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1 Expertenwissen als Kapital der Berater Beraterwissen ist Expertenwissen. Exper- ten zeichnen sich durch ɒberdurchschnitt- liche Erfahrung und ProblemlɆsefȨhigkeit auf einem bestimmten Gebiet aus [ Ha- Ki89, 36 f.]. Das Expertenwissen macht zwar nur einen Bruchteil des gesamten Wissens eines Beraters aus, es ist aber ge- nau jenes Wissen, dessentwegen der Klient ihn konsultiert. Den Berater macht erst sein Expertenwissen tatsȨchlich zum Bera- ter. Gleichzeitig ist dies das wertvollste Wissen des Beraters: Wenn Expertenwis- sen gerade so definiert ist, dass nur ver- gleichsweise wenige Menschen darɒber verfɒgen, dann ist – eine Nachfrage nach eben diesem Wissen vorausgesetzt – der Marktwert hoch, und zwar um so hɆher, je einzigartiger dieses Wissen ist, also je mehr es der Definition von Expertenwissen ent- spricht. Zudem kostet der Aufbau eines entsprechenden Wissens nicht nur Geld. Wenn anerkannte Experten 10 Jahre benɆ- tigen, um diesen Status zu erlangen [ Ha- Ki89, 37], so ist dies eine nicht unbedeu- tende Investition an Lebenszeit. Fɒr einen Berater ist Expertenwissen demnach sowohl bestimmender als auch wertvollster „Produktionsfaktor“ und sein eigentliches Kapital. 2 Management von Expertenwissen Der Umgang mit Expertenwissen ist folg- lich ein zentraler Punkt fɒr das Wissens- management bei Beratern. Welche Unter- stɒtzung kann die Informationstechnolo- gie hier bieten? Welche Hilfsmittel gibt sie den Beratern fɒr einen effizienten Einsatz ihres spezifischen Kapitals, fɒr die Hand- habung ihres Expertenwissens, an die Hand? In Beantwortung dieser Frage soll im folgenden die Brɒcke zur Kɒnstlichen Intelligenz und insbesondere zu Experten- systemen geschlagen werden, bevor auf Fuzzy Systems als adȨquate Technik gera- de fɒr das Management von beraterspezi- fischem Wissen eingegangen wird. 2.1 Expertensysteme Die Kɒnstliche Intelligenz-Forschung be- schȨftigt sich mit dem Thema, wie Exper- tenwissen informationstechnisch aufberei- tet und verarbeitet werden kann, seit Jahr- zehnten: Wissensbasierte Systeme oder, wie oft synonym bezeichnet, eben Exper- tensysteme sollen die ProblemlɆsefȨhig- keit menschlicher Fachleute nachbilden. In der Wissensbasis eines solchen Experten- systems ist das Fachwissen zu einem typi- scherweise eng abgegrenzten Anwen- dungsgebiet gespeichert. Angegliedert ist eine allgemeine ProblemlɆsungskom- ponente zur Verarbeitung des Fachwis- sens, meist, um Schlussfolgerungen zu zie- hen. Ƞber Kommunikationskomponenten liefert der Benutzer Informationen zu ei- nem bestimmten Problem und erhȨlt als Antwort die vom System ermittelte LɆ- sung. Einen wesentlichen Engpass fɒr die Aufstellung von Expertensystemen stellt die Wissensakquisition dar, der Prozess, dem Experten das Fachwissen zu entlo- cken und soweit zu strukturieren, dass es verarbeitet werden kann [Wate86, 152]. Dies liegt daran, dass Experten ihr Wissen meist nur unbewusst anwenden: Im Zuge eines Lernprozesses hat der Experte aus ei- ner Fɒlle expliziter Informationen sein im- plizites ProblemlɆsungswissen aufgebaut, das er im Bedarfsfall schnell und „auto- matisch“ abrufen, aber kaum noch ver- balisieren kann; dieses muss nun fɒr die Wissensakquisition in explizites Wissen zurɒckverwandelt werden [AlBɒ92, 220 f.]. Mehr noch: Es ist so aufzubereiten, dass Computerprogramme damit arbeiten kɆnnen. Neben der Schwierigkeit, den Experten dazu zu bringen, sein implizites Wissen in explizite Bestandteile zu zerlegen und zu formulieren, zeigt sich beim Versuch der „Dekompilierung“ von Expertenwissen eine zusȨtzliche Hɒrde: Neben den „har- ten Fakten“ verfɒgt der Berater ɒber Wis- sen, das nicht konkret formuliert werden kann, und genau dieses ist sein eigentliches Expertenwissen. Ein Steuerberater wird nicht engagiert, weil er die steuerrecht- lichen Bestimmungen im Wortlaut kennt – diesen kɆnnte man zur Not nachlesen. Von ihm wird erwartet, dass er diese Bestim- mungen „zwischen den Zeilen“ liest und Dr. Klaus Wolfertz, Sowatec AG, Witzbergstrasse 7, CH-8330 PfȨffikon ZH, Schweiz Wissensmanagement bei Beratern mit Fuzzy Systems Klaus Wolfertz WI – Schwerpunktaufsatz WIRTSCHAFTSINFORMATIK 43 (2001) 5, S. 457–466 457

Wissensmanagement bei Beratern mit Fuzzy Systems

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Page 1: Wissensmanagement bei Beratern mit Fuzzy Systems

1 Expertenwissenals Kapital der Berater

Beraterwissen ist Expertenwissen. Exper-ten zeichnen sich durch �berdurchschnitt-liche Erfahrung und Probleml�sef�higkeitauf einem bestimmten Gebiet aus [Ha-Ki89, 36 f.]. Das Expertenwissen machtzwar nur einen Bruchteil des gesamtenWissens eines Beraters aus, es ist aber ge-nau jenes Wissen, dessentwegen der Klientihn konsultiert. Den Berater macht erstsein Expertenwissen tats�chlich zum Bera-ter.

