Upload
fiera-bolzano
View
212
Download
0
Embed Size (px)
DESCRIPTION
Mit fast einem Viertel am Gesamtenergieverbrauch spielt Gas eine sehr wichtige Rolle in Europa . In einigen europäischen Ländern, wie z.B. in Italien oder Großbritannien beträgt der Gasverbrauch am Gesamtenergieverbrauch sogar 36 % bzw. 33%. Europa hat einen Anteil von über 40% an den weltweiten Gasimporten. Die Gaspreise sind deshalb von zentraler Bedeutung einerseits für die europäische Wirtschaft und andererseits für die Verbraucher im privaten Sektor. Die EU hat schon in den 1990er Jahren rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen um den Gasmarkt zu liberalisieren, auch mit dem Ziel die Europäische Wirtschaft konkurrenzfähig zu erhalten und für die Endverbraucher niedrigere Preise zu gewährleisten. Was sind die Auswirkungen dieses Liberalisierungsprozesses und welche anderen Faktoren haben in den vergangen Jahren dazu beigetragen, dass es bei der Gaspreisbildung zu beträchtlichen Veränderungen gekommen ist?
Citation preview
Der Europäische Gasmarkt im Umbruch
Mit fast einem Viertel am Gesamtenergieverbrauch spielt Gas eine sehr wichtige Rolle in
Europa1. In einigen europäischen Ländern, wie z.B. in Italien oder Großbritannien beträgt der
Gasverbrauch am Gesamtenergieverbrauch sogar 36 % bzw. 33%. Europa hat einen Anteil von
über 40% an den weltweiten Gasimporten. Die Gaspreise sind deshalb von zentraler Bedeutung
einerseits für die europäische Wirtschaft und andererseits für die Verbraucher im privaten
Sektor. Die EU hat schon in den 1990er Jahren rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen um
den Gasmarkt zu liberalisieren, auch mit dem Ziel die Europäische Wirtschaft konkurrenzfähig
zu erhalten und für die Endverbraucher niedrigere Preise zu gewährleisten. Was sind die
Auswirkungen dieses Liberalisierungsprozesses und welche anderen Faktoren haben in den
vergangen Jahren dazu beigetragen, dass es bei der Gaspreisbildung zu beträchtlichen
Veränderungen gekommen ist?
Graph 1
Schon seit Anfang der 1970er Jahre konnte die Gasproduktion in Europa nicht mehr mit dem
Gasverbrauch Schritt halten und Europa musste als Folge dieser Entwicklung Gas importieren. Die
Gasimporte sind seit damals ständig gestiegen. In diesem Zusammenhang ist es immer wieder zur
Diskussion über die Importabhängigkeit und die Energiesicherheit gekommen, da der größte Teil
des importierten Gases aus nur wenigen Ländern kommt. Erst seit 2009 ist es als Folge der
Wirtschaftskrise zu einem leichten Rückgang des Verbrauchs und entsprechend auch zu
sinkenden Gasimporten gekommen (siehe Graph 2 und Graph 3).
1 Europa inkludiert die Europäischen OECD-Länder
35,3
23,6
16,9
11,0
7,06,2
Europa: Primärenergieverbrauch nach Energieträger
2013 (Anteil in %)
Erdöl
Gas
Kohle
Atomenergie
Wasserkraft
Erneuerbare Energie
Quelle: BP Statistical Review of the World Energy
Graph 2
Der größte Teil des importierten Gases wird über Pipelines nach Europa importiert, jedoch ist der
Anteil an LNG2-Importen in den vergangen Jahren stark gewachsen. Das wichtigste Land ,aus dem
Gas importiert wird, ist Russland mit einem Anteil von 32,7% im Jahre 2013, gefolgt von Norwegen
mit 20,2%, den Niederlanden mit 11,6% und Algerien mit 6,6%. LNG-Importe machen 11,7% aus und
der Anteil von Pipeline-Importen aus anderen Ländern beträgt 17,2%. Wenn sich auch die Anzahl
der Länder vergrößert hat, so ist Europa nach wie vor stark von einigen wenigen großen
Gasexportländern, allen voran Russland, abhängig.
