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aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland Ausgabe 9/2013 September 1 Fortsetzung Seite 2 Auf Augenhöhe (an) Mit ihrer Jahrestagung «Mittendrin» hat die Deutsche Landesgesellschaft in Berlin bewiesen, dass sie sich nicht nur program- matisch, sondern ganz real und lebensnah auf Augenhöhe mit dem Zeitgeschehen bewegen kann. Die eingeladenen Redner und ihre jewei- ligen anthroposophisch geprägten Gegenüber zeigten in bisher einmaliger Weise im Rah- men einer großen Öffentlichkeit, wie aktuell die Anthroposophie tatsächlich ist. Auch die in diesem Herbst weiterhin angekündigten Tagungen, über die in dieser Ausgabe berichtet wird, zeugen von dieser Aktualität, von der man sich wünschen möchte, dass sie in die weitere Entwicklung unserer Landesgesell- schaft fruchtbringend einfließen möge. Brasilien im Fokus Noch vor der Sommerpause war Hartwig Schil- ler aufgrund des Deutsch-Brasilianischen Jahres 2013 eingeladen, an verschiedenen anthropo- sophischen Veranstaltungen teilzunehmen. Er schildert seine Reiseeindrücke, die auch Einblick in ein Stück deutsch-brasilianischer Beziehungen geben auf Seite 5 und 6 Tagung zum 1. Weltkrieg Die einhundertjährige Wiederkehr des Aus- bruchs des Ersten Weltkrieges wird aufgrund einer umfangreichen Forschungsarbeit von Dr. Markus Osterrieder in einer groß angelegten Tagung der Landesgesellschaft vom 3. bis 6. Oktober in Kassel gewürdigt werden. Seite 7 Kritische Steiner-Ausgabe Die bisher vom Frommann-Holzboog Verlag alleine geplante kritische Ausgabe der Werke Rudolf Steiners wird nun überraschend in einer gemeinsamen Edition mit dem Rudolf Steiner-Verlag herausgegeben. Seite 7 Hirnforschung aktuell Ein Tagesseminar am 21. September in Stutt- gart mit dem Anthroposophen und Hirnfor- scher Dr. Urs Pohlmann wird auf aktuelle Fragen der Neurowissenschaften und das Leib-Seele- Verständnis der heutigen Naturwissenschaften hinblicken und nach Wegen einer Spiritualisie- rung der Hirnforschung suchen. Seite 8 Mittendrin – in der Aufmerksamkeit Philipp Fürdens Es gibt so manch großes Wort in der Anthro- posophie. Eines davon ist – da in mehrerlei Hinsicht von geisteswissenschaftlich heraus- ragender Bedeutung – die schöne Präposi- tion mittendrin. So wollten und durften wir letztes Jahr mit der Mitgliederversammlung der Landesgesellschaft – in trefflicher Ent- sprechung zum Jahresthema – ganz mitten- drin sein: nämlich im Goetheanum als dem Zentrum unserer Gesellschaft. Und so waren wir auch dieses Jahr im gleichen Rahmen wiederum mittendrin und wiederum in einem Zentrum, wohl aber mit anderem Gestus und in einer anderen Bewegung: mittendrin in der Bundeshauptstadt, im Dialog mit der Welt und hin zur Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Das eigene sich Hinwenden nach Außen setzt aber zugleich auch immer wenn nicht das, so zumindest ein Bewusstsein der eigenen Identität voraus. Daher war der Duktus dieser MV vielleicht nicht nur für mich gerade als ein impliziter Anschluss an das Jahresthema 2012 zu erleben. Eröffnet wurde die Tagung am Donnerstag durch ein offenes Gespräch. Wie es bei einer offenen Unbestimmtheit so ist, dass wenn nichts Persönliches drängt, man erst einmal abwartet, ob nicht von irgendwo anders her als aus einem selbst das Bestimmende kommen mag, so auch hier. «Wie finden Sie denn die Mitteilungen?» war also die von Jasmin Mertens gestellte Frage, die gerne aufgegriffen zu einer spannenden und zum Teil spannungsreichen Runde führte. Als Desiderata wurden u.a. das Eingehen auf das Zeitgeschehen und ein Mit- gliederforum genannt. Bezüglich des letzteren und der Frage, inwiefern der Auseinander- setzung zwischen den Lagern um J. von Halle und S. Prokofieff Platz gegeben werden sollte, wurde auch das freie Ein Nachrichtenblatt für Mitglieder thematisiert. Es waren viele und einige sicherlich richtige Aussagen zu hören (wie in etwa, dass Standortbestimmungen kein Gespräch seien), die jedoch m. E. insgesamt keine Argumente bezüglich der Berechtigung oder Notwendigkeit des ursprünglichen Nach- richtenblattimpulses an sich darstellten, d.h. an die eigentliche Frage nicht herangekommen sind. Die Frage, was «die spezielle anthroposo- phische Identität» ist, stellte sich einem auch – mindestens einmal explizit über die Worte von Hartwig Schiller – im Podiumsgespräch von letzterem mit Gioia Falk und Joan Sleigh über das Auftreten der Anthroposophie im Kulturleben der Gegenwart. J. Sleigh sprach von ihren Erfahrungen aus Afrika und von michaelischen Kräften, die sich überall dort zeigten, wo Initiativkraft zutage trete und Ver- antwortung übernommen werde. Ihr wesent- liches Anliegen war es, das Bild von einer zum Menschen gewordenen Anthroposophie zu vermitteln, für die die Begegnung von Mensch zu Mensch, im reinen Interesse am Gegenüber und ohne die Vermittlung über die GA charak- teristisch ist. Sicher, «allein die Bände der GA wären nicht fruchtbar» und die Verlockung, zu viel zu Studieren sollte einem keinesfalls die Lebensbegegnungen verunmöglichen. Folglich sind hinsichtlich der Authentizität, um die es (an) Die diesjährige Mitgliederversammlung und Tagung der Deutschen Landesgesellschaft war wohl, so schien es jedenfalls im Nachhinein, die bisher gelungenste dieser Art. Blicken wir zurück auf die Tagungen 2009 in München, 2010 in Bochum, 2011 in Weimar und 2012 in Dornach, so konnte man eine sowohl von den Inhalten wie von der Form her gereifte Landesgesellschaft, einschließlich ihres Arbeitskollegiums erleben, und das Ganze an einem dafür sehr exponierten, dennoch sehr geeigneten Ort, der kleinen Philharmonie auf dem Kulturforum in Berlin, wo sich bis zu 600 Besucher, in der Mitgliederversammlung etwa 300, zusammen fanden. Die beiden nachfolgenden Berichte – eines jungen und eines langjährigen Mitgliedes – sollen Einblick in das Tagungsgeschehen geben, vor allem für diejenigen, die nicht dabei sein konnten.

Auf Augenhöhe Mittendrin – in der Aufmerksamkeit · 2014. 1. 26. · und Buddhismus hinsichtlich des guten und inneren Lebens vollzogen, auf und setzte den Fokus mit dem Thema

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  • a u s d e r a n t h r o p o s o p h i s c h e n A r b e i t i n D e u t s c h l a n d

    Ausgabe 9/2013 September

    1

    Fortsetzung Seite 2

    Auf Augenhöhe(an) Mit ihrer Jahrestagung «Mittendrin» hat die Deutsche Landesgesellschaft in Berlin bewiesen, dass sie sich nicht nur program-matisch, sondern ganz real und lebensnah auf Augenhöhe mit dem Zeitgeschehen bewegen kann. Die eingeladenen Redner und ihre jewei-ligen anthroposophisch geprägten Gegenüber zeigten in bisher einmaliger Weise im Rah-men einer großen Öffentlichkeit, wie aktuell die Anthroposophie tatsächlich ist. Auch die in diesem Herbst weiterhin angekündigten Tagungen, über die in dieser Ausgabe berichtet wird, zeugen von dieser Aktualität, von der man sich wünschen möchte, dass sie in die weitere Entwicklung unserer Landesgesell-schaft fruchtbringend einfließen möge.

    Brasilien im FokusNoch vor der Sommerpause war Hartwig Schil-ler aufgrund des Deutsch-Brasilianischen Jahres 2013 eingeladen, an verschiedenen anthropo-sophischen Veranstaltungen teilzunehmen. Er schildert seine Reiseeindrücke, die auch Einblick in ein Stück deutsch-brasilianischer Beziehungen geben aufSeite 5 und 6

    Tagung zum 1. WeltkriegDie einhundertjährige Wiederkehr des Aus-bruchs des Ersten Weltkrieges wird aufgrund einer umfangreichen Forschungsarbeit von Dr. Markus Osterrieder in einer groß angelegten Tagung der Landesgesellschaft vom 3. bis 6. Oktober in Kassel gewürdigt werden.Seite 7

    Kritische Steiner-AusgabeDie bisher vom Frommann-Holzboog Verlag alleine geplante kritische Ausgabe der Werke Rudolf Steiners wird nun überraschend in einer gemeinsamen Edition mit dem Rudolf Steiner-Verlag herausgegeben.Seite 7

    Hirnforschung aktuellEin Tagesseminar am 21. September in Stutt-gart mit dem Anthroposophen und Hirnfor-scher Dr. Urs Pohlmann wird auf aktuelle Fragen der Neurowissenschaften und das Leib-Seele-Verständnis der heutigen Naturwissenschaften hinblicken und nach Wegen einer Spiritualisie-rung der Hirnforschung suchen.Seite 8

    Mittendrin – in der AufmerksamkeitPhilipp Fürdens

    Es gibt so manch großes Wort in der Anthro-posophie. Eines davon ist – da in mehrerlei Hinsicht von geisteswissenschaftlich heraus-ragender Bedeutung – die schöne Präposi-tion mittendrin. So wollten und durften wir letztes Jahr mit der Mitgliederversammlung der Landesgesellschaft – in trefflicher Ent-sprechung zum Jahresthema – ganz mitten-drin sein: nämlich im Goetheanum als dem Zentrum unserer Gesellschaft. Und so waren wir auch dieses Jahr im gleichen Rahmen wiederum mittendrin und wiederum in einem Zentrum, wohl aber mit anderem Gestus und in einer anderen Bewegung: mittendrin in der Bundeshauptstadt, im Dialog mit der Welt und hin zur Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Das eigene sich Hinwenden nach Außen setzt aber zugleich auch immer wenn nicht das, so zumindest ein Bewusstsein der eigenen Identität voraus. Daher war der Duktus dieser MV vielleicht nicht nur für mich gerade als ein impliziter Anschluss an das Jahresthema 2012 zu erleben. Eröffnet wurde die Tagung am Donnerstag durch ein offenes Gespräch. Wie es bei einer offenen Unbestimmtheit so ist, dass wenn nichts Persönliches drängt, man erst einmal abwartet, ob nicht von irgendwo anders her als aus einem selbst das Bestimmende kommen mag, so auch hier. «Wie finden Sie denn die Mitteilungen?» war also die von Jasmin Mertens gestellte Frage, die gerne aufgegriffen zu einer spannenden und zum Teil spannungsreichen Runde führte. Als Desiderata wurden u.a. das Eingehen auf das Zeitgeschehen und ein Mit-gliederforum genannt. Bezüglich des letzteren

    und der Frage, inwiefern der Auseinander-setzung zwischen den Lagern um J. von Halle und S. Prokofieff Platz gegeben werden sollte, wurde auch das freie Ein Nachrichtenblatt für Mitglieder thematisiert. Es waren viele und einige sicherlich richtige Aussagen zu hören (wie in etwa, dass Standortbestimmungen kein Gespräch seien), die jedoch m. E. insgesamt keine Argumente bezüglich der Berechtigung oder Notwendigkeit des ursprünglichen Nach-richtenblattimpulses an sich darstellten, d.h. an die eigentliche Frage nicht herangekommen sind. Die Frage, was «die spezielle anthroposo-phische Identität» ist, stellte sich einem auch – mindestens einmal explizit über die Worte von Hartwig Schiller – im Podiumsgespräch von letzterem mit Gioia Falk und Joan Sleigh über das Auftreten der Anthroposophie im Kulturleben der Gegenwart. J. Sleigh sprach von ihren Erfahrungen aus Afrika und von michaelischen Kräften, die sich überall dort zeigten, wo Initiativkraft zutage trete und Ver-antwortung übernommen werde. Ihr wesent-liches Anliegen war es, das Bild von einer zum Menschen gewordenen Anthroposophie zu vermitteln, für die die Begegnung von Mensch zu Mensch, im reinen Interesse am Gegenüber und ohne die Vermittlung über die GA charak-teristisch ist. Sicher, «allein die Bände der GA wären nicht fruchtbar» und die Verlockung, zu viel zu Studieren sollte einem keinesfalls die Lebensbegegnungen verunmöglichen. Folglich sind hinsichtlich der Authentizität, um die es

    (an) Die diesjährige Mitgliederversammlung und Tagung der Deutschen Landesgesellschaft war wohl, so schien es jedenfalls im Nachhinein, die bisher gelungenste dieser Art. Blicken wir zurück auf die Tagungen 2009 in München, 2010 in Bochum, 2011 in Weimar und 2012 in Dornach, so konnte man eine sowohl von den Inhalten wie von der Form her gereifte Landesgesellschaft, einschließlich ihres Arbeitskollegiums erleben, und das Ganze an einem dafür sehr exponierten, dennoch sehr geeigneten Ort, der kleinen Philharmonie auf dem Kulturforum in Berlin, wo sich bis zu 600 Besucher, in der Mitgliederversammlung etwa 300, zusammen fanden. Die beiden nachfolgenden Berichte – eines jungen und eines langjährigen Mitgliedes – sollen Einblick in das Tagungsgeschehen geben, vor allem für diejenigen, die nicht dabei sein konnten.

  • Anthroposophie Weltweit • Mitteilungen Deutschland, September 20132

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    nicht nur im Blick auf die jüngere Generation gehen sollte, die anthroposophischen Inhalte bzw. eigene Forschungsfragen anhand dersel-ben vorauszusetzen, denn woher sonst sollte die «spezielle anthroposophische Identität» kommen, wenn nicht aus diesen? Die hier zugrundeliegende Frage ist essentiell, und es ist dieselbe, die sich in H. Schillers Selbstverständnis seiner Aufgabe zeigte, die er im folgenden ersten Teil der MV als «Bewah-rung der Wesensinhalte bei gleichzeitiger Belebung und Erneuerung» beschrieb. Ernst wurde es, als er bezüglich seiner Äußerung zur «Rücktrittsbereitschaft 2014» gefragt wurde und daraufhin ruhig und ehrlich aufklärte, dass diese Frage das gesamte Arbeitskollegium betreffe, das sich nunmehr in einem von G. Falk und Peter Krüger gesteuerten «Findungs-prozess für die Neugestaltung» befände. So entstand am ersten Tag durch das Zurück-geworfensein auf einen selbst eine doch nach-denkliche Stimmung, die meine Aufmerk-samkeit auf uns als AGiD richtete und mir diejenige der Welt auf uns – einige weni-ge Menschen mittendrin: in einem immen-sen, organisch-l e b e n d i g e n , aber ansonsten leeren Raum – recht gering erscheinen ließ. Um die Frage der Aufmerk-samkeit ging es mit dem Thema «Meditation» dann auch am nächsten Tag. Arthur Zajonc hielt dazu einen exzellenten und klaren Vor-trag, während welchem die Stimmung sehr ruhig und konzentriert, und zugleich auch warm und herzlich war. Indem er von einer «bestimmten Stimmung» sprach, die für die Meditation bezeichnend ist, sowie von der Unbeweisbarkeit des Geistes und dem damit zusammenhängenden Freiheitscharakter, aber ebendiese Stimmung (oder eine ähnliche) im Raum zu bemerken war, schien er beinahe den Geist doch bewiesen zu haben! Neben seinen ansprechenden Ausführungen über die Art von und Erfahrung mit der Meditation und nach dem gelungenen «Versuch», sich in einer gemeinsamen meditativen Betrach-tung einer mit Wasser zu füllenden Schüs-sel den Elementen zu nähern, unterstrich er die Wichtigkeit der gegenseitigen Akzeptanz von Anthroposophie und Buddhismus für das Bewusstseinseelenzeitalter und endete mit einem Blick auf – auch zwischen unterschied-lichen Strömungen sich entwickelnde – geistige

    Mittendrin

    Fortsetzung von Seite 1

    Freundschaften. Es sei das Interesse an ande-ren Strömungen und die Liebe zu denjenigen, die einen anderen Weg haben als wir selbst, durch die wir zum anderen kämen. Denn «Michael ist kein Eigentum der AG». Auch hier sind wir, wie deutlich wurde, wiederum vor die essentielle (und existentielle) Frage gestellt, in welcher Weise wir unser Verhältnis zum Werk von Rudolf Steiner – und somit zu ihm selbst – reaktualisieren sollen und können. Das Podiumsgespräch mit dem Buddhisten und Berater des Dalai Lama Tho Ha Vinh, Michael Bangert von der christ-katholischen Kirche sowie Konstanza Kaliks und Bodo von Plato vom Goetheanum war nicht nur in jeder Hinsicht harmonisch und natürlich, sondern darüber hinaus auch sehr aufschlussreich. Für mich überzeugte hier T. H. Vinh, der verdeutlichte, dass er «nicht aus einem Glaubensinhalt, son-dern aus einer Erfahrung heraus»: der mit dem Tod, meditiere. Auch im Buddhismus bedeutet Meditation, «sich seiner eigenen Aufmerksam-keitskraft bewusst zu werden.» Wenn es darum gehe, dem aktuellen Menschenbild des «homo oeconomicus», das die seelische Not der Zeit widerspiegelt, ein neues, spirituelles gegenü-berzustellen, dann könne dieses nur aus dem

    inneren Erleben heraus überzeu-gen, niemals aber aus Programm-haftigkeit – wie nachvollziehbar! Inwiefern hier die Aufmerk-samkeit wesent-lich ist, wurde im Forum mit T.H. Vinh am Nach-mittag deutlich: Die Marktwirt-schaft heute sei eigentlich eine A u f m e r k s a m -

    keitswirtschaft, die damit arbeitet, unsere Auf-merksamkeit von uns abzusaugen und damit, dass dann dasjenige, auf das sie gelenkt wird, für uns wertvoll wird und letztlich unser Leben bestimmt. Folglich ist es so essentiell wie exi-stentiell, seine Aufmerksamkeit selbst beherr-schen zu können. Woran Buddhismus und Anthroposophie also gemeinsam arbeiten, ist gleichsam ein erneuertes Ändert euren Sinn! In Anbetracht der Tatsache, dass 20% der Men-schen 80% der Ressourcen verbrauchen und wir de facto auf 1,6 Planeten leben, scheint es einsichtig zu sein, dass der globale «Kipp-Punkt» im Umdenken mit vereinten Kräften erreicht werden muss. Im zweiten Teil der MV ging es dann um die Wissenschaftlichkeit und Weiterentwicklung der Anthroposophie. Die einzelnen Ausfüh-rungen – v. a. die von Wolf-Ulrich Klünker und Jost Schieren – direkt dazu waren einer-seits sehr interessant; andererseits blieben alle aber auch ziemlich allgemein. Unklar blieb für mich beispielsweise, ob es denn eine konkrete Vorstellung davon gibt, wie genau wir uns

    wissenschaftlich nachvollziehbar «auf unsere eigenen Erfahrungen berufen» können, nach welchen Kriterien die «bewusstseinsgeschicht-liche Kontextualisierung von Steiner» und «die Reformierung seiner Werke» – was immer das bedeuten mag – vollzogen und wie genau «Begriffe hergeleitet und begründet» werden sollten. Eine Konkretisierung dieser Punkte ist zugegebenermaßen vielleicht etwas zu viel verlangt für eine allgemeine Jahresbegegnung. Aber es zeigt sich hier, was für ein wichtiges Arbeitsfeld die Wissenschaftlichkeitsfrage ist. Aus welchem Grund jedoch diese ausschließ-lich an die Periodika gebunden sein sollte, wie es die einzelnen Präsentationen der drei Redakteure (Jost Schieren, Stephan Stockmar und Andreas Neider) offensichtlich nahelegen wollten, konnte sich mir nicht erschließen. Was das Totengedenken anbelangt, so will ich in jeder Hinsicht Lob und Dank für die gelun-gene Gestaltung aussprechen. Michael Schmock sprach in ganz eigenem Ansatz und Bemühen, anregend und immer würdig. Es herrschte eine sehr angemessene Stimmung, die von der Eurythmie noch unterstrichen wurde. Der Samstag griff den Gestus nach außen, wie am Tag zuvor im Dialog mit Christentum und Buddhismus hinsichtlich des guten und inneren Lebens vollzogen, auf und setzte den Fokus mit dem Thema «Zivilgesellschaft» auf das äußere, gesellschaftliche Leben. Sehr gut fand ich die den Tag eröffnende rezitatorische Darbietung der Begegnungen Rudolf Steiners mit Literaten und Dichtern in Berlin und seines dortigen Ringens um das Neue. Wie viel hat hier stattgefunden, in welchem Streben, was wurde hier – «Achtung: Gleisdreieck!» – nicht alles zugrunde gelegt? Alle Achtung für diese großartige Einstimmung! Und ja, Berlin ist schon ein besonderer Ort, an dem immer mehr als anderswo möglich zu sein scheint.Jakob von Uexküll griff in seinem (nicht leicht zu folgenden) Vortrag das Anliegen der Gesin-nungsänderung auf, indem er von einer kri-tischen Betrachtung der Zivilgesellschaften ausging. Er verdeutlichte, dass die Menschen die «kindische» Vorstellung eines «ewigen Wachstumsparadieses» quasimythischer Gene-alogie à la «Die Erde ist flach – Geld kann man essen – Die Natur ist ein Subsystem der Wirt-schaft» aufgeben und die einzig zu stellende Frage stellen sollten, nämlich: «Welches öko-nomische System können wir uns als Mensch-heit heute eigentlich leisten?» Angesichts der Tatsache, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt haben, gebe es nur noch zwei Mög-lichkeiten in der Entscheidung: «Wollen wir Teil der Lösung sein oder Teil des Problems?» Die Antwort hängt, wie wir wissen, allein von unserer Aufmerksamkeit ab. Das Podiumsgespräch mit zusätzlicher Betei-ligung von Vera Lengsfeld, Gerald Häfner und Wolfgang Gutberlet war das lebendigste und natürlichste von allen. Besonders die beiden Politiker vermittelten durch Berichte aus ihrer Biographie, dass «jede Aktivität eine Wir-kung» hat und dass politische Änderungen und Einflussnahme sehr wohl möglich sind.

    Podium am Freitag zum Thema Meditation: Hartwig Schiller, Michael Bangert,

    Arthur Zajonc, Constanza Kaliks, Tho Ha Vinh und Bodo von Plato

  • Anthroposophie Weltweit • Mitteilungen Deutschland, September 2013 3

    A n t h r o p o s o p h i s c h e G e s e l l s c h a f t

    In erhöhtem Maße kann das vom Nachmit-tagforum mit G. Häfner gesagt werden, der die Menschen feurig enthusiasmierte und mit Geschick, Kompetenz und Ausdauer auf viele Fragen einging. Der Wirtschaftsbericht der MV war insofern positiv, dass im Vergleich zu früher auch einmal kritische Äußerungen zu hören waren. Peter Krüger wies auf das Problem der satzungsge-mäß nicht vorgesehenen Betriebsmittelrückla-gen hin und sprach endlich einmal offiziell aus, was andersweitig schon lange Sorge bereiten dürfte, nämlich dass man sich für die Zukunft überlegen müsse, wie das Verhältnis von Mit-gliederzahl, Beitragszahlungen und Verwal-tungsaufwand neu bestimmt werden kann. Ein wahres Geschenk war die Musik und die Eurythmie am Samstagabend im gut gefüllten Saal, ein noch größeres diejenigen am morgen darauf! Schade nur, dass solche Höhepunkte wie das Credo und die Michaelimagination erst am Ende zu erleben waren. Andererseits war, wie die ganze Tagung überhaupt schön und inhaltlich sinnvoll aufgebaut war, auch die Kunst in ihrem Bezug auf die Tage wohlüber-legt ausgewählt. Hierfür ist insbesondere Gioa Falk zu danken.Auf die ausgezeichnete Güte des Vortrages von Matthias Gierke am abschließenden Sonntag-vormittag, der unter dem Thema «Medizin» stand, kann ich nur noch verweisen. Anhand der Thematik der Organtransplantation wurde unsere Aufmerksamkeit auf unser Verhältnis zu unserem Leib gelenkt, das heute mehr denn je in Frage steht. Ein schönes Bild war, dass die Medizin heute Transzendenz brau-che, um wieder herausgeführt zu werden aus ihrer transzendentalen Obdachlosigkeit. Etwas obdachlos sah dann allerdings auch der Schul-mediziner Ralf Schindler aus, der auf dem Podium der entflammten anthroposophischen Verve eines Georg Soldner und Harald Matthes nicht viel entgegenhalten konnte. Hier war der Dialog mit der Welt am wenigsten geglückt! Insgesamt waren es vier voll gefüllte Tage mit vielen kulturellen und künstlerischen Ange-boten für vorher, nebenher, danach. Inhaltlich machten wir den Schritt von Innen, vom Bli-cken auf unsere Aufmerksamkeitskraft per se, nach Außen, zu unserem aktiven Stehen in der sozialen Welt, bis hin zu dem Instrument, mit dem wir dies tun, unserem physischen Leib. Im Dialog mit der Welt hat sich dabei gezeigt, dass die (auch über den Tagungsort) angestrebte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit die eigene Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erweckt und insofern voraussetzt. Sind wir in diesem Sinne mittendrin in der Aufmerksamkeit, dann wird der Geist wirksam. Ich erkennet sich? Wir dürfen gespannt sein und mit Zuversicht auf Stuttgart 2014 blicken. Phillipp Fürdens ist Mitglied im Ludwig Uhland-Zweig in Tübingen,

    studiert an der dortigen Universität und arbeitet seit Jahresbeginn

    im sogenannten «Brückenkreis» des Arbeitszentrums Stuttgart

    mit.

    Es war schön, sich in dem auf die Mitte zugeschnittenen, hoch ansteigenden Kam-mermusiksaal der Philharmonie zu treffen. Am Potsdamer Platz, wirklich mitten in Berlin und bei sommerlichem Wetter, wodurch es trotz Wolken und gelegentlichen Schauern stets warm blieb. Die Themen der drei Tage waren sehr gut gewählt: Meditation, Zivilge-sellschaft, Medizin und Organtransplantation. Alles, was zu ihrem Umkreis gehört, taucht in den aktuellen Zeitdebatten auf, beschäftigt aber auch derzeit die Gruppen der Anthropo-sophischen Gesellschaft in Deutschland – das mittlere Thema könnte es noch mehr tun. Die

    eingeladenen Referenten deckten eine große Spannbreite des jeweiligen Themas ab und waren gesprächsbereit, so dass die bereits im dritten Jahr versuchten Podiumsgespräche noch besser gelangen. Bis auf die zwei Zeiten der Gesprächsforen fand alles in einem Raum statt, erfreulicherweise ohne Parallelveranstal-tungen. Das ließ mit der Zeit wirklich ein Gefühl von «zusammen» entstehen – und das bei 450 – 600 Teilnehmern.In den drei Einheiten der Mitgliederversamm-lung gab es viel Neues zu hören und zu sehen. Das eine betraf die langfristige Planung der Mitgliederversammlung 2014, die ja von jun-gen Mitgliedern gestaltet werden soll. Die Jugend lud die älteren Mitglieder ausdrücklich zu einem Austausch in einer Tagungspause ein und stellte sich damit mitten in die gewordene Anthroposophische Gesellschaft. Ganz neu war für mich, dass von den Publikationsor-ganen der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland, die ja im Budget eine Rolle spielen, Redakteure anwesend waren und ihre Intentionen beim Profil der jeweiligen Zeit-schrift schilderten. Ebenfalls neu war, dass bei Teil II «Forschung und Wissenschaft» jeder Teil-nehmer ein Blatt erhielt, auf dem die im Jahr 2012 geförderten Projekte aufgelistet waren.Beim «Aktionstag Anthroposophie» am Sams-tag auf einem Platz neben der Philharmo-nie konnten die Berliner zeigen, was in der

    Großstadt an anthroposophischen Initiativen vorhanden ist. So reichte das Spektrum von Seifen, Büchern, Kleinmöbeln, Artistik bis zur Würstchenbude. Es wurde so viel geboten, dass man gar nicht an allen Kleinveranstal-tungen in Arena und Zelt teilnehmen konnte. Die Stimmung war für ein ehemals preußische Stadt richtig gemütlich, ungezwungen und redselig; dabei war dem bunten Markt nicht sonderlich schönes Wetter beschieden. Wer Erfahrung im Organisieren hat, weiß, dass solche Unternehmungen sehr viel Aufwand benötigen im Verhältnis zu dem, was dann in Erscheinung treten kann.

    Besondere Erwähnung verdient diesmal die Kunst. Zum ersten Mal hatte sie eine eigene Stimme im Ganzen und war nicht nur schöne Erbauung. Bereits die erste Darbietung – vier Kontrabass-Soli mit Eurythmie von Gioia Falk – machte in der glücklichen Korrespondenz von Instrument und bewegtem Körper die Musik erfahrbar, als wäre man «mittendrin». Überzeugend war auch das senkrecht in hell und dunkel aufgeteilte Gewand. Um zunächst bei der Eurythmie zu bleiben: es war für jeden Geschmack etwas dabei. Es gab kon-ventionellere, bis in die Fingerspitzen filigrane Eurythmie, karge Eurythmie zu schwierigen Texten und Eurythmie voll expressiver Gestik und Kostümierung, darunter die hervorragend gegriffenen Ausklänge von Birgit Hering und Beate Krützkamp (Sprache). Die Meisterleistung vollbrachten aber Lisa Tillmann, die bereits 2012 alle EurythmistInnen Berlins zusammenzuru-fen vermochte, und Gioia Falk, die das fort-setzte. So blickte ich dankbar auf das stumme «Halleluja» am Samstagabend, dessen Bewe-gungen zwar nicht immer synchron waren, aber bei dem es in der Vereinigung fast aller auftretenden Gruppen ein soziales Kunstwerk zu bewundern gab. Richtig begeistert war ich von den tanzenden farbigen Schatten, die die Beleuchtung zur Eurythmie in diesem Saal

    Fortsetzung Seite 4

    «Mittendrin»: Der Markt auf dem Kulturforum am «Aktionstag Anthroposophie»

    Zusammen mittendrin

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    Teil I Anthroposophie und Anthroposophische Gesell-schaft, Arbeitsberichte und Mitgliedergespräch.Donnerstag, 27. Juni 17.30 bis 18.30 Uhr, Moderation: Hartwig Schiller

    1. Die Mitgliederversammlung wird durch Hart-wig Schiller eröffnet. Er begrüßt die Anwe-senden und stellt die Beschlussfähigkeit auf-grund ordnungsgemäßer und fristgemäßer erfolgter Einladung fest. Die Protokollführung übernimmt Jürgen Sust.

    2. Es folgen die Arbeitsberichte von Jasmin Mer-tens über das Arbeitskollegium, von Gioia Falk über den Bereich Kunst, von Michael Schmock über den Bereich Jugend, der Bericht des Generalsekretärs Hartwig Schiller, schließlich ein Bericht aus der Konferenz von Sebastian Bögner.

    3. Gespräch und Aussprache über Anliegen aus der Mitgliedschaft.

    In Hinblick auf die anstehende Vorstandwahl 2014, hat ein offener Prozess zu Bildung eines zukunftsfähigen Arbeitskollegiums begonnen. Als Prozessbegleiter wurden Gioia Falk, Dr. Peter Krüger, Sebastian Bögner, Barbara Mess-mer und Florian Roder berufen.

    Teil II Forschung und Wissenschaftlichkeit. Die Ent-wicklung der Anthroposophie. Arbeitsbericht und Mitgliedergespräch.Freitag, 28 Juni 17.30 bis 19.30 Uhr.Moderation: Wolf Ulrich Klünker

    1. Wolf Ulrich Klünker, Begrüßung, Einleitung. Bericht über den Arbeitsbereich Forschung und Forschungsförderung. Dieser wurde im Jahr 2012 mit einer Gesamtsumme von 91000 € gefördert.

    2. Arbeitsbericht von Jost Schieren, Leiter des Fachbereiches Erziehungswissenschaft in der Alanushochschule in Alfter und Redakteur der Vierteljahreszeitschrift «Anthroposophie.»

    3. Arbeitsbericht von Stefan Stokmar, verantwort-licher Redakteur von «Die Drei».

    4. Arbeitsbericht von Andreas Neider, verantwort-licher Redakteur für die «Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland».

    5. Gespräch und Aussprache über Anliegen aus der Mitgliedschaft.

    Teil III Wirtschaftsbericht und Entwicklungsperspekti-ven der Anthroposophischen Gesellschaft, Arbeitsbe-richt und Mitgliedergespräch.Samstag den 29. Juni 17.30 bis 19.30 Uhr.Moderation: Michael Schmock.

    1. Für den erkrankten Alexander Thiersch gibt Dr. Peter Krüger den Wirtschaftsbericht. Das erklärte Anliegen von Peter Krüger war, in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit den

    Protokoll der ordentlichen Mitgliederversammlung 2013 der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.V.

    vom 27. bis 30. Juni 2013

    Jahresabschluss 2012, so wie er in den Mittei-lungen vom Juni 2013 als Bilanz und Ergebnis-rechnung veröffentlicht ist, den Anwesenden in einigen Punkten zu erläutern. Er bedankt sich namentlich bei Alexander Thiersch, Hei-drun Götz und den Schatzmeistern der Arbeits-zentren, die jeder ihren Teil dazu beigetragen haben, dass diese Gesamtabrechnung unserer Wirtschaftstätigkeiten vorgelegt werden konn-te. Insbesondere gilt sein Dank auch Edwin Fischer der die sogenannte Konsolidierte Bilanz und konsolidierte Ergebnisrechnung erstellt hat.

    2. Bericht des Rechnungsprüfers Dr. Karl Heinz AutenriethEr bestätigt die Ordnungsmäßigkeit der Rechnungslegung. Er spricht aus, dass er den Eindruck gewonnen habe, dass alle für die Konsolidierung relevanten Unterlagen, von den betreffenden Personen die das vorbereitet haben, nach besten Wissen und Gewissen gemacht wurden und insofern der Abschluss ordnungsgemäß sind.

    3. Dem Antrag auf Entlastung des Haushaltes 2012 wird mit 12 Enthaltungen ohne Gegen-stimmen von den Anwesenden stattgegeben.

    4. Dem Antrag auf Entlastung des Arbeitskollegi-ums wird ohne Gegenstimmen mit 9 Enthal-tungen von den Anwesenden stattgegeben.

    5. Auf Vorschlag wird Dr. Karl Heinz Auten-rieth als Rechnungsprüfer ohne Gegenstim-men mit 2 Enthaltungen für das kommende Jahr bestätigt. Dr. Autenrieth bedankt sich für das ausgesprochene Vertrauen und nimmt die Beauftragung an.

    6. Wolf Ullrich Klünker verabschiedet Anna Marti-ni aus dem Arbeitskollegium und bedankt sich für die Zusammenarbeit in der Vergangenheit.

    7. Wolf Ulrich Klünker stellt Gioia Falk als neu zu wählendes Mitglied des Arbeitskollegiums vor. Sie war bis zu diesem zeitpunkt eingeladen, verstärkt an den Sitzungen des Arbeitskol-legiums teilzunehmen, mit dem Ziel, sie als zukünftiges Mitglied in das Arbeitskollegium aufzunehmen. Wolf Ulrich Klünker bittet die Anwesenden um Bestätigung dieser Entschei-dung.

    8. Der Vorschlag, Gioia Falk als Mitglied in das Arbeitskollegiums aufzunehmen, wird ohne Gegenstimmen mit 4 Enthaltungen von den Anwesenden bestätigt. Gioia Falk nimmt die Wahl an und bedankt sich für das ausgespro-chene Vertrauen.

    9. Michael Schmock schlägt den Anwesenden vor, die nächste Mitgliederversammlung vom 19. – 22. Juni 2014 in Stuttgart abzuhalten. Der Antrag wird ohne Gegenstimme mit 8 Enthaltungen angenommen.

    Für das Protokoll Jürgen Sust,Versammlungsleiter Hartwig Schiller.

    hervorbrachte, wenn man weiter oben saß. Teils konnte ich den Blick gar nicht wenden und sah ganz neue Bewegungsbilder.Auch die Sprechkunst bot Großartiges dar. Die Szenen aus der Werkstatt-Arbeit von Goethes Faust (Regie: Jobst Langhans) zeigten ein dichtes Geschehen mit hervorragenden Leistungen. Dieser Inszenierungsversuch schien mir am aktuellsten und beeindruckendsten in den Momenten zwischen Faust und Mephisto, die magisch-spirituell gegriffen wurden. Es wurde sinnlich ausgedrückt, dass Mephisto in Hun-degestalt, selber triebhaft und ganz durchtrie-bener Verführer, aus der Distanz Faust dahin lenkt, wo er ihn haben will. Oder wie er sogar Fausts Gedanken beeinflusst, als dieser um das ringt, was «am Anfang war». Die Hundeszene wurde von einer Frau grandios gespielt; spä-ter gab es einen männlichen Mephisto oder Mephisto aufgeteilt in Mann und Frau.Die Frauen des Ensembles – Meike Frevel und Sarah Kühl – zogen als Mephisto und Gretchen unglaubliche Register; sie konnten singen, musizieren, tanzen und als Pudel hecheln. Gretchens Unschuld zu Beginn kam wie aus dem vorletzten Jahrhundert daher, aber die verstörte Unschuld am Ende führte tief in heu-tige Psychosen. Viele Teilnehmer ließen diese Aufführung aus oder gingen nach der Pause, erschöpft vom Tag. Aber sie haben etwas ver-passt. Bei der Kerkerszene steigerte sich «Gret-chen» und der Gang des Schauspiels so, dass Furcht und Mitleid, die beabsichtigten klas-sischen Wirkungen des Dramas, viele ergriffen und bis zu Tränen rührten.Am Samstagabend konnte der Kammermu-siksaal bei dem Konzert der dreizehn Celli («Celloro») sein ganzes Vermögen vorführen. Die physische Räumlichkeit war wie aufge-hoben, Musik war der Raum. Dies auch bei dem Trompetentrio, dessen Bläser in der ober-sten Reihe standen. Dass der Initiator des Trios, Christian Ahrens, zur anthroposophischen Jugendszene gehört und Matjas de Oliveira Pinto, der Leiter von «Celloro», die Waldorfschule in Sao Paolo besuchte, stellte eine schöne Extra-Komponente dar.Zuletzt sei auch die vorzügliche und professio-nell durchgeführte Verpflegung erwähnt, durch die viele Begegnungen in den Pausen möglich wurden. Kleine eurythmische Aufführungen nach dem Mittagessen in den Foyers, wie z.B. die gekonnten humoristischen Einlagen von «Neuesbodenpersonal», brachten noch einmal Lokoalkolorit zum Vorschein. Mit der Vorab-Aufführung des Films «What moves you» von Christian Labhart, am Samstag um 22 Uhr war auch etwas für Nachteulen dabei. Beim Dank an alle Vorbereiter und Mitwirkenden möchte ich vor allem auf Florian Roder blicken. In der Programmgestaltung konnte ich öfters seine Handschrift erkennen, aber er trat während der vier Tage nicht aktiv auf. So kann man auch Tagungen konzipieren: als Form für andere.

    Barbara Messmer/Vertreterin des Arbeitszentrum Frankfurt

    Fortsetzung von Seite 3

  • Anthroposophie Weltweit • Mitteilungen Deutschland, September 2013 5

    A n t h r o p o s o p h i s c h e G e s e l l s c h a f t

    Fortsetzung Seite 6

    Als drei Tage nach meiner Rückkehr Constanza Kaliks fragt, wie es mir in Brasilien gefallen habe und was die stärksten Eindrücke gewe-sen seien, bin ich hilflos. Ihr Interesse ist nur zu verständlich, schließlich kommt sie aus Brasilien, und Sao Paulo ist ihre Heimatstadt. Ich aber bin noch nicht in der Lage, meine Eindrücke zusammenzufassen. Es waren sechs ereignisreiche Tage dort mit 14 unterschied-lichen Veranstaltungen, und ich brauchte Zeit, um die Ereignisse zu überblicken.2013 wird in Brasilien ein «deutsches Jahr» begangen, die deutsch-brasilianische Zusam-menarbeit gefeiert. Joachim Gauck sah bei seiner Eröffnung am 13. Mai in Sao Paulo: «Zeichen einer Partnerschaft, die eng und immer vertrauter ist und vor allem aus vielen großartigen Chancen besteht.» Um anschlie-ßend diese Chancen auf ein begrenztes Feld gesellschaftlichen Lebens zu beschränken. «Ich wende mich zur Eröffnung der Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstage an Sie, die füh-renden Vertreter aus Industrie und Wirtschaft der größten Wirtschaftsnation Lateinamerikas und der größten Wirtschaftsnation Europas.»Schaut man das Programm der wirtschaftlichen Zusammenarbeit an, dann steht an erster Stel-le der industrielle Anbau von Zuckerrohr und die Gewinnung von Ethanol – Kraftstoff für Kraftfahrzeuge. 90% der in Brasilien herge-stellten Fahrzeuge können bis zu 100% Etha-nol nutzen.Damit einher geht die Entwicklung der Auto-industrie. 2012 wurden in Brasilien 3,8 Mio. Fahrzeuge abgesetzt. Die Prognose für 2020 lautet auf 6 Mio. Das Land ist der viertgrößte Absatzmarkt der Welt. Bis 2017 sind Investiti-onen in Höhe von 25 Mrd. Euro geplant. Alle namhaften und neuerdings auch einige chine-sische Hersteller produzieren in Brasilien.Die Freunde der Anthroposophischen Gesell-schaft in Brasilien hatten bei ihren Initiativen ein weiter gespanntes Spektrum im Sinn. Sie wollten gemeinsame Impulse der kulturellen Entwicklung thematisieren. Ihre Gedanken gingen dabei sowohl zurück zu den Reisen Humboldts und den kulturellen Wurzeln der indianischen Urbevölkerung als auch zu den künstlerischen Strömungen um die Wende zum 20. Jahrhundert mit deren gegenseitiger Anregung in Brasilien und Deutschland. So kam es zu der unerwarteten Einladung an mich.Die größte Überraschung waren die Men-schen. Zu Recht erwartet der Besucher einen Schmelztiegel verschiedenster Ethnien und Herkünfte. In der Realität zeigt sich diese Vielfalt jedoch viel einheitlicher als erwartet. In Sao Paulo ist durch alles hindurch der Ernst des Zeitenschicksals stets spürbar. Die riesige Metropole, das industrielle Zentrum prägt den Ort. Er ist den Menschen ins Gesicht geschrie-ben.Auf dem Weg vom Flughafen zur im Süden der Stadt gelegenen Anthroposophischen Gesell-schaft geht die Fahrt an der Pinakothek vorbei.

    Dort konzentrieren sich die ersten Eindrücke in einem Werk von Lasar Segall. Es heißt «Emi-granten» und zeigt repräsentative Physiog-nomien. Eine zur «Grupo dos Cinco» (Gruppe der Fünf) gehörende Malerin ist Tarsila do Amaral. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefähr-ten Oswald de Andrade, mit Mário de Andrade, Anita Malfatti und Menotti del Picchia gehörte sie zum Kreis der Künstler, die 1922 in Sao Paulo die Semana de Arte Moderna (Woche der Modernen Kunst) veranstalteten.Diese Gruppe griff auf der einen Seite Impulse des europäischen Expressionismus auf und setzte ihnen auf der anderen Seite eine selbst-bewusste, teilweise nationalistisch gefärbte Selbständigkeit entgegen. Ihr «Arbeiter» benanntes Bild gibt eine charakteristische Sicht aus den dreißiger Jahren des 20. Jh. wieder.

    2012 stellt der junge brasilianische Plastiker Herbert Sobral die vielschichtige Population in einer Installation von Playmobil Figuren nach. Alltag in der Kunst wird Kunst im Alltag.Brasilien hat heute geschätzte 186 Mio. Ein-wohner. Die Alterspyramide hat nahezu die klassische Tannenbaumform, d.h. eine breite Basis von jüngeren Menschen und eine sich ausdünnende Altersspitze. Ob es daran liegt, dass Menschen über 60 Jahren in den öffent-lichen Verkehrsmitteln umsonst fahren dürfen und ein Recht auf Sitzplatz haben? Überra-schend stehen in den U-Bahnen auch jene jüngeren Fahrgäste auf, die auf den nicht für die älteren reservierten Plätzen sitzen.An öffentlichen Funktionsstellen, an denen sich Warteschlangen bilden, ist eine Abkür-zung für die Senioren eingerichtet, um ihnen den Zugang zu erleichtern – ein liebenswür-diger Zug gegenüber Schwächeren.Die Zweige in Sao Paulo haben sich Vorträge zu den Themen «Die Identität der Anthro-posophischen Gesellschaft», «Ich erkennet sich» und «Die Grundsteinlegung des ersten Goetheanum und das Kosmische Vaterunser» gewünscht.In den Zwischenzeiten gibt es Arbeitsgespräche mit dem Kollegium des Lehrerseminars über Anerkennungsfragen und Akademisierung

    Brasilianische Träume sowie mit den leitenden Persönlichkeiten der brasilianischen Federation der Waldorfschulen über Fragen von Schulautonomie und Zusam-menarbeit. Vor der Elternschaft der Rudolf Steiner Schule gibt es einen Vortrag über Selbstverwaltung und die Zusammenarbeit von Eltern und Lehrern. Das Lehrerkollegium möchte etwas hören über die Esoterik der Waldorfschule.Bewegend sind auch die Besuche im Wir-kensbereich von Ute Craemer. Ihre Kultur und Humanität stiftende Arbeit hat über die Favela Monte Azul hinaus eine Reihe weiterer Plätze erreicht, in denen eine dankbare und initi-ative Elternschaft aus sozial benachteiligten Schichten ihre Lebenswelt zum Besseren hin verwandelt. Es ist bewegend, diese Oasen eines gesunden Heranwachsens und herzlicher Gesinnung zu erleben. Die ersten Ehemaligen von Monte Azul bauen hier in zweiter Genera-

    tion etwas auf, wohin Kinder voller Vertrauen und der Gewissheit, an etwas Bedeutendem teilzuhaben, in Obhut gegeben werden.Auch gaben Ute Craemer und ihre Mitarbei-terin Susanne Rotermund die Initialzündung zu einem brasilianisch-deutschen Projekt, das mit der Übersetzung des Schöpfungsgesanges der Guarani-Indios Eingang in die Tagung der brasilianischen Landesgesellschaft zum Thema «Festival Multicultural» bildete. An ihm nahmen u.a. der Forscher am indianischen Kulturerbe Kaká Werá Jecupé und die Kunsthi-storikerin Ana Maria Marcondes teil.Worte des von Kaká Werá in mündlicher Über-lieferung bewahrten Mythos eröffneten das Festival:

    «Unser Vater, das Große Mysterium, der Urvater,Lange bevor er sich selbst erschuf,Im Laufe der Zeitenfolge,Schwebte die zukünftige Lebensstätte im Leeren.Lange bevor die Sonne erschaffen wurdeExistierte Er bereits als Reflex seines eigenen Herzens.Zur Sonne wurde er in seiner eigenen Gottheit ...»

    Der Mythos zeigt in feierlichen Schritten die Entwicklung des Menschen durch die planeta-

    Pagu, Elsie, Tarsila do Amaral, Anita Malfatti und Eugènia Moreyra, 1922, im Hintergrund: Mario de Andrade

  • Anthroposophie Weltweit • Mitteilungen Deutschland, September 20136

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    Fortsetzung von Seite 5 bereitet für eine neue kulturelle Identität ohne Grenzen nach Blut und Boden.Das erste Land, von dem die Bundesrepublik Deutschland nach dem 2. Weltkrieg zu einem Kulturaustausch eingeladen wird, ist Brasilien. Die Biennale von Sao Paulo 1951 gründet die Beteiligung noch auf persönlich informelle Beziehungen und zeigt doch den Weg zu einem neuen Kosmopolitismus, der sich multikultu-rell realisieren möchte. Aus Brasilien grüßt eine Welt die sich in den Werken Tarsila do Amarals farbenfroh und ungebrochen darstellt.Mario de Andrades Hauptwerk «Macunaí-ma» von 1926 schildert die Entfremdung des Helden von seiner natürlichen Umwelt und enthält doch immer wieder entzückende Lichtpunkte ungebrochener Schönheit und Widersetzlichkeit gegen das Geordnete: »Das schwarze Tigerweibchen wurde blitzwütend. «Jetzt verschlinge ich dich, Gevatterin!» Und lief hinter dem braunen Jaguar drein. Das war eine Funkenflucht durch die Buschwälder, dass die Vögel klitzeklein wurden vor Angst und die Nacht so erschrak, dass sie gelähmt wurde. Daher ist es auch im Urwald immer stockfin-ster, selbst wenn es über den Bäumen Tag wird. Die Ärmste kann nicht mehr gehen ...«In der zeitgenössischen Literatur Brasiliens ist auffallend häufig von träumenden und schlafenden Helden die Rede. Dabei wird auf Bewusstseinszustände gewiesen, die tiefer lie-gen als die zivilisatorische Außenseite unserer Gegenwart. Die Zukunft muss aus der Über-einstimmung oder Überbrückung von Vergan-genheit und Zukunft gewonnen werden.Im Schöpfungsmythos der Guarani führen die Menschenströme Kriege miteinander, da sie ihren gemeinsamen Ursprung vergessen haben. Als das geschieht, begegnen sich Sonne und Mond am Himmel und Tupã, der Schöp-fergott, dröhnt mit seiner Donnerstimme: «Ihr alle seid Samen eines gleichen Waldes, der seine Wurzeln im gleichen Boden hat und von dem gleichen Hauch und demselben Him-melslicht ernährt wird. Wenn ihr einmal die Weisheit der roten Samen, der gelben Samen, der schwarzen Samen und der weißen Samen ausgetauscht habt, wird ein neues Volk gebo-ren werden: das goldene Volk. »Es gab manchen in diesen brasilianischen Juni-tagen, der in diesen Traum gern einstimmte. Die Kinder und Jugendlichen meinten sogar, in ein Stück dieser Wirklichkeit erwacht zu sein.Statistiken zeigen die Verteilung der ethnischen Gruppen Brasiliens in wechselndem Verhältnis. 1940 betrug der Anteil weißer Menschen 63%. Im Laufe der nächsten 70 Jahre sank dieser Anteil auf 50%. Im selben Zeitraum vermin-derte sich der Anteil des schwarzen Bevöl-kerungsanteils von 15% auf 7%. Der Anteil der Pardo, das sind die Nachfahren aus der Verbindung von Schwarzen und Weißen, sowie Schwarzen und Indianern, stieg gleichzeitig von 21% auf 42%. Solche Statistiken zeigen nicht viel, immerhin aber eine Unbefangenheit gegenüber äußeren Vererbungsmerkmalen. Sie sind ein Dokument antirassistischer Lebenswirklichkeit. Eben

    darin liegt ein zukunftsweisendes Potential. Aus der brasilianischen Geschichte erwächst auf gleichsam natürliche Weise etwas, das in Deutschland durch Katastrophen auf schmerz-volle Weise errungen werden musste.Beiden Räumen liegt jedoch als Aufgabe das noch vor, was Rudolf Steiner am 3. August 1924 in Dornach ausgesprochen hat (GA 237):«Die Michael-Impulse wirken heute weit hinein in die Kräfte, die sonst bloß durch Rassen- und Volkszusammenhänge bestimmt sind.Heute wirkt das GEISTIGE rassenbildend. Die geistigen Interessen werden tonange-bend. Man wird nicht mehr sagen können: der Mensch sieht aus wie ein Türke, Araber, Engländer, Russe oder Deutscher. Er beginnt Michaelit zu werden.»Insofern war das Festival Multicultural im bra-silianisch-deutschen Freundschaftsjahr 2013 ein wahres Michaelsfest, auch wenn es an Johanni gefeiert wurde.

    Ich möchte allen Brasilianischen Freunden, die mir diese Erfahrungen geschenkt haben, aufs Herzlichste danken, vor allem aber Sonia und Valdemar Setzer, bei denen ich mich in liebevollster Fürsorge befand und die meinem Mund und Ohr Zugang zur portugiesischen Sprachwelt erlaubt haben.

    Hartwig Schiller

    Hochschultagungin Pforzheim

    Die Hochschulgruppe des Johannes-Zweiges Öschelbronn lädt zur 4. Öschelbronner Hoch-schultagung vom 12.-13 Oktober 2013 ein. In den vorangegangenen Tagungen (2010 – 2012) wurde jeweils einer der drei großen Entwicklungsschritte, die in den ersten 16 Klassenstunden der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft erlebt werden können, zusammenfassend betrachtet. Jetzt stellen wir uns die Aufgabe, auf die Entwicklung von der 16. bis zur letzten, 19. Stunde zu schauen: dem Menschen wird der Weg von der Seelenwelt in die rein geistige Welt gezeigt. Die Tagung wird geprägt durch die frei gehal-tenen Klassenstunden, eine Gesprächsarbeit und eurythmisches Üben, das zum bewussten Erleben leiten soll.Die Tagung wird am Freitag 11. Oktober um 19.30 eingeleitet durch einen öffentlichen Vortrag von Paul Mackay: «Welche Bedeutung können Karma und Reinkarnation für den modernen Menschen haben». Eingeladen sind alle Mitglieder der freien Hochschule für Gei-steswissenschaft.

    H.B. von Laue/ Pforzheim

    Ein detailliertes Programm kann angefordert werden über Dr. H.B. von Laue email: [email protected] oder Fax 07233 974064

    rischen Evolutionsstufen, durch Trennung und Schmerz, die Begegnung mit dem Bösen durch Leid und Not und die Verheißung auf eine heilsame Zukunft.Silvia und Winfried Vögele hatten daraus ein eurythmisch-sinfonisches Bühnenprojekt mit insgesamt 180 Mitwirkenden gestaltet, sie als Eurythmistin der Rudolf Steiner Schule Neu-wied, er als Komponist und Lehrer am Landes-musikgymnasium Montabaur.50 Schüler waren vom Erstaufführungsensem-ble in Deutschland nach Brasilien geflogen, um dort in neuer Besetzung mit Schülern der beiden 11. Klassen der Escola Waldorf Rudolf Steiner und Kindern aus der Favela Monte Azul aufzuführen. Brasilianischer konnte ein Projekt kaum sein. Multikulturalität trat in seiner schönsten Form auf. Manch gutmü-tig charakteristischer Spott flog zwischen den Jugendlichen aus so unterschiedlichen Bewe-gungskulturen hin und her, das gemeinsam Erreichte begründete tiefe Freundschaftser-lebnisse. Die Premiere im Centro Cultural war umjubelt von Eltern, Freunden, Nachbarn und Ortsansässigen.In der anschließenden Tagung zeigten sich die kulturellen Entwicklungen in Brasilien und Deutschland zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts geradezu gegenläufig. Waren die Schöpfer des «Münchener Expressionismus» in Vertretern wie Franz Marc oder Wassili Kandinsky geistoffene Sucher, die sich bei Rudolf Steiner orientierten und deren Biographien durch den Weltkrieg verwirrt oder abgebrochen wurden, so zeigte der deutsche Expressionismus nach dem Krieg ein ungleich düstereres Antlitz als vor dem Krieg. Die Werke verdunkelten sich, der Materialismus griff Bahn. Der eigentliche Aufbruch in Brasilien setzte hingegen über-haupt erst nach dem Krieg ein. In Deutschland markierte der erste Weltkrieg einen äußeren Niedergang, in Brasilien gab er das Signal zu nationalem Selbstbewusstsein mit dem Impuls eine eigene kulturelle Identität jenseits des europäischen Vorbildes zu suchen, das als abgewirtschaftet galt.Rudolf Steiner weist auf eine 1859 vorgetragene Prophetie Fercher von Steinwands hin. (GA 337a, S. 240) Fercher beklagt im Anschluss an Berichte des Habsburger Maximilian, Kaiser von Mexiko, über deutsche Auswanderer deren Schwäche, vor Bewunderung für andere Kulturen, die Ausbildung einer eigenen gesunden Identität zu versäumen: «Was wir reden, hat nicht Mark; was wir tun, hat nicht Kern; was wir künstle-risch schaffen, hat nicht den Klang, nicht den Adel der großen Natur. Es sieht aus, als hätten wir uns die Aufgabe gestellt, die Kunst durch dürre Eigenheiten, durch nüchterne Volkstüm-lichkeit, durch erzwungene Naturalismen zu necken. Was wir im Übrigen noch denken oder zur Geschichte beitragen, hat Raum genug im Hohlkegel einer Schlafmütze.»In Deutschland steigert sich dieser Hohlraum in die zweite Katastrophe hinein. Erst danach wird durch Machtverlust und Scham der Boden

  • Anthroposophie Weltweit • Mitteilungen Deutschland, September 2013 7

    A n t h r o p o s o p h i s c h e B e w e g u n g

    Zu Recht gilt der Erste Weltkrieg als Urkata-strophe des 20. Jahrhunderts. In den Folgen der von ihm eingeleiteten Umbrüche lebt die Menschheit noch heute. Rudolf Steiner verglich diese weltgeschichtliche Zäsur 1920 mit dem Untergang des Römischen Reiches; er wies darauf hin, dass durch den Krieg eine vollstän-dige Zertrümmerung der menschheitlichen Vorstellungen und aller Kultur erfolgt sei, wie sie sich »seit dem ersten christlichen Jahrhun-derte« aufgebaut hatten, dass aber während des Weltkrieges auch »etwas ganz Neues« sei-nen Anfang genommen habe. Und zu Adelheid Petersen meinte Rudolf Steiner schon Ende 1914: »Wenn das vorüber sein wird, was man Krieg nennt – ja, dann wird es so sein, dass alles Konventionelle versagt; dass alle Tün-che von den Lebensverhältnissen abfällt! Die Menschheit ist in ein Stadium ihrer Entwick-lung eingetreten, wo das Böse und die Lüge sichtbar werden müssen! Es ist alles schon da: das Böse, Grauenhafte, das Verlogene, der Verfall – es ist alles schon da, aber es ist noch übertüncht! Und es muss offenbar werden! Das wird sich in den Lebensverhältnissen des Einzelnen zeigen – in den Ehen, den Familien, den Freundschaften und vor allem den Feind-schaften – wie im Gesamtleben der Völker, der Staaten!«2014 wird auf zahlreichen Veranstaltungen der hundertjährigen Wiederkehr des Kriegsaus-bruchs gedacht. Von dem Vereinigten König-reich bis Russland mehren sich die Publika-tionen, Webseiten und Veranstaltungen, auf denen der Weltkrieg und seine Auswirkungen neu diskutiert werden. In der internationalen historischen Debatte sind in den letzten Jahren

    umfangreiche Neuinterpretationen erfolgt. So wie in den 1960er Jahren Fritz Fischer das Para-digma der damaligen bundesdeutschen Histo-rikergeneration formulierte, das im Deutschen Reich den Haupt-, wenn nicht den Alleinver-antwortlichen am Kriegsausbruch festzustellen glaubte, so haben in den vergangenen zwanzig Jahren Historiker ihrer Generation – wie Keith Wilson, Christopher Clark, Stefan Schmid, Peter Hoeres, Georges-Henri Soutou (um nur einige Namen zu nennen) – neue Aspekte der Hin-tergründe der Vorkriegs- und Kriegszeit bear-beitet, die erkennen lassen, dass die Verant-wortlichkeit für den Krieg nicht einfach nur auf ein Land oder gar einen Menschen abgewälzt werden kann.Als Zeitgenosse der Kriegsjahre war Rudolf Steiner in dieser Hinsicht bereits sehr »modern«, um es mit einem Schlagwort mehr schlecht als recht auszudrücken. Wohl setzte er sich vehement dafür ein, die seit Ende 1914 propagandistisch kursierende »Allein-schuld der Deutschen« zurechtzurücken, auf Hintergründe und Zusammenhänge hinzu-weisen, die zu einem vertieften Verständnis des Geschehens beitragen sollten. Bis 1916 hoffte er auch auf eine Besinnung einer deutschen Öffentlichkeit mit Blick auf ihre eigentliche geistige Daseinsberechtigung, die im Wilhel-minischen Reich verlorenzugehen drohte. Seit 1917 drang er schließlich darauf, auf die Grün-de des geistigen Versagens Mitteleuropas zu verweisen; ohne dafür Einsicht zu finden, so mahnte er, lasse sich keine auf dauerhaften Frieden gegründete Zukunft entwickeln. Die dabei angeschnittenen Krisen und Probleme

    Rudolf Steiner – Der erste Weltkrieg und das Schicksal Mitteleuropas Tagung der Deutschen Landesgesellschaft vom 3. – 6. Okt. 2013 im Anthroposophischen Zentrum in Kassel

    haben bis auf die heutige Zeit nichts an Brisanz und Aktualität verloren.Zugleich konstatierte Steiner aber auch ein viel umfassenderes Ursachengeflecht, das in einen Weltenbrand führen musste: von spirituellem und politischem Imperialismus über die Krisen im wissenschaftlichen Weltbild, die vorherr-schende Wirtschaftsideologie, die ungelösten sozialen und nationalen Fragen, bis hin zu Symptomen wie der grassierenden Neurasthe-nie (Joachim Radkau sprach 1998 vom »Zeital-ter der Nervosität«), der Bewusstseinstrübung führender Persönlichkeiten (von Christopher Clark kürzlich als sleepwalking beschrieben), aber auch geistige Schicksalsfragen.Auf der Tagung sollen einige dieser Gesichts-punkte zur Darstellung kommen und erörtert werden. Dabei wird betont, dass der Erste Weltkrieg mehr als ein historischer Knoten-punkt verstanden werden kann, in dem viele verschiedene Menschheitsfäden zusammenlie-fen, ohne Umwandlung sich verknoten muss-ten und dadurch katastrophale Umwälzungen herbeiführten, deren geistige Bearbeitung bis heute noch nicht in heilsamer Weise erfolgt ist. Weswegen der Erste Weltkrieg bis in unsere Zeitläufte hinein seinen mahnenden Schatten wirft.

    Dr. Markus Osterrieder

    Anmeldungen zur Tagung und ausführliches Programm bitte über das Landessekretariat in Stuttgart: Tel. 0711 16 43 121 oder email [email protected]

    Markus Osterrieders Forschungsprojekt «Rudolf Steiner und der erste Weltkrieg» wurde von der Stiftung Forschungsförderung innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland gefördert. Das Buch zum Thema erscheint im Februar 2014 im Verlag Freies Geistesleben.

    KoproduktionRudolf Steiner Verlag –

    Frommann-Holzboog Verlag (an) Wie bereits in den «Mitteilungen» berich-tet, gibt es das Projekt des deutsch-ame-rikanischen Germanisten, Philosophen und Musikwissenschaftlers Christian Clement einer kritischen Ausgabe der Schriften Rudolf Stei-ners, die beim Stuttgarter Wissenschaftsver-lag frommann-holzboog bereits angekündigt wurde. Diese Ausgabe konnte nun vor Erscheinen vom Leiter des Rudolf Steiner Archivs, David Marc Hoffmann, eingehend geprüft und dem Rudolf Steiner Verlag als Projekt empfohlen werden. Der Rudolf Steiner Verlag und der frommann-holzboog Verlag haben sich darauf-hin zu einer Koproduktion dieser Ausgabe ent-schieden. Band 5 mit den Schriften zur Mystik, Mysterienwesen und Religionsgeschichte

    wird als erster der insgesamt acht geplanten Bände ab September dieses Jahres im Buch-handel erhältlich sein. ›Die Mystik‹ und ›Das Christentum‹ dokumentieren den Übergang des Philosophen Steiner zum Esoteriker und stehen somit im Brennpunkt aktueller For-schungskontroversen, etwa um die Kontinuität von Steiners intellektueller Entwicklung, um die »Christlichkeit« der Anthroposophie oder um die Abhängigkeit Steiners von der Theo-sophie. Dieser Band erschließt diese für das Verständnis und die Bewertung der Anthropo-sophie unentbehrlichen Schriften zum ersten Mal in kritischer Edition.

    Historisch-kritischeWürdigung der Theosophie

    (an) Erstmals ist nun auch in französischer Sprache der Zusammenhang der Anthropo-sophie Rudolf Steiners mit der Theosophie H. P. Blavatskys in einer umfangreichen wissen-

    schaftlichen Publikation gewürdigt worden. Unter dem Titel «Le grand récit de la Théoso-phie de Helena Petrovna Blavatsky à Rudolf Steiner 1875-1914» stellt der französische Phi-losophieprofessor Guy Pierre Leccia auf über 500 Seiten die Theosophie nach einem Muster des Philosophen der Postmoderne, Jean-Francois Lyotard, in die Reihe der großen Welterklä-rungsversuche vom Zeitalter der Aufklärung bis zur Moderne (Éditions de La Hutte). Die Theosophie erscheint hierin als einer der letz-ten Versuche im Sinne der Aufklärung, den Zusammenhang des Menschen mit dem Kos-mos im Sinne eines einheitlichen Welt- und Menschenverständnisses zu erfassen. Beacht-lich ist dabei insbesondere das große Interesse des Autors an Steiners Vortrag auf dem Phi-losophenkongress in Bologna, dem er alleine 20 Seiten seiner Untersuchung widmet, und dem er einen ebenfalls in Bologna gehaltenen Vortrag Henri Bergsons gegenüberstellt. Eine genaueres Studium dieses beachtenswerten Werkes wird zeigen, ob eine Übersetzung ins Deutsche sinnvoll und machbar ist.

  • Anthroposophie Weltweit • Mitteilungen Deutschland, September 20138

    A n t h r o p o s o p h i s c h e B e w e g u n g

    ImpressumDie «Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland» sind Bestandteil der Zeitschrift «Anthroposophie weltweit». Herausgeber ist die Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland e. V., Zur Uhlandshöhe 10, 70188 Stuttgart. Redaktion: (an) Andreas Neider (verantwortlich), Sylvain Coi-plet. Zur Uhlandshöhe 10, 70188 Stuttgart., Tel.: 0711/248 50 97, Fax: 248 50 99, e-Mail Redaktion: [email protected]. Adressänderungen und Administration: [email protected]. Gestaltung: Sabine Gasser, Hamburg. Der Bezug ist sowohl durch ein Abonnement der Wochenschrift «Das Goetheanum» als auch durch gesonderte Bestellungen beim Verlag möglich (Kostenbeitrag für das Jahr 2011: 40,- Euro). Verlag: mercu-rial-Publikationsgesellschaft mbH, Alt-Niederursel 45, 60439 Frankfurt/M., Tel: 069/58 23 54, Konto Nr. 101 670 901 bei der GLS Gemeinschaftsbank eG, BLZ 430 609 67.Beilagen: Goetheanum: Weihnachtstagungsflyer, Sterbekulturta-gungsflyer, Parzival-Tagung-Flyer; Waldorfshop, waschbär, Die Drei

    Masernimpfung erneut Thema(an) Noch vor den Sommerferien war das Thema Masernimpfung im Zusammenhang mit dem Ausbrechen der Krankheit an einer Waldorf-schule in Erftstadt bei Köln in den deutschen Medien omnipräsent. Die FAS befragte immer-hin den Generalsekretär der AGiD, Hartwig Schiller, ebenso kam Georg Soldner von der GAÄD zu Wort. Demgegenüber versuchen füh-rende Politiker der Koalition wie etwa Gesund-heitsminister Daniel Bahr (FDP) verstärkt Druck auf Eltern auszuüben, die ihre Kinder nicht gegen Masern impfen lassen. Einer Impfpflicht soll laut Bahr durch verstärkte Impfkampagnen im Vorschulalter vorgebeugt werden. Demgegenüber vertritt die GAÄD in einer Pres-semitteilung die Aufassung: «Wenn es um die öffentliche Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit geht, polarisiert das Thema Impfen wie kaum ein zweites. Immer wieder werden verstärkte Maser-Ausbrüche und -Epidemien zum Anlass genommen, sehr kontrovers disku-tierte Maßnahmen vorzuschlagen. Auch die Ein-führung einer generellen Impfpflicht ist immer wieder im Gespräch. In einer derart aufge-heizten Atmosphäre war und ist es nicht leicht, einen bewussten und aufgeklärten Umgang mit Schutzimpfungen zu fordern und Raum für einen individuellen Impfentscheid zu lassen. Schnell werden sowohl bei Impfgegnern als auch bei Impfbefürwortern die bekannten Vor-urteile bemüht und traditionelle Abgrenzungen gepflegt.Eine differenzierte Auseinandersetzung sieht allerdings anders aus. Eine differenzierte Betrachtung bezieht alle Erkenntnisse, die über Impfungen bei Kinderkrankheiten vorliegen, mit ein und wägt dann Vor- und Nachteile sorgfältig gegeneinander ab. Auch Fragen nach den langfristigen (immunologischen) Auswir-kungen einer Impfung sollten in Ruhe gestellt werden können – und zwar im jeweiligen Ein-zelfall. Dementsprechend stellt sich die Position der Anthroposophischen Medizin zu Schutz-impfungen folgendermaßen dar: Anthroposo-phische Ärztinnen und Ärzte sind nicht gegen Impfungen. Sie sind aber für die Respektierung der individuellen elterlichen Impfentscheidung. Dies ist nach geltendem Recht auch die einzig rechtskonforme ärztliche Haltung.»Die jüngst veröffentlichte Studie zum Impf-verhalten zeigt jedoch eines: die Ablehnung von Masernimpfungen hat nichts mit Dumm-heit oder mangelnder Information zu tun. Im Gegenteil: je höher der Bildungsgrad der Mütter, um so geringer die Bereitschaft, die Kinder imp-fen zu lassen.

    Spiritualisierungder Hirnforschung?

    (an) Die Hirnforschung gilt heute als Leitwissen-schaft, der bei der Begründung des modernen Menschenbildes eine besondere Rolle zugespro-chen wird. Durch ein außergewöhnliches Tages-seminar mit dem Hirnforscher und Anthro-

    posophen Dr. Urs Pohlmann (Universitätsklinik Zürich) am Samstag, den 21. September 2013 sollen im Rudolf Steiner-Haus Stuttgart die wis-senschaftlichen Grundlagen der Hirnforschung unter Einbezug der Paradigmengeschichte beleuchtet und kritisch hinterfragt werden. Ein Gedankenstrang möchte die in der Hirn-forschung exemplarisch auftretenden Erkennt-nisgrenzen beschreiben und zeigen, wie diese Erkenntnisgrenzen das Denken des wissen-schaftlich Vorgehenden verändern. Eine fragende Haltung jedoch verändert die Erkenntnisfähig-keiten, die dann das Potenzial in sich trägt, zu einer Spiritualisierung der Neurowissenschaft zu führen. Im Seminar wird Urs Pohlmann Begriffe wie Neuroplastizität und andere neurowissen-schaftliche Vorstellungen zum Beispiel zum Thema Lernen an einigen Beispