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LOHNT SICH
M a r k e n s a n i e r u n g
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Dass der Discounter Lidl nicht mehr das Schmuddelkind von früher ist, hat viele Gründe. Einer davon: die Agentur Freunde des Hauses. Die Geschichte einer Image-Rettung
TEXT: Uli Busch
Es gibt leichtere Jobs in der Werbebranche. Aber fragte man Thore Jung heute noch ein-mal, ob er Lidl als Kunden betreuen würde, die Antwort wäre dieselbe wie vor acht Jahren: selbstverständlich. Jung ist der Gründer und Geschäftsführer der Hamburger Agentur Freunde des Hauses , und seit 2007 betreut sein Laden den Lebensmitteldis-counter. Acht Jahre, in denen viel passiert ist. Acht Jahre, in denen Jung und seine Mannschaft so ziemlich alles gegeben haben – und dafür erst kürzlich reichlich Spott aus der Branche geerntet haben.
Aber außerdem acht Jahre, in denen sie es geschafft haben, das Image des Kon-zerns deutlich ins Positive zu drehen.
Lidl. Das war lange Zeit ein befleckter Name. Im Frühjahr 2008 hatte das Maga-zin Stern enthüllt, dass das Unternehmen aus Neckarsulm seine Mitarbeiter mit Hilfe von Detektiven bespitzeln ließ. Protokollierte Toilettengänge inklusive. Keine schöne Sache. Und da Lidl schon davor immer mal wieder in der öffentlichen Kritik stand wegen schlechter Arbeitsbedingungen, war das Image 2008 ziemlich genau da, wo es nicht sein sollte: nämlich ganz unten.
Heute ist vom miesen Ruf nicht mehr viel übrig geblieben. Bessere Arbeitsbedin-gungen, Ende der Videoüberwachung, vor
allem aber: besseres Image. Lidl ist immer noch ein Discounter. Doch er wird nicht mehr als Schmuddelkind wahrgenommen. Und wenn das Unternehmen in seiner Werbung das große Wort Qualität schwingt und vom guten Leben spricht, ja, dann gibt es sie im-mer noch, die Kritiker. Aber der Konsument
da draußen, der hat die neue Wahrheit ge-schluckt. Und das ist zu einem nicht
geringen Anteil Thore Jung und seinen Freunden des Hauses zu
verdanken. Dabei hatte die Agentur
den Lidl-Pitch kurz vor dem Skandal gewonnen. Die Über-wachungsgeschichte über-raschte die Hamburger also genauso wie den Rest der Republik. Nach dem ersten Schock ging ihnen aber auf: An der Situation hatte sich
eigentlich gar nicht so viel ge-ändert. Es musste ohnehin eine
neue Idee her für den Discounter. Denn dass billig nicht alles
sein kann, stand für die Agentur fest. „In den Preiskampf mit Aldi zu ziehen
hat keine Zukunft“, sagt Kreativchef Boris Schmarbeck . Statt bei Lidl einkaufen zu müssen, das war ihre Ausgangsüberlegung, sollten die Kunden dort einkaufen wollen. Ohne Skandal wäre das leichter zu erreichen gewesen. Aber eine durchdachte Marke-
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tingstrategie kann am Ende eben doch einiges erreichen.
„Alles, was wir für Lidl machen, hat den Anspruch, die Menschen zu überraschen“, sagt Jung. Und tatsächlich: dass ausgerechnet der Billigheimer Lidl eine Qualitätsoffensive fährt, das war nicht unbedingt zu erwarten. Ande-rerseits war es auch schon eine Überraschung, dass Lidl sich die Freunde des Hauses als Agentur aussuchte.
Der Gegensatz zwischen Unternehmen und Agentur ist ein deutlicher. Auf der einen Seite der mittelständisch geprägte, verschlos-sene Milliardenkonzern aus der baden-würt-tembergischen Provinz, dessen Anfänge sich zurückführen lassen auf einen 1858 gegrün-deten Südfruchthändler. Auf der anderen die kleine, hippe Werbeboutique (38 Mitarbeiter) aus der Millionenstadt Hamburg, die es erst seit 2008 gibt und zu deren Leitlinien rück-sichtslos offenes Kommunizieren gehört. Im-merhin: Die Agentur hatte Erfahrung mit Handelsunternehmen. Vor Lidl hatte schon die Muttergesellschaft der Freunde, Zum gol-denen Hirschen, etwa die Baumarktkette Toom betreut, später dann Real, Supermarkt-tochter von Metro. Hätte trotzdem schief-gehen können, die Zusammenarbeit. Aber beide haben es gewagt. Wochenlang bereiteten sich die Freunde auf den Pitch vor, unzählige Entwürfe wurden bis zur Finalpräsentation verworfen. Dann gewannen sie den Etat. Und seitdem sind sie Leadagentur für den deut-schen Markt, international Kreativagentur.
