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Interview David Hofer, LIFEtool Seite 10 Themen Diakonische Information Nr. 170-5/13 Wordrap mit Josef Zotter Seite 14 D W P O R A R Literaturpreis Ohrenschmaus Seite 22 Projekt Facebook-Freunde Seite 20 Unterstützte Kommunikation Von wegen sprachlos!

Von wegen sprachlos! Unterstütze Kommunikation (Diakonie Themen 01/2013)

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Ausgabe zum Thema Unterstützte Kommunikation. Die Zeitschrift "Diakonie Themen" erscheint zweimal jährlich und behandelt jeweils ein Schwerpunkt-Thema der Diakonie. Sie bietet ausführliche Erklärungen, Hintergrundinformationen, Interviews und Hinweise zu weiterführender Literatur.

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InterviewDavid Hofer, LIFEtool Seite 10

Themen

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Nr.

170-

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Wordrap mit Josef ZotterSeite 14

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LiteraturpreisOhrenschmausSeite 22

ProjektFacebook-FreundeSeite 20

Unterstützte Kommunikation

Von wegen sprachlos!

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2 Themen

EDITORIAL

Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. In einem Satz wird so zusammengefasst, was später Kommunika-tionstheorien entfalten müssen: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“

Am Anfang des Menschseins, im Zentrum al-len Menschseins steht die Kommunikation, steht der Austausch zwischen Gott und den Menschen und zugleich auch der Austausch der Menschen untereinander und wieder mit Gott.

Da aber sehen wir schon, wie vertrackt Kom-munikation sein kann. In dem Satz „Im Anfang

war das Wort“ steckt ein Über-setzungsproblem. Im Griechi-schen heißt es nicht „Im An-fang war das Wort“, sondern

„„Im Anfang war der Logos“, und der Logos bezieht sich nicht nur auf das Wort, nicht nur auf die Sprache, nicht nur

auf die verbal vermittelte Welt, sondern auf die ganze Vernunft, auf alles, was den Menschen ausmacht, die Glaubwürdigkeit, die Autorität des Menschen, auch auf die rednerische oder expressive Gewalt, und auch auf die Emotionen.

Im Anfang war die Kommunikation, war der Austausch, war die Begegnung, nicht nur das Wort allein. Der Logos, die Vernunft, wird auch gesehen als das Vernunftprinzip des Weltalls, das überall ist und alles durchdringt. In ihm geschieht die Begegnung von Gott und den Menschen und den Menschen untereinander als Schöpfung aus der göttlichen Vollkommenheit.

Es wurde sogar von einem eigenen Wesen gesprochen, von einem Fünklein, das zwischen Gott und den Menschen hin- und herspringt und das sich in jedem Menschen wiederfindet. Man könnte auch sagen, die Kommunikation ist der

göttliche Funke, der sich in jedem Menschen, der als Gottes Ebenbild geschaffen wurde, wie-derfindet. Der Logos ist ein Schöpfungsge-schenk.

Ist die Gabe der Kommunikation aber ein Got-tesgeschenk für alle Menschen, dann ist sie auch ein Recht, das allen Menschen gleicher-maßen zusteht. Zu kommunizieren ist nicht nur das Recht der Stimm- und Sprachgewaltigen, sondern auch der Leisen und derer, die sich sprachlich nicht auszudrücken vermögen.

Im Alten Testament heißt es ausdrücklich: „Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind.“

Heute muss es allerdings darum gehen, nicht für jemanden zu sprechen, sondern möglichst allen die Möglichkeit zu geben, für sich selbst zu sprechen, selbst das Wort zu ergreifen und für die eigene Sache einzutreten. Assistierende Technologien und Unterstützte Kommunikation können hierbei wertvolle Hilfen sein. Jedoch sind sie immer noch nicht für alle zugänglich und schon gar nicht für jede und jeden leistbar.

Dieses Heft zeigt technische Möglichkeiten auf, weist aber auch darauf hin, was noch zu tun bleibt, um allen die Chance zu geben, am leben-digen Strom der Kommunikation, am Austausch der Gedanken und Ideen teilzunehmen.

Denn Kommunikation ist zum einen ein Men-schenrecht, zum anderen aber Gottes gute Gabe, die niemandem verwehrt bleiben darf.

Im Anfang war aber nicht nur das Wort allein, sondern war die Kommunikation, der Austausch, die Begegnung. Heute müssen möglichst alle die Möglichkeit bekommen, für sich selbst zu sprechen.

Karin Brandstötter, Thomas Burger, Karin Hartmann, David Hofer, Joanna Kinberger, Hannelore Kleiss, Josef Lengauer, Gernot Mischitz, Irmgard Steininger

Pfarrer Mag. Michael Chalupka, Direktor Diakonie Österreich

„Kommunikation ist ein Menschenrecht und Gottes gute Gabe, die niemandem

verwehrt werden darf“

Im Anfang war das Wort

AN DIESEM HEFT MITGEARBEITET HABEN

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Themen 3

INHALT

4Was ich gern besser verstehen würde ...

Was Menschen in der Diakonie in ihrem Alltag unverständlich finden.

6Sprechen können ohne Bevormundung

Am Martinstift-Symposion in Linz präsentierte sich die Vielfalt der Unterstützten Kommunikation.

9Was ist Unterstützte Kommunikation?

Glossar zum Schwerpunktthema.

10„Intelligenz kann man nicht sehen“

Interview mit David Hofer, Geschäftsführer von LIFEtool.

13Projekte

„Open the Windows“, EDV-Werkstätte Hagenberg, LIFEtool Beratungsstelle Wien.

14Immer miteinander reden ...

Wordrap mit Chocolatier Josef Zotter.

15In meiner Sprache

Drei Menschen mit eingeschränkter Lautsprache erzählen von sich.

Inhalt

Spendenkonto Diakonie: IBAN AT492011128711966399

BIC GIBAATWWXXX

16Bedeutet Inklusion Nivellierung nach unten?

Stimmt’s? Mythen, Märchen und Pauschalansichten.

17Frühe Kommunikationsförderung

Ein von der Diakonie in Oberösterreich entwickeltes Konzept.

18Die Welt in Zahlen

Wie weltweit und in Österreich kommuniziert wird.

20Facebook-Freunde vom Verbund

Mehr als nur ein Social Network.

21Kurz gemeldet

10 Jahre AmberMed und Ankyra, Projekt „eine von vier“, Fachtagung „Sucht im Wandel der Zeit“.

22Selbst gedacht, selbst gemacht

Textproben vom „Ohrenschmaus“-Literaturpreis.

IMPRESSUM: Medieninhaber, Herausgeber und Redaktion: Diakonie Österreich. Redaktion: Dr.in Roberta Rastl-Kircher (Leitung), Mag.a Katharina Meichenitsch, Mag. Martin Schenk, Mag.a Magdalena Schwarz. Alle: 1090 Wien, Albert Schweitzer Haus, Schwarzspanierstraße 13. Tel.: (0)1 409 80 01, Fax: (01) 409 80 01-20, E-Mail: [email protected], Internet: www.diakonie.at. Verlagsort: Wien. Geschäftsführer Diakonie Österreich: Pfr. Mag. Michael Chalupka, Mag. Martin Schenk. Grafik-Design: Info-Media Verlag für Informationsmedien GmbH, Volksgartenstraße 5, 1010 Wien. Druckerei: AV + Astoria Druckzentrum GmbH, Faradaygasse 6, 1030 Wien. Fotos: LIFEtool (S. 1/2, 3, 7/2, 8, 13/2, 17, 18/2, 20), Nadja Meister (S. 1, 10–12), Herbert Lehmann (S. 1, 14), Ingrid Fankhauser (S. 1, 22, 23), Barbara Krobath (S. 2), Diakoniewerk (S. 3, 5, 7, 13, 15, 16), Jacqueline Godany (S. 3), Diakonie Zentrum Spattstraße 3 (5/2, 17/2), Diakonie Österreich (S. 9, 20), Elmar Schwarze (S. 14), Brot für die Welt (S. 19), Regina Hügli (S. 21), Diakonie de La Tour (S. 21), Fotolia.com (S. 21), privat (S. 4, 5, 6, 15/2, 23/2). Die Diakonische Information bringt Sachinformationen und Nachrichten zur Diakonie der Evangelischen Kirchen. Die gendersensible Schreibweise ist uns ein wichtiges Anliegen. Der Bezug ist kostenlos. DVR: 041 8056 (201). Gedruckt nach der Richtlinie „Schadstoffarme Druckerzeugnisse des Österreichischen Umweltzeichens“. Umweltzeichen (UWZ 734)

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4 Themen

PORTRÄTS

IRMGARD STEININGERIrmgard Steininger ist Beraterin bei LIFEtool. Da-bei kann sie die Beschäfti-gung mit neuester Technik und die Beratung von Men-schen vereinen. Immer wie-der erlebt sie, wie sich Be-troffenen durch technische Mög lich keiten mit einem Schlag eine neue Welt er-öffnet.

„Ich kann nicht verstehen, dass Menschen in Österreich bei einer körperlichen Behinderung einen Rollstuhl zur Verfü-gung gestellt bekommen, damit sie von einem Ort zum an-deren kommen, aber kein Kommunikationshilfsmittel, wenn sie zusätzlich unter einer sprachlichen Beeinträchti-gung leiden. Sie brauchen das, um ausdrücken zu können, wo sie hinmöchten, um ihren Protest oder ihre Freude aus-zudrücken. Zumindest die finanziellen Hürden, so ein Hilfs-mittel anzuschaffen, sollten durch gesetzliche Bestimmun-gen verringert werden.“

Menschen in der Diakonie finden manches in ihrem Alltag unverständlich. Wir haben sie danach gefragt.

