11
Einleitung In der Vergangenheit versuchten verschiedene Konzepte, Mus- keln nach bestimmten Eigenschaften zu kategorisieren. Nach Janda neigen posturale „rote“ Muskeln zu Verkɒrzung und Kon- traktur, wȨhrend phasische „weiße“ Muskeln eher abschwȨchen und atrophieren [24]. Das Muscle-balance-Konzept nach Sahr- man und Comerford unterscheidet zwischen gelenknahen loka- len und globalen Stabilisatoren und gelenkfernen, zu Verkɒrzung neigenden Mobilisatoren [25]. Beide Konzepte beschreiben den M. piriformis als zu Verkɒrzung und Hypertonus neigenden Muskel [24, 25]. Janda zȨhlt ihn zu den posturalen Muskeln [24], wȨhrend er im Muscle-balance-Konzept als Mobilizer gilt [25]. GemȨß Simons und Travell [54] finden sich im Piriformismuskel hȨufig Triggerpunkte, die Schmerzen im GesȨß und der Ober- schenkelrɒckseite verursachen kɆnnen. Ƞber diese klinischen Befunde hinaus wird in der Literatur ein ei- genstȨndiges Syndrom des Piriformismuskels beschrieben. Die- Piriformissyndrom – kritische Beurteilung der Literatur und Diskussion der klinischen ZusammenhȨnge 1 R. Blaser-Sziede Piriformis Syndrome – Critical Literature Evaluation and Discussion of Clinical Relationship Korrespondenzadresse Robert Blaser-Sziede, PT · Wassertorstr. 5 · D-88316 Isny · E-mail: [email protected] Manuskript eingetroffen: 12.1.2005 · Manuskript akzeptiert: 17.2.2005 Bibliografie Manuelle Therapie 2006; 10: 159–169 # Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York DOI 10.1055/s-2006-927036 ISSN 1433-2671 Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit liefert einen Ƞberblick und eine kritische Analyse der Literatur zum Piriformissyndrom (PS). Das PS gilt mehrheitlich als Engpasssyndrom des N. ischiadicus im Foramen infrapiriforme, verursacht durch pathologische VerȨnderungen des M. piriformis. Die Diagnosenstellung erfolgt primȨr klinisch. Das am hȨufigsten beschriebene Symptom ist GesȨßschmerz, ge- folgt von Schmerzen in der Oberschenkelrɒckseite und bei Pal- pation der tiefen GesȨßmuskeln. Fɒr die eigens zur Diagnostik des PS entwickelten Tests gibt es keine kritische Evaluation. An der Schmerzentstehung kɆnnten weitere Muskeln im dorsalen Becken wie der M. obturatorius internus beteiligt sein. Die nach Sacketts [52] Evidenzpyramide bewertete QualitȨt der Studien ist grɆßtenteils gering. SchlɒsselwɆrter Piriformissyndrom · Ischialgie · GesȨßschmerz · Pelvic-outlet- Syndrom Abstract This article presents an overview and a critical analysis of the lit- erature concerning the piriformis syndrome (PS). PS is generally considered as an entrapment syndrome of the sciatic nerve in the infrapiriform foramen caused by pathologic alterations of the piriform muscle. Diagnosis is mainly carried out clinically. The most frequently described symptom is buttock pain followed by pain in the posterior thigh and on palpation of the deep gluteal muscles. There exists no critical evaluation of the tests specifi- cally developed for the diagnosis of PS. Other muscles such as the obturatorius internus muscle could possibly also be involved in the development of pain. The studies were assessed by Sack- ett’s [52] evidence pyramid and were mostly found to be of low quality. Key words Piriformis syndrome · ischialgia · buttock pain · pelvic entrap- ment syndrome 1 Abschlussarbeit der DVMT-OMT-Ausbildung 2003 – 2005. Originalarbeit 159 Heruntergeladen von: FH Campus Wien. Urheberrechtlich geschützt.

Piriformissyndrom

Embed Size (px)

DESCRIPTION

 

Citation preview

Page 1: Piriformissyndrom

Einleitung

In der Vergangenheit versuchten verschiedene Konzepte, Mus-keln nach bestimmten Eigenschaften zu kategorisieren. NachJanda neigen posturale „rote“ Muskeln zu Verk�rzung und Kon-traktur, w�hrend phasische „weiße“ Muskeln eher abschw�chenund atrophieren [24]. Das Muscle-balance-Konzept nach Sahr-man und Comerford unterscheidet zwischen gelenknahen loka-len und globalen Stabilisatoren und gelenkfernen, zu Verk�rzungneigenden Mobilisatoren [25]. Beide Konzepte beschreiben denM. piriformis als zu Verk�rzung und Hypertonus neigenden

Muskel [24, 25]. Janda z�hlt ihn zu den posturalen Muskeln [24],w�hrend er im Muscle-balance-Konzept als Mobilizer gilt [25].Gem�ß Simons und Travell [54] finden sich im Piriformismuskelh�ufig Triggerpunkte, die Schmerzen im Ges�ß und der Ober-schenkelr�ckseite verursachen k�nnen.

�ber diese klinischen Befunde hinaus wird in der Literatur ein ei-genst�ndiges Syndrom des Piriformismuskels beschrieben. Die-

Piriformissyndrom – kritische Beurteilung der Literaturund Diskussion der klinischen Zusammenh�nge1

R. Blaser-Sziede

Piriformis Syndrome – Critical Literature Evaluation and Discussion of ClinicalRelationship

KorrespondenzadresseRobert Blaser-Sziede, PT · Wassertorstr. 5 · D-88316 Isny · E-mail: [email protected]

Manuskript eingetroffen: 12.1.2005 · Manuskript akzeptiert: 17.2.2005

BibliografieManuelle Therapie 2006; 10: 159 –169 � Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

DOI 10.1055/s-2006-927036ISSN 1433-2671

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit liefert einen �berblick und eine kritischeAnalyse der Literatur zum Piriformissyndrom (PS). Das PS giltmehrheitlich als Engpasssyndrom des N. ischiadicus im Forameninfrapiriforme, verursacht durch pathologische Ver�nderungendes M. piriformis. Die Diagnosenstellung erfolgt prim�r klinisch.Das am h�ufigsten beschriebene Symptom ist Ges�ßschmerz, ge-folgt von Schmerzen in der Oberschenkelr�ckseite und bei Pal-pation der tiefen Ges�ßmuskeln. F�r die eigens zur Diagnostikdes PS entwickelten Tests gibt es keine kritische Evaluation. Ander Schmerzentstehung k�nnten weitere Muskeln im dorsalenBecken wie der M. obturatorius internus beteiligt sein. Die nachSacketts [52] Evidenzpyramide bewertete Qualit�t der Studienist gr�ßtenteils gering.

Schl�sselw�rterPiriformissyndrom · Ischialgie · Ges�ßschmerz · Pelvic-outlet-Syndrom

Abstract

This article presents an overview and a critical analysis of the lit-erature concerning the piriformis syndrome (PS). PS is generallyconsidered as an entrapment syndrome of the sciatic nerve in theinfrapiriform foramen caused by pathologic alterations of thepiriform muscle. Diagnosis is mainly carried out clinically. Themost frequently described symptom is buttock pain followed bypain in the posterior thigh and on palpation of the deep glutealmuscles. There exists no critical evaluation of the tests specifi-cally developed for the diagnosis of PS. Other muscles such asthe obturatorius internus muscle could possibly also be involvedin the development of pain. The studies were assessed by Sack-ett’s [52] evidence pyramid and were mostly found to be of lowquality.

Key wordsPiriformis syndrome · ischialgia · buttock pain · pelvic entrap-ment syndrome

1 Abschlussarbeit der DVMT-OMT-Ausbildung 2003 – 2005.

Orig

inalarb

eit

159

Her

unte

rgel

aden

von

: FH

Cam

pus

Wie

n. U

rheb

erre

chtli

ch g

esch

ützt

.

Page 2: Piriformissyndrom

ses geht auf Yeoman [64] zur�ck, der 1928 vermutete, dass eineL�sion des Iliosakralgelenks eine Entz�ndung des M. piriformisverursachen kann. Im Jahr 1947 formulierte Robinson [49] erst-mals den Begriff Piriformissyndrom (PS). Mit der Entdeckungvon Diskushernien als Ursache von Radikulopathien und Ischial-gien verlor das PS zun�chst an Bedeutung. In den 90er-Jahren er-wachte das Interesse am PS erneut. Die Zahl der diesbez�glichenVer�ffentlichungen (die meisten in den USA) nahm deutlich zu.

Das PS gilt als m�gliche Ursache von Ischialgien [49]. Vermutetwerden muskul�r verursachte Einklemmungen des N. ischiadi-cus im Foramen infrapiriforme, die Schmerzen im Ges�ß undder Oberschenkelr�ckseite ausl�sen [36]. Die Diagnose ist pri-m�r klinisch [1, 44] und wird meist differenzialdiagnostisch vonradikul�ren Krankheitsbildern abgegrenzt [43].