Gleichzeitig ist dies das wertvollsteWissen des Beraters: Wenn Expertenwis-sen gerade so definiert ist, dass nur ver-gleichsweise wenige Menschen dar�berverf�gen, dann ist – eine Nachfrage nacheben diesem Wissen vorausgesetzt – derMarktwert hoch, und zwar um so h�her, jeeinzigartiger dieses Wissen ist, also je mehres der Definition von Expertenwissen ent-spricht. Zudem kostet der Aufbau einesentsprechenden Wissens nicht nur Geld.Wenn anerkannte Experten 10 Jahre ben�-tigen, um diesen Status zu erlangen [Ha-Ki89, 37], so ist dies eine nicht unbedeu-tende Investition an Lebenszeit.

F�r einen Berater ist Expertenwissendemnach sowohl bestimmender als auchwertvollster „Produktionsfaktor“ und seineigentliches Kapital.

2 Managementvon Expertenwissen

Der Umgang mit Expertenwissen ist folg-lich ein zentraler Punkt f�r das Wissens-management bei Beratern. Welche Unter-st�tzung kann die Informationstechnolo-gie hier bieten? Welche Hilfsmittel gibt sieden Beratern f�r einen effizienten Einsatzihres spezifischen Kapitals, f�r die Hand-habung ihres Expertenwissens, an dieHand? In Beantwortung dieser Frage sollim folgenden die Br�cke zur K�nstlichenIntelligenz und insbesondere zu Experten-systemen geschlagen werden, bevor aufFuzzy Systems als ad�quate Technik gera-de f�r das Management von beraterspezi-fischemWissen eingegangen wird.

2.1 Expertensysteme

Die K�nstliche Intelligenz-Forschung be-sch�ftigt sich mit dem Thema, wie Exper-tenwissen informationstechnisch aufberei-tet und verarbeitet werden kann, seit Jahr-zehnten: Wissensbasierte Systeme oder,wie oft synonym bezeichnet, eben Exper-tensysteme sollen die Probleml�sef�hig-keit menschlicher Fachleute nachbilden. Inder Wissensbasis eines solchen Experten-systems ist das Fachwissen zu einem typi-scherweise eng abgegrenzten Anwen-dungsgebiet gespeichert. Angegliedert isteine allgemeine Probleml�sungskom-ponente zur Verarbeitung des Fachwis-sens, meist, um Schlussfolgerungen zu zie-hen. �ber Kommunikationskomponentenliefert der Benutzer Informationen zu ei-nem bestimmten Problem und erh�lt alsAntwort die vom System ermittelte L�-sung.

Einen wesentlichen Engpass f�r dieAufstellung von Expertensystemen stelltdie Wissensakquisition dar, der Prozess,dem Experten das Fachwissen zu entlo-cken und soweit zu strukturieren, dass esverarbeitet werden kann [Wate86, 152].Dies liegt daran, dass Experten ihr Wissenmeist nur unbewusst anwenden: Im Zugeeines Lernprozesses hat der Experte aus ei-

ner F�lle expliziter Informationen sein im-plizites Probleml�sungswissen aufgebaut,das er im Bedarfsfall schnell und „auto-matisch“ abrufen, aber kaum noch ver-balisieren kann; dieses muss nun f�r dieWissensakquisition in explizites Wissenzur�ckverwandelt werden [AlB�92,220 f.]. Mehr noch: Es ist so aufzubereiten,dass Computerprogramme damit arbeitenk�nnen.

Neben der Schwierigkeit, den Expertendazu zu bringen, sein implizites Wissen inexplizite Bestandteile zu zerlegen und zuformulieren, zeigt sich beim Versuch der„Dekompilierung“ von Expertenwisseneine zus�tzliche H�rde: Neben den „har-ten Fakten“ verf�gt der Berater �ber Wis-sen, das nicht konkret formuliert werdenkann, und genau dieses ist sein eigentlichesExpertenwissen. Ein Steuerberater wirdnicht engagiert, weil er die steuerrecht-lichen Bestimmungen im Wortlaut kennt –diesen k�nnte man zurNot nachlesen. Vonihm wird erwartet, dass er diese Bestim-mungen „zwischen den Zeilen“ liest und

Dr. KlausWolfertz, Sowatec AG,Witzbergstrasse 7, CH-8330 Pf�ffikonZH, Schweiz

Wissensmanagement beiBeratern mi t Fuzzy Sy stems

Klaus Wolfertz

WI – Schwerpunktaufsatz

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 43 (2001) 5, S. 457–466 457

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im Sinne seines Mandanten so vorteilhaftwie m�glich interpretiert. Hierf�r wendeter Heuristiken an, die nicht mathematischgenau auszudr�cken sind.

Herk�mmliche Expertensysteme ver-langen aber gerade die Formulierung vonWissen in Regeln, denen pr�zise Zahlen-werte zugrunde liegen: Ein „ausreichen-der“ Lagerbestand, ein „wichtiger“Kunde,ein „hoher“ Zinssatz m�ssen dabei jeweilsdurch scharfe Zahlenwerte – eine St�ck-zahl, ein Umsatzvolumen, einen Prozent-satz – bestimmt sein. Daumenregeln, Intui-tion, Gesp�r eines Experten lassen sichkaum in eine so distinkte Form giessen.

Wenn sich Berater also mit Wissens-management besch�ftigen, so stehen Sievor der Tatsache, dass gerade ihr berater-spezifisches Wissen daf�r am wenigstengeeignet scheint. Beraterwissen ist f�r eineVerarbeitung mit informationstechnischenMitteln nicht gut erschliessbar, und diesum so weniger, je „expertenm�ssiger“ unddamit wertvoller dieses Wissen f�r den Be-rater ist. Im Umkehrschluss gilt dann aberauch, dass hier die gr�ssten Wertsch�p-fungspotenziale winken, falls diese Res-triktion aufgebrochen werden kann.

2.2 Fuzzy Systems

Die Schwierigkeiten bei der Abbildungvon Wissen – und gerade von Beraterwis-sen – sind zur�ckzuf�hren auf unvollst�n-

dige Information in der realen Welt. DieInformationen, die dem Berater als Ent-scheidungsgrundlage dienen, sind fastdurchg�ngig vage, ungenau, unscharf. Wieinnovativ ist das neue Produkt? Wie at-traktiv das zugeh�rige Marktsegment?Wie wirkt sich der Bekanntheitsgrad derMarke auf den Umsatz aus? Informatio-nen, die bedeutend ungenauer sind, als derSchmelzpunkt eines Metalls oder der Um-rechnungsfaktor vonDM in Euro.

