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WOJ 17. Jg. - 1/2011 Januar/Februar/März 2011 ISSN 0947-5273 Die Deportation der Rußlanddeutschen Voraussetzungen und Folgen

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WOJ 17. Jg. - 1/2011 Januar/Februar/März 2011 ISSN 0947-5273

Die Deportation der RußlanddeutschenVoraussetzungen und Folgen

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Editorial

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Inhalt Liebe Leserinnenund Leser,

1941 – Angriff auf die Sowjet-union und Deportation der Russ-landdeutschen: Voraussetzungen und Folgen 3

Von Katharina der Großen bis zum Ersten Weltkrieg (1763-1914) 3

Vernichtungskrieg ist nicht gleich Vernichtungskrieg: Die deutsche Krieg-führung gegen Polen und gegen die So-wjetunion 1939/1941 5

1945 – und immer noch kein Ende. Kriegs-kinder, Kriegsenkel, Kriegstraumata 6

Die Zukunft derErinerung 7

Böhmischer Fasching trifft auf Rheinischen Karneval 8

Flirt mit der Hölle. Zum 200. Todestag Heinrich von Kleists 9

„Wer war Eduard von Simson?“ 10

Um Oberschlesiens Zukunft – Vor 90 Jahren: Volksabstimmung 11

Das deutsche Kaiserreich im Spielfi lm – Fortsetzung der Filmreihe 13

„Kikujiros Sommer“ 14

Düsseldorfer Uraufführung des Films „Po-lin. Spuren der Erinnerung“ 15

„ostPunk. Too much future“ 15

Bericht: Wiedermal in Schlesien! 16

Ilana Shmueli und Paul Celan. Zwei Literaten aus Czernowitz 18

Preisverleihung: „Alles bleibt,wie es niemals war“ 19

Guten Morgen, du Schöne 22

Moskau und der Goldene Ring 23

Auf den Spuren von Gerhart Hauptmann in West und Ost 24

Bibliothek 25

in der Hoffnung, dass Sie inzwischen gut ins neue Jahr gekommen sind, lade ich Sie herzlich ein, uns auch 2011 ein treues und engagiertes Publikum zu sein. Wir werden versuchen, Ih-nen einmal mehr ein interessantes, spannen-des und abwechslungsreiches Programm zu bieten.Das Jahr 2011 bietet wieder eine ganze Reihe von Anknüpfungspunkten, die es neuerlich notwendig und wichtig erschei-nen lassen, den Blick von hier aus – tief

im Westen – weit nach Osten zu richten. Da ist etwa der 70. Jahrestag des Angriffs der deut-

schen Wehrmacht auf die Sowjetunion (22. Juni 1941) – wer wollte bestreiten, dass noch heute viele Spuren erkennbar

sind, welche die Lawine der Gewalt hinterließ, die damals auf Befehl Hit-lers losgetreten wurde? Vor 70 Jahren begann im gewissen Sinne der Unter-gang des historischen deutschen Ostens, das sollte klar sein. Die Rote Armee wurde nicht geschlagen und sie kam allzu bald nach Deutschland … Aber da sind ferner nicht zuletzt unsere Landsleute rußlanddeutscher Herkunft, von denen die Älteren selbst noch Opfer der von Stalin befohlenen Vertreibung aus den Heimatregionen sind. Und zwar Opfer einer Vertreibung, die im August 1941 begann, begründet mit der Furcht des Diktators vor angeblichen Unterstützern des militärischen Feindes im eigenen Land. So unbegründet dies auch war – die Folgen für die Betroffenen waren grauenvoll. Aber auch Leben und Schicksal der Jüngeren sind vom gewaltsamen Heimatverlust der Eltern- oder Großelterngeneration nicht zu trennen. Die erzwungene Ansied-lung in bis dahin völlig fremder Umgebung, die lang andauernde Diskriminie-rung in der Sowjetunion, die vielfältigen Benachteiligungen – sie alle zusam-men trugen zum Exodus der Russlanddeutschen bei, der begann, sobald die politischen Umstände dies zuließen. Leicht ist den meisten dieser neuerliche Abschied gewiß nicht gefallen. Heute leben bei uns in Nordrhein-Westfalen mehrere Hunderttausend Menschen rußlanddeutscher Herkunft. Sie sind ein bedeutender Faktor für das ganze Land: wirtschaftlich, gesellschaftlich, kul-turell. Wir würdigen daher die Erinnerung an den Beginn der Deportation der Rußlanddeutschen 1941 mit einer Veranstaltungsreihe, die gleich im Januar beginnt und die sich über das ganze Jahr hinweg fortsetzen wird.Das folgende Heft zeigt Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, dass uns das Jahresthema „1941 und die Folgen“ selbstverständlich nicht daran hindert, andere wichtige Themen aufzugreifen. Mit der Volksabstimmung in Ober-schlesien im Jahre 1921 verbindet mich – wie Sie sehen werden – ein fami-liäres Band. Aber das ist natürlich für die Berücksichtigung dieses wichtigen Erinnerungsdatums nicht ausschlaggebend. Wir hoffen jedenfalls, dass wir Ihr Interesse für ganz Unterschiedliches wecken können – das Spektrum reicht vom Karneval über die Höhen und Tiefen der Historie bis zu Delikatessen in bildender Kunst und Literatur.Also: Auf bald im Gerhart-Hauptmann-Haus!Ihr

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Vortragsreihe

Nein, in ein Paradies kamen sie nicht. Manch einer der deutschen Siedler, die dem berühmten Einladungsmanifest vom 22. Juli 1763 folgten, mochte indes angenom-men haben, dass ihn in den Weiten Russ-lands ein Leben erwartete, das vom leicht erworbenen Überfl uß gekennzeichnet war. Dass ein derartig verlockender Eindruck entstand, mochte der Unterzeichnerin des Manifestes, der Zarin Katharina II. – einst selbst eine deutsche Prinzessin, die in Russland zunächst ganz fremd gewesen

1941 – Angriff auf die Sowjetunion und Deportation der Russlanddeutschen: Voraussetzungen und FolgenAm 22. Juni 2011 jährt sich der Jahrestag des von Hitler befohlenen Angriffs der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion zum 70. Mal. Mit dem Beginn des „Unternehmens Barbarossa“ am 22. Juni 1941 erreichte der 1939 von Deutschland begonnene Krieg eine neue Dimension – sowohl hinsichtlich seines militärischen Ausmaßes als auch hinsichtlich der in seinem Rahmen begangenen Verbrechen. Zugleich wurden die Weichen für eine ganze Reihe von bis heute nachwirkenden mittelbaren und un-mittelbaren Kriegsfolgen gestellt: Nur wenige Wochen nach Beginn des deutschen Angriffs begann auf Befehl Stalins die Depor-tation der russlanddeutschen Bevölkerung aus ihren Heimatgebieten (zunächst im Wolgagebiet). Dahinter stand die Befürchtung, die deutschsprachigen Sowjetbürger könnten die deutschen Invasoren unterstützen. Obwohl es dafür keine reale Grundlage gab, behauptete der berüchtigte Vertreibungs-Erlass des Obersten Sowjet vom 28. August 1941, unter den Russlanddeutschen würden sich „Tausende und Zehntausende von Diversanten und Spionen“ befi nden, die alsbald nach einem von Deutschland aus gegebenen Signal mit Zerstörungsaktionen und Anschlägen beginnen würden. Folglich seien sie durch die sofortige „Um-siedlung“ vor allem nach Sibirien und Kasachstan daran zu hindern. Dementsprechend wurden die Russlanddeutschen, ohne jede Rücksicht auf Kinder, Frauen oder alte Menschen brutal und unter verheerend schlechten Bedingungen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. In den Aufnahmegebieten erwarteten sie katastrophale Verhältnisse, so dass während des Transportes und in der Folgezeit sehr viele Menschen umkamen. Die meisten Männer, aber auch viele Frauen wurden in die „Trud-Armee“ eingezogen, wo sie unter ähnlichen Bedingungen wie die Häftlinge im „Gulag“-System jahrelang Schwerstarbeit leisten mussten. Die genaue Zahl der Todesopfer im Kontext der Zerschlagung der angestammten Siedlungsgebiete der Deutschen in Russland kennt bis heute niemand, sie lag aber sicher bei mehreren Hunderttausend.Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion erbrachte als eines der ersten seiner schrecklichen Ergebnisse die Vertreibung der Deutschen in Russland, gleichzeitig begann mit ihm aber auch der Weg zur Vertreibung der Deutschen aus Ost- und Ostmittel-europa am Ende des Krieges. Die zunächst in die Defensive gedrängte Rote Armee sollte nur etwas mehr als drei Jahre später in die damaligen Ostprovinzen des Deutschen Reiches eindringen – womit die Zerstörung der jahrhundertealten deutschen Kultur und Geschichte dort einherging.Das Jahr 1941 ist also in mehrfacher Beziehung ein Schlüsseljahr zum Verständnis Deutschlands und Europas in ihrer heutigen Gestalt. Die Vernichtung des Deutschen Reiches wurde hier durch die nationalsozialistischen Machthaber endgültig grundgelegt – nicht zuletzt weil sie in ihrer Hybris im Dezember 1941 auch noch den Vereinigten Staaten von Amerika den Krieg erklärten und damit die Übermacht der Feinde noch entscheidend verstärkten. Die Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus wird sich im Verlauf des Jahres 2011 in einer Vortragsreihe und mit weiteren Veranstaltungen der Erinnerung an das Jahr 1941 und an die damit verbundenen Folgen widmen. Die meisten der Beiträge zu dieser Veranstaltungsreihe werden in Kooperation mit der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland und mit Vira e. V. angeboten. Im ersten Quartal 2011 stehen die folgenden zwei Vorträge auf dem Veranstaltungsprogramm:

war –, nicht unlieb gewesen sein. Brauchte sie doch Siedler vor allem für das weithin unerschlossene Wolgagebiet. Immerhin wurden im Einladungsmanifest wichtige Zusicherungen gemacht, die auf viele Zeit-genossen anziehend wirken mussten, da sie in der feudalen Gesellschaft der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts alles andere als selbstverständlich waren: Bekenntnis- und (befristete) Steuerfreiheit, lokale Selbst-verwaltung, Deutsch als Amtssprache und nicht zuletzt Befreiung vom Militärdienst.

Als das Manifest im Sommer 1763 ver-öffentlicht wurde, war der Siebenjährige Krieg erst seit wenigen Monaten beendet. Seit 1756 hatte das Königreich Preußen gegen eine übermächtig erscheinende Ko-alition aus der Habsburgermonarchie, dem Königreich Frankreich, dem russischen Za-renreich (unter Katharinas Schwiegermutter Zarin Elisabeth) und deren deutschen Ver-bündeten gefochten. Der preußische König Friedrich II. verteidigte hartnäckig die Beute des vorangegangenen militärischen Raubzuges von 1740, nämlich die reiche, bis dahin habsburgische Provinz Schlesien. Der letzte der drei Schlesischen Kriege, der mit dem Frieden von Hubertusburg (15. Februar 1763) beendet wurde, war der verheerendste gewesen. Zwar konnte Friedrich II. nunmehr Schlesien dauerhaft dem preußischen Staatsverband einverlei-

Von Katharina der Großen bis zum Ersten Weltkrieg (1763-1914)

Mi, 26.01. | 19.15 Uhr

Vortrag von Prof. Dr. Hans Hecker, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

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Vortragsreihe

ben, aber sein eigenes Land und auch die seiner Gegner waren zum Teil schwer ver-wüstet. Nach dem jahrelangen Wüten der Kriegsfurie in Teilen Deutschlands konnte also die Aussicht in die vom Krieg unver-sehrten Tiefen Russlands zu ziehen und dort unbehelligt von den rabiaten Aushebungen der Armeen zu bleiben, besondere Anzie-hungskraft entwickeln.Aber: Das Paradies erwartete sie eben nicht. Vielmehr mussten die in den ersten Jahren zunächst rund 30.000 Siedler, die aus verschiedenen Teilen Deutschlands dem russischen Werben folgten, zunächst lange mit der harten Natur ums Überleben ringen – was durchaus nicht alle schafften. Die Überlebenden und ihre Nachkommen haben in den folgenden Jahren und Jahr-zehnten der Wolgaregion blühende Land-schaften abgetrotzt. Währenddessen holten die Nachfolger Katharinas weitere deutsche Siedler ins Land, die nunmehr überwiegend im Schwarzmeerraum und in Südrussland angesiedelt wurden. Deren nicht selten gute Ausbildung und ihr Fleiß kam nun auch diesen Gebieten zugute.Der sich verstärkende Nationalismus im ausgehenden 19. Jahrhundert ließ freilich

auch die inzwischen seit mehreren Generationen etablierten und in vielen Fällen wohlhabenden Sied-lungen der Deutschen in Russland nicht unberührt. Eine wichtige Etappe stellte das „Angleichungs-gesetz“ vom 4. Juni 1871 dar: Die deutschen Siedlungen verloren nunmehr ihre wichtigsten Privile-gien. Russisch wurde in Schulen und Ämtern verbindliche Sprache, die Befreiung vom Militärdienst fiel nach einer Übergangszeit fort. Nicht zufällig entschlossen sich seither bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges rund 300.000 Russlanddeutsche dazu, ihr Glück in einer neuerlichen „großen Wan-derung“ zu suchen – nämlich dem Zug vor allem in die fernen Vereinigten Staaten von Amerika. In Anbetracht des starken Be-völkerungswachstums lebten am Vorabend des Ersten Weltkrieges dennoch schätzungsweise rund 2,4 Millionen Deutsche in Russland.Prof. Dr. Hans Hecker geht in seinem Vor-trag auf die wichtigsten Entwicklungslinien der Geschichte der deutschen Kolonisten

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Katharina die Große

in Russland und ihrer Nachkommen ein. Ohne einen derartigen Überblick wäre die Geschichte der Deutschen in Russland im 20. Jahrhundert wohl kaum verständlich.Prof. Hecker stammt ursprünglich aus Leipzig, er hat jedoch seit 1963 in (West-)Berlin und Köln Slavistik, Osteuropäische Geschichte und Politikwissenschaft stu-diert. Seit 1973 war er Hochschulassistent in Köln, wo er sich 1980 mit einer Arbeit zur russischen Universalgeschichtsschrei-bung im 19. Jahrhundert habilitierte. Als Hans Hecker im Jahre 1982 als Professor für Osteuropäische Geschichte an die Hein-rich-Heine-Universität Düsseldorf berufen wurde, hatte er das Wirkungsfeld gefunden, dem er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2007 treu blieb. Professor Hecker hat nicht nur Generationen von Studierenden mitge-prägt, er hat auch eine kaum übersehbare Fülle von wissenschaftlichen Veröffentli-chungen vorgelegt, von denen sehr viele sich mit Themen aus der russischen Ge-schichte auseinandersetzen. Im Jahre 1994 veröffentlichte Professor Hecker den Band „Die Deutschen im Russischen Reich, der Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten“ (2. Aufl . Köln 1998).

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Vortragsreihe

Mi, 02.03. | 19.15 Uhr

Seit dem eine breite Öffentlichkeit erfassen-den Streit um die (erste) „Wehrmachtsaus-stellung“ (1995-1999) hat sich der Begriff des „Vernichtungskrieges“ hierzulande im allgemeinen Bewusstsein festgesetzt. Auch wenn die genannte Ausstellung in ihrer ersten Fassung zu Recht kritisierte Fehler enthielt, ist es doch ihr Verdienst, in Deutschland das Bewusstsein dafür geschärft zu haben, dass die Durchfüh-rung von Massenmorden und sonstigen Verbrechen in den eroberten polnischen und sowjetischen Gebieten keineswegs allein Sache der SS gewesen ist. Wenigs-tens Teile der Wehrmacht haben vielmehr das vor allem rassenideologisch bedingte brutale Vorgehen vom Heinrich Himmlers

„Einsatzgruppen“ und anderen Kräften direkt oder indirekt unterstützt oder aber wenigstens hingenommen.Die Art und Weise, in der der Krieg von deutscher Seite zunächst in Polen und dann in der Sowjetunion geführt wurde, war eine wesentliche Erfahrung für die betroffene

Vernichtungskrieg ist nicht gleich Vernichtungskrieg: Die deutsche Kriegführung gegen Polen und gegen die Sowjetunion 1939/1941Vortrag von Prof. Dr. Jürgen Förster (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.)

