). Die Netzwerkform ist hierfür die optimale organisatorische Plattform: Keinerlei Voraussetzungen jenseits der Zustimmung zur globalen agenda des Terrornetzwerks und der Religionszugehörigkeit müssen erfüllt werden, keine ausbildungsgänge, die absolviert, keine Prüfungen, die bestanden werden müssen. Noch nie war es für den „zu interessierenden Dritten“ so einfach, seine durch erfolgreiche terroristische Gewaltakte geweckte Motivation, selbst zu handeln, auch tat-sächlich umzusetzen.

Damit  scheinen  die  „entterritorialisierten  Netzwerke“  in  der Tat  dem  zugrunde  lie-genden Zweck optimal angepasst. allein,  letzterer besteht gerade nicht nur darin,  sich gegnerischer Gewalteinwirkung zu entziehen und auf diesem Weg die eigene schlagkraft und Handlungsfähigkeit zu bewahren. Wie ein Blick auf die strategie al-Qaidas deutlich macht, geht es nicht in erster Linie darum, durch endlose Terrorakte angst und schrecken in den Bevölkerungen der Zielländer zu verbreiten und so politische Konzessionen zu erpressen. Unterscheidet man mit Lawrence Freedman zwischen außen- und Binnendi-mension von strategien (vgl. Freedman 2007, s. 321), so wird bei einer Betrachtung der strategie al-Qaidas schnell deutlich, dass Letzterer bisher eine zumindest gleichwertige, wenn nicht sogar eine noch größere Bedeutung zukommt als der äußeren Dimension. Die vorstehende zeitliche Einschränkung auf Vergangenheit und Gegenwart reflektiert den Umstand, dass bin Laden und al-Zawahiri bisher jegliche Äußerungen schuldig geblieben sind, die sich mit einem möglichen stadium jenseits des Terrorismus befassen. Dies heißt jedoch nicht, dass ein strategiewechsel im Falle einer Änderung der fundamentalen Rah-menbedingungen  prinzipiell  auszuschließen  ist.  Münklers  dahin  gehende  Feststellung, dass der Rückgriff auf terroristische Methoden der Gewaltanwendung eben kein Über-gangsstadium, keine Vorstufe zu anderen Formen der gewaltsam geführten auseinander-setzung sei, ist daher pure spekulation.

4   Die Strategie Al-Qaidas

Von besonderem Interesse ist jedoch die strategie al-Qaidas: Es ist ihr kennzeichnendes Merkmal, dass sie das geflügelte Wort, dem zufolge Terrorismus die Waffe des Schwa-

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chen ist, anerkennt. Mehr noch: Die Einsicht in die Unterlegenheit im Vergleich zu den erklärten „nahen“ und „fernen“ Feinden1 dient als ausgangspunkt der strategischen Pla-nung.  Relative  schwäche  bezieht  sich  hierbei  nicht  nur  auf  den  Bereich  militärischer schlagkraft, nicht nur auf den Bereich der Physis im Clausewitz’schen sinne. auch im Bereich der Moral, den der preußische General als zweiten wesentlichen Bereich der krie-gerischen Auseinandersetzung identifiziert hat (vgl. Clausewitz 1980, s. 269, 356–358), sieht sich al-Qaida im Nachteil. Es mangele der umma, der Gemeinschaft der Gläubi-gen,  schlichtweg an der nötigen Erkenntnis um die schmach und die Erniedrigungen, die ihr permanent durch die Feinde des Islam zugefügt werden. Daher fehle es auch am Widerstandswillen,  an  der  Bereitschaft,  sich  an  dem  bezeichnenderweise  als  defensiv ausgegebenen  Dschihad  zu  beteiligen.  Es  ist  diese  ernüchternde  Lageanalyse,  die  das ausschlaggebende Moment  für die  Implementierung einer Mobilisierungsstrategie dar-stellt, wie audrey Kurth Cronin die strategische Wahl al-Qaidas auf den Begriff gebracht hat (Cronin 2008, s. 53).

Wie zutreffend diese Verortung der strategie al-Qaidas ist, zeigt sich, wenn man sich bin Ladens Kommentar zu den anschlägen vom 11. september 2001 vor augen führt. Der Einsturz der Twin Towers und das schwerbeschädigte Pentagon waren nicht selbst-zweck,  nicht  irrationale  Umsetzung  pervertierter  Gewaltfantasien,  sondern  kühl  und präzise geplante akte instrumenteller Gewaltanwendung, deren Zweck nach bin Ladens eigener  schilderung  darin  bestand,  einen  Erweckungsprozess  in  der  islamischen  Welt auszulösen. Dieses „Erwachen“ bildet in seinen augen die Grundlage für die antizipierte finale Auseinandersetzung mit den USA und ihren Verbündeten, allen voran Israel, die mit der Vernichtung dieser Gegner enden werde.2 Mitnichten kann somit die Rede davon sein, dass es „einen zu ‚interessierenden Dritten‘ im sinne des herkömmlichen Terroris-mus […] nicht mehr [gibt]“ (Münkler 2004b, s. 5). Im Gegenteil, die strategie al-Qai-das  folgt  exakt  der  dies  bezüglich  von  Münkler  herausgearbeiteten  Logik:  Bin  Laden reklamiert für sich, im Interesse der umma zu handeln; die Gewaltakte dienen dazu, ein Erweckungserlebnis  in Gang zu  setzen,  zu demonstrieren, dass Widerstand notwendig und möglich ist, um breite Unterstützung durch die weltweite Gemeinschaft der Muslime zu erhalten. Dieses Erwachen schließlich ist die grundlegende Voraussetzung dafür, den Kampf gegen den „nahen“ und den „fernen“ Feind (vgl. steinberg 2005) zu gewinnen. Der Mobilisierung der Massen zur Teilnahme an der Gewalt, zum Widerstand gegen die 

