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Wissenschaftliche Beratung und praktische Wirtschaftspolitik Review by: Fritz Neumark FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 34, H. 3 (1976), pp. 535-538 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40911227 . Accessed: 14/06/2014 20:56 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 185.2.32.106 on Sat, 14 Jun 2014 20:56:27 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Wissenschaftliche Beratung und praktische Wirtschaftspolitik

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Wissenschaftliche Beratung und praktische WirtschaftspolitikReview by: Fritz NeumarkFinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 34, H. 3 (1976), pp. 535-538Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40911227 .

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Literatur

Wissenschaftliche Beratung und praktische Wirtschaftspolitik1

von

F. Neumark

Das vorliegende Buch des jungen St. Galler Professors beschäftigt sich mit Problemen, die in neuerer Zeit - als Folge der oft so genannten „Ver- wissenschaftlichung'

c der Wirtschaftspolitik - in mehreren Ländern, vor allem den USA und der Bundesrepublik Deutschland, aber auch etwa in Holland, Gegenstand eingehender teils theoretisch-abstrakter, teils empirisch unter- mauerter Diskussionen gebildet haben. Den besonderen Wert der Bornerschen Schrift erblicke ich weniger darin, daß sie einen guten Einblick in den Stand der Kontroversen vermittelt, obwohl auch das verdienstvoll ist, als vielmehr in der (durchweg geglückten) Synthese von theoretisch-systematischen Über- legungen und empirischem Material, wobei letzteres ganz überwiegend den US- Verhältnissen entnommen ist. Auch diejenigen, die mit diesen leidlich vertraut sind, werden dabei neue Einblicke gewinnen, nicht zuletzt deshalb, weil der Verfasser außerordentlich interessante, aufschlußreiche Interviews mit der Mehrzahl der führenden Mitglieder bzw. Vorsitzenden des „Council of Economic Advisers' ' des vergangenen Vierteljahrhunderts geführt und ausgewertet hat. Nebenbei: Als Ergänzung des vorliegenden ist ein zweiter Band geplant, der ,,die spezifische funktionale und institutionelle Interaktion des Council mit den übrigen Instanzen der Policy-Maschinerie systematisch ... evaluieren und mit einer umfassenden Beurteilung kritischer Entschei- dungen der Nachkriegsepoche ... verbinden" soll (S. 5).

Insgesamt macht Borners Arbeit nach Stil und Inhalt einen erfrischenden und oft erfreulich unorthodoxen Eindruck, wie auch derjenige kaum be- streiten dürfte, der mit gewissen Ausführungen des Autors nicht oder doch nur teilweise übereinzustimmen vermag. Die Gliederung ist klar, die Sprache im allgemeinen verständlich und plastisch, wenngleich - für meinen Ge- schmack - oft nicht frei von überflüssigen Anleihen bei jenem fremdwort- besessenen „Parteichinesisch", ohne das anscheinend auch sonst zu klarer Diktion neigende Gelehrte nicht mehr auszukommen vermögen, sobald sie - an sich sehr erwünschte - interdisziplinäre Forschung betreiben. (Die „quasi- experimentelle post-hoc Evaluation" - S. 155 - und die „kreative Schaffung

1 Zu Silvio Borner : Wissenschaftliche Ökonomik und politische Aktion. Eine politische Ökonomie der professionellen Beratung der Wirtschaftspolitik. Verlag Paul Haupt. Bern -Stuttgart 1975. 215 Seiten.

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neuer Eealsituationen, Optionen und Alternativen* ' - S. 167 - mögen als Beispiele dienen.) Im übrigen ist Borner offensichtlich dem amerikanischen Milieu, in dem er seine Studien betrieben hat, (auch) insofern erlegen, als er, bis auf wenige Ausnahmen, nur englischsprachige Arbeiten zitiert, obwohl doch zu dem Thema seiner Abhandlung eine Reihe von kleineren und grö- ßeren Untersuchungen gerade auch in der Bundesrepublik und der Schweiz erschienen ist, wie u.v.a. die bekannten Publikationen des Vereins für Social- politik (nur der Beitrag von Albert findet Erwähnung), der Sammelband ,,Zehn Jahre Sachverständigenrat'* sowie mein Basler Vortrag über „Er- messensfreiheit oder Automatismus?". Im vorliegenden Fall ist das nur des- halb nicht so belangvoll, weil sich, wie erwähnt, die Ausführungen, soweit sie nicht allgemein-theoretischer Natur sind (hier ist freilich die Einseitigkeit der Literaturauswahl nicht zu verkennen), ganz überwiegend auf die Ver- hältnisse der USA beziehen. Aus dem Titel ist das zwar nicht ersichtlich, doch wird im „Vorwort" klar zum Ausdruck gebracht, daß „Ort und Zeit der Handlung ... die Vereinigten Staaten in der Nachkriegsära" sind.

Das Buch zerfällt in zwei Teile: Der erste behandelt „die Problematik der volkswirtschaftlichen Beratung in den USA", der zweite - umfangreiche- re - „alternative theoretische Grundkonzeptionen für die wissenschaftliche Be- ratung der Wirtschaftspolitik".