Zivilbevölkerung wie auch nicht zuletzt für zahllose Angehörige der Roten Armee. Nicht wenige von ihnen sollten später bei der Eroberung des Deutschen Reiches ihren Hass- und Rachegefühlen freien Lauf lassen

– was durch das stalinistische Regime nicht nur toleriert, sondern zumindest zeitweilig sogar gefördert wurde.Die Form, in der vor allem die damaligen deutschen Ostprovinzen von den sowje-tischen Streitkräften erobert und besetzt wurden, und ferner der Umgang mit den Deutschen, die in den 1945 zum neu um-schriebenen polnischen Staat geschlagenen Gebieten lebten, ist also nicht zu trennen vom Verhalten wenigstens von Teilen der deutschen Besatzungskräfte zuvor auf polnischem und sowjetischem Territo-rium. Daher ist es wichtig, auch dies in die Erinnerung an das Schlüsseljahr 1941 einzubeziehen.Prof. Dr. Jürgen Förster (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.) wird in seinem Vortrag auf Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede beim Vorgehen deutscher Kräfte zunächst in Polen seit dem Septem-ber 1939 und dann in der Sowjetunion seit dem Juni 1941 eingehen. Professor Förster, der 1940 in Reichenberg geboren wurde, ist einer der führenden deutschen Militär-historiker. Er hat in Köln und Nottingham Geschichte und Anglistik studiert; bereits in seiner Dissertation hat er sich mit dem Krieg zwischen dem NS-Staat und der Sowjetunion auseinandergesetzt. Von 1970 bis 2000 war Jürgen Förster Wissenschaftli-cher Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (in Freiburg i. Br. und Potsdam). Im Rahmen dieser Tätigkeit hatte er wesentlichen Anteil an dem Großprojekt „Das Deutsche Reich und der Zweite Welt-

krieg“, das seit 2008 in zehn umfangreichen Bänden abgeschlossen vorliegt und als das wissenschaftliche Standardwerk von deutscher Seite gilt. Darüber hinaus hat Professor Förster eine Fülle einschlägiger

Veröffentlichungen vorgelegt, darunter der Band Die Wehrmacht im NS-Staat. Eine strukturgeschichtliche Analyse, München 2009. Neben seiner langjährigen Lehrtätig-keit an der Universität Freiburg i. Br. hatte Jürgen Förster Gastprofessuren in den USA, Israel, Großbritannien und Australien inne (zum Teil mehrfach).

Winfrid Halder

In Zusammenarbeit mit der Landes-gruppe Nordrhein-Westfalen der Lands-mannschaft der Deutschen aus Rußland eV. und der Vereinigung zur Integration der russlanddeutschen Aussiedler e. V. (VIRA).

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Vortrag

Zahlreiche unserer Besucher werden sich des eindrücklichen Abends entsinnen, als zu Beginn des vergangenen Quartals der Münchner Psychiatrie-Professor Mi-chael Ermann über das von ihm geleitete Kriegskindheits-Projekt berichtete. Ermann vermochte es, die in der Generation der „Kriegskinder“ – also derjenigen, die den Geburtsjahrgängen vor allem der 1930er und frühen 1940er Jahre angehören – viel-fach noch immer in bedrückender Weise präsenten Traumata aufzuzeigen. Die Schrecken des Krieges sind in den Erinne-rungen der damals sehr jungen Menschen noch immer zugegen – auch wenn viele sich darüber ausschweigen. Und diese Er-innerungen sind nicht folgenlos. Die von Professor Ermann repräsentierte Psychiatrie, aber auch andere Wissenschaften wie etwa die Ge-schichtswissenschaft haben erst in jüngster Zeit gelernt, die (Spät-)Folgen in den Köpfen der einstigen Kriegskinder, die sich nicht selten in mehr oder weniger unbewußten Verhaltensweisen niederschlagen, ernst zu nehmen. Seither gibt es nicht nur an verschiedenen Orten Hilfs- und eventuell auch Therapieangebote, sondern es hat sich auch eine ganze Reihe von Selbsthilfe-Organisationen gebildet. Zu nennen ist etwa der im Jahr 2000 gegründete Verein „Kriegskind e. V.“, der über seine Internetseite (www.kriegskind.de) vielfältige Angebote macht.In der lebhaften Publikumsdis-kussion, die sich dem Vortrag von Professor Ermann anschloß, wurde ein Thema angeschnitten, dessen hohe Bedeutung der Referent sofort zugestanden hat: Nämlich die Tatsache, dass die seelischen Beschädigungen der Kriegskinder sich auch auf deren Kinder aus-gewirkt haben, obwohl diese nicht selten erst weit jenseits des Jahres 1945 geboren wurden. Der Wunsch sich auch mit der Generation der „Kriegsenkel“ zu befassen wurde laut, obwohl diese, vordergründig an den Lebensdaten festgemacht, vermeintlich mit dem Zweiten Weltkrieg und dessen

1945 – und immer noch kein Ende. Kriegskinder, Kriegsenkel, KriegstraumataBuchvorstellung und Diskussion mit Anne-Ev Ustorf, Hamburg

Di, 18.01. | 19.15 Uhr

Konsequenzen „nichts zu tun haben.“Wir tragen diesem Wunsch nun Rechnung – denn das Thema ist in allerjüngster Zeit seinerseits von der Wissenschaft und der Publizistik aufgegriffen worden. In einem Beitrag vom Februar 2009 hat der „Spiegel“ etwa darauf hingewiesen, dass Genforscher es heute für möglich halten, dass trauma-tische Erlebnisse sogar verändernd auf das Erbgut einwirken können. Die Psychiatrie sieht es inzwischen als erwiesen an, dass zum Beispiel die Kinder von heimatver-triebenen oder gefl ohenen Eltern vielfach das Gefühl entwickeln können, „heimatlos“ oder „entwurzelt“ zu sein, obwohl ihnen die direkte Erfahrung des Heimatverlustes fehlt. Auch die Ängste der Kriegskinder

können sich gewissermaßen „fortpfl anzen“ und sich etwa in einem übersteigerten Sicherheitsdenken niederschlagen. Pro-fessor Ermann hält es für eine geradezu zwangsläufi ge Entwicklung, dass nunmehr, nachdem die Kriegskinder vielfach begin-nen ihr Schweigen zu brechen, auch die

Kriegsenkel anfangen, über ihre eigenen Prägungen nachzudenken und zu sprechen.Die Hamburger Journalistin Anne-Ev Ustorf hat sich intensiv mit der Generation der Kriegsenkel befasst. Im Jahre 2008 veröffentlichte sie ihr Buch „Wir Kinder der Kriegskinder. Die Generation im Schatten des Zweiten Weltkriegs“. Dessen Erfolg ist bezeichnend für das steigende Interesse am Thema, denn es wurde unlängst auch in Taschenbuchausgabe veröffentlicht. Anne-Ev Ustorf, Jahrgang 1974, ging zunächst von Erfahrungen mit ihren eigenen Eltern aus, und hat dann zahllose Gespräche mit anderen „Kriegsenkeln“ geführt. Darüber hinaus hat sie sich mit den bisher vorlie-genden wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Kriegsenkelgeneration befasst. Ihr Buch ist vielfach positiv besprochen und besonders für seine sprachliche Klarheit und Anschaulichkeit gelobt worden.Anne-Ev Ustorf hat Geschichte und Kunst-geschichte in York und London studiert. Als freischaffende Journalistin lebt sie in Hamburg und schreibt für verschiedene überregionale Zeitungen – etwa die Süd-deutsche Zeitung oder die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung – und eine Reihe von Magazinen.Weiterführende Informationen bietet etwa auch das „Forum Kriegsenkel“ im Internet (www.forumkriegsenkel.com).

Winfrid Halder

Anne-Ev Ustorf

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Vortrag

Mi, 23.02. | 19.15 Uhr

Mit einem Einleitungsvortrag von Prof. Dr. Hermann Schäfer, ehem. Direktor der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn. Das Thema Flucht und Vertreibung aus dem historischen deutschen Osten hat in den letzten Jahren in der öffentlichen Er-innerung der Bundes-republik Deutschland einen bemerkenswert wichtigen Platz erhal-ten. Ungeachtet der Tatsache, dass es sich beim erzwungenen Heimatverlust für rund 14 Millionen Men-schen seit 1944/45 um die zahlenmäßig größte Zwangsmigration der Geschichte handelte, ist das Thema längere Zeit in der deutschen Erinnerungspolitik eher vernachlässigt worden. Erst in jüngerer Zeit hat sich dies gewan-delt – das läßt sich an vielerlei Kennzeichen zeigen. Ein wichtiger Impuls ging zweifellos von der Gründung der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen unter der Führung von Erika Steinbach und Peter Glotz im Jahr 2000 aus. Weiter-hin ist gewiß der spektakuläre Erfolg von Günter Grass’ Novelle „Im Krebsgang“ zu nennen, die 2002 zuerst erschien. Litera-turnobelpreisträger Grass, 1927 in Danzig geboren, verarbeitete darin das Grauen des Untergangs der „Gustloff“, die mit Flücht-lingen überfüllt Ende Januar 1945 in der Ostsee torpediert wurde und sank. Darüber hinaus ist aber etwa auch zu erinnern an die breite Rezeption, die Andreas Kosserts wissenschaftliche Bücher erfahren haben, vor allem „Kalte Heimat“ (2008), in dem er sich breit mit dem Schicksal der Flücht-linge und Vertriebenen nach ihrer Ankunft in Westdeutschland und der späteren DDR auseinandersetzt. Publikumerfolge in noch

Die Zukunft der Erinnerung. Flucht und Vertreibung in der öffentlichen Erinnerung in DeutschlandVorstellung der neuen Lehrerhandreichung Flucht und Vertreibung für die nordrheinwestfälischen Schulen

viel größerem Maßstab waren die aufwän-digen Spielfi lm-Produktionen „Die Flucht“ (ARD 2007) und „Die Gustloff“ (ZDF 2008). Schließlich darf der Hinweis auf die Gründung der Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ im März 2008 nicht fehlen. Deren Schaffung erfolgte nach

einer bereits über meh-rere Jahre hinweg zum Teil äußerst kontrovers geführten Debatte über die Schaffung eines „Sichtbaren Zeichens“ zur Erinnerung an Flucht und Vertreibung in der Bundeshaupt-stadt Berlin. Seit der Gründung der Stiftung ist der Streit um die Gestaltung ihrer künf-tigen Arbeit nicht ab-gerissen.Die Gründe für den immer noch in Gang befindlichen Wandel in der deutschen Er-innerungskultur sind vielschichtig. Diese zu

erläutern und zu kommentieren – und zu-gleich erinnerungspolitische Perspektiven aufzuzeigen wird Gegenstand des Vortrages von Prof. Dr. Hermann Schäfer sein. Er ist einer der führenden Experten auf diesem Gebiet – und zwar in mehrfacher Hinsicht. Hermann Schäfer hat Geschichtswissen-schaft und Anglistik in Frankfurt/M, Bonn und Freiburg i. Br. studiert. Dort wurde er 1977 promoviert und habilitierte sich 1986. Nach einer Tätigkeit im Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim übernahm Schäfer 1987 die Leitung der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn. Er zeichnete damit ganz wesentlich verantwortlich für Kon-zeption, Bau und Gestaltung des wohl mo-dernsten und meistbesuchten zeitgeschicht-lichen Museums in der Bundesrepublik Deutschland, das 1994 eröffnet wurde. Im Jahre 1999 kam das ebenfalls unter Schäfers

Gesamtleitung stehende Zeitgeschicht-liche Forum in Leipzig hinzu. Aus der Vielzahl der unter Hermann Schäfers Ver-antwortung erarbeiteten Wechselausstel-lungen ist besonders die Schau „Flucht, Vertreibung, Integration“ (2005/06) zu nennen. Im Jahre 2006 wechselte Schäfer ins Kanzleramt und übernahm die Stellvertretung von Kulturstaatsmi-nister Bernd Neumann. Damit war er an einer der wichtigsten Schaltstellen in der praktischen Erinnerungspolitik tätig. Seit seinem Ausscheiden aus dieser Funktion Ende 2007 arbeitet Professor Schäfer als Berater im Museumsmanagement. Er war oder ist Mitglied zahlreicher natio-naler und internationaler wissenschaft-licher Gremien, darunter der deutschen UNESCO-Kommission. Im Jahre 1997 erhielt Schäfer den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland am Bande.Im Rahm der Veranstaltung wird auch die für die neuere Erinnerungspolitik in Nordrhein-Westfalen wichtige, seit dem Spätsommer 2010 vorliegende Lehrerhandreichung Flucht und Vertrei-bung vorgestellt. Dabei wird auch das zugrundeliegende Konzept erläutert. Die Lehrerhandreichung ist erhältlich über die nordrhein-westfälische Landeszentrale für politische Bildung (www.politische-bildung .nrw.de; e-mail: [email protected]; Tel. 0221/8618-4615).

Winfrid Halder

Prof. Dr. Hermann Schäfer

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Ausstellung

Vom 01.02. bis 11.03.2011

Das Gerhart-Hauptmann-Haus präsentiert in Zusammenarbeit mit dem Tschechischen Zentrum Düsseldorf und der Sudetendeut-schen Landsmannschaft, Kreisgruppe Düs-seldorf, eine Ausstellung des Eduard Held Museums und der Firma PVO (Papírenska Výroba Obchod-Papierwaren Produktion und Handel) aus Zákupy / Reichstadt.Die kleine, aber in Europa einzigartige tschechische Manufaktur stellt ein buntes Sortiment von Faschings-, Karnevals-, Schmuck-, und Dekorationsartikeln (z. B. Masken, Aufsatzköpfe, Girlanden, Luft-schlangen) überwiegend aus Papier her und vertreibt diese Produkte in der ganzen Welt.Das Unternehmen steht damit in der Tra-dition des Firmengründers Eduard Held, der im kleinen Reichstadt / Zákupy in Nordböhmen 1894 die „Erste Österreichi-sche Pathenbrief- und Luxuspapier-Fabrik“ eröffnete.Eduard Held, am 13. März 1864 in Neu-schiedel bei Reichstadt geboren, besuchte das Leipaer Gymnasium und absolvierte anschließend eine Lehre in einem Koloni-alwarengeschäft in Brandeis an der Elbe. Mit achtzehn Jahren kehrte er in seine

Böhmischer Fasching trifft auf Rheinischen Karneval

nordböhmische Heimat zurück und begann – unter schwierigsten Bedingungen – mit dem Aufbau seines eigenen Unternehmens. Neben der Produktion von Papiertüten be-gann Eduard Held mit der Herstellung von Luxus-Visitenkarten und Patenbriefen. In diese vorgedruckten und manchmal gepräg-ten Briefe wurden die Namen des Neuge-borenen, seiner Eltern, der Taufpaten und des Geistlichen, der die Zeremonie vollzog, eingetragen. Zusammen mit den üblichen Süßigkeiten von den Taufpaten nahmen die Eltern den Patenbrief als Andenken für ihr Kind mit nach Hause.Mit fast 30 Jahren wurde Eduard Held Stadtverordneter und eröffnete zudem sein „Hotel Herrenhaus“.Im Laufe der Zeit verlegte sich Eduard Held auf die Produktion des beschriebenen vielfältigen Sortiments, die seine Söhne nach des Vaters Tod im Jahre 1937 bis in die ersten Jahre des Zweiten Weltkriegs fortführten.1945 wurde die Fabrikantenfamilie enteig-net und nach Deutschland vertrieben. Hier konnte sie ihre Arbeit nicht fortsetzen.In staatlicher Regie nahm das Unternehmen

unter tschechischer Leitung die Produktion von Faschings-, Karnevals-, und Weih-nachtsartikeln wieder auf.Nach der „samtenen Revolution“ in der Tschechoslowakei 1989 ging der Betrieb in private Hände über und konnte nach an-fänglichen Schwierigkeiten die traditionelle Manufaktur erfolgreich fortsetzen.Zur Eröffnung der Ausstellung wird der jetzige Inhaber und Direktor der Firma, Ing. Zdeněk Rydygr, aus Zákupy / Reichstadt zugegen sein und nicht nur einen Quer-schnitt seines Produktionssortiments vor-stellen, sondern auch durch das ausgestellte Bildmaterial und zahlreiche Exponate aus dem von ihm im Mai 2008 gegründeten Eduard Held Museums die einst im fried-lichen Miteinander von Deutschen und Tschechen in Böhmen begründete hand-werkliche Tradition aufzeigen.