Methode

Die Suche nach Literatur zum Piriformissyndrom erfolgte syste-matisch in den Datenbanken PubMed, Cinahl und PEDro unterden Stichw�rtern piriformis syndrome, buttock pain, sciatica.

Einschlusskriterien– Der Titel enth�lt Piriformissyndrom oder andere Engpasssyn-

drome im Ges�ßbereich;– Ver�ffentlichung der Artikel ab 1994 bis Juli 2004 in Cinahl,

bis November 2005 in PubMed und PEDro;– �ltere, in der ausgew�hlten Literatur h�ufiger zitierte Artikel

zum PS;– Vorhandensein von Abstracts;– Ver�ffentlichung in englischer oder deutscher Sprache;– Erh�ltlich �ber die Deutsche Zentralbibliothek;– Einbeziehen von Artikeln zu medikament�sen Injektionen

(nur in Auswahl).

Ausschlusskriterien– Arbeiten �ber weniger �bliche Therapieverfahren, wie z.B.

Akupunktur;– Ver�ffentlichungen �ber seltene Ursachen eines PS, wie z.B.

große Beckenoperationen.

Ergebnisse

Die Auswahl umfasste 57 das PS oder andere Nervenkompressi-onssyndrome im tiefen Ges�ßbereich betreffende Artikel. 27Ver�ffentlichungen beinhalten Fallbeispiele und 13 nichtsyste-matische �bersichtsarbeiten (Reviews). �ber chirurgische Be-handlungen berichten 16 Arbeiten, 9 Artikel befassen sich mitmedikament�sen Injektionstherapien. Alle Reviews empfehlenphysiotherapeutische Behandlungstechniken und alle Berichte�ber Injektionsbehandlungen setzen sie erg�nzend ein. In 2 Stu-dien ist Physiotherapie die alleinige Behandlungsmethode [21,51]. 6 Arbeiten beinhalten anatomische Studien, 9 Artikel doku-mentieren bildgebende Verfahren.

Die Beurteilung der klinischen Literatur zum PS erfolgte anhandder Kriterien von Sackett et al. [52], die ein hierarchisches 5-Stu-

fen-Modell zur Qualit�tsbewertung wissenschaftlicher Aussagenentwickelten. Die h�chste Bewertung (Stufe 1) erhalten systema-tische Reviews, die schw�chste Expertenmeinungen [52]. DieVoraussetzung f�r Stufe 2b oder 2c erf�llen 10 Studien [5, 7, 11,14, 16 – 19, 21, 39]. Die Mehrheit der Artikel (Fallbeschreibungenund unsystematische �bersichtsarbeiten) erf�llt nur die Krite-rien der Evidenzstufen 4 und 5. Daher werden in dieser �ber-sichtsarbeit nur wenige wissenschaftliche Ergebnisse pr�sen-tiert, sondern �berwiegend die Auswertung von Fallbeispielenund Expertenmeinungen dargestellt.

Anatomische Varianten der Nervenverl�ufe (Abb.1)In den meisten F�llen tritt der N. ischiadicus durch das Foramen in-frapiriforme. Die Teilung des N. ischiadicus in den N. tibialis undden N. peronaeus kann jedoch bereits im Becken stattfinden.Leichenstudien zeigten, dass in 7 % [4] bis 20 % [45] der N. perona-eus communis durch den M. piriformis durchtritt, w�hrend derN. tibialis unterhalb des M. piriformis erscheint. Die Wahrschein-lichkeit, dass der N. peronaeus communis durch das Foramensuprapiriforme zieht, liegt zwischen 0,7 % [45] und 3,3% [2]. Beiweniger als 1 % der untersuchten Leichen durchbohrt der gesamteN. ischiadicus den M. piriformis [2, 3]. Uluuktu und Kurtoglu [61]fanden in 12 von 50 untersuchten F�llen auch Lagevarianten desN. glutaeus superior und inferior sowie des N. cutaneus femorisposterior.

Diagnose des PiriformissyndromsF�r das PS sind keine klaren diagnostischen Kriterien definiert[36]. In Tab. 1 werden 28 Studien mit 144 Fallbeispielen ausgewer-tet, unter der Voraussetzung, dass sie einige Hinweise auf dieAnamnese (Ausl�ser, Schmerzbereich, Schmerz ausl�sende Hal-tungen und Bewegungen), die Untersuchung (Palpation, Tests,neurologische Untersuchung, bildgebende Verfahren) und dieTherapie enthielten.

Tab.1 enth�lt die Zeichen und Tests, die in mindestens 10 der Ar-beiten genannt wurden. Die errechneten Prozentzahlen beziehensich jeweils auf die Gesamtzahl der Fallbeispiele. Die Auswertungder Tabelle hat keine repr�sentative Aussagekraft, da die F�lle un-terschiedlich detailliert und mit unterschiedlichen Tests beschrie-ben wurden. Sie gibt lediglich Anhaltspunkte f�r die H�ufigkeit,mit der bestimmte Symptome nachgefragt und bestimmte Testsdurchgef�hrt wurden.

EpidemiologieMangels eindeutiger diagnostischer Kriterien weisen die Zahlen-angaben zur Epidemiologie beim PS große Differenzen auf. H�ufigwerden Pace und Nagle [42] zitiert, die 750 Patienten mit R�cken-schmerzen untersuchten und in 45 F�llen ein Piriformissyndromdiagnostizierten (6%). Andere Untersuchungen, die sich ebenfallsauf den Anteil des PS an R�ckenschmerzpatienten beziehen, spre-chen von 0,33% und 0,5– 1% [43].

Filler et al. [16] diagnostizierten bei 239 Patienten mit Bein-schmerzen ohne lumbale Diagnose einen Anteil von 68 % mit PS.Die meisten Reviews geben das Verh�ltnis von M�nnern zu Frau-en mit 1:6 an, was ebenfalls aus der Untersuchung von Pace undNagle stammt [42]. Die Fallbeispiele in Tab.1 weisen ein Verh�lt-nis von etwa 9 : 11 auf.

Blaser-Sziede R. Piriformissyndrom – kritische Beurteilung … Manuelle Therapie 2006; 10: 159 – 169

Orig

inalarb

eit

160

Her

unte

rgel

aden

von

: FH

Cam

pus

Wie

n. U

rheb

erre

chtli

ch g

esch

ützt

.

Page 3: Piriformissyndrom

AnamneseSchmerzlokalisation und SchmerzverhaltenDer Ges�ßschmerz ist mit 97,9 % Spitzenreiter aller diagnosti-schen Zeichen (Tab.1). Schmerzen im dorsalen Oberschenkelhatten 81,9 %, Ausstrahlungen bis in die Wade wiesen noch 59 %auf. Lumbale Schmerzen lagen bei 18,1 % vor.

Am h�ufigsten werden Schmerzen oder eine Steigerung derSchmerzen bei l�ngerem Sitzen beschrieben ([16, 50]; Tab.1:54,9%). Schmerzen beim Gehen [40] wird in 37,5 % der zitiertenFallberichte genannt. Vereinzelt erw�hnt werden Schmerzenbeim Aufstehen vom Sitz [26], beim In-die-Hocke-Gehen [32]und beim B�cken [49]. Die N�he des M. piriformis zur lateralenBeckenwand kann zu Dyspareunie (Schmerzen der Frau beimKoitus) oder zu Schmerzen durch Darmperistaltik f�hren [43].

Vorgeschichte/Ausl�serViele Reviews [13, 14, 43, 44] nennen einen Sturz auf das Ges�ß,Pace und Nagle [42] ein Trauma bei der H�lfte von 45 Patientenals h�ufigsten Ausl�ser f�r PS (Tab.1: 48,6%). Weitere m�glicheUrsachen sind Overuse durch Sport [14] und andere ungewohntek�rperliche Aktivit�ten [1].

Lumbale Erkrankungen oder Operationen in der Vorgeschichteerscheinen in den Fallberichten mit sehr unterschiedlicher H�u-figkeit. W�hrend f�r viele Autoren lumbale Pathologien oderOperationen Ausschlussdiagnosen darstellen [5, 26, 32, 37, 49,50, 53], sehen andere einen kausalen Zusammenhang zwischenspinalen Operationen und PS [40, 48]. In 30,6 % der F�lle sindlumbale Vorerkrankungen dokumentiert (Tab.1).

K�rperliche UntersuchungInspektion und PalpationMehrere Reviews erw�hnen Atrophie der Glutealmuskulatur,Hinken und Trendelenburg-Zeichen [14, 42, 49, 50]. Hallin [26]beobachtete Beinl�ngendifferenzen, die er als Ursache f�r Ver-�nderungen des Muskels betrachtet. Eine verst�rkte Außenrota-tionsstellung der H�fte in Ruhelage wird als Piriformiszeichenbeschrieben [29, 50].