Was ich gerne besser verstehen

würde … KARIN HARTMANN

Karin Hartmann ist seit mehr als 25 Jahren als Elementarpädagogin tätig, seit 2008 leitet sie den Diakonie Kinder-garten Neue Donau in Wien. Ihr ist es wichtig, den Kindergarten als erste Bildungsinstituti-on im Leben eines Men-schen zu begreifen.

„... warum wir es in Österreich im 21. Jahrhundert immer noch nicht geschafft haben, eine Bildungslandschaft zu errichten, in der ALLE die gleiche Chance bekommen, obwohl es in anderen EU-Ländern bereits Modelle und Ansätze gibt, die funktionieren. Und obwohl wir schon seit Langem wissen, dass Bildung eines frühestmöglichen Beginns und eines größtmöglichen Spektrums bedarf. Und obwohl wir das Potenzial der daraus resultierenden Wertschöpfung erkannt haben ...“

CHRISTIAN SEIBEZEDERChristian Seibezeder studierte Soziale Dienstleis tungen für Menschen mit Betreuungsbedarf und ist im Kompetenzmanagement Behindertenarbeit des Diakoniewerks für Unterstützte Kommunikation zuständig. An der Schu le für Sozialbetreuungsberufe in Gallneukirchen unterrichtet er Kommunikation. Persönlich bevorzugt er Gespräche von Angesicht zu Angesicht.

„Manchmal wünsche ich mir, ich würde verstehen, was in den Köpfen anderer Menschen vorgeht. Vielleicht könnte ich dann ihre Bedürfnisse erkennen und besser auf ihre Wünsche eingehen. Schön wäre es auch, fremde Sprachen zu verstehen, um Kommunikation unkomplizierter gestalten zu können.“

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Themen 5

PORTRÄTS

JASMIN BAIERJasmin Baier ist 18 Jah-re alt, kommt aus der Nähe von Linz und macht gerade ihr frei-williges Sozialjahr in einem Flüchtlingshaus der Diakonie in Wien.

„Ich würde wirklich gerne verstehen, wie es einem wohl geht, wenn man in Österreich in einem klei-nen Zimmer sitzt, es einem absolut langweilig

ist und man – obwohl man motiviert dazu wäre – einfach nicht arbeiten darf. Wenn man ein guter Schüler war, even-tuell sogar schon auf der Uni, und das hier einfach nicht angerechnet wird. Wenn man drei oder sogar vier Spra-chen kann und trotzdem bei Deutsch von vorne anfangen muss. Wenn man unbedingt etwas erreichen möchte, aber einfach nicht die Möglichkeit dazu hat. Kurz gesagt: wenn man sich einfach wünscht, man hätte nicht flüchten müs-sen, sondern wäre normal und friedlich aufgewachsen.“

MATTHIAS FRÖSCHL

Matthias Fröschl, 24, lebt in Ried in der Riedmark. „Ich habe Spaß am Leben und mag es, wenn man mich ein wenig veräppelt“, sagt er über sich. Matthias arbeitet in der Mediengruppe der Werkstätte Linzerberg des Dia-koniewerks. Dort schreibt er Berichte für die Zeitschrift

„Ich + Wir“. Zum Sprechen nutzt er ein Sprachausgabe-gerät mit Tastatur.

„Was ich gerne besser verstehen würde, ist die Art, wie PolitikerInnen reden. Vor der Wahl habe ich mir im Fern-sehen verschiedene Sendungen angeschaut. Leider spre-chen PolitikerInnen ziemlich kompliziert. Deshalb wünsche ich mir, dass Politikerinnen und Politiker einfacher und ver-ständlicher sprechen.“

ULRIKE HAIN UND JULIA SONNLEITNER Ulrike Hain (l.) arbeitet seit zwölf Jahren, Julia Sonnleit-ner seit sechs Jahren als Logopädin im Diakonie Zen-trum Spattstraße. Sie betreuen dort Kinder im Alter von drei bis 13 Jahren.

„Mit Kindern zu arbeiten ist immer wieder eine Freude und Herausforderung. Auch nach so vielen Jahren in diesem Beruf stoßen wir an Grenzen, wenn es darum geht, Kinder mit massiven Sprach- und Sprechstörungen zu verstehen. Die Erfahrungen, die wir gesammelt haben, helfen natür-lich. Trotzdem: Jedes Kind ist anders und zeigt seine Bedürfnisse anders. Offen zu bleiben und sensibel zu sein für jedes Kind ist unabdingbar und führt meist zu Erfolgs-erlebnissen und Glücksmomenten für alle Beteiligten.“

LENA, 4 JAHRE Lena besucht den Integrations- und heilpädagogischen Kindergarten „Für Dich und Mich“ im Diakonie Zentrum Spattstraße und erhält dort einmal pro Woche logopädi-sche Therapie.

„Ich kann nicht sprechen, nehme aber meine Umwelt sehr bewusst wahr. Ich möchte vieles ausprobieren, meine Hände tun aber nicht immer das, was ich gerade will. Manchmal können die Erwachsenen erraten, womit ich spielen will. Oft bekomme ich aber etwas ganz anderes in die Hand, und dann ist es schwer für mich, zu zeigen, wie unzufrieden ich bin. Das Gesicht zu verziehen oder zu weinen hilft. Je besser mich die anderen kennen, desto eher verstehen sie mich. Meine Mama kann das gut!“

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6 Themen

SCHWERPUNKT

Welchen Unterschied es macht, ob Menschen kommunizieren können oder nicht. Ein Bericht vom 41. Martinstift-Symposion.

E s ist der 11. Oktober 2013, neun Uhr morgens in Linz. Das Verkehrschaos hat noch nicht seinen Höhepunkt er-

reicht, obwohl es schon seit dem frühen Morgen schneit.

Knapp 1.000 BesucherInnen strömen in das Brucknerhaus, sie finden bequem Platz im Ver-anstaltungszentrum. Die Architektur erinnert da-ran, dass dieses Gebäude aus einem anderen Jahrhundert stammt. Die übergroßen Rollstuhl-Rampen hingegen verraten bereits, wer heute im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen wird. „Von wegen sprachlos! Die Vielfalt der Unter-

stützten Kommunikation entdecken und einset-zen“ ist der Titel des 41. Martinstift-Symposions. Eine Veranstaltung, die seit den frühen 1970er-Jahren ein jährlicher Treffpunkt für nationale und internationale Expertinnen und Experten in der Behindertenarbeit ist.

Auch heuer sind wieder besonders viele Schü-lerInnen aus den Schulen für Sozialbetreuungs-berufe unter den Besucherinnen und Besuchern. Bunte Pullover, Jeans und Turnschuhe prägen das Bild. Sie sind gekommen, um sich auch ab-seits ihrer Ausbildung zu aktuellen Themen zu informieren und damit eine Grundlage für mo-derne Behindertenarbeit zu schaffen.

Unterstützte Kommunikation betrifft etwa 63.000 Menschen in Österreich. Das sind all jene, die in ihrer Lautsprache eingeschränkt sind. Sie sind in ihrem Alltag auf Gebärden, Mimik, Zeigebewegungen oder technische Ge-räte angewiesen, um sich ausdrücken zu können.

Sie brauchen entsprechende Unterstützung und Menschen, durch die sie im Alltag ohne Bevor-mundung sprechen können.

Mechanische StimmeKathrin Lemler betritt die Bühne. Vielmehr fährt sie auf der übergroßen Rampe zur Bühne hoch, mit Hilfe ihres Assistenten David, der den Roll-stuhl schiebt. Kathrin Lemler ist aufgrund einer infantilen Cerebralparese seit ihrer Geburt auf Unterstützung und 24-Stunden-Assistenz ange-wiesen. Heute spricht sie als Referentin beim Martinstift-Symposion und erzählt von ihren Er-fahrungen mit der Nutzung von Assistierenden Technologien und Unterstützter Kommunikation.

Kathrin Lemler hat eine lange Reise auf sich genommen, um nach Linz zu kommen. Am Tag zuvor war sie zwölf Stunden im Zug unterwegs, und obwohl sie sich über ihre eigene Lautspra-che nicht ausdrücken kann, scherzt sie abseits der Bühne, dass sie während der Verspätung des Zuges viele nette Leute kennengelernt hat. Ihre Stimme klingt mechanisch, es ist eine Frau-enstimme aus dem Computer, wie man sie aus der Sprechanlage der U-Bahn kennt.

Kathrin Lemler benutzt nicht nur ein Sprach-ausgabegerät, mit dem sie mit ihrer Umwelt in Kontakt tritt. Sie beschäftigt auch Assistentin-nen und Assistenten, die mit Hilfe einer Buch-stabentafel für sie kommunizieren. Konkret sieht das so aus, dass Kathrin Lemler auf einen Buch-staben blickt, der Assistent verfolgt ihre Augen-bewegungen und spricht den Buchstaben aus,

VON KATHARINA MEICHENITSCH

Selbstbefähigung ist das neue Schlagwort.

Sprechen können ohne

Bevormundung

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Themen 7

SCHWERPUNKT

dann den nächsten, dann den nächsten. Das hört sich langwierig an, doch die Kommunikati-on funktioniert erstaunlich schnell. Der Assistent vervollständigt halbe Wörter, wie ein Sprachpro-gramm im Computer.