Dirk Urland

Eröffnung: Dienstag, 1. Februar 2011 – 19.00 UhrAusstellungsraum

Es sprechen:PD Dr. Winfrid HalderDirektor des Gerhart-Hauptmann-HausesRüdiger GoldmannSudetendeutsche LandsmannschaftBernhard KirschnerZdeněk RydygrZákupy / Reichstadt

Eduard Held und Olga Held

„Junges Ehepaar“, böhmische Faschingsfi guren aus Zákupy / Reichstadt

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Lesung

„Ich weiß, wenn ich mich mit Kleist ein-lasse, dann fl irte ich mit der Hölle. Ich tue es nicht gern. Wenn ich es aber tue, dann kommen mir eher als bei dem edlen Schiller und dem weisen Goethe und dem prächtigen Lessing die Begeisterungsträ-nen.“ Sebastian Haffner, wusste wovon er sprach. Er kannte Preußen und den Dichter, der als der vielleicht preußischste überhaupt gilt. Haffner war gebürtiger Berliner, er besuchte das Königstädtische Gymnasi-um. Spätestens hier, in einer der höheren Bildungsanstalten der Hauptstadt Preußens und des Deutschen Reiches, ist der junge Haffner zum ersten Mal Kleist als Autor begegnet, hier mag er das schwungvolle, zuweilen nachgerade exaltierte Pathos in dessen Stück „Prinz Friedrich von Hom-

burg“ (entstanden 1809/10) zum ersten Mal vernommen haben. Da trug Sebastian Haffner freilich noch seinen ursprünglichen Namen Raimund Pretzel und war noch nicht emigriert. Er hat seine Heimatstadt Berlin 1938 verlassen, um ins britische Exil zu gehen, da er sich dem gewalttätigen NS-Regime nicht weiter anpassen wollte (ohne selbst unmittelbar verfolgt zu sein). Auch unter dem in Großbritannien zum Schutz seiner in Deutschland verbliebenen Verwandten angenommenen Pseudonym Sebastian Haffner blieb er ein aufmerksa-mer Beobachter – und versuchte den Briten bereits 1940 in seinem noch immer lesen-werten Buch „Germany: Jekyll & Hyde“

zu erklären, warum die Nation der „Dichter und Denker“ sich zum großen Teil willig den nationalsozialistischen Amokläufern auslieferte.Haffner mag damals bei seiner Ausein-andersetzung mit dem aus seiner Sicht zwiespältigen „Nationalcharakter“ der Deutschen auch an Kleist gedacht haben. Tatsächlich war Heinrich von Kleists Le-ben durch eine Hinneigung zum Extremen geprägt – und endete gewiß nicht zufällig mit einem Selbstmord. Auch dass Kleists wohl bekannteste literarische Figur Michael Kohlhaas vom Autor selbst als einer „der rechtschaffensten und zugleich entsetzlichs-ten Menschen seiner Zeit“ charakterisiert wird, erscheint vielsagend. Dabei hätte die Biographie des Sohnes aus einem alten

pommernschen Adelsgeschlecht so klar und geradlinig verlaufen können. Der junge Heinrich hätte – wie die meisten männlichen Angehörigen der Familie derer von Kleist einschließlich seines Vaters auch – an der Offi zierskarriere festhalten und vermutlich Stück für Stück, Rang für Rang „avancieren“ können. Das lag als Perspektive nahe, als er im Oktober 1777 in Frankfurt an der Oder, wo sein Vater gerade statio-niert war, geboren wurde. Auch nach dem frühen Tod der Eltern hätte der Offi zierslaufbahn grundsätzlich nichts entgegengestanden – immerhin erfolgte der von der Verwandtschaft erwartete Eintritt in das Heer des Königs von Preußen als Heinrich erst knapp 15 Jah-

re alt war, standesgemäß in ein Potsdamer Garderegiment (1792).Vielleicht hat zu seiner baldigen Abwen-dung vom Soldatenberuf beigetragen, dass er, kaum in sein Regiment aufgenommen, schon in den Krieg ziehen mußte. Und zwar einen Krieg gegen das revolutionäre Frank-reich, in dem die fridericianische Armee Preußens alles andere als Ruhm sammelte. Goethe hat – anders als Kleist allerdings als Zivilist – auch am ersten Feldzug des sogenannten Ersten Koalitionskrieges (1792-95/97) teilgenommen und später das militärische Debakel für Preußen und dessen Verbündete eindrücklich beschrie-ben (Campagne in Frankreich 1792, zuerst

veröffentlicht 1822). Welche Rolle immer die reale Kriegserfahrung für Kleist gespielt hat, er hat den als immer beklemmender empfundenen Militärdienst als noch nicht 22-Jähriger gegen den Widerstand seiner Verwandtschaft verlassen (1799).Spätestens seither stand das Leben Kleists unter dem Signum des Ungenügens: Er genügte den Erwartungen der Familie nicht, da er die begonnene militärische Karriere bald nach der Beförderung zum Leutnant abbrach. Den Erwartungen Goethes, dem Kleist sich nach dem Beginn seines dichte-rischen Schaffens zu nähern suchte, genügte er ebenfalls nicht. Goethe reagierte auf die Zusendung eines Fragments aus Kleists Drama „Penthisilea“ irritiert; er schrieb an Kleist, dass „es mich immer betrübt und bekümmert, wenn ich junge Männer von Geist und Talent sehe“, die aus seiner – Goethes – Sicht auf dichterische Abwege gerieten (1808). Den Erwartungen seiner Verlobten Wilhelmine von Zenge genüg-te Kleist nicht, da er in einem erneuten plötzlichen Sinneswandel die junge Frau – Tochter eines preußischen Generals – dazu gewinnen wollte, mit ihm das Leben eines Bauernpaares zu führen. Den Erwartungen seiner Dienstherrn in der preußischen Ver-waltung genügte Kleist nicht, da er während seines zeitweiligen Dienstes dort (1804-07, überwiegend in Königsberg tätig) sich als allzu unstet erwies.Vor allem aber: Kleist genügte seinen ei-genen Erwartungen nicht. Das unmittelbar nach dem Ausscheiden aus dem Militär-dienst an der Viadrina, der Universität seiner Heimatstadt Frankfurt an der Oder, aufgenommene naturwissenschaftliche Studium brach er enttäuscht ab, da es seine Hoffnungen bei der Suche nach „Wahrheit“ nicht erfüllte. Die Auseinandersetzung mit

Flirt mit der Hölle. Zum 200. Todestag Heinrich von Kleists (1777-1811)Lesung mit Dr. Hajo Buch mit einer Einführung vonPD Dr. Winfrid Halder

Mi, 16.02. | 19.15 Uhr

Heinrich von Kleist

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Das gemeinsame Grab von Heinrich von Kleist und Henriette Vogel am Kleinen Wannsee in Berlin.

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Vortrag / Ausstellung

„Wer war Eduard von Simson?“ Vom 30.03. bis 14.04.

der Philosophie Immanuel Kants stürzte ihn in eine noch tiefere Lebenskrise, anstatt ihm Halt zu geben. Reisen nach Frankreich und in die Schweiz ließen ihn keinen Ort zu dauerhaftem Aufenthalt fi nden, Paris stieß ihn ab. Seinen literarischen Arbeiten – vor allem seinen Dramen – war zu Kleists Leb-zeiten nur begrenzter Erfolg beschieden. Die Mehrzahl seiner Theaterdichtungen sah er niemals selbst auf der Bühne.Als es entgegen Kleists emphatischen Hoffnungen 1810/11 noch keine Anzeichen gab, dass das 1807 von Napoleon Bonaparte geschlagene und gedemütigte Preußen sich gegen die französische Fremdherrschaft erheben würde, genügte schließlich auch die politische Entwicklung Kleists Erwar-tungen nicht. Als Publizist und Bühnenautor hatte er zuvor vergeblich versucht, den nationalen Widerstandswillen zu entfachen. Praktisch mittellos suchte er am 21. Novem-ber 1811 gemeinsam mit der befreundeten, todkranken Henriette Vogel am Kleinen Wannsee (damals vor den Toren Berlins) den Freitod. Im Abschiedsbrief an seine Schwester Ulrike bemerkte er, „dass mir auf Erden nicht zu helfen war.“Kleist mochte nicht, konnte wohl nicht warten bis Preußen sich tatsächlich gegen Napoleon erhob, nur etwas mehr als ein Jahr später. Er konnte nicht warten auf den dichterischen Ruhm, den er heiß begehrt hatte und der erst dem Toten zuteil wurde. Soviel Scheitern und soviel Enttäuschung – und doch ohne Zweifel ein Autor am Sternenhimmel der deutschen Literatur. Ein Autor, der auch heute noch, wie Sebastian Haffner wusste, Begeisterungstränen her-vorrufen kann.Dazu freilich muß man der Sprache Kleists Klang geben. Dies vermag wohl kaum je-mand besser als Dr. Hajo Buch. Der ist nicht nur ein studierter Germanist und erfahrener Lehrer, sondern er hat seine frühzeitig ent-wickelte Leidenschaft für das Rezitieren inzwischen zu einer Hauptbeschäftigung gemacht. Das kann er, seit er nicht mehr die Pfl ichten des Direktors des Mettmanner Heinrich-Heine-Gymnasiums wahrnehmen muß. Wir sehen also erwartungsvoll den Begeisterungstränen entgegen, wenn Hajo Buch aus Prosatexten Heinrich von Kleists liest. W.H.

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Eine Ausstellung unter der Schirmherr-schaft von Eckhard Uhlenberg, MdL, Prä-sident des Landtags Nordrhein-Westfalen.„Er gehörte zum Besten, was das oft ge-schmähte und doch atemberaubend inte-ressante 19. Jahrhundert unter Deutschen hervorgebracht hat“ würdigte Richard von Weizsäcker Eduard von Simson acht Jahrzehnte nach dessen Tod. Eduard von Simson gehört zu jenen Persönlichkeiten der deutschen Geschichte, die, wenn auch nicht ganz in Vergessenheit, so doch aus dem näheren Blick geraten sind. Warum ist Simson in Vergessenheit geraten? Im Nationalsozialismus wurde Eduard von Simson, der einer Königsberger jüdischen Familie entstammte, systematisch aus dem historischen Gedächtnis getilgt; Straßen und Plätze, die seinen Na-men trugen, wurden umbenannt, seine Bilder wurden abgehängt. Damit schmähte die NS-Ideologie nicht nur einen wichtigen Streiter für den Rechtsstaat und Parla-mentarismus, sondern auch den Präsidenten von insgesamt sieben Parlamenten. Präsident der Frankfurter National-versammlung, Präsident des Norddeutschen Reichstages, Vor-sitzender des Zollparlaments, erster Prä-sident des Deutschen Reichstages, erster Präsident des Reichsgerichts – dies sind nur einige der Positionen, die Simson in seiner glanzvollen politischen Karriere vorzuweisen hatte. Als Sohn jüdischer Eltern wurde von Sim-son 1810 in Königsberg geboren, in eine kaum 100 Jahre junge und noch kleine jüdische Gemeinde hinein. Er stammte aus bescheidenen Verhältnissen, die nicht ahnen ließen, dass er einmal zu einer der bedeu-tendsten und einfl ussreichsten Persönlich-keiten des deutschen Parlamentarismus werden würde. 1823 entschlossen sich die Eltern, ihre fünf Kinder zur evangelischen Konfession übertreten zu lassen. Damit eröffneten sie ihren Söhnen die Möglichkeit einer Laufbahn im Staatsdienst, die nur Angehörigen einer christlichen Konfes-sion vorbehalten war. Dennoch blieb von

Simson seinen jüdischen Wurzeln in Kö-nigsberg treu, was sich aus seinem privaten Lebensumfeld ableiten lässt. Nach dem Jurastudium schlug er als Pro-fessor an der Königsberger Juristischen Fakultät eine akademische und als Richter an verschiedenen Gerichten eine juristische Laufbahn ein. Seine politische Karriere be-gann im Jahre 1848, als er zum Deputierten der Frankfurter Nationalversammlung ge-wählt wurde. Bei seiner parlamentarischen Arbeit war von Simson in entscheidendem Maße an der Entwicklung der Grundrechte, des Parlamentsrechts und bei der Ausge-staltung einer Verfassung in Deutschland beteiligt. Sein Leben und Wirken spiegeln

den Kampf und die Bestrebungen um die nationale Einheit und

Demokratie wider. Aufgrund seiner Stellung und seiner Bemühungen um die deutsche Reichsei-nigung war er immer wie-der auch beliebtes Motiv

der Künstler jener Zeit. Wir fi nden ihn auf Ölgemälden porträtiert und in politi-schen Satirezeitschriften karikiert, insbesondere in den „Düsseldorfer Mo-natsheften“, einer Zeit-

schrift, die von Künstlern der „Düsseldorfer Künst-

lervereinigung Malkasten“ gestaltet und in einer für die damalige Zeit erstaunlich hohen Aufl age verbreitet wurde. In der Ausstellung werden das Leben und Wirken von Simsons anhand von Zeit-dokumenten und Bildern porträtiert. Mit dieser Ausstellung beteiligt sich die Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus an den „Jüdi-schen Kulturtagen“, die vom 3. März bis zum 17. April 2011 in Nordrhein-Westfalen stattfi nden.

K.S.

Eröffnung der Ausstellung:Mittwoch, 30.03.2011, 18 Uhr Foyer vor dem Eichendorffsaal

Ausstellung zu einer Schlüsselfi gur des deutschen Parlamentarismus im 19. Jahrhundert

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Vortrag

Mi, 23.03. | 19.15 Uhr

Um Oberschlesiens Zukunft – Vor 90 Jahren: Volksabstimmung

Das Ende des verlorenen Ersten Weltkriegs brachte für das damalige Deutsche Reich große Einschnitte mit sich. Von den Sieger-mächten unter Führung Frankreichs, Groß-britanniens und der Vereinigten Staaten von Amerika wurde Deutschland und der faktisch bereits aufgelösten Habsburger-monarchie als wichtigstem Verbündeten die alleinige Schuld an dem vorangegangenen Krieg angelastet. Obwohl dies von deut-scher Seite energisch bestritten wurde, nutzten die siegreichen Staaten ihre Über-legenheit, um – begründet mit der angeb-lichen Kriegsschuld – das Deutsche Reich zur Wiedergutmachung der gigantischen direkten und indirekten Kriegsschäden in Haftung zu nehmen. Da zugleich Europa umfassend territorial neu geordnet werden sollte, bedeutete dies von vornherein, dass Deutschland nicht nur riesige Zahlungen und sonstige Reparationsleistungen zu erbringen haben, sondern auch zu Gebiets-abtretungen gezwungen werden würde. Der am 28. Juni 1919 im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles – also an dem Ort, an dem 48 Jahre zuvor unter Bismarcks Regie der preußische König Wilhelm I. zum deutschen Kaiser proklamiert worden war – unterzeichnete Friedensvertrag fasste die Aufl agen für Deutschland zusammen.Hinsichtlich der Gebietsfragen waren die Sieger in einigen Fällen zu keinerlei Kon-zessionen bereit: Dass Frankreich auf der Rückgabe Elsaß-Lothringens, das 1871 an das Deutsche Reich hatte abgetreten werden müssen, bestehen würde, stand seit jeher außer Frage. Die deutschen Koloni-en waren ihrerseits faktisch schon längst verloren. An der bisherigen Ostgrenze war der wieder begründete polnische Staat der Hauptnutznießer der Verkleinerung des Reiches. So fi el Polen jetzt der größte Teil Westpreußens (bei einer Sonderregelung bezüglich Danzigs) und fast die ganze bis-herige preußische Provinz Posen zu. Dazu kamen kleinere Gebiete in Ostpreußen.Darüber hinaus wurde aber um die Zu-kunft weiterer wichtiger Teile des bisher deutschen Territoriums gerungen. Die Siegermächte legten fest, dass dort jeweils

Volksabstimmungen über die zukünftige Zugehörigkeit stattfi nden sollten. Das ers-te dieser unter internationaler Kontrolle durchgeführten Plebiszite fand bereits im Februar 1920 – also nur etwa sieben Monate nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages – in Nordschleswig

statt. Ähnliche Abstimmungen in Mit-telschleswig (14. März 1921) und Teilen Ostpreußens (20. Juli 1920) folgten. Die letzte und bedeutsamste dieser Volksab-stimmungen fand aber erst am 20. März 1921 in Oberschlesien statt.Das hier betroffene Gebiet (14 Landkreise sowie die Stadtkreise Beuthen, Gleiwitz, Kattowitz, Königshütte, Oppeln und Ra-tibor) umfasste einen erheblichen Teil der bisher zu Deutschland gehörenden Stein-kohleförderungs- und schwerindustriellen Kapazitäten. Ökonomisch war die Region von ähnlich überragender Bedeutung wie der in mancher Beziehung vergleichbare industrielle Ballungsraum an Rhein und Ruhr. Es ging also neben den Fragen der nationalen Zugehörigkeit nicht zuletzt um ganz massive wirtschaftliche Interessen.In Oberschlesien lebte seit Jahrhunderten eine ethnische Mischbevölkerung, deren Zusammensetzung sich einer einfachen Zuordnung in „deutsch“ oder „polnisch“

zu erheblichen Teilen entzog. Die Jahrhun-derte alte Symbiose zeigte jedoch schon vor dem Ersten Weltkrieg Risse; so konkurrierte die „Polenpartei“ dort mit dem politischen Katholizismus in Form der Zentrumspartei schon im letzten Vorkriegsjahrzehnt. Jetzt aber kamen im Vorfeld der Volksabstim-mung die nationalen Leidenschaften zu ihrem vollen Durchbruch. Die polnische Regierung in Warschau hatte die Abtre-tung ganz Oberschlesiens gefordert, sich damit bei den Siegermächten aber nicht durchsetzen können. Vielmehr bestimmten diese, dass im größten Teil Oberschlesiens abgestimmt werden sollte und setzten dazu die „Interalliierte Regierungs- und Plebiszitkommission“ ein. Da es bereits im Sommer 1919 zu ersten gewaltsamen Zusammenstößen zwischen bewaffneten polnischen und deutschen Kräften gekom-men war, wurde das Abstimmungsgebiet seit Januar 1920 von alliierten Truppen besetzt. Die Interalliierte Kommission, die von je einem Vertreter Frankreichs, Italiens und Großbritanniens geführt wurde, bezog ihr Quartier in Oppeln. Die Masse der zeitweilig in Oberschlesien stationierten alliierten Verbände stellte die französische Armee (ca. 12.000 Mann), dazu kamen etwa 2.000 italienische Soldaten, die erst im unmittelbaren Vorfeld der Abstimmung durch ein größeres britisches Kontingent verstärkt wurden. Trotz der Präsenz der alliierten Truppen kam es im August 1920 zu neuerlichen Gewaltakten.Im der Abstimmung vorausgehenden Wahl-kampf wurde von beiden Seiten teilweise heftig polemisiert. Eine Besonderheit war, dass auch solche Oberschlesier, die zum Zeitpunkt des Plebiszits nicht mehr im Abstimmungsgebiet wohnten, stimmbe-rechtigt waren. Das bedeutete, dass für den Abstimmungstag etwa 170.000 Personen in ihre Herkunftsorte reisten, um ihre Stimme abgeben zu können. Dazu mussten sie aller-dings zuvor einen entsprechenden Passier-schein bei den alliierten Kontrollorganen beantragen. Einer der 170.000, die eigens kamen, um über die Zukunft Oberschlesiens mitbestimmen zu können, war der Großva-ter (väterlicherseits) des Autors dieses Bei-trages – im oberschlesischen Wüstenham-mer (Kreis Lublinitz) geboren, damals aber als 21-jähriger Medizinstudent in Breslau, also außerhalb des Abstimmungsgebietes wohnhaft (vgl. untenstehende Abbildung). Wie hoch der Mobilisierungsgrad vor dem Hintergrund des hochgradig emotionalisier-