Einen Weg, solche „unscharfen“ Infor-mationen einer maschinellen Verarbeitungzuzuf�hren, bietet die sogenannte FuzzyLogic. Mit ihr ist ein Verfahren desSchlussfolgerns bei unvollst�ndiger Infor-mation beschrieben. Verwendet werdenunscharfe Mengen (Fuzzy Sets), deren Ele-mente nicht eindeutig in dieser Menge ent-halten oder nicht enthalten sind, sondernderen Zugeh�rigkeit zwischen „vollst�n-dig enthalten“ und „eindeutig nicht enthal-ten“ variieren kann. Mit Fuzzy Sets lassensich sogenannte linguistische Variablenformulieren, die nat�rlichsprachliche Be-griffe wie „meist“, „viele“, „nicht sehrviel“, „wenige“ besser abbilden, als diesdurch distinkte Zuordnungen gelingt. Bild1 zeigt beispielhaft die linguistische Varia-ble „Lagerbestand“, wie sie f�r ein Unter-nehmen definiert sein k�nnte. Sie weist dieAttribute „zu niedrig“, „ausreichend“ und„zu hoch“ auf, welche in Form unscharferMengen dargestellt werden. Die Zugeh�-rigkeit eines bestimmten scharfen Lager-

bestandswertes, z. B. 1500 St�ck, zu diesenMengen wird mittels Zugeh�rigkeitsfunk-tionen ausgedr�ckt, wobei 1 ganz zurMenge geh�rig und 0 nicht zur Menge ge-h�rig bedeutet. Werte zwischen 0 und 1stehen f�r unterschiedliche Grade des Ent-haltenseins in einer unscharfen Menge. EinLagerbestand von 1500 St�ck w�rde imBeispiel von Bild 1 zu 0,2 dem Fuzzy Set„zu niedrig“ und gleichzeitig zu 0,8 demFuzzy Set „ausreichend“ angeh�ren, dabeigar nicht im Fuzzy Set „zu hoch“ enthal-ten sein. Eine solche Abbildung scharferEingangswerte auf unscharfe Mengen wirdals „Fuzzifizierung“ bezeichnet.

Mit einem scharfen Konzept w�re esnur m�glich, z. B. Vorr�te ab 1000 St�ckals „ausreichenden Lagerbestand“ zu defi-nieren, wobei 999 St�ck bereits „zu nied-rig“ w�ren. In der realen Welt gibt es vieleEinflussgr�ssen, deren R�nder nicht soscharf voneinander abgegrenzt sind, son-dern fliessende �berg�nge haben. MitFuzzy Sets k�nnen sie modelliert werden.Ebenso ist es m�glich, mit unscharfenMengen und Schlussfolgerungsmechanis-men Expertensysteme zu konstruieren, imfolgenden Fuzzy Systems genannt.

Ein Fuzzy System besteht aus mindes-tens einer Eingangs- und einer Ausgangs-variablen, deren jeweilige Attribute durchProduktionsregeln – bestehend aus einemPr�missen- und einem Konklusions-Teil –miteinander verkn�pft sind. Zwei solcherRegeln f�r das Beispiel des Lagerbestandsk�nnten lauten:

WENN Lagerbestand IST „zu niedrig“DANNNachbestellmenge IST „mittel“.WENN Lagerbestand IST „ausreichend“DANNNachbestellmenge IST „gering“.

Auch f�r die Ausgangsvariable „Nach-bestellmenge“ m�ssen Zugeh�rigkeits-funktionen vorhanden sein f�r unscharfeMengen wie etwa „gering“, „mittel“,„hoch“. Bild 2 zeigt m�gliche Auspr�gun-gen. Mit einem Inferenzverfahren k�nnennun die Attribute von Ein- und Ausgangs-variablen einander zugeordnet werden.

Ein �bliches Verfahren ist die soge-nannte Max-Min-Inferenz, bei der die Zu-geh�rigkeitsfunktion des in der Produkti-onsregel angegebenen Attributs der Aus-gangsvariablen in H�he des fuzzifiziertenWertes des Attributs der Eingangsvaria-blen begrenzt, sozusagen „abgeschnitten“wird [Zimm92, 182]. F�r eine konkret aus-f�hrbare Aktion – im Beispiel: die H�heder Bestellmenge festlegen – wird ein

zu niedrig zu hochausreichend

40000 30002000

0

1000

1

Stück

Zugehörigkeit

0,2

0,8

1500

Bild 1 Fuzzifizierung eines scharfen Eingangswertes anhand der linguistischenVariablen „Lagerbestand“ mit ihren Zugeh�rigkeitsfunktionen

KlausWolfertz

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Page 3: Wissensmanagement bei Beratern mit Fuzzy Systems

scharfer Wert der Ausgangsvariablen be-n�tigt. Ein Defuzzifizierungsschritt istnotwendig, meist wird die Fl�chenschwer-punktmethode eingesetzt [Romm93,S. 35]. Die Anwendung der beiden obengenannten Regeln auf die Zugeh�rigkeits-funktionen in Bild 2 nach der Max-Min-Inferenz ergibt eine Fl�che zwischen Abs-zisse und „abgeschnittenen“ Zugeh�rig-keitsfunktionen. Der Abszissenwert unterdem Schwerpunkt dieser Fl�che ist der be-n�tigte scharfe Ausgangswert, hier also 45St�ck.

Typischerweise besitzen Fuzzy Systemsmehr als eine Eingangsgr�sse. Im Beispielk�nnte neben dem Lagerbestand auch dieRabattgew�hrung durch Lieferanten alslinguistische Variable definiert sein undm�glich sind dann Produktionsregeln wie:

WENNLagerbestand IST „ausreichend“UNDRabattgew�hrung IST „hoch“DANNNachbestellmenge IST „hoch“.