Zu Unrecht abgewatscht?
Wie also schafft man den Imagewandel für ein Unternehmen, das zwar ziemlich bekannt ist, aber ziemlich niedrige Sympathiewerte hat? Mit Filialen in 26 Ländern ist Lidl heute die
Ratgeber Thore Jung, Gründer und Geschäftsführer der Agentur Freunde des Hauses. Das Unternehmen wurde 2008 eigens für den Kunden Lidl gegründet – und macht unter dem Dach der Hirschen-Gruppe sein eigenes Ding. Der Anspruch: zuhören und sagen, was man denkt
„Alles, was wir für Lidl machen, hat den
Anspruch, die Menschen zu überraschen“
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größte Discountkette in Europa. Auch inter-national haben es die Schwaben weit gebracht: Nach den Berechnungen der Beratungsfirma Deloitte belegt die in Heilbronn ansässige Schwarz-Gruppe, die Mutterfirma von Lidl, weltweit Rang vier der umsatzstärksten Han-delsunternehmen, hinter Walmart (USA), Costco (USA) und Carrefour (Frankreich), aber vor Metro (Rang sieben) und Aldi (Rang acht). So ein Ungetüm dreht man nicht mal eben in zwei, drei Monaten. Das ist ein Pro-zess, der eher in Jahren abläuft. Vor allem, wenn man von einem so schlechten Start-punkt aus anfängt. Den Anfang machte dann ein ziemlich kluges Motto, das an die Stelle des Billig-Mantras rückte: „Lidl lohnt sich.“ Das markierte den Beginn einer Charme-Offensive, die ihren vorläufigen Höhepunkt mit der im Februar angelaufenen Qualitäts-kampagne fand. Und die mit viel Mediamacht in den Markt gedrückt wurde: Die Werbeaus-gaben von Januar bis Mai 2015 beliefen sich auf 133 Mio. Euro, ein Plus gegenüber dem Vorjahreszeitraum von knapp 68 Prozent. Am meisten profitierte das Fernsehen davon: Die Spendings für TV-Spots erhöhten sich um 164 Prozent auf rund 71,5 Mio. Euro.
Der Spot? Besser als gedacht
16 Monate lang haben die Freunde des Hauses an dieser Kampagne gearbeitet – und dann wahnsinnig viel Kritik dafür einstecken müs-sen. Prominentester Teil der Kampagne sind hochemotionale Werbespots. Im ersten Film etwa, der vier Tage lang auf allen großen Sen-dern lief, wird gefragt: „Woran erkennen wir eigentlich, was gut ist?“ Die über Heile-Welt-Bilder gelegte Antwort: „Was gut ist, erkennen wir daran, dass es gut für uns ist.“ In der Däm-merung über einem romantischen Sandstrand
erscheint das Lidl-Logo. Abblende. Es folgten im April zwei weitere Spots, die ähnlich ge-strickt das Weichzeichnerporträt von Lidl als idealem Supermarkt und Arbeitgeber malen. Die Werbebranche zerriss sich das Maul. „Wenig eigene Handschrift“, lautete einer der Vorwürfe. „Werbung ohne Realitätsbezug“ ein anderer (siehe auch Spalte rechts).