Auf die Frage, wie lange er gelernt hat, damit diese Form der Kommunikation für Kathrin Lem-ler eine adäquate Möglichkeit zu sprechen dar-stellt, meint David lapidar: „Sechs Monate habe ich schon gebraucht, damit so etwas wie ein effektiver Betrieb möglich ist.“

Selbstbefähigung statt TeilhabeKathrin Lemler erläutert in der Zwischenzeit, wa-rum die Versorgung mit Assistierenden Techno-logien bzw. elektronischen Hilfsmitteln so wich-tig ist. Denn nur so kann sie sich ausdrücken, und nur so kann sie ihren Beruf ausüben: Sie ist Studentin und Mitarbeiterin am Forschungsins-titut für Unterstützte Kommunikation der Univer-sität zu Köln. Eindrucksvoll vermittelt sie anhand der Schilderungen ihres Alltags, wie wichtig die Technik in ihrem Leben ist und wie schwierig es sein kann, wenn der Akku des Sprachausgabe-geräts leer ist, bevor der Ersatzakku zur Hand ist. Doch auch hier zeigt sich die positive Sicht-weise von Lemler: „Hauptsache, mein eigener Akku macht nicht schlapp.“

Die letzte Folie, die Kathrin Lemler mit Hilfe ihres Computers an die übergroße Leinwand wirft, zeigt sie beim Tandem-Paragleiten – tosen-der Applaus setzt ein.

Der zweite Referent, ebenfalls ein Betroffener,

ist Darryl Sellwood. Er ist eigens aus Australien angereist, um die ersten Ergebnisse seiner Forschungsarbeiten zum Thema Sexualität bei Menschen, die Unterstützte Kommunikation an-wenden, vorzustellen. Darryl spricht Englisch, aber für den heutigen Vortrag hat er sich extra eine deutsche Stimme gekauft, und so spricht sein Sprachausgabegerät für die 1.000 Zuhöre-rInnen in Deutsch. Auch seine Stimme ist elek-tronisch und spricht etwas schneller als die von Kathrin Lemler. Die Gebärdendolmetscherinnen kommen kaum nach und wechseln sich schnel-ler ab, um nicht zu ermüden und doch für ihr Publikum richtig übersetzen zu können.

Darryl Sellwood steht in seinem Rollstuhl in der Mitte der Bühne. Er steuert seine Präsenta-tion über einen kleinen Computer, der auf sei-nem Rollstuhl montiert ist. Er hat sichtlich Spaß daran, sein Publikum mit seinen betont lockeren Ausführungen etwas zu schockieren und so die ernste Stimmung aufzulockern. Doch letztlich geht es ihm darum, dass Menschen befähigt werden, Dinge selbst zu tun. Darryl Sellwood spricht dabei davon, dass Teilhabe nicht genug ist – Selbstbefähigung ist das neue Schlagwort.

Die beiden Referierenden zeigen vor, wie ein selbstbestimmtes Leben mit einer Behinderung möglich ist und welche Erfolge sie feiern konnten.

KATHRIN LEMLERwar Vortragende am Martinstift-Symposion. Sie ist Studentin an der Universität zu Köln und Expertin in Unterstützter Kommunikation.

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Anna geht in Peuerbach zur Schule. Die Cleavy-Tastatur ermöglicht ihr das Schreiben

Diagnose Querschnittlähmung. Als Deejay Ridinaro bringt Mario Partygäste zum Tanzen

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8 Themen

Doch nicht nur für die „Heroes“, auch für die „Normalos“ ist am Martinstift-Symposion Platz. Wie für Isabella, aus deren Alltag ihre Mutter Ro-mana Malzer erzählt. Sie ist seit einigen Jahren Beraterin bei LIFEtool und hat damit ihre per-sönlichen Erfahrungen in den Beruf eingebracht.

Mit Hilfe von Tastern spricht Isabella und kann sich damit trotz Rett-Syndrom verständlich ma-chen. Denn die Taster erlauben ihr, vom Alltag

im Kindergarten zu berichten. Das Motto im Haushalt Mal-

zer lautet: „Was die anderen können, das können wir auch, nur eben anders.“

Und so bläst Isabella schon einmal ihre Kerzen auf der Ge-

burts tags torte mit einem Fön aus, den sie mit einem breitflächigen Taster einschaltet. Oder sie nimmt ihr iPad und kann auf einem scheinbar normalen Gerät ihrem Spiel „puzzle klick“ nach-gehen.

Anträge sind SpießrutenläufeLocker-leicht scheint es zu gehen, schöne Ge-schichten von aufregenden Erlebnissen werden erzählt. Doch zwischendurch schwingt immer mit: Einfach wird es Betroffenen nicht gemacht. Wenn sie von Stelle zu Stelle geschickt werden, wenn sich niemand zuständig fühlt, wenn das Geld nicht reicht und man doch noch ein Jahr

auf den Kauf eines Sprachausgabegeräts war-ten muss.

Vor allem die unterschiedlichen Zuständigkei-ten führen in Österreich dazu, dass Anträge auf elektronische Hilfsmittel eher Spießrutenläufe als Behördengänge sind. Nicht nur die Kranken- und Unfallversicherung, auch die Pensionsversi-cherung, die Sozialabteilungen der Bundeslän-der sowie das Bundessozialamt sind für die Bewilligung und Beschaffung von Hilfsmitteln zuständig. Bei der Finanzierung wird zudem noch von freien Trägern oder sozialen Wohl-fahrtsorganisationen geholfen.

Nicht nur die unterschiedlichen Zuständigkei-ten machen den Betroffenen und ihren Angehö-rigen zu schaffen. So sind im Hilfsmittelkatalog der medizinischen Rehabilitation, den Versiche-rungsträger heranziehen, um Leistungen zu be-willigen, keine neuen Geräte verzeichnet. Das verwundert nicht, ist die letztgültige Fassung doch aus dem Jahr 1994. In erster Linie finden sich darin Prothesen und Bandagen, Schienen und Gehhilfen. Elektronische Hilfsmittel, die un-verzichtbar sind für Menschen wie Kath rin Lem-ler oder Isabella Malzer, kommen nicht darin vor, weil sie damals noch nicht erfunden waren.

Schließlich beschäftigt die BesucherInnen vom Martinstift auch die Frage nach den Gerä-ten selbst. In der Mittagspause besuchen viele den Stand von LIFEtool, einer Diakonie-Organi-sation, die sich ausschließlich mit elektroni-schen Hilfsmitteln und Unterstützter Kommuni-kation beschäftigt. Die SchülerInnen berühren Geräte, machen Fotos und sagen Dinge wie „So einfach geht das?“ oder „Cool, so einen Taster hätte ich gern“.

Locker-leicht?Darryl Sellwood hat in seinem Vortrag darauf hingewiesen, dass der Blickwinkel entschei-dend ist. Denn es hat keinen Sinn, Dienste oder Produkte zu entwickeln, die nicht verwendet werden können. Dementsprechend wichtig ist es, Betroffene in die Entwicklung von Hilfsmit-teln miteinzubeziehen. Aber auch hier gibt es Defizite, vor allem in der Finanzierung von auf-wendigeren Geräten.

Dennoch werden die BeraterInnen von LIFE-tool nicht müde, zu erzählen, wie ein Gerät funk-tioniert. Wie wichtig die Geräte für die Men-schen sind. Wie entscheidend es ist, sich mit teilen zu können. Und dass das Menschen-recht auf Kommunikation in Österreich noch lange nicht verwirklicht ist.

SCHWERPUNKT

„Was die anderen können, das können wir auch –

nur eben anders“

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diakoniewerk.at/de/martinstift_symposion

Assistierende Technologien ermöglichen Lesen, Schreiben, Rechnen

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Themen 9

WISSEN

Sprachausgabegerät (l.), Mausersatz und Spezialtastatur (o.)

g Was ist Unterstützte Kommunikation (UK)?UK geht davon aus, dass jeder Mensch ein Bedürfnis nach Kontakt und Kommunikation sowie das Recht auf Selbstbestimmung hat. UK beschreibt daher verschiede-ne Methoden, die Kommunikation ermöglichen können, auch unter Zuhilfenahme von Hilfsmitteln. Elemente der Unterstützten Kommu nikation können Blickbewegungen, Mimik, Zeigebewegungen, Körperbewegungen, Gebär-den, Fingeralphabete sein. Nichtelektronische Hilfsmittel, die in der Unterstützten Kommunikation verwendet wer-den, sind etwa Kommunika tions tafeln, Thementafeln, ein-zelne Bild- oder Wortkarten.

g Was sind Assistierende Technologien (AT)?AT sind technische Hilfsmittel, die zur Aufrechterhaltung bzw. Verbesserung der Ausdrucksmöglichkeiten eines Menschen führen und Funktionseinschränkungen ausglei-chen helfen. Solche Technologien sind spre chende Tas-ten, Pupillensteuerungen, Sprachausgabegeräte, schrif t-sprachbasierte Kommunikationshilfen oder auch iPads bzw. Tablet-PCs. AT dienen dazu, Lebensqualität und Selbst bestimmung durch Barrierefreiheit zu ermöglichen. Wesentlich ist, dass Betroffene in die Entwicklung von AT einbezogen werden müssen, um zu gewährleisten, dass Geräte sich den Bedürfnissen der Menschen anpassen.

g Wer ist betroffen?Laut dem österreichischen Behindertenbericht leben etwa 63.000 Menschen mit Einschränkungen in der Laut-sprache. Die Ursachen für die Beeinträchtigungen sind vielfältig. Sie können angeboren sein, etwa durch infantile Cerebralparese, fortschreitend wie bei multipler Sklerose, erworben wie bei einer Lähmung durch Schlaganfall, oder es handelt sich um eine vorübergehende Sprachbeein-trächtigung nach einem Unfall. Betroffen sind auch die rund 190.000 Angehörigen, die meist unterstützend im Alltag tätig sind. Die Herausforderungen, um überhaupt zu Geräten zu kommen, liegen dabei immer wieder in den vielfältigen Zuständigkeiten.

g Was sagt die UN-Konvention zu Unterstützter Kommunikation?