Die Verkn�pfung mehrerer Eingangsvaria-blen erfolgt durchOperatoren wie denMi-nimum-Operator, der jeweils den kleins-ten von mehreren fuzzifizierten Wertenweitergibt [Zimm92, 29]. Gleichzeitig gibtes Konstrukte wie den Gamma-Operator,der es erlaubt, Kompensationswirkungenzwischen Eingangsvariablen zu modellie-ren [Zimm92, 36 f.]. Damit ist es m�glich,das obige Beispiel so abzustimmen, dasstrotz hohen Lagerbestandes eine hoheNachbestellmenge errechnet wird, etwaum ein kurzfristiges Sonderangebot beimLieferanten wahrnehmen zu k�nnen. DieAusgangsvariable kann ihrerseits wiederals Eingangsvariable f�r einenweiteren Be-rechnungsschritt dienen, z. B. um Kapital-bindungskosten, Lagerkapazit�t, Absatz-prognosen usw. mit einfliessen zu lassen.Deutlich wird, wie in einem realit�tsnahenFuzzy System eine Vielzahl an Bestim-mungsgr�ssen zur Ergebnisgewinnung inBetracht gezogen wird.

F�r die Anwendung der Theorie derunscharfen Mengen in Expertensystemensprechen gute Gr�nde:

– Die Eingabe von Wissen in ein Exper-tensystem wie auch dessen Abfrage ge-schieht durch Menschen. Eine nat�r-lichsprachliche Kommunikation mitdem System erscheint deshalb als geeig-net und legt die Verwendung linguisti-scher Variablen nahe.

– F�r die Speicherung vagen und unsiche-ren Wissens, das menschliches Exper-

tenwissen nun einmal zum gr�ssten Teilist, bieten sich eher unscharfe Mengen,denn scharfe Begriffe an.

– Wenn die Wissensbasis unscharfe Werteenth�lt, dann sollten auch unscharfeSchlussfolgerungsmechanismen ange-wendet werden [Zimm92, 179].

Weiter liegt den Fuzzy Systems ein paralle-les Verarbeitungsmuster zugrunde; es be-deutet, dass normalerweise alle als Regelnformulierten Zusammenh�nge in einemsolchen System Eingang in das Ergebnisfinden, was den in der realen Welt vor-gefundenen vielf�ltigen und gleichzeitigen

Abh�ngigkeiten von Einflussfaktoren un-tereinander eher entspricht, als die Abar-beitung in herk�mmlichen Expertensyste-men, wo eine einzelne logische Argumen-tationskette mit eindeutigem Anfang undEnde aus isolierten Bestimmungsgr�ndenaufgebaut wird [Cox94, 211]. Fuzzy Sys-tems sind demgegen�ber sogar in der Lage,mehrere sich widersprechende Experten-meinungen – ein in der Realit�t h�ufig an-zutreffendes Ph�nomen – abzubilden[Cox94, 7] und dennoch zu einem Ergeb-nis zu kommen. Weil sie f�r gew�hnlichweniger Regeln und k�rzere Rechenzeitenben�tigen, als konventionelle Systeme

Kernpunkte f�r dasManagement:

Spezifisches Beraterwissen ist mit herk�mmlichen IT-Methoden schlecht zuerschließen. Auf Fuzzy Logic basierende Expertensysteme bieten eine L�sung.Solche Fuzzy Systems sind aufw�ndig zu erstellen, Praxistests zeigen jedoch dieAnwendbarkeit auf reale Probleme im beraterischen Bereich., Wissensmanagement mit Fuzzy Systems erlaubt die Handhabung unschar-

fen und unvollst�ndigen Beraterwissens., Solcherart aufbereitet kann beraterisches Know-how vielf�ltiger eingesetzt,

weitergegeben und vor Verlust gesch�tzt werden., Berater werden durch Fuzzy Systems von Routine entlastet und k�nnen sich

auf ihre eigentlichen St�rken konzentrieren.

Stichworte: Beratung, Consulting, Expertensystem, Expertenwissen, FuzzyLogic, Fuzzy System,Wissensbasiertes System,Wissensmanagement

gering hochmittel

2000 150100

0

50

1

Stück

Zugehörigkeit

0,2

0,8

45

Bild 2 Defuzzifizierung eines scharfen Ausgangswertes

Wissensmanagement bei Beratern mit Fuzzy Systems

459

Page 4: Wissensmanagement bei Beratern mit Fuzzy Systems

[Cox94, 6] bieten sie schliesslich die Chan-ce, wirklich komplexe und damit realit�ts-naheModelle durchrechnen zu k�nnen.

Fuzzy Logic ist deshalb so geeignet, dieLeistungsf�higkeit von Expertensystemenzu steigern, weil sie der menschlichenDenkweise eher zu entsprechen scheint,als zweiwertige Logik. Nach Zadeh, demBegr�nder der Theorie der unscharfenMengen, spielt unscharfe Logik einegrundlegende Rolle bei einer der wichtigs-ten Seiten menschlichen Denkens, n�mlichder F�higkeit, Informationen zusammen-zufassen – aus der Flut von Daten, die aufdas menschliche Gehirn einwirkt, jene undnur jene Auswahl zu treffen, die f�r die Er-f�llung der momentan anstehenden Auf-gabe relevant ist [Zade73, 28 f.]. Dies sindEigenschaften, die f�r Berater als Voraus-setzung gelten, und Zadeh‘s vielzitierterSatz bringt beraterisches K�nnen geradezuauf den Punkt: „The closer one looks at areal world problem, the fuzzier becomesits solution“ [Zade73, 28, Fussnote 1].

Fuzzy Systems bilden also Probleml�-sungsmuster von Beratern nach, ummenschliches Expertenwissen zu verarbei-ten. Zugleich ist diese Art von Wissen derwichtigste Produktionsfaktor f�r Berater.Unscharfe Logik m�sste mithin zu den be-vorzugten Techniken beim Wissensmana-gement in Beratungsinstitutionen z�hlen.Die Praxis spiegelt dies indes nicht wider.Gleichwohl k�nnen einige Beispiele auf-gezeigt werden.