Die Gaspreise wurden seit den 1970er Jahren in langfristigen Verträgen zwischen den
Exportländern und den großen Gasimporteuren, die meist im Strom- oder Energiesektor tätig
sind, wie z.B. Eni und Enel in Italien, GDF Suez in Frankreich oder E.ON und RWE in Deutschland,
festgelegt. Die Erlöse aus den Gaspreisen sollten einerseits dazu beitragen die Erdgasfelder zu
erschließen, was durch langfristige Verträge (25 bis 35 Jahre) gewährleistet war. Die
Preisgestaltung sollte außerdem gewährleisten, die Erträge für die Fördergesellschaften zu
maximieren und zudem Gas konkurrenzfähig mit anderen Energieformen zu machen. In den
1970er Jahren waren das vor allem Erdölprodukte wie Schweröl und leichtes Heizöl, deshalb
wurden die Gaspreise an die Erdölpreise gekoppelt. Diese Art der Preisbindung hat sich in Europa
bis in die Gegenwart gehalten, allerdings wird Gas seit einigen Jahren auch auf Basis von Spot-
oder Marktpreisen gehandelt. Inzwischen ist vor allem im Elektrizitätsgewinnungssektor Kohle ein
Konkurrenzprodukt zu Gas und nicht mehr Erdölprodukte. Deshalb argumentieren viele Analysten,
dass es sinnvoller sei, die Gaspreise an die Kohlepreise zu koppeln.
2 LNG ist verflüssigtes Gas. Es wird in einer Gasverflüssigungsanlage auf -164 °C abgekühlt und unter atmosphärischem
Druck verflüssigt, so dass das ursprüngliche Volumen des Erdgases auf ein Sechshundertstel reduziert wird. LNG wird
dann in LNG-Tankern transportiert. Im Importland wird das Gas in speziellen LNG-Terminals wieder in seinen
gasförmigen Zustand zurückversetzt bevor es in die Verteilerpipelines eingespeist wird.
Graph 3
Im Unterschied zu Erdöl gibt es keinen globalen Gasmarkt, sondern regionale Märkte, wobei die
wichtigsten drei Märkte der US-, der Europäische und der Asiatische Markt sowie vor allem der
Japanische Markt sind. Der Hauptgrund für das Fehlen eines globalen Marktes ist darin zu sehen,
dass Gas im Unterschied zu Erdöl hinsichtlich seines Transportes nicht so flexibel ist wie Erdöl.
Gas wird zu einem großen Teil über regionale Pipelines befördert. Allerdings hat der Transport
mittels LNG-Tanker stark zugenommen und wird laut neuesten Prognosen in Zukunft weiter
zunehmen. Das könnte mittel- bis langfristig in Richtung einer Globalisierung der Gasmärkte
führen. Die Preisgestaltung ist in den verschiedenen Regionen sehr unterschiedlich.
Graph 4
Bis Mitte des vergangenen Jahrzehnts zeigten die Preise in den USA, in Europa und in Japan einen
ähnlichen Verlauf und folgten dem Trend der Erdölpreise. Seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts
kam es jedoch zu einer divergierenden Entwicklung der Gaspreise in den verschiedenen Regionen
(siehe Graph 4). Als Folge der steigenden Schiefergasproduktion sanken die Gaspreise in den USA
stark und folgten nicht mehr dem Trend der Erdölpreise. Der amerikanische Gasmarkt ist
vollständig liberalisiert und die Gaspreise bilden sich nach den Marktgegebenheiten basierend auf
Angebot und Nachfrage. Gas kostet in den USA nur ungefähr die Hälfte wie in Europa und macht
nicht einmal ein Drittel der LNG-Preise in Japan aus. Als Folge der steigenden Erdölpreise kam es
in den vergangenen 10 Jahren bei den an das Erdöl gekoppelten Gaspreisen zu massiven
Preissteigerungen.
Abbildung 1 Europa: Die wichtigsten Gas Hubs und Gasimport-Ströme
Der Liberalisierungsprozess des Gasmarktes nahm in Großbritannien bereits in den 1990er Jahren
seinen Anfang. 1996 kam es zur Gründung des NBP (National Balancing Point) einem sogenannten
„Gas Hub“3, an welchem Gas gehandelt wird, wobei sich die Preise nach Angebot und Nachfrage
richten. Im vergangenen Jahrzehnt wurden auch in anderen Europäischen Ländern Gas-Hubs
gegründet. Vor allem die Nordwesteuropäischen Hubs sind durch Pipelines miteinander
verbunden, was einen Handel zwischen den einzelnen Hubs ermöglicht.
3 Ein Gas „Hub“ ist ein virtueller Transaktionspunkt, an dem Gas gehandelt wird. Hierbei bilden sich die Preise nach
Angebot und Nachfrage. Die Marktteilnehmer an den Hubs sind LNG- und Pipeline-Gas-Anbieter, große
Elektrizitätsgesellschaften oder große Industriebetriebe, die Gas benötigen, aber auch Finanzinvestoren, die
Hedgegeschäfte abschließen. An den Gas-Hubs wird Gas wie an einer Börse gehandelt. Neben Spotgeschäften, werden
an den Hubs auch „Futures“-Geschäfte abgewickelt.
Der Gashandel an den Europäischen Hubs hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. An
erster Stelle steht der britische Gas Hub NBP, gefolgt von TTF in den Niederlanden. 2013 kam es in
Folge sinkender Nachfrage zu einer Verringerung des gehandelten Volumens. Laut neuesten
Zahlen kann im Jahre 2014 wieder mit einem Anstieg an den meisten Europäischen Hubs
gerechnet werden.