Das hat die Freunde nicht kaltgelassen. Die Enttäuschung über die Kollegenschelte sitzt tief, das ist heute in der Agentur noch deutlich spürbar. Das hat auch damit zu tun, dass Lidl für die Freunde des Hauses mehr ist als nur ein Kunde unter vielen: Wenn sie über den Discounter sprechen, dann sagen sie mindestens ebenso oft „wir“ wie „Lidl“. „Wir haben einfach qualitativ hochwertige Produkte“ – statt „Lidl hat“. Dass sie selbst bei Lidl einkaufen, nimmt man ihnen be-denkenlos ab. „Wir arbeiten seit acht Jahren für Lidl, seit sechs Jahren für ING-Diba“, sagt Jung. „Das funktioniert nur deshalb so gut, weil wir so tief in die Materie einstei-gen und verstehen, wo das Potenzial der Marke liegt.“
Umso größer ist dann auch ihr Unver-ständnis über das Unvermögen, Dinge rich-tig einzuordnen. Denn der viel kritisierte Image spot, so Jung, sei ja nur ein Teil der Ende Februar angelaufenen Kampagne. Wer den Werbeauftritt wirklich beurteilen wolle, müsse das Gesamtbild sehen: die Pro-duktspots, die nach dem Imagefilm geschal-tet wurden. Die Print- und Radiowerbung. Das Anfang März erschienene Kundenma-
Z I T A T E
„Hier haben die Begriffe Teaser und Imagespot die Gehirne der Verantwort-
lichen abgeschaltet“Klaus Brandmeyer
Brandmeyer Markenberatung
„Muss denn aus allem immer so ein ichbezoge-ner Weltverbesserungs-käse gemacht werden?“
Michael Weigert, Geschäftsführer Weigertpirouzwolf
„Ein hochwertig produ-zierter Vignettenspot.
Doch die Lücke zum PoS könnte groß sein“
Björn Bourdin, Marketingdirektor Sony
4.Platz
In der Rangliste der weltgrößten Einzel-händler hat sich die Schwarz-Gruppe, zu der Lidl gehört, unter die ersten Fünf geschoben.
(Quelle: Deloitte)
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Als Lidl Ende Februar mit Imagespots auf Sendung ging, war sich die Fachöffentlichkeit ziemlich einig: Das Ding ging daneben. Allerdings zeigt die Spotanalyse (siehe S. 18), dass die Zuschauer das durchaus anders sehen
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gazin. Die Webseite lidl-lohnt-sich.de – das eigentliche „Rückgrat“ der Werbeoffensive, sagt Kreativchef Schmarbeck. Doch das wurde in der Fachöffentlichkeit bisher nur am Rande registriert.
Aber die ist nur die Hälfte, auf die es weniger ankommt. Entscheidend ist, was beim Konsumenten hängenbleibt. Und da ist das Echo weit weniger verhalten.
„Unter dem Strich“, sagt Steffen Egner , Chef des Hamburger Marktforschungsins-tituts Media-Analyzer , „belegt der Image-Teaser im Branchenvergleich einen guten Mittelplatz.“ Klar, die Werte bei Dimensio-nen wie „passt zur Marke“ oder „ist deut-lich“ liegen unter dem Durchschnitt. Dafür aber wird er vor allem von denjenigen gut beurteilt, die angeben, beim Kauf auf Qua-
lität zu achten. Und genau diese Zielgruppe wollte Lidl ja erreichen. Ein Ergebnis, das auch Egner überrascht. Immerhin hatte selbst er sich vor dem Spottest eher kritisch über die Imagekampagne geäußert (zum Test siehe Grafik S. 18–19).
Und so verträumt manch Werber die Lidl-Werbung auch finden mag – sie kommt sogar im ARD -Verbrauchermagazin Geld-Check besser weg als die vom Supermarkt-primus Edeka, der regelmäßig mit seinen Spots von sich reden macht. Wo genau das Fleisch denn nun herkäme, wollten die Ma-cher der Sendung von den Fachkräften an der Theke wissen. Während die Protagonis-tin des Edeka-Spots bei dieser Frage gar nicht mehr aufhört zu reden, tappte das echte Edeka-Personal bei dieser Frage doch
eher im Dunkeln. Und Lidls Werbung? Wurde gelobt, weil sie „realistischer“ sei.
Zugegeben, das Timing war günstig
Der Erfolg von Lidls Qualitätsoffensive ist aber nicht nur auf massive Werbeausgaben und schlaues Marketing zurückzuführen. Die Zeit ist tatsächlich reif für ein Umdenken des Lebensmitteleinzelhandels: Nur billig wollen die Kunden eben nicht mehr. Vor zehn Jahren noch, das bestätigen Marktuntersuchungen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) , war beim Lebensmitteleinkauf der Preis das wichtigste Kaufkriterium. Das hat sich geän-dert. Inzwischen ist laut GfK für mehr als die
Gute Werte: Die Emotionskurve des Imagespots fällt erst beim Logo ab
Woran erkennen wir eigentlich, was gut ist?