1  Die  drastische  technologische  Unterlegenheit  ist  eine  der  zentralen  Größen,  anhand  derer sowohl die Verübung von selbstmordattentaten als auch der Tod von Muslimen im Verlauf von Anschlägen gerechtfertigt wird: „1. Bombarding the organizations of the infidels and apostates in this day and age has become an imperative of jihad in our war with the idolatrous tyrants, where weakened mujahidin battle massive and vigilant armies armed to the teeth: It has become next to impossible to confront them in open warfare. 2. The tyrants and leaders of the infidels shelter themselves in armored vehicles with lots and varied forms of intricate security measures, so that it has become exceedingly difficult to reach them without employing explosives and rockets and other missile weaponry. Therefore, it is permissible to fire at them“ (Al Zawahiri 2007b, s. 169).

2  „God willing, the end of america is imminent. […] Regardless if Osama is killed or survives, the awakening has started, praise to be to God. This was the point of these [11. september 2001] operations“ (bin Laden, zitiert nach: scheuer 2007, s. xxv).

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229Von sympathisanten und Kollateralschäden. Die bleibende …

vorhandenen, aber eben nicht ausreichend wahrgenommenen Übel, kommt auch im heu-tigen Terrorismus die Bedeutung eines Kräftemultiplikators zu, ohne den keine aussicht auf Erfolg besteht.

allerdings  haben  sich  im  historischen  Vergleich  die  Mittel  verändert,  mit  denen eine derartige Mobilisierung erreicht werden soll. an diesem Punkt kommen die bei-den  bereits  angesprochenen  Elemente,  die  entgrenzte  Gewaltanwendung  ebenso  wie die organisatorische Transformation hin zu dezentralen Netzwerkstrukturen wieder ins spiel. Die Erweiterung des Feindbegriffs und hier vor allem die mehrfache Kriegserklä-rung an die Usa sind gerade unter dem Gesichtspunkt einer möglichst breiten Mobili-sierung  folgerichtig.  Zum  einen  wird  damit  der  mangelnden  solidarisierungswirkung solcher Kampagnen Rechnung getragen, die sich ausschließlich gegen die als korrupt und unislamisch angesehen Regime im Nahen und Mittleren Osten richteten. Indem die Vereinigten staaten  ins Fadenkreuz genommen werden,  vergrößert  sich nicht  nur  die Zahl potenzieller Ziele exponentiell, auch die Legitimation der Gewaltakte wird deutlich einfacher. Zudem hat al-Qaida damit  jenseits der unzufriedenen Bevölkerungsteile  in den arabischen staaten auch potenziell Zugriff auf das riesige Reservoir der islamischen Diaspora. Insbesondere jene Migranten, die Gefühle der Entwurzelung, Fremdheit und Benachteiligung empfinden, dürften für die Botschaft der allumfassenden Schuld der Usa  und  ihrer Verbündeten  für  die  Missstände,  Benachteiligungen  und  Erniedrigun-gen der Muslime besonders empfänglich sein (vgl. The 9/11 Commission Report 2004,  s. 48–55).

Wie  nicht  zuletzt  der  Irakkrieg  von  2003  gezeigt  hat,  sind  die  Usa  in  dieser  Hin-sicht zudem ein dankbarer Gegner, bereit, das Image des Verursachers allen Übels durch ihre Politik zu bestätigen. Die Erweiterung des Feindbegriffs, die leicht nachzuvollzie-hende  kausale  Beziehung  zwischen  Ursache  und  Wirkung  amerikanischer außenpoli-tik und Missständen in der islamischen Welt, dienen somit nicht nur dazu, gewalt- und eskalationsbereiten Terroristen ein neues Betätigungsfeld zu erschließen. Vielmehr soll das  spektrum  des  „zu  interessierenden  Dritten“  maximal  erweitert  werden,  um  sämt-liche  potenziellen  Mobilisierungsquellen  auch  tatsächlich  auszuschöpfen.  Damit  dies auch erreicht wird, muss Handlungsfähigkeit demonstriert, müssen anschläge durchge-führt werden, was angesichts der breiten auswahl verfügbarer Ziele und der dichotomen Freund-Feind-Einteilung unschwer möglich ist.

Diesem Zweck der Mobilisierung des keineswegs marginalisierten, sondern im Gegen-teil erweiterten und an Bedeutung gewinnenden Kreises „zu interessierender Dritter“ ist die Netzwerkstruktur optimal angepasst. Nicht nur kann sich jeder Gleichgesinnte dem Kampf anschließen,  sondern er kann dies direkt  an Ort und stelle  tun. Die dezentrale struktur  mit  stützpunkten  in  einer  Vielzahl  von  Ländern  ermöglicht  erst  die  gezielte Nicht-selektivität der Gewaltanwendung, die ihrerseits globale Handlungsfähigkeit sug-geriert und damit als unterstützungswürdig erachtet werden kann. Die schwerwiegenden Nachteile  bezüglich  der  Fähigkeit  der  Führung,  diesen  Prozess  im  sinne  ihrer  strate-gischen Ziele tatsächlich zu steuern, können in diesem stadium vernachlässigt werden. Zu diesem Zeitpunkt geht es um den Nachweis von Handlungs- und Durchhaltefähigkeit, der fortwährenden Existenz einer Qaida, einer Basis, die im Zeitverlauf stetig breiter zu werden  verspricht.  Hierzu  ist  die  nur  schwer  zu  zerschlagende  Organisationsform  des Netzwerks tatsächlich vortrefflich geeignet.