Als Kardinalsymptom gilt die schmerzhafte tiefe Palpation des M.piriformis zwischen Os sacrum und Trochanter major (Tab.1: mit81,9 % nach dem Ges�ßschmerz am zweith�ufigsten genannt). Ro-binson [49] fand eine tastbare, druckschmerzhafte, wurstf�rmigeMasse auf H�he des M. piriformis. Der schmerzhafte Muskel ist

M. glutaeus maximus

N. glutaeus superior

N. glutaeus inferior

N. ischiadicus (sciaticus)

N cutaneus femoris posterior

N. obturatorius internus(mit Ast für M. gemellus superior)

N. pudendus

Spina ischiadica (ischialis)

Lig. sacrotuberale

N. cutaneus perforans

Lig. sacrotuberale

N. rectalis (analis) inferior

N. dorsalis penis /clitoridisNn. perineales

Nn. scrotales/labialesposteriores

Rr. perineales desN. cutaneus femorisposterior

Tuber ischiadicum ( ischiale)

M. semitendinosus

M. biceps femoris, caput longum(überlagert den M. semimembranosus)

Crista iliaca

M. glutaeus medius

M. glutaeus minimus

M. piriformisM. gemellus superior

M. tensor fasciae latae

M. glutaeus medius

M. obturator interus

N. musculi quadrati femoris(mit Ästen für

M. gemellus inferior undzum Hüftgelenk)

Trochanter major

Crista intertrochanterica

M. gemellus inferior

M. quadratus femoris

M. glutaeus maximus

N. ischiadicus (sciaticus)

N. cutaneus femoris posterior

Nn. clunium inferiores

Abb. 1 H�ft- und Ges�ßnerven.

Blaser-Sziede R. Piriformissyndrom – kritische Beurteilung … Manuelle Therapie 2006; 10: 159 – 169

Orig

inalarb

eit

161

Her

unte

rgel

aden

von

: FH

Cam

pus

Wie

n. U

rheb

erre

chtli

ch g

esch

ützt

.

Page 4: Piriformissyndrom

Tab. 1 27 Studien mit 144 Fallbeschreibungen zum Piriformissyndrom. Ber�cksichtigt wurden Studien mit Angaben zu Symptomen, Unter-suchung und Therapie. Ausl�ser, Zeichen und Tests wurden aufgenommen, wenn sie in mindestens 10 Studien erw�hnt werden. Die errechnetenProzentzahlen beziehen sich jeweils auf die gesamten 144 Fallbeispiele (DS = distaler Schmerz, (Unterschenkel, Fuß), FR = Freiberg-Test positiv,GS = Ges�ßschmerz, GT = Ges�ßtrauma, LV = lumbale Erkrankungen in der Vorgeschichte, M = Muskelschw�che, N = Numbness (Taubheit),OS = Schmerz im dorsalen Oberschenkel, P = Par�sthesien, PA = Pace-Test positiv, RL = Radiologie der LWS, S = Sensibilit�tsst�rung, SG = Schmerzbeim Gehen, SLR = Straight-leg-raise- oder Las�gue-Test positiv, SP = Schmerz bei Palpation der Ges�ßregion, SS = Schmerz beim Sitzen, TI = the-rapeutische Injektionen, TOP = operative Therapie, TP = Physio- od. physikalische Therapie)

Schmerzlokalisation Ausl�ser Schmerzverhalten Physikalische Untersuchung Therapie

GS OS DS GT LV SS SG SP FR PA SLR Neurolog. Unters. RL TP TI TOP

M – S N – P +/-

Autor/Fallzahl

Barton [1]/4 4 3 1 3 2 3 1 2 1 -/2 2 2 1

Beatty [4]/3 3 2 1 2 2 3 3 -/2

Benson u.Schutzer[5]/14

14 11 14 2 14 14 11 3/- 14

Bustamente u.Houlton [8]/2

1 1 1 1 2 1 – 1 1 1

Chen u. Wan[10]/2

2 2 2 1 2 2 1 2 1 2 1 – 1 1 –– -/2 2

Douglas [13]/1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 – 1

Durrani u. Win-nie [14]/26

26 26 26 14 8 15 15 24 9 8 12 10/- 26

Foster [22]/7 7 7 7 5 7 7 7 7 7 3/2 7

Hallin [26]/11 11 11 11 2 11 11 1 – - 11

Hanania u.Kitain [27]/6

6 6 5 4 6 4 5 5 4 4 3 – - 4/1 6

Hopayian[28]/3

2 2 3 1 1 1 1 2

Huber [29]/1 1 1 1 1 1 1 1 1 - – 1 -/1 1 1

Hughes et. al.[30]/5

5 1 2 2 5 5 3 -/5 5

Indrevekam u.Sudman[31]/19

19 19 9 9 19 19 19 5 3 – 10 19

Jankiewicz et.al. [32]/1

1 1 1 1 1 1 1 1 -/1 1

Karl et. al.[34]/1

1 1 1 1 1 1 1 -/1 1

Lee et. al.[37]/1

1 1 1 1 1 1 1 1 -/1 1

Meknas et. al.[39]/12

12 12 12 4 3 11 12 10 7 9 - – 6 -/12 6

Mizugushi[40]/14

14 14 9 14 14 14 14 14 14

Nakamura et.al. [41]/2

1 2 1 1 1 1 2 2 1 1 – - 1 – - 2

Rask [47]/1 1 1 1 1 1 – - 1/- 1

Robinson[49]/2

2 2 1 2 1 2 2 2 2

Rossi et. al.[51]/1

1 1 1 1 1 1 1 - – 1 - – 1 1/- 1

Sayson et. al.[53]/1

1 1 1 1 1 1 1 1 1 – 1 1/- 1

Solheim et. al.[57]/2

2 2 1 1 1 2 2 1 - – 2 -/2 2

Spinner et. al.[58]/1

1 1 1 1 1 1 1 1 1 – 1 -/1 1

Vallejo et. al.[63]/1

1 1 1 1 1 1 1

Summe 141 118 85 70 47 79 54 118 81 67 72 8 – 20 8 – 6 23/35 17 38 78

Prozent 97,9 81,9 59 48,6 30,6 54,9 37,5 81,9 56,2 46,5 50 19,4 9,7 16/24 11,8 26,4 54,2

Blaser-Sziede R. Piriformissyndrom – kritische Beurteilung … Manuelle Therapie 2006; 10: 159 – 169

Orig

inalarb

eit

162

Her

unte

rgel

aden

von

: FH

Cam

pus

Wie

n. U

rheb

erre

chtli

ch g

esch

ützt

.

Page 5: Piriformissyndrom

auch rektal oder vaginal tastbar [1, 14]. Simons und Travell [55]fanden Triggerpunkte im M. piriformis, die Schmerzen im Ges�ßund der Oberschenkelr�ckseite ausl�sen k�nnen.

Neurologische UntersuchungDie Mehrzahl der gefundenen Reviews bezeichnet das Fehlen ech-ter neurologischer Ausf�lle als Merkmal des PS und als wichtigesdifferenzialdiagnostisches Kriterium gegen�ber diskogenen Radi-kulopathien [22, 42, 44, 59]. Lediglich leichte neurologischeSymptome wie Gef�hllosigkeit und Par�sthesien im Versorgungs-bereich des N. ischiadicus werden PS zugeordnet [5, 50, 53], wo-hingegen bei 19,4% der beschriebenen Patientenbeispiele neuro-logische Ausf�lle bis hin zu Fußheberparesen dokumentiert sind(Tab.1: [10, 31, 39]).

Passive TestsEinige spezifische Tests wurden eigens zur Diagnostik des PS ent-wickelt, bei denen der Piriformismuskel gedehnt (Freiberg, FAIR)oder angespannt (Pace, Beatty) werden soll. Beim Freiberg-Test(Abb. 2) bewegt das Bein bei gestrecktem H�ftgelenk passiv in In-nenrotation. Der Test gilt als positiv, wenn die Bewegung einge-schr�nkt ist und der Ges�ßschmerz reproduziert wird [14]. 56,2 %der Patienten wiesen einen positiven Freiberg-Test auf (Tab.1).

Pace entwickelte einen Test, bei dem der sitzende Patient ver-sucht, seine Knie gegen den manuellen Widerstand des Unter-suchers auseinanderzudr�cken ([42]; Abb. 3). Provoziert oder ver-st�rkt dies die Ges�ßschmerzen, ist der Test positiv (Tab.1: 46,5 %).