Die „UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung“ wurde in Österreich im Jahr 2008 ratifiziert und geht in mehreren Artikeln auf die Verpflichtung der Staaten zur Förderung von Kommunikationstechnologien ein. Dabei stellt die UN-Konvention klar, dass Kommunika-tion nicht nur Sprache, Textdarstellungen und Brailleschrift einschließt, son dern auch durch Informations- und Kom-munikationstechnologien gewährleistet werden kann. Der Anspruch darauf zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Vertragstext und hat auch den österreichischen Moni toring ausschuss dazu veranlasst, eine Stellungnah-me abzugeben.

g Was ist der Monitoringausschuss?Der Monitoringausschuss überwacht die Umsetzung der UN-Konvention in Österreich. Die Stellungnahme des Monitoringausschusses kann heruntergeladen werden unter www.monitoringausschuss.at.

g Wie geht es weiter?Die österreichische Bundesregierung hat sich im Jahr 2012 mit einem „Nationalen Aktionsplan Behinderung“ (NAP) insgesamt 250 Maßnahmen verordnet, um den Vorgaben der UN-Konvention zu entsprechen. Darunter finden sich Maßnahmen wie die Verwirklichung einer einheitli chen Anlaufstelle für Betroffene, eine stärkere Zusammenarbeit aller öffentlichen Kostenträger und die bessere Finanzierung von Hilfsmitteln. Der Zeitraum für die Umsetzung dieser Maßnahmen ist knapp bemessen: Viele davon sollen bereits 2015 umgesetzt sein. Der NAP kann unter www.bmask.gv.at heruntergeladen werden.

www.monitoringausschuss.at www.bmask.gv.at

Taster zum Ein- und Ausschalten von Spielzeug und Haushaltsgeräten

WISSEN

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10 Themen

Warum das iPad für die Unterstützte Kommunikation nicht reicht, erklärt David Hofer, Geschäftsführer von LIFEtool.

„Intelligenz kann man nicht

sehen“INTERVIEW: KATHARINA MEICHENITSCH

FOTOS: NADJA MEISTER

INTERVIEW

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Themen 11

INTERVIEW

DiakonieThemen: Wie ist es zur Gründung von LIFEtool gekommen?David Hofer: Ich glaube, das waren einfach die Zei-chen der Zeit. Computertechnologien waren etwa in den skandinavischen Ländern, den USA und Kanada schon lange vorher verfügbar, 20 Jahre bevor LIFE-tool gegründet wurde. Und bei uns hat es keine Anlaufstelle dafür gegeben. LIFEtool ist jetzt der erste Ansprechpartner, wenn es um Unterstützte Kommu-nikation geht.

? Was hat sich in den letzten 15 Jahren am stärksten verändert? Das Bedürfnis nach Kommunikation ist jedenfalls un-verändert. Neu sind die starken Menschenrechtsbe-wegungen und die Ratifizierungen der UN-Konventi-on. All das hat es vor 15 Jahren in Österreich noch nicht gegeben. Das unterstützt letztendlich all unsere Bemühungen und gibt dem Ganzen einen rechtlich verbindlichen Rahmen. Das freut mich sehr, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass es in Kanada oder den USA schon seit Langem selbstverständlich ist, Kommunikation als ein Menschenrecht zu sehen. Das Bewusstsein ist dort einfach stärker. Die Situa-tion wird aber auch bei uns immer besser.

? Können massentaugliche Geräte wie das iPad helfen, Kommunikation zu ermöglichen?Das Beispiel iPad oder Tablet-PC zeigt sehr gut, wie viel Be-darf an Beratung da ist. Die Touch-Technologie ist schon längst vor der Einführung des iPad verwendet worden, aller-dings auf sehr speziellen Ge-räten. Wichtig ist, dass alle Faktoren berücksichtigt werden, die ein unterstützt kommunizierender Mensch braucht, also zum Bei-spiel starke Lautsprecher, ein gutes Mikrofon, lange Laufzeiten der Batterien, die richtige Software und schließlich die Kommunikationsstrategie, die gelernt werden muss. Dieses ganze Drumherum kann ein Tablet-PC mitunter nicht leisten.

? Ohne individuelle Beratung geht es also nicht?Genau, und wir schauen eben gemeinsam mit den Menschen, was für die Person passt. In der Entwick-lung berücksichtigen wir die Bedürfnisse, damit das Maximale an Kommunikationsmöglichkeiten ausge-schöpft wird. Andererseits bieten wir Unterstützung, wenn das Kommunikationsgerät nicht funktioniert, wenn ein technisches Problem auftritt. Wir sind die Anlaufstelle, die erreichbar ist, die das Gerät reparie-ren und die Software warten kann. Das ist der Unter-schied zu einem Gerät, das ich mir selbst kaufe. Wenn da etwas kaputt ist, muss es eingeschickt wer-

den, irgendwohin zum Reparieren, und man ist wochen lang von der Kommunikation abgeschnitten.

? Gibt es viele Menschen, die sich etwas im In-ternet gekauft haben, aber erst danach zu euch kommen?Natürlich, es werden immer mehr und mehr. Da gibt es eine große Bewegung, die sagt, warum soll ich 6.000 oder 7.000 Euro für ein Gerät ausgeben, wenn es das Gleiche auch um ein Zehntel gibt? Das führt

aber dann auch oft dazu, dass die Kommunikation nur zu einem Zehntel ausge-schöpft wird, weil das Gerät nicht das richtige ist oder die falschen Möglichkeiten bietet. Aber mich freut es natürlich, wenn sich die Menschen

auch selbst im Internet informieren, weil es zeigt, wie hoch der Bedarf ist.

? Und nach der Beratung?Wichtig ist, dass das Gerät oder die Lösung – das muss ja nicht immer technisch sein – angenommen wird, auch vom Umfeld. Da sehen wir, dass wir um-fassender planen müssen, Stichwort Case Manage-ment: Wir können derzeit aufgrund fehlender finan-zieller Mittel einen Menschen oft nicht über mehrere Jahre begleiten. Dabei wäre es so wichtig, in regel-mäßigen Zeitabständen nachzufragen: Wie geht’s? Wo sind Probleme? Woran scheitert etwas?

? Der Zustand eines Menschen kann sich mit der Zeit verändern, und damit seine Bedürfnisse.Genau. Man muss Rücksicht darauf nehmen, dass unterstützt kommunizierende Menschen aus einem Gerät „herauswachsen“ können. Gleichzeitig hat sich die Recherche nach Lösungen durch das Internet

„In Kanada oder den USA ist es seit Langem

selbstverständlich, Kommunikation als

Menschenrecht zu sehen“

DAVID HOFER ist seit knapp elf Jah-ren Geschäftsführer von LIFEtool, der Organisation für Unterstützte Kommuni-kation und Assistierende Technologien der Diakonie. Das Beratungsnetzwerk von LIFEtool spannt sich über ganz Österreich sowie benachbarte Länder wie Serbien und Tschechien. Vor Kurzem wurde im Rahmen des Martinstift-Symposions das 15-jährige Bestehen von LIFEtool gefeiert. David Hofer hat durch seine gehörlosen Eltern Zugang zum Thema Unterstützte Kommunikation.

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Zeitplaner für Wochenaktivitäten in Unterstützter Kommunikation

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12 Themen

INTERVIEW

David Hofer sieht LIFEtool auf dem Weg zur virtuellen Organisation

wesentlich vereinfacht, und es gibt heute fast nichts, was nicht schon entwickelt worden ist. Oft scheitert man dann nur mehr an der Verfügbarkeit. Wenn zum Beispiel ein kanadischer Hersteller sein Produkt für den europäischen Markt nicht zulassen möchte, weil das für ihn zu viel Aufwand bedeutet. Oder weil Soft-ware nicht in den Sprachen von kleineren Ländern verfügbar ist, in südosteuropäischen Sprachen etwa. Da ist der Markt einfach zu klein. Da möchten wir ein-greifen.

? Werden Kommunikationstechnologien auch von älteren Menschen verwendet?Menschen im Alter haben einen Fernseher, einen Geschirrspüler oder die Waschmaschine, das ist oft schon das Maximum an technischen Geräten. Die Scheu davor, etwas kaputtzumachen, ist sehr groß. Deswegen ist es auch ganz schwierig, jemanden mit Kommunikationsgeräten zu erreichen, auch nach ei-nem Schlaganfall zum Beispiel. Und im Bereich des AAL, des „Active Assisted Living“, wo das Eigenheim mit Technik ausgestattet wird, wird sich das auch mit einem Generationenwechsel, also bei technikaffinen Menschen nicht ändern. Wer wohnt schon gern in einer Umgebung, wo in den eigenen vier Wänden überall Sensoren angebracht sind, damit die Sturz-gefahr vermindert wird? Was bedeutet das in Bezug auf Datenschutz? Für diese Situationen gibt es noch kein Konzept, das diese unterschiedlichen Strömun-gen unter einen Hut bringt.

? Was erwartest du für die Zukunft?Ich bin der festen Meinung, dass Inklusion ohne Un-terstützte Kommunikation und Assistierende Techno-logien nicht gelingen wird. Und ich habe die Hoff-nung, dass die Umsetzung der UN-Konvention, des Nationalen Aktionsplans und der Gleichstellungsge-setze in den einzelnen Bundesländern dazu führen wird, dass Unterstützte Kommunikation für jedes Kind mit Behinderung selbstverständlich wird. Aller-dings hoffe ich auch, dass man in Zukunft nicht mehr zuerst durch einen Spießrutenlauf in der Versorgung muss, weil nicht klar ist, welche Stelle welches Hilfs-mittel finanziert.

? Wohin wird die Reise für LIFEtool gehen?Was LIFEtool betrifft, so glaube ich, dass wir in den nächsten zehn bis 15 Jahren eher eine virtuelle Organisa tion sein werden und dass wir so auch Men-schen, die nicht mobil sind, erreichen können. Zum Beispiel durch Home-Office-ähnliche Beratungssitu-ationen oder mit Skype.