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5   Die Notwendigkeit einer Strategie der „Gegenmobilisierung“

Wenn die vorstehende analyse der strategie al-Qaidas zutrifft, der „zu interessierende Dritte“ von zentraler Bedeutung für die Mobilisierungsstrategie des Terrornetzwerks ist, dann sind mit dieser Einschätzung weitreichende Implikationen in Bezug auf Erfolg ver-sprechende Maßnahmen zur abwehr des Terrorismus verbunden. In diesem Punkt trifft Münklers analyse in der Tat den kritischen Punkt: Es bedarf nicht nur einer „heroischen Gelassenheit“ aufseiten der Bevölkerung in den Zielstaaten, die um gezielte polizeiliche, geheimdienstliche und militärische schläge gegen terroristische akteure zum Zweck der Minimierung von anschlägen ergänzt wird,  es geht darüber hinaus „um die Trennung der Terrorgruppen im engeren sinn von ihrem Unterstützerumfeld“ (Münkler 2004b, s. 10). Gerade wenn Mobilisierung das Kernziel al-Qaidas darstellt, ist dieser letztgenannte Bereich nicht nur wichtig, er ist von herausragender Bedeutung. Münkler hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass gerade in Bezug auf diesen aspekt ein deutliches Missverhältnis zwischen Erkenntnis und darauf aufbauenden politischen Maßnahmen herrscht.

Einen  in  dieser  Hinsicht  vielversprechenden ansatz  haben  in  vergleichbarer  Weise sowohl Daniel Byman (2008, s. 173–190) als auch audrey Kurth Cronin (2008, s. 59–70) skizziert: Beide autoren sehen eine zentrale Erfolgsvoraussetzung darin, einen Per-spektivwechsel im Rahmen der public diplomacy3 herbeizuführen. Diese sollte weniger als bisher darauf abzielen, die ehrenwerten Motive und bisherigen Erfolge der Usa und ihrer Verbündeten  im Kampf gegen den  transnationalen Terrorismus herauszustreichen und statt dessen den Fokus auf die Verfehlungen der Terroristen richten. Eine derartige Vorgehensweise führt zwar vermutlich nicht dazu, dass sich das Image der Vereinigten staaten in den Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens deutlich verbessert. Dieser Entwicklung bedarf es allerdings auch gar nicht: Die Versuche der Usa, an ansehen in der islamischen Welt zu gewinnen, waren und sind instrumenteller Natur, nicht selbst-zweck. Man hoffte,  auf diesem Weg die Feindseligkeit gegenüber amerika und damit gleichzeitig die Bereitschaft zur Gewaltanwendung gegenüber den Vereinigten staaten, ihren staatsangehörigen und Einrichtungen auf amerikanischem Territorium und in Über-see reduzieren zu können. Wenn nun dieses oberste Interesse eines jeden amerikanischen Präsidenten  –  Barack  Obama  stellt  in  dieser  Hinsicht  keine ausnahme  dar,  wie  unter anderem seine viel beachtete Kairoer Rede gezeigt hat4 – auch auf anderen Wegen erreicht werden kann, so sollte diese alternative ernsthaft erwogen werden.

Indem das scheinwerferlicht weniger auf die Vorzüge des American Way of Life, des demokratischen und pluralistischen Gesellschaftsmodells sowie der Gleichberechtigung von Mann und Frau und statt dessen mehr auf die zahlreichen Beispiele brutaler, unter-schiedsloser Gewalttaten der Terroristen sowie ihre Schwachpunkte und Defizite auf stra-

3  Public diplomacy wird im Folgenden entsprechend der Definition von Babst verstanden als „politikbegleitende Öffentlichkeitsarbeit von Regierungen oder Organisationen gegenüber der globalen Öffentlichkeit. Im engeren sinne zielt Public Diplomacy auf ausländische Öffentlich-keiten, wird aber heute von einigen Regierungen auch als Instrument ihrer nationalen Öffent-lichkeitsarbeit verstanden“ (Babst 2009, s. 127).

� „[…] It is my first duty as President to protect the American People“ (Obama 2009).

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tegischer Ebene gerichtet wird, existiert eine vielversprechende Möglichkeit, das Image der  Terroristen  nachhaltig  zu  beschädigen  und  damit  direkt  ihre  Rekrutierungs-  und Mobilisierungsanstrengungen zu unterminieren. Gleichzeitig verringert eine solche Vor-gehensweise die Gefahr des Vorwurfs eines kulturellen Imperialismus, dem sich gerade die USA in der Region häufig ausgesetzt sehen. Daniel Byman hat diesen Zusammenhang ebenso kurz wie prägnant auf den Punkt gebracht: „Our goal is not to be loved; it is to make the jihadists hated“ (Byman 2008, s. 190).

