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Wiss. Mit. Annkathrin Griesbach 10. Juli 2015 2. Übungsfall zum Staatsorganisationsrecht KOMMT SIE ODER KOMMT SIE NICHT? (entnommen aus Schulz, JuS 2013, 910-913) Im Zuge der weltweiten Finanzkrise steht auch die Bundesrepublik Deutschland unter erheblichem Druck, weshalb die Bundesregierung Wege sucht, um die öffentlichen Haushalte zu entlasten. Dabei hat sie sich letztlich durchgerungen, durch das „Autobahnmautgesetz für Personenkraftwagen“ (PMautG) eine sog. Pkw-Maut einzuführen. Der vom zuständigen Bundesminister ausgearbeitete Gesetzesentwurf enthält u.a. folgende Vorschriften: § 6 – Kontrolle Die Landkreise überwachen die Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes durch die in ihrem Gebiet gemeldeten Personenkraftwagen und treffen selbstständig die hierzu erforderlichen Maßnahmen. § 9 – Höhe der Mautgebühr Die Höhe der Mautgebühr wird durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung der zuständigen Landesminister festgesetzt. Nachdem der Gesetzentwurf ordnungsgemäß in den Bundestag eingebracht wurde und die erste und zweite Beratung stattgefunden haben, wird an deren Ende vorgeschlagen, keine dritte Beratung mehr durchzuführen, um das PMautG direkt verabschieden zu können. An diesem Tag sind von den derzeit 620 Abgeordneten insgesamt 497 anwesend, wovon 257 für den Verzicht auf eine dritte Beratung votieren. Als es dann zur Abstimmung über den Entwurf kommt, wird dieser von 246 Abgeordneten angenommen, während 244 Parlamentarier ihn ablehnen. Die übrigen 7 Mitglieder des Bundestages enthalten sich ihrer Stimme. Nach ordnungsgemäßer Beteiligung des Bundesrates zeichnet der für den Verkehr zuständige Bundesminister das Gesetz gegen, woraufhin der Bundespräsident es ausfertigt. Die P-Partei, deren 161 Abgeordnete sowohl gegen den Verzicht auf eine dritte Beratung als auch gegen

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Page 1: 2. Übungsfall Staatsorga · PDF file · 2015-07-10Im Zuge der weltweiten Finanzkrise steht auch die Bundesrepublik Deutschland unter erheblichem Druck, weshalb die ... Microsoft

Wiss. Mit. Annkathrin Griesbach 10. Juli 2015

2. Übungsfall zum Staatsorganisationsrecht

KOMMT SIE ODER KOMMT SIE NICHT?

(entnommen aus Schulz, JuS 2013, 910-913)

Im Zuge der weltweiten Finanzkrise steht auch die Bundesrepublik Deutschland unter

erheblichem Druck, weshalb die Bundesregierung Wege sucht, um die öffentlichen Haushalte

zu entlasten. Dabei hat sie sich letztlich durchgerungen, durch das „Autobahnmautgesetz für

Personenkraftwagen“ (PMautG) eine sog. Pkw-Maut einzuführen. Der vom zuständigen

Bundesminister ausgearbeitete Gesetzesentwurf enthält u.a. folgende Vorschriften:

§ 6 – Kontrolle Die Landkreise überwachen die Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes durch die in ihrem Gebiet gemeldeten Personenkraftwagen und treffen selbstständig die hierzu erforderlichen Maßnahmen. § 9 – Höhe der Mautgebühr Die Höhe der Mautgebühr wird durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung der zuständigen Landesminister festgesetzt.

Nachdem der Gesetzentwurf ordnungsgemäß in den Bundestag eingebracht wurde und die

erste und zweite Beratung stattgefunden haben, wird an deren Ende vorgeschlagen, keine

dritte Beratung mehr durchzuführen, um das PMautG direkt verabschieden zu können. An

diesem Tag sind von den derzeit 620 Abgeordneten insgesamt 497 anwesend, wovon 257 für

den Verzicht auf eine dritte Beratung votieren.

Als es dann zur Abstimmung über den Entwurf kommt, wird dieser von 246 Abgeordneten

angenommen, während 244 Parlamentarier ihn ablehnen. Die übrigen 7 Mitglieder des

Bundestages enthalten sich ihrer Stimme.

Nach ordnungsgemäßer Beteiligung des Bundesrates zeichnet der für den Verkehr zuständige

Bundesminister das Gesetz gegen, woraufhin der Bundespräsident es ausfertigt. Die P-Partei,

deren 161 Abgeordnete sowohl gegen den Verzicht auf eine dritte Beratung als auch gegen

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den Gesetzesentwurf gestimmt haben, hat jedoch erhebliche Bedenken hinsichtlich des

ordnungsgemäßen Zustandekommens des PMautG. So fehle es bereits an einer

Gesetzgebungskompetenz des Bundes, da eine sachgerechte Regelung der Mautfrage auch

durch die Länder erfolgen könne. Im Übrigen gehe es nicht an, dass allein die Landkreise mit

dem entstehenden Verwaltungsaufwand belastet würden; zulässiger „Ansprechpartner“ des

Bundes seien in Verwaltungsfragen schließlich nur die Bundesländer. Mit Blick auf das

durchlaufene Gesetzgebungsverfahren rügt die P-Partei den nach ihrer Auffassung

verfassungswidrigen Verzicht auf eine dritte Beratung im Plenum. Darüberhinaus hätten

schließlich nur 246 von 497 Abgeordneten für den Gesetzentwurf gestimmt, weshalb die

erforderliche Mehrheit offensichtlich verfehlt worden sei. Auch in Bezug auf den Inhalt des

PMautG zeigt sich die P-Partei skeptisch: Da § 9 PMautG gegen die Grundsätze der föderalen

Ordnung verstoße, sei das Gesetz in materieller Hinsicht nicht mit dem Grundgesetz

vereinbar.

Um die aufgekommenen Bedenken zu klären, beauftragt die P-Partei ihren Justitiar mit der

Erstellung eines Rechtsgutachtens über die Erfolgsaussichten verfassungsgerichtlichen

Rechtsschutzes.

Aufgabe:

Erstellen Sie das Gutachten des Justitiars.