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Inklusion - Auftrag an die Gesellschaft 19.11.2011 Bonn Univ.-Prof. Dr. Matthias v. Saldern Mitglied der Deutschen UNESCO-Kommission Leuphana Universität Lüneburg (Copyright dieser Folien, soweit nicht anders angegeben, bei Matthias von Saldern) Vorschau 1. Einleitung 2. Separation – Integration - Inklusion 3. Fiktion Homogenität 4. Hindernis: Gruppierung 5. Hindernis: Gleichzeitigkeit 6. Fazit 2. Inklusion a. Separation Grundidee: Menschen mit besonderen Merkmal brauchen besondere Gruppen. Prinzip: „Individuelle Einzelhilfe“ Empirische Studien: Weg nicht erfolgreich, Förderung sogar geringer. Die Probleme von heute sind die Lösungen von gestern. b. Integration Erster Versuch einer Verbesserung – Re- Integration Basis: Erklärung von Salamanca 1994 Problem: Paralleles Fahren zweier Systeme

1. Einleitung Inklusion - Auftrag an die Gesellschaft 2 ... · education on an equal basis with others in the communities in which they live; ...“ Konvention von BRD ratifiziert

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Inklusion - Auftrag an die Gesellschaft

19.11.2011 Bonn

Univ.-Prof. Dr. Matthias v. SaldernMitglied der Deutschen UNESCO-Kommission

Leuphana Universität Lüneburg

(Copyright dieser Folien, soweit nicht anders angegeben, bei Matthias von Saldern)

Vorschau

1. Einleitung2. Separation – Integration - Inklusion 3. Fiktion Homogenität4. Hindernis: Gruppierung5. Hindernis: Gleichzeitigkeit 6. Fazit

2. Inklusiona. Separation

● Grundidee:● Menschen mit besonderen

Merkmal brauchen besondere Gruppen.

● Prinzip: „Individuelle Einzelhilfe“

● Empirische Studien: Weg nicht erfolgreich, Förderung sogar geringer.

● Die Probleme von heute sind die Lösungen von gestern.

b. Integration

● Erster Versuch einer Verbesserung – Re-Integration

● Basis: Erklärung von Salamanca 1994

● Problem: Paralleles Fahren zweier Systeme

c. Inklusion

Inklusion ist kein Prozess, es ist ein Zustand!

● Dritter Schritt: keine Separation● Hintergrund: UN-

Behindertenrechtskonvention● Prinzip: „Haltungsänderung des

gesamten Systems“● Achtung: Gilt für alle

Lebensbereiche und nicht nur für Schule

UN BehindertenrechtskonventionEnglische Fassung

● „States Parties shall ensure an inclusive education system at all levels...“

● „Persons with disabilities can access an inclusive, quality and free primary education and secondary education on an equal basis with others in the communities in which they live; ...“

● Konvention von BRD ratifiziert am 1.1.2009.● Wie soll Schule den Zugang finden?

Alles neu?● Grundgesetz 1949

● Niemand darf wegen ... benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. (Artikel 3, Abs. 3)

● Europäische Menschenrechtskommission 1985● Der Genuß der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten

ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Gebuoder eines sonstigen Status zu gewährleisten. (Art. 14)

● UN-Kinderrechtskonvention 1989● Die Vertragsstaaten erkennen an, daß ein geistig oder körperlich

behindertes Kind ein erfülltes und menschenwürdiges Leben unter Bedingungen führen soll, welche die Würde des Kindes wahren, seine Selbständigkeit fördern und seine aktive Teilnahme am Leben der Gemeinschaft erleichtern. (Art. 23)

Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation(WHO) 1980

Impairment (Schädigung):

Funktionsstörung bzw. Schädigung auf der organischen Ebene (menschlicher Organismus allgemein).

Disability (Behinderung):

Störung auf der individuellen personalen Ebene (Bedeutung für einen konkreten Menschen).

Handicap (Benachteiligung):

Störung bzw. mögliche Konsequenzen auf der sozialen Ebene (Nachteile, durch die die Übernahme von solchen Rollen eingeschränkt oder verhindert wird, die für die betreffende Person in Bezug auf Alter, Geschlecht, soziale und kulturelle Aktivitäten als angemessen gelten)

Body functions – KörperfunktionenBody structures – Körperstrukturen Impairments – Schädigung Activity – Aktivität Activity Limitations – Beeinträchtigung der AktivitätParticipation – Partizipation Teilhabe Participation Restrictions – Beeinträchtigung der PartizipationEnvironmental Factors – Umweltfaktoren

URL: http://www3.who.int/icf

Modell ICIDH-2 bzw. ICF (2005)

Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dient als länder- und

fachübergreifende einheitliche Sprache zur Beschreibung des funktionalen Gesundheitszustandes, der Behinderung, der sozialen Beeinträchtigung und der

relevanten Umgebungsfaktoren einer Person.