? Und was wäre dir persönlich sehr wichtig?Dass wir den Zusammenhang zwischen Intelligenz und Äußerlichkeiten, der immer wieder hergestellt wird, aufbrechen. Daran arbeite ich sehr stark mit meinem Team. Ich wünsche mir, dass in Zukunft zuerst auf die Intelligenz oder die kommunikativen Fähigkeiten geschaut wird und dann erst auf die Äußerlichkeiten.

„Ich hoffe, dass Unterstützte Kommunikation für jedes

Kind mit Behinderung selbstverständlich wird“

Page 13: Von wegen sprachlos! Unterstütze Kommunikation (Diakonie Themen 01/2013)

Themen 13

Open the Windows“ ist eine gemeinnützige NGO in Mazedonien, die seit 2004 besteht. Die Organisation

ist auf Assistierende Technologien für Menschen mit Behinderung spezialisiert. „Open the Windows“ ermög-licht Klientinnen und Klienten den Zugang zu Bildung und Beschäftigung.

Brot für die Welt Österreich unterstützt „Open the Win-dows“ bei der Herstellung von Lern- und Sprachsoftware für Menschen mit Behinderung in Mazedonien. Kulturell angepasst und kontextabhängig wird die LIFEtool- Lern software ins Mazedonische übersetzt. Die Lern- und Sprachprogramme werden an ausgewählte private und öffentliche Einrichtungen verteilt.

PROJEKTE

Zwölf Menschen mit Behinderung arbeiten in der EDV-Werkstätte Hagenberg des Diakoniewerks. Die Arbeit

mit Computern ist für die betreuten MitarbeiterInnen tägli-che Routine.

Eine wichtige Aufgabe ist die Erstellung von Symbol-tafeln für die Unterstützte Kommunikation der Be hinder ten-arbeit des Diakoniewerks. Für das Land Oberösterreic h prüfen die Hagenberger Texte in „leichter Sprache“, wie das Oberösterreichische Chancengleichheitsgesetz.

Eine besondere Kooperation hat sich mit Studentinnen und Studenten des Softwareparks Hagenberg ergeben, wo sich die Werkstätte befindet: Die Studierenden entwickeln berührungslose Eingabegeräte – die MitarbeiterInnen der EDV-Werkstätte testen sie und geben Feedback.

Die LIFEtool-Beratungsstelle in Wien wurde im Jahr 2002 gegründet und hat ihren Sitz im Albert Schweit-

zer Haus. Das Beratungsangebot umfasst kostenlose Ein-zelberatungen, Informationsveranstaltungen und Work-shops. Es geht um Arbeitsplatzanpassung, Unterstützte Kommunikation und Assistierende Technologien.

Die Betroffenen werden bei der Auswahl erprobter Hard- und Software begleitet. Diese orientiert sich an den Bedürf-nissen von Menschen mit angeborenen oder erworbenen Beeinträchtigungen. Die Betroffenen können die Geräte kostenlos ausborgen, um sie in ihrem persönlichen Umfeld zu erproben.

Dank einer Kooperation mit dem Stromanbieter Verbund können auch verstärkt Kinder mit Behinderung von der Be ratung profitieren. Dabei werden auch die inklusiven Schulen, sonderpädagogischen Zentren, Kindergärten und Tagesstätten, wo die Kinder betreut werden, mitberaten.

Open the Windows „Brot für die Welt“ in Mazedonien.

Profis unterstützen Leichter LesenEDV-Werkstätte Hagenberg als Hardware-Tester.

Technologie zu Hause ausprobierenEin Angebot der LIFEtool-Beratungsstelle Wien.

http://brot-fuer-die-welt.at

www.lifetool.at

www.diakoniewerk.at/wshagenberg

Zugang zu Bildung und Beschäftigung durch Unterstützte Kommunikation

Unterstützung bei der Auswahl erprobter Hard- und Software

Arbeit am Computer ist hier tägliche Routine

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14 Themen

WORDRAP

JOSEF ZOTTERgeboren 1961 in Feldbach/

Steiermark, beginnt 1992 im Hinterstübchen seiner Grazer Konditorei Schoko-

lade zu produzieren. 1999 beschließt er, ganz auf die handgeschöpfte

Schokolade zu setzen. Im ehemaligen Stall am elterlichen Hof wird die

Zotter-Schokoladen- Manufaktur eröffnet.

2001 beginnt er, in die Kakao-Anbauländer

Nicaragua, Peru, Bolivien, Brasilien zu reisen. Er

sucht den direkten Kontakt zu den Bauern. 2004 stellt

Zotter das gesamte Sortiment auf Fairtrade um,

2006 auch auf Bio.

LUXUS? Für mich unbrauchbar

TYPISCH ÖSTERREICH?Apfelstrudel und Raunzen

BEHINDERUNG?Gibt es nicht ... nur eine Einschränkung ...

höchstens ... Behinderung existiert nur im Kopf.

DIAKONIE?Setzt sich für Menschen ein, die es

nicht so toll erwischt haben, und gleicht durch menschliche Zuneigung aus.

SÜCHTIG NACH?Gerechtigkeit und Vanillekipferln

SPRACHLOS?Über Ausländerhetze

HILFS-MITTEL?Kopf und Hände

KOMMUNIKATION?Immer miteinander reden ... und Facebook

LIEBLINGSWORT?Superlässig oder ... Das geht sicher!

VISION? Dass der faire Handel in 50 Jahren abgeschafft werden kann, weil alle fair handeln.

ENTBEHRLICH?Atomkraftwerke

ERSTREBENSWERT?In unseren Kindern weiterleben

LEBENSMOTTO?Gibt es keines ... außer: anpacken!

MIT CHOCOLATIER JOSEF ZOTTER

DWP

ORA

R

Immer miteinander reden ...

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Themen 15

„Auf einem meiner X-Chromosomen gibt es eine ungewöhnli-che Struktur (vielleicht bin ich deshalb so wunderbar), die Ärzte nennen das Rett-Syndrom. Obwohl ich nicht sprechen kann und viel Hilfe brauche, bin ich eine fröhliche und selbst-bewusste junge Dame, die sehr genau weiß, was sie will ... Eines meiner liebsten Hobbys ist das Spielen mit dem iPad. Da gibt’s ja sooo viele tolle Apps. Meine Lieblingsapp ,Touch-Me HokusPokus‘ ist ein einfaches, aber spannendes Spiel, sehr motivierend und witzig. Das Drücken (na ja, eher Hauen) auf den Bildschirm ist ganz schön schwierig für mich, aber

ich bemühe mich sehr. Bei dieser wit-zigen App ist meine Motivation wirklich so groß, sie auch ohne Taster direkt am iPad zu spielen. Mama hat mir letztens bei HokusPokus auch einen Taster angeschlossen. Auch so kann man diese App spielen – eine klasse Sache, da kann dann der Taster genau dort positioniert werden, wo er am einfachsten auszulösen ist.“

„Ich heiße Carina Metka und bin 1982 in Linz geboren. Ich habe Tetraspastik mit Athetose, was vereinfacht heißt, dass ich im Rollstuhl sitze, ausfahrende Bewegungen habe und nicht sprechen kann. Ich sehe mich nicht als behindert, die Gesellschaft sieht mich als behindert, für mich sind meine Einschränkungen ganz normal. Sie sind schon immer in mir, sind ein Teil meines Lebens. Es ändert sich nichts, wenn je-mand seine/ihre Beeinträchti gung(en) nicht akzeptiert, es äußert sich in Depressionen und/oder Selbstzweifel. Ich lebe mit meinem Freund zusammen. Meine Hobbys sind Homepage bearbeiten, einkaufen und Ö3 hören. Meine

Wünsche für die Zu-kunft: Ich möchte einen Partner haben, der in allen Lebenslagen zu mir hält, dass sich Österreich nie in einen Krieg einmischt und dass ich nie in ein ,betreutes Wohnen‘ ziehen muss.Seit Ende des Jahres 2001 habe ich persönliche Assistenz. Diese Art von Unterstützung ist meiner Meinung nach die beste. Ich kann sagen, wer die Assistenz ausführt und wann ich die Unterstützung haben möchte.“

„Ich lebe derzeit bei meiner Mutter. Meine berufliche Aufgabe ist die Kontrolle eingescannter Patientenakten und das Aus-drucken von Patientenbarcodes. Meine Betreuer sagen, ich

schreibe mit den Augen schneller als so mancher auf der Tastatur. Unterstützte Kommunikation bedeutet für mich grenzenlose Selbstständigkeit. Ich kann viel schneller arbei-ten als mit den Joy-Tasten. Derzeit schreibe ich mit 150 Milli-sekunden am PCEye. Wenn ich aufgeregt bin, spreche ich oft undeutlich, und da kann ich mit dem PCEye meine Wün-sche und Beschwerden besser und schneller ausdrücken.“

PCEye: Bedienung des PCs durch Steuerung mit den AugenJoy-Tasten: Mit dem Kopf steuerbare Tastatur und Maus

Lukas Binder schreibt mit den Augen schneller als manch einer mit zehn Fingern

Die Schwimmtherapie macht Isabella viel Spaß und wird manchmal zur „Anspritztherapie“

Carina Metka „Ich sehe mich nicht als behindert“

Isabella M.

„Ich weiß, was ich will“

DIAKONIE WÖRTLICH

Drei Menschen, die in ihrer Lautsprache eingeschränkt sind, treten mit ihrer Umwelt über technische Hilfsmittel in Kontakt. Hier erzählen sie von sich.