Welche Ansatzpunkte lassen sich nun identifizieren, die geeignet erscheinen, den Ter-roristen die Diskurshegemonie zu entreißen? Denn darum geht es im Kern: Es darf bin Laden und seinen Gefolgsleuten nicht mehr länger gestattet werden, sich ungehindert als „Freiheitskämpfer“ der islamischen Welt zu inszenieren; sie müssen auch und gerade in den augen derjenigen, deren Interessen sie vorgeblich verteidigen, als Terroristen entlarvt werden. Im Fokus der öffentlichen und in Teilen auch der wissenschaftlichen Debatte aber stehen seit Jahren nicht in erster Linie die verbrecherischen anschläge des 11. septembers 2001 sowie die übrigen seither erfolgten Terrorakte, die ja erst die amerikanische Reak-tion in Form des global war on terror hervorbrachten. auch die zweifelhaften religiösen Legitimationsversuche von selbstmordanschlägen oder die parallel erfolgende maximale Erweiterung des Kreises der Ungläubigen, die es zu töten gilt, werden kaum kritisch unter die Lupe genommen.5 schließlich wird wenig mehr als routinemäßige abscheu gegenü-ber den wahrhaft verachtenswerten Methoden der Tötung durch Terroristen geäußert, die sich nicht mit dem bloßen gewaltsamen Akt begnügen, sondern diesen im Rahmen ihrer medialen Inszenierung noch möglichst brutal und entwürdigend in szene setzen.

6   Drei Elemente einer Public Diplomacy-Strategie

Das in sämtlichen hier angesprochenen aspekten enthaltene Potenzial für die Entwick-lung  eines  „Gegennarratives“  wurde  bisher  nicht  ausreichend  wahrgenommen.  statt dessen ging und geht es in erster Linie um die Fehler und Versäumnisse der amerikani-schen außen- und sicherheitspolitik sowie die Verbrechen amerikanischer soldaten und Geheimdienste.  Um  diesem  Missverständnis  bereits  an  dieser  stelle  vorzubeugen:  Es geht hier nicht darum, Letztere zu leugnen oder zu bestreiten, dass die Entscheidung zum Irakkrieg von 2003 gerade vor dem Hintergrund einer Konzentration der Kräfte in der auseinandersetzung mit dem transnationalen Terrorismus als kontraproduktiv zu bewer-ten ist. Gerade dieser Krieg hat den Rekrutierungsanstrengungen der Terroristen wie kein anderes Ereignis in die Hände gespielt (vgl. Priest u. White 2005), weil die Usa die ihnen zugeschriebene Rolle des Urhebers allen Übels aufs Neue bestätigt haben. Ein derartiger Perspektivwechsel  soll  auch nicht  dazu dienen,  zynische aufrechnungen  zu befördern nach dem Muster, welche seite für mehr Tote, für mehr Leid verantwortlich ist. Vielmehr geht es im Kern um die Demaskierung der Terroristen, welche deren selbstdarstellung als Retter der islamischen Welt nicht länger unkommentiert stehen lässt, sondern statt dessen 

5  Die Einführung  Ibrahims zu  seinem Al-Qaida Reader zeigt wertvolle ansatzpunkte  für  eine kritische Hinterfragung der im nachfolgenden Text wiedergegebenen Legitimationsmuster auf (vgl. hierzu al-Zawahiri 2007b).

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anhand möglichst nachprüfbarer Fakten ein zutreffendes Bild von deren schwächen, Ver-säumnissen und Grausamkeiten zeichnet.

Insbesondere drei sachverhalte bieten sich in diesem Zusammenhang als ausgangs-punkte an, um die Mobilisierungsstrategie der Terroristen nachhaltig zu beeinträchtigen: an erster stelle  ist hier der Umstand zu nennen, dass die überwiegende Mehrzahl der Opfer von anschlägen, die auf al-Qaidas Konto gehen, Muslime sind. Bereits Cronin hat auf diesen Umstand und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten der öffentlichen Dis-kreditierung al-Qaidas verwiesen: „Muslims are paying the heaviest price for al-Qaeda’s campaign, and this hypocrisy should be more widely published“ (Cronin 2008, s. 69). Im Vergleich zu neueren schätzungen hat die autorin den anteil muslimischer Opfer an direkt al-Qaida  zuzuordnenden anschlägen  allerdings  mit  mindestens  40%  noch  ver-gleichsweise niedrig angesetzt. Einer aktuellen studie des Center for Combating Terro-rism zu Folge waren im Zeitraum 2004 bis 2008 85% der Opfer Muslime, für die Jahre 2006 bis 2008 liegt dieser anteil sogar bei 98% (Helfstein et al. 2009, s. 2).

Dieses drastische Missverhältnis, bei dem sich die überwiegende Zahl der anschlags-opfer aufseiten genau des Personenkreises befindet, den Al-Qaida vorgeblich schützen bzw. dessen Interessen es vertreten will, bildet den idealen ansatzpunkt für eine öffent-lichkeitswirksame  Kampagne  durch  die  Zielstaaten  terroristischer  Gewalt.  Dies  umso mehr, als dass diese an eine gegenwärtig deutlich zurückgehende Popularität bin Ladens und al-Qaidas in der muslimischen Welt anknüpfen könnte (Pew Research Center 2009). Diese Entwicklung scheint nicht zuletzt das Ergebnis der in den vergangenen Jahren in Pakistan durchgeführten anschlagsserien und die dabei neuerlich zu verzeichnende hohe Zahl muslimischer Opfer zu sein (Plummer 2008).