Hughes et al. [30] testeten die Außenrotation isometrisch ausmaximaler Innenrotation. Ein schmerzhafter Straight-leg-raise(SLR) bzw. das Las�gue-Zeichen werden bei weniger als 658 H�ft-flexion als positiv und damit als Hinweis auf ein PS gewertet ([1];Tab.1: 50%).

Die vorliegende Literatur definiert den Las�gue-Test allerdingsunterschiedlich. Einige Autoren beschreiben ihn als aktive Flexi-on-Adduktion-Innerotation im H�ftgelenk [6], w�hrend ihn an-dere mit dem SLR gleichsetzen [43].

Als weiterer Test f�r das PS dient die Dehnung des M. piriformisdurch Flexion-Adduktion-Innenrotation (FAIR-Test, Abb. 4) desH�ftgelenks der betroffenen Seite [57]. Dabei reicht die Einstel-lung der H�ftflexion je nach Autor von 608 [8] �ber 708 [31] bis908 [22]. Eine schmerzhafte Einschr�nkung der Adduktionskom-ponente gilt als Hinweis auf ein PS ([29]; Tab.1: 18,1 %).

Bei Beattys [4] Test liegt der Patient mit der schmerzhaften Seiteoben und dem betroffenen Bein gebeugt mit dem Knie auf derUnterlage. Produziert leichtes Anheben des Knies den Ges�ß-schmerz, best�tigt dies die Diagnose PS. In den vorliegenden Fall-berichten findet der Test kaum Anwendung.

Einschlusskriterien f�r StudienDie Einschlusskriterien, nach denen Patienten f�r Studien zum PSausgew�hlt wurden, sind wenig einheitlich. 14 der vorliegendenStudien definieren solche Einschlusskriterien [5, 7, 11, 14, 15, 18,19, 21, 22, 31, 36, 39, 40, 56]. Als Kriterium wird 12-mal Druck-schmerz �ber dem Foramen ischadicum, 10-mal Ges�ßschmerzund 7-mal Schmerz im Bein geannt. Ein positiver Pace-Test ist

7-mal, ein positiver FAIR-Test 5-mal Teil der Einschlusskriterien.Alle anderen Merkmale oder Tests finden weniger als 5-mal An-wendung.

ElektrodiagnostikFishman und Zybert [21] berichteten 1992 �ber die Messung ver-z�gerter H-Reflexe bei 34 Patienten mit PS. Der H-Reflex ist eineelektrisch stimulierte Version des Achillessehnenreflexes. Dabei

Abb. 2 Freiberg-Test [23].

Abb. 3 Beim Pace-Test [42] versucht der sitzende Patient, seine Kniegegen den manuellen Widerstand des Untersuchers auseinander-zudr�cken.

Blaser-Sziede R. Piriformissyndrom – kritische Beurteilung … Manuelle Therapie 2006; 10: 159 – 169

Orig

inalarb

eit

163

Her

unte

rgel

aden

von

: FH

Cam

pus

Wie

n. U

rheb

erre

chtli

ch g

esch

ützt

.

Page 6: Piriformissyndrom

wurde in Dehnstellung des M. piriformis (FAIR-Position) die Ner-venleitgeschwindigkeit des N. tibialis der betroffenen Seite mitder Neutral-Null-Stellung in Bauchlage, der gesunden Seite inFAIR-Position und einer Kontrollgruppe in FAIR-Position vergli-chen. Signifikante Verz�gerungen des H-Reflexes ergaben sichnur in FAIR-Position der betroffenen Seite der PS-Patienten.

Fishman et al. [19] untersuchte in einer Kohortenstudie mit 918Patienten die Reliabilt�t des FAIR-Tests anhand der Verz�gerungdes H-Reflexes. Sensitivit�t und Spezifit�t wurden mit 0,881bzw. 0,832 als gut und der FAIR-Test als effektives Mittel zur Di-agnostik von PS bewertet [19].

Auch in einer weiteren Studie verfolgten Fishman et al. [21] dasZiel, die H-Reflex-Messung in FAIR-Position als reliablen und vali-den Test f�r das PS zu etablieren. Aufgrund ihrer Resultate ver-muteten die Autoren, dass der pathologisch ver�nderte Piriformis-muskel in Dehnposition so viel mechanischen Druck auf denN. ischadicus aus�bt, dass sich dadurch die Nervenleitgeschwin-digkeit verz�gert [21]. Stewart [60] bem�ngelt schwer wiegendemethodische Fehler in der Kohortenstudie von Fishman et al. [19].

Childers et al. [11] konnten in einer Studie mit 9 Personen, beidenen PS diagnostiziert wurde, keine Verz�gerung des H-Refle-xes in FAIR-Position feststellen. In einer weiteren Untersuchungder Nervenleitgeschwindigkeit in FAIR-Position zeigten nur 2 von6 Patienten mit PS einen positiven modifizierten H-Reflex nachFishman [56].

Bildgebende VerfahrenDas Piriformissyndrom galt zun�chst als rein klinische Diagnose.1985 untersuchten Karl et al. [34] Ver�nderungen des Piriformis-muskels mittels Szintigraphie. Jankiewicz et al. [32] und Barton[1] entdeckten 1991 Hypertrophien des M. piriformis mittelsComputertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie(MRT), und auch in den Folgejahren wurden CT und MRT zur Di-agnostik des PS eingesetzt [7, 10, 16, 37, 51].

Fanucci et al. [15] wendeten MRT-Untersuchungen bei 9 Patien-ten mit PS an. Der Piriformismuskel von 7 Patienten zeigte eine�nderung der Signalintensit�t entsprechend einer Denervation.2 Patienten hatten eine Atrophie des Muskels [15].

Filler et al. [16] untersuchten 239 Patienten mit Beinschmerzenohne lumbale Diagnose mittels Magnetresonanzneurographie.Sie definierten Asymmetrie des M. piriformis im Vergleich zuranderen Seite kombiniert mit einer erh�hten Signalintensit�tdes N. ischiadicus im Foramen ischiadicum als diagnostischenHinweis auf ein PS; die Spezifit�t dieser Diagnostik gaben siemit 93 %, die Sensitivit�t mit 64% an. Magnetresonanzneurogra-phie ist geeignet, sowohl Ver�nderungen am Nerv als auch amumgebenden Gewebe darzustellen [16].

Mit Ultraschall untersuchten Broadhurst et al. [7] die Korrelationzwischen abnormaler Morphologie des M. piriformis und kli-nischen Zeichen und Symptomen.

Benson und Schutzer [5], die 14 Patienten mit posttraumati-schem Piriformissyndrom operierten, maßen dem CT eine gerin-ge Bedeutung zur Diagnosefindung bei, und auch Papadopouloset al. [43] bewerteten die Ergebnisse bildgebender Verfahrenbeim PS im Allgemeinen als mangelhaft.

TherapieIn den meisten F�llen gilt eine konservative Therapie als ausrei-chend, Operationen werden nur dann empfohlen, wenn konser-vative Therapien erfolglos bleiben [44]. Konservative Behandlun-gen teilen sich in Physiotherapie und medikament�se Injektionen,wobei h�ufig beides kombiniert wird [17].

Therapieerfolge durch rein physiotherapeutische Anwendungensind ebenfalls dokumentiert [26, 51]. Repr�sentative Zahlen�ber die H�ufigkeit operativer Eingriffe liegen keine vor. In einerKohortenstudie mit zun�chst konservativ behandelten 918 Pa-tienten unterzogen sich zuletzt 43 einer Operation [18]. Von162 Patienten mit Beinschmerzen und der Diagnose PS wurden64 operiert [16].

PhysiotherapieDie ausf�hrlichste Beschreibung physiotherapeutischer Anwen-dungen zur Therapie von PS findet sich in Studien von Fishmanet al. [18, 19, 21]. Die Autoren behandelten in Dehnposition desM. piriformis (FAIR) zun�chst mit Ultraschall und appliziertenanschließend W�rmepackungen oder K�ltesprays. Manuelle Be-handlungen folgen in Form von Querdehnung des Muskels durch

Abb. 4 FAIR-Test: Dehnung des M. piriformis durch Flexion-Adduk-tion-Innenrotation.

Abb. 5 Querdehnung des Muskels durch tangentialen Druck auf dasGes�ß von kaudal.

Blaser-Sziede R. Piriformissyndrom – kritische Beurteilung … Manuelle Therapie 2006; 10: 159 – 169

Orig

inalarb

eit

164

Her

unte

rgel

aden

von

: FH

Cam

pus

Wie

n. U

rheb

erre

chtli

ch g

esch

ützt

.

Page 7: Piriformissyndrom

tangentialen Druck auf das Ges�ß von kaudal (Abb. 5) sowiemyofasziale Release der lumbalen R�ckenmuskeln. McKenzie-�bungen beschließen die Therapiesequenz [18, 19, 21].