Vortrag von Dr. Guido Hitze, Landeszentrale für politische Bildung

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Vortrag

ten Wahlkampfes bei der Abstimmung war, zeigen die Zahlen: Von den rund 191.000 Abstimmungsberechtigten, die außerhalb der betroffenen Kreise beziehungsweise Städte lebten, reisten – wie schon erwähnt – über 170.000 zur Stimmabgabe nach Hause. Von deutscher Seite wurden dazu eigens Sonderzüge bereitgestellt. Insgesamt waren circa 1,2 Millionen Menschen berechtigt, an der Abstimmung teilzunehmen, tatsächlich getan haben dies mehr als 1.190.000 – das bedeutet eine Beteiligung von 97,5 Prozent. Insgesamt votierten 479.349 Abstimmende für eine künftige Zugehörigkeit des betrof-fenen oberschlesischen Gebiets zu Polen. Für die unveränderte Zugehörigkeit zum Deutschen Reich stimmten jedoch 706.993 Menschen. Die Lager teilten sich also im Verhältnis 40,3 zu 59,7 % zugunsten der Befürworter eines Verbleibs ganz Ober-schlesiens bei Deutschland auf. Lediglich in sechs Landkreisen (Beuthen, Tost-Gleiwitz, Groß-Strehlitz, Kattowitz, Pleß, Tarnowitz) hatte es eine propolnische Mehrheit gege-ben; alle betroffenen Stadtkreise stimmten mehrheitlich prodeutsch ab. Das aus pol-nischer Sicht enttäuschende Ergebnis der Abstimmung führte wenige Wochen nach der Abstimmung zum bis dahin am größten

angelegten Versuch, sich Oberschlesiens mit Waffengewalt zu bemächtigen. Ob-wohl von französischer Seite begünstigt, scheiterte auch dieser Anlauf nach zum Teil heftigen Kämpfen insbesondere um den für beide Seiten symbolträchtigen St. Annaberg herum.

Der Eindeutigkeit des Ab-stimmungsergebnisses zum Trotz beschlossen die Sie-germächte wenige Monate später, dass Oberschlesien geteilt und ein erheblicher Teil davon an Polen ab-getreten werden müsse. Betroffen waren die Kreise Pleß, Kattowitz und Kö-nigshütte, darüber hinaus mehr oder weniger große Teile der Kreise Tarnowitz, Beuthen, Rybnik, Hinden-burg, Lublinitz und Ratibor. Damit blieben etwa zwei Drittel des Abstimmungsge-bietes bei Deutschland, dort wohnten 58 % der Ober-schlesier. An Polen ging zwar nur der territorial klei-nere (3.213 qkm), aber der ökonomisch entscheidende Teil. Durch den Wegfall vor allem der besonders dicht besiedelten und hochindus-trialisierten ostoberschle-sischen Kreise gingen aus

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deutscher Sicht 85 % der oberschlesischen Steinkohlenvorräte und etwa drei Viertel der industriellen Anlagen verloren. Betrof-fen waren rund eine Million Einwohner, von denen in der Folgezeit rund 90.000 aus den abgetretenen Teilen Oberschlesiens in die beim Deutschen Reich verbleibenden Gebiete übersiedelten.Im Rahmen des Vortragsabends soll der tiefe Einschnitt, den die Teilung Oberschle-siens darstellte, in seinen Ursachen und Folgen dargelegt werden. Der Referent, Dr. Guido Hitze, hat sich spätestens mit seiner Dissertation, in der er sich umfas-send mit Leben und Werk des Priesters und Politikers Carl Ulitzka auseinandersetzte, als Oberschlesien-Experte profi liert. Zu-vor hatte er Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaft in Wuppertal und Eichstätt studiert. Dr. Hitze war längere Zeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Konrad-Adenauer-Stiftung tätig, bevor er als Referent zur nordrhein-westfälischen Landeszentrale für politische Bildung wechselte.

Winfrid Halder

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Die beiden abschließenden Beiträge in unserer Spielfilmreihe zur Geschichte des deutschen Kaiserreichs (1871-1918) könnten unterschiedlicher kaum sein. Der 1956 in der Bundesrepublik Deutschland gedrehte Film „Der Hauptmann von Köpe-nick“ beruht auf dem gleichnamigen Stück von Carl Zuckmayer. Zuckmayer – geboren 1896 und damit selbst noch Zeitgenosse des späten Kaiserreichs – verkannte keineswegs den ernsthaften Kern hinter jener wahren Geschichte des „Hauptmanns“ Wilhelm Voigt, dem es im Oktober 1906 gelang mit Hilfe einer beim Trödler erstandenen alten Uniform die Behörden des damals noch vor den Toren Berlins liegenden Städtchens Köpenick zu narren und nicht wenig Geld zu ergaunern. Voigt landete zwar alsbald wieder im Zuchthaus, mit dem er schon vor der „Köpenickiade“ reichliche Erfahrungen hatte sammeln müssen, seine unverfroren dreiste Spekulation auf die Autorität der Uniform allein war allerdings zunächst aufgegangen. Darüber lachte damals die halbe Welt, wenn wohl auch Vielen bei nä-herem Nachdenken über die Voigts „Erfolg“ zugrundeliegende Mentalität das Lachen im Halse stecken blieb. Zuckmayer machte Voigts Geschichte zur Vorlage seines 1931 uraufgeführten Theaterstücks. Freilich gab er dem Stück den Untertitel „Ein deutsches Märchen“ und deutete damit eine ironische Distanzierung zu einem Stoff an, der wohl auch zu einem Trauerspiel hätte gemacht werden können. Zuckmayer ließ dem Stück manchen komödienhaften Zug, das Kaiserreich erscheint in ihm nicht gerade als liebenswert, manche Facette seiner gesellschaftlichen und politischen Realität aber doch – zumindest im Nachhinein – als lachhaft.Zuckmayer wusste aus eigener Erfahrung um die Suggestionskraft des Militärischen: Im August 1914 hatte er sich als 18-jähriger Abiturient – wie so viele Andere – im Be-geisterungstaumel über den Kriegsausbruch freiwillig gemeldet, zu einem Zeitpunkt also da der Erste Weltkrieg noch vermeint-lich versprach ein Abenteuer zu werden, kurz, aber ruhmreich. Zuckmayer wurde ebenso schnell wie gründlich eines Besse-

ren belehrt. Vier Jahre diente er, bald als Ar-tillerie-Offi zier, an der Westfront und hatte alle Schrecken des industrialisierten Tötens durchzumachen. Porträtfotos des fröhlich-unbe fangenen Freiwilligen vom August 1914 und des nur ein Jahr älter gewordenen Offizier-Anwär-t e r s sp rechen eine deutl iche Sprache. Ohne je seine eigene Vergangenheit zu verleugnen, wur-de Zuckmayer die Faszination des Militärischen suspekt – was gewiß zu den Gründen gehör-te, warum er den „Hauptmann“-Stoff aufgriff . Später hatte er seine eigene Kö-penickiade durch-zumachen – die er wohl selbst aber im Augenblick des Erlebens keineswegs als komisch emp-fand. Als den Nationalsozialisten verhaßter (wohlgemerkt nicht-jüdischer) Autor war er bereits 1933 nach Österreich emigriert. Als Österreich dann 1938 dem NS-Staat einver-leibt wurde, musste sich Zuckmayer erneut Hals über Kopf auf die Flucht begeben. Auf dem Weg zur Rettung versprechenden Schweizer Grenze wurde er von einer SA-Streife angehalten. Zuckmayer hatte sich allerdings schon zuvor seine zahlreichen Kriegsauszeichnungen an den Zivilanzug gesteckt und schnauzte den Posten sofort an, was ihm einfiele, einen deutschen Offi zier in wichtiger Mission aufzuhalten. Woraufhin man ihn mit knallenden Hacken – ohne Ausweiskontrolle – passieren ließ … (nachzulesen in Zuckmayers unverändert lesenswerten Erinnerungen „Als wär’s ein Stück von mir“).

Carl Zuckmayers Theaterstück über den „Hauptmann von Köpenick“ wurde ins-gesamt fünf Mal verfi lmt. Wir zeigen die wohl bekannteste Kinoversion mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle. Unter der Re-gie von Helmut Käutner spielten außerdem Martin Held, Hannelore Schroth, Wolfgang Neuß und viele andere bekannte Schauspie-lerinnen und Schauspieler.Der erst 2009 entstandene Film „Das weiße Band“ hat im Unterschied zu dem voraus-gehenden Film ganz und gar nichts Komö-dienhaftes. Ihre Gemeinsamkeit besteht darin, dass auch hier die gesellschaftliche

Realität des spä-ten Kaiserreichs reflektiert wird. Der Untert i tel „Eine deutsche Kindergeschich-te“ könnte vor-ab zu der Ver-suchung führen, dass es hier etwa um Harmloses gehe. Der Film zeigt jedoch viel-mehr schonungs-los Mechanismen auf, die zutiefst b e k l e m m e n d wirken. Er er-schreckt, obwohl beinahe keine of-fene Gewalttätig-keit gezeigt wird.Den Ort der Hand-lung, das fiktive Dorf Eichwald, kann man sich in

unschwer in vielen ländlichen Regionen Deutschlands vor dem Ersten Weltkrieg vorstellen, etwa in Ostpreußen, Pommern oder auch in Schleswig-Holstein. Tatsäch-lich gedreht wurde bezeichnenderweise überwiegend in Brandenburg und Meck-lenburg. Protagonisten sind der adelige Gutsherr, der evangelische Pfarrer, der Lehrer, der Arzt im Ort. Vielmehr noch aber deren Kinder, die in eine Reihe mysteriöser Vorfälle verstrickt werden. Diese werden nicht im „kriminalistischen“ Sinn aufge-klärt, der Film bietet nur die Möglichkeit, sich kindliche Gewaltausbrüche als Reak-tion auf erdrückende Erziehungsmethoden auszumalen. Und wirkt gerade deshalb so bedrückend.Der Regisseur des Film, Michael Haneke,

Kinemathek

Das deutsche Kaiserreich im Spielfi lm – Fortsetzung der FilmreiheDer Hauptmann von Köpenick (D 1956)Das weiße Band (Deutschland/Österreich 2009)

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Mo, 17.01. und Mo, 24.01. | jeweils 16 Uhr

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fungierte zugleich als Drehbuchautor. Ha-neke, Jahrgang 1942, lebt in Österreich und ist seit vielen Jahren im In- und Ausland als Filmemacher renommiert. Haneke hat sich äußerst intensiv mit sozialgeschichtlicher Literatur zur Zeit vor dem Ersten Weltkrieg auseinandergesetzt, bevor er das Drehbuch schrieb. Das künstlerische Konzept des Films ist von beeindruckender Geschlos-senheit – bemerkenswert ist etwa, dass er in Farbe gedreht, in der abschließenden

Bearbeitung aber sehr bewusst in einen Schwarz-Weiß-Film umgewandelt wurde.„Das weiße Band“ ist seit seiner Urauf-führung mit einer Vielzahl von Preisen ausgezeichnet worden. Darunter war die „Goldene Palme“ der Filmfestspiele in Cannes, eine der bedeutendsten Auszeich-nungen in der Filmkunst überhaupt. Bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises 2010 wurde „Das weiße Band“ in insgesamt zehn Kategorien (darunter bester Film, beste Regie, bestes Buch) ausgezeichnet und war damit die erfolgreichste Produktion seit Bestehen dieses Preises, der seit 1951 vergeben wird.„Das weiße Band“ ist ein großer Wurf, den sich kein Filminteressierter entgehen lassen sollte!

Winfrid Halder

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Kinemathek

Mi, 02.02. | 11 Uhr

„Kikujiros Sommer“

Unter dem Motto „Mit Filmen sehen ler-nen“ läuft vom 20. Januar bis 9. Februar 2011 auf Initiative des Ministeriums für Schule und Weiterbildung NRW und des LWL-Medienzentrums für Westfalen lan-desweit ein Filmangebot für Schulen. Die aktuellen Spiel- und Dokumentarfilme, Animationen und beliebte Klassiker greifen eine große Bandbreite der Unterrichtsinhal-te aller Schulformen und Jahrgangsstufen auf. Die Stiftung Ger-hart-Hauptmann-Haus beteiligt sich an den SchulKinoWochen Nordrhein-Westfalen 2011 mit folgenden Fimangeboten: „Das weiße Band“, „ost-Punk! Too much fu-ture“ und „Kikujiros Sommer“. Die Filme werden als 35mm-Ko-pien im Eichendorff-Saal gezeigt. Kikujiros Sommer ist eine japanische Road-movie-Komödie des Regisseurs Takeshi Kitano aus dem Jahre 1999.Der kleine Masao, der bei seiner Großmut-ter wohnt, hat in den Sommerferien nicht viel zu tun. Als er die Adresse seiner Mutter erfährt, will er sich alleine auf den weiten Weg zu ihr machen. Doch schon einige Straßen weiter wird er von einer Gruppe von Raufbolden bedroht. Der schroffe Tau-genichts Kikujiro, der mit seiner Frau Zeuge der Szene ist, hilft dem Kleinen. Als seine Frau von seinem Vorhaben erfährt, erzählt sie seiner Großmutter, dass sie Masao mit ans Meer nehmen will. Tatsächlich schickt sie jedoch den erratischen Ex-Yakuza Kiku-jiro mit ihm auf die Reise zu seiner Mutter.Stattdessen enden sie auf der Radrennbahn, und es geht erst weiter, als die beiden komplett abgebrannt sind. Dann begegnen sie einem Perversen. Masao wird von Albträumen geplagt, sein Begleiter läuft in einem fort in Schwierigkeiten. Sie fahren per Anhalter, und richten allerlei Schaden an, nur um festzustellen, dass seine Mut-

SchulKinowochen in Nordrhein-Westfalen

ter eine neue Familie hat, und glückliche Hausfrau ist. Kikujiro macht kehrt, und sagt ihm nicht die Wahrheit, schenkt ihm stattdessen einen Talisman. Sie begegnen weiteren illustren Figuren, und lassen sich einige Tage mit zwei harmlosen Idioten am Strand nieder. Kikujiro ringt sich dazu durch, seine eigene Mutter im Altenheim besuchen zu gehen. Sie drehen um, und enden wieder in Tokio. Erst hier sagt er dem Kleinen seinen Namen.

Das Lexikon des internationalen Films sagt zu Kikujiros Sommer: „Eine von Melancholie und Poesie, aber auch von unbändiger Lust an kindlichen Späßen getragene Hommage an den Slaps t ick-Stummfilm, die das Genre durch den sur-real-absurden Humor Takeshi Kitanos ‚mo-dernisiert‘. Durch das berührende Spiel der beiden Hauptdarsteller zugleich ein unauf-dringliches Plädoyer für Freundschaft und Menschlichkeit.“

Das Magazin für Film schreibt: „In Wahrheit

aber bleibt der Film melancholisch und zeigt das neue Paradies gerade in der Dop-pelung des Motivs vom Verlust der Mutter als nicht auf Dauer zu stellende Kompen-sation dieses Verlustes. Kikujiros Sommer ist die Inszenierung einer Zäsur, eines ma-gischen Momentes der Suspendierung des Gesellschaftlichen, das durch die Mutter vertreten wird. Kikujiros Sommer ist eine Ausbruchsfantasie, in der das Schmerzliche ihrer zeitlichen Begrenztheit, das Komische ihrer anarchischen Möglichkeiten und auch das Brutale am Wegfall der gültigen Regeln, sich aufs Belebendste und Überraschendste ständig in die Parade fahren. Alles in allem ein beglückender Film.“

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Kinemathek

Einer Legende nach soll Gott den Juden, die im 13. Jahrhundert vor Verfolgungen und der Pest aus West- und Mitteleuropa fl ohen, auf ihrem Weg durch Polen die Botschaft gesandt haben, sich hier niederzulassen. Das hebräische Wort „Po-lin“, was so viel wie „hier leben wir“, aber auch „Polen“ bedeutet, könnte daher kommen.Fast zehn Jahre recherchierte die 1958 in Breslau geborene polnische Filmemacherin Jolanta Dylewska in Filmarchiven in den USA und in Israel, hier vor allem beim New Yorker YIVO-Institut und der Gedenkstätte Yad Vashem. Dabei entdeckte sie zwanzig Amateurfi lme aus den 20er und 30er Jahren, aus denen sie sie einen Dokumentarfi lm machte. Es sind Bilder einer untergegan-genen Welt: Grobkörnig, schwarz-weiß, manchmal verwackelt, zeigen sie das Leben der Juden in polnischen Kleinstädten der 1930er Jahre. Es sind Alltagsszenen wie Märkte, Bauern und ihr Vieh, das Leben auf der Straße. Gefi lmt von den Verwandten aus Amerika, die einst aus Polen auswanderten, im Ausland zu Geld kamen und nun als Be-sucher zurückkehren ins polnische Shtetl. Einige der gefi lmten Personen und Plätze konnten von Jolanta Dylewska identifi ziert werden. Sie fuhr auch in diese Städte, um die heutigen Einwohner zu interviewen. Dabei wurde offensichtlich: heute, gut 70 Jahre später, erinnert in den polnischen Kleinstädten kaum noch etwas an die Juden und das reiche jüdische Leben. So ist der Film ein Versuch, festzuhalten, was verlo-ren gegangen ist.