3 Praxisbeispiele

Eine Aufstellung �ber den betrieblichenEinsatz von Fuzzy-Technik zeigte vor ei-nigen Jahren einen deutlichen Schwer-punkt im Produktionsbereich; Anwen-dungen im Dienstleistungssektor betrafenin erster Linie Banken und Versicherungen[Popp97, 23]. Auch heute noch finden sichin der Literatur nur wenige Beispiele einesEinsatzes bei sonstigen Dienstleistern –doch immerhin, es gibt sie. Exemplarischsollen drei j�ngere Fuzzy Logic-basierteExpertensysteme, die in den beraterischenBereich verweisen, vorgestellt werden. Siehaben den Vorzug, auf Probleme der realenWelt angewendet und dann an den in derPraxis mit herk�mmlichen Methoden er-zielten Resultaten gemessen worden zusein. Die Beispiele entstammen den Berei-chen Kommunalberatung, Unternehmens-beratung und Rechtsprechung.

3.1 Ein Fuzzy Systemin der Kommunalberatung

In [Wolf99] ist ein Fuzzy System zur stra-tegischen Ausrichtung des Standortmarke-tings von Kommunen beschrieben. Es ver-sucht, f�r einzelne St�dte und Gemeindeneine unique selling proposition imVergleichzu Konkurrenzstandorten zu bestimmenund gleichzeitig geeignete Zielgruppen f�rdie Ansiedlungswerbung zu identifizieren.Einflussfaktoren wie „Lage im �berregio-

nalen Raum“, „Fernstrassenanbindung“,„Arbeitnehmermentalit�t“, „Potenzial anhochqualifizierten Arbeitskr�ften“, „Ag-glomerationsvorteile“, „Wohnattraktivi-t�t“ werden als linguistische Variablen ab-gebildet und einem unscharfen Inferenz-verfahren zugef�hrt. Als Ergebnisse liefertdas System Visualisierungen von Allein-stellungsmerkmalen und verbale Strategie-vorschl�ge f�r eine zielgruppenspezifischeAusrichtung des Standortmarketings.

Zugrunde liegt ein Modell des deut-schen Standortmarktes mit knapp 1.000der wichtigsten Wirtschaftsstandorte[Wolf99, 108]. F�r jeden dieser Standortesind bis zu �ber 100 statistische Indikato-ren gespeichert; die Datenbasis umfasstinsgesamt 95.000 Einzelwerte [Wolf99,128]. Um das Mass der Einzigartigkeit unddamit die „G�te“ einer bestimmten Aus-pr�gung eines Standortfaktors darzustel-len, sind diese Werte nicht absolut abge-legt, sondern jeweils als Abweichung vomMittel aller Vergleichsorte, ausgedr�ckt inVielfachen der Standardabweichung (z-Wert) [Wolf99, 129 f.].

Diese scharfen Werte f�r die G�te einesStandortfaktors werden fuzzifiziert durchAbbildung auf Zugeh�rigkeitsfunktionenf�r die Attribute „niedrig“, „mittel“,„hoch“ und „herausragend“ [Wolf99, 144].Bild 3 gibt deren Verlauf wieder.

In drei verschiedenen Regelsystemenwerden die linguistischen Variablen jeweilsunterschiedlich durch Mengen von Pro-duktionsregeln miteinander verkn�pft. Ei-nes dieser Systeme dient zur Bestimmungder generellen Chancen f�r die Gewin-nung einer Unternehmensansiedlung. Inden Produktionsregeln dazu findet folglichWissen dar�ber seinen Niederschlag, wel-ches die von Unternehmen am h�ufigstennachgefragten Faktoren oder auch Fak-torenb�ndel sind [Wolf99, 137 f.].

Tabelle 1 zeigt beispielhaft die Regel-menge, die zur Verkn�pfung der linguisti-schen Variablen „Angebot an Gewerbefl�-chen“ (GE-Fl�chen) und „Angebot an In-dustriefl�chen“ (GI-Fl�chen) zu einerZwischenvariablen „Fl�chenangebot“ for-muliert wurde. Die Regeln 25 bis 28 sinddabei mit einem Gewichtungsfaktor ver-sehen. Er dr�ckt aus, dass Industriefl�chenaufgrund der dort geringeren Auflagen f�rden Betrieb eines Unternehmens st�rkernachgefragt werden, als Gewerbefl�chen[Wolf99, 145–147].

Deutlich wird, dass die Formulierungder Regeln relativ unbestimmt, unscharf

niedrig hochmittel

2-2 10

0

-1

1

z-Wert

Zugehörigkeit

3

herausragend

Bild 3 Verlauf der Zugeh�rigkeitsfunktionen f�r die Eingangsvariablen zur Analyseder generellen Ansiedlungschancen

KlausWolfertz

460

Page 5: Wissensmanagement bei Beratern mit Fuzzy Systems

bleiben kann. Die Aufstellung eines sol-chen Regelsystems auf der Grundlage sei-ner Erfahrung und seines „Gef�hls“ f�lltdem Experten sicherlich leichter, als dis-tinkte Abh�ngigkeiten aufzustellen zwi-schen der Hektargr�sse und dem Markt-wert einer Gewerbefl�che.

Auch die Variable „Fl�chenangebot“wird wieder mit anderen Zwischenvaria-

blen zusammengefasst und so fort, bisschliesslich als alleinige Ausgangsvariabledie „Ansiedlungschancen“ bestimmt wer-den k�nnen. Bild 4 zeigt das entsprechendeRegelsystem, welches nur f�r Zwecke derKommunikation mit dem Nutzer f�r jedeZwischenvariable zus�tzlich eine identi-sche Ausgangsvariable enth�lt. Insgesamtumfasst es 27 Variablen, die durch 8 Regel-

mengen mit zusammen 707 Regeln ver-kn�pft sind. Dennoch ist es das kleinsteder drei formulierten Regelsysteme[Wolf99, 149–151, 158, 167].