Andere Autoren empfehlen die regelm�ßige Dehnung des M. pi-riformis alle 2 Stunden in FAIR-Position [1, 13]. Parziale et al. [44]bef�rworten eine Korrektur der Haltung durch Ausgleich einerm�glichen Beinl�ngendifferenz, Korrektur von Beckentorsionenund die Behandlung von Fußfehlstellungen. Weiter werden Mo-bilisations�bungen f�r die Wirbels�ule [59], Kr�ftigung derH�ftabduktoren [6] und transrektale Massage des M. piriformisgenannt [43].

Medikament�se Therapie und InjektionenIn der Literatur �ber PS nehmen medikament�se Infiltrationeneinen breiten Raum ein. Im Anschluss an Erstbehandlungen mitnichtsteroidalen Antirheumatika, Analgetika und Muskelrela-xantien [43] bilden lokale Injektionen die am meisten praktizier-te Therapieform. Bis Ende der 90er-Jahre fanden �berwiegenddie Lokalan�sthetika Lidocain und Procain in Verbindung mitdem Steroid Triamcinolon Einsatz [19, 44].

Studien seit 2002 scheinen eine bessere Schmerzlinderung bei PSdurch Botulinumtoxin Typ A und Typ B auszumachen [15, 18, 36],das die Aussch�ttung des Neurotransmitters Azetylcholin an dermotorischen Endplatte hemmt und so zu einer L�hmung des Mus-kels f�hrt. Insgesamt 16 der vorliegenden Fallberichte und Studienbeschreiben medikament�se Injektionen als Therapie, durchwegmit gutem Erfolg [11, 14, 18, 27]. Eine markante Schmerzreduktiondurch Injektion von Lokalan�sthetika in den M. piriformis wird alsBest�tigung der Diagnose PS gewertet [43].

Operative TherapieChirurgische Eingriffe werden empfohlen, wenn konservativeTherapieformen nicht helfen oder bei der Diagnose von patholo-gischen Ver�nderungen wie Tumoren, H�matome oder Abszesse[50]. In den meisten F�llen erfolgt die Durchtrennung des M. pi-riformis an seinem Ansatz am Trochanter major oder am Mus-kel-Sehnen-�bergang [10, 31]. Mehrfach beschrieben wird dieNeurolyse des N. ischiadicus durch L�sen von Adh�sionen gegen-�ber dem angrenzenden Gewebe [5, 49]. Von den 78 dokumen-tierten Operationen (Tab.1) erzielten 2//3 ein gutes oder sehr gu-tes Ergebnis, 1//3 m�ßige oder keine Verbesserungen. Filler et al.[16] berichten von 64 Operationen bei PS, davon 82 % mit einemsehr guten oder guten Ergebnis.

Ursachen und pathophysiologische Mechanismen desPiriformissyndromsEine Reihe verschiedener Erkl�rungsmodelle und unterschiedli-che Beobachtungen aus chirurgischen Interventionen zeigen,dass es gegenw�rtig keine einheitliche Meinung zu den patho-physiologischen Mechanismen des PS gibt. Papadopoulos [43]vertritt die Auffassung, Krankheitsbilder mit demselben Spek-trum an Symptomen und unabh�ngig von ihrem pathophysiolo-gischen Ursprung k�nnen mit dem Begriff Piriformissyndrombeschrieben werden.

Foster [22] und Papadopoulos [43] favorisieren eine Unterschei-dung zwischen prim�ren und sekund�ren Piriformissyndromen.Als prim�r gelten intrinsische Probleme des Muskels, wozu ent-

z�ndliche oder strukturelle Ver�nderungen des Muskels z�hlen,die h�ufig als Folge von Traumen gewertet werden [43]. Ges�ß-traumen als Ursache eines PS kommen in etwa der H�lfte der F�l-le vor ([42]; Tab.1).

Benson und Schutzer [5] formulieren das posttraumatische Piri-formissyndrom als eigenst�ndige Diagnose. Myositis ossificans[22], die mehrfach beschriebene Hypertrophie [6, 10, 50], Spas-mus [48] und myofasziale Triggerpunkte im M. piriformis [55]stellen m�gliche Folgen eines Traumas dar. Die posttraumatischeEntz�ndung und Vernarbung des Muskels (bereits 1947 von Ro-binson [49] beschrieben) wird auch gegenw�rtig als wahrschein-lichster Mechanismus beim posttraumatischen PS vermutet [5,14]. Einige Berichte �ber intraoperative Befunde erw�hnen Ad-h�sionen zwischen Ischiasnerv und anliegendem Gewebe sowieVernarbungen um den Piriformismuskel [5, 46, 49].

Steiner et al. [59] beschreiben m�gliche Mechanismen, wie Mus-kelverletzungen Ischiasschmerzen ausl�sen k�nnten. Danachsetzt der posttraumatische Muskelspasmus einen entz�ndlichenProzess in Gang, der zu epineuraler Irritation des benachbartenIschiasnervs f�hrt. Die Nervenfasern werden durch die Diffusi-onsbarriere des Perineuriums und die Blut-Nerven-Schrankeder endoneuralen Gef�ße vor chemischen Ver�nderungen ge-sch�tzt, die sich außerhalb der Schranke ereignen. In der Folgekommt es zu Schmerzen und Par�sthesien im Versorgungs-bereich des Nerven, nicht aber zu neurologischen Ausf�llen [59].

Andere Autoren favorisieren mechanische Ursachen des PS.Fishman und Zybert [21] schließen aufgrund negativer Szinti-gramme, dass beim PS keine Entz�ndung vorhanden ist. Folglichsind die Symptome nicht chemisch, sondern durch mechanische,funktionelle Einklemmung verursacht [21].

Nach Papadopoulos [43] liegt ein sekund�res PS vor, wenn sichdie urs�chliche Pathologie außerhalb des Muskels befindet. Fos-ter [22] h�lt Entz�ndungen des Iliosakralgelenks (ISG) f�r eineverbreitete Ursache des sekund�ren PS. Dagegen pr�sentiert Pa-padopoulos [43] Daten, die geringe Zusammenh�nge zwischenPS- und ISG-Pathologie zeigen.

Als weitere Ursachen eines sekund�ren PS werden Gef�ßanoma-lien, Aneurysmen, Endometriose, Raum fordernde Prozesse undgroße H�matome genannt [22, 43, 60]. Pecina [45] macht Lage-anomalien des N. ischiadicus, insbesondere den Durchtritt des N.peronaeus communis zwischen sehnigen Teilen des Pirifomismus-kels als mechanische Ursachen f�r Nerveneinklemmungen verant-wortlich, in der untersuchten Literatur ein h�ufig zitierter Mecha-nismus [13, 29, 43, 44]. Die vorliegenden Operationsberichtezeigen jedoch keine �berdurchschnittlichen Anteile an Lagevari-anten der Nervendurchtritte bei PS-Patienten [5, 16, 22, 31].

Spinner [58] berichtet �ber einen Fall mit der Diagnose PS, beidem eine anormale Lage des N. peronaeus communis gefundenwurde. Neurolyse und Sektion des M. piriformis hatten jedochkeine Symptomreduktion zur Folge [58].

Weitere bei Operationen beobachtete Gewebever�nderungenwaren sanduhrartige Einengungen des Ischiasnervs, die Foster[22] in 6 von 7 F�llen vorfand. Benson und Schutzer [5] entdeck-

Blaser-Sziede R. Piriformissyndrom – kritische Beurteilung … Manuelle Therapie 2006; 10: 159 – 169

Orig

inalarb

eit

165

Her

unte

rgel

aden

von

: FH

Cam

pus

Wie

n. U

rheb

erre

chtli

ch g

esch

ützt

.

Page 8: Piriformissyndrom

ten in 1 Fall eine Myositis ossificans und in 9 F�llen Verh�rtun-gen des Piriformismuskels. Der N. ischiadicus war jedoch wederentz�ndet noch verschm�lert [5]. Indrevekam und Sudman [31]konnten keinerlei Pathologie entdecken; Muskeln und Ischias-nerv waren bei allen 19 operierten Patienten v�llig in Ordnung.

Deep Gluteal SyndromeEinige Autoren vermuten, dass auch weitere durch das Forameninfrapiriforme tretende Nerven als Symptomquelle bei PS infragekommen. Reichel und Gaerisch [48] sehen L�sionen des N. cuta-neus femoris posterior als m�gliche Ursachen der Schmerzen imdorsalen Oberschenkel. Auch ein Entrapment der inferioren Glu-tealnerven ist denkbar [38].

Rask [47] beschreibt eine Patientin mit L�hmung der H�ftabdukto-ren durch Einklemmung des N. glutaeus superior im Foramen su-prapiriforme. Schmerzen, Taubheit und Par�sthesien im lateralenGenitalbereich deuten auf Irritationen des N. pudendus hin [44].