In Polen und Israel lief der Film seit Ende 2008 erfolgreich im Kino und wurde mit der Goldenen Kamera der polnischen Filmjour-nalisten ausgezeichnet. In Deutschland hat die deutsch-polnische Koproduktion bisher keinen Verleih gefunden.Am 30. März fi ndet im Rahmen der „Jüdi-schen Kulturtagen“ (3. März bis 17. April 2011) die Düsseldorfer Uraufführung des Films „Po-lin. Spuren der Erinnerung“ statt. Der Eintritt ist frei.

Düsseldorfer Uraufführung des Films „Po-lin. Spuren der Erinnerung“

Mi, 30.03. | 19 Uhr

Punk im Osten, das war Subkultur im anderen Deutschland, das war Tumult, das war totale Verweigerung. Punkbands wie Wutanfall , Schleimkeim , L‘Attentat , Betonromantik oder Planlos stemmten sich gegen einen verordneten Zukunftsop-timismus und eine soziale Überversorgung.Der Filmstart für „Too much future“ging bundesweit am 23. August 2007 über die Bühne. An Reaktionen in der Presse, im Rundfunk, Fernsehen und auch netzweit kam einiges zusammen. Der Film porträtiert die Biografi en einiger Protagonisten der frühen Ostpunk-Bewe-gung über den DDR-Infarkt hinaus, erzählt von Anpassung, Konsequenz, Zwängen,

Unabhängigkeit und von der Ver-wandlung einer allgemeinen Ver-w e i g e r u n g i n künstlerische und politische Praxis. So gerät der Film nicht zur Museali-sierung einer Be-wegung oder zum billigen Triumph über ein Regime. Er ist das Porträt einer Subkultur, einer folgenrei-

Do, 27.01. und Fr, 28.01. | jeweils 11 Uhr

chen Eruption im unerschütterlichen Glau-ben an eine Utopie, die zur Ideologie geriet.Der Film versteht Punk nicht nur als poli-tisches, sondern auch als ästhetisches Phä-nomen. Die Auseinandersetzung mit Punk fi ndet daher auch stilistisch statt und ist von der Mitteilungsebene des Films nicht zu trennen. Punk an sich war in seinen inten-sivsten Momenten eine Zumutung, und in der Synthese aus Aufklärung und Irritation lag die Intention, überhaupt einen Film über Punks in der DDR zu machen.Der Materialmix aus verschiedenen For-maten und Medien ist nicht notwendiges Übel, er wurde durch Bildbearbeitung und Schnitt bewusst sichtbar gemacht. Aktuelle Filmaufnahmen werden mit un-veröffentlichtem Original-Super-8-Material kombiniert, DDR-Propagandafi lme prallen auf Animationen mit Clipcharakter. Der Dokumentarfi lm ist daher zugleich Pop und ein Musikfi lm. Er ist der Versuch einer kri-tischen wie kraftvollen Auseinandersetzung mit einer Gegenkultur im Osten, inklusive ihres Lärms und Ausrastens wie auch ihres Einrastens in eine Repressionsgeschichte.http://www.toomuchfuture.de/deutsch/index.php

„ostPunk. Too much future“Ein Film von Carsten Fiebeler und Michael Boehlke

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Waren Sie schon mal in Polen? Kennen Sie die „charmante“ Stadt „Breslau - Wrocław“? (Lesen Sie mal das Buch „Die Blume Europas“).Gut essen kann man dort und beschaulich sitzen, Kaffee trinken, z. B. bei „Bernhard“, einem kleinen französischen Café am Ring. Die „Staupsäule“, noch verpackt, aber in alter Form neu gestaltet, steht wieder vor dem Rathaus am alten Platz. Jemand er-zählte uns, dass dort nicht „böse“ Frauen angebunden und in aller Öffentlichkeit mit harten Besenreisern „ausgestäupt“ wurden, sondern „untreue“ Männer. Und die „bö-sen“ Frauen? – mussten die Brücke schrub-ben, zum Gelächter der Leute, hoch oben, zwischen den Türmen der Maria Magdalena und Elisabeth, das Rathaus, die schönen Bürgerhäuser am Ring, insgesamt mit dem alt/neuen Kaufhaus „Barrasch“ (einst kaufte Vater dort Stoffe, die von großen Stoffbal-

len angerollt wurden), das erste „Hoch-haus“, die Sparkasse, wo Mutter mit mir ein Sparkonto eröffnete, bilden zusammen ein städtebaulich schönes Ensemble. Zur Oder laufen, „Maria auf dem Sande“ besuchen, wo sonst noch gibt es eine so umwerfend hohe Gotik? Auf der Brücke stehen und in die träge Oder gucken und (spucken), na ja! Die Dominsel vor Augen, im Rücken die schöne Gebäudefront von Regierung, Uni-versität (Albertina). Eigentlich sollte man sich einfach freuen, dass es den Menschen, die in der Trümmerwüste dieser Stadt leben mussten, wieder so einigermaßen gut geht. Nun manche haben auch Glück sind jung

oder älter, sind talentiert, haben Geld ver-dient, sind pfi ffi g und bauen sich ein Haus oder bringen ein altes in Ordnung. Sie sind schon in Schlesien geboren und haben dort ihre Heimat und Zuhause gefunden. So auch der Mann, sein Name Ludwik Fiedorowicz, der im Dorf, heute Walim, aus dem meine Familie herstammt und der daselbst auch geboren ist, sich in den Kopf gesetzt hat, ein „Kulturhaus“ zu schaffen, durch das jüngere polnische und deutsche Vergangen-heit und Gegenwart in Form von Kunst- und Kulturförderung einen Platz fi nden und samt Musik-Orgelmusik gepfl egt werden. Er suchte ein Fachwerkhaus aus mit einem stabilen Fundament, in dem 1756 „Friedrich der Große“ in einer Stube genächtigt hat (zum Beginn des 7jährigen Krieges). Zum Dank ritzte er mit seinem Diamantenring seinen Namenszug in die Fensterscheibe (sie ist erhalten geblieben und in das Archiv eines Breslauer Museums gekommen – heu-

te nicht mehr auffindbar). Geschichts-trächtigkeit zeichnet das Dorf aus, hat sich doch dort und in den Nachbardör-fern der We-beraufstand a b g e s p i e l t ( G e r h a r t Hauptmann „Die Weber“). Schl ießl ich e n t s t a n d e n daselbst gro-ße Webereien, Handel und

Wandel stellte sich ein und die Menschen in dem „puckligen“ Eulengebirge kamen zu Wohlstand. Die Bauern besaßen Land, pfl egten und beernteten es.Darüber nachzudenken und den Anschluss an diese Geschichte zu fi nden, bemühen sich erstaunlicherweise junge, polnische Menschen. Uns begegneten junge Männer, die mit uns freundlich über die Geschichte des Dorfes sprachen. Sie wollen sich dafür einsetzen, dass die Geschichte nach 1946 weiter geschrieben wird.Wissbegierig haben sie die kürzlich durch Irene Güttler erschienene Dorf-Chronik gelesen und auch mein Buch „Mein Dorf oder die Reise rückwärts“ war ihnen nicht

unbekannt. Konkret ist jetzt inzwischen geworden, dass Irene Güttler 104 Objek-te aus dem deutschen Wüstewaltersdorf zusammen getragen hat im Auftrag und mit Bitte des Besitzers der Kulturstätte, der ehemaligen „Alten Wassermangel“. Er will sie zur Dauerausstellung in festen Glasvitrinen und oder auch zunächst in themenbezogenen Wechselausstellungen zusammenstellen. Deutsche und polnische Menschen sollen einkehren und in Ruhe bei Kaffee und Kuchen oder einem Glas Wein schauen und lesen können in der Stube „Zum alten Fritz“.Zugetan und aufmerksam verfolgten wir die offi ziellen Reden bei der Einweihung des Hauses (anwesend Herr Fiedorowicz mit Gattin, Bürgermeister Hausmann mit Gattin, Gemeindesekretärin, Ortspfarrer Łobodzinski, Direktor Salac, Walimer Bürger, Gäste und Fernsehen aus Warschau, Dolmetscher Emilian Szwaja und Anna Lison) und die offene Gesprächsbereit-schaft bei dem Mittagessen, zu dem Herr Bürgermeister Adam Hausman im Hause „Zum alten UHU“ beim Dr. Marek ein-geladen hatte, brachte Verständigung und gegenseitiges Anerkennen. Anna Lison und Emilian Szwaja leisteten die Übersetzungs-arbeit. Aber es waren außer uns drei alten Deutschen auch eine jüngere Deutsche, meine Nichte Ursula beim Mittagsessen, die auf Befragen hin erklärte, dass sie lan-ge nichts von der Kindheimat ihrer Eltern wissen wollte, sich aber nun freut hier zu sein und den Erzählungen der Familie nachgehen kann. Natürlich ist auch mit der Einrichtung des Hauses der Gedanke verbunden den Tourismus zu beleben, der ja auch für Polen wichtig ist, die in dieser „zauberhaften“ Landschaft Urlaub machen wollen und wie überall auf der Welt etwas geboten bekommen möchten – sollen. Bisher und das haben wir sogar bis im Westen bei Gelegenheit schon bestätigt bekommen, rollen die Tourismusbusse nur bis zu den „Höhlen des Riesen“. Gemeint sind die unterirdischen „Kathedralen“, die Häftlinge, Zwangsarbeiter und Kriegsge-fangene damals im Dritten Reich 1943/44, unter Einsatz ihrer schwachen von Hunger gezeichneten Körper rausgehauen haben, um für den „Führer“ ein unterirdisches Hauptquartier zu bauen. Es lag, liegt ei-gentlich deshalb ein trauriger Schleier über dem Dorf, obwohl inzwischen große Tafeln vor den Eingängen in die Stollen davon in deutsch, englisch und polnisch ehrlich von dem Geschehen berichten. Zum Beispiel steht dort zu lesen, dass die „Organisation Todt“, die damals die Bauleitung inne hatte,

Reisebericht

Wiedermal in Schlesien!

Der Taufengel der Kirche in Wüstewaltersdorf/Walim

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Reisebericht

genauso „geheimnisvoll“ verschwand, wie sie 1942 gekommen war. Es ist nach wie vor ein Schock diese Höhlen anzusehen, dazu die Literatur, die in dem Kassen-haus verkauft wird. Dazu gehören auch die gepfl egten Massengräber auf dem ja ehemals deutschen Friedhof anzusehen. Dieser „schändlichen Geschichte“ soll das Kulturhaus entgegen wirken, mit den vielen Dokumenten, angefangen von den Dorf-Chroniken bis hin zu Musterkarten von Stoffen, die einst in der großen Weberei gewebt wurden und ihre Reise in die Welt antraten. Viel Glück sollte man dem Mann wünschen, der dieses Projekt durchsetzen will und dafür sein Kapital einsetzt. Auch will er ein Doppel-Ticket schaffen, das zum Eintritt beider Objekte berechtigt. Das würde sicherlich dem Dorf Auftrieb verschaffen. Wir fanden das ein großarti-ges Ereignis, an dem wir so einfach Anteil haben durften. Wieder erkannten wir, dass es die „kleinen Leute“ sind, die für die Völkerverständigung sorgen. Wer sonst sollte so etwas tun? Die Politiker haben – machen es sich zu schwer! Gern fuhren wir nach Schlesien, Luft und Landschaft atmen immer wieder so etwas wie „Zuhause“ aus! Bewunderungswürdig ist, dass vor allem die jungen Polen Deutsch lernen bzw. es sich auch selbst aneignen.Auch will wohl die Jugend wissen (wenn sie sich dafür interessieren, Versuche in der Grundschule am Ort waren nicht sehr er-folgreich), „was früher vor ihnen hier war“. Lukas sagte zum Beispiel: „Ich wohne jetzt in dem Haus neben dem Haus vom Uhrma-chermeister, Paul Neumann!“ Er lacht tief. Oder Emilian; „Ich lag im Krankenhaus, da habe ich mir die Dorf-Chronik mitge-nommen und las, dass mein Elternhaus damals die Schule war“. „Krokus“ heißt jetzt die ehemalige Schule in Schlesisch-Falkenberg, eine Pension, in der man gut essen und auch übernachten kann. Von dort aus kann man schöne Wanderungen zur „Eule“ hin machen. Überhaupt, es ist schon ein Genuss einmal die Straße nach Toschendorf zu wandern im spätsommerli-chen Sonnenschein des Altweibersommers. Dr. Marek fragte: „ Wie sagt ihr, wenn die kleinen Spinnen in der Luft ihre Fäden spinnen?“ Die Wälder sind zu dieser Zeit voller Pilze (wir bekamen ein schmackhaf-tes Pilzgericht zum Abendessen).Leider sieht man kaum Kühe, ein paar Pferde stehen auf der Weide. Sonst sind die ehemaligen Felder der Bauern, die man noch ganz gut ausmachen kann, nur grün, wohl gut abgefressen von Schafherden, die über die Berge ziehen. „Unten“ im Flach-

land sieht es da anders aus.Alles konnten wir nicht erreichen, zum Beispiel auf die Hohe Eule wandern, die Wege sind zum Teil sehr schlecht, steinig, ausgewaschen vom schweren Regen. Die Kynsburg ist ja ein einigermaßen erreich-bares, wenn auch steiles Ziel (sie gehört jetzt zu Walim). Im Burghof konnten wir ausruhen und die Aussicht genießen. Unten durch die Bäume blitzt die Schlesiertalsper-re. Wir haben sie „besucht“ und saßen zum Kaffeetrinken auf einer Terrasse, die von einem auch sehr alten Kaffeehaus jetzt in den See hinausgebaut wurde. Leise Musik und viele bunten Sofakissen auf Bänken und Stühlen verbreiteten ein südliches Flair. In Bad Charlottenbrunn erlebten wir einen bescheidenen, beschaulichen Kurbetrieb und tranken im Brunnenhäuschen aus der „Charlotten-Quelle“ Sauerbrunnen.In Tannhausen wartete eine Überraschung auf uns, dort wird das Tannhausener Schloss von einer polnischen Industriell-Familie restauriert und die Ruinen der ehemaligen Verwaltungs- und Bediensteten-Häuser sollen sich in ein „Wellness-Zentrum“ verwandeln. Im Schloss große Kachelöfen mit Sitzecken verbreiten „elegante“ Gemüt-lichkeit, wunderschön restauriert wurde die Bibliothek und wunderbar die Stuckdecken. In einem großen Raum ist die herrliche Porzellanausstellung der Königlichen Por-zellanmanufaktur (KPM) zu bewundern.Allerdings gibt es dort auch ein voll einge-richtetes Büro (Zeichenbretter, Funkgerät) der Organisation Todt, mit lebensgroßen

„blonden“ Puppen in Original-Uniform. (Schreckenssekunde…beim Betreten des Raumes).Irene zeigte uns ganz in der Nähe ihrer Kinderheimat, ein altes, steinernes Guts-wohnhaus mit Fachwerk „Das Köpke-Gut“ das die Zeit überlebt hat. Ein kleiner Teich, angrenzender Wald, Stille und rosa Licht von den letzten Sonnenstrahlen, die die gro-ßen Büsche der Sommerblumen aufl euchten ließen. Wie viel Lebenskraft haben wir doch von all diesen Orten mitbekommen!In unserer ehemals Evangelischen Kirche einen polnischen Gottesdienst zu erleben war für mich ein „Gefühlskarussell“. Ich bin ehrlich! Aber vor der Eucharistie forderte der noch jüngere freundliche Pfarrer zum Händereichen (ein Zeichen des Friedens) auf. Vom linken Kirchenfenster grüßte der Taufengel! Die Küsterin schenkte mir eine Weihnachtskarte, darauf zu sehen ist die Kirche im Schnee…!