Die  wachsende ablehnung  in  den  Gesellschaften  des  Nahen  und  Mittleren  Ostens geht einher mit einer zunehmenden Zahl an kritischen stimmen aus dem Kreis islami-scher  Religionsgelehrter.  Eine  vergleichbare  Entwicklung  war  bereits  unmittelbar  im anschluss an die anschläge vom 11. september 2001 zu beobachten, als es „Würden-träger des ‚gemäßigten‘ Islamismus“ (Keppel 2004, s. 135) ablehnten, die angriffe auf die Zwillingstürme des World Trade Centers und das Pentagon als Märtyreroperationen anzuerkennen (vgl. Keppel 2004, s. 135–136). Besondere Betonung sollte der Umstand erfahren, dass al-Qaida offensichtlich der Durchführung von anschlägen insgesamt mehr Priorität schenkt als der Frage, wer diesen anschlägen tatsächlich zum Opfer fällt. Diese „opportunistische Natur“ (Helfstein et al. 2009, s. 8) des Terrornetzwerks lässt einerseits erkennen, dass al-Qaida offenbar unter starkem Handlungsdruck steht: Die Mobilisie-rungsstrategie macht es geradezu zu einem Imperativ, seine Existenz- und Handlungs-fähigkeit fortwährend aktiv und aggressiv nachzuweisen – ohne Rücksicht darauf, wen dieser aktionismus trifft.6

Gerade mit Blick auf die Mobilisierungsanstrengungen könnte sich diese Handlungs-logik  jedoch  als  Bumerang  erweisen,  zumal  wenn  man  bedenkt,  dass al-Qaida  damit gegen ihre selbst erklärten Grundsätze in Bezug auf die Tötung von Muslimen verstößt: Ohnehin bereits denkbar weit angelegt, lässt sich aus der dies bezüglichen Verlautbarung 

6  Zugespitzt ausgedrückt könnte man aus dieser Entwicklung den schluss ziehen, dass das klas-sische Diktum, dem zu Folge die Guerilla gewinnt, solange sie nicht verliert, auf den transnati-onalen Terrorismus, wie er prototypisch von al-Qaida verkörpert wird, gerade nicht zutrifft.

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aus dem Umfeld von Osama bin Ladens stellvertreter Zawahiri keinesfalls die Berech-tigung  zur  überwiegenden  Tötung  von  Muslimen  im  Verhältnis  zu  den  infidels,  den Ungläubigen, ableiten. Die entscheidende stelle des Dokuments verdient es, an dieser stelle ausführlich zitiert zu werden:

He  [der Dschihadist, C.s./R.R.]  should never abandon  this obligatory duty  [zum Dschihad, C.s./R.R.] because some Muslims might be killed mistakenly, not inten-tionally. Whoever does die is in the hands of allah, and we trust that he is a martyr (al-Zawahiri 2007b, s. 168).7

Offensichtlich legt das Terrornetzwerk nur wenig Wert darauf, die eigens aufgestellten „Restriktionen“ einzuhalten: Weder wurden nur „einige“ der eigentlich als schutzbefoh-lene betrachteten Muslime getötet, noch erfolgte deren Tötung „versehentlich“: Wer sonst als einheimische Muslime sollte denn einem anschlag auf ein Hotel im pakistanischen Islamabad in der überwiegenden Mehrzahl zum Opfer fallen?

Der relativ gesehen außerordentlich hohe anteil an muslimischen Opfern ist lediglich eine der säulen, auf denen die verstärkten anstrengungen im Rahmen der public diplomacy und der auseinandersetzung um die Gunst des „zu interessierenden Dritten“ ruhen sollten. Ein vielversprechender zweiter ansatzpunkt besteht darin, den Umstand zu betonen, dass sich al-Qaida wesentlich stärker durch die Opposition gegen die seiner ansicht nach kor-rupten Regime des Nahen und Mittleren Ostens sowie die USA und Israel definiert, als durch eine eigene Vision jenseits des Widerstands hervorzutreten. so sucht man vergeblich nach konkreten strukturvorstellungen hinsichtlich des angestrebten panislamischen Kali-fats. Zudem hat bin Ladens Terrornetzwerk im bisher einzigen Fall, in dem es den Versuch unternommen  hat,  faktisch  auch  die  Regierungsgewalt  zumindest  für  einen  begrenzten Raum zu übernehmen, nachhaltig versagt. Interessanterweise ist der Islamic State of Iraq unter anderem daran gescheitert, dass sich die lokale Bevölkerung gegen die Herrschafts-ansprüche al-Qaidas zur Wehr setzte (Fishman 2009, s. 1–3)8 – geradezu ein schulbeispiel für die Bedeutung des „zu interessierenden Dritten“ in der auseinandersetzung mit dem transnationalen Terrorismus. Vahid Brown hat die am Beispiel des islamistischen Modell-versuchs der Staatsgründung im Irak deutlich gewordenen Defizite auf den Punkt gebracht, wenn er schreibt, dass „al-Qa’ida is terrible at state building“ (Brown 2007, s. 23).