Weitere Studien legen nahe, dass neben dem M. piriformis auchandere Muskeln die genannten Beschwerden verursachen k�n-nen. Benson und Schutzer [5] fanden bei 14 operierten Patientenin allen F�llen Adh�sionen zwischen dem Ischiasnerv und denanliegenden kurzen Rotatoren (Mm. gemelli, obturatorius inter-nus, quadratus femoris).

Eine 2003 ver�ffentlichte Studie von Meknas et al. [39] l�sst ver-muten, dass der M. obturatorius internus bei neuralen Einklem-mungen im Ges�ß eine ausl�sende Rolle spielen k�nnte. Von12 Patienten mit Verdacht auf PS wurden 6 randomisiert zurOperation ausgew�hlt. W�hrend der Operation zeigte sich bei al-len ein unauff�lliger M. piriformis, wogegen der M. obturatoriusinternus sehr angespannt, hyper�misch und hypertroph war. BeiDurchf�hrung des Las�gue-Tests w�hrend der Operation dr�ckteder M. obturatorius internus und nicht der M. piriformis gegenden Nerv. Bei allen 6 Patienten wurde die Sehne des M. obturato-rius internus durchtrennt. Die Autoren werten die Operations-ergebnisse als Erfolg [39].

Ein weiteres Impingement-Syndrom im dorsalen Ges�ßbereichbeschreiben Puranen und Orava [46]. Sie operierten 65 Patientenmit Hamstring-Syndrom, das durch Schmerzen im unteren Ge-s�ß und der Oberschenkelr�ckseite gekennzeichnet ist. Schmer-zursache waren gespannte, verdickte Sehnenans�tze der ischio-kruralen Muskulatur am Tuber ischiadicum, die Druck auf denN. ischiadicus aus�bten.

Da offenbar mehrere Strukturen im Ges�ßbereich die f�r das PScharakteristischen Beschwerden ausl�sen k�nnen, schl�gt McCrory [38] vor, das Piriformissyndrom durch den Ausdruck DeepGluteal Syndrome zu ersetzen. Als weitere Alternativbegriffe wer-den Pelvic Outlet Syndrome [28] und Foramen-infrapiriforme-Syn-drom [48] genannt.

PS und LWSEinige Studien geben Hinweise auf Verbindungen zwischen PSund lumbosakralen Pathologien. Nach Mizugushi [40] kann derM. piriformis eine wichtige Rolle bei der Erzeugung von Ischial-gie in Verbindung mit intraspinalen L�sionen spielen. Der Autoroperierte 14 Patienten mit PS, von denen sich 6 zuvor einer La-

minektomie unterzogen und die anderen 8 als Vorerkrankungeine Osteoarthritis aufwiesen [40].

Benzon et al. [6] behandelten 19 Patienten mit PS, darunter 16mit schweren lumbalen Vorerkrankungen.

Pace und Nagle [42] berichten �ber die Behandlung von 45 Per-sonen mit PS, von denen 37 in der Vorgeschichte eine Lamin-ektomie oder eine Facettenblockade hatten.

An der Studie von Filler et al. [16] nahmen 162 Patienten mit PSteil. Von diesen klagten 42,4% �ber R�ckenschmerzen, und 2 Pa-tienten entwickelten nach lumbaler Fusion ein akutes PS [16].

Hanania et al. [27] beobachteten oft eine Koexistenz von PS mitspinaler Pathologie. In 4 von 6 Fallberichten �ber PS lagen lumbaleErkrankungen wie Diskusprolaps, Facettenarthropathie, zentraleSpinalstenosen oder Zustand nach Laminektomie vor [27].

Durrani und Winnie [14] fanden unter 26 Patienten mit PS 13 mitlumbalen R�ckenschmerzen und 8 nach lumbalen Operationen.18 der mit PS diagnostizierten Patienten wurden mit Elektromyo-graphie untersucht, von denen 7 eine Radikulopathie zeigten [14].

Diskussion

Gemessen an der Evidenzpyramide von Sackett [52] liegt dieAussagekraft der untersuchten Literatur gr�ßtenteils im unterenBereich. Die Mehrzahl der Arbeiten beschreibt knapp ein odermehrere Fallbeispiele, gefolgt von einem kurzen, meist unvoll-st�ndigen Review �ber die bisherige Literatur zum PS. Die bestenBewertungen (Evidenzstufe 2) erhielten 10 Studien aufgrund derMethodik [5, 7, 11, 14, 16 – 19, 21, 39], die alleine jedoch keinenAufschluss �ber die klinische Validit�t gibt.

Die Analyse der vorliegenden Artikel zeigt teilweise kontr�reAussagen zur Diagnostik des PS. Zahlenangaben zur Epidemiolo-gie weisen große Differenzen auf. Viele Autoren beschreiben dasFehlen echter neurologischer Ausf�lle als kennzeichnendesMerkmal des PS. Andererseits dokumentieren die Fallberichtezum PS wiederholt neurologische Ausf�lle.

Zweifel am klinischen Wert der passiven Tests zur Diagnostik desPS sind angebracht. Mit Ausnahme des Freiberg-Tests (56 %) wur-den alle Tests bei weniger als 50 % der Patienten positiv bewertet(Tab.1). Durrani und Winnie [14] vermuten, dass die Auff�lligkeitdieser Tests vom Grad der Dysfunktion des Piriformismuskels ab-h�ngt und sie daher wenig sensitive Indikatoren sind. Zudem be-lasten alle Tests eine Reihe weiterer Strukturen. SchmerzhafteH�ftgelenke reagieren h�ufig empfindlich auf passive Innenrota-tion wie beim Freiberg-Test und auf passive Flexion/Adduktionwie beim FAIR-Test. Durch die passive Innenrotation der H�fte(Freiberg) werden neben dem M. piriformis auch weitere Außen-rotatoren des H�ftgelenks gedehnt. Die Mm. obturatorius internusund gemelli wirken in H�ftbeugestellung als Abduktoren, weshalbsie beim FAIR-Test ebenso gedehnt werden und sich bei den Testsnach Pace und Beatty [4, 42] wie der M. piriformis kontrahieren[33]. Stewart [60] stellte fest, dass keines der auf ein PS hinweisen-den Zeichenkritisch evaluiert wurde.

Blaser-Sziede R. Piriformissyndrom – kritische Beurteilung … Manuelle Therapie 2006; 10: 159 – 169

Orig

inalarb

eit

166

Her

unte

rgel

aden

von

: FH

Cam

pus

Wie

n. U

rheb

erre

chtli

ch g

esch

ützt

.

Page 9: Piriformissyndrom

Die Reliabilit�t eines elektrodiagnostischen Verfahrens, bei demverz�gerte H-Reflexe in FAIR-Position die Diagnose PS best�tigensollen, dokumentierten Fishman et al. mit mehreren Studien [17,19]. Andere Autoren konnten diese Ergebnisse nicht best�tigen[11, 56].

Kritisch anzumerken ist, wie oben bereits beschrieben, dass inFAIR-Position nicht von einer isolierten Dehnung des M. pirifor-mis ausgegangen werden kann. Durch die Funktionsumkehr desM. piriformis, der bei einer H�ftflexion von mehr als 608 zum In-nenrotator wird, f�hrt die zus�tzliche Innenrotation in Flexion/Adduktion eher zu einer Entspannung des M. piriformis, w�h-rend etwa der M. obturatorius internus in 908 H�ftflexion undAdduktion maximal gedehnt wird [33]. Somit k�nnten verz�ger-te H-Reflexe in FAIR-Position ebenso ein Hinweis sein, dass einpathologischer M. obturatorius internus den Ischiasnerv einengt.

In der Literatur zum PS spielt Physiotherapie eine Nebenrolle,meist erg�nzend zu Injektionsbehandlungen mit Medikamenten.In der Regel werden standardisierte Programme empfohlen, dieaus Dehnungen, W�rme- und K�lteanwendungen und Ultraschallbestehen [1, 13, 26, 43]. Fishman et al. erweiterten das Therapie-spektrum um manuelle Querdehnungen des Piriformismuskels[17– 19, 21]. Das Potenzial der modernern Physiotherapie und Ma-nualtherapie, differenziert zu untersuchen und zu behandeln,wird in den therapeutischen Empfehlungen zum PS nicht aus-gesch�pft.

Die Mehrzahl der Autoren der untersuchten Literatur wertenlumbale Erkrankungen als Ausschlusskriterium zur Diagnose ei-nes PS [26, 49, 53]. Vermutlich aus diesem Grund ist der Anteilder Patienten mit positiven radiologischen lumbalen Befunden(13 %) oder lumbalen Vorerkrankungen (28 %) relativ gering(Tab.1). Eine Reihe von Studien und Fallberichten, die R�ckenpa-tienten nicht ausschließen, weisen zum Teil hohe Anteile an Pa-tienten mit Schmerzen im unteren R�cken oder lumbalen Vor-erkrankungen in Verbindung mit PS auf [1, 14, 16, 31, 40, 42].