Der erste Teil enthält seinerseits zwei Kapitel: Eines analysiert „gegen- sätzliche Thesen über die Funktions- und Wirkungsweise wissenschaftlicher Experten im politischen Prozeß", das andere untersucht „die wissenschaft- liche Beratung als Bindeglied zwischen Theorie und Politik". Dabei ist die vom Verfasser anvisierte „Neue alte Politische Ökonomie" dadurch gekenn- zeichnet, daß sie abstrakte Makro-Theorie und effektiven politischen Prozeß „als gleichwertige, interdependente und in letzter Konsequenz nicht von- einander isolierbare Aspekte der wirtschaftspolitischen Beratung und Ent- scheidung" betrachtet (S. 17). Ich stimme sowohl dieser Grundthese als auch den daraus abgeleiteten Darlegungen des Verfassers weitgehend zu, weil oder meinetwegen auch obwohl dieser in den meisten Fragen eine ausgesprochene „Mittelstellung" einnimmt: Seine Kritik an der weltfremden und machtblin- den (Neo-)Klassik ist ebenso zutreffend und scharf formuliert wie die an einem Institutionalismus und der „radikalen" Politischen Ökonomie unserer Tage (vgl. etwa S. 146) . Eingehend schildert Borner, daß und warum die Ökonomen in neuerer Zeit einen so bedeutenden Einfluß auf die Wirtschaftspolitik gewinnen konnten, und immer wieder wendet er sich gegen die Möglichkeit einer - puristisch verstandenen - Werturteilsfreiheit. (Siehe dazu auch die Darle- gungen S. 80 ff., insbesondere die dort angeführten Bemerkungen von Heller und OJcun, sowie S. 130ff.) Dabei werden seine eigenen Ansichten vielfach gestützt durch Äußerungen früherer CEA-Mitglieder, Äußerungen, die einen ungewöhnlich aufschlußreichen Einblick in die Denkprozesse und die poli- tischen Einflußmöglichkeiten der betreffenden Persönlichkeiten gewähren, dabei sowohl gewisse Gemeinsamkeiten als auch individuelle Unterschiede deutlich hervortreten lassend. Die Würdigung der interviewten Ökonomen verrät ein sehr hohes Maß an kritischer Urteilskraft (vgl. beispielsweise das S. 30 über W . Heller Gesagte). Ungeachtet aller bekannten und vor einiger

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Zeit insbesondere von H. Wallich herausgestellten großen institutionellen Unterschiede zwischen dem amerikanischen CEA und dem deutschen Sach- verständigenrat ließe sich m. E. ein Vergleich zwischen den An- und Absichten der leitenden Mitglieder dieser beiden Gremien mit interessanten Ergebnissen durchführen. Das zeigt etwa schon Borners kurze (S. 86) an der „Giersch- Maxime für den Berater" geübte Kritik, eine Maxime, die der Okunschen Haltung (s. S. 36) gegenübergestellt werden könnte. (Ich glaube freilich, daß Gierschs These, die aus seinem 1961 erschienenen Lehrbuch stammt, inzwi- schen aufgrund der Erfahrungen dieses Gelehrten als führendes Mitglied des Sachverständigenrats von ihm etwas modifiziert worden sein dürfte.) So sehr ich aber einerseits der prinzipiellen Auffassung Borners von der Revisions- und Ergänzungsbedürftigkeit unserer heutigen Theorie zustimme, so glaube ich andererseits doch, daß die von ihm für seine Neue Politische Ökonomie an- gestrebte „Verschmelzung von Theorie und wirtschaftspolitischer Aktion" (S. 53; siehe namentlich auch das ganze vierte Kapitel, S. 123 ff.) nur bis zu einem gewissen Grade möglich ist. Insoweit allerdings ist sie dringend er- wünscht, denn ich teile weitgehend die Meinung des Autors, daß ,,die fort- laufende Konstruktion ,neuer' "Wachstumsmodelle und die kontinuierliche Produktion , neuer' Regressionen aus denselben Zeitreihen ... eher Reflexe eines wissenschaftlichen Rituals (sind) als eines echten Forschungs willens zum Verständnis der realen Verhältnisse" (S. 60).