Dr. Peter Radtke, von Geburt an körperlich schwer behindert, Mitglied des Deutschen Ethikrats:

„Behinderung ist kein Zustand; sie ist ein Prozess. In ihm wirken Vorurteile und Klischeevorstellungen von Leid und mangelnder Lebensqualität zum Schaden der Betroffenen zusammen. Nicht die Menschen mit

Behinderungen zu eliminieren,sondern die unseligen Gedanken aus den Köpfen der

Zeitgenossen, ist die gesellschaftliche Aufgabe unserer Tage.“

(www.imew.de).

Inklusion ist eine Geisteshaltung!

● Wo ist hier der Gebärdendolmetscher?

● Wo ist das Mikrofon für Träger eines Chochlea-Implantats?

● …● Also: SIE als Verantwortliche

und Vorbilder müssen bei jeder Veranstaltung/ Maßnahme auf Inklusion achten!

Phil Hubbe1

Kritische Nachfrage

● Arbeitet mein Arbeitgeber selbst konsequent und nachhaltig inklusiv?

● Wurde schon einmal eine Analyse auf der Basis des Index für Inklusion gemacht?

Inklusion im Alltag!

Inklusion umfasst

…… Armut

Karikaturen von Renate Alf

Inklusion umfasst …… andere

Begabungen

Inklusion umfasst …

… Hochbegabung

usw. usw.

Merke!

● Inklusion ist eine gesellschaftliche Aufgabe.

● Die daraus resultierende schulische Herausforderung heißt „Umgang mit Heterogenität“.

Friedrich Jahresheft XXVI 2008

IQSH Schlieker

3. Fiktion Homogenität

Geschlecht

Alter

Familie, Elternhaus

Muttersprache

Kulturelle Bindungen

ReligionErfahrungshintergrund

Fähigkeiten und BegabungMotivation

Lieblingsfächer

Leistungsstand

Arbeitstempo

„Immer wird der Erzieher das Problem aufzulösen haben: Wie bearbeitest Du den rohen Geist der Jugend am besten? (…) Wie

machst Du aus einem jeden Kopf und Herzen, was daraus werden kann? (…). Und besonders:

Wie hast Du dies alles anzufangen bei einem Haufen Kinder, deren Anlagen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Neigungen, Bestimmungen verschieden sind, die aber doch in einer und eben derselben

Stunde von Dir erzogen werden sollen?“

Komplexitätsproblem Individualisierungsproblem

Ein altes Problem …

Ernst Christian Trapp, Versuch einer Pädagogik, Berlin 1780/1977 1745-1818), ein führender Vertreter der spätaufklärerischen Pädagogik, des Philanthropismus, übernahm an der Universität Halle

1779 die erste Professur für Philosophie und Pädagogik auf deutschem Boden.

... neu formuliert

(Prof. Dr. Jürgen Baumert (2002), Leiter von PISA I) Zit. n. B. Wischer

„Ein weiterer Bereich, in dem ich ebenfalls einen dringenden Handlungsbedarf sehe, ist der Umgang mit Heterogenität. (…) In

der Verbesserung des Umgangs mit Differenz liegt vermutlich die eigentliche

Herausforderung der Modernisierung des Systems.“

3 Problemlösungsstrategien

a) Reduzieren: Homogenisierung von Lerngruppen (Systemebene)

b) Ignorieren: Orientierung des Unterrichts am „Mittelkopf“ (Unterrichtsebene)

c) Akzeptieren!

… im Einzelnen ... Dies bedeutet: Kinder entwickeln sich unterschiedlich!

(TIMSS, Mathematik, 8. Klasse)

a) Reduzieren: Homogenisierung von Lerngruppen (Systemebene)

IGS NDS Empfehlung AbschlussHauptschule 27% 15%

Realschule 45% 29%

Gymnasium 28% 55% (ESAI)

0,9% ohne Abschluss

Sortierung hat Effekt auf Kompetenzentwicklung:

Sie hemmt!

Wocken: Gilt auch für Förderschulen!