Durrani und Winnie [14] sowie Mizugushi [40] �ußern Ver-mutungen �ber m�gliche pathophysiologische Zusammenh�ngezwischen lumbalen Operationen und PS. Narbenbildung in Folgevon Laminektomie k�nnte die Beweglichkeit der lumbalen undsakralen Nervenwurzeln und damit auch die des Ischiasnervs in-nerhalb des Beckens begrenzen. Diese Bewegungseinschr�nkungsetzt den Nerv unter Spannung und erh�ht beim Gehen denDruck auf den Nerv durch den Piriformismuskel. Dadurch stei-gert sich wiederum der Zug auf die Nervenwurzeln und f�rdertderen Hypersensibilit�t [14]. Mizugushi [40] nennt diesen Vor-gang die Claudicatio intermittens des N. ischiadicus. Ein Vor-gang, der auch bei akuten Diskushernien vorstellbar ist, da dieseh�ufig mit einer starken Bewegungseinschr�nkung des Spinal-nervs einhergehen.

Hanania et al. [27] und Pace et al. [42] berichten �ber Patienten,die ein PS in Verbindung mit einem lumbalen Diskusprolapszeigten. Eine Koexistenz von lumbalen Syndromen und PSscheint auch unabh�ngig von mechanisch eingeschr�nkten lum-bosakralen Nervenwurzeln vorhanden zu sein.

Stewart [60] beschreibt, dass lumbosakrale Pathologien h�ufigvon einer Druckschmerzhaftigkeit der tiefen Ges�ßmuskeln be-gleitet werden. Einige Autoren schildern lumbale Dysfunktionenwie Spinalstenose, Facettenarthropathie oder chronische Schmer-zen im unteren R�cken im Zusammenhang mit PS [6, 14, 27, 40,42]. Fishman et al. [19, 20] stellten in ihrer Klinik h�ufig eine Ko-morbidit�t von lumbalen Pathologien und PS fest.

�ber die Zusammenh�nge zwischen Lumbalsyndromen undschmerzhaften tiefen Ges�ßmuskeln gibt es keine gesichertenErkenntnisse. Filler et al. [16] vermuten, dass der M. piriformisdurch L�sion der unteren LWS ebenso wie die R�ckenmuskulatureinen erh�hten Tonus entwickelt. Diese Tonuserh�hung wiede-rum f�hrt zu einer Kompression des N. ischiadicus [16].

Triggerpunkte in den lumbalen Muskeln k�nnen als Referred painSchmerzen im Ges�ß ausl�sen [54, 55]. Wenn sich Irritationender lumbosakralen Nervenwurzeln und des N. ischiadicus im Ge-s�ß summieren, k�nnten periphere Schmerzen die Folge einesDouble-crush-Syndroms (DCS) sein.

Upton und McComas [62] beschrieben das DCS erstmals 1973 amBeispiel des Karpaltunnelsyndroms im Zusammenhang mit L�-sionen der zervikothorakalen Nervenwurzeln. Aus Untersuchun-gen schlossen die Autoren, dass die Kompression einzelner Axo-ne, die zun�chst noch keine Symptome hervorruft, den Nerv anentfernter Stelle anf�llig f�r St�rungen macht [62].

Untersuchungen �ber ein DCS in Verbindung mit PS sind nichtbekannt. Fishman und Zybert [21] halten Double-crush-Patien-ten mit Radikulopathie und PS f�r eine interessante Subgruppe.Das DCS ist wissenschaftlich noch umstritten, einige elektro-diagnostischen Studien verneinen seine Existenz [9].

Wegen der eingeschr�nkten Literaturauswahl ist die Aussagekraftder vorliegenden Studie begrenzt. Auf die diagnostische Reliabili-t�t medikament�ser Injektionen beim PS und die Effekte operati-ver Therapien wurde nur am Rande eingegangen, obwohl dieseThemen Inhalt der meisten Ver�ffentlichungen der letzten Jahrezum PS waren.

Schlussfolgerungen

Das Piriformissyndrom erscheint als Sammelbegriff f�r ein kli-nisches Bild mit unterschiedlichen Ursachen und Mechanismen.Die diagnostischen Tests zum PS zeigen eine geringe Validit�t,diagnostische Kriterien finden sehr unterschiedliche Anwen-dung. �berwiegend als Einklemmung des N. ischiadicus durchVer�nderungen des M. piriformis definiert, werden beim PSauch Pathologien benachbarter Muskeln (M. obturatorius inter-nus) und die Irritation weiterer Nerven im tiefen Ges�ßbereichdiskutiert. Aus diesem Grund sind neutralere Begriffe wie Deepgluteal syndrome oder Pelvic outlet syndrome besser geeignet.

Als isoliertes Krankheitsbild mit nachvollziehbaren pathophy-siologischen Mechanismen scheint das PS vorwiegend nach Ge-s�ßtraumen aufzutreten. Als weitere Ursachen werden sekund�-

Blaser-Sziede R. Piriformissyndrom – kritische Beurteilung … Manuelle Therapie 2006; 10: 159 – 169

Orig

inalarb

eit

167

Her

unte

rgel

aden

von

: FH

Cam

pus

Wie

n. U

rheb

erre

chtli

ch g

esch

ützt

.

Page 10: Piriformissyndrom

re Ver�nderungen der tiefen Ges�ßmuskeln, verursacht durchPathologien angrenzender Gelenke und Strukturen genannt.

Die meisten Autoren werten lumbale Erkrankungen im Zusam-menhang mit dem PS als Ausschlussdiagnose. Einige diese Tren-nung nicht vollziehende Studien zeigen h�ufig eine Koexistenzvon Pathologien der LWS und schmerzhaften tiefen Ges�ßmus-keln. Da es �ber diese Zusammenh�nge wenig Evidenz gibt, istmehr Forschung in dieser Richtung erforderlich. In der unter-suchten Literatur wird das Potenzial physiotherapeutischer Un-tersuchung und Behandlung nicht ausgesch�pft. F�r die Zukunftsind weitere Studien notwendig, die den Stellenwert der Physio-therapie bei der Behandlung des PS untersuchen.

Danksagung

Herzlichen Dank an Trisha Davies-Knorr f�r die sachkundige undgeduldige Unterst�tzung bei der Arbeit.

Literatur

1 Barton PM. Piriformis syndrome: a rational approach to management.Pain 1991; 47: 345 – 352

2 Beaton LE, Anson BJ. The relation of the sciatic nerve and of its subdivi-sions to the piriformis muscle. Anat Rec 1937; 70: 1 –5

3 Beaton LE, Anson BJ. The sciatic nerve and the piriformis muscle: theirinterrelation a possible cause of coccydynia. J Bone Joint Surg 1938;20: 686– 688

4 Beatty RA. The piriformis muscle syndrome: a simple diagnostic ma-noeuvre. Neurosurgery 1994; 34: 512– 514

5 Benson ER, Schutzer SF. Posttraumatic piriformis syndrome: diagnosisand results of operative treatment. J Bone Joint Surg Am 1999; 81-A:941– 949

6 Benzon HT, Katz JA, Benzon HA et al. Piriformis syndrome: anatomicconsiderations, a new injection technique, and a review of the litera-ture. Anesthesiology 2003; 98: 1442 – 1448

7 Broadhurst NA, Simmons DN, Bond MJ. Piriformis syndrome: correla-tion of muscle morphology with symptoms and signs. Arch Phys MedRehabil 2004; 85: 2036 – 2039

8 Bustamente S, Houlton PG. Swelling of the leg, deep venous thrombo-sis and the piriformis syndrome. Pain Res Manag 2001; 6: 200– 203

9 Butler D. The Sensitive Nervous System. Adelaide: Noigroup, 200010 Chen WS, Wan YL. Sciatica caused by piriformis muscle syndrome: re-

port of two cases. J Formos Med Assoc 1992; 91: 647 –65011 Childers MK, Wilson DJ, Gnatz SM et al. Botulinum toxin type A use in

piriformis muscle syndrome: a pilot study. Am J Phys Med Rehabil2002; 81: 751– 759

12 Dezawa A, Kusano S, Miki H. Arthroscopic release of the piriformismuscle under local anaesthesia for piriformis syndrome. Arthroscopy2003; 19: 554 –557

13 Douglas S. Sciatic pain and piriformis syndrome. Nurse Pract 1997; 22:166– 168

14 Durrani Z, Winnie AP. Piriformis muscle syndrome: an underdiagno-sed cause of sciatica. J Pain Symptom Manage 1991; 6: 374– 379

15 Fanucci E, Masala S, Squillaci E et al. Pyriformis muscle syndrome: CT/MR findings in the percutaneous therapy with botulinic toxin. RadiolMed (Torino) 2003; 105: 69– 75

