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31 Zusammenfassung: Schon seit einigen Jahren werden die Auswirkungen des Internet auf die Touristik Industrie z. T. sehr kontrovers diskutiert. Die Diskussion hat sich dabei in den letzten Jahren primär entlang der Frage gerankt, ob und wie Veranstalter und Leistungsträger den Direktvertrieb über das Internet forcieren und so die Reisebüros als traditionellen Vertriebskanal umgehen sollen und können und wie die Reisebüros andererseits dies verhindern können. Diese Diskussion erscheint allerdings vor dem Hintergrund neuer technologischer Entwicklungen, die unter dem Stichwort Web 2.0 voranschreiten, nicht mehr ausreichend und problemadäquat. Vor diesem Hintergrund untersucht der folgende Artikel, wie sich die Arbeitsteilung aller an der touristischen Wertschöpfungskette Beteiligten unter dem Einfluss der neuen Internetanwendungen verändern wird und welchen Einfluss dies auf die jeweiligen Geschäftsmodelle hat. Anschließend werden die Einflüsse des Internets auf die Unterstützungs- und Serviceprozesse sowie die Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg analysiert. Schlüsselwörter: Wertschöpfungskette • Geschäftsmodelle • Web 2.0 • Arbeitsteilung • Reiseprozess • Unternehmenserfolg 3.1 Einleitung: Internet als Massenphänomen Ende des Jahres 2008 hatten mehr als zwei Drittel aller Bundesbürger über 14 Jahre Zugang zum Internet und waren als Nutzer im World Wide Web unterwegs (AGOF 2008; ACTA 2008 spricht sogar von 76 % der Bundesdeutschen Bevölkerung von 14–64 Jahren, die das Internet nutzen.). Was Ende der 80er Jahre als geschlosse- nes Medium für Spezialisten zur Datenkommunikation und zum E-Mail Verkehr D. Amersdorffer et al. (Hrsg.), Social Web im Tourismus, DOI 10.1007/978-3-642-12508-9_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010 Kapitel 3 Web 2.0 in der Touristikindustrie – Implikationen für Wertschöpfungskette, Geschäftsmodelle und interne Anwendungen Ernst-Otto Thiesing E.-O. Thiesing () Ostfalia – Hochschule für angewandte Wissenschaften, Karl Scharfenberg-Str. 55-57, 38229 Salzgitter, Deutschland e-mail: [email protected]

Web 2.0 in Der Touristikindustrie

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web 2.0 in der Touristikindustrie

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    Zusammenfassung: Schon seit einigen Jahren werden die Auswirkungen des Internet auf die Touristik Industrie z. T. sehr kontrovers diskutiert. Die Diskussion hat sich dabei in den letzten Jahren primr entlang der Frage gerankt, ob und wie Veranstalter und Leistungstrger den Direktvertrieb ber das Internet forcieren und so die Reisebros als traditionellen Vertriebskanal umgehen sollen und knnen und wie die Reisebros andererseits dies verhindern knnen. Diese Diskussion erscheint allerdings vor dem Hintergrund neuer technologischer Entwicklungen, die unter dem Stichwort Web 2.0 voranschreiten, nicht mehr ausreichend und problemadquat. Vor diesem Hintergrund untersucht der folgende Artikel, wie sich die Arbeitsteilung aller an der touristischen Wertschpfungskette Beteiligten unter dem Einfluss der neuen Internetanwendungen verndern wird und welchen Einfluss dies auf die jeweiligen Geschftsmodelle hat. Anschlieend werden die Einflsse des Internets auf die Untersttzungs- und Serviceprozesse sowie die Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg analysiert.

    Schlsselwrter: Wertschpfungskette Geschftsmodelle Web 2.0 Arbeitsteilung Reiseprozess Unternehmenserfolg

    3.1 Einleitung: Internet als Massenphnomen

    Ende des Jahres 2008 hatten mehr als zwei Drittel aller Bundesbrger ber 14 Jahre Zugang zum Internet und waren als Nutzer im World Wide Web unterwegs (AGOF 2008; ACTA 2008 spricht sogar von 76 % der Bundesdeutschen Bevlkerung von 1464 Jahren, die das Internet nutzen.). Was Ende der 80er Jahre als geschlosse-nes Medium fr Spezialisten zur Datenkommunikation und zum E-Mail Verkehr