Es ist nur auf den ersten Blick paradox, davon auszugehen, dass sich dieser sachver-halt gerade angesichts der offensichtlichen Versäumnisse der Usa und ihrer Verbünde-ten bei stabilisierung und Wiederaufbau des Irak und afghanistans aufdrängt, verstärkt thematisiert zu werden. Zugegeben, dies lässt die Fehler der westlichen staatengemein-schaft nicht geringer ausfallen, es führt unter Umständen jedoch dazu, angesichts einer wenig attraktiven alternative an Unterstützung in der einheimischen Bevölkerungen zu gewinnen. Zumindest im Irak ist eine ähnliche Entwicklung von entscheidender Bedeu-tung für den lange ersehnten Umschwung hin zu einer Beruhigung und stabilisierung der Lage gewesen: Die im Rahmen des so genannten „anbar awakening“ im september 2006 

7  Hervorhebung durch die Verfasser.8  Interessanterweise nennt auch ein „lessons  learned“-Papier der al Qaida den Umstand, dass 

man es versäumt habe, die lokale Bevölkerung für sich zu gewinnen, an erster stelle der began-genen Verfehlungen (Fishman 2009, s. 16).

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durch lokale stammesführer getroffene Entscheidung, al-Qaida in Zukunft Widerstand zu leisten, ist in der Folge durch die Gründung lokaler Milizen auf den gesamten Irak über-tragen worden. Das amerikanische Militär hat diese Entwicklung maßgeblich durch die Bereitstellung finanzieller und logistischer Mittel unterstützt (Dodge 2008, s. 43). Vor die-sem Hintergrund überrascht es nicht, dass aktuell ähnliche Versuche in afghanistan unter-nommen werden (ammann 2009, s. 1), in Folge der deutlich unterschiedlichen örtlichen Bedingungen allerdings mit ungewissen Erfolgsaussichten (Fishman 2009, s. 25–26).

Die Erfahrung bzw. Erwartung eines durch al-Qaida ausgeübten schreckensregimes kann neben der vorstehend beschriebenen Rolle eines Kräftemultiplikators auf operativer Ebene durch den Seitenwechsel einzelner Konfliktparteien hinaus auch auf der strategi-schen Ebene genutzt werden, um die Diskurshegemonie zu erringen und auf diese Weise al-Qaidas Zulauf zu reduzieren. Um die negativen Reaktionen auf den amerikanischen Versuch der Übertragung des demokratischen Modells nicht neuerlich herauszufordern, sollte hier möglichst  darauf verzichtet werden,  unterschiedliche Ordnungsentwürfe  im sinne  einer  Entweder-Oder-Entscheidung  zu  präsentieren.  Vielmehr  gilt  es,  die  Frage danach zu stellen, ob ein Regime, welches sich unerbittlich an den Grundsätzen der scha-ria orientiert und willkürlich über Leben und Tod, Inklusion und Exklusion entscheidet, tatsächlich gewollt ist. Oder, so könnte man ebenfalls fragen, wollen die Bewohner der islamischen staaten sich auf Wohl und Wehe einem Herrscher ausliefern, der bisher jeg-liche substanzielle Beschreibung des zu errichtenden Gemeinwesens schuldig geblieben ist? Im Kern dürfte es gerade mit Blick auf afghanistan darum gehen, aufseiten der loka-len Bevölkerung dem Eindruck vorzubeugen, dass jede Ordnung – im doppelten sinne –  besser  ist als das gegenwärtig dominierende Chaos und die  immer weiter eskalierende Gewaltspirale.

als dritte und letzte säule einer public diplomacy-Offensive bietet es sich an, den bis-her  ausgebliebenen  hinreichenden  Erfolg  von al-Qaidas  Mobilisierungsanstrengungen herauszustreichen. anders als von bin Laden verkündet, hat das „Erwachen“ offensicht-lich nicht in dem Maße stattgefunden, als dass man signifikante Fortschritte in Bezug auf die Zielerreichung im Bereich der „außendimension“ der strategie al-Qaidas hätte erzielen können. Mehr noch: Die unterschiedslose Gewaltanwendung, der in den letzten Jahren wie beschrieben in überwiegender Mehrzahl Muslime zum Opfer gefallen sind, führt zu insgesamt wachsender ablehnung der Terroristen und bietet ein Einfallstor für Maßnahmen, die auf deren Diskreditierung gerichtet sind.

Bei Lichte besehen kann es daher auch nicht überraschen, dass es um die Realisierung der denkbar ehrgeizigen politischen Ziele, die nicht weniger umfassen als die Änderung der politischen und gesellschaftlichen Ordnung auf nationaler, regionaler und schließlich gar internationaler Ebene (schneckener 2006, s. 57) schlecht bestellt ist.9 Weder konnte 

9  Vgl. in diesem Zusammenhang die von bin Laden selbst in seiner (zweiten) Kriegserklärung an die Vereinigten staaten proklamierten Ziele: „Die amerikaner und ihre Verbündeten zu töten, ob Zivilisten oder Soldaten, ist eine Pflicht für jeden Muslim, der es tun kann, in jedem Land, wo er sich befindet, bis die al-Aqsa-Moschee und die große Moschee in Mekka von Ihnen befreit  sind,  bis  ihre armeen  alle  muslimischen  Gebiete  verlassen,  mit  gelähmten  Händen, gebrochenen Flügeln, unfähig, einen einzigen Muslim zu bedrohen […]“ (Bin Laden 2005, s. 87). Eine explizit auf das Ziel des sturzes der als korrupt erachteten Regime des Nahen und Mittleren Ostens verweisende Darstellung findet sich in einem Interview, das Ayman al-Zawa-

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man die Usa als Voraussetzung für den Umsturz der als korrupt denunzierten Regime des Nahen und Mittleren Ostens aus der Region vertreiben, noch ist man der Errichtung eines panislamischen Kalifats „im Herzen der islamischen Welt“ (al-Zawahiri 2005, s. 3) nähergekommen.