16 Filler AG, Haynes BA, Jordan SE et al. Sciatica of nondisc origin and pi-riformis syndrome: diagnosis by magnetic resonance neurographyand interventional magnetic resonance imaging with outcome studyof resulting treatment. J Neurosurg Spine 2005; 2: 99 –115

17 Fishman LM, Zybert PA. Electrophysiologic evidence of piriformis syn-drome. Arch Phys Med Rehabil 1992; 73: 59 –64

18 Fishman LM, Anderson C, Rosner B. BOTOX and physical therapy in thetreatment of piriformis syndrome. Am J Phys Med Rehabil 2002; 81:936– 942

19 Fishman LM, Dombi GW, Michaelsen C et al. Piriformis syndrome: di-agnosis, treatment, and outcome – a 10-year study. Arch Phys Med Re-habil 2002; 83: 295 –301

20 Fishman LM, Schaefer MP. The piriformis syndrome is underdiagno-sed. Muscle & Nerve 2003; 28: 646 – 649

21 Fishman LM, Konnoth C, Rozner B. Botulinum neurotoxin type B andphysical therapy in the treatment of piriformis syndrome: a dose-fin-ding study. Am J Phys Med Rehabil 2004; 83: 42– 50

22 Foster MR. Piriformis syndrome. Orthopedics 2002; 25: 821– 82523 Freiberg AH, Vinke TH. Sciatica and the sacroiliac joint. J Bone Joint

Surg 1934; 16: 126 – 13624 Frisch H. Programmierte Untersuchung des Bewegungsapparates.

2. Aufl. Berlin: Springer, 198725 Gibbons SGT, Comerford MJ. Kraft versus Stabilit�t. Teil 1: Konzepte

und Begriffe. Manuelle Therapie 2001; 4: 204 – 21226 Hallin RP. Sciatic pain and the piriformis muscle. Postgrad Med 1983;

74: 69 –7227 Hanania M, Kitain E. Perisciatic injection of steroid for the treatment

of sciatica due to piriformis syndrome. Reg Anesth Pain Med 1998;23: 223– 228

28 Hopayian K. Sciatica in the community – not always disc herniation.Int J Clin Pract 1999; 53: 197– 198

29 Huber HM. Das Piriformissyndrom – eine m�gliche Ursache f�r Ischi-algien. Schweiz Rundsch Med Prax 1990; 79: 235– 236

30 Hughes SS, Goldstein MN, Hicks DG et al. Extrapelvic compression ofthe sciatic nerve. An unusual cause of pain about the hip: report of fivecases. J Bone Joint Surg Am 1992; 74-A: 1553– 1559

31 Indrevekam K, Sudmann E. Piriformis muscle syndrome in 19 patientstreated by tenotomy – a 1 – 16-year follow-up study. Int Orthop 2002;26: 101– 103

32 Jankiewicz JJ, Hennrikus WL, Houkom JA. The appearance of the piri-formis muscle syndrome computed tomography and magnetic reso-nance imaging. A case report and review of the literature. Clin Orthop1991; 262: 205 – 209

33 Kapandji IA. Funktionelle Anatomie der Gelenke. Bd. 2: Untere Extre-mit�t. Stuttgart: Enke, 1985

34 Karl RD, Yedinak MA, Hartshorne MF et al. Scintigraphic appearance ofthe piriformis muscle syndrome. Clin Nucl Med 1985; 10: 361 – 363

35 Kirkaldy-Willis WH, Hill RJ. A more precise diagnosis for low-backpain. Spine 1979; 4: 102 – 109

36 Lang AM. Botulinum toxin type B in piriformis syndrome. Am J PhysMed Rehabil 2004; 83: 198 –202

37 Lee EY, Margherita AJ, Gierada DS et al. MRI of piriformis syndrome.AJR Am J Roentgenol 2004; 183: 63– 64

38 McCrory P, Bell S. Nerve entrapment syndromes as a cause of pain inhip, groin and buttock. Sports Med 1999; 27: 261 – 274

39 Meknas K, Christensen A, Johansen O. The internal obturator musclemay cause sciatic pain. Pain 2003; 104: 375– 380

40 Mizugushi T. Division of the piriformis muscle for the treatment ofsciatica. Postlaminectomy syndrome and osteoarthritis of the spine.Arch Surg 1976; 111: 719 –722

41 Nakamura H, Seki M, Konishi S et al. Piriformis syndrome diagnosedby cauda equina action potentials: report of two cases. Spine 2003;28: E37– E40

42 Pace JB, Nagle D. Piriformis syndrome. West J Med 1976; 124:435– 439

43 Papadopoulos EC, Khan SN. Piriformis syndrome and low back pain: anew classification and review of the literature. Orthop Clin North Am2004; 35: 65 – 71

44 Parziale JR, Hudgins TH, Fishman LM. The piriformis syndrome. Am JOrthop 1996; 25: 819 –823

45 Pecina M. Contribution to the etiological explanation of the piriformissyndrome. Acta Anat (Basel) 1979; 105: 181 –187

46 Puranen J, Orava S. The hamstrings syndrome – a new gluteal sciatica.Ann Chir Gynaecol 1991; 80: 212 – 214

47 Rask MR. Superior gluteal nerve entrapment syndrome. Muscle Nerve1980; 3: 304 – 307

48 Reichel G, Gaerisch F. Das Piriformissyndrom: Ein Beitrag zur Diffe-rentialdiagnose von Lumbago und Kokzygodynie. Zentralbl Neurochir1988; 49: 178 – 184

49 Robinson DR. Pyriformis syndrome in relation to sciatic pain. Am JSurg 1947; 73: 355– 358

50 Rodrigue T, Hardy RW. Diagnosis and treatment of piriformis syndro-me. Neurosurg Clin N Am 2001; 12: 311 – 319

Blaser-Sziede R. Piriformissyndrom – kritische Beurteilung … Manuelle Therapie 2006; 10: 159 – 169

Orig

inalarb

eit

168

Her

unte

rgel

aden

von

: FH

Cam

pus

Wie

n. U

rheb

erre

chtli

ch g

esch

ützt

.

Page 11: Piriformissyndrom

51 Rossi P, Cardinali P, Serrao M et al. Magnetic resonance imaging find-ings in piriformis syndrome: a case report. Arch Phys Med Rehabil2001; 82: 519 – 521

52 Sackett LD, Straus SE, Richardson WS et al. Evidence-based medicine.How to practice and teach EBM. Edinburgh: Churchill Livingstone,2000

53 Sayson SC, Ducey JP, Maybrey JB et al. Sciatic entrapment neuropathyassociated with an anomalous piriformis muscle. Pain 1994; 59:149– 152

54 Simons DG, Travell JG. Myofascial origins of low back pain. 2. Torsomuscles. Postgrad Med 1983; 73: 81– 92

55 Simons DG, Travell JG. Myofascial origins of low back pain. 3. Pelvicand lower extremity muscles. Postgrad Med 1983; 73: 99 – 105

56 Slipman CW, Vresilovic EJ, Palmer MA et al. Piriformis muscle syn-drome: a diagnostic dilemma. Journal of Musculoskeletal Pain 1999;7: 73 – 83

57 Solheim LF, Siewers P, Paus B. The piriformis muscle syndrome: Sciaticnerve entrapment treated with section of the piriformis muscle. ActaOrthop Scand 1981; 52: 73– 75

58 Spinner RJ, Thomas NM, Kline DG. Failure of surgical decompressionfor a presumed case of piriformis syndrome. Case report. J Neurosurg2001; 94: 652 – 654

59 Steiner C, Staubs C, Ganon M et al. Piriformis syndrome: Pathogenesis,diagnosis and treatment. J Am Ostheopath Assoc 1987; 87: 318 – 323

60 Stewart JD. The piriformis syndrome is overdiagnosed. Muscle &Nerve 2003; 28: 644 –646

61 Uluutku MH, Kurtoglu Z. Variations of nerves located in the deep glu-teal region. Okajimas Folia Anat Jpn 1999; 76: 273 – 276

62 Upton ARM, McComas AJ. The double crush in nerve entrapment syn-dromes. The Lancet 1973; 2: 359– 362

63 Vallejo MC, Mariano DJ, Kaul B et al. Piriformis syndrome in a patientafter cesarean section under spinal anaesthesia. Reg Anesth Pain Med2004; 29: 364 – 367

64 Yeoman W. The relation of arthritis of the sacroiliac joint to sciatica.The Lancet 1928; II: 1119 – 1122

Blaser-Sziede R. Piriformissyndrom – kritische Beurteilung … Manuelle Therapie 2006; 10: 159 – 169

Orig

inalarb

eit

169

Her

unte

rgel

aden

von

: FH

Cam

pus

Wie

n. U

rheb

erre

chtli

ch g

esch

ützt

.