    D. Amersdorffer et al. (Hrsg.), Social Web im Tourismus, DOI 10.1007/978-3-642-12508-9_3, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010

    Kapitel 3Web 2.0 in der Touristikindustrie Implikationen fr Wertschpfungskette, Geschftsmodelle und interne Anwendungen

    Ernst-Otto Thiesing

    E.-O. Thiesing ()Ostfalia Hochschule fr angewandte Wissenschaften, Karl Scharfenberg-Str. 55-57, 38229 Salzgitter, Deutschlande-mail: [email protected]

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    begann, hat sich innerhalb von gut zehn Jahren zu einem Massenphnomen ent-wickelt. Heute verfgen mit 23,9 Mio. Breitbandanschlssen mehr als 50 % aller Internet Nutzer ber einen DSL- oder einen anderen schnellen Internet Zugang (Dialog Consult u. VATM 2008; Initiative D 21 2008, S. 10). Nicht zuletzt hat auch dies zu einer breiten Akzeptanz des Internet gefhrt, die durch neue Technologien und Anwendungsmglichkeiten weiter erhht wird. Obwohl es ein junges Medium ist, ist es nicht mehr nur das Medium der Jungen: Inzwischen bewegen sich auch immer mehr ltere Menschen im Web. So nutzen bereits mehr als ein Viertel der Bevlkerung ber 60 Jahre das Internet; in der Altersklasse bis 30 Jahre sind es ber 90 % (AGOF 2008).

    Die technischen Entwicklungen des Web 2.0 fhren zu Anwendungsmglichkei-ten, die eine hohe Interaktivitt, Freiheit und Mobilitt bei der Nutzung des Inter-nets ermglichen. Die Merkmale des interaktiven Internets werden in Abb. 3.1 ver-deutlicht. Web 2.0 wird als Mitmach-Plattform bezeichnet, bei der jeder Nutzer in Blogs, Foren und Communities seine Erfahrungen mit anderen tauschen und auch seinem Bedrfnis nach Aufmerksamkeit nachgehen kann (Kilian et al. 2008, ins-besondere S. 1012). So werden Inhalte nicht mehr nur von Content-Anbietern zur Verfgung gestellt, sondern von den Nutzern selbst. Diese unter dem Stichwort User-generated-Content bekannte Entwicklung ist ein wesentliches Merkmal des Web 2.0 und fhrt zu Angeboten wie z. B. Wikipedia, der kollektiven Enzyklopdie im Netz, an der jeder mitarbeiten kann, oder zu flickr.com, einer Plattform, die je-den Nutzer in die Lage versetzt, seine Bilder jedermann im Netz zur Verfgung zu stellen (ACTA 2008).

    Dass die Beteiligung an solchen Angeboten sehr schnell in neuen Geschfts-modellen mndet, die einerseits innovativ und schnell zusammengebaut und den

    Abb. 3.1 Merkmale des interaktiven Internets. (Quelle: eigene Darstellung)

    NeueGeschftsmodelle

    TechnischeMerkmale

    Anwendungs-merkmale

    Web 2.0 als (Mitmach)-Plattform Dezentrales Internet: von

    wenigen zentralen Seiten in dezentral organisierte Gemeinschaften Soziale Bedrfnisse: Suche nach Aufmerk-samkeit im Netz Blog Communities Tags RSS

    User generated Content

    Open source Software API's: Application provider interfaces Datenbankmanagement als Kernkompetenz Kein Software Lebens- zyklus: Perpetual Beta User als Mitentwickler: Rich User Experiences Echtzeit-Beobachtung des Nutzerverhaltens Offene Kooperation

    Innovation durch Zusammenbau (Mash-ups) LBM's Lightweight Business Models The Long Tail die Macht der Masse

    Mobile Access:Verlassen der PC-Plattform iPod/iTunes Podcasting

    RSS PDA

    Nutzbarmachung der kollektiven Intelligenz

    Partizipation der Nutzer oder

    lassen Aal-Prinzip: Andere arbeiten

    Wiki Mashup

    fernsehen

    IPTV Web-basiertes Fernsehen//Mitmach-

    E.-O. Thiesing

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    Bedrfnissen der Nutzer angepasst werden knnen, andererseits die bisherigen Mo-delle obsolet werden lassen, kann man sich leicht vor Augen fhren: Wurden bisher Bilder von Pressefotografen oder anderen Profis gegen Honorar den Nutzern zur Verfgung gestellt, so knnen sich heute bspw. Medien einer Millionenauswahl von unentgeltlich im Netz zur Verfgung stehenden Fotos bedienen.