Ähnlich vernichtend  fällt  die Bilanz mit Blick  auf die  Intention al-Qaidas  aus,  die Usa davon abzuschrecken, weiterhin Gewalt gegen Muslime anzuwenden und solche staaten wie Israel oder Russland zu unterstützen, die ihrerseits für die Tötung zahlreicher Glaubensbrüder verantwortlich sind (abrahms 2006a, s. 514). In diesem Zusammenhang zeigt sich das strategische scheitern des terroristischen Kalküls, das hinter den Terror-anschlägen  des  11.  septembers  2001  stand:  sie  haben  entgegen  den  Erwartungen  bin Ladens die Usa nicht aus dem Nahen und Mittleren Osten vertrieben, sondern sie auf unabsehbare Zeit zur Präsenz in diesem Regionalsystem verpflichtet. Dies gilt übrigens auch für die Zeit nach dem über kurz oder lang erfolgenden abzug der Vereinigten staa-ten und ihrer Verbündeten aus dem Irak und afghanistan.

Folglich sollte anstelle der Überhöhung der Innovations- und Handlungsfähigkeit al-Qaidas der Blick dafür geschärft werden, dass sich das Terrornetzwerk bin Ladens nicht sonderlich  von  seinen  historischen Vorläufern  unterscheidet,  wenn  es  darum  geht,  die selbst gesteckten Ziele auch tatsächlich zu erreichen.10 Mithin ist auch al-Qaida bisher an der strategischen Herausforderung gescheitert, Zweck und Mittel in Übereinstimmung zu bringen. Wie Lawrence Freedman (2007, s. 319–320) festgestellt hat, ist ein Ungleich-gewicht zwischen angestrebtem Zweck und verfügbaren Mitteln ein geradezu klassisches Charakteristikum terroristischer strategien. al-Qaida stellt in diesem Punkt nach den bis-herigen Erfahrungen keine ausnahme dar.

Dies  bedeutet  freilich  nicht,  dass  zukünftig anschläge  in  der  Dimension  von  2001 undenkbar sind. Es heißt nur, dass der nachgewiesenen taktischen Befähigung al-Qai-das bisher die entsprechende Fähigkeit  zu  strategischer Wirkungsmacht  fehlt. Letztere ist  neben  den  Ressourcen  der  Terroristen  entscheidend  vom  Verhalten  der  Zielstaaten terroristischer Gewalt, allen voran der Usa, abhängig. Da eines der wesentlichen Merk-male strategischen Handelns dessen interaktiver und interdependenter Charakter ist (vgl. Lonsdale  2008),  tangiert  jede  policy-Änderung  der Vereinigten  staaten  und  ihrer Ver-bündeten unmittelbar das bestehende  strategische  (Un-)Gleichgewicht. Daher darf  das Werben um den „zu interessierenden Dritten“ nicht darauf beschränkt werden, die bis-herige politische und strategische Erfolglosigkeit al-Qaidas zu betonen, sondern muss im gleichen atemzug die glaubhafte Versicherung abgeben, dass man der zielgerichteten und verhältnismäßigen Bekämpfung des transnationalen Terrorismus weiterhin hohe Priorität einräumt.

hiri zum vierten Jahrestag der anschläge von New york und Washington gegeben hat: „There is no way of achieving reform except by uprooting these corrupt and corrupting regimes, and by establishing a Muslim government that will protect rights, defend sanctities, institute justice, spread consultation, raise the banner of jihad, and confront the invaders, the foes of Islam“ (al-Zawahiri 2007a, s. 187).

10  Zur insgesamt geringen Erfolgsquote terroristischer Gewalt vgl. abrahms (2006b) oder Jones u. Libicki (2008).

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7   Ausblick

al-Qaidas Mobilisierungsstrategie zu durchkreuzen macht es erforderlich, eine strategie der „Gegenmobilisierung“ (Cronin 2008, s. 59) ins Werk zu setzen. Mehr noch als mili-tärische Gewaltanwendung verspricht eine Öffentlichkeitsarbeit, welche die schwächen und Verfehlungen des  transnationalen Terrornetzwerks hervorhebt, dessen attraktivität mittel- bis  langfristig nachhaltig zu unterminieren und auf diesem Weg den Zulauf an Sympathisanten und Rekruten signifikant zu verringern. Fraglos werden allerdings auch verstärkte anstrengungen im Rahmen der public diplomacy alleine nicht ausreichen, um den Terrorismus erfolgreich zu bekämpfen. Den „zu interessierenden Dritten“ gilt es zu gewinnen, gleichzeitig gilt es diejenigen Personen entschlossen zu bekämpfen, die sich trotzdem für die sache der Terroristen entscheiden bzw. nicht gewillt sind, dem Terroris-mus abzuschwören. Polizei, Militär und Geheimdiensten wird daher unzweifelhaft auch weiterhin eine wichtige Rolle im anti-Terror-Kampf zufallen (Münkler 2004b, s. 9–10).