An dieses scharfe Urteil schließt sich unmittelbar das dritte Kapitel an, das - als Beginn des zweiten Teils des Werkes - der Untersuchung von „Fehlentwicklungen der theoretischen Ansätze der wirtschaftspolitischen Beratung" gilt. Hier erscheint mir u.a. als besonders interessant und ver- dienstlich das, was (S. 68 ff.) über „professionelle Ökonomen und Ökonomik" gesagt wird, aber auch die Kritik am Dezisionismus (S. 74 ff.). Aus der Fülle bemerkenswerter Darlegungen greife ich beispielhaft die knappen, aber m.E. überzeugenden Einwände gegen den modernen Monetarismus (S. 103 ff.) sowie die gegen die „Substitution diskretionärer Entscheidungen durch fixe Regeln" (S. 108 ff.) heraus. Wie ich selbst wiederholt betont habe, meint auch Borner hier, daß die positive oder negative Haltung gegenüber solchen „policy rules" entscheidend durch ideologische und politische Neigungen be- stimmt werde. Dabei ist der Verfasser den Verdiensten des Monetarismus ge- genüber keineswegs blind (s. S. 110), wie denn überhaupt sein Bemühen, auch von ihm als unrichtig angesehenen und kritisierten Ansichten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, Anerkennung verdient. Bei der Erörterung des ameri- kanischen „Full Employment Surplus" vermißt man eine (wenn auch kurze) Kontrastierung mit dem vom deutschen Sachverständigenrat entwickelten „Konjunkturneutralen Haushalt"; dies um so mehr, als Borner am FES- Konzept nachdrückliche Kritik übt (S. 115ff.). En passant sei noch erwähnt, daß - anders als in den meisten neueren amerikanischen Studien - (S. 117 f.) zutreffend das Versagen der Finanzpolitik im Zusammenhang mit der Eska- lation des Vietnam-Kriegs als wesentliche Ursache für die folgende Epoche verschärfter Inflation bezeichnet wird; wozu ergänzend zu bemerken ist, daß nach Interview- Aussagen der damals zuständigen CEA-Mitglieder diese nicht (rechtzeitig bzw. vollständig) über die vom Präsidenten und vom Verteidi-

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gungsminister angestrebten kriegerischen Maßnahmen unterrichtet wurden, also sich auch kein richtiges Bild von deren wirtschafts- und finanzpolitischen Auswirkungen zu machen imstande waren (s. S. 141 und 172).

Das letzte (vierte) Kapitel - das umfangreichste - sucht auf 60 Seiten die Umrisse einer Politischen Ökonomie „als neuer Ansatz der wissenschaft- lichen Beratung der Wirtschaftspolitik" zu skizzieren (S. 123 ff.). Hier werden zunächst die bereits angedeutete Kritiken an der einer „political economy" entgegengesetzten „economics" fortgeführt und namentlich auch die Schwä- chen der Versuche dargetan, die langsam als fundamental unzulänglich er- kannten Verhaltenshypothesen und Methoden der ökonomischen Theorie auf politische Entscheidungen anzuwenden (S. 125). In diesem Zusammenhang finden sich gewisse dogmenhistorische Ausführungen, die zweifellos interessant sind und insbesondere auch Keynes - den geringzuschätzen neuerdings zur Modesache zu werden scheint - in dem verdienten positiven Licht erscheinen lassen, dagegen die wesentlichen Unterschiede zwischen Ricardo und Malihus vernachlässigen (s. S. 127). Den Kern dieses Kapitels jedoch bildet der Ver- such, Orientierungspunkte oder Dimensionen der Politischen Ökonomie auf- zuzeigen. Borner unterscheidet in dieser Beziehung die normative, die poli- tische, die instrumentelle und die experimentelle Dimension. Auf Einzel- heiten kann hier nicht eingegangen werden. Aus der Fülle der interessanten Probleme, die vom Verfasser behandelt werden, sei beispielsweise die Un- terscheidung zwischen Simulationsexperimenten und dem, was er Kealexpe- rimente nennt (S. 155), hervorgehoben. Die methodischen und anderen Schwie- rigkeiten, denen letztere begegnen, werden von Borner keineswegs verkannt; wahrscheinlich sind sie freilich noch größer und komplexer, als er meint. Besondere Beachtung verdienen ferner die Ausführungen, die „Die Synthese von wissenschaftlicher Analyse und politischem Entscheid: Der professionelle Aspekt als Gegengewicht" überschrieben sind (S. 171 ff.), und hier wiederum die Herausarbeitung der Bedeutung einer seriösen professionellen Kritik, die, wie auch die Kelevanz einer zeitlichen Beschränkung der Beratungsfunk- tion, an der CEA-Geschichte entnommenen Beispielen veranschaulicht wird.

Zusammenfassend und abschließend sei bemerkt, daß das vorliegende Buch einen vor allem in seinen kritischen Teilen wohlgelungenen Versuch darstellt, die Probleme einer wissenschaftlichen Beratung moderner Wirt- schaftspolitik systematisch zu schildern und vornehmlich anhand der ameri- kanischen Literatur und Institutionen zu analysieren. Es enthält vieles, was auch auf nichtamerikanische, nicht zuletzt deutsche Verhältnisse anwendbar ist, doch wäre es erwünscht, wenn die Bornersche Studie etwa aus bundes- republikanischer oder/ und französischer Sicht ergänzt, aber auch zum Anlaß zu einer kritischen Auseinandersetzung mit ihren positiv-allgemeinen Teilen genommen würde. Jedenfalls verdient das Werk die aufmerksame Beachtung aller derer, die sich der Schwächen und Gefahren einer zu ausschließlich am Parefo-Optimum orientierten neoklassischen Theorie einerseits, einer „radical economics" mit ihren „meist dogmatischen Abhandlungen auf oberfläch- licher interdisziplinärer Basis" und ihren Platitüden (S. 153) andererseits bewußt sind und folglich die Notwendigkeit einer theoretisch sauberen und praktisch verwendbaren Synthese erkennen.

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