    Mchte jemand einen schnellen berblick ber ein bestimmtes Thema haben, so klickt er auf Wikipedia, nutzt die dort von vielen Nutzern zusammengestellten In-formationen (OReilly 2005) und weitere Links und verzichtet wahrscheinlich auf die Anschaffung einer Enzyklopaedia Britannica oder eines anderen traditionellen Nachschlagewerks.

    Das Phnomen durch Web-Anwendungen genderter Geschftsmodelle hat auch inzwischen vollstndig den Touristischen Markt erfasst und fhrt zu teilweise sehr abrupten Vernderungen in der Wettbewerbslandschaft (ACTA 2008). Diese Vern-derungen knnen dabei aus externen, d. h. auf Kunden und Wettbewerbern gerich-teten Anwendungen, oder aus unternehmensinternen Anwendungen resultieren.

    3.2 Einfluss des Internets auf die touristische Wertschpfungskette

    Das Internet weicht die traditionelle Arbeitsteilung in der Wertschpfungskette auf.War bisher die touristische Wertschpfungskette Kunde Reisebro Veran-

    stalter Transport Unterkunft Zielgebietsleistungen arbeitsteilig organisiert, so wird diese Arbeitsteilung zunehmend obsolet und durch eine prozessorientierte Sichtweise abgelst. Abbildung 3.2 veranschaulicht die Kunden- und Wettbewerbs-gerichtete Anwendung von Web 2.0.

    Waren vor dem Siegeszug des Internets die Reisebros als klassischer Vertriebs-kanal dafr zustndig, die Leistungen der Veranstalter und Leistungstrger in einem geographisch begrenzten Raum durch Beratung, Buchung und Service dem Kunden zur Verfgung zu stellen, so hat sich dieser Vertriebsprozess von der geographi-schen Limitierung emanzipiert: Leistungstrger und Veranstalter knnen ihren Ver-triebsprozess durch die Technologie selbst gestalten und unterliegen dabei keiner geographischen Restriktion mehr. Dies wird bspw. an der Vernderung der Strategie hin zum Internetvertrieb bei Airlines, z. B. Lufthansa oder Air Berlin, und auch bei der Deutschen Bahn AG deutlich. Dass hierbei z. T. auch zustzlich ein positiver Kosteneffekt erzielt wird, kann den Emanzipationsprozess noch beschleunigen.

    Diese neuen Vertriebsmglichkeiten der Veranstalter und Leistungstrger fhren zu dem schon angesprochenen Konflikt zwischen dem traditionellen stationren Reisebrovertrieb einerseits und den brigen Leistungstrgern andererseits, wobei sich die Reisebros lange gegen die neue Entwicklung gestemmt haben. Die techni-schen Mglichkeiten des Internet fhren demzufolge dazu, dass die Leistungstrger den Vertriebsprozess, den sie zwangslufig outgesourct hatten, um die geogra-phische Marktabdeckung sicher zu stellen, nunmehr durch die Technologie selbst

    3 Web 2.0 in der Touristikindustrie Implikationen fr Wertschpfungskette

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    gestalten und in eigener Regie durchfhren knnen. Gleichzeitig kommen sie in diesem neuen Vertriebsprozess direkt mit dem Kunden in Kontakt. Dieser Kontakt war vorher den Reisebros vorbehalten. Der direkte Kundenkontakt von Leistungs-trgern und Veranstaltern, z. T. mit Hilfe von Communities und Blogs, in denen ber positive oder negative Erfahrungen vor, whrend und nach der Reise offen fr alle berichtet wird, fhrt zu einer Polarisierung in der Kundenbindung (Ben-der 2008, S. 184186): entweder wird sie strker bei positiver Erfahrung oder sie wird abgeschwcht (Alby 2007, S. 39), da der Kunde gengend Alternativen hat. Dies wiederum fhrt dazu, dass im positiven Fall der Kundenbindungsprozess gleichzeitig die Vorbereitung fr den nchsten Verkaufsprozess darstellt. Insofern werden diese beiden Prozesse integriert und verschmelzen zu einer sehr eng gekop-pelten Feedback-Schleife.