Dorothea Koch- Thalmann

Die Autorin (5. v. l.) bei der Eröffnung des Kulturhauses in Walim

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Lesung

Ilana Shmueli, als Liane Schindler 1924 in Czernowitz geboren, lebt seit 1944 in Israel. Vorausgegangen war ihre Flucht aus dem besetzten Cernowitz, die sie über mehrere Stationen noch vor der Gründung des modernen Staates Israel nach Palästina führte. Nach ihrem Studium (Musiker-ziehung, Sozialpä-dagogik, Krimino-logie) arbeitete sie über lange Jahre als Sozialpädagogin in Tel Aviv. Heute lebt sie in Jerusalem.I l a n a S h m u e l i schreibt ihre Gedich-te in deutscher Spra-che, dem Stil Paul Celans verpfl ichtet. Das kommt nicht von ungefähr: Im Jahre 1965 fand in Paris die Wiederbe-gegnung mit dem wenig älteren Paul Celan statt, mit dem sie eine Jugend-freundschaft ver-band – wie auch die gemeinsam erlittene Zeit im Cernowitzer Ghetto. Der intensive Austausch in den gemeinsamen Tagen in Paris ging über in einen nicht minder inten-siven Briefwechsel, nachdem Ilana Shmueli nach Israel zurückgekehrt war. Dieser dau-erte bis unmittelbar vor Celans frühen Tod an. Im Oktober 1969 besuchte Paul Celan Ilana Shmueli, da sie verabredet hatten, dass sie ihm Jerusalem zeigen würde, so wie er ihr zuvor Paris gezeigt hatte.Es sollte Celans einziger Besuch in Israel bleiben, denn er starb nur wenige Mo-nate später (April 1970) in Paris unter Umständen, die niemals völlig aufgeklärt wurden. Für Ilana Shmueli blieb die Wie-derbegegnung mit Paul Celan ein bis heute nachwirkendes Erlebnis. Und zwar nicht nur in ganz persönlichen, sondern auch im

dichterischen Sinn. Sie hat später bemerkt, die Auseinandersetzung mit Paul Celans lyrischem Schaffen habe „mich mir näher-gebracht, zum eigenen Teil meines Den-kens.“ Freilich begann sie erst rund 20 Jahre

nach Paul Celans Tod mit eigenen Gedichten an die Öffentlichkeit zu treten.Der überragende Rang Paul Celans als Dichter wird heute von nieman-dem bestritten. Sein Leben und sein Schaffen blieben immer geprägt vom Hereinbrechen der großen Katastro-phe über Cerno-witz: Mit dem Ein-marsch deutscher und rumänischer Truppen im Som-mer 1941 begann die Vernichtung der traditionsreichen jüdischen Gemein-de der Stadt, in die

auch Celan hineingeboren worden war. Die Cernowitzer Juden wurden erst in ein Ghetto gepfercht, von dort aus begann dann für die meisten von ihnen der Transport in die Todeslager. Auch Paul Celans Eltern kamen um, während er selbst Zwangsarbeit im Straßenbau leisten mußte.Das Grauen hat Celan nie wieder losgelas-sen. Die Ursprünge seines berühmtesten Gedichts „Todesfuge“ reichen zurück bis in die Zeit unmittelbar nach der Befreiung von Cernowitz durch die Rote Armee und Celans Rückkehr dorthin im Jahre 1944 (in deutscher Sprache zuerst veröffentlicht 1948). Im neuerlich sowjetisch beherrsch-ten Cernowitz mochte Paul Celan nicht bleiben; er ging bereits 1945 zunächst nach Bukarest, 1947 fl oh er nach Wien, im Jahr darauf fand er mit Paris seinen

letzten dauerhaften Lebensmittelpunkt. Nach einem schwierigen Beginn begann sich in den 1950er Jahren Celans Ruf als Lyriker von Rang durchzusetzen – mit dem Literaturpreis des Kulturpreises des Bundesverbandes der Deutschen Industrie begann 1957 eine ganze Kette von Aus-zeichnungen. Auch als Übersetzer hat Celan vielfach hochgelobt gewirkt.Der Erfolg als Autor vermochte freilich die Last der Erinnerung für Paul Celan nicht leichter zu machen. Inzwischen verheiratet und Vater, litt Celan zunehmend an De-pressionen, psychiatrische Behandlungen blieben ohne dauerhaften Erfolg. Paul Celan starb vermutlich am 20. April 1970 durch Selbstmord in der Seine.Frank Schablewski, der Ilana Shmueli in Jerusalem mehrmals persönlich begegnet ist, liest aus ihren Werken und ihrer Korre-spondenz mit Paul Celan. Jahrgang 1965, hat Schablewski selbst Bildende Kunst und Literatur an der Düsseldorfer Kunstakade-mie studiert. Seit 1998 ist er mit eigenen Gedichten hervorgetreten; sein Schaffen wurde durch eine inzwischen beträchtliche Zahl von Stipendien und Preisen gefördert.In Zusammenarbeit mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Düsseldorf sowie der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Düsseldorf im Rahmen der Jüdischen Kulturtage 2011. Winfrid Halder

Zwischen dem Jetzt und dem Jetzt: Ilana Shmueli und Paul Celan. Zwei Literaten aus CzernowitzLesung mit Frank Schablewski

Do, 31.03. | 19 Uhr

Paul Celan

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Preisverleihung

Es macht uns froh, dass die Vergabe des Andreas-Gryphius-Preises wieder in Düsseldorf erfolgt. In diesem Saale im heutigen Gerhart-Hauptmann-Haus haben viele Dichter, Schriftsteller, Übersetzer und Essayisten ihre Preise entgegengenommen, und auf dieser Bühne haben sie in Werk-stattgesprächen aus ihrer Arbeit berichtet und darüber, warum sie das Thema Heimat im Osten nicht loslässt und weshalb ihnen der im Humanen wurzelnde Brückenschlag zu den alten Siedlungsgebieten im östlichen und südöstlichen Europa so wichtig ist. Es gibt viele Antworten darauf, alle aber stim-men im Grundton darin überein, dass sich Heimat nicht rechtfertigen muss und auch, dass echte Zugehörigkeit sich nicht in der Abschottung, sondern im Dialog und im Annehmen von Veränderungen äußert. Das Recht, auf das wir uns so gern berufen, ist eine strittige Größe und wird es bleiben – im persönlichen Bereich hingegen kann nicht auf die Klärung der letzten Dinge gewartet werden. Es sind auch gewiss nicht allein die Schriftsteller, die nach neuen Bezie-hungsmöglichkeiten zu den Landstrichen und Nachbarn im Osten auf der Suche sind und diese auch fi nden – sie sind im Gegenteil mit vielen gemeinsam unterwegs, und es ist gerade das, was uns europäisch zuversichtlich sein lässt.Es mutet schicksalhaft an, dass der An-dreas-Gryphius-Preis nach seiner Düssel-dorfer Rückkehr heute an Frau Dr. Renata Schumann verliehen wird. Das Haus in der Bismarckstraße 90 war eine der ersten Anlaufstellen für die Aussiedlerin aus Oberschlesien, die 1983 in Nordrhein-Westfalen ansässig geworden ist und seit einigen Jahren im mecklenburgischen Bad Doberan zu Hause ist. Mag sein, dass der Begriff „zu Hause“ nicht ganz zutreffend sein könnte, denn die literarische Heimat der Schriftstellerin ist nach wie vor das Land Schlesien mit seiner Geschichte und Unverwechselbarkeit sowie mit seinen Widersprüchen. Sie setzt die beachtliche Reihe schlesischer Autoren fort, die vor ihr mit dem Gryphius-Preis ausgezeichnet worden sind und wie sie, wenn auch unter-schiedlich, ja gegensätzlich über das Land und die Heimat Schlesien geschrieben ha-ben. Hans Lipinsky-Gottersdorf und Horst Bienek sind hier zu nennen, Dagmar von Mutius, Heinz Piontek und viele andere.

Sie zeigten in ihrem Werk: es gibt nicht nur einen Weg zur Heimat und von ihr weg, allen gemeinsam aber ist die Bindung an sie. „Nein“, schreibt der bei seinen Lands-leuten nicht unumstrittene, aus Gleiwitz stammende Horst Bienek, „wir können nicht mehr zurückkehren in das Haus der Kindheit… Mitgebracht habe ich ein Stück schwarzer Kohle aus der schlesischen Erde. Mitgebracht habe ich einen Rosenkranz vom Annaberg. Mitgebracht habe ich einen kleinen versilberten Löwen, nachgemacht dem ‚Schlafenden Löwen’ von Kalide im Stadtpark. Ich nehme die Dinge manchmal in die Hand, das Stück Kohle, den Rosen-kranz, den Löwen. Und erinnere mich.“ Der Kreuzburger Heinz Piontek stellt die Frage: „Die in der Nacht verreisen,/ kommen sie an?“ Und Hans Lipinsky-Gottersdorf, an der Prosna, dem einstigen Grenzfl uss des alten Reiches aufgewachsen, lässt uns wissen: „Die Zeit kommt und geht und tut nicht viel, aber sie tut das Ihre… Familien wechseln ihre Behausungen, zuweilen auch ihr Gesicht, Länder und Provinzen wech-seln ihre Bewohner, werden menschenleer und bevölkern sich wieder und bleiben doch unverwechselbar sie selber.“- In ihrem Gedicht „das dritte haus“ fügt Renata Schu-mann diesen Gedanken eine versöhnende Selbstfi ndung hinzu:

wer einmal seine Wurzeln in den Wander-sack legtkommt nirgendwo ansagen sie

ich aber sage duzum dritten Hausdu lichtdurchfl utetes Haus am Meernimm mich in deine Armeöffne deine Sonnenkollektorenfür michin dir will ich träumenauf deinen Bäumen meine Flügel weiten

die weiße Wolke darübermein sonniges Luftschiffnach zu Hause

Kleine und große Weisheiten fi nden sich in den Schriften der schlesischen Schriftsteller zuhauf, zudem viel Originalität und immer wieder den in gewisser Weise verhängnis-vollen Drang zur Wahrheit. Sie aber hat

auch ihre historische Dimension, ist gesell-schaftlich gebunden und wird wechselseitig ausgelegt. Wenn zwei das Gleiche tun, lehrt uns Brecht, so ist es nicht dasselbe.Als Renata Schumann vor 27 Jahren nach Deutschland kam, sah sie darin nicht einen Abschied, sondern eher ein neues Hinfi nden zur Geschichte, Gegenwart und Kultur ihrer oberschlesischen Heimat. Der verkürzten einseitigen Darstellung, wie sie im damals sozialistischen Polen üblich war, wollte sie, zunächst für sich selbst, das ganze Wissen über die Region hinzufügen und die neue Erfahrung, frei zu denken, kreativ umsetzen. Das bedeutete, in der Muttersprache zu schreiben, in einer ihr in der Kindheit „geraubten“ Sprache, wie sie es empfand und zutreffend bezeichnete. Nun aber, endlich im Westen, schien alles gegeben zu sein – das Wissen, die Sprache, die Eigenständigkeit - und sie fasst die neue Realität in vier hoffnungsvolle Verszeilen zum Jahresbeginn zusammen: „Der neue Kalender/ dreihundertvierundsechzig leere Seiten/ je eine Handvoll Tag und Nacht gemischt/ welch ein Geschenk:“Sie wird nicht müde zu schreiben, zu belegen und auch zu streiten, wo es ihr angebracht vorkommt. So friedfertig ist sie nicht, um das nicht zu benennen, was sie für bedenklich hält. Sie ist darüber enttäuscht, dass die Beharrlichkeit, mit der die deutschen Oberschlesier an ihrer Mut-tersprache festhalten, in der bundesdeut-schen Gesellschaft nur geringe Anteilnahme fi ndet. Was für die Minderheit in Polen eine Überlebensstrategie ist – die Pfl ege der Muttersprache – scheint hierzulande so wichtig nicht zu sein. Allzu gern ersetzt man die eigene Sprache in der Werbung und im Handel, aber auch in den Medien

„Alles bleibt, wie es niemals war“Renata Schumann wurde in Düsseldorf mit dem Andreas-Gryphius-Preis der Künstlergilde ausgezeichnet

Fortsetzung auf Seite 20

Dr. Renata Schumann bei der Preisverleihung

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Preisverleihung

und Institutionen mit englischen Vokabeln, auch wenn diese dem Volk weitgehend unverständlich bleiben und selbst von den so emsigen Erfindern falsch verwendet werden. „Die Kultur“, schreibt Renata Schumann, „ist nur eine schwankende Brücke über den Realitäten.“ An anderer Stelle spricht sie von der Wehr-losigkeit der Menschen, denen ihre Sprache genommen wird. Im deutschen Wohlstand scheint es, als sei die Sensibilität für den Wert des Eigenen geschrumpft, als müsse der Zugang zum Globalen mit der Preisgabe des Regionalen erkauft werden, als käme man ohne seinen Goethe in der Welt gut hin. Freilich : Wer seinen Goethe nicht kennt, wird nicht viel von ihm halten.Das lässt sich weiterdenken: Wer seine Geschichte nicht kennt, weiß nicht wer er ist und wohin er will. Renata Schumann hat Polonistik und Germanistik studiert und 1979 an der Breslauer Universität mit einer Dissertation über „Das Bild der Deutschen in der polnischen Literatur“ promoviert. Sie war eine Vorzeige-Minderheitlerin, wobei die Tragik ihrer Kindheit mit dem Verlust beider Eltern und dem Trauma völliger Schutzlosigkeit unerwähnt zu bleiben hatte. Die frühe Erfahrung, dass nur das gilt, was in die Zeit passt, konnte nicht Lebensmaxime sein und schon gar nicht bleiben. Die Frage danach, wie es wirklich war und warum es so war, wurde von der Partei nicht beantwortet und in den Schulen nicht gelehrt. Es fehlte nicht an Schuldzu-weisungen und Selbstrechtfertigungen , es fehlte das christliche Verständnis für den Anderen und die Weigerung, den Blick aufs Ganze zu richten. Wer die deutsch-polnische Nachbarschaft in Schlesien auf den Zweiten Weltkrieg verkürzt, verschließt das Geschichtsbild und fi ndet weder zu sich selbst noch zum Anderen. Es sind, neben den Historikern, die Schriftsteller, von denen Antworten erwartet werden, die nicht eine Flucht in die Vergangenheit, wohl aber das Geben und Nehmen überzeugend sichtbar machen, ohne das Schlesien nicht vorstellbar ist.Renata Schumann wählte das als ihre schriftstellerische Aufgabe. In zwei groß angelegten Romanen – „Ein starkes Weib. Das Leben der Hedwig von Schlesien“ und „Der Piastenturm“ – führt sie den Leser zurück ins Schlesien des 12. und 13. Jahrhunderts, in die Zeit der deutschen Besiedlung des Landes unter den Piasten. Bestimmend für das Werk ist vor allem die

faszinierende Gestalt der Heiligen Hedwig, ihre Leidensfähigkeit und das Ruhen in Gott. Dass im gleichen zeitgeschichtli-chen Abschnitt deutsche Zuwanderer die bodenständige slawische Bevölkerung durchsetzten und einer von beiden gepräg-ten kulturellen Entwicklung Anschub und Vortrieb leisteten, kam der Autorin stoffl ich und thematisch entgegen. Es war ein eher verfügtes als gewachsenes Zusammenleben von zwei Völkern, und es muss zunächst eine empfi ndliche Fremdheit zu überwin-den gewesen sein, wenngleich nicht die einen gegen die anderen angetreten waren, sondern einander ergänzen wollten mit den jeweiligen Erfahrungen und Fertigkeiten, der eigenen Grundsätzlichkeit und einem erprobten Rechtsverständnis. In beiden Romanen bildet die Schlacht gegen die ins Land eingebrochenen Mongolen einen sinngebenden Schwerpunkt der Handlung. Es ist die gemeinsam erlittene Niederlage, die alle zu einem gemeinsamen Auftrag zusammenfasst. Wirksamer als jeder Tri-umph war hier die Not am Werk, in der man aufeinander angewiesen war ohne Schlachtordnung. Es fehlte nach wie vor nicht an Feinden, gerade deswegen war es um so dringlicher, im Nachbarn den Nach-bar zu sehen. Es gehört zu den tragischen Wahrheiten in der europäischen Geschichte, dass die Deutschen und ihre slawischen Nachbarn in tausend Jahren nicht richtig zueinander gefunden haben, obwohl es an großen historischen Momenten nicht mangelte. Im Roman „Der Piastenturm“ be-richtet die Autorin über den Bau der großen Turmanlage zu Oppeln an der Oder, der die herrschaftliche Macht darstellen sollte und zugleich als Schutz gedacht war. Der Turm blieb unvollendet, und wir können darin symbolhaft das erkennen, was den Polen und Deutschen an der Oder nur im Ansatz gelungen ist. Das zwanzigste Jahrhundert

– wir alle wissen es – hat das Werk nicht voran gebracht, es hat es, im Gegenteil, verleugnet. Wir haben heute noch unsere Mühe damit, und immer wieder halten wir uns damit auf, Rechnungen und Gegenrech-nungen aufzustellen.Es gab eine Zeit, in der die Schriftstellerin Renata Schumann über das ihr zugefügte Unrecht schrieb, weil es gesagt werden musste. Denn die Wahrheit ist ohne Kom-promiss, und sie kann um ihrer selbst wil-len die eine Schuld nicht von der anderen trennen wollen. Das erkannt und literarisch umgesetzt zu haben, gehört zur schriftstelle-rischen Einsicht und Lauterkeit von Renata Schumann. In ihren schlesischen Romanen stellt sie nicht Recht und Unrecht gegenein-ander - sie verleiht einer Vision Gestalt. Es ist bekannt und auch so falsch nicht, dass für Politiker und Historiker die Vision keine feste Größe ist. Aber was bleibt, heißt es, stiften die Dichter. Sie übernehmen damit eine gesellschaftliche Verantwortung, und wir wollen sie nicht von dieser befreien.Rund 500 Buchseiten umfassen die beiden historischen Romane Renata Schumanns über Schlesien. Sie zu schreiben erforder-te nicht nur schriftstellerische Begabung, sondern in gleichem Maße gewissenhafte Recherche, nicht nur Fantasie, sondern ebenso die umfassende Kenntnis der mit-telalterlichen Gesellschaft und ihrer regi-onalen Besonderheiten. Der Autorin ist es gelungen, ein anschauliches Gesamtbild des 13. Jahrhunderts zu entwerfen mit Stadtan-sichten und Darstellungen des öffentlichen Lebens, mit Bildern aus der Arbeitswelt, von den Festen und der Not. Darüber hinaus und nicht zuletzt führt sie in das Denken, Empfinden und die Urteilsfähigkeit der gehobenen wie der niederen Schicht ein, zeigt ihre Frömmigkeit und Seelennot, die Neigungen und Schwächen und den Willen zu einem erfüllten Leben. Die Verwurze-