Terrorismus als Phänomen der  internationalen Politik gänzlich zu beseitigen, dürfte unmöglich sein. Der Rückgriff auf terroristische Formen der Gewaltanwendung ist eine Wahlentscheidung, die akteuren immer offen stehen wird und deren anwendung umso wahrscheinlicher ist, je ausgeprägter die zwischen den Gegnern bestehenden Potenzial-asymmetrien  sind und  je  höher  die  historische Erfolgsquote  terroristischer Gewalt  ist. Folglich gilt  es,  in  einem ersten schritt  die derzeit bestehende Bedrohung deutlich zu verringern, um auf diese Weise  in mittel- bis  langfristiger Perspektive die attraktivität des Terrorismus und damit die Wahrscheinlichkeit seiner anwendung schritt für schritt zu reduzieren.

Es bedarf daher einer grand strategy, die einem dreifachen Kohärenzgebot genügen muss: Übereinstimmung von eigenem Zweck und verfügbaren Mitteln, Eignung der ein-gesetzten Mittel zur unmittelbaren Bekämpfung des Terrorismus und gleichzeitig Kohä-renz des hier gewählten Mittelansatzes mit Blick auf die Bedingung, erfolgreich um den „zu  interessierenden  Dritten“  zu  werben.  In  diesem  Kohärenzgebot  ist  ein  doppeltes spannungsverhältnis enthalten, das durch die neue Richtlinie zur aufstandsbekämpfung des  Kommandeurs  der  IsaF-Mission  in afghanistan,  stanley  McChrystal  (vgl.  IsaF 2009), erkannt worden ist: Einerseits eignen sich die auf der eigenen seite vorhandenen Potenziale nicht zwangsläufig am besten für die Erreichung des gesetzten Zwecks. Als Folge dieses Missverhältnisses besteht die latente Gefahr einer „Tactizitation of strategy“ (Handel 2002, s. 353–360), das heißt, die vorhandenen Mittel diktieren das strategische Vorgehen, anstatt dass es umgekehrt zu einer Änderung der Taktik in abhängigkeit vom zugrunde liegenden politischen Zweck kommt. andererseits konterkarieren so genannte „kinetische Operationen“ aufgrund der häufig entstehenden Opfer unter der Zivilbevöl-kerung  potenziell  jegliche  Bemühungen  hinsichtlich  der  angestrebten  Unterstützung durch  den  „zu  interessierenden  Dritten“. Vor  diesem  Hintergrund  stellt  der  unternom-mene Versuch zur Veränderung der „operational culture“ von IsaF weg von militärischer aufstandsbekämpfung hin zu einer Betonung der stabilisierungsbemühungen (vgl. IIss 2009) einen sinnvollen ersten schritt dar.

Über afghanistan  hinaus  zeigt  sich  bei  der  Betrachtung  der  grundsätzlichen  strate-gischen Handlungsoptionen ein vergleichbares spannungsverhältnis: Die Optionen  für eine intelligente Deeskalationspolitik, die eine strategisch ausgerichtete sicherheitspoli-

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tik angesichts der gegenwärtigen Herausforderung durch den transnationalen Terrorismus begründen könnten, oszillieren zwischen folgenden antipoden: Bietet die außenpolitik der amerikanischen Regierung ebenso wie die der europäischen Verbündeten den Terro-risten eine Angriffsfläche, die ihnen die gewünschten Rekrutierungserfolge beschert, dann liegt es nahe, als Gegenmaßnahme einen grundsätzlichen Kurswechsel weg von Interven-tionen  und  sogenannten  stabilisierungsoperationen  vorzunehmen.  Konkret  würde  dies nicht nur die ohnehin geplante Beendigung des amerikanischen Irakabenteuers, sondern auch das möglichst baldige Ende des afghanistaneinsatzes bedeuten. Keine Präsenz vor Ort,  keine  Kriegsverbrechen,  Kollateralschäden  und  Erniedrigungen  der  Bevölkerung, folglich auch kein Hass gegen die Usa und ihre Verbündeten – so könnte man dieses Kalkül zusammenfassen. angezeigt wäre stattdessen ein ansatz, der, dem Paradigma des offshore-balancing verpflichtet, wie umrissen vor allem auf das Instrument der public diplomacy sowie selektive und begrenzte Polizei- oder Militärschläge setzt. In der Haupt-sache würden sich die Usa auf ihre regionalen Verbündeten verlassen und ihre globalen militärischen Projektionsfähigkeiten nur bei offensichtlichem und akutem Bedarf sowie mit klar begrenztem auftrag auch tatsächlich einsetzen.

auf der anderen seite haben gerade die Erfahrungen der „Koalition der Willigen“ im Irak gezeigt, dass Erfolge im Kampf gegen den Terrorismus und die Errichtung leidlich stabiler  staatlicher  strukturen  zuvorderst  darauf  beruhen,  die  physische  sicherheit  der Bevölkerung vor Ort zu gewährleisten. Keine Präsenz vor Ort, Füllung des Machtvaku-ums durch Terroristen und andere Gewaltakteure, in der Folge aufbau der Infrastruktur für neuerliche, verheerende anschläge – so ließe sich dieser Wirkungsmechanismus auf den Punkt bringen. Beide ansätze können einerseits gute argumente für ihre Berücksich-tigung vorbringen, beinhalten andererseits jedoch schwerwiegende Nachteile. Die Frage, welche Handlungsoption  im sinne einer Gegenmobilisierung erfolgversprechender  ist, bleibt offen. sicher ist nur, dass es in der auseinandersetzung mit dem Terrorismus der Gegenwart darum geht, jenen Ansatz zu finden, der den Terroristen den Zugriff auf den „zu interessierenden Dritten“ verwehrt.

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