    Die Verschmelzung der Teil-Prozesse Vertrieb und Kundenbindung wird durch die neuen interaktiven Dienste im Web, wenn auch nicht erst ermglicht, so doch erheblich beschleunigt: Tickets zum Ausdruck auf dem Heimdrucker, Informatio-nen ber Zielgebiete mittels Podcast (z. B. www.rss-scout.de), Bewertung von Rei-seleistungen in eigens dafr eingerichteten Foren und Bewertungsportalen (z. B. www.holidaycheck.de, www.hotelkritiken.de), geographische Informationen von Google Earth, mglichst in Verbindung mit Bildern von Flickr, virtuellen Erleb-nissen und Rundgngen durch das gebuchte Hotel, sind technische Anwendungen, die sich nicht mehr nur auf eine bestimmte Wertschpfungsstufe in der touristischen Wertschpfungskette beziehen, sondern in allen Stufen anwendbar und gegenwrtig sind. Insofern sind diese Technologien stufenbergreifend und tangieren somit die touristischen Kernprozesse: die frheren Prozesseigener sehen sich durch die neuen Technologien Wettbewerbern aus anderen Wertschpfungsstufen gegenber.

    Abb. 3.2 Kunden- und Wettbewerbsgerichtete Anwendung von Web 2.0 in der Touristik. (Quelle: eigene Darstellung)

    Vertrieb/Reisebro Veranstalter

    Carrier/Transport

    Unterkunft/Hotel

    Zielgebiets-leistungen/Incoming

    Internet im Flugzeug Internet im Hotel Podcast IPTV Blogs/Communities

    Kundenbindung durch Communities und Einsatz von Blogs Bewertung durch Kunden: Portale, Blogs, Communities Infos fr Abbonnenten per RSS-Feed auf PDA oder iPod Google Earth: geographische Informationen Flickr/Youtube: Videos/Bilder/Virtuelle Erlebnisse/Rundgnge Online Bibliotheken

    Neue Vertriebs- u. Kommuni- kationsformen:

    Mobile Phone PDA iPod

    Videos Destination Podcast Direktvertrieb

    Kunde

    Reise-durch-

    fhrungs-prozess

    Vertriebs-prozess

    Kunden-bindungs-prozess

    Rei

    sepr

    ozes

    s

    Nutzung aller Technologien durch Leistungstrger: Integration des Vertriebsprozesses

    Elektronischer/Internet Vertrieb: Bedrohung des stationren Vertriebs Polarisierung der Kundenbeziehung: Strkung/Lockerung Neue Informationsmedien: Podcast, IPTV, Blogs etc. Elektronische Tickets/Tickets zum Selbstausdruck

    E.-O. Thiesing

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    Dies gilt allerdings fr alle touristischen Wertschpfungsstufen und fr alle Richtungen: Das Reisebro sieht sich mit dem Direktvertrieb des Veranstalters, der Airline oder des Hotels konfrontiert; gleichzeitig kann aber das Reisebro auch die Technik nutzen und sich zu einem Veranstalter entwickeln. Insofern werden die tra-ditionellen Arbeitsteilungen aufgehoben und die bisherigen Wertschpfungsstufen verschmelzen bzw. werden mittels der Prozesse vertikal integriert.

    3.3 Neue Geschftsmodelle mit neuen Chancen und Risiken

    Dies fhrt zu neuen Chancen und Risiken sowie auch zu neuen Geschftsmodellen, wie die Abb. 3.3 und 3.4 verdeutlichen.

