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Zinsen

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  • 1Zinsen

    Eine Analyse vonRahim Taghizadegan

    (Institut fr Wertewirtschaft)

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    http://wertewirtschaft.org/analysenKontakt: [email protected]

    Inhalt

    Das Phnomen Zinsen....................................2Zeitprferenz ...................................................7Kapitalmrkte .............................................12Sparen............................................................19Darlehen........................................................24Kreditausweitung ..........................................32Zinseszins......................................................44Konsumkredite ..............................................48Islamisches Bankwesen .................................52Zusammenfassung.........................................52

  • 2Das Phnomen Zinsen

    Das Thema Zinsen ist deshalb so schwierig,weil uns hier unsere Sprache ziemlich im Stichlt. In einem Begriff werden zahlreiche, sehrkomplexe Inhalte vermengt. Bevor man sichalso Gedanken um die Zulssigkeit von Zin-sen macht, sollte man zunchst versuchen zuverstehen, mit welchen realen Phnomenenman es hier zu tun hat und warum sie auftre-ten. Die Zinskritik der Vergangenheit schei-terte meist daran, moralisch zu argumentieren,ohne die konomische Grundlage zu betrach-ten. Ebenso ist es bei der theoretischen Be-trachtung eines gerechten Lohns oder eines

    gerechten Preises, die Gefahr luft, die Rea-litt aus den Augen zu verlieren.

    Das Phnomen, das hier betrachtet werdensoll, ist nicht der Zins im Sinne einer Nut-zungsgebhr oder Mietzahlung. Es geht hiervornehmlich um Zinsen im Sinne der Forde-rung oder Bezahlung eines Mehrbetrages frden Verleih fungibler (vertretbarer) Gter. DerUnterschied erklrt sich so: Zins in ersteremSinn fllt fr den Gebrauch eines Gutes an,das, abgesehen von der Abnutzung, in identi-scher Form zurckgegeben wird. Der Auslei-hende wird fr einen bestimmten ZeitraumBesitzer, der Verleihende bleibt Eigentmer.

  • 3Im Gegensatz dazu werden Zinsen in letzte-rem Sinn gefordert fr die bernahme vonGtern, in der Regel Geld, gegen das Verspre-chen, andere Gter derselben Art zurckzuge-ben. Es geschieht dabei nicht nur ein Besitz-,sondern auch ein Eigentumsbertrag.

    Es handelt sich um den Unterschied zwischendem Ausborgen eines Kochtopfs und demAusborgen eines Taschentuchs. Die Anfh-rungszeichen deuten schon auf die sprachlicheSchlampigkeit hin, denn natrlich wird nichtmit der Rckerstattung des gebrauchten Ta-schentuches gerechnet. Die moralische Frage-stellung she anhand dieses Beispiels nun so

    aus: Soll man fr den Verleih eines Taschen-tuches das gebrauchte, gar keines, ein neuesoder zwei neue zurckfordern? Taschentcherhaben einen so geringen Wert, da diese Fragein der Realitt kein besonderes Gewicht zuhaben scheint. Ganz anders ist es freilich beinennenswerten Geldsummen. Auch Geldkann man nicht gebrauchen, ohne es aufzu-brauchen, wie mein Kollege schon klar darge-legt hat.

    Es war eine wichtige Erkenntnis der kono-mie, insbesondere jener der Wiener Schule,da, das Phnomen der Zinsen oder zumin-dest ein ihm tuschend hnlich sehendes Ph-

  • 4nomen auch dann auftritt, wenn bewut ber-haupt keine Zinsen gezahlt werden. Es han-delt sich dabei um Bewertungsunterschiede,die mit dem Faktor Zeit zusammenhngen.Dieses Phnomen trat zunchst deutlich beider Diskontierung von Wechseln und der Be-wertung von Pachtgtern zutage. Ein Wechselist ein Zahlungsversprechen. Grob gesprochenhandelt es sich bei der bertragung vonWechseln um den Tausch von Gtern gegenVersprechen. Dies kann man auch als Tauschvon gegenwrtigen Gtern gegen zuknftigeGter ausdrcken. Ein Wechsel hnelt einemGutschein, der erst ab einem bestimmten

    Stichdatum eingelst werden kann. Nun kn-nen wir beobachten, da auf Mrkten, an de-nen sich per Definition fremde Menschentreffen, um miteinander zu tauschen, die Prei-se fr solche Gutscheine nicht genau den Prei-sen fr die versprochenen Gter entsprechen.Nehmen wir ein einfaches, fiktives Beispiel(das allerdings nicht dem historischem Wech-selgebrauch entspricht), um das Phnomen zuillustrieren: Ein Landwirt erstellt einen Gut-schein, auf dem er vermerkt: Wer mir diesenGutschein vorlegt, erhlt ein Kilogramm Wei-zen aus meiner nchsten Ernte, die ich in ca.einem Jahr einfahren werde. Mit diesem Gut-

  • 5schein bezahlt er eine Hilfskraft. Diese munun aber schon heute Brot essen, nicht in ei-nem Jahr. Kein Problem, besnftigt der Land-wirt den Helfer, diesen Gutschein kannst duam Markt weiterverkaufen, denn man kenntmich und die Gte meiner Versprechen. Tat-schlich findet der Gutscheinverkufer willigeKufer am Markt, doch niemand bietet ihmgenau ein Kilogramm Weizen oder dessenGegenwart. Alle Gebote sind etwas geringer.Woran liegt das? Einerseits gibt es natrlichein Vertrauensproblem, das heit die Einl-sung knnte als ungewi betrachtet werde.Einiges deutet jedoch daraufhin, da auch bei

    vollkommener Gewiheit ber die erfolgreicheErnte und die zeitgerechte und vollstndigeEinlsung noch immer eine Differenz zwi-schen den aktuellen Geboten und dem Wertder zuknftigen Gtern verbliebe. Ein Kilo-gramm heutiges Getreide wird am Markt of-fenbar hher bewertet als ein Kilogramm zu-knftiges Getreide, auch wenn die Zukunftvollkommen gewi wre. Was begrndet dieseDifferenz?

    Ein hnliches Phnomen tritt wie gesagt bei-spielsweise bei der Bewertung von Pachtgrn-den auf. Sehen wir uns wieder ein einfachesBeispiel an: Fr einen kleinen Acker kann ein

  • 6jhrlicher Pachtertrag von einem KilogrammGetreide erzielt werden. Setzen wir hier einePacht in Realgtern an, um unser Beispielnicht durch Geldverschlechterung zu verkom-plizieren. Dies schafft auch eine relativ sichereGrundlage fr die Pacht, denn der Acker ver-mag unter rechtem Einsatz von Arbeit undWissen ebendieses Getreide selbst hervorzu-bringen, es fllt also die Ungewiheit derMarktlage weg. Wieviel Getreide sollte manfr den Zukauf einen solchen Ackers aufwen-den? Ein solcher Kauf stellt einen Transferzwischen Einkommen und Vermgen dar, denMenschen zu fast allen Zeiten und an fast al-

    len Orten zur Altersversorgung vorgenommenhaben. Solange man arbeiten kann, versuchtman, einen Teil des Einkommens zu Verm-genswerten zu machen. Nach Ende der Ar-beitsfhigkeit soll das Vermgen hinreichendgro sein, ein Einkommen abzuwerfen, umden Wegfall des eigenen Arbeitseinkommenszu kompensieren. Eine Mglichkeit dazu istes, mit den Ersparnissen Boden zu kaufen, ausdem man im Alter ein Pachteinkommen be-ziehen kann. Bei diesem Einkommen handeltes sich nicht um Zinsen im hier betrachtetenSinne, sondern um Zins wir sehen, wieunscharf und verwirrend unsere Sprache bei

  • 7diesem Begriff leider ist. Bei der Bewertungdes Pachtgrundstckes erkennen wir folgendesProblem: Wenn jedes zuknftige KilogrammWeizen genau den selben Wert htte wie jedesgegenwrtige und die Fruchtbarkeit des Bo-dens und die Mglichkeit einer solchen Natu-ralpacht fr alle Zeiten als gewi glte, dannwre der Kaufpreis dieses Ackers unendlichhoch. Freilich knnen wir die Ungewiheitnicht scharf von anderen Aspekten trennen,doch auch hier ist davon auszugehen, da derPreis auch bei vlliger Gewiheit nicht unend-lich sein wrde. Der gebotene und geforderteKaufpreis ist auch bei relativ sicheren Ein-

    kommensstrmen endlich. Das Wievielfachedes Pachterlses sollte der betrachtete Sparerfr den Acker bieten, das Wievielfache sollteder Verkufer als angemessen akzeptieren?

    Zeitprferenz

    Die obigen Fragen werden durch das Phno-men der Zeitprferenz erklrt. Mit diesemBegriff wird die Bereitschaft ausgedrckt, Be-drfnisse in der Gegenwart zurckzustellen,um zuknftige Bedrfnisse besser zu befriedi-gen. Diese Prferenz unterscheidet sich vonMensch zu Mensch und ist keineswegs kon-stant. Eine hohe Zeitprferenz bezeichnet einehohe Prferenz fr Zeit: Das bedeutet, dem

  • 8Zeitpunkt einer Handlung wird ein besondershoher Wert beigemessen. Jemandem mit ho-her Zeitprferenz ist es wichtiger, wann eretwas bekommt als wieviel er bekommt. DerHungernde legt verstndlicherweise mehrWert darauf, mglichst bald etwas zu essen zubekommen; was er zu essen bekommt, ist ne-benschlich. Eine niedrige Zeitprferenzdrckt das Gegenteil aus: Lieber spter einbesseres Mahl zu mir nehmen, das ich genie-en kann, als jetzt schnell etwas herunterwr-gen, um meinen Appetit zu stillen.

    Eugen Bhm von Bawerk definierte die Zeit-prferenz als jenen Faktor, der ber die Spar-

    neigung der Menschen bestimmt. Damit be-steht ein wesentlicher Zusammenhang zwi-schen Kapitalaufbau und Zeitprferenz. In derTat bentigt der Kapitalaufbau einen lngerenHandlungshorizont. Kurzfristigkeit ist daherein Symptom verarmender Gesellschaften.Dies lt sich in der Geschichte immer wiederbeobachten. Die konomen der WienerSchule werteten dies nicht. Sie hielten keineMoralpredigt ber das sparsame und enthalt-same Leben. Doch sie wiesen darauf hin, dadie Menschen, wenn sie eine knftige mate-rielle Besserstellung erhoffen, in der Gegen-

  • 9wart unbequeme Entscheidungen dafr fllenmssen. Bhm von Bawerk gab zu denken:

    Die Sorge fr die Zukunft stellt eben nichtunbetrchtliche Anforderungen an die geis-tige und ein wenig auch an die moralischeKraft Die Gegenwart kommt immer zuihrem Recht. Denn sie drngt sich durchdie Sinne ein, die wir alle haben DieZukunft aber mssen wir uns erst vorstel-len.1

    1 Eugen Bhm von Bawerk (1909/1888): Kapital undKapitalzins. Zweite Abteilung: Positive Theorie des

    Diese Fhigkeit, knftige Erfordernisse undErgebnisse so bildhaft in der Gegenwart vorAugen zu haben, da sie ber momentaneEntscheidungen bestimmen knnen, erwirbtder Mensch erst im Laufe seiner Entwicklung.Kleinkindern gelingt dies noch nicht. Dochauch nicht alle Erwachsenen weisen einegleich niedrige Zeitprferenz auf.Wir bewerten die Gegenwart stets etwas hherals die Zukunft. Diesen Umstand nennt manpositive Zeitprferenz. Diese erklrt Bhm

    Kapitales. 3. Auflage. Innsbruck: Vlg. der WagnerschenUniversitts-Buchhandlung. S. 434f.

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    von Bawerk wie folgt: Erstens sei die Zukunftungewi, das heit wir wissen noch nicht ge-nau, was sie von uns erfordern wird. Zweitensneigen wir dazu, unsere knftigen Bedrfnissesystematisch zu unterschtzen, weil unsereVorstellungskraft nicht stark genug ist. Diesnennt er den Schtzungsfehler. Drittens be-merkt er einen Willensfehler: Man lt sichaus Schwche zu einem Schritt oder zu einerZusage hinreien, von der man schon imnchsten Moment ahnt, da man sie bereuenwird. Viertens bewerten die Menschen ausRcksicht auf die Krze und Unsicherheit

    ihres Lebens die Gegenwart hher. Am strk-sten wirkt sich dies bei jenen aus, denen

    durch besondere Umstnde der Gedanke andas Lebensende lebhaft vor die Seele ge-rckt ist; z.B. bei hochbetagten Greisen,gefhrlich Erkrankten, bei Leuten, die insehr gefhrlichen Berufen oder Umstndensich befinden, Soldaten vor der Schlacht, inPestzeiten Die Zurcksetzung der unsi-cheren Zukunft findet in solchen Fllennicht selten ihren drastischen Ausdruck ineiner tollen Verschwendungssucht, die sichder Leute bemchtigt

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    Die Geschichtsschreibung besttigt diese Per-spektive. Der griechische Historiker Thukydi-des schrieb in der Geschichte des Peloponnesi-schen Krieges:

    Auch sonst war die Pest fr Athen der An-fang der Sittenlosigkeit So hielten sie esfr recht, das Angenehme mglichst raschund lustvoll zu genieen, da ihnen ja Lebenund Geld gleicherweise nur fr den einenTag gegeben seien. Sich im voraus um einedles Ziel abzumhen, war niemand bereit,erschien es ihm doch unsicher, ob er nicht,ehe er es erreicht, schon ums Leben ge-kommen sei. Genu fr den Augenblick

    und alles, was dem diente, das galt als schnund ntzlich.

    Die Zeitprferenz ist somit ein guter Indikatorfr historische Umbrche. Whrend die Sorgevor der Endlichkeit der eigenen Existenz zuhherer Zeitprferenz drngt, verringerntranszendentale Motive die berbewertungder Gegenwart. Das sind etwa religise Vor-stellungen, die ber die eigene Existenz hin-ausreichen. Im Schnitt kann man auch davonausgehen, da Menschen mit Kindern eineetwas niedrigere Zeitprferenz aufweisen,wenn sie ihren Kindern etwas hinterlassenmchten. Die beralterung einer Gesellschaft

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    und mangelnder Nachwuchs deuten also eherauf einen Anstieg der Zeitprferenz.

    Kapitalmrkte

    Diese Prferenz bersetzt sich in die Wirt-schaftsstruktur. Menschen mit hoher Zeitpr-ferenz fragen mehr gegenwrtige Konsumg-ter nach und bilden weniger Ersparnisse. Da-her kann man davon ausgehen, da in einerGesellschaft mit einer hohen ZeitprferenzrateErsparnisse eher knapp sind (Rate nennt manden Durchschnittswert). Wenn Ersparnisseeine handelbare Ware sind, wrde sich das

    darin uern, da der Preis fr diese Erspar-nisse ziemlich hoch wre. Dieser Preis fr Er-sparnisse ist nach Ansicht der meisten Vertre-ter der Wiener Schule nichts anderes als derZinssatz. Es handelt sich um den Preis vongegenwrtigen Gtern, ausgedrckt in zuknf-tigen Gtern. Das bedeutet: Wie viele zuknf-tige Gter verlangen Menschen, um auf ge-genwrtige Gter zu verzichten? Auch ohneGeld gbe es einen solchen Zinssatz. Es seiennicht die Zinsen, die Menschen zum Sparenbewegen. Zinsen seien vielmehr selbst derAusdruck des Verhltnisses zwischen Sparenund Konsum.

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    Aufgrund der positiven Zeitprferenz sindMenschen gegenwrtige Gter etwas wertvol-ler als zuknftige. Wenn sie also fr Fremdeauf diese Gter vorbergehend verzichten sol-len, erwarten sie sich ein Abgleichen diesesWertunterschieds. Ein Arbeiter hat beispiels-weise eben seinen Lohn von 2000 Euro erhal-ten, wovon ihm 1000 Euro zur eigenen Verf-gung bleiben, nachdem sich die Politik bedienthat. Nun bitten wir ihn darum, uns diese 1000Euro doch zu geben, wir wrden sie ihm ganzbestimmt im nchsten Monat zurckgeben.Verhungern mu er nicht, auf seinem Kontobefinden sich Ersparnisse im Umfang eines

    Monatslohns. Wir mgen ihm vorhalten, daes doch egal wre, ob er heute oder in einemMonat ber diese 1000 Euro verfgt. Derkonom bewertet dies zunchst nicht, son-dern beobachtet, da die allermeisten Men-schen eine solche Bitte eines Fremden zurck-weisen wrden. Erst dann lt er mit sich re-den, wenn ihm dieser Fremde anbietet, einenhheren Betrag zurckzuzahlen. Die Vertreterder Wiener Schule schimpften nicht ber dievermeintliche Gier des Arbeiters, sondern wa-ren davon berzeugt, da 1000 Euro nichtgleich 1000 Euro sind. Gter sind nicht objek-tiv bestimmt. Lieber den Spatz in der Hand

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    als die Taube auf dem Dach, sagt der Volks-mund. Gter, ber die man unmittelbar verf-gen kann, werden in aller Regel hher bewer-tet als exakt dieselben Gter, wenn man aufderen Verfgung warten mu. Selbst wenn dieRckzahlung vollkommen sicher wre, gbe esdiesen Wertunterschied aufgrund der Zeitpr-ferenz. Das Risiko einer ungewissen Rckzah-lung ist eine zustzliche Komponente, die denWertunterschied noch vergrert. Entschei-dend ist wiederum die Erwartung, denn dasRisiko lt sich nur im Nachhinein objektivbestimmen, nmlich dann, wenn es gar nichtmehr besteht.

    Wenn jemand etwas verleiht, bertrgt er auchdas Risiko, diese Gter zu verlieren. Wre dasnicht Anreiz genug, Fremden Geld zu leihen?Denn dabei mten diejenigen, die das Geldausgeliehen haben, ja dann darauf aufpassen.Hier widerspreche ich meinem Kollegen: Diemeisten Menschen schtzen das Risiko gerin-ger ein, wenn sie selbst ber etwas verfgen,als wenn Fremde darber verfgen. Risiken,die man selbst kontrolliert, werden systema-tisch unterschtzt. Das ist auch der Grund,warum sich die meisten Autofahrer fr ber-durchschnittlich gute und sichere Autofahrerhalten, was schon statistisch nicht mglich ist.

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    Auch im absoluten Gleichgewicht, wenn eskeine Vernderung und Ungewiheit mehrgbe, wrde man das Phnomen der Zinsenbeobachten. Da es sich bei Zinsen um denAusdruck einer Prferenz handelt, kann mandavon ausgehen, da diese Prferenz auchdann besteht, wenn sie sich nicht ausdrckenkann oder darf. Die unterschiedliche Bewer-tung von gegenwrtigen und zuknftigen G-tern lt sich also nicht per Gesetz aus derWelt schaffen. Wenn die Abgeltung derWertunterschiede verboten wre, wrdenMenschen Fremden keine Ersparnisse mehrzur Verfgung stellen oder Ausweichmanver

    einschlagen. Dann gbe es anstelle von Zinsenwohl Geschenke und allerlei Gebhren, wieman sie etwa im Islamischen Bankwesenbeobachten kann. Dies gilt allerdings nur beiunvernderten Prferenzen wenn wir dieMenschen also so betrachten, wie sie gegen-wrtig sind.

    Menschen mit hoher Zeitprferenz mu mansehr viel mehr zuknftige Gter bieten, damitsie auf ihre gegenwrtigen Gter verzichten.In kapitalarmen Gesellschaften, die durch ho-he Zeitprferenzraten gekennzeichnet sind,berrascht es nicht, extrem hohe Zinsstze zubeobachten. Zinsen setzen, wie andere Preise,

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    Anreize und haben eine Koordinationsfunkti-on. Hohe Zinsen machen es weniger attraktiv,gegenwrtige Gter aufzubrauchen, und att-raktiver, diese anderen anzubieten. Insbeson-dere eine zeitliche Koordination der Produkti-onsstruktur wird durch diese Preise ermg-licht. Wer Ersparnisse anbietet, kommuniziertden Mrkten: Momentan brauche ich Gter indiesem Ausma nicht, daher spare ich jetzt,um mir spter die Gter leisten zu knnen, dieich dann brauchen werde.

    Doch, wir sollten hier einen Moment innehal-ten, und diese seltsamen Mrkte etwas nherbetrachten, die heute so irrefhrend als Kapi-

    talmrkte bezeichnet werden. Scheinbar wer-den hier Geldsummen verkauft, und das istdoch eigenartig: Geld fr Geld zu verkaufen?konomisch ergibt dies erst Sinn, wenn wirdie Gegenseite dieser Kaufakte betrachten: InWirklichkeit werden auf diesen Mrkten Ver-sprechen gehandelt, nmlich Zahlungsverspre-chen. Diese werden handelbar, indem sie alsSchuldtitel erstellt werden, also gesetzlicheAnsprche auf zuknftige Zahlungen. DieZunahme des Handelns mit solchen Verspre-chen ist ein modernes Phnomen. Da Men-schen in immer grerem Ausma nicht mehrgegenwrtig vorhandene Gter, sondern Ver-

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    sprechen ber zuknftige Gter handeln, istein Hinweis auf eine Verschiebung des zeitli-chen Lots in den Lebenseinstellungen. Positivknnte man von einer greren Zukunftsori-entierung sprechen, negativ allerdings von ei-nem Leben auf Kosten der Zukunft. Ideenge-schichtlich ist diese Ausweitung des Verspre-chenshandels eng mit progressiven Ideologienverbunden, also solchen, die besonders fort-schrittsglubig sind und danach trachten, diebestehende Gegenwart zugunsten einer ideali-sierten Zukunft zu berwinden. Walter Bage-hot besttigt dies in seiner berhmten Be-schreibung des historischen Londoner Bank-

    wesens. Er schildet die Nhe zu den soge-nannten Whigs, den englischen Liberalen, diestets als Inbegriff progressiven Denkens galten:

    Doch in ihren Anfngen war die Bank ofEngland nicht nur ein Finanzierungsunter-nehmen, sondern ein Unternehmen derWhigs. Sie wurde durch eine Whig-Regierung gegrndet, da diese in verzwei-felter Geldnot war, und durch die urbanenKreise untersttzt, da diese Kreise vor-nehmlich aus Whigs bestanden.2

    2 Walter Bagehot (1873): Lombard Street: A Descripti-on of the Money Market. S. 47.

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    Warum kaufen Menschen Versprechen. Eshandelt sich eben um eine weitere Mglich-keit, aus angesparten Vermgenswerten einEinkommen zu erzielen. Einen bedeutendenUnterschied gibt es jedoch zu landwirtschaftli-chen Ertrgen oder anderen Kapitalertrgen,denen reales Kapital zugrunde liegt, das perDefinition eben etwas gnzlich anderes alsGeld ist: Eben der Umstand, da hier GeldGeld hervorbringen soll. Es gibt nur einennaheliegenden Weg, aus angesparten Geld-summen ein Geldeinkommen zu beziehen:Durch Enthorten, durch Aufbrauchen derErsparnisse. Ein Geldmarkt ist hier berhaupt

    keine Hilfe, denn 100 Geldstcke sind niemalsmehr als 100 Mal ein Geldstck. Die wunder-same Mehrung geschieht dadurch, da sowohlein laufendes Einkommen (aus Zinsenzah-lung) als auch die gesamte Stammsumme zu-rckgefordert wird. So knnte man von Er-sparnissen leben, ohne sie aufzubrauchen. Wiesollte das berhaupt mglich sein?

    Der einzige Weg dazu besteht in der Um-wandlung der Geldsumme durch den Darle-hensnehmer in Kapital, das eine solche Pro-duktivitt erzielt, da nicht nur ein laufendesEinkommen ber den geforderten Zinsen er-zielt wird, sondern zustzlich die gesamte

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    Stammsumme zurckverdient werden kann.Wie kann eine solche Investition aussehen?

    Sparen

    Zunchst mu man zwei Arten des Sparensunterscheiden: Das hortende und das investiveSparen. Horten bedeutet, da die Menschendie Gter oder Gelder, die sie nicht verbrau-chen, selbst aufbewahren. Investieren bedeu-tet, da diese Gter oder Gelder zum Kapital-aufbau genutzt werden. Wenn das die Sparernicht selbst in Angriff nehmen und ihre Er-sparnisse fr solch ungewisse Wagnisse aufsSpiel setzen, stellen sie ihre Ersparnisse ande-

    ren zur Verfgung, die das besser knnen sozumindest ihre Erwartung.

    Das Horten hat heute einen besondersschlechten Ruf. In der Tat sieht es danach aus,als wrden so der Wirtschaft Gter oder Geldentzogen. Kapital wird ihr keines entzogen,denn eine Mnze im Sparschwein ist ebennoch kein Kapital. Es ist schon erstaunlich,da man heute den Konsumenten so preistund den Hortenden so verunglimpft. Betrach-tet man die Sache ohne den Schleier des Gel-des wird die Absurditt dieser Wertung deut-lich. Wer alle Gter aufbraucht, soll einWohltter sein, wer etwas aufhebt hingegen

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    ein Egoist? Der Konsum entzieht im Gegen-satz zum Horten die Gter dauerhaft demUmlauf. Denn das Horten fhrt blo zu einerzeitlichen Verschiebung des Konsums. Diegehorteten Gter werden entweder eines Ta-ges konsumiert oder sie werden letztlich dochinvestiert. Das Horten ist die Voraussetzungder meisten Investitionen. Wrden die Men-schen ihr Einkommen nur entweder konsu-mieren oder sofort und unmittelbar investie-ren, knnten sie nur sehr kleine Schritte set-zen. Die greren Investitionen erfordern einelngere Vorlaufzeit des Ansparens. Ziel desHortens ist die Wertsicherung, um das wirt-

    schaftliche Handeln zeitlich besser einzuteilen.Es ermglicht den Konsum in der Not und dieInvestition bei sich bietender Gelegenheit.

    Moderne konomen kritisieren, da durchdas Horten die Umlaufgeschwindigkeit desGeldes sinkt. Ein mglichst rascher Umlauf,so diese konomen, wrde hherenWohlstand hervorbringen. Das ist ein Irrtum.Wenn drei Menschen im Kreis sitzen und dererste dem zweiten eine Mnze reicht, derzweite dem dritten und der dritte wiederumdem ersten, so hat jeder eine Mnze verdientund eine ausgegeben. Es sollte selbstverstnd-lich sein, da durch die Erhhung der Ge-

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    schwindigkeit des Weiterreichens keinWohlstand geschaffen werden kann. Zwarverlngern sich die Bilanzen dieser Tausch-partner betrchtlich, und sie knnten anfan-gen, uns mit Millionenumstzen zu bluffen.Doch wird ihr realer Wohlstand niemals stei-gen, solange nicht einer zu Horten beginntund diesen sinnlosen Umlauf beendet. InWirklichkeit geht es freilich um die realenGter und Dienstleistungen, die die Hndewechseln. Ein moderner konom wrde ein-wenden, da die drei angenommenen Perso-nen doch Gter und Dienstleistungen im Mil-lionenwert konsumiert htten. Wenn sie tat-

    schlich in diesem Umfang tauschen wollten,mten sie sich aber nicht so beeilen. Die G-ter werden durch Eile nicht mehr und besser,sondern eher weniger und schlechter. GutDing braucht Weile. Erhht sich derWohlstand von Robinson Crusoe und Frei-tag auf ihrer einsamen Insel dadurch, da siedie Tauschrate erhhen? Da also Robinson,sobald er einen Fisch gefangen hat, sogleich zuFreitag luft, um so schnell wie mglich zutauschen? Das Gegenteil ist wahrscheinlicher.

    Doch, wenn Robinson hortet, also all seineFische ruchert und selbst aufhebt, anstatt siezu tauschen, kommt da nicht die Wirtschaft

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    zum Erliegen? Erleidet nicht Freitag einenSchaden? Die vermeintlich objektive Perspek-tive ist auch hier vollkommen verfehlt. WennRobinson seinen Fisch aufheben oder selbstessen will, dann will er eben das, dann sind daseben seine Prferenzen er wird seine Grndedafr haben. Es gibt keine optimalen Prfe-renzen, auch wenn Besserwisser anderes lieberhtten. Freitag kann sich eine hypothetischeWelt wnschen, in der Robinson mit ihmtauscht, das hat aber wenig Sinn. Freitag gehtes womglich schlechter als im Vergleich zueiner hypothetischen Welt, in der seine Mit-menschen andere Prferenzen haben, als das

    eben in der Realitt der Fall ist. Doch ein sol-cher Vergleich ist sinnlos. Robinson schadetFreitag nicht, denn ohne Robinson ginge esFreitag auch nicht besser. Robinson entschei-det sich eben gegen die Teilnahme am Marktmit Freitag. Wenn ihn das Tauschen seinenZwecken nicht nher bringt, gibt es fr ihnauch keinen Grund dafr. Der Markt istschlielich kein Selbstzweck, sondern ein blo-es Mittel fr menschliche Zwecke.

    Wenn Menschen ein bestimmtes Gut oderGeld horten, dann uern sie eine hhereNachfrage nach diesem Gut oder Geld. DieFolge davon ist, da die Preise fr das gehor-

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    tete Gut steigen. Das wiederum bedeutet, dadie Preise aller anderen Gter, ausgedrckt imgehorteten Gut oder Geld, sinken. Ein Fi-scher, der seinen Fisch selbst behlt, schdigtseine Industrie nicht, sondern beschert seinenKollegen ganz ohne Absicht ein hheres Ein-kommen.

    Betrachten wir im Gegensatz dazu das geprie-sene Investieren und wir sehen, da der Ge-gensatz gar nicht so gro ist. Wie kann einMensch sein Einkommen einsetzen, um einhheres Einkommen zu erzielen? Zunchstgeht es gar nicht anders als durch hortendesAnsparen, denn Kapitalgter sind nicht in

    beliebig kleinen Portionen im Supermarkterhltlich. Bei Kapital handelt es sich um denEinsatz von Produktionsfaktoren an den rich-tigen Stellen zur richtigen Zeit. DasjenigeKapital, das am nchsten liegt, wird meistbersehen, weil es unsichtbar ist. Was bentigtder kleine Angestellte, der mit dem Gedankenspielt, selbst ein Unternehmen zu wagen, alserstes? Zeit und Mue! Die berarbeitetenSchuldknechte unserer Zeit haben alle Hoff-nung auf selbstgewhlte Produktivitt aufge-geben, weil sie am Feierabend nur noch er-schpft in den Fernsehsessel fallen knnen.Mue hat aber auch eine materielle Grundla-

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    ge: Hinreichende Ersparnisse, um eine Weiledavon leben zu knnen. Ein solcher Einsatzvon Ersparnissen, mit dem Ziel, etwas Neuesund Besseres in der gewonnenen Zeit hervor-zubringen, ist investiver Kapitalaufbau. Diezweitnchste Mglichkeit zur Investition istdie Nutzung eigener Ersparnisse zur Verf-gung ber die Zeit fremder Menschen: Mitar-beiter. Historische konomen sprachen hier-bei von einem Lohnfonds: Auch diese Mitar-beiter, die mithelfen, etwas Zuknftiges zuschaffen, mssen in der Gegenwart von etwasleben.

    Darlehen

    Sehen wir uns nun die Dynamik eines Darle-hens nher an. Oft sind diejenigen, die Er-sparnisse aufgebaut haben, nicht diejenigen,die die besten Ideen zum Kapitalaufbau haben.Sie wrden gerne auf ihre gegenwrtigen G-ter verzichten, da sie diese momentan nichtbentigen, aber nur, wenn sie dafr in Zukunftetwas mehr oder etwas bessere Gter erhalten.Warum verborgen sie ihre Gter nicht kosten-los an diejenigen, die vorgeben, sie besser ein-setzen zu knnen? Erinnern wir uns, da diekonomie moderner Gesellschaften im We-sentlichen die Beziehungen zwischen sich

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    fremden Menschen betrachtet. Zeitlich fernereErtrge werden eben nicht gleich hoch bewer-tet werden wie nhere Ertrge. Da fr denTausch zwischen zwei Seiten gegenlufigePrferenzen die Voraussetzung sind, wrdenwir ohne die Aussicht auf einen hheren zu-knftigen Ertrag kaum freiwilligen Geldver-leih unter Fremden beobachten. Der Aus-tausch von gegenwrtigen gegen zuknftigeGter ist ja nichts anderes als ein Tausch in derZeit.

    Mein Kollege Jrg Guido Hlsmann hat dieZinstheorie weiterentwickelt. Er erklrt denWertunterschied, der durch Zinsen ausge-

    drckt wird, in allgemeinerer Weise als diesdie Wiener Schule bisher tat. Die unterschied-liche Bewertung aufgrund der Zeitprferenzhlt er blo fr einen Spezialfall. Wesentlichgrundlegender sei vielmehr der Unterschiedzwischen Mitteln und Zwecken. Die Zweckewerden eben stets hher bewertet als die Mit-tel, denn letztere werden ja erst wertvoll, weilwir sie fr unsere Zwecke als tauglich erken-nen. Wenn wir vor der Wahl stehen, entwederunsere Zwecke erreicht zu sehen oder die Mit-tel dazu in die Hand zu bekommen, ziehen wirersteres vor. In der Regel stehen die Mittelzeitlich vor dem Erreichen der Zwecke, darum

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    ist die Zeitprferenz meist eine hinreichendgute Erklrung fr den Wertungsunterschied.Doch dies sei, so Hlsmann, nicht notwendig.

    Sofern wir mit Fremden zu tun haben, gehenwir davon aus, da es kein Selbstzweck fr unsist, da diese ber unsere Mittel verfgen. Wirsind in aller Regel nur dann bereit, auf Mittelvorbergehend zugunsten anderer zu verzich-ten, wenn uns dies unseren eigenen Zweckennher bringt. Was nicht Selbstzweck fr unsist, ist entweder ein Mittel fr uns oder es istschlicht nicht Gegenstand unseres Handelns.Die Bezahlung von Zinsen macht den Geld-verleih zu einem Mittel, der auch den Glubi-

    ger seinen Zwecken nher bringt, nicht nurden Schuldner. Selbstverstndlich gilt dies nurunter der Annahme, da es eben kein Selbst-zweck des Glubigers ist, dem Schuldner seinGeld anzuvertrauen. Der denkbare Fall, daauch das zinslose Darlehen den Glubiger sei-nen Zwecken nher bringt, weil er so das Ver-lustrisiko und womglich gar das Verschwen-dungsrisiko an den Schuldner abtritt, ist auspsychologischen Grnden eher unwahrschein-lich. Wie schon oben erwhnt, neigen Men-schen dazu, sich stets als berdurchschnittlichzuverlssig zu betrachten, und da der Fremdeper Definition nicht gut bekannt ist, wird die

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    Risikoerwartung, die sich am Durchschnittoder gewissen Vorurteilen orientiert, im Ein-zelfall oft ber dem realen Risiko liegen.

    Ein grundstzliches Problem haben die Reli-gionen erst mit dem Gelddarlehen. Geld ge-biert kein Geld, so die alte aristotelische Ein-sicht, die sich konomisch wie folgt erklrt:Um mehr hervorzubringen als man aufwendet,mu man das Geld ausgeben und einsetzen,um Kapital aufzubauen. Damit ist das Geldallerdings fort. Wenn man alles richtig ge-macht hat und zustzlich noch ungewhnlichviel Glck hat, wird die aufgebaute Kapital-struktur einen Ertrag bringen, mit dem man

    nach und nach die ausgegebene Summe zu-rckverdienen kann. In der Mehrzahl der Fllegeht das allerdings nicht gut. Dann kann mandas unergiebige Kapital nicht einfach wiederzu Geld machen. Eine Kapitalstruktur, dielangfristig nicht mehr hervorbringt als fr sieaufgewandt wurde, ist kaum von Wert. Oftbleibt nur der Schrottwert oder man mu so-gar noch Geld nachschieen, um den Schrottwegzurumen, den man flschlicherweise frKapital gehalten hat.

    Nun wird der Kredit fllig. Was macht derSchuldner? Wenn er die Mglichkeit hat, sichder Zahlung zu entziehen, hat der Glubiger

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    einen Verlust gemacht. Das wre der Fall ineiner Rechtsordnung, die eine solche Zah-lungsunfhigkeit zult, um den Schuldner zuschtzen. Doch in einer solchen Rechtsord-nung wren die Risikoprmien naturgemsehr hoch und damit auch die Zinsstze. JedesDarlehen wre dann eigentlich eine riskanteBeteiligung. Es ist wesentlich wahrscheinli-cher, da auch der Glubiger dann eine andereRechtsform vorziehen wrde. Er wrde seineSicherheit dadurch steigern wollen, Miteigen-tmer der entstehenden Kapitalstruktur zuwerden und im Erfolgsfalle mehr verdienen zuknnen. Angesichts der Tatsache, da die

    Mehrzahl der Unternehmensgrndungenscheitert, spricht man bei der Finanzierungdurch Fremdkapital von drei Quellen dendrei berhmten Fs: family, friends, and fools.Familie, Freunde und Narren. Darum ist esplausibler, da die Finanzierung auf Eigenka-pitalbasis erfolgt: Das bedeutet, durch eigeneErsparnisse oder einen Mitunternehmer, derdas Risiko mittrgt, mit dem man aber auchallfllige Ertrge teilt.

    Frhere Rechtsordnungen schtzten denGlubiger wesentlich strker, als das heute derFall ist. In solchen Rechtsordnungen ist frei-lich auch das Zinsniveau deutlich niedriger.

  • 29

    Die historische Zinskritik entzndete sich anden Hrtefllen einer solchen Rechtsordnung.Was geschieht mit einem Schuldner, dessenUnternehmen gescheitert ist? Das Geld, das erausgeborgt hat, mu er ausgegeben haben,sonst htte er nmlich berhaupt keine Chan-ce gehabt, einen Mehrertrag zu erwirtschaften,aus dem er Zinsen bezahlen kann. Wenn erohnehin selbst hinreichend groe Ersparnissehtte, bruchte er kein Geld auszuborgen. Wirknnen also davon ausgehen, da bei ihm nunnichts mehr zu holen ist.

    Wie kommt der Glubiger zu seinem Recht?Alte Rechtsordnungen gingen mit dem

    Schuldner ziemlich hart um. Entweder wurdeer in den Schuldturm eingesperrt und darinsolange in Geiselhaft gehalten, bis er das Geldbei Familie oder Freunden aufgetrieben hatte.Oder er kam in Schuldknechtschaft, das heiter hatte unter sklavenartigen Verhltnissensolange zu schuften, bis die Schuld abgetragenwar. So setzte sich die Einsicht durch, daletztlich der Schuldner der Sklave des Glubi-gers sei. Und da der Glubiger zu UnrechtNutznieer des Zinses sei. Denn jener ver-dient sowohl im Fall des Erfolgs der Unter-nehmung, als auch im Fall des MierfolgsZinsen. Nur der Schuldner verliert seine Exis-

  • 30

    tenz. Dieser Fall kommt einem risikolosenZins nahe. Und es ist eben ein solcher risiko-loser Zins, der eigentlich dem theologischenBegriff des Wuchers entspricht. Es handeltsich um ein Einkommen ohne eigene Leis-tung, weder durch Arbeit noch durch Risiko-bernahme. Die religisen Vorbehalte wrenalso durchaus berechtigt. Im Gegensatz zumeinem Kollegen halte ich es aber fr not-wendig, die Unterschiede der Gegenwart str-ker ins Auge zu fassen: Durch radikalen Wan-del des Rechtes ist das Risiko bei Darlehenheute wesentlich hher. Da sich in der Realittallerdings die Risikoprmie nicht von Zinsen

    im engeren Sinne unterscheiden lt, wre einZinsverbot verfehlt.

    Das Problem hat aber eigentlich eine andereWurzel. Es ist fraglich, warum Darlehens-mrkte berhaupt geeignete Instrumente derUnternehmensfinanzierung sein sollten. Beikonstanter Geldmenge mu nmlich notwen-digerweise die Nominalrendite von Investitio-nen im Durchschnitt null sein. Das heit, einehhere Produktivitt kann sich nur in sinken-den Preisen ausdrcken, nicht aber in imDurchschnitt hheren Geldertrgen. Trotzdemknnte eine Investition in ein Unternehmenmehr als die eingesetzte Stammsumme erwirt-

  • 31

    schaften, allerdings wre das eher der Aus-nahmefall. Bei konstanter Geldmenge ist eskaum denkbar, da im Regelfall Darlehentatschlich zuzglich Zinsen innerhalb vonwenigen Jahren zurckgezahlt werden knnen.Erinnern wir uns: Das durch die eingesetztenErsparnisse aufgebaute Unternehmen mtenicht nur ein Einkommen erwirtschaften, son-dern noch zustzlich ein so groes Geldein-kommen, da daraus nach Abzug aller Kostenauch die gesamten eingesetzten Ersparnissezurckverdient werden. Bei konstanter Geld-menge wrden daher Unternehmensbeteili-gungen gegenber Darlehen bevorzugt wer-

    den, da auf diese Weise ein Einkommen er-zielt werden kann, whrend die Stammsummezu einem festen Vermgenswert werden kann.Dieser mu nicht in Geld bestehen und mudaher auch nicht eilig wieder aus dem Unter-nehmen entnommen werden. Ein gewichtigesArgument auf Seite des Unternehmers gibt esfr Darlehen: Sie erlauben eine Finanzierungmittels Fremdkapital, was eben bedeutet, dader Grad der Einmischung wesentlich geringerist. Doch die so erzielte Freiheit ist wie so ofteine Scheinfreiheit: Anstelle des sich einmi-schenden Investors tritt der kalte Geldgeber,der ebenso kalt auf die Rendite schielt. Und

  • 32

    die dazu ntigen Durchschnittsrenditen zurBezahlung der wachsenden Zinsenlast lassensich eben nur durch Geldmengenausweitungerreichen.

    Kreditausweitung

    Wir mssen also zur Klrung des Zinsenph-nomens die Geldmengenausweitung betrach-ten, die heute vor allem eine Kreditausweitungist. Neben ihrer Funktion als Lagersttte, diehandelbare Lieferscheine ausstellt, wurdenBanken zunehmend dazu herangezogen, zwi-schen Kreditgebern und Kreditnehmern zuvermitteln. Bald bestand diese Vermittlungnicht mehr blo darin, Sparer und Kreditsu-

    chende zusammenzufhren. Die Banken be-gannen, in zunehmendem Ausma eine Um-wandlungsfunktion auszuben. Einerseits be-steht diese in der Lostransformation. Das ist dertechnische Ausdruck fr die Umwandlungzwischen verschieden groen Summen (Lo-sen) durch Zusammenfassung und Auftei-lung. Diese Umwandlung hat die Anonymisie-rung der Kreditvergabe eingeleitet: Die Bankvermittelt nun nicht mehr zwischen einemkonkreten Schuldner und einem konkretenGlubiger, sondern zwischen greren Grup-pen von Schuldnern und Glubigern. Damitverlieren die Glubiger die Kontrolle darber,

  • 33

    fr welche Zwecke ihre Mittel eingesetzt wer-den, und die Schuldner die Kontrolle darber,woher die Mittel fr ihre Kredite stammen.Die Mglichkeiten der Kreditvergabe begin-nen sich jedoch erheblich auszuweiten. DieBank sammelt die Einlagen der Sparer undvergibt daraus Kredite unterschiedlicher Gr-e.

    Eine wesentliche Beschrnkung jedoch blieb:Die Zeitrume, fr die Sparer ihre Mittel bin-den wollen, unterscheiden sich. Ebenso unter-scheiden sich die nachgefragten Zeitrume frdie Kreditrckzahlung, die die Schuldner wn-schen. Das fhrt zu einer groen Einschrn-

    kung der Mglichkeiten fr die Kreditvergabe.Die Bank mu stets Einlagen und Kredite mitgleichen Fristen zusammenfhren. In der Mo-derne suchten die Banken eine Mglichkeit,diese Einschrnkung zu berwinden. Diesefanden sie in der Fristentransformation. Dabeihandelt es sich um die Umwandlung der Bin-dungszeitrume von Ersparnissen.

    Geld, das die Banken als Kredite vergeben, istnaturgem nicht mehr bei der Bank vorhan-den. Dies wrde es an sich unmglich machen,da ein Einleger jederzeit und ohne Kndi-gungsfrist auf sein Geld zugreifen kann. DieEinlage auf ein Konto ist daher etwas anderes

  • 34

    als eine Sparanlage. Bei einer Einzahlung aufein Konto handelte es sich historisch um einVerwahrungsgeschft, bei der in der Bankbi-lanz einer Zunahme der Reserven auf der Ak-tivseite eine neuen Verbindlichkeit in gleichemAusma auf der Passivseite gegenbersteht.

    Ganz anders verhalten sich die Dinge bei ei-nem Kredit. Dabei verzichtet der Einleger freinen gewissen Zeitraum auf die Verfgungber seine Ersparnisse. Diese werden als Dar-lehen vergeben. Die Bank verdient hierbeiber eine Zinsdifferenz: Sie verrechnet demSchuldner einen hheren Zinssatz als sie demGlubiger bezahlt. Der Sparer wird also zum

    Glubiger der Bank, die bei diesem ein Darle-hen aufgenommen hat. Aus den aufgenom-menen Mitteln vergibt sie wiederum selbst einDarlehen.

    Nach Ablauf der Bindungsfrist und der Dauerdes Kredites wird das Geschft rckabgewi-ckelt, und der Bank verbleibt die Zinsdiffe-renz. Dafr trgt sie das Risiko des Zahlungs-ausfalls durch die Kreditnehmer. Dieses Risikominimiert die Bank durch Sicherheiten. Damitsind Ansprche auf Sachwerte und Einkom-mensflsse gemeint, die der Bank bei Zah-lungsausfall zustehen. Das einfachste Beispielfr eine Kreditvergabe gegen Sicherheiten ist

  • 35

    die Pfandleihe: Hierbei werden bestimmteSachgter fr die Kreditsumme hinterlegt, diedem Geldverleiher zufallen, wenn der Schuld-ner den Kredit nicht zurckzahlen kann.

    Bei der Pfandleihe oder Hypothek in ihrerhistorischen Form stand dem hinterlegtenSachwert ein entsprechender Sachwert in Me-tallgeld gegenber, das whrend der Dauer desGeschfts anderer Verfgung entzogen wurde.Ein solches Geschft hnelt einem Verkaufmit Rckkaufsrecht. Man verkauft etwa demPfandleiher eine Uhr deutlich unter demdurchschnittlichen Marktpreis und bekommtdafr die Bedingung zugestanden, da diese

    Uhr fr einen festen Zeitraum nicht weiterver-uert werden darf. Nach Ablauf des Zeit-raums hat man dann das Vorkaufsrecht zueinem vorher festgelegten Preis. Wir sehen,da sich solche Geschfte auch ohne Vergabeeines Darlehens durchfhren lassen, und den-noch genau dasselbe Resultat zeigen inklusi-ve der Preisdifferenzen, die ansonsten als Zin-sen bezeichnet wrden. Hier wird auch wiederdas Problem historischer Zinsverbote deutlich.In der Tat werden im islamischen Bankwesen,welches das religise Wucherverbot zu respek-tieren versucht, Darlehensgeschfte in hnli-cher Weise ersetzt.

  • 36

    Problematisch wird die Sache erst, wenn wirnher betrachten, woher die Mittel kommen,die der Verleiher als Kredite vergibt. Der his-torische Pfandleiher vergibt nur im Ausmaseiner eigenen Ersparnisse Kredite. Sobald ereinen Kredit vergeben hat, tauscht er die Ver-fgung ber seine liquiden Mittel gegenSachwerte, die er nicht veruern oder vermie-ten darf. Daher ist seine Kreditvergabe engbeschrnkt. So erstaunt es nicht, da Pfandlei-her in kapitalarmen Lndern besonders unbe-liebt sind, weil sie exorbitante Zinsen verlan-gen. Die Mikrokreditbewegung entschuldigtihre hohen Zinsforderungen meist im Ver-

    gleich zu lokalen Pfandleihern: Raten von1000 Prozent und mehr lassen auch noch 100Prozent Zinsen als moderat erscheinen. Dasbedeutet, man mu nach einem Jahr nur diedoppelte, nicht die elffache Summe zurck-zahlen. Die hohen Zinsstze werden abermeist aus sehr kurzen Kreditlaufzeiten hoch-gerechnet. Wer heute einen Euro ausborgtund morgen einen Euro und drei Cent zu-rckbezahlt, leistet einen Zins, der auf ein Jahrhochgerechnet mehr als 1000 Prozent entspr-che.

    Eine Hypothek ist hnlich einschrnkend. DerGeldverleiher vergibt Geld, mit dem er selbst

  • 37

    Kapital aufbauen und ein Einkommen gene-rieren knnte, gegen die Sicherheit einer Im-mobilie, die er selbst nicht nutzen kann. Daman auf verliehene Ersparnisse selbst verzich-ten mu, galt es stets als schwierig, an Kreditezu gelangen. Selbst die Machthaber klagtenstets darber, an zu wenig flssige Mittelgelangen zu knnen und erdachten immerneue Tricks, ihre Schatztruhen zu fllen. Inden deutschen Lndern kam nach der Bauern-befreiung ein pltzlicher Geldbedarf in gro-em Ausma auf, da die einstigen Grundherr-schaften durch buerliche Grundstcke abge-

    lst wurden, fr die von den Bauern festge-setzte Summen zu zahlen waren.

    Frher war Geld im Alltag eher eine Ausnah-meerscheinung; es war ein beschrnktesHilfsmittel fr die wenigen indirektenTauschakte. In der Moderne wurde Geld all-gegenwrtig. Seine Flexibilitt weckte neueBegehrlichkeiten. Die frhen, utopischen So-zialisten maen dem Geld besondere Bedeu-tung bei. Sie erwarteten sich von einer breite-ren Kreditvergabe wahre Wunder. Eine hnli-che Ideologie fand sich hinter der US-Immobilienkrise. Doch wie lieen sich dieBeschrnkungen der Kreditvergabe aus dem

  • 38

    Weg rumen? Der Weg ber die Bildung gr-erer Ersparnisse schien nicht befriedigend.Einerseits erfordert dieser viel Geduld undgeeignete Rahmenbedingungen: Abwesenheitvon Krieg und utopischen Gesellschaftsexpe-rimenten. Andererseits machte er eben abhn-gig von den Sparern, die als Kapitalisten ver-unglimpft wurden. Den bermtigen Revolu-tionren waren diejenigen mit den grtenErsparnissen oft reichlich unsympathisch: br-gerliche und langweilige Existenzen, die lieberin ihre eigenen Unternehmungen investierten,anstatt ihr Geld einzusetzen, um eine neueGesellschaft hervorzubringen.

    Die ntige Innovation, um gegen diese unbe-quemen Knappheiten vorzugehen, lieferten dieBanken. Sie wandten schlicht jene Entde-ckung, die sie bei den Banknoten gemachthatten, nun auch auf die Ersparnisse an. Obdie Menschen ihr Vermgen in Banknotenhielten oder in Kontoguthaben, in beiden Fl-len griffen sie relativ selten auf das tatschlicheGeld zu, das einst in den Banktresoren lag.Von einem tglich flligen Konto kann manzwar jederzeit abheben, tut dies aber klarer-weise nicht zu jedem Zeitpunkt. Mit Geld, dasblo in den Tresoren liegt, kann eine Bankaber nichts verdienen, abgesehen von den

  • 39

    Verwahrungs- und Kontofhrungsgebhren.Geld, das sie hingegen ber Kredite vergebenkann, erlaubt ein Zinseinkommen. Doch nichtalle Einleger sind dazu zu gewinnen, ihr Geldzu binden, das heit, fr einen festen Zeit-raum auf die Verfgung darber zu verzichten.

    Von Anbeginn an sollten Banken gerade auchZahlungen erleichtern. Dazu ist es ntig, dadie Einleger ber die verwahrten Betrge ver-fgen knnen. Sonst knnten sie ja auch keineZahlungen leisten. Solche Betrge, die nichtgebunden sind, nennt man Sichteinlagen. Wa-rum behalten die Kunden ihr Geld nicht,wenn sie darber verfgen wollen? Eine Sicht-

    einlage bietet dem Bankkunden den Vorteil,das Risiko von Verlust oder Diebstahl an dieBank bertragen zu knnen. Denn selbst wenndie Bank das auf Sicht anvertraute Geld ver-liert, bleibt die Verbindlichkeit in der Bilanzgegenber dem Kunden in voller Hhe beste-hen.

    Daher hnelt ein Verwahrungsgeschft aucheinem sich automatisch erneuernden Kreditmit krzest mglicher Laufzeit. Einst wurdedies rechtlich streng unterschieden, das mo-derne Recht jedoch verabsumt diese Unter-scheidung. Das ist ein rechtlicher Mangel,denn es macht einen groen Unterschied, ob

  • 40

    man jemandem Werte anvertraut, um diese zuhten, oder sie jemandem zum Aufbrauchenberlt im Vertrauen, dafr rechtzeitig einenErsatz zu bekommen. In der Tat entsprechenheutige Sichteinlagen Krediten, die der Bank-kunde der Bank gibt ohne aber von der BankSicherheiten zu bekommen, wie sie dies vonihren eigenen Schuldnern so akribisch einfor-dert. Dafr erhlt der Bankkunde heute auchbei tglich flligem Geld Zinsen, allerdings,abzglich Kapitalertragssteuer, in so geringerHhe, da sie bei den meisten noch unter denKontofhrungsgebhren liegen. Dabei ist esden Banken gelungen, die Bequemlichkeit

    einer Sichteinlage fr den Kunden mit denVorzgen einer Spareinlage fr die Bank zuverbinden und eben leider auch zu vermi-schen.

    Dies wurde durch oben erwhnte Fristentrans-formation mglich. Da die Spareinlagen nachAblauf der Bindung oft nicht gleich abgeho-ben werden, sondern bei der Bank verbleiben,scheint es nicht ntig zu sein, eine genauebereinstimmung der Fristen von Einlagenund Krediten einzuhalten. Die Bank kann sohher verzinste Kredite mit lngerer Laufzeitaus Mitteln vergeben, die aus niedriger ver-zinsten Spareinlagen mit krzerer Laufzeit

  • 41

    stammen. Die Sparer, die ihre Einlagen nachBindung zur Gnze beheben wollen, kann dieBank mit dem Geld neuer Einleger ausbezah-len. Seitdem auch Sichteinlagen de facto alssich selbst erneuernde Kredite an die Bankinterpretiert werden, knnen auch diese frDarlehen verwendet werden. Die Umwand-lung der Fristen besteht darin, da Einlagenmit Laufzeit null fr Darlehen mit Laufzeitenvon vielen Jahren verwendet werden. Dadurchentsprechen sich aber die Flligkeiten nichtmehr, und es kann zu Engpssen kommen.Wenn pltzlich viele Kunden ihre tglichflligen Gelder beheben wollen, gehen die

    liquiden Mittel aus. Liquide in diesem Sinnesind Mittel, die flssig sind, ber die manalso sofort verfgen kann. Ein langfristigerKredit steht zwar in voller Hhe als Forderungin der Bilanz der Bank, kann aber nicht sofortverflssigt oder liquidiert werden. Geradeweil der Schuldner nicht sofort ber die ge-samte Summe zahlungsfhig ist, hat er ja einenKredit aufgenommen, den er ber einen lnge-ren Zeitraum nach und nach abtrgt.

    In heutigen Banken dienen die Tresorrumenur noch den Bankschliefchern. Ansonstenliegt erstaunlich wenig Geld in den Filialen.Grere Abhebungen mu man vorher an-

  • 42

    melden und der Bank Zeit geben, diese Betr-ge aufzutreiben. Es reicht, da nur ein kleinerProzentsatz der Bankkunden sich dazu ent-schliet, ihre Guthaben abzuheben, damit dieBank Zahlungsprobleme bekommt. Doch so-bald eine Bank den Eindruck weckt, die ange-legten Gelder womglich nicht ausbezahlen zuknnen, setzt eine verheerende Dynamik ein:Es wollen immer mehr Leute ihr Geld abhe-ben und in Sicherheit bringen, soda die Zah-lungsprobleme immer grer werden. DieSorge um ihr Geld kann Menschen schnell zurPanik bewegen. Diese Dynamik nennt manbank run. In einem solchen Fall mu die Bank

    schlieen und ihre Kunden abweisen, diedrauen wtend Schlange stehen.

    Was macht die Bank, wenn ihr das Geld aus-geht? Sie borgt es sich selbst aus. Sie kann dasentweder bei anderen Banken tun oder bei derZentralbank. Diese wurde mit dem Vorwandgegrndet, mehr Stabilitt ins System zu brin-gen. Tatschlich bringt diese den Banken nurmehr Stabilitt im Sinne einer zustzlichenMglichkeit der Geldschpfung. Das Systemwurde dadurch noch fragiler, denn es fiel eineweitere Schranke, die der Kreditausweitungbislang gesetzt war. Die Zentralbank agiert alslender of last resort, als letzter Glubiger der

  • 43

    Banken. Woher aber nimmt die Zentralbankdas Geld, das sie den Banken borgt?

    Das ist einfach: Die Zentralbank ist derGeldmonopolist und kann es daher selbst dru-cken. Dabei mu sie allerdings ausgeglichenbilanzieren. Das bedeutet: Fr eine zustzlicheVerbindlichkeit auf der Passivseite, also dieAusgabe von Geld, mu sie eine zustzlicheForderung auf der Aktivseite aufnehmen, alsoeinen neuen Schuldtitel. Die Vorschriften dar-ber, welche Arten von Forderungen sie in dieBilanz aufnehmen darf, bestimmen letztlichber ihre Mglichkeiten, die Geldmenge aus-zuweiten. Da Bilanzen die meisten Laien ab-

    schrecken, handelt es sich hierbei um eine sehrpraktische Maskierung fr inflationre Politik.Heutige Zentralbanken drfen beispielsweisemehr oder weniger willkrlich bewertete Kre-ditpakete als Aktiva aufnehmen. Das bedeutet,die Zentralbank kann im selben Ausma Gelddrucken wie sie solche Schuldtitel erwirbt. DasZuschieen von frisch geschpftem Geld andie Banken, das heute zunchst meist nur ausvirtuellen Anweisungen besteht, die perKnopfdruck generiert werden knnen, wird zuallem berdru noch Offenmarktpolitik ge-nannt. Dies deshalb, weil die Zentralbank di-rekt auf den Finanzmrkten agiert. Mit Markt,

  • 44

    wie ihn die sterreicher verstehen, hat dasfreilich gar nichts mehr zu tun. Das gesamteFinanzsystem eignet sich also hervorragendzur Schuldenpolitik und Schuldenwirtschaft;es ist fr diese Zwecke gewissermaen mage-schneidert.

    Zinseszins

    Doch ist es nicht schon das Phnomen derZinsen selbst, das dieses malose, exponentiel-le Wachstum erfordert? Diese Befrchtungwird illustriert durch das Gedankenexperimentdes sogenannten Josefspfennigs: Wenn Josefbei Jesu Geburt einen Bausparvertrag mit ei-nem Pfennig Einlage abgeschlossen htte, der

    immerfort bis heute weitergelaufen wre, dannwrde Jesus bei seiner Wiederkehr ber mehrGeld verfgen, als es auf dem gesamten Plane-ten gibt.

    Solche Beispiele sind stets etwas verblffend,weil Menschen exponentielles Wachstummeist unterschtzen. Ein anderes, noch lteresMrchen zeigt dies: Ein bermtiger Knigwird durch die Erfindung des Schachspiels zurVernunft gebracht, und zwar insofern, als eranhand des Spiels erkennt, da er ganz alleinohne Bauern und Hofstaat nichts auszurichtenvermag. Dem Erfinder des Spiels, einem Wei-sen, verspricht er daher einen Lohn seiner

  • 45

    Wahl. Der Weise aber verlangt folgendesPreisgeld: Mein Knig, legt auf das ersteSchachfeld ein Korn Getreide, auf das zweiteFeld zwei Krner, auf das dritte vier Krner.Setzt das weiter so fort, indem ich jeweils aufdas nchste Feld die doppelte Anzahl an Kr-nern legt als auf das vorherige. Der Knig istzunchst erleichtert, so billig davon zu kom-men. Er erwartet, da das Ergebnis ein wohlbeachtlicher, aber doch berschaubarer Hau-fen Getreide sein mte. Tatschlich betrgtdie Gesamtsumme jedoch 18,4 TrillionenKrner oder fast eine Billion Tonnen Getrei-

    de. Das entspricht in etwa dem 1500-fachender gegenwrtigen Weizenernte.

    Verzinste Guthaben zeigen eine zwar nichtganz so starke Steigerung, aber letztlich ebensoeine exponentielle Zunahme; allerdings nurdann, wenn die Zinsen nicht ausgeschttet,sondern der Stammsumme stets hinzugefgtund mitverzinst werden. Man spricht dannvon einer Thesaurierung, abgeleitet vom grie-chischen Wort Thesauros, das Schatzhausbedeutet. Dieser Wachstumseffekt wird durchden so genannten Zinseszinseffekt verursacht.Einen solchen Effekt zuzulassen, gilt vielenKritikern als Inbegriff eines kurzfristigen

  • 46

    Wirtschaftssystems, dem es an Nachhaltigkeitfehlt. Diese Kritik ist berechtigt, doch dieSchlsse die daraus gezogen werden, sindmeist die falschen.

    Der Zinseszins hngt davon ab, fr welcheLaufzeiten Zinsen berechnet werden. Amstrksten ist der Effekt, wenn stndig neu ver-zinst wird, und der anfallende Zins sofort derzu verzinsenden Stammsumme beigefgt wird.Ein Zinseszinseffekt entsteht also nur bei lau-fender Neuveranlagung. Wenn man jemandemeine Summe fr einen festen Zeitraum zurVerfgung stellt und diese am Ende diesesZeitraums zuzglich eines Zinsaufschlags zu-

    rckfordert, tritt kein Zinseszins auf. Erst beilaufendem Anwachsen des Darlehens um dieZinsen, kann es zur Verzinsung der Zinsenkommen. Das wre nur dann der Fall, wennder Schuldner nicht einmal die Zinsen zurck-zahlen kann und auch die zu zahlenden Zinsenzustzlich als neuen Kredit aufnimmt. Manmu schon ziemlich dumm oder unverfrorensein, seine Zinsen durch immer neue Schuldenzurckzahlen zu wollen. Auf diese Weisewchst die Schuldenlast nmlich in der Tatexponentiell. Systematisch macht so etwas nurder Staat.

  • 47

    Wir kennen den Zinseszinseffekt in der Regelvon unseren Spareinlagen. Der Zinsertrag ei-nes Jahres wird der Einlage hinzugefgt undnun weiter mitverzinst. Wenn die Bank nichtderart vorgehen wrde, htten wir einen An-reiz, den Zinsertrag abzuheben und bei eineranderen Bank anzulegen. Da unser Vermgenum den Zinsertrag gewachsen ist, und wir die-sen Ertrag ja auch ausgeben oder anderswieveranlagen knnten, ist es fr die meisten ganzselbstverstndlich, auch dafr Zinsen zu be-kommen. Die Thesaurierung ist nicht an sichschlecht, denn sie weist einen Weg zum Ver-mgensaufbau, der diejenigen belohnt, die

    Gewinne nicht abschpfen, sondern rein-vestieren.

    Hier allerdings liegt der Kern des Problems.Jede reale Investition ist mit Risiko verbunden.Wenn es den Verwaltern des Josefspfennigstatschlich gelnge, immerfort ber mehr als2000 Jahre hinweg bei jeder Investitionsent-scheidung richtig zu liegen, dann mten wirschlieen, da Joseph fr einen derartigenBausparvertrag wohl seine guten Beziehungennach ganz oben hat spielen lassen. In Wirk-lichkeit ist die risikolose Vermehrung vlligausgeschlossen. Die Illusion des risikolosenZinses und damit auch des beliebig nach oben

  • 48

    vermehrbaren Zinseszinses ist eine moderneSchpfung unseres Banken- und Geldsystems.Durch Zins- oder Zinseszinsverbote ohne n-derung menschlicher Prferenzen ist keinenachhaltige Vernderung mglich.

    Konsumkredite

    Die Zinsenproblematik erhlt dadurch zustz-liches Gewicht, da heute einer groer Teilder vergebenen Kredite Konsumkredite sind.Dabei werden Ersparnisse nicht zum Kapital-aufbau eingesetzt, sondern, um ber ein zu-knftiges Einkommen schon in der Gegen-wart zu verfgen. Konsumkredite sind einSymptom hoher Zeitprferenz: Man kann mit

    dem Konsum nicht warten, bis man ihn sichleisten kann. Es handelt sich dabei um einenin gewisser Hinsicht faustischen Pakt. Kon-sumkredite fesseln entfremdete Arbeitskrftean ihre Arbeitspltze. Denn wer sein knftigesEinkommen schon verpfndet hat, ist alsSchuldsklave zur Arbeit verdammt. In altenMrchen finden wir oft Warnungen vor solchhoher Zeitprferenz. Das zuknftige Rapunzeletwa wird der Hexe im Tausch gegen gegen-wrtigen Feldsalat versprochen. Ein anderesBeispiel ist die Gans, die goldene Eier legte.Der glckliche Bauer wird durch diesen re-gelmigen Einkommensstrom immer gieriger

  • 49

    und will sich eines Tages nicht mehr gedulden,nach und nach Ersparnisse aufzubauen. Ererwartet im Bauch der Gans einen groenGoldschatz und will so den Ertrag der knfti-gen Eier mit einem Male vorziehen. Sobald erdie Gans jedoch aufgeschlitzt hat, findet er nurgewhnliche Gedrme vor. Mit dem Tod derGans versiegt auch sein arbeitsloses Einkom-men.

    Da Konsum nicht die Ursache, sondern derAusdruck hheren Wohlstands ist, kann manKonsumkredite eben als Ausdruck einer kurz-fristigen Zeit betrachten. Allenfalls dienen sieals Triebfeder eines atemlosen Booms ohne

    Ma und Ziel, weil sie die verschuldetenMenschen zur stetigen Arbeit zwingen, umihre Kreditraten zurckzuzahlen. Der Kon-sumkredit ist das Sinnbild des Lebens aufKosten der Zukunft. So berrascht es nicht,da sich auch Politiker so verhalten. Selbstwenn sie ihre Ausgaben Investitionen nen-nen, handelt es sich dabei nchtern betrachtetdurchwegs um Konsum. Denn ihr Ziel ist keinzuknftiger Mehrertrag, aus dem diese Schul-den zurckgezahlt werden knnen, sonderndie Wiederwahl.

    Wie sieht es mit der Zinsenforderung aufKonsumkredite aus? Da die meisten Konsum-

  • 50

    kredite an sich als problematisch zu betrachtensind, erscheint die Zinsenforderung in diesemFall besonders unmoralisch. Allerdings ent-spricht diese Forderung im Prinzip den Ge-schftsbedingungen eines Hndler, fr eine zuspte Bezahlung eine Gebhr zu verlangen.Das ist auch nach traditioneller Sicht zulssig.Der nchste Schritt wre nun, das Eintreibenvon Zahlungen an ein Inkassounternehmenabzutreten. Dieses wrde sodann ganz unver-mittelt eine Darlehensfunktion bernehmen.Es macht also wenig Sinn, hier die Kritik anden Zinsen aufzuhngen, vielmehr wre vomKonsumkredit an sich abzuraten.

    Es gibt allerdings auch einen anderen Beweg-grund zum Konsumkredit als besondere Kurz-fristigkeit und ungeduldige Gier: die Notlage.Dies war der historisch bedeutsamste Grund.So wird auch verstndlich, warum die histori-sche Kritik eben bei den Zinsen ansetzte: DieZinsenforderung verschrft die Notlage noch.Um diese Notlagen zu entschrfen, tratenkirchliche Kreise an, Alternativen zu denPfandleihern aufzubauen. Diese Pfandhusergibt es noch heute, im Franzsischen ist auchder alte Name noch erhalten: Mont de Pit Gnadenberg, wobei Berg nicht buchstblich

  • 51

    zu verstehen ist. Monte nannte man einstmildttige Fonds.

    Wenn wir die Geschichte dieser Pfandhuserbetrachten, machen wir eine unangenehmeEntdeckung, die der nchternen Perspektiveder konomen recht gibt. Die zunchst zin-senfreien Pfandhuser gingen alle relativ raschzugrunde. Das Problem bestand eben darin,da der hohe Aufwand nicht finanziert werdenkonnte. Dies ist eine Beobachtung, die manheute bei Mikrokrediten macht: Der Aufwandder Vergabe kleiner Kredite ist sehr hoch, sohoch, da klassische Banken davor zurck-schrecken. Die Mikrokreditbewegung versucht

    dies durch ehrenamtliches Engagement undgnstigere Geldquellen, vor allem aber durchinnovative Formen der Rateneintreibung, zukompensieren. Dennoch sind die Zinsen frMikrokredite berraschend hoch.

    Auch bei den christlichen Pfandhusern wur-den also Zinsen zugelassen, um die laufendenKosten zu decken. Dieses Zugestndnis an dieRealitt war vermutlich der letzte Stein, derzum Abgehen vom strengen, kanonischenZinsenverbot fhrte. Dadurch gab die Kircheaber auch ihre Rolle als mahnende Stimme zurKreditbeschrnkung weitgehend auf. Das Ar-gument fr die Pfandhuser war, da so zu-

  • 52

    mindest den Notleidenden niedrigere Zinsengeboten werden knnen.

    Auch dieses Argument erwies sich als falsch.Die hochgerechneten Zinsen von Pfandhu-sern sind bis heute hher als Bankzinsen. Pro-fitorientierte Pfandleiher konnten die mildt-tigen Pfandhuser letztlich unterbieten, unddas schon vor der Kreditausweitung der Mo-derne, die billiges Geld aus dem Nichtsschafft. Das vermeintlich unmoralische Ziel,vom Zinseneinkommen durch Konsumkreditezu leben, fhrte durch mehr Konkurrenz derdarum wetteifernden Unternehmer zu niedri-geren Zinsen. Hier mag ein weiterer Grund

    dafr liegen, da Zinsen soviel Ansto erre-gen: Sie lassen sich nicht unterkriegen. Ver-sucht man sie zu bekmpfen, tauchen sie ananderer Stelle in noch grerer Hhe auf.

    Islamisches Bankwesen

    Betrachten wir zum Vergleich die islamischekonomie. Diese hat in den letzten Jahrzehn-ten einen wahren Boom erlebt. Der Markt frislamische Finanzdienstleistungen wchst seitJahren mit deutlich zweistelligen Wachstums-raten. Und das Potential scheint noch langenicht erschpft. Erst sechs Prozent der Mus-lime nehmen Scharia-konforme Anlagen undBankdienste in Anspruch. Allein in Deutsch-

  • 53

    land leben 3,5 Millionen Muslime mit einemVermgen von rund 20 Milliarden Euro.3 Hatsich dadurch die konomische Kompetenz vonMuslimen vergrert?

    Die Finanzierungsformen erscheinen imwahrsten Sinne des Wortes als Konstrukte,die Komplexitt ist stellenweise sehr hoch. Inder Regel geht es darum, Ausweichlsungen

    3 Vgl. Michael Gassner & Philipp Wackerbeck(2007): Islamic Finance. Islam-gerechte Fi-nanzanlagen und Finanzierungen. Wien:Linde Verlag.

    zu schaffen, um Zinsen zu vermeiden. Da sichdas reale Phnomen des Zinses jedoch nichtvermeiden lt, luft dies darauf hinaus, denEindruck zu vermeiden, da Zinsen anfallen.hnlich wie das Christentum hat der Islamgroe Probleme mit Zinsen. Zwar uert sichder Koran nicht negativ dazu, doch in denHadithen (berlieferungen des Propheten)finden sich sehr scharfe Ablehnungen vonRiba, das auf Deutsch mit berschu zubersetzen wre. Ob schon der bliche Zinsein solcher berschu wre oder erst der Wu-cher wurde immer wieder diskutiert. DieMehrheitsmeinung sowohl der klassischen

  • 54

    Gelehrten als auch heutiger Stimmen ist dieAuffassung, da Riba jegliche Form von Zin-sen meint und daher sowohl die Zahlung alsauch die Einnahme von Zinsen verboten seien.

    Ein mglicher Ausweg fr Kreditgeschfte istein Murabahah genannter Abzahlungskauf:Die Bank wird fr eine juristische SekundeEigentmer einer Anlage und beauftragt denKreditnehmer, fr sie als Agent ttig zu wer-den und die zu finanzierende Anlage in ihremNamen zu erwerben. Der Preis plus ein ver-einbarter Gewinnzuschlag ist dann in Ratenan die Bank zurckzuzahlen.

    Besonders schlau und damit absurd erscheintdas Murabahah Commidity Deposit. Dabeiwird nicht eine konkrete Anlage gekauft, wasdie Verwendung des Kredites unflexibel ges-talten wrde, sondern ein Rohstoff. Da es beiGold zu offensichtlich wre, da hier einGeldsurrogat zum Zuge kommt, wird dabeimeist Platin oder Palladium gewhlt. Die Me-talle werden zwar gehandelt, sind aber faktischnur genutzt worden, um ein Darlehen zu rep-lizieren.

    Solche Tricks gehen jedoch vielen Scharia-Gelehrten sofern sie verstehen, was hier luft zu weit. Der pragmatischere Islam in Sd-

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    ostasien drckt hier eher eines oder beide Au-gen zu, whrend Gelehrte im Mittleren Ostenweitaus strenger sind. Interessant ist die Be-grndung von malaysischen Gelehrten fr ihreNachsicht, da jede Spekulation ber die hin-ter Geschften stehenden Absichten zu unter-lassen sei und daher Konstrukte rein nachformalen Gesichtspunkten bewertet werdensollten.

    Oft hat man den Eindruck, da die Kunst derIslamic Finance darin bestnde, sich frkonventionelle Finanzprodukte einen wohl-klingenden arabischen Namen einfallen zulassen und ein Scharia-Board zu entlohnen

    einen herzeigbaren Aufsichtsrat von Islam-gelehrten.

    Die ernsthafte Auseinandersetzung mit islami-schen Finanzanlagen ist eine moderne Er-scheinung die ersten Anstze dazu findensich in den 1960er-Jahren. Freilich gibt es einelange Tradition der Wirtschaftsttigkeit undauch der Wirtschaftswissenschaft im islami-schen Raum, doch im Zuge des Niedergangsder islamischen Kultur starb die intellektuelleAuseinandersetzung mit konomischen The-men aus. In der heutigen islamischen Weltdominieren in den Wirtschaftswissenschaftendie zum Teil verhngnisvollen Ideenimporte

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    aus dem modernen Westen. Die Zahl der po-tentiellen Scharia Board-Mitglieder wird aufderzeit kaum ber 50 geschtzt weltweit!Dies erscheint einleuchtend, Kenntnisse in derislamischen Wirtschaftsrechtsprechung und imFinanzwesen gehen selten Hand in Hand.

    Wie kam es dann zum pltzlichen Boom derIslamic Finance? Alles deutet darauf hin, daes sich um einen Marketing-Trick westlicherBanken handelt, ganz hnlich wie Ethik-fonds. Die meisten islamischen konomensind Angestellte westlicher Banken. Fhrte dieJagd nach Kunden und Rendite da urpltzlichzur ethischen und religisen Besinnung? Man

    hat den Eindruck, da, ganz so wie noch dergrte Spieer eine Nackte auf die Titelseitepackt, um die Auflage zu steigern, die Bankerdie Ethik und die Religion entdecken. Sokommt man zum paradoxen Ergebnis, dawestliche, kaum sonderlich religis beflisseneBanker eifrig an einer Islamisierung der an-deren Art werken. Die unsichtbare Hand derKonkurrenz lt dann Banken letztlich darumwetteifern, welche der strengeren Scharia-Auslegung folgt, was eine laufende Verschr-fung der Mastbe und damit immer komple-xere Ausweichkonstrukte (Innovationen)nach sich ziehen wird. Das groe Problem

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    dabei: Die geheuchelte Betonung eines strengislamischen Zugangs einzelner Finanzdienst-leistungen unterstellt allen Konkurrenten un-islamisches Gehabe und fhrt damit zur Pola-risierung und zu einem absurden Wettlauf.Genau so wie es im Bereich des EthischenInvestment zu beobachten ist: Ethikfondsstellen Konkurrenzprodukte und letztlich dasWirtschaften an sich unter einen moralisieren-den Generalverdacht, dem nur durch Abla zuentkommen ist. Als dankbare Abnehmer sol-cher Ablazahlungen verdingen sich hierEthikexperten und dort Scharia-Gelehrte,wobei konomischer Sachverstand eher einen

    Hinderungsgrund als eine Voraussetzung dar-stellt, um an diesem Business zu verdienen.

    Die Schrfe dieser Kritik versteht sich vor demtraurigen Zustand der Wirtschaftswissenschaf-ten und dem grassierenden konomischenAnalphabetismus der meisten Akademiker,auch der Theologen. Recht verstandene Reli-gion soll und kann individuelle Orientierungauch und gerade bei wirtschaftlichem Handelnbieten. Doch als oberflchliches Kriterium,dessen Ziele allein im Bereich des Marketingliegen, handelt es sich um ein reines Geschftder Zertifizierung von Unsinn dem Ge-schft mit dem schlechten Gewissen, das zum

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    Zwecke der Rendite noch krftig angeheiztwerden mu. Man sehe sich nur die abstrusenKriterien fr Ethikfonds an. Scheinbar wurdehier schlicht vom gnzlich unausgereiften Is-lamic Finance abgekupfert, denn die aktuellenKriterien zu Scharia-konformen Investmentnehmen sich willkrlich und teilweise bizarraus.

    So findet man denn auch in christlichenEthikfonds den Ausschlu von Wein, ganz soals ob schon der Mewein unmoralisch wre,nicht allenfalls ein individueller Mibrauch.Aber leider ist auch im Westen die Traditioneiner tiefgehenden ethischen Auseinanderset-

    zung mit konomischen Fragestellungen (dieman dazu erst verstehen mu!) an einem Tief-punkt angelangt. Im islamischen Raum bringtder Rckgriff auf seit Jahrhunderten nicht wei-terentwickeltes Wissen, wo dieses nicht schonlngst unwiederbringlich verschwunden ist,jedoch noch offenkundigere Widersprche anden Tag. So kommt es dann zu Lsungenwie folgender: Die echt islamische Kreditkar-te zeichnet sich dadurch aus, gesperrt zu wer-den, wenn der Kunde damit an einer Bar be-zahlt.

    Grundstzlich weist der Islam eine hohe Han-delsfreundlichkeit auf. Im Gegensatz zu ar-

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    beitslosem Einkommen aus risikolosem Zinswird stets das gemeinsame Tragen von Risikoals wirtschaftliches Ideal dargestellt. Bankenwerden als Treuhnder betrachtet (Wadiah-Prinzip), die auf Sichteinlagen keinen Zinszahlen drfen.

    In Einklang mit der traditionell hohen Wert-schtzung von Edelmetallen wren islamischekonomen geradezu prdestiniert dazu, dieZinsmanipulation des Papiergeldregimes zudurchblicken. Dazu sollten sie das IslamicFinance allerdings nicht westlichen Ge-schftsbanken berlassen. Ein Positivbeispielknnte der populre DMCC Gold Sukuk

    (Goldfonds) bieten: Fr die Bereitstellung desKapitals erhalten die Investoren eine Verg-tung, die in Form von Gold ausgezahlt wird.Laut Alastair Crooke sind die Erkenntnisseschon recht weit verbreitet, wobei bemerkens-wert ist, da der Autor keine Ahnung von derWiener Schule der konomie hat, sondernwirklich nur exakt wiedergibt, was er in Isla-mistenkreisen vernommen hat:

    Islamisten argumentieren schon lngereZeit, da diese riesige Injektion von M3-Liquiditt den Konsumboom angefeuertund die gefhrlichen Ungleichgewichte imFinanzsystem geschaffen hat, die dessen

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    Stabilitt bedrohen. Zudem argumentierenIslamisten, da eine Kultur billigen Kredits[] zu massiver Verschuldung gefhrt hat,die wiederum zu Ausbeutung und einerneuen Form der Knechtschaft innerhalb desWirtschaftssystems fhrt. [] Islamistenwrden die Rckkehr zu einem Finanzsys-tem befrworten, das auf einem Standardbasiert wie dem Goldstandard der Ver-gangenheit und so die Schaffung vonGeld durch die Zentralbanken beschrnkt

    und die Bruchteilreservehaltung der Bankenverbietet.4

    Zusammenfassung

    Zinsen als Bewertungsunterschiede sind eineFolge menschlicher Prferenzen. Diese ms-sen jedoch nicht dazu fhren, da Zinsen aufGelddarlehen gefordert werden. Bei Konsum-tivdarlehen ist zu beachten, da sie den Darle-hensnehmer in ein Abhngigkeitsverhltnis

    4 Alastair Crooke (2009): Resistance TheEssence of the Islamist Revolution. London:Pluto Press. S. 127.

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    fhren und seine ohnehin schon hohe Zeitpr-ferenz noch vergrern knnen. Es ist dahermoralisch bedenklich, unseren Mitmenscheneigene Ersparnisse zum Konsum zu berlassenund dafr einen Schuldtitel fr eine zuknftigeRckzahlung zu erwerben, egal ob wir die La-ge noch durch eine Zinsenforderung verschr-fen oder nicht. Konsumiere heute, zahle mor-gen! ist eine gefhrliche Verlockung.

    Zur Hilfe in der Not ist die milde Gabe ohneRckforderung besser geeignet. Eine diesernoch berlegene Alternative bestnde in derHilfe beim Kapitalaufbau das dafr ntigeGeld ist allerdings der geringste Beitrag. Eine

    gemeinsame Unternehmensgrndung wrdefr beide Seiten wesentlich bessere Anreizesetzen als ein bloes Darlehen. Die Zinsenfor-derung zustzlich zur Rckzahlung derStammsumme in Geld (anstatt in Eigentums-anteilen an Kapital) drngt dabei zur kurzfris-tigen Rendite und kann letztlich zu einer Zer-schlagung des Unternehmens und zur ber-schuldung des Kreditnehmers fhren.

    Die Zinsen als die Ursache der heutigen Prob-leme anzusehen, greift viel zu kurz. Eine Le-benseinstellung, die auf Kosten der Zukunftlebt, lt sich durch Verbote nicht ndern, nurdurch gute Vorbilder und schlechte Erfahrun-

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    gen. Die Dominanz der Kredite und daherauch der Zinsen ist ein modernes Phnomen,das seine Ursache in der Kreditausweitung, diedurch die Banken und den Staat betriebenwird, findet. Da diese Ausweitung allerdingsnicht nachhaltig sein kann, werden die Schat-tenseiten des hohen Verschulungsgrades nochschmerzhaft sprbar werden. Die durch Kredi-te erkaufte Freiheit und Unabhngigkeit wirdsich als Scheinfreiheit erweisen: als Schuld-knechtschaft.

    Das

    ist eines der wenigen vollkommen unabhngi-gen wissenschaftlichen Institute. Es wurdevon einer Gruppe kritischer Kpfe aus denunterschiedlichsten Fachbereichen in Wiengegrndet und konzentriert seine Arbeit aufden gesamten deutschsprachigen Raum. Wirverstehen uns als eine Schule im klassischenSinn: Ein Ort der Mue (griechisch: schol),um den Dingen auf den Grund zu gehen, eineTradition freier Forschung und Lehre, sowieeine Zunft unabhngiger Gelehrter, die ihreWahrheitsliebe (griechisch: philosopha) eint.

  • Zinsen-Umschlag1Zinsen-KernZinsen-Umschlag2