In meiner Sprache

Lukas Binder

„Grenzenlose Selbstständigkeit“

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16 Themen

MYTHEN & MÄRCHEN

Wenn Kinder mit Behinderung in der Klasse sind, dann sinkt das Niveau der ganzen Klasse“, heißt es, und:

„Alles gut und schön mit der Inklusion, aber ins-gesamt bedeutet das, dass das Niveau nach unten geht.“ „Mein Kind gebe ich dort nicht hin, denn dann lernt es nichts“, befürchten die Eltern.

Was den Schwachen hilft, nützt auch den Star-ken – wenn die Bedingungen stimmen. Wenn es zu wenig IntegrationslehrerInnen für Kinder mit Behinderungen gibt, wenn geschlossene „Aus-länderklassen“ zum Deutschlernen errichtet werden, wenn zweisprachige BegleitlehrerInnen fehlen, wenn leistungshomogene Restklassen entstehen, wenn die Klassen überfüllt sind, wenn die Architektur flexible Lernformen nicht zulässt – dann gibt es keinen Nutzen für alle.

System mit abschiebender WirkungSozial benachteiligte Kinder, Kinder, die auf-grund ihrer Herkunftsfamilie Probleme haben, Kinder mit Behinderungen oder Kinder, die die Unterrichtssprache noch nicht gut beherrschen: Wie kann man ihnen helfen? – Die Idee, homo-gene Gruppen von Schwächeren zu bilden und

sie im Namen der Integration von den Stärkeren zu trennen, ist nicht neu. Zuerst forderte man von den Schwächeren „Integration“, um sie dann in Segregationsmodelle zu stecken. „Wer nicht in das Schema passt, wird von Spezialis-tinnen und Spezialisten unterrichtet. Das ist ein System mit abschiebender Wirkung“, sagt der Erziehungswissenschafter Werner Specht von der Universität Salzburg.

Inklusion von benachteiligten Kindern und Ju-gendlichen heißt soziale Teilhabe ermöglichen, ihre Ressourcen und Fähigkeiten stärken. Sie setzt ein institutionelles Umfeld voraus, das mit Unterschieden produktiv umgehen kann. Das gilt für Kinder mit Behinderungen genauso wie für Jugendliche mit Förderbedarf und Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen.

Die Starken verlieren nichtInklusion kann allen nützen. Die Starken verlie-ren nicht. Sie profitieren von den Lernbedingun-gen, die den Schwachen helfen. Das zeigen alle Schulvergleichsstudien. Schulsysteme können ihre Besten für Spitzen leistungen qualifizieren und gleichzeitig dafür sorgen, dass der Abstand der schwächsten Schüler zu den besten gering ist. Schulsysteme, die Risikogruppen klein hal-ten, bieten allen Kindern bessere Möglichkeiten.

Die Förderung von Kindern aus einkommens-armen Haushalten geht nicht auf Kosten der Ent wicklung aller Kinder. Das zeigen die Schul-systeme in Finnland oder in Kanada. Der Abbau der Leistungsdifferenzen wird durch bessere Leistungen der schwachen SchülerInnen bewirkt.

Dafür braucht es Lernbedingungen, die allen Vorteile bringen. Schon die Pädagogin Maria Montessori wusste es: „Der Weg, auf dem die Schwachen sich stärken, ist derselbe Weg, auf dem die Starken sich vervollkommnen.“

Bedeutet Inklusion Nivellierung nach unten?

Wenn Kinder mit Behinderung in der Klasse sind, sinkt dann das Niveau der ganzen Klasse?

VON MARTIN SCHENK

STIMMT´S?

MYTHEN & MÄRCHEN

Gelebte Inklusion in Schulen bringt Vorteile für alle Lernenden

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Themen 17

INHALT

Ein möglichst früher Start ist bei der Kommunikationsförderung für Kinder besonders wichtig. In Oberösterreich funktioniert das gut. Dort hat die Diakonie dafür ein Konzept entwickelt.

Im Jahr 2004 wurde das von Andrea Box-hofer initiierte Pilotprojekt „Frühe Kommuni-kationsförderung“ im Diakonie Zentrum

Spattstraße gestartet. Das Konzept der Unter-stützten Kommunikation sollte in Familien mit nichtsprechenden Kindern ab dem zweiten Le-bensjahr umgesetzt werden. Finanziert wird das Angebot durch das Land Oberösterreich.

Fördern in der FamilieSeit 2008 ist die frühe Kommunikationsförde-rung im oberösterreichischen Chancengleich-heitsgesetz als Hauptleistung festgeschrieben. Ziel ist es, für das jeweilige Kind geeignete Kom-munikationsstrategien zu finden. Die Eltern wer-den dabei intensiv begleitet, damit diese Strate-gien gut in den Alltag integriert werden können. Der größte Teil der Fördereinheiten wird dabei zu Hause in der Familie geleistet.

Im Zug der frühen Kommunikationsförderung lernen die Kinder alternative Kommunikations-mittel kennen. Diese können Gebärden, Foto- und Symbolkärtchen, Kommunikationsmappen, Apps für Tablet-PCs und Computersoftwares sein. Diese können per Touchscreen, Kopf- oder Augensteuerung bedient werden.

Vorher ist es notwendig, ein Ursache-Wir-kungs-Verständnis aufzubauen. Dabei werden Hilfsmittel eingesetzt, deren Ziel es ist, durch Drücken einer Taste bestimmte Aktivitäten oder Handlungen des Gegenübers auszulösen. Die

Möglichkeiten der Unterstützten Kommunikati-on sollen die Lautsprache nicht ersetzen, son-dern ergänzen. So kann eine Auswahl getroffen, eine Situation kommentiert oder auch Protest ausgedrückt werden. Die unterstützt kommuni-zierende Person kann einen Dialog starten.

Ziel der Unterstützten Kommunikation ist das Fördern des Interesses an Kommunikation und des Sprachverständnisses. Deshalb soll so früh wie möglich damit begonnen werden.

Teilhabe am AlltagDas Bedürfnis nach Kommunikation ist in je dem Menschen – mit oder ohne Beeinträchtigung – vorhanden. Deshalb ist es wichtig, mit den Betroffenen ein mehrdimensionales Kommuni-kationssystem zu erarbeiten, das mehrere Sinne und Ebenen anspricht und so über die Grund-versorgung hinaus eine Teilhabe am Alltag er-möglicht. Dies erfordert auch Kompetenzen beim Kommunikationspartner, um ein Verstehen zu garantieren.

Eine entsprechende Anpassung des Umfelds zum Beispiel durch Symbolkarten, die am Kühl-schrank, im Bad, am Kleiderkasten usw. ange-bracht sind, erleichtern und ermöglichen eine rasche, effektive Kommunikation.

Erst wenn die Unterstützte Kommunikation in den Alltag integriert ist, wird eine aktive und selbstbestimmte Teilnahme am sozialen Leben möglich.

Mag.a (FH) Andrea Boxhofer,Geschäftsführerin Diakonie Zentrum Spattstraße

Mag.a Andrea Leonharts-berger, Leiterin frühe Kommunika tionsförderung

Kommunikation muss gelebt werden

FACHKOMMENTAR

Page 18: Von wegen sprachlos! Unterstütze Kommunikation (Diakonie Themen 01/2013)

18 Themen

Telefonieren weltweitVon 7,7 Milliarden Menschen auf der Erde besitzen 2013 4,3 Milliarden ein Handy.

Hilfsmittel in Österreich240.000.000 Euro wurden 2012 von der österreichischen Krankenversicherung für Hilfsmittel ausgegeben.

Hilfsmittel in der Schweiz179.500.000 Euro wurden 2012 von der Schweizer Invalidenversicherung für Hilfsmittel ausgegeben.

18 Themen

ZAHLEN

Hilfsmittel in Deutschland 5.250.000.000 Euro wurden 2012 von den deutschen Krankenkassen für Hilfsmittel ausgegeben.

0%

20%

40%

60%

80%

100%

33%

2002 2005 2010 2013

47%

73%81%

Internet in Österreichs Haushalten

Mehr Infos zur Schweiz73.000 Personen bezogen im Jahr 2012 Hilfsmittel.32.258 davon bezogen Hörgeräte.10.549 davon bezogen Rollstühle.2.094 davon bezogen Hilfsmittel für den Kontakt mit der Umwelt.Für Österreich sind leider keine Zahlen verfügbar.

Kosten für Unterstützte Kommunikation 7.400 Euro kostet ein Sprachausgabegerät für Kinder. Durchschnittlich 2.000 Euro kostet ein Rollstuhl für Kinder.Durchschnittlich 500 Euro kostet ein iPhone.

Weltweite Verkaufszahlen Tablets – PCs – Smartphones

2.400.000.000 Tablets, PCs und Mobiltelefone werden weltweit pro Jahr abgesetzt. 1.900.000.000

davon sind Handys und Smartphones.

197.000.000 davon sind Tablets.

Die Welt in Zahlen

Quellen: Eurostat, Statistik Austria, Statistik Schweiz, Hauptverband der österreichischen Sozial versicherungsträger, www.statista.com, www.futurezone.at, www.faz.net, www.hilfsmittelinfo.gv.at

SMS weltweit und in Österreich6.100.000.000.000 SMS werden pro Jahr weltweit verschickt,

5.700.000.000 davon in Österreich.

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Themen 19

BÜCHER | EUROPA

Living in the State of Stuck How Assistive Technology Impacts the Lives of People with DisabilitiesMarcia J. Scherer, Brookline 2000g Die US-amerikanische Professorin Marcia Scherer, Expertin auf dem Gebiet der Assistierenden Technologien, hat viele

Publikationen zu diesem Thema veröffentlicht. „Living in the State of Stuck“ ist jedoch einzigartig – es verbindet grundlegende Informationen zu (elektronischen) Hilfsmit-teln mit Beispielen ausgewählter Personen, die für das Buch seit dem Jahr 1985 begleitet wurden. Daraus lassen sich Handlungsempfehlungen für die Politik ableiten, die Scherer vor allem in einem personenzentrierten Ansatz sieht. Das Buch ist nur in englischer Sprache erschienen.