NRW Abi 2009

HS RS GymAnzahl 863 2554 1431Prozent 17,8% 52,7% 29,5%

Grundschulempfehlungen der Abiturienten

Basis: 95 IGS

Lesehilfe: 52,7% der Abiturienten an den Gesamtschulen waren für die Realschule empfohlenKontrollfrage: Wie viele Realschulempfohlene machen im gegliederten System

das Abitur auf dem Gymnasium?

b) Ignorieren: Orientierung des Unterrichtsam „Mittelkopf“ (Unterrichtsebene)

Überspringe

Sitzen bleibenFörder-schule

Trapp: „Mittelkopf“

Verfahren teuer und widerspricht UN-Behindertenrechtskonvention

Gute Pädagogik ist die Ungleichbehandlung des Ungleichen!

Willi schläft und keiner merkt es.

Unterrichtsausfall im Unterricht!

GymnasiumRealschuleHauptschule

Milieu 1 Milieu 4Milieu 2

Wir bauen Parallelgesellschaften!

Förderschule

Milieu 3

Soziale Selektion

● Nicht in der Hauptschule (wie meist diskutiert), sondern in der Sonderschule für Lernbehinderte ist die extremste Form negativer sozialer Selektion wirksam. (Bacher, 1998; Rolff, 1997; Baumert & Schümer, 2001)

● Die Förderschule für Lernbehinderte kann so – entgegen der eigentlichen Intention – nicht mehr als Schule für Lernschwache mit besonderem Förderbedarf, sondern vielmehr das Abstellgleis für schwierige und auffällige Kinder und Jugendliche überhaupt gelten.

● Anstieg der soz. Benachteiligung seit 30 Jahren

c) Akzeptieren

● klassisch:● Heterogenität: "Abweichung" von einer Norm, ● Integration: Einbeziehung des "Andersartigen", ● Differenzierung: "Sonder"-behandlung gegenüber der

Normgruppe. ● aktuell:

● Heterogenität: "Unterschiedlichkeit", ● Integration: "Gemeinsamkeit" ● Differenzierung: Raum für die "Individualität" aller.

Brüggelman

Konsequente Umsetzung

● Gegliedertes Schulwesen mit● Gymnasium als Einheitsschule● Realschule als Einheitsschule● Hauptschule als Einheitsschule● Förderschule als Einheitsschule(n)

● dabei Inkonsequenz● Förderschule ADHS ??● Förderschule Hochbegabung ??● Förderschule für Nähnadelbegabte (nicht Ernst

gemeint, falls es einer nicht merken sollte)

Begabungstypen?

Vor dem Hintergrund der allgemeinen Bildung des Gemüts, die für alle Menschen gleich sein soll,

formuliert W. von Humboldt:

"Auch Griechisch gelernt zu haben könnte auf diese Weise dem Tischler ebenso wenig unnütz seyn, als

Tische zu machen dem Gelehrten."

(Königsberger und Litauischer Schulplan, 1809, Teil B.: Unmassgebliche Gedanken über den Plan zur Einrichtung des Litthauischen Stadtschulwesens.)

5. Hindernis: Gleichzeitigkeit

Rot: lineare Lernentwicklung – unrealistischSchwarz: Der UnsteteBlau: Der Spätzünder

Zeit

Leistung

Konsequente Umsetzung

1. Gleiches Lerntempo für alle (Klassenarbeiten als stärkste Waffe gegen Individualisierung)

2. Alle Schüler erhalten gleiche Anzahl von Fachstunden

3. Abschlüsse nach einer festgelegten Anzahl von Jahren

4. Aber: Verschiebung der Sommerferien5. Frage: Wie Schule flexibilisieren? Ein Beispiel:

6. Bedeutung des Gesagten

● Ein Inklusives Schulsystem ist keine triviale Angelegenheit.

● Daher: Ein Schulsystem ist ein Schulsystem, also komplex, beschrieben mit vielen Parametern, von immenser Größe usw.

● Problem-Parameter: Gruppierung und Gleichzeitigkeit

● Daher: Einfache Lösungen gibt es nicht.● Noch 2 Gedanken zum Abschluss:

Sonderpädagogik?

● Derzeit: zu klassisches Denken in den alten Kategorien (10 Formen der Behinderung)

● Ausweitung des Arbeitsgebietes auf viele andere Merkmale (Hochbegabung, usw.)

● Abschaffung der Überprüfung auf sonderpädagogischen Förderbedarf

● Neu: Screening eines jeden Kindes im Sinne einer pädagogischen Diagnostik

● Ganz wichtig: Keine Etikettierung

Betroffene zu Experten machen!

7. Fazit

● Eine Inklusive Schule ist● möglich● pädagogisch sinnvoll● rechtlich angesagt

● Aber: Es gibt noch viel zu tun!● Ihnen wünsche ich für Ihren Weg

● Beharrlichkeit● Kraft● Akzeptanz von Fehlern

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