Dass etwas gut ist, erkennen wir nicht daran, dass uns jemand sagt, es ist gut
Und auch nicht daran, dass es besonders teuer ist
Was gut ist, erkennen wir daran, dass es gut für uns ist
Wir erkennen es an Kleinig-keiten, die für uns große Bedeutung haben
Manchmal ist gut aber auch genau das, womit wir nie gerechnet hätten
Das, was uns überrascht und uns plötzlich genau deshalb so gut gefällt
Gut kann eine ganz große Sache sein
Oder ein ganz kleiner Moment
Und manchmal ist etwas so gut, dass es die Zeit anhalten kann
Eigentlich wissen wir doch alle ganz genau, was gut für uns ist
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Baby kann leicht positive Emotionen wecken
Emotionale Bewertung
Szene am Meer wird leicht positiv wahrgenommen
Anfangsszene erzielt sehr starke positive Emotionen
Einblendung des Kindes fängt den Negativtrend ab
Einblendung des Logos wirkt sich stark negativ aus
Quelle: Media-Analyzer
Trend der emotionalen Bewertung
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28Milliarden
Eurohaben Lidl und Kau� and 2014 in Deutschland mit Lebensmitteln umgesetzt. Damit hat sich
die Schwarz-Gruppe erstmals vor Rewe geschoben
Geht so: Der Produktspot löst nicht die ganz großen Emotionen aus
Woran erkennt man eigentlich gutes Fleisch?
Gutes Fleisch erkennt man nicht daran, dass man dafür anste-hen muss
Oder dass es vor Ihren Augen abgewo-gen und über den Tresen gereicht wird
Gutes Fleisch erkennt man an gutem Fleisch
Daran, wie schnell es verarbeitet wird und bei Ihnen ist
Dass es frisch geliefert wird und dass Sie wissen, woher es kommt
Am Aussehen und daran, wie zart es ist
Gutes Fleisch erkennt man am Geschmack
Und an einem guten Preis
Alle frischen Rind� eischartikel von Landjunker ab Dienstag zum Probierpreis 10 % günstiger
Lidl lohnt sich
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Würzen des gebratenen Fleischs wirkt positiv
Frisches Fleisch erreicht die stärksten positiven Emotionen
Fleisch auf dem Grill erzielt letzte positive
Emotionen
Anstehen an der Theke verbessert
die Emotionen
Anbraten des Fleischs führt zu einem Negativtrend
Landschaftsbilder werden leicht negativ bewertet
Mann vor dem Grill lässt Emotionen absinken
Startszene erzeugt leicht negative Emotionen
Emotionale Bewertung
Trend der emotionalen Bewertung
Quelle: Media-Analyzer
Hälfte der Verbraucher die Qualität wichtiger als der Preis.
Und noch etwas mag zum Erfolg beige-tragen haben: Lidl ist überraschenderweise tatsächlich transparenter geworden. Ein wenig zumindest. Man habe „aus der Vergangenheit gelernt“, sagt eine Lidl-Sprecherin. Das Infor-mationsportal lidl-lohnt-sich.de, auf dem Kunden Fragen stellen können und dann tat-sächlich auch eine Antwort bekommen, stellt für Discounter und Agentur deshalb das Fun-dament der „Qualitätsoffensive“ dar. In Sa-chen Dialog mit den Kunden hat Lidl damit Marktführer Aldi abgehängt.
Außerdem stoßen Lidl-Kunden auch in den Filialen auf ein zusätzliches Informations-angebot. Beim Fleisch zum Beispiel können über einen auf der Verpackung aufgedruckten
QR-Code weitere Details abgerufen werden. Bei Obst und Gemüse erfährt der Kunde jetzt mehr über die Herkunft der Produkte. „Wir geben Einblick in die gesamte Supply-Chain“, versichert der Discounter, der eine „offene Kommunikation“ nun als Teil des eigenen „Qualitätsanspruchs“ sieht.
Allerdings ist das am Ende dann doch ein wenig zu schön, um wahr zu sein: Wann und wo etwa das Fleisch verpackt wurde, das bei Lidl im Kühlregal liegt, lässt sich zwar schon zurückverfolgen. Wo es genau her-kommt allerdings nicht. Das aber ist die eigentlich relevante Information. So wie es aussieht, hat Lidl in Sachen Transparenz doch noch ein paar gute Ratschläge von seinen Freunden in Hamburg nötig.
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