Mit dem Einsatz dieser drei Systeme istes m�glich, f�r jeden der erfassten Wirt-schaftsstandorte eine Analyse von all-gemeinen und zielgruppenspezifischenAnsiedlungschancen sowie die Heraus-

Tabelle 1 Regelmenge f�r die Zwischenvariable „Fl�chenangebot“ im Regelsystem f�r die generellen Ansiedlungschancen

Nr. Pr�misse Konklusion

1 WENNGE-Fl�chen ISTgering UND GI-Fl�chen ISTgering DANN Fl�chenangebot ISTgering

2 WENNGE-Fl�chen ISTgering UND GI-Fl�chen IST mit tel DANN Fl�chenangebot ISTgering

3 WENNGE-Fl�chen ISTgering UND GI-Fl�chen IST mit tel DANN Fl�chenangebot IST mit tel

4 WENNGE-Fl�chen IST mit tel UND GI-Fl�chen ISTgering DANN Fl�chenangebot ISTgering

5 WENNGE-Fl�chen ISTgering UND GI-Fl�chen IST hoch DANN Fl�chenangebot IST mit tel

6 WENNGE-Fl�chen ISTgering UND GI-Fl�chen IST herausragend DANN Fl�chenangebot IST mit tel

7 WENNGE-Fl�chen ISTgering UND GI-Fl�chen IST herausragend DANN Fl�chenangebot IST hoch

8 WENNGE-Fl�chen IST mit tel UND GI-Fl�chen ISTgering DANN Fl�chenangebot IST mit tel

9 WENNGE-Fl�chen IST mit tel UND GI-Fl�chen IST mit tel DANN Fl�chenangebot IST mit tel

10 WENNGE-Fl�chen IST mit tel UND GI-Fl�chen IST hoch DANN Fl�chenangebot IST mit tel

11 WENNGE-Fl�chen IST hoch UND GI-Fl�chen ISTgering DANN Fl�chenangebot IST mit tel

12 WENNGE-Fl�chen IST hoch UND GI-Fl�chen IST mit tel DANN Fl�chenangebot IST mit tel

13 WENNGE-Fl�chen IST herausragend UND GI-Fl�chen ISTgering DANN Fl�chenangebot IST mit tel

14 WENNGE-Fl�chen IST herausragend UND GI-Fl�chen ISTgering DANN Fl�chenangebot IST hoch

15 WENNGE-Fl�chen IST mit tel UND GI-Fl�chen IST hoch DANN Fl�chenangebot IST hoch

16 WENNGE-Fl�chen IST mit tel UND GI-Fl�chen IST herausragend DANN Fl�chenangebot IST hoch

17 WENNGE-Fl�chen IST hoch UND GI-Fl�chen IST mit tel DANN Fl�chenangebot IST hoch

18 WENNGE-Fl�chen IST hoch UND GI-Fl�chen IST hoch DANN Fl�chenangebot IST hoch

19 WENNGE-Fl�chen IST hoch UND GI-Fl�chen IST herausragend DANN Fl�chenangebot IST hoch

20 WENNGE-Fl�chen IST herausragend UND GI-Fl�chen IST mit tel DANN Fl�chenangebot IST hoch

21 WENNGE-Fl�chen IST herausragend UND GI-Fl�chen IST hoch DANN Fl�chenangebot IST hoch

22 WENNGE-Fl�chen IST hoch UND GI-Fl�chen IST herausragend DANN Fl�chenangebot IST herausragend

23 WENNGE-Fl�chen IST herausragend UND GI-Fl�chen IST hoch DANN Fl�chenangebot IST herausragend

24 WENNGE-Fl�chen IST herausragend UND GI-Fl�chen IST herausragend DANN Fl�chenangebot IST herausragend

25 WENNGI-Fl�chen ISTgering DANN 0,5 * Fl�chenangebot ISTgering

26 WENNGI-Fl�chen IST mit tel DANN 0,5 * Fl�chenangebot IST mit tel

27 WENNGI-Fl�chen IST hoch DANN 0,5 * Fl�chenangebot IST hoch

28 WENNGI-Fl�chen IST herausragend DANN 0,5 * Fl�chenangebot IST herausragend

KlausWolfertz

462

Page 6: Wissensmanagement bei Beratern mit Fuzzy Systems

Bild 5 Verbale Zusammenfassung der Analyseergebnisse in Form von Strategievorschl�gen,hier f�r das Beispiel einer Stadt in Niedersachsen

Bild 4 �berblick �ber das Regelsystem zur Analyse der generellen Ansiedlungschancen

Wissensmanagement bei Beratern mit Fuzzy Systems

463

Page 7: Wissensmanagement bei Beratern mit Fuzzy Systems

arbeitung von Alleinstellungsmerkmalenf�r das Standortmarketing durchzuf�hren.Die Ergebnisse werden in Form verbalerStrategievorschl�ge ausgegeben, wie inBild 5 ersichtlich.

In einem Praxistest in drei deutschenSt�dten wurden die Strategievorschl�gedes Fuzzy Systems verglichen mit Emp-fehlungen aus Wirtschaftsf�rderungsgut-achten von Beratungsgesellschaften. Dabeizeigte sich, dass die mit dem Fuzzy Systemermittelten Aussagen der Arbeit der Bera-ter durchaus gleichwertig waren [Wolf99,223].

3.2 Ein Fuzzy System zumEntwurf vonMarketingstrategienin Unternehmen

[Li00] stellt ein System f�r die Entwick-lung von Marketingstrategien in Unter-nehmen vor mit eingebautem Fuzzy Ex-pertensystem-Modul. Das System soll „in-telligente“ Empfehlungen f�r das Fest-legen einer solchen Strategie liefern. Strate-giefaktoren wie „Produktqualit�t“, „Wett-bewerbsf�higkeit des Preises“, „Differen-zierung im Wettbewerb“, „AllgemeinesImage“, „Kundendienstqualit�t“ findenEingang in Form von fuzzifizierten Varia-blen. Ergebnisse sindmehrere verbale Stra-tegievorschl�ge, mit Konfidenzfaktorengewichtet [Li00, 136 f.].