Fortsetzng von Seite 19

Interessierte Teilnehmer der Preisverleihung

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lung im christlichen Glauben ist dabei die tragende Kraft, und es ist zu spüren, wie sehr es die eigene innere Befi ndlichkeit der Autorin selbst ist. Sie dichtet: „Der Herr sprach/ ich werde dich quälen/ damit du/ zu den Sternen/ wächst.“. Sie verzweifelt nicht über das Böse in der Welt. „Der Wehrlose gerät ans Kreuz“, weiß die Dichterin, und es ist allein der Herr, der erlöst.Dennoch bleibt sie auf der Suche nach Antworten. In den drei Gedichtbänden, die von Renata Schumann vorliegen, begegnen wir ihr auf Wegen und Irrwegen mitten im Heute, das so gut wie schlecht ist und wo alles seinen Preis hat. „Was ist Traum“, „Flügelbaum“ und „Lichtschneisen“ sind die Titel der drei Bände. Sie umfassen Gedichte aus zweieinhalb Jahrzehnten und vermitteln einen Einblick in die sensible Auseinandersetzung der Dichterin mit dem Zeitlichen und Überzeitlichen. „Die Sehnsucht zu fl iegen kommt vom Sitzen zwischen den Steinen“, lesen wir, und an anderer Stelle: „… jede von uns kann je-derzeit/ zur Hexe erklärt werden.“ Es sind keineswegs nur so genannte innere Befi nd-lichkeiten, die sich hier in freien Rhythmen äußern. Die Gegenwart hat ihre Namen, und die Dichterin Renata Schumann scheut sich nicht, sie zu nennen. Honecker und Mielke fi nden Erwähnung, aber auch Max Ernst und Rosa Luxemburg und die zahllosen unbenannten deportierten Frauen. In ihrer Nachbetrachtung „Wie ein Blatt im Wind“ zu ihrem bisher letzten Gedichtband „Lichtschneisen“ bekennt sie: „Du warst… eine Gewinnerin, eine Verspielerin, schein-bar. Du hast gelebt, geliebt, aber nie hast du vergessen. Keinen Tag haben die Bilder an Wirksamkeit verloren. Sie haben nie aufgehört, dich einzuschließen...“ Sie hat sich die verlorene Muttersprache zugear-

beitet, aber DU zu sagen zu einem Ort blieb ihr lange versagt. Sie weiß, vielen geht es nicht anders, und es ist diese verbreitete und zunehmende Fremdheit, die ein Stig-ma unserer Zeit ist, uns verformt und doch nicht ohne Zuversicht lassen darf. Denn „Alles bleibt, wie es nie-mals war.“ Diese sowohl wider- wie hintersinnige Er-kenntnis von Wer-ner Tübke setzt sie als Motto ihrem Roman „Der Pi-astenturm“ voran, den sie ihren Kin-dern widmet, weil in ihm Brauchbares und Unverlierbares enthalten ist für jeden, der sich zugehörig weiß.- Wenn es stimmt, dass es die Widersprüche sind, die uns voranbringen, so dürfte Tübkes Wort eine existenzielle Grundweisheit sein.Mit dem Andreas-Gryphius-Preis der Künstlergilde ehren wir 2010 das Gesamt-werk einer Schriftstellerin, die das konkrete, äußerst zeitnahe und zugleich anscheinend unerfüllbare Anliegen hat, Missverständ-nisse und Vorurteile abzubauen und über die Wahrheit zueinander zu fi nden. Jeder wird diesem Ziel zustimmen , aber nicht jeder wird dasselbe meinen. Mitunter sieht es so aus, als wolle die Welt sich missver-stehen, als hätte sie sich mit diesem Makel arrangiert und lebe damit wie mit der Erbsünde, die uns anhaftet und die wir aus wohl gutem Grund erfunden haben. Der Andreas-Gryphius-Preis ist ein Versuch, et-was dagegen zu tun. Er ist eine der höchsten

Ehrungen, die im Bereich der ostdeutschen Kulturpfl ege für Literatur zu vergeben sind. Wir sollten uns dafür verwenden, dass er wieder entsprechend dotiert wird, weil

er gesellschaftlich auch daran gemes-sen sein will und weil das Schrei-ben über Schle-sien, Ostpreußen und die Sudeten-länder nicht eine deutsche Neben-sache sein kann, die eher belastet. Das Schre iben über Schlesien ist vielleicht so heutig wie nie, und wer zu lesen versteht, wird mitunter auch

bei Renata Schumann einen hellen Klang zu vernehmen in der Lage sein, jene zugleich ungeswisse wie untrügliche Leichtigkeit, die zu wissen vorgibt, dass alles bleibt, wie es niemals war. Wir lesen:

Was ist ein Flügelbaumfragte ich in meinem Traumein Flügelbaum istwas man noch nicht istein Wurzelwesendas allmählich fl iegen lerntum leise grünendsich zu verfl ügelnüber den Wipfelnin aller Ruh

Gemeinsam mit Renata Schumann halte ich das für mitteilenswert.

Franz Heinz

Franz Heinz bei der Laudatio auf Dr. Renata Schumann

Renata Schumann dankt mit bewegten Worten für die Auszeichnung, links im Bild der Direktror der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus, PD Dr. Winfrid Halder

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Aussiedler

Maria Warkentin spielt in diesem Stück drei Frauen. Sie hat Monologe aus Maxie Wan-ders Buch „Guten Morgen, du Schöne“ für die Theaterbühne szenisch bearbeitet. Die Frauen erzählen auf bemerkenswert direkte Art von sich, von ihren Gefühlen, ihrer Familie, ihrer Arbeit und ihren Männern. Sie äußern sich über Liebe und Sexualität, über Politik und über ihre Ansicht von der „richtigen“ Art zu leben,Maria Warkentin: „Ich schätze die Offenheit der Frauen, den Ernst und die Tiefe ihrer Gedanken und Empfi ndungen.“„ Es war ein schöner, ein sehr schöner Theaterabend, als Maria Warkentin …mit ‚Guten Morgen, du Schöne’ ihr erstes Solo-Programm spielte: ausdrucksstark, wand-lungsfähig und sprachgewaltig. Es lohnt sich immer wieder, in die vielen Gesichter der Maria Warkentin zu sehen und sich von ihrer Lebendigkeit bezaubern zu lassen.Die drei Frauenschicksale haben ein paar Wesenszüge gemeinsam: die Sehnsucht nach Wärme, Geborgenheit, vielleicht sogar nach Glück und Liebe, das Warten auf das Wunder, das sie einmal erleben möchten, eine tiefsitzende Angst, im Leben zu viel falsch gemacht oder versäumt zu haben, die Fähigkeit traurig zu sein und den Wunsch, ‚sich selber zu fi nden und nicht irgend ei-nen anderen’…“ (Barbara Kerschkowsky, Fränkische Nachrichten)Maria Warkentin erblickte am 10.02.1958 in 18. Patrsjesd, Russland, das Licht der Welt. Nach dem Besuch der Mittelschule in Omsk studierte sie an der Theaterhochschu-le Stschepkin, Maly Theater in Moskau, wo sie dies als Theater- und Filmschauspielerin 1980 abschloss. Im Anschluss gehörte sie bis 1994 dem Ensemble des Deutschen Theaters Alma Ata in Kasachstan an. Im Anschluss an die Aussiedlung spielte sie ab Mitte 1995 beim Russland-Deutschen Theater Niederstetten, dem sie bis heute angehört.Im Laufe ihrer schauspielerischen Tätigkeit war sie in mehr als 50 Rollen zu sehen. Die wichtigsten davon sind:Anna „Zuerst kein Groschen, dann kein Thaler“ von OstrowskiMary „Ein Gelage während der Pest“ von Puschkin

Emilia „Emilia Galotti“ von LessingLady Milfort „Kabale und Liebe“ von SchillerFrau Brigitte „Der zerbrochene Krug“ von KleistEgle „Die Laune des Verliebten“ von GoetheBegbik „Mann ist Mann“ von BrechtMathilde von Zhand „Physiker“ von Dür-renmattElbe „Draußen vor der Tür“ von Borchert

Auszeichnungen: Für die erfolgreiche

den folgenden Monaten ebenfalls nach Niederstetten: Eduard Ziske, Lilia Hen-ze, Alexander Klassen, Maria und Peter Warkentin. Im November 1995 gewährte das Bundesministerium des Innern dem Russland-Deutschen Theater Niederstetten eine Starthilfe zum Aufbau eines Gastspiel-theaters mit Sitz in Niederstetten.Neben Heines „Deutschland. Ein Winter-märchen“ entstanden: „Kikerikikiste“, ein Kinderstück nach Paul Maar, „Emigran-ten“ nach Slawomir Mrozek, Tschechows Schwänke „Der Heiratsantrag“, „Der Bär“ und „Das Jubiläum“; 1996 die erste große Eigenproduktion: „Landsleute“ nach Er-zählungen von Wassili Schukschin. Ende der 90er zogen die meisten Schauspieler des Theaters weiter; seither besteht das Ensemble aus Maria und Peter Warkentin.

Zur Vorgeschichte des Theaters:

Das Deutsche Theater Alma-Ata wurde 1980 in Kasachstan, als einziges deutsch-sprachiges Theater in der UdSSR ge-gründet. Die Gründung fand statt, um die aussterbende Kultur und die Sprache der Deutschen in der Sowjetunion wieder zu beleben und damit verbundene kulturelle Bedürfnisse zu befriedigen.

Auf dem Spielplan des Theaters standen Stücke russischer Autoren sowie Klassiker der Weltliteratur: Tschechow, Ostrowski, Gorki, Goldoni, Sartre, Schiller, Goethe, Kleist, Heine, Brecht, Borchert, Dürren-matt. Das Theater war jeden Sommer auf Tournee durch Russland, Kasachstan, Us-bekistan, Kirgistan und Lettland – jeweils in den Gebieten, die am dichtesten von Deutschen besiedelt waren.

Die Ausbildung der Schauspieler

Die russische Schauspielkunst beruht auf den Grundsätzen des Theaterreformators Konstantin Stanislawski. Viele der bes-ten Theater der Welt wenden in ihrem Schaffen die Prinzipien des Systems Sta-nislawski an. Die Schauspieler haben eine Hochschulausbildung an der Stschepkin-Theaterhochschule bekommen, der ersten Theaterschule in Russland. Die Hochschule ist ein Bestandteil des Maly-Theaters – des ältesten Theaters in Moskau.

Di 08.03. | 19.30 Uhr

Guten Morgen, du SchöneTheateraufführung zum Internationalen Frauentag mit Maria Warkentin vom Russland-Deutschen Theater Niederstetten

schöpferische Tätigkeit wurde ihr 1991 der Titel „Verdiente Künstlerin der Republik Kasachstan“ verliehen.

Maria Warkentin tritt zweisprachig auf (rus-sisch und deutsch) und ist Dozentin von Se-minaren, die vom Amateurtheaterverband Baden-Württemberg durchgeführt werden.

Russland-Deutsches Theater Niederstetten

Im November 1993 kam das Schauspie-lerehepaar Viktoria Gräfenstein und David Winkenstern vom ehemaligen Deutschen Theater Alma-Ata (Kasachstan) nach Nie-derstetten. Die Stadt Niederstetten konnte den Künstlern Übungsmöglichkeiten im Amtshaus Oberstetten anbieten; im Mai 1994 spielten sie zur Eröffnung des neuen Kulturgebäudes der Stadt – KULT (Kultur- und Literatur-Treff) – Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen“.Einige Kollegen aus Alma-Ata kamen in

Die Schauspielerin Maria Warkentin

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Studienfahrt

Moskau und der Goldene Ring

Typisch russische Kirchen und neo-klassizistische Herrenhäuser verleihen Jaroslawl eine einzigartige Silhouette, hier das Erlöser-Kloster

Die Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus veranstaltet in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Düsseldorf eine Studi-enreise nach Moskau mit einer Rundfahrt um den Goldenen Ring. Als Goldenen Ring (russisch: Золотое кольцо) bezeichnet man altrussische Städte nordöstlich von Moskau. Nicht umsonst zählt der Goldene Ring zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten Russlands.

Programm

Mo, 14.05. bis Mi, 16.05.2011Flug mit Air Berlin nach Moskau. 2 x Übernachtung im 4* „Hotel Marriott Tverskaya“ in Moskau. Zentral an der Tverskaya gelegen, in der Nähe sagenhafter Einkaufsmöglichkeiten, des Roten Platzes und des Kreml, liegt das Hotel im Zentrum von Moskau.Die russische Hauptstadt Moskau liegt mitten im europäischen Teil Russlands am Fluss Moskau. Im Jahr 2008 zählte Moskau ca. 10,5 Millionen Einwohner.1997 anlässlich des 850-Jubiläums wurde vor allem im Zentrum von Moskau viel renoviert. Moskau zählt zu den schönsten Städten der Welt. Eine Stadtrundfahrt zeigt die wichtigsten Sehenswürdigkeiten.

Mi, 16.05. – Fr, 18.05.2011Fahrt nach Susdal, dort 2 x Übernachtung im 4* Hotel Puschkarskaya Sloboda.Susal gilt mit Fug und Recht als eine Perle des Goldenen Ringes in Russland und ge-hört zu den einzigartigen Sehenswürdigkei-ten in Russland. Susdal wird in russischen Chroniken seit 1024 erwähnt. Es ist eine ganz und gar märchenhafte Stadt des Goldenen Rings mit Kathedralen aus weißem Stein und steinernen Verzierungen, mit zinnengeschmückten Klostermauern und gemütlichen ruhigen Straßen. Susdal vermochte es, die uralte Topographie, das unnachahmliche Kolorit einer alten russi-schen Stadt und die erstaunliche Harmonie aufrechtzuerhalten. Das Mariä Schutz und Fürbitten-Kloster in Susdal und das Spasso Jetimjawski Kloster in Kidekscha sind in das Verzeichnis des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen worden.18.05. – 19.05.2011

Vom 14.05.bis 21.05.2011

Russland kennenlernen

1 x Übernachtung im 4* Hotel Ring Premier in JaroslawlAm hohen Wolgaufer breitet sich Jaros-lawl aus, eine Stadt, die es geschafft hat, wunderbare Denkmäler des Altertums zu erhalten, eine Stadt, in der sich eine ganz besondere Architektur- und Kunstschule herausgebildet hat.Fürst Jaroslaw gründete dort eine Fes-tung und nannte sie nach seinem Namen Jaroslawl. Auf Geheiß des Fürsten wurde die neue Stadt mit einem Schutzwall aus Baumstämmen und mit Türmen umgeben. Hundert Jahre später entwickelte sich Ja-roslawl zur Hauptstadt eines selbständigen Fürstentums. 1238 wurde die Stadt genauso wie auch eine Vielzahl anderer Städte von

den Tataren niedergebrannt und geplündert.1463 wurde das Jaroslawler Fürstentum in das Moskauer Großfürstentums eingeglie-dert. Nach und nach verwandelte sich die Stadt, die an der Schnittstelle der Handels-wege nach Westeuropa (Moskau -Archan-gelsk) und nach dem Orient (die Wolga) lag, in eines der größten Handelszentren des Russischen Staates.

19.05. – 20.05.2011Fahrt nach Rostow Welikij und 1 x Über-nachtung im 3* Hotel Moskowskij Trakt . Als „Weliki“ („Groß / Berühmt“) bezeich-net wurden in Russland nur zwei Städte, und zwar Nowgorod, die nördliche Haupt-stadt Russlands, und Rostow, eine Stadt, deren Geschichte mehr als ein Jahrtausend zählt, das Kultur- und Kunstdenkmal des Alten Rus. Die Chronik „Erzählung vergangener Jahre“ erwähnt 862 unter den russischen

Städten auch Rostow. Im 11. Jahrhundert war Rostow die Metropole des ausgedehn-ten Rostow-Susdaler Fürstentums. 1070 wurde Rostow zum Zentrum eines Bistums.1474 wurde das Rostower Fürstentum an Moskau angegliedert. Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten in Rostow Weliki sind der Kreml und der Platz der Handelsreihen, weshalb Rostow Weliki auch zum Goldenen Ring in Russ-land gehört.Der Abschlußtag wird wieder in Moskau stattfi nden.