Jetzt sag ich’s dir auf meine Weise! Erste Schritte in Unterstützter Kommunikation mit KindernAnnette Kitzinger, Ursi Kristen, Irene Leber, Loeper 2003 g Dieser neue, ganz auf die Praxis

abgestimmte Band zeigt an vielen Beispielen, wie glücklich Unterstützte Kommunikation machen kann, wenn etwa ein Kind das erste Mal prustet, um auf seine Weise zu sagen, dass es noch einmal Seifenblasen sehen möchte. Das Buch will eine gemeinsame Grundlage der Bezugspersonen schaffen. Unterstützte Kommunikation soll keine zusätzliche Aufgabe sein, sondern das Leben erleichtern und bereichern.

Kathrin spricht mit den Augen Wie ein behindertes Kind lebtKathrin Lemler, Stefan Gemmel, Zweihorn 2005 g Dieses Buch schildert den Alltag eines zehnjährigen Mädchens mit Behinderung. Nicht nur die Fotos machen diesen Bericht

sehr anschaulich, auch das Interview – acht Jahre danach – ergänzt die Sichtweise der jungen Frau, die aufgrund ihrer Behinderung oft unterschätzt wird. Das Buch hilft zu verstehen, warum Selbstbestimmung und eigenständige Kommunikation notwendig sind.

Trotzdem reden – Unterstützte KommunikationTula Roy, Christoph Wirsing; Bestellung: www.trotzdem-reden.deg Dokumentar- und Lehrfilm mit Men-schen, die Beeinträchtigungen in ihrer Lautsprache haben, sowie deren Angehö-

rigen und Bezugspersonen. Der Film zeigt das breite Spektrum der Methoden zu Hause, in der Schule oder am Arbeitsplatz und richtet sich auch an Fachpersonen.

Buchempfehlung Best of EUrope

B ojana ist 30 Jahre alt und gehörlos. Als Frühchen ver-lor sie infolge von Sauerstoffmangel 80 Prozent ihres

Gehörs. Nach der Sonderschule besuchte sie in Belgrad eine Realschule und machte eine Ausbildung als Buchbin-derin. Diese Bildungskarriere im Bereich Handwerk ist sehr häufig für Menschen mit einer Hörbehinderung. Nur selten können gehörlose Menschen in Serbien höhere Ausbildun-gen machen, auch aufgrund der oft fehlenden Hilfsmittel.

Bojana ist seit fünf Jahren bei EHO (Ecumenical Huma-nitarian Organisation) beschäftigt, einer Diakonie-Organi-sation in Novi Sad. Sie ist als Projektassistentin beim Ressourcenzentrum für Menschen mit Behinderungen an-gestellt. Dabei arbeitet sie in der Unterstützung für Klientin-nen und Klienten oder unterrichtet in Gebärdensprache.

Beitrag zur ZivilgesellschaftEHO ist es wichtig, zu einer zivilgesellschaftlichen Bewe-gung beizutragen. Außerdem stärkt die Organisation Frie-densarbeit und die Vermittlung zwischen ethnischen und religiösen Gemeinschaften. Dies drückt sich in ihren Ar-beits feldern aus. Das Engagement reicht von der Armuts-vermeidung über die Arbeit mit Menschen im Alter, Men-schen auf der Flucht bis zu Menschen mit Behinderungen.

Im Ressourcenzentrum, das seit 2002 existiert, sollen Grundsteine für die Inklusion gelegt werden. Weil EHO eine der wenigen Behindertenorganisationen in der Vojvodina ist, ist das Spektrum der Leistungen breit und reicht von Qualifizierungsmaßnahmen im Bereich der Computerkennt-nisse über Informationsaustausch bis zu Advocacy-Maß-nahmen. Im eigenen Computerraum ist es möglich, mit Assistierenden Technologien zu arbeiten. Ziel ist es, dass jedes Jahr 100 Menschen mit Hilfe von elektronischen Hilfsmitteln aktiv am Erwerbsprozess teilnehmen können.

Bojana hat den Einstieg in die Arbeitswelt geschafft. Im Zug ihrer Arbeit hat sie auch die Fertigkeit des Lippen-lesens erlernt. Dadurch hat sie Kontakt mit zahlreichen Menschen, die der Gebärdensprache nicht mächtig sind. Dies steigert ihre Selbstbestimmung und zeigt, dass Inte-gration am Arbeitsmarkt nicht ausreicht – Inklusion muss in allen Lebenslagen ermöglicht werden.

SERBIEN Von den Lippen gelesen

Bojana unterrichtet Gebärdensprache in Novi Sad

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20 Themen

DIAKONIE HAUTNAH

P atrick kann sich über seine Lautspra-che kaum ausdrücken. Er benutzt ein elektronisches Sprachaus gabegerät

und ist in einer EDV-Werkstätte der Diakonie in Oberösterreich tätig. Seit einiger Zeit ist er in einer Facebook-Gruppe aktiv. Er teilt seinen Facebook-Friends seine Vorhaben mit und kommentiert Beiträge anderer Gruppenmitglie-der. Besonders vor und nach Sportevents und Kinobesuchen hat er Lust, sich öffentlich zu äu-ßern. Er schreibt meist nur wenige Wörter, doch dass er sie schreibt, damit sie von anderen wahrgenommen werden, bedeutet mehr, als sich Außenstehende vorstellen können.

Peter hingegen ist sehr mitteilsam. Seit er ein iPad hat, meldet er sich noch öfter, aus der Ar-beit in der Diakonie-Werkstätte wie auch am

Feierabend oder vom Urlaub.

Ulla zeigt uns Fo-tos von ihren Besor-gungen, von ihrer Betreuerin und der Verkäuferin, mit der sie mit dem Gerät Smalltalker kommu-niziert. Das junge

Mädchen im Rollstuhl lacht auf vielen Fotos und vermittelt ihren Freundinnen und Freunden auf Facebook, dass sie trotz Einschränkungen recht mobil und überall dabei ist.

Patrick, Peter und Ulla sind Mitglieder der Facebook-Gruppe „Freunde bei Verbund“, die der Stromanbieter mit der Diakonie im Jahr 2011 ins Leben gerufen hat. Diese Facebook-Gruppe ermöglicht, dass sich Verbund-MitarbeiterInnen abseits vom Engagement des Unternehmens mit Menschen mit Behinderung vernetzen kön-nen. Dabei geht es darum, dass nicht nur Klientinnen und Klienten neue Menschen ken-

nenlernen, sondern auch, dass Verbund-Mit ar-bei terIn nen erleben, wie Menschen mit Behin-derung ihr Leben selbst bestimmt meistern.

„Kurz nach der Gründung der Facebook-Plattform und einigen Vorstellungs-Postings liefen schon die ersten Threads zu Themen des Alltags ohne und mit Behinderungen. Von Anfang an zog sich ein positiver Grundton durch alle Wortmeldun-gen. Hobbys und Faibles wurden ausgetauscht, Vorlieben für Essen, Musik und Jahreszeiten“, erzählt Bernhard Heiller, einer der Pro tagonisten des Volunteering-Projekts beim Verbund, in das rund 90 Menschen involviert sind.

Von Facebook zum realen Treffen„Dass auch TechnikberaterInnen für Assistieren-de Technologien und Unterstützte Kommunika-tion in der Gruppe sind, hat am Anfang bei der Annäherung geholfen. Jetzt sind alle auf gleicher Augenhöhe unterwegs“, betont Josef Lengauer, Leiter der EDV-Werkstätte der Dia ko nie in Ha-genberg. Dort sind zehn MitarbeiterInnen mit Behinderung – manche mit ihren Betreu erinnen bzw. Betreuern – in der Face book-Grup pe aktiv.

„Dass die BetreuerInnen eingebunden sind, ist wichtig“, sagt Josef, denn „erstens ist Face-book nicht barrierefrei und die Bedienung mit den Endgeräten unserer Klientinnen und Klien-ten nicht einfach. Zweitens ist es wichtig, dass sie sich darüber austauschen, was sie in Face-book von sich zeigen möchten und was nicht.“

Was die Facebook-Gruppe darüber hinaus besonders macht, ist der Umstand, dass die Freundschaften nicht nur im Web existieren. So haben sich die Freundinnen und Freunde bei Verbund vor Kurzem in einem Verbund-Kraft-werk getroffen, gemeinsam gesehen, wie Strom entsteht, und ihre Facebook-Freundschaften vertieft. So ist aus der virtuellen „Vernetzung“ ein reales soziales Netzwerk geworden.

Die Facebook-Gruppe „Freunde bei Verbund“ wird dem Begriff „Social Network“ in besonderer Form gerecht: Hier tauschen sich Menschen mit und ohne Behinderung aus und geben einander Einblick in ihre unterschiedlichen Welten.

Jahrestreffen der Facebook-Gruppe

„Freunde bei Verbund“ im Rahmen der barrierefreien

Besichtigung des Donau-kraftwerks Abwinden

und ganz realFreunde virtuell

VON ROBERTA RASTL-KIRCHER

Page 21: Von wegen sprachlos! Unterstütze Kommunikation (Diakonie Themen 01/2013)

Themen 21

KURZ GEMELDET

Im Jahr 2014 werden das medizinische Zentrum Amber-Med in Wien und das interkulturelle Psychotherapiezent-

rum Ankyra in Innsbruck zehn Jahre alt. Die Einrichtungen verbindet die Sorge um die Gesundheit von Men schen mit Flucht- und Migrationsgeschichte in Österreich.

