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Dr. Hermann Focke
Ltd. Veterinärdirektor i. R.
Deternerstr. 29
26670 Uplengen
Tel.: 04957/990144
Antibiotika – notwendige Begleiterscheinung der Massentierhaltung?
Vortrag im Rahmen des Fachgespräches am 25.5.2012 im Niedersächsischen Landtag
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Meine sehr geehrten Damen und Herren!
1. Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich Sie konfrontieren mit einer
Stellungnahme aus dem Jahr 2010. Ich zitiere: ,,Ohne Einsatz der Mittel“ -
gemeint sind Antibiotika - ,,schaffen es die Hühner in großen Ställen häufig
nicht, bis zum Ende ihrer Mastzeit zu überleben.“
Diese Erklärung stammt nicht etwa von irgend einem Spinner oder einer
realitätsfernen Tierschützerin sondern laut NDR- Info vom 25. Oktober 2010
von Frau Heidemarie Helmsmüller der Leiterin der Abteilung
Verbraucherschutz und Tiergesundheit des Niedersächsischen
Landwirtschaftsministeriums. Zu dieser erstmals aus dem Ministerium
geäußerten Erkenntnis bin ich bereits seit Mitte der 1980ger Jahre als
Amtstierarzt in Südoldenburg gelangt, bekanntlich die Region mit der größten
Nutztierdichte Europas. Da schon damals im Oldenburger Münsterland in der
intensiven agrarindustriellen Tiermast der Infektionsdruck in den Betrieben von
Jahr zu Jahr sich verstärkte und im Wesentlichen vorwiegend mit ständig
steigendem Arzneimitteleinsatz – sprich Antibiotika – entgegen gewirkt wurde,
habe ich 1995 mit Unterstützung des damaligen Rektors der Tierärztlichen
Hochschule Hannover, Professor Friedhoff, einen Initiativplan für die
Landkreise Cloppenburg und Vechta ins Leben gerufen. Unter Leitung von
Professor Windhorst fanden daraufhin auch mehrere Sitzungen an der Uni
Vechta statt unter Beteiligung der Verwaltungsspitze beider Landkreise,
Vertretern des Nds. Geflügelwirtschaftsverbandes, des Interessenverbandes
deutscher Schweinehalter (ISN), der Futtermittelbetriebe, des Landvolks, der
großen Schlachtbetriebe, der Tierärzteschaft und weitere mehr. Meine
Vorschläge zur Schaffung eines ,, Institut für Tiergesundheit Oldenburger
Münsterland“ mit dem Ziel effizienterer Diagnostik sowie Maßnahmen zur
Reduzierung des Infektionsdrucks und damit zur deutlichen Reduzierung des oft
unreflektierten Antibiotikaeinsatzes wurden jedoch letztendlich von den
Vertretern der Agrarindustrie und deren Lobby abgeschmiert mit dem
Argument: ,,Wir haben
in Südoldenburg das Know How und die Medikamente (Antibiotika) und
brauchen eine derartige Einrichtung nicht.“ Die Entwicklung der folgenden
Jahre und hier vor allem die eklatante Antibiotika-Resistensproblematik zeigt
jedoch ein anderes Bild.
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2. Seit mehr als 50 Jahren ist wissenschaftlich belegt, dass große Tierdichten mit
steigenden Infektionsraten korrelieren. Nun gibt es heute immer noch einige
wenige Wissenschaftler, die diese ökologische Gesetzmäßigkeit in Abrede
stellen. Zu fragen ist warum. Auch Minister Lindemann hat in der
Vergangenheit wiederholt erklärt, dass große Tierzahlen und hohe Besatzdichten
- nicht von besonderer Bedeutung seien.
3. Meine Damen und Herren. Viele von Ihnen werden diese PR- Broschüre der
Bundesregierung kennen mit dem Titel DART: Deutsche Antibiotika-
Resistenzstrategie. Im Vorwort dieses 96 Seiten umfassenden Werkes erklären
die Ministerinnen Ulla Schmidt ( Gesundheit), Ilse Aigner ( Ernährung,
Landwirtschutz und Verbraucherschutz) sowie Dr. Anette Schavan (Bildung und
Forschung) ; ich zitiere: ,, Lange Zeit glaubte man, dass durch die Entdeckung
des Penicillin und den Einsatz von Antibiotika bakterielle Infektionskrankheiten
für alle Zeit besiegt seien. In den vergangenen Jahren“ - man beachte die
Formulierung ,, in den vergangenen Jahren“ beobachten wir allerdings einen
Anstieg an antimikrobiel wirksamen-resistenten Infektionserregern sowohl in
der Human- als auch in der Veterinärmedizin. Das macht die erfolgreiche
Behandlung von Infektionen zunehmend schwierig.“
Nochmals: ,, In den vergangen Jahren“ ist eine nicht untypische politisch
motivierte Untertreibung und kein Beispiel für political corectness, was wie
folgt zu belegen ist.