Leistungen• Flüge ab/bis Düsseldorf mit der Air

Berlin nach Moskau und zurück• 1 x Willkommensabendessen am ersten

Tag im örtlichen Restaurant in Moskau im Rahmen der Halbpension

• 5 x Abendessen in den Hotelrestaurants im Rahmen der Halbpension

• Teepause mit echter Teezeremonie in Susdal

• Rundreise im klimatisieren und moder-nen Fernreisebus ab Moskau

• Örtliche deutschsprachige Reiseleitung für die Besichtigungen in Moskau sowie der Städte des Goldenen Rings

• Sämtliche Besichtigungen, Führungen und Ausfl üge gemäß Programmverlauf

• Alle anfallende Eintrittsgebühren wäh-rend der Besichtigungen

• ausführliche Reiseunterlagen

Der Reisepreis beträgt 1245,- € (Einzelzim-merzuschlag 229,- €). Genauere Informationen erhalten Sie über die Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus, Tel. 0211/ 16 99 11 2.

Markus Patzke

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Studienfahrt

Die Studienreise bietet an bedeutenden Orten Einblick in das Werk und Schaffen Gerhart Hauptmanns. Die Informationen vor Ort vermitteln ein umfassendes Bild von dem Nobelpreisträger der Literatur. Schüler, Stu-denten und Interessierte sind herzlich zu der ein-drucksvollen Studienreise eingeladen.

Dienstag, 26.04.2011

Abfahrt von Düsseldorf nach BerlinTreffpunkt: Reisebushalte-stelle HauptbahnhofBesichtigung der Gerhart-Hauptmann-Anlage und des Wohnhauses in BerlinSchiffsrundfahrtÜbernachtung in Berlin

Mittwoch, 27.04.2011

Stadtrundfahrt und Besich-tigung der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer StraßeFahrt nach Erkner und Besichtigung des Gerhart-Hauptmann-Museums in der Villa Lassen. Die Ausstellung vermittelt einen Ge-samtüberblick über Leben und Werk des Nobelpreisträgers. Die Einrichtung ist aus dem Teilnachlass des Dichters rekonstruiert worden.Gerhart Hauptmann selbst schrieb über seine Jahre in Erkner: „Ich habe vier Jahre in Erkner gewohnt, und zwar für mich grundlegende Jahre. Mit der märkischen Landschaft aufs innigste verbunden, schrieb ich dort Fasching, Bahnwärter Thiel und mein erstes Drama Vor Sonnenaufgang. Die vier Jahre sind sozusagen die vier Ecksteine für mein Werk geworden.“Übernachtung in Berlin.

Donnerstag, 28.04.2011

Fahrt ins Riesengebirge, nach Petersdorf in der Nähe von Hirschberg. Hotelbezug. Anschließend Fahrt zum Haus Wiesenstein in Agnetendorf. Gerhart Hauptmann ließ

Haus Wiesenstein 1900 erbauen. 1922 schuf der Maler Avenarius in der Halle Jugendstil-Wandgemälde. „Eine Burg zum Schutz und Trutz“ nannte Gerhart Hauptmann

seine Villa im Riesengebirge. Am späten Nachmittag Fahrt nach Schreiberhaus/Szklarska Poreba zum Carl und Gerhart Hauptmann Haus.Übernachtung in Petersdorf im Riesenge-birge

Freitag, 29.04.2011

Erste Station des Tages ist in Schömberg. Hier stehen die Holzlaubenhäuser „Zwölf Apostel“, die als Webersiedlung dienten. Weiterfahrt nach Kreisau/Krzyzowa. Dort befi ndet sich der ehemalige Gutshof der Familie von Moltke. In den Jahren 1942 und 1943 kamen hier Sozialdemokraten und Konservative, adlige Gutsbesitzer und Bürgerliche, Protestanten und Katholiken zusammen, um gemeinsam an Plänen für eine gerechte Nachkriegsordnung zu arbeiten und für eine Überwindung des Na-tionalsozialismus zu kämpfen. Die Gruppe erhielt nach dem Ort ihrer Zusammentreffen später den Namen „Kreisauer Kreis“. Acht von den Kreisauern bezahlten ihren Einsatz mit dem Leben. Seit 1998 ist hier eine inter-

nationale Jugendbegegnungsstätte. Sodann Fahrt nach Peterswaldau und Langenbielau, wo es 1844 zu einem Aufstand der Weber kam, der von preußischem Militär blutig niedergeschlagen wurde. Weiterfahrt nach Breslau. Stadtbesichtigung. Besichtigung des gotischen Rathauses der Universität mit Aula Leopoldina sowie der Dominsel und der Jahrhunderthalle.Übernachtung in Petersdorf im Riesenge-birge.

Samstag, 30. April 2011

Fahrt in die geteilte Europastadt Görlitz/Zgorzelec. Zunächst kleiner Rundgang im polnischen Zgorzelec. Sodann Stadtführung in Görlitz. Anschließend Besuch des Schlesischen Museums in Görlitz. Nächste Station ist Radebeul, hier steht das Hohen-haus. Der junge Gerhart Haupt-mann lernte dort seine spätere Frau Marie, eine der fünf Töch-ter aus dem Hohenhaus kennen. Im Hohenhaus debütierte der junge Gerhart Hauptmann mit seinem Erstwerk, dem Lustspiel „Liebesfrühling…“ Hohenhaus ist ein ehemaliger bischöfl icher Weinbergbesitz in romantischer Lage mit einem weiten Blick über das Elbtal von Dresden bis

hin zur Albrechtsburg nach Meißen. Heute befi ndet sich in dem ehrwürdigen Kultur-denkmal eine Gedächtnisstätte für Gerhart Hauptmann und seine Frau Marie. Zum Abschluss des Tages steht noch ein Rund-gang durch die Altstadt von Dresden auf dem Programm. Übernachtung in Dresden.

Sonntag, 01.05.2011

Frühstück im Hotel. Möglichkeit zum Besuch eines Gottesdienstes in Dresden. Anschließend Heimreise nach Düsseldorf.

Der Reisepreis beträgt bei Unterbringung im Doppelzimmer bei Halbpension 549,00 €, Für Schüler und Studenten 349,00 €. Einzelzimmerzuschlag 125,00 €.

Anmeldung und Information unter Tel.: 0211-1699118

Vom 26.04. bis 01.05.2011

Auf den Spuren von Gerhart Hauptmann in West und Ost

Haus Wiesenstein in Agnetendorf

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Bibliothek

Das umfangreiche Nach-schlagewerk bietet Biogra-phien und Werkübersich-ten von rund 300 russland-deutschen Autoren. Der Verfasser Herold Belger hat die über die Weiten Russlands, der Sowjetuni-on und nun wieder Russ-lands verstreuten Autoren deutscher Zunge, die sich in Zeitungen, Periodika und Büchern jemals mit-geteilt hatten, zu erfassen und ihre hinterlassenen Arbeiten zu dokumentieren versucht.Es ist vermutlich die letzte Gelegenheit, dies tun zu können – seit Jahren verlassen nicht wenige dieser Autoren ihre angestammte Heimat und verlieren sich in der Welt. Namen und Publikationen sind, da sie niemals in dieser Weise in den letzten Jahren festgehalten wurden, aus zeitlicher und geographischer Ferne kaum noch zu recherchieren.

BELGER, HEROLD: Russlanddeutsche Schriftsteller. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Nora Verl., 2. erg. und überarb. Aufl ., 2010.

Das alte Pommern. Leben und Arbeiten Die preußische Provinz Pom-mern, wie sie bis 1945 bestand, war ein klassisches Agrargebiet. Noch zu Beginn des 20. Jahr-hunderts lebten und arbeiteten rund 60 Prozent der Bevöl-kerung auf dem platten Land. Wohnen und Arbeiten im Dorf oder auf dem Gut prägte die Mentalität. Das Leben unterlag dem jahreszeitlichen Rhythmus, wie ihn die Landwirtschaft vorgab. Nicht nur die Arbeit mit ihren saisonalen Spitzen in der Saat- und Erntezeit, auch das Fest- und Brauchtum der Bevölkerung orientierten sich danach. Trotzdem war das Leben auf dem Land nichts unverrückbar Statisches. Der technische Fortschritt hielt hier genauso Einzug. All dies ist bereits früh fotografi sch dokumentiert worden. Professionelle Fotografi en, kombiniert mit privaten Schnappschüssen, spiegeln in diesem Band die frühere Arbeitswelt der Landwirte und Fischer wider. Versehen mit einer allgemeinen Einleitung und thematischen Text-blöcken zeigt dieser Band eine repräsentative Auswahl aus den fotografi schen Sammlungen des Pommerschen Landesmuseums in Greifswald. Sie werden durch weitere Fotos, auch aus Privatbesitz, ergänzt und bieten einen faszinierenden Ein- und Rückblick auf die Lebens- und Arbeitswelt im alten Pommern zwischen 1900 und 1945.DAS ALTE POMMERN. Leben und Arbeiten auf dem platten Land. Dirk Schleinert (Text), Heiko Wartenberg (Bildredaktion). Hinstorff, 2010.

Karfunkelschein. Prade – Gablonzer Modeschmuck 1922 – 1995Viel spiegelt sich in diesen kleinen geschliffenen bunten Glassteinen. Die Magie der Schön-heit, die Geschichte einer spannenden Kulturlandschaft und eines traditionsreichen Hand-werks. Für all das steht auch die Firma Prade, die zwischen 1922 und 1995 Modeschmuck schuf. Zuerst in Gablonz, später nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Neuanfang in Deutschland in Schwäbisch Gmünd. Die Geschichte der Firma Prade ist eng mit dem Glasbläserhandwerk in Böhmen und der Modeschmuckherstellung in Gablonz verbunden. Denn dort fl orierte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Schmuck- und Glasindustrie, die der Stadt an der Neiße Wohlstand brachte.Nach dem Krieg und der Ansiedlung in Schwäbisch Gmünd konnte die Familie Prade nicht nur ihre internationalen Geschäftsbeziehungen wieder aufgreifen, sondern auch auf ihren schier unerschöpfl ichen Ideenreichtum bauen. Ungewöhnliche Schmuckstücke aus Glas in allen erdenklichen Farben und Formen sind im Laufe der Zeit entstanden. Der reich bebilderte und sorgfältig ausgestattete Band dokumentiert nicht nur eine der wenigen vollständig erhaltenen Modeschmuckkollektionen, sondern zeigt darüber hinaus die verschiedenen Werkzeuge und Herstellungsarten. Hinter dem schönen Schein steckt mehr als die reine Faszination an Form und Farbe.KARFUNKELSCHEIN. Prade – Gablonzer Modeschmuck 1922 – 1995. Hrsg. von Cornelie Ueding. Modo Verl., 2010.

Russlanddeutsche Schriftsteller. Von den Anfängen bis zur Gegenwart

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Chronologie

Mi jeweils 18.10 bis 20.30 UhrProbe der Düsseldorfer Chorgemeinschaft Ostpreußen-Westpreußen- SudetenlandLeitung: Radostina Hristova

Do 06.01., 10.02., 17.03. | jeweils 19.30 UhrOffenes Singenmit Barbara SchochRaum 412

Mi 12.01., 02.02., 02.03. | jeweils 15 UhrOstdeutsche Stickereimit Helga Lehmann undChristel KnackstädtRaum 311

Mo 17.01. | 16 UhrKinemathek„Der Hauptmann von Köpenick“Konferenzraum (Siehe S. 13)

Di 18.01. | 19.15 Uhr„1945 – und immer noch kein Ende. Kriegskinder, Kriegsenkel, Kriegstraumata “Buchvorstellung und Diskussion mit Anne-Ev Ustorf Konferenzraum ( Siehe S. 6)

Mo 24.01. | 11 und 16 UhrKinemathek„Das weiße Band“Eichendorff-Saal (Siehe S. 13)

Mi 26.01. |19.15 Uhr„Von Katharina der Großen bis zum Ersten Weltkrieg (1763 - 1914): „Geschichte der Russlanddeut-schen Teil I.“Vortrag von Prof. Dr. Hans HeckerKonferenzraum (Siehe S. 3)Do 27.01. | 11 Uhr

Kinemathek„ostPunk. Too much future“Eichendorff-Saal (Siehe S. 15)

Fr 28.01. | 11 UhrKinemathek „ostPunk. Too much future“Eichendorff-Saal (Siehe S. 15)

Di 01.02. | 19 UhrAusstellungseröffnung„Böhmischer Fasching trifft auf Rheinischen Karneval“Ausstellungsraum (Siehe S.8)

Mi 02.02. | 11 UhrKinemathek„Kikujiros Sommer“Eichendorff-Saal (Siehe S. 14)

Mi 16.02. | 19.15 Uhr„Flirt mit der Hölle“. Zum 200. Todestag Heinrich von Kleists (1777 - 1811)Lesung von Dr. Hajo BuchKonferenzraum (Siehe S. 9)

Mi 23.02. |19.15 UhrDie Zukunft der ErinnerungVortrag von Präsentation der Lehrerhandreichung von Prof. Dr. Hermann SchäferKonferenzraum (Siehe S. 7)

Mi 02.03. | 19.15 Uhr„Vernichtungskrieg ist nicht gleich Vernichtungskrieg: Die deutsche Kriegsführung gegen Polen und gegen die So-wjetunion 1939/1941“Vortrag von Prof. Dr. Jürgen Förster, Universität Freiburg i. Br. Konferenzraum (Siehe S. 5)

Di 08.03. | 19.30 Uhr„Guten Morgen, du Schöne“

Theateraufführung zum Inter-

nationalen Frauentag mit Maria Warkentin vom Russlanddeut-schen Theater NiederstettenEichendorff-Saal (Siehe S. 22)

Mi 23.03. | 19.15 UhrUm Oberschlesiens Zukunft – Vor 90 Jahren: Volksabstim-mung“Vortrag von Dr. Guido HitzeKonferenzraum (Siehe S. 11)

Sa 26.03. | 10 UhrLandesversammlungEine Veranstaltung des BdV-Landesverbandes NRW e.V.

Mi 30.03. | 18 UhrAusstellungseröffnung„Wer war Eduard von Simson?“Foyer Eichendorff-Saal ( Siehe S. 10)

Mi 30.03. | 19 UhrKinemathek„Po – lin. Spuren der Erinnerung“Eichendorff-Saal (Siehe S. 15)

Do 31.03. | 19 Uhr„Paul Celan – I. Schmuheli“Lesung von Frank SchablewskiKonferenzraum (Siehe S. 18)

Studienreisen:

Vom 26.04. bis 01.05.2011Auf den Spuren von Gerhart Hauptmann in West und Ost(Siehe S. 24)

Vom 14.05 bis 21.05.2011Moskau und der Goldene Ring -Rußland kennenlernen(Siehe S. 23)

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27WOJ 1-2011

ImpressumHerausgeber:Stiftung „Gerhart-Hauptmann-Haus. Deutsch-osteurpäisches Forum“

Vorsitzender des Kuratoriums:Reinhard Grätz

Vorsitzender des Vorstandes:Konrad Grundmann †

Bismarckstr. 9040210 Düsseldorf

Postanschrift: Postfach 10 48 6140039 Düseldorf

Telefon: (02 11) 16 99 10Telefax: (02 11) 35 31 18Mail: [email protected]:www.g-h-h.de

Redaktion:PD Dr. Winfrid Halder, Chefredakteur;Dirk Urland M.A.

Satz und Layout:Markus Patzke

Herstellung:WAZ-DRUCK GmbH & Co. KG vorm. Carl Lange Verlag,Theodor-Heuss-Straße 77, 47167 Duisburg

Das „West-Ost-Journal“ erscheint vierteljährlich.Abo-Bezugsmöglichkeit durch die nebenstehende Bestellkarte zum Jahresbe-zugspreis (Versandkosten-preis) von 6,50 €

Anzeigenannahme:„Gerhart-Hauptmann-Haus“

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Geöffnet Servicezeiten der Verwaltung Mo-Do 8 - 12.30 ● 13 - 17 Uhr Fr 8 - 14 Uhr Servicezeiten der Bibliothek Mo-Mi 10 - 12.30 ● 13.30 - 17 Uhr Do 10 - 12.30 ● 13.30 - 18.30 Uhr Öffnungszeiten der Ausstellungen Mo - Fr 8 - 17 Uhr Sa auf Anfrage ● Sonn- und feiertags geschlossen

Viele weitere Informationen über das Gerhart-Hauptmann-Haus und zu den im Heft behandelten Themen fi nden Sie - rund um die Uhr - auch im Internet unter www.g-h-h.de.

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Ihr Team vomGerhart-Hauptmann-Haus

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Datum und Unterschrift

Titelblatt

Das Titelblatt nimmt Bezug auf den The-menschwerpunkt des kommenden Jahres, dem Gedenken an die Deportation der Rußlanddeutschen vor 70 Jahren. Wir beschäftigen uns mit der Geschichte der Rußlanddeutschen von Katharina der Gro-ßen (l.) bis zu Josef Stalin (r.).

Einen bereichernden Blick von der „anderen Seite“ des zweiten deutschen Staates bot Minis-terpräsident a. D. Dr. Lothar de Maiziére anlässlich eines Podi-umsgesprächs „40 Jahre Neue Ostpolitik – 20 Jahre deutsche Einheit“, das im November 2010 im Gerhart-Hauptmann-Haus vor zahlreichem Publikum stattfand.Dr. Lothar de Maiziére, 1989 nach der einzigen freien Volkskammer-wahl zum Ministerpräsidenten ge-wählt, bildete das letzte Kabinett der DDR.Gesprächpartner war Dr. Joachim Sobotta (links), der langjährige Chefredakteur der „Rheinische Post“ und Kuratoriumsmitglieder des Gerhart-Hauptmann-Hauses.