AmberMed wurde zur Versorgung kranker, unversicherter AsylwerberInnen gegründet. Inzwischen hat Amber Med die medizinischen Leistungen und soziale Beratung auf alle Menschen ohne Krankenversicherung ausgeweitet. Über die Jahre haben sich Ärztinnen und Ärzte, DolmetscherInnen, Assistentinnen und Assistenten sowie Therapeutinnen und Therapeuten eh ren amtlich zur Verfügung gestellt. Allein im vergangenen Jahr sind über 1.500 von Armut betroffene Menschen betreut worden.

Ankyra begleitet seit zehn Jahren Flüchtlinge sowie Mig-rantinnen und Migranten bei der Bewältigung von Krisen und Traumatisierungen.

Im Vorjahr waren es über 300 Frauen, Männer und Kinder, die im Rahmen von Einzeltherapien und Gruppenangeboten

Raum für ihre Verletzungen fanden und ihre Ressourcen stär-ken konnten.

2 x 10 erfolgreiche Jahre Die Zentren AmberMed und Ankyra.

www.diakonie-delatour.atwww.miteinander-leben.at

www.amber-med.at • www.diakonie-tirol.at/ankyra

E ine von vier allein lebenden Frauen mit Pension ist von Altersarmut bedroht. Elke Merl, Geschäftsführerin der

Diakonie Miteinander leben, kennt viele dieser Fälle aus dem betreuten Wohnen für Seniorinnen und Senioren. Teil-zeitarbeit, Kinderbetreuungszeiten und schlecht bezahlte Berufe lassen Frauen im Alter unverschuldet in die Armuts-falle geraten. Das Projekt „eine von vier“ soll das Thema nun in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken und Bewusstsein schaffen.

Außerdem wird konkrete Hilfe geleistet: Spenden wer-den in Form von Lebensmittelgutscheinen an Betroffene weitergegeben.

eine von vier Frauen von Altersarmut bedroht.

M it einer Fachtagung am 4. und 5. Oktober feierte das Krankenhaus de La Tour sein 30-jähriges Bestehen.

Unter dem Motto „Sucht im Wandel der Zeit“ wurde über zeitgemäße Therapien für Abhängigkeitserkrankungen dis-kutiert. Suchterkrankungen betreffen Frauen und Männer jeden Alters. Therapiekonzepte müssen daher der Kom-plexität der Krankheitsbilder gerecht werden.

Das Krankenhaus de La Tour ist auf die Behandlung von Alkohol-, Medikamenten- und Spielsucht sowie anderen Verhaltensabhängigkeiten spezialisiert. 400 Menschen mit Suchtproblemen werden jährlich behandelt.

Sucht im Wandel der ZeitFachtagung im Krankenhaus de La Tour.

AmberMed versorgt Menschen ohne Krankenversicherung

Auf Suchtkrankheiten spezialisiert: das Krankenhaus de La Tour in Treffen

Altersarmut trotz Pension: Lebensmittelgutscheine helfen

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22 Themen

AUF DEN PUNKT GEBRACHT

Der „Ohrenschmaus“-Literaturpreis für Menschen mit Lernbehinderungen wurde heuer im Dezember zum 7. Mal

vergeben. Er versteht sich als Förderpreis, der Texte von Menschen mit Lernbehinderungen prämiert und ihnen den Zugang zur Literatur ermöglicht. Das heurige Motto lautet „selbst ge-dacht, selbst gemacht“. Die Diakonie Themen präsentieren drei der PreisträgerInnen.

Julian Messner über seinen Alltag:„Ich bin gern in die Schule gegangen. Früher habe ich keine Ferien gemocht, darum habe ich geweint, wenn sie angefangen haben. Jetzt liebe ich die Ferien genauso wie die Arbeit.

Ich habe immer gern ferngeschaut und gele-sen, aber auch gut gegessen und getrunken. Ich

kann gut die ganzen Geburtstage der Verwand-ten, der Familie, der Freundinnen und Freunde auswendig. Ich schaue keine Nachrichten, die gefallen mir nicht.

Ich habe in meinem Heimatdorf oder in Brun-eck beim ,kleinen Theater‘ mitgespielt, habe wunderbare Rollen gehabt und sie auch gut gespielt. Ich koche für mich selbst, wenn meine Mutter mal unterwegs ist, ich koche gerne wunder bare Sachen.

Ich schreibe ganz besonders gern. In der Kunstwerkstatt ,Akzent‘ schreibe ich Gedichte und anderes mit der Elfriede, und ich male Bilder, für die ich Geld bekomme. Das Geld brauche ich für meine Hochzeit, ich möchte meine liebste Freundin Annemarie bald zur Frau nehmen. Darauf freue ich mich schon sehr.“

JULIAN MESSNER 1986 in Bruneck/Südtirol

geboren. Ausbildung in der Berufsschule. Arbeit ab 2006 im „Integrierten Kunstatelier“ in Bruneck.

Seit 2010 ist Julian Messner in der

Kunstwerkstatt „Akzent“ der Lebenshilfe in

Bruneck tätig.

Selbst gedacht,

selbst gemacht

ich denke ich denke mir so wie ich bin so und nicht anders soll ich sein und so hätte ich mich auch selbst gemacht ich habe augen nase mund und ein schönes gesicht habe eine brille zum sehen und hände zum streicheln und beine zum gehen habe ohren zum hören einen hals zum recken und hüften zum kreisen mein körper ist ganz aufrecht

habe zähne zum beißen eine zunge zum schlecken und schmecken und rote lippen zum küssen ein herz um zu lieben eine lunge zum atmen einen kopf zum denken und zum entscheiden das alles brauche ich nur EINS hätte ich anders gemacht ich hätte mir ganz bestimmt nicht das down-syndrom verpasst – ich will nicht behindert sein

von Julian MessnerLiterarische Begleitung: Elfriede Kehrer

Der „Ohrenschmaus“-Literaturpreis für Menschen mit Lernbehinderungen: drei PreisträgerInnen mit Textproben.

Julian Messner mit „Ohrenschmaus“-Schirmherr Felix Mitterer

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Themen 23

AUF DEN PUNKT GEBRACHT

Wolkenblasen Ich schob bei einem dunklen, garstigen Wetter ein Wolkenblasgerät den weiten Hügel hinauf. Mein guter Freund half mir ein wenig, dann schob er mich an und wir waren droben! Wir zogen es mit einer Schnur hinauf! Ich setzte mich hinein und er zeigte mir noch, wie man eine dunkle Wolke wegbläst! Ein Hebel vorwärts, einen zurück, den Knopf drücken! Es schaut aus wie eine riesengroße Trompete in der Mitte! Man muss sie nur steuern, suchen und aktivieren! [...] Jetzt ging mein Freund ins Büro zurück, und ich war allein. Ganz allein! Als ich viele Wolken wegblies, war es wieder wunderbar hell und klar! Viele Stunden vergingen. Als ich ins Büro zurückging, war mein Freund sehr aufgeregt, er konnte nicht darüber sprechen. Als ich ihn beruhigte, ging

plötzlich die Tür auf und zwei schwarz gekleidete Männer nahmen ihn in einem dunklen Oldtimer mit! Ich war entsetzt! Ich rannte auf den Hügel, setzte mich in die Maschine und versuchte dunkle Wolken anzulocken! Man sah, wie sie schnell vergingen, die schönen blauen Wolken. Es wurde dunkel, es regnete, als die Männer mit meinem Freund unter dem Hügel plötzlich vorbeifuhren, ließ ich es ein paar Mal so stark blitzen, dass die Männer entschieden, wieder umzukehren! Bald waren sie im Büro und ich hatte wieder meinen Freund! Er wäre sonst erschossen worden wegen Schulden! Ich habe ihn gerettet. Die Männer hauten ab. Aber was wäre, wenn man immer alleine wäre? Man finge zu weinen an vor lauter Einsamkeit!

von Alfred Lanner

Die Weihnachtsfeier Ich freue mich schon auf meinen AuftrittUm 9 Uhr habe ich ProbeUm halb 10 – ab jetzt wird nicht mehr gesprochenUm 10 Uhr – der Kopf ist leerUm 11 Uhr – jetzt ist mein AuftrittIch tanz zum Lied von der Shakira – waka wakaIch bin voller Zuversicht, dass ich meinen Auftritt schaffeBevor mein Auftritt beginnt, zähle ich immer die Sekunden runter

Noch 10, noch 9, noch 8, noch 7, noch 6 noch 5, noch 4, noch 3, noch 2, noch 1 noch 0Mein Outfit ist gut ausgesucht, mein Auftritt kann beginnen.Ich werde alles richtig machen, so einen Hüftschwung wie die Shakira kann ich doch schon längst. Für einen kurzen Moment wie die Shakira zu sein freut mich jetzt schon. Ich weiß nur eins: Dieser Auftritt wird nicht leicht sein für mich.

von Jessica Rosenfeld

ALFRED LANNER 1974 in in Tirol geboren. Alfred Lanner arbeitete als Gas- und Wasserlei-tungsinstallateur, in einer Gärtnerei und als Fabriks-arbeiter. Heute lebt er im Waldviertel und ist in der Tagesstätte Zuversicht tätig.

JESSICA ROSENFELD ist 1991 in Wien gebo-ren. Sie arbeitet in einer Werkstätte, malt dort Leinwandbilder und arbei-tet mit Ton. Sie singt und tanzt gerne und schreibt auch Liedtexte. Sie liebt Pferde und Katzen, und ihr

„allergrößtes Lieblingstier“ ist der Maulwurf.www.ohrenschmaus.net

DIchterInnen der Ehrenliste bei der Ohrenschmaus-Preisverleihung 2012

Page 24: Von wegen sprachlos! Unterstütze Kommunikation (Diakonie Themen 01/2013)

Hilfe für Kinder und Jugendliche in Not.Seit es den Adventkranz gibt.

Hoffnungsträger

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