    Der Vertriebsprozess kann durch die Internettechnologie (wieder) in die Hoheit der Leistungsanbieter gelangen. Notwendige Voraussetzung dazu ist allerdings, dass der Leistungstrger den elektronischen Vertriebsprozess beherrscht. Hier-durch kann eine Bedrohung des traditionellen Vertriebs entstehen. Gleichzeitig kann aber durch die Technik, bspw. des Dynamic Packaging, die bisherige Ver-triebsstufe auch die Veranstalterfunktion bernehmen, was zu einer Bedrohung der traditionellen Veranstalterrolle fhrt. Leistungstrger wie z. B. Airlines knnen ebenfalls den Vertriebsprozess in eigener Regie mit Hilfe der neuen Technologien durchfhren. Der Siegeszug der Low Cost Airlines, die wie z. B. Ryanair nur ber das Internet vertreiben, ist ein vieldiskutiertes Beispiel. Dagegen tragen die Leis-

    Abb. 3.3 Auswirkungen auf die touristische Wertschpfungskette und die touristischen Prozesse. (Quelle: eigene Darstellung)

    Untersttzungs-prozesse

    Chan

    cen

    Ris

    iken

    Vllig neue techn. Mglichkeiten Kundenverstndnis Kundenidentifikation Community Kommunikation ber Web

    Verbesserung der Kommunikation Hhere Transparenz Bessere Prozess- qualitt Hhere Effizienz

    Existenzbedrohung der trad. Unter- nehmen durch Integration von WS-Stufen Aufhebung lokaler Marktgrenzen

    Verringerung der Loyalitt Verlust der Datenhoheit

    Konflikt zwischenReisebro undReisveranstalter

    Emanzipation von trad. Vertrieb und Veranstalter: Direktvertrieb ber das Web Profilierungsmg- lichkeit gg. Kunden Vermischung von Geschftsmodellen

    Markteintritt neuer Wettbewerber Integration der WS-Stufen durch Internet Erschlieung neuer Mrkte Bessere Informa- tionsmglichkeiten

    Keine Abwlzung von Kapazittsaus- lastungsrisiko mehr Vermarktung B2C Verschrfung des Wettbewerbs ber WS-Stufen hinweg Verlust der trad. Rolle

    Verpassen d. Trends Behinderung durch Geschftspartner aus trad. Geschfts- modell Geringere Kunden- bindung Smart Shopping Hhere Preissen- sitivitt

    Reisedurch-fhrungsprozess

    Vertriebs-prozess

    Kundenbindungs-prozess

    3 Web 2.0 in der Touristikindustrie Implikationen fr Wertschpfungskette

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    tungstrger bspw. auch ein erhhtes Auslastungsrisiko, wenn sie im Direktvertrieb agieren und nicht mehr das Auslastungsrisiko auf Veranstalter verteilen oder ab-wlzen knnen.

    Dies bedeutet keinesfalls, dass die Existenzberechtigung von Veranstaltern und Reisebros in der Zukunft wegfallen wird. Der Convenience-Aspekt bei Pauschal-reisen, auch der Beratungs- und der Convenience-Aspekt bei Reisebros fhren dazu, dass diese Funktionen auch weiterhin am Markt existieren werden, wenn sie ihren spezifischen, aus ihrem Geschftsmodell resultierenden Wettbewerbsvorteil zu nutzen in der Lage sind. Insofern ist auch die Pauschalreise bei weitem keine aussterbende Produktform. Sie wird jedoch durch andere Produkte bedrngt und in Teilen substituiert.

    Andererseits wird deutlich, dass die Eintrittsbarrieren fr Leistungstrger in die Vertriebs- und Veranstalterprozesse relativ niedrig sind. Zudem ist die Wertschp-fung bei den Leistungstrgern oftmals hher. Dass hierbei die Kapitalbindung bei den Leistungstrgern mit ihrem hohen Anlagevermgen deutlich ausgeprgter ist, ist dabei konsistent. Insofern erscheint es auch nicht verwunderlich, wenn in der jetzigen Wettbewerbslandschaft mit seinen technologiegetriebenen Auswirkungen marktfhrende Touristikunternehmen neu darber nachdenken, bspw. ihren Airline Betrieb wieder in den eigenen Einflussbereich einzubinden, nachdem zuvor die Airline-Beteiligung zur Disposition stand und Hotelbeteiligungen bereits veruert wurden. So wird das bisher favorisierte Asset Light-Modell des Reiseveranstal-ters, das tendenziell nicht so wertschpfungsstark und stabil ist, sowie hohem Wett-bewerbsdruck ausgesetzt ist, aktuell wieder neu bewertet.