Wie mit dem System Strategieoptionenermittelt werden, ist beispielhaft anhandder Abbildung fuzzifizierter Eingangswer-te auf eine 4 Quadranten-Matrix dar-gestellt. Bild 6 zeigt die Matrix und Zuge-h�rigkeitsfunktionen f�r die linguistischenVariablen Marktattraktivit�t und Wett-bewerbsposition. Die Eingangsgr�ssensind durch Produktionsregeln wie

IF fuzzy market attractiveness is highAND fuzzy business strength is strongTHEN fuzzy strategy option is « Investfor Growth»

und

IF fuzzy market attractiveness is highAND fuzzy business strength is lowTHEN fuzzy strategy option is «Oppor-tunistic Development»

verkn�pft. In Abh�ngigkeit davon �ndertsich die Strategierichtung nicht abrupt,sondern nur allm�hlich [Li00, 136 f.].

Zur Evaluierung wurde das System inden Marketingabteilungen von f�nf gros-sen britischen Industrie- und Dienstleis-tungsunternehmen eingesetzt und die erar-beiteten Strategien dann einer Bewertungdurch die Anwender unterworfen. Dabeiwurde es in den meisten der vorgegebenenBewertungskriterien als „sehr hilfreich“,in zwei F�llen sogar als „�beraus hilfreich“eingestuft. Auch im Vergleich mit den indiesen Firmen bis dato eingesetzten Strate-

giewerkzeugen auf Computerbasis wurdeeine eindeutig bessere Unterst�tzung beimEntwickeln von Marketingstrategien kon-statiert. So k�nne das System unter ande-rem eine Best�tigung liefern f�r instinktivgetroffene Entscheidungen der mensch-lichen Experten und biete die M�glichkeit,viele verschiedene Marketing-Szenariendurchzuspielen [Li00, 139].

Die mit dem System generierten Emp-fehlungen wurden dabei als erstaunlich ge-nau und die Denkweise vonManagern klarwiedergebend empfunden [Li00, 142]. Imvorliegenden Fall wurde es direkt von denUnternehmen angewandt; der EntwurfvonMarketingstrategien ist aber gleichsamein typisches Gesch�ftsfeld f�r Unterneh-mensberatungen, weshalb ein Einsatz dortgut vorstellbar ist.

3.3 Fuzzy Systemsin der Rechtsprechung[Munt00] beschreibt Fuzzy Systems zurKonkretisierung unbestimmter Rechts-begriffe. Er greift das Beispiel des § 1610BGB auf, worin eine „angemessene“ H�hedes Unterhaltsanspruchs von Kindern ge-gen�ber ihren Eltern vorgeschrieben ist,ohne dass genaue Zahlenwerte genanntwerden. In der Praxis versucht die Recht-sprechung, diesen unbestimmten Begriffdurch Anwendung von Quoten, Schl�s-seln und Tabellen auszuf�llen [Munt00, 1].

Alterdes Kindes

Einkommendes Vaters

Lebensbedarfdes Kindes

Unterhalts-anspruch

Regel-menge 1

Regel-menge 2

Bild 7 Skizze f�r die Berechnung des Unterhalts f�r ein Kind[nach Munt00,132]

Str

on

g

Investfor Growth

We

ak

Managefor cash

Maintain /manage

for earnings

Opportunisticdevelopment

Strong Weak

Competitive position / business strengths

MarketAttractiveness

Bild 6 Beispiel einer fuzzifizierten Strategierichtungsmatrix[nach Li00,138]

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F�r die F�lle „angemessener Unter-halt“ f�r ein Kind bzw. f�r eine ganzeFamilie (Ehepartner und zwei Kinder) so-wie zur Beurteilung, ob die Berufsausbil-dung eines Kindes „angemessen“ und des-halb von den Eltern zu finanzieren ist,wurden Fuzzy Systems aufgestellt. N�hererl�utert wird im folgenden eine nach ei-nem ersten Test verbesserte Version zurBestimmung des angemessenen Unter-halts f�r ein Kind [Munt00, 131]. Bild 7zeigt eine Skizze der Abh�ngigkeiten indiesem System. Zun�chst wird der Le-bensbedarf des Kindes ermittelt, der mitzunehmendem Alter steigt und gleichzei-tig von der Lebensstellung des Vaters, alsovon dessen Eink�nften gepr�gt wird[Munt00, 100]. Ein zweiter Schritt soll ei-ne gerechte Verteilung des Einkommenszwischen Vater und Kind vornehmen: Da-zu wird der Lebensbedarf mit dem v�terli-chen Einkommen verkn�pft, um den Un-terhaltsanspruch des Kindes zu bestim-men [Munt00, 132].

Die Variablen Einkommen, Alter, Le-bensbedarf und Unterhalt sind als linguis-tische Variablen formuliert. Bild 8 zeigtbeispielhaft die Fuzzifizierung eines Alters

von 10 Jahren und eines Einkommens vonDM 3800,–.

Ebenso sei zur Verdeutlichung die Re-gelmenge 1 aus Bild 7 wiedergegeben. Ta-belle 2 zeigt, wie Kindesalter und Einkom-men des Vaters verkn�pft sind, um den Le-bensbedarf zu bestimmen. Die Regeln sinddabei wie folgt zu lesen:

WENN Alter des Kindes ist jung UNDEinkommen ist EigenbedarfDANNLebensbedarf ist sehr wenig usw.

F�r die Ausgestaltung der einzelnen Re-geln fehlen juristische Begr�ndungen, viel-mehr handelt es sich um Daumenregeln[Munt00, 110]. Hier ist die Intuition desExperten, sein „Gesp�r“ gefragt – und dasKonzept der unscharfen Mengen erlaubtihm, genau dies auch auszudr�cken.

Bei einem 10j�hrigen Kind und einemEinkommen von DM 3800,– besitzen nurdie Attribute „junges“ und „mittleres“Kind sowie „geringes“ und „mittleres“Einkommen Zugeh�rigkeiten gr�sserNull. Die Regeln aus Tabelle 2, die einenZusammenhang zwischen diesen Attribu-ten herstellen, lauten (mit den jeweils fuz-zifiziertenWerten in Klammern):

WENN Alter ist jung (0,05) UND Ein-kommen ist gering (0,5) DANN Lebens-bedarf istwenig (0,05)WENN Alter ist jung (0,05) UND Ein-kommen ist mittel (0,57) DANN Lebens-bedarf ist unteres Mittel (0,05)WENN Alter ist mittel (0,95) UND Ein-kommen ist gering (0,5) DANN Lebens-bedarf ist unteres Mittel (0,5)WENN Alter ist mittel (0,95) UND Ein-kommen ist mittel (0,57) DANN Lebens-bedarf ist oberes Mittel (0,57)

Die Werte der Variablen „Lebensbedarf“ergeben sich aus der Anwendung der Max-Min-Inferenz [Munt00, 110]. Sie gehen,wieder unter Ber�cksichtigung des Ein-kommens, ein in die Bestimmung des Un-terhaltsanspruchs mittels Regelmenge 2(siehe Bild 7). Scharfe Ausgangswerte f�rden Unterhalt in DM werden durch De-fuzzifizierung der Ausgangsvariablen„Unterhalt“ nach der Fl�chenschwer-punktmethode generiert [Munt00, 145].

Die so mit den unterschiedlichen FuzzySystems ermittelten Ergebnisse wurdenschliesslich daraufhin �berpr�ft, wie nahesie der tats�chlichen Rechtsprechung kom-

Tabelle 2 Regelmenge f�r die Ermittlung der Variablen „Lebensbedarf“ [nachMunt00,137]

Lebens-bedarf

Einkommen des Pflichtigen

Eigenbedarf sehr gering gering mittel hoch sehr hoch

AlterdesKindes

jung sehr wenig sehr wenig wenig unteres Mit tel oberes Mit tel viel

mittel sehr wenig wenig unteres Mit tel oberes Mit tel viel sehr viel

alt sehr wenig unteres Mit tel oberes Mit tel viel sehr viel sehr viel

jung mittel

0 10,5

0

1

Alter des Kindes [Jahre]

Zugehörigkeit

21

alt

0,05

0,95

Bild 8 Fuzzifizierung des Kindesalters und des Einkommens des Vaters [nach Munt00,141 f.]

Eigenbedarf hochmittel

60000 4000

0

2000

1

Einkommen des Pflichtigen [DM]

Zugehörigkeit

8000

sehr hochgeringsehrgering

0,570,5

Wissensmanagement bei Beratern mit Fuzzy Systems

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Page 9: Wissensmanagement bei Beratern mit Fuzzy Systems

men [Munt00, 3]. Dabei zeigten zwei Sys-teme deutliche Schw�chen [Munt00, 212],darunter auch das eben skizzierte, w�h-rend die Umsetzung des dritten (Bestim-mung der Angemessenheit einer Berufs-ausbildung) soweit gelungen scheint, dasses zur Entscheidungsunterst�tzung heran-gezogen werden k�nnte [Munt00, 218 f.].Dabei war festzustellen, dass Fuzzy Logicden vom Richter vollzogenen Denkpro-zess pr�ziser nachzubilden imstande war,als bisher �bliche tabellarische Berechnun-gen [Munt00, 215].

Demnach ist eine Unterst�tzung desRechtsanwenders (zu denken ist hier auchan Berater und Anw�lte) durch Fuzzy Sys-tems vorstellbar

– um sich alle m�glichen Kriterien, dieabstrakt Einfluss auf die Entschei-dungsfindung haben k�nnen, zu ver-gegenw�rtigen,

– um juristische Entscheidungen in ihrenEinzelschritten transparent zu machenund

– um getroffene Entscheidungen darauf-hin zu �berpr�fen, ob sie gegebenen-falls zu �berdenken sind [Munt00, 216].

4 Fuzzy Systems f�r Berater

Fuzzy Logic bietet gegen�ber herk�mm-licher Computerunterst�tzung eine „ex-pertenn�here“ Erschliessung von Wissen,weil sie die menschliche Denkweise bessernachzubilden scheint. Gerade f�r das Wis-sensmanagement im Beratungsbereich, wodie meisten Entscheidungen auf unvoll-st�ndiger, unscharfer Information beru-hen, scheint sie besonders geeignet. Praxis-beispiele zeigen, dass Fuzzy Systems hiertats�chlich sehr gute Ergebnisse zu liefernimstande sind.

Dennoch ist die Zahl der Anwendun-gen f�r ein Wissensmanagement bei Bera-tern gering. Die Erkl�rung d�rfte darin lie-gen, dass sich die Aufstellung brauchbarerFuzzy Systems sehr aufw�ndig gestaltet.Fuzzy Logic ist nicht die Zauberformel,um schnell allgemeintaugliche Wissens-managementl�sungen zu generieren. Sie istallerdings ein Schritt in Richtung zu Syste-men, welche die reale Welt hinreichend gutabbilden. Berater, denen es gelingt, in ih-rem Fachgebiet eine f�r Fuzzy Systems ge-eignete Aufgabe des Wissensmanagementszu identifizieren, k�nnen profitieren. Ge-

rade die Schwierigkeit, Beraterwissen zuhandhaben, verspricht Vorteile gegen�berden Wettbewerbern, falls es doch gelingt,diese Schranke aufzuheben: Ein auf dieseWeise verbessertes Wissensmanagementkann helfen, die Beratungsexpertise effi-zienter beim Klienten einzusetzen und in-nerhalb der Beratungsinstitution einmalerarbeitetes Wissen schneller zu verbreitenund so zu multiplizieren. Gleichzeitigsinkt das Risiko von Know-how-VerlustdurchMitarbeiterfluktuation.

Wissensmanagement mit Fuzzy Sys-tems ist dabei stets als ein Hilfsmittel f�rden Experten zu sehen. Es kann ihn nichtdurch eine Beratungs„maschine“ ersetzen.Richtig angewendet bietet es dem Beraterallerdings hohen Nutzen: Ein Fuzzy Sys-tem geht systematisch vor, vergisst keineEinflussgr�sse und ist unabh�ngig von derTagesform. Von Routinet�tigkeiten entlas-tet kann der Berater seine eigentlichenSt�rken dann umso besser ausspielen. Wis-sensmanagement dieser Art liefert ihm so-zusagen den „Rohstoff“, um mit Intuition,Kreativit�t und aufgrund seines Erfah-rungsschatzes die Qualit�t seiner Arbeitnoch zu steigern.

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KlausWolfertz

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