Graph 5
Der Preis, zu dem an den Hubs gehandelt wird, richtet sich nach Angebot und Nachfrage. Als
Folge der Schiefergasrevolution nahm die Gasproduktion in den USA stark zu und die Gaspreise
sanken. Zudem wurde nun LNG, das ursprünglich in die USA exportiert werden sollte, nach Europa
exportiert und zwar zu wesentlich niedrigeren Markt- oder Spotpreisen als die vertraglich
festgelegten Preise. Als Folge der Wirtschaftskrise kam es zu einem Rückgang des Gasverbrauchs
in Europa, was sich entsprechend auf die Preise an den Hubs auswirkte. Fazit war, dass die Hub-
Preise und die Vertragspreise immer mehr auseinanderklafften. Die großen Gasimporteure
erlitten infolge der sehr hohen, an den Erdölpries gekoppelten Vertragspreise, hohe finanzielle
Einbußen, da sie das Gas zu Marktpreisen an die Endverbraucher weiterverkaufen mussten. Sie
versuchten die Verträge mit den Gas-Exportländern neu zu verhandeln mit dem Ziel, die Gaspreise
nicht mehr an die Erdölpreise zu koppeln, sondern Marktpreise als Basis für die Gaspreisbildung
heran zuziehen. Auch die EU machte Druck, um die Gaspreise konkurrenzfähiger zu machen und
so einerseits die Europäische Wirtschaft zu stärken und andererseits den Endverbrauchern im
Strom- und Heizungssektor niedrigere Preise zu gewährleisten. Durch die niedrigen Gaspreise
hatten amerikanische Firmen, die in energieintensiven Sektoren tätig waren, wie z. B. im
Stahlsektor oder im Chemiesektor, einen großen Vorteil gegenüber den Europäischen Firmen.
Zusätzlich gab es infolge niedriger Kohlepreise im Elektrizitätsgewinnungssektor starken
Konkurrenzdruck auf die Gaspreise Die Niederländischen Gasgesellschaften und Statoil
(Norwegen) waren als erste bereit, neue Gaslieferverträge auszuhandeln oder die bestehenden
Verträge zu adaptieren, und die Erdölpreise nur mehr teilweise oder überhaupt nicht mehr als
Basis zur Gaspreisbildung heran zu ziehen. Inzwischen hat auch Russland einige Verträge
neuverhandelt und Marktpreise als Basis der Preisbildung akzeptiert oder zumindest niedrigere
Gaspreise angeboten4.
Graph 6
Wie aus Graph 6 ersichtlich, ist der Anteil der Gaspreise, die sich an den Marktpreisen orientieren
von circa 15% im Jahre 2005 auf über 50% im Jahre 2013 gestiegen und parallel dazu hat sich der
Anteil der Gaspreise, die an den Erdölpreis gekoppelt sind, von über 75% im Jahre 2015 auf
weniger als 50% verringert. In Nordwesteuropa spielen Marktpreise mit circa 80% eine weit
größere Rolle als in den Mittelmeerländern. Ein Grund dafür ist, dass die Liberalisierung der
Gasmärkte in Nordwest-Europa viel weiter fortgeschritten ist und die Gas-Hubs eine viel stärkere
Rolle spielen als im Süden.
Es sei hier darauf hingewiesen, dass der Gasmarktpreis nicht immer niedriger sein muss als der
an den Erdölpreis gekoppelte Vertragspreis. In Zeiten sehr niedriger Erdölpreise kann der
Marktpreis auch über dem Vertragspreis liegen (siehe Graph 4). Es ist zu erwarten, dass in
Zukunft noch mehr Verträge auf Basis von Marktpreisen abgeschlossen werden. Viele Analysten
gehen jedoch davon aus, dass ein Teil des importierten Gases auch in Zukunft auf Basis
langfristiger Verträge und unter Zugrundelegung einer Koppelung an den Erdölpreis oder
vielleicht auch an Kohlepreise abgeschlossen werden. Ein wichtiger Vorteil langfristiger
Lieferverträge besteht darin, dass sie einerseits mehr Liefersicherheit für die importierenden
Firmen bieten und andererseits für die Exportländer eine längerfristige Planung der Investitionen
möglich machen. Ein wichtiger Punkt, der in Gasliefer-Verträgen mehr berücksichtigt werden
sollte, ist die Gewährung einer größeren Flexibilität der Gaspreise durch Berücksichtigung der
jeweiligen Angebots- und Nachfrage-Situation am Gasmarkt.
4 Im Mai 2014 gelang es dem italienischen Energiekonzern Eni einen Gasliefervertrag mit der Russischen
Gasgesellschaft Gazprom neu zu verhandeln, bei dem Marktpreise als Basis herangezogen wurden.