    Abb. 3.4 Auswirkungen auf Wettbewerbsstellung und Geschftsmodelle. (Quelle: eigene Dar-stellung)

    E.-O. Thiesing

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    3.4 Unternehmensinterne Anwendungen des Web 2.0 und anderer neuer Technologien

    Neben den markt- und wettbewerbsgerichteten Anwendungen, deren Auswirkungen sehr komplex und interdependent sind, kommen Web 2.0 und andere neue Internet-Anwendungen auch bei Untersttzungs- und Serviceprozessen zum Tragen.

    Hier sind bspw. folgende Anwendungsfelder angesprochen, die z. T. unmittelbar auf Web 2.0 Anwendungen fuen, z. T. aber auch auf neuen technischen Mglich-keiten basieren, die nicht unmittelbar mit dem Web 2.0 zu tun haben (Abb. 3.5):

    Interne Kommunikation HR-Prozesse Finanz-Prozesse Reiseunterlagenerstellung Markt- und Konsumentenforschung

    Die schon beschriebenen Blogs und Diskussionsforen sind nicht nur ein Angebot fr Kunden (Alby 2007, S. 41). Die gleiche Technik wird auch fr unternehmens-interne Kommunikation eingesetzt (Kortzfleisch von et al. 2008, S. 7479 und S. 8284). In Blogs und Foren finden auch Mitarbeiter eine Plattform, um sich zu informieren und auch ihre eigenen Meinungen und Einstellungen kund zu tun (Schmidt 2008, S. 126132). Wenn diese internen Blogs geffnet werden und auch unternehmensexternen Teilnehmern zugnglich sind, verwischen die Grenzen zwi-schen interner und externer Kommunikation fr das Unternehmen. Dies stellt eine

    Abb. 3.5 Unternehmensinterne Anwendungen von Web 2.0 und anderen neuen Technologien. (Quelle: eigene Darstellung)

    Interne Kommunikation

    HR-Prozesse

    Finanz-Prozesse

    Reiseunterlagen-erstellung

    Untersttzungs- undServiceprozesse

    Mgliche Anwendungen von Web 2.0und anderen neuen Technologien

    Blogs Intranet etc.

    Online Bewerbungen Online-Marketing Jobportale.

    Finanz-/Anlage-Entscheidungen Online-Banking etc.

    Dezentrale Ticketerstellung Ticket zuhause/Ticket via Telefon Datenbermittlung an Leistungstrger/Dienstleister Bezahldienste.

    Markt- und Konsumenten-forschung

    Web Monitoring Real Time Online Research Kundenorientierte Website-Gestaltung.

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    besondere Herausforderung an die Kommunikationspolitik dar: Interne Informa-tionen beeinflussen den Kunden sowohl negativ sowie auch positiv da sie fr authentischer angesehen werden und eine deutlich hhere Glaubwrdigkeit haben als die traditionelle nach auen gerichtete Unternehmenskommunikation.

    HR-Prozesse, wie z. B. der Rekrutierungsprozess von Nachwuchskrften, kn-nen ebenfalls durch Web Technologie beeinflusst werden. Es ist inzwischen durch-aus blich, sich online zu bewerben und dabei auch eine kurze Prozesslaufzeit zu erwarten. Ist dieser Online-Prozess gut durchstrukturiert, schnell und fehlerfrei, so hat dies in der Gruppe der Bewerber eine positive Kommunikationswirkung und fr das Unternehmen einen positiven Imageeffekt zur Folge. Auch hier verschwimmen unternehmensinterne und externe Wirkungen.

    Das Gleiche gilt fr ein Beispiel, das fr die Touristikindustrie ebenfalls eine wichtige Rolle spielt: die Ticketerstellung. Neue Technologien, die internetbasiert sind und es ermglichen, dass der Kunde sich sein Ticket zu Hause selbst ausdruckt, fhren zu Prozessvereinfachungen bzw. zum Wegfall von Prozessen innerhalb des Unternehmens. Gleichzeitig haben diese zunchst intern gerichteten Anwendungen auch erhebliche Marktauswirkungen: Nur durch den Ticketausdruck auf dem Heim-drucker kann die Bahn eine hohe Nutzung und Akzeptanz des Internetvertriebs er-reichen. Das Gleiche gilt fr das elektronische Ticketing der Airlines. Auch hier ist die Technologie der Enabler, der den Vertriebskanal Internet fr den Verbraucher attraktiv macht.

    3.5 Implikationen fr den Unternehmenserfolg

    Die neuen Internet Technologien wirken sich in vielfltiger Weise auf den Erfolg bei Unternehmen aus, die sich aktiv mit der Technologie auseinandersetzen und diese anwenden. Auf der Seite der qualitativen Absicherung der Geschftsentwick-lung fhren die Intensivierung der Kundenbeziehung und -bindung ber Web-An-wendungen zu besserer Ausschpfung des Kundenpotentials. Ebenfalls positive Effekte ergeben sich fr das Unternehmensimage, die Marktstellung des Unterneh-mens und das Marktverstndnis (vgl. hierzu auch: Gttgens u. Drrenbcher 2008, S. 214219). Unternehmensintern werden Prozessqualitt und -geschwindigkeit verbessert. Anwendungen auf dem Gebiet des Wissensmanagement sind gerade in einer Zeit schneller Vernderungen und wachsender Bedeutung der Ressource Wissen fr Erfolg und Misserfolg im Unternehmen entscheidend. Hier ermg-lichen das Wiki-Prinzip und die Nutzung der kollektiven Intelligenz eines Unter-nehmens, Wissensressourcen zu bndeln und zugnglich zu machen und somit die Voraussetzungen fr einen Wettbewerbsvorsprung zu verbessern (Kortzfleisch von et al. 2008, S. 7476, 78, 8285).

    Direkte Auswirkungen des Web sind durch die Chance gegeben, neue Mrkte und neue Geschftsmodelle mit Hilfe des Webs zu generieren. Dass diese neuen Geschftsmodelle gleichzeitig eine Bedrohung alter Modelle darstellen, soll hier nicht auer Acht gelassen werden. Wenn man sich gleichzeitig vor Augen fhrt, in

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    welch rasantem Tempo der Preisverfall bei Hard- und Software voranschreitet, so erscheinen die in Verbindung mit der Technologie entstehenden Kosten kein ernst-haftes Anwendungshindernis darzustellen. Eher sind es fehlende Experten, die zu Engpssen im Bereich der Mitarbeiter und damit auch der Anwendung fhren.

    Fazit der Betrachtung ist, dass die neuen Webtechnologien und Anwendungen, die nicht zuletzt unter dem Stichwort Web 2.0 subsumiert werden, mehr Chancen als Risiken fr die touristischen Unternehmen gleich welcher Prgung darstellen. Technologien sind kein entscheidender Kostenfaktor mehr; ihre Anwendung wird vom Markt erzwungen (Abb. 3.6).

    Die Technik selbst hat dabei keine Auswirkungen per se. Sie stellt vielmehr einen Enabler dar, bei dem die Auswirkungen davon abhngig sind, ob und wie diese Technik eingesetzt wird. Bei richtigem und intelligentem Einsatz bietet die Technik groe Chancen und Mglichkeiten, die relative Wettbewerbsstrke und -position zu verbessern. Unternehmen, die diese Technik nicht nutzen oder falsch einsetzen, wird der Markt frher oder spter die rote Karte zeigen.

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    Abb. 3.6 Web 2.0 als Erfolgsfaktor. (Quelle: eigene Darstellung)

    Keine Auswirkungen per seAuswirkungen von Web 2.0 nichteindeutig und zwingend: Es kommtdarauf an,

    Einsatz von Web 2.0/Technik bietetsomit groe Chancen bzw. UpsidePotentialBei falscher Anwendung: DownsidePotential (mglich)

    innen

    Effektivtit Effizienz

    ob man die Technik einsetzt was man aus dem Einsatz des Technik macht

    Web 2.0 als Enabler

    auen

    relative Wettbewerbsstrke und -position

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    E.-O. Thiesing

    Kapitel 3Web 2.0 in der Touristikindustrie Implikationen fr Wertschpfungskette,Geschftsmodelle und interne AnwendungenZusammenfassung3.1 Einleitung: Internet als Massenphnomen3.2 Einfluss des Internets auf die touristische Wertschpfungskette3.3 Neue Geschftsmodelle mit neuen Chancen und Risiken3.4 Unternehmensinterne Anwendungen des Web 2.0 und anderer neuer Technologien3.5 Implikationen fr den UnternehmenserfolgBibliografie