3.1 Bereits 1945 warnte der Entdecker des Penicillin Sir Alexander Fleming in
seinem Vortrag zu Verleihung des Nobel- Preises vor den Gefahren der
Resistenzbildung durch unreflektierte Antibiotikaanwendung.
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Chr. Lunke (2004)
Meine Damen und Herren!
Ich will nicht verhehlen, dass an der aufgezeigten Problematik auch wir
Tierärzte nicht ganz unschuldig sind; und auch ich persönlich nehme mich da
keinesfalls aus. Für mich ist es bei den vorliegenden Daten aber um so
unverständlicher und befremdlich, wenn der ursprünglich für die heutige
Veranstaltung angekündigte Präsident der Bundestierärztekammer Professor
Mantel noch im Juli 2010 öffentlich erklärte, ich zitiere: ,, Die
Resistenzsituation bei den für die Tiermedizin relevanten Erregern ist in
Deutschland vergleichsweise günstig.“
(Quelle: Deutsches Tierärzteblatt 7/2010, Seite 896)
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4. Wie eingangs bereits gesagt und durch die vorgestellten Tabellen und
Grafiken verdeutlicht, steigt in der intensiven agrarindustriellen Nutztierhaltung
parallel zum Infektionsdruck und ansteigenden Antibiotika-Resistenzen der
Zwang zu Dosiserhöhungen der verabreichten Medikamente. Als Beispiel seien
die von mir recherchierten Dosierungsangaben von Tierarzneimittelherstellern
für drei der am häufigsten in der Schweinehaltung verwendeten Antibiotika
aufgelistet:
Amoxicillin
Im Jahr 2002: 2 mal täglich 2-10 mg pro kg Körpergewicht
,, ,, 2010: ,, 20 ,, ,, ,, ,,
Chlortetracyclin
Im Jahr 2002: täglich 20 ,, ,, ,, ,,
,, ,, 2010: ,, 60 ,, ,, ,, ,,
Tetracyclin
Im Jahr 1998: ,, 20 ,, ,, ,, ,,
,, ,, 2010: ,, 85 ,, ,, ,, ,,
Anmerkung: Nicht nur für die Pharmaindustrie ein glänzendes Geschäft.
5. Eines der größten Geheimnisse in der Bundesrepublik Deutschland sind die in
der Nutztierhaltung verabreichten Antibiotikamengen. Der Geschäftsführer des
Verbandes der deutschen Tierarzneimittelhersteller (BfT) hat in der
Vergangenheit drei Zahlen genannt:
724 Tonnen für das Jahr 2003
784,4 ,, ,, ,, ,, 2005
900 ,, ,, ,, ,, 2010
Untersuchungen von Rassow und Schrader die Region Weser-Ems betreffend
sowie Broll, Kietzmann, Bettin und Kreienborg für Schleswig-Hollstein und der
Arbeitskreis um den verstorbenen Professor Ungemach (Leipzig) geben Anlass
zu der Vermutung, das die Zahlen wesentlich höher liegen dürften. Nun wird der
eine oder andere einwenden, dass wir seit Januar 2010 die so genannte DIMDI-
Tierarzneimittel-VO haben. Dazu ist folgendes zu sagen:
1. Sind von der Meldepflicht die für die Anwendung beim Geflügel
zugelassenen Antibiotika ausgenommen. Dies ist nicht nur nach meiner
Meinung ein Riesenskandal, was nicht zuletzt auch auf mögliche
Einflussnahme der Lobby der Geflügelwirtschaft und Pharmaindustrie
schließen lässt.
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2. Laut Dimdi-VO hätten die Pharmahersteller erstmals bis März diesen
Jahres ihre Abgabedaten für 2011 nach Köln melden müssen.
Laut Spiegel vom 16.4. 2012 ,, kam eine Reihe von Firmen dem nicht
nach; das zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit musste die Angaben nun schriftlich einfordern.“
6. Jetzt noch einige Worte zu dem heiklen Thema antibiotische
Leistungsförderer. Gegenüber NDR-Info (Stand 9.11. 2012)erklärte Minister
Lindemann ,, dass sich aus der von seinem Haus erstellten Studie keine
Rückschlüsse auf den Antibiotika-Einsatz als Wachstumsdoping ziehen lassen.“
Da bin ich aber, wie andere auch, ganz anderer Meinung und möchte dies u. a.
mit ganz konkreten Zahlen belegen. Belastbare Mengenangaben, wie gesagt,
gibt es nicht; ich habe mir daher die Mühe gemacht, die Umsatzzahlen der
Tierarzneimittelhersteller für Antibiotika – hier Antiinfektiva genannt – für die
Jahre 2000 bis 2010 näher unter die Lupe zu nehmen. Und das mit einem
frappierenden Ergebnis. Wie wir wissen und von der Agrar- , Lebensmittel- und
Pharmaindustrie immer wieder werbemäßig hervorgehoben wird, ist ab 2006 der
Einsatz von Antibiotika als Leistungsförderer EU-weit verboten. Bei Einhaltung
dieses Verbotes hätte dadurch ab dem 1.1.2006 der Antibiotika-Einsatz um
einen nicht unerheblichen Prozentsatz zurück gehen müssen.; aber das genaue
Gegenteil war der Fall. 2006 erfolgte eine Umsatzsteigerung um 7% und 2007
um 9,2 %. Also, bitte eins und eins zusammenzählen.
Hierzu noch eine ergänzende Bemerkung: In den letzten Monaten ist besonders
auch auf der politischen Bühne immer wieder die Forderung laut geworden nach
verstärkten Kontrollen. Darauf sagen mir eine Reihe von Amtstierärzten, wie
sollen wir feststellen, wenn in einem Bestand vom betreuenden Tierarzt, bei
welcher Indikation auch immer, ein Antibiotikum in therapeutischer Dosis für
fünf Tage abgegeben wird, der Mäster dieses Medikament aber beispielsweise
auf 15 Behandlungstage streckt mit der Absicht, mit dieser subtherapeutischen
Dosierung eine Wachstumsteigerung zu erzielen. Die jüngsten Daten aus NRW
(Antibiotikabefunde im Tränkewasser) beweisen aber, dass es bei
entsprechender technischer und personeller Ausstattung der
Überwachungsbehörden durchaus möglich ist, ,,Wachtums-Doping“ in den
Betrieben nachzuweisen. Wissenschaftlich unbestritten ist, dass gerade bei
subtherapeutischer Anwendung von Antibiotika die Resistenzbildung nachhaltig
gefördert wird.
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7. Nun werden, wie bereits gesagt, nach den Ereignissen der letzten Monate von
allen Seiten Forderungen nach Maßnahmen laut zur Änderung der beklagten
Situation. Der Zentralverband der deutschen Geflügelwirtschaft verspricht für
die nächsten fünf Jahre eine Antibiotikareduktion von 30 %, der BUND fordert
eine solche von 50% innerhalb von drei Jahren, Minister Lindemann will in
seinem 38-Punkteplan das Schnabelkürzen von Legehennen bis 2015 und bei
Puten bis 2018 abschaffen und und und. Es Stellt sich also die Frage, ist dieses
alles bei realistischer Betrachtungsweise überhaupt möglich. Meine persönliche
Einschätzung dazu: Es ist nicht mehr fünf Minuten vor Zwölf sondern bereits
weit nach Zwölf. Professor Witte vom Robert-Koch-Institut hat mir vor einiger
Zeit in einem längeren persönlichen Gespräch folgendes gesagt: ,,Nicht nur die
Tiere sind krank, das ganze System ist krank.“
Nach meiner Überzeugung können wir einer drohenden Apokalypse für Mensch
und Tier nur dann entgehen, wenn u. a. folgende Punkte unverzüglich
sichergestellt werden.
1. Änderung der Zuchtziele und damit verbunden die Schaffung neuer
Zuchtlinien. Weg von der Fokussierung auf übersteigerte
unphysiologische Leistungsparameter und hin zu einer wesentlichen
Verbesserung entscheidender Gesundheitsfaktoren.
2. Artgerechte Haltungsbedingungen; das heißt vor allem: wesentlich
kleinere Gruppengrößen und eine deutliche Reduzierung der
Besatzdichten.
3. Antibiotikaeinsatz nur im Erkrankungsfall nach gehabter sorgfältiger
Diagnose mit Erregercharakterisierung und dem daraus sich ergebendem
ausschließlichem Einsatz erreger- spezifischer Medikamente.
Anmerkung: Punkt 3 kann letztendlich nur dann greifen, wenn Punkt 1 und 2
erfüllt sind.
Meine Damen und Herren!
Es gibt keinen Erkenntnismangel, es gibt dagegen ein enormes
Handlungsdefizit.
Hinsichtlich sowohl der Tier- als auch der Volksgesundheit haben wir die
Wahl zwischen Apokalypse und Frieden mit der Natur. Frieden mit der Natur
bedeutet auch Frieden mit uns selbst.
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und ich hoffe
auf eine angeregte Diskussion!
Literatur:
Hermann Focke: „Tierschutz in Deutschland – Etikettenschwindel?!“
Berlin: Pro BUSINESS 2007, ISBN 978-3-939430-93-3
Hermann Focke: „Die Natur schlagt zurück, Antibiotikamissbrauch in der
intensiven Nutztierhaltung und Auswirkungen auf Mensch,
Tier und Umwelt“
Berlin: Pro BUSINESS 2010, ISBN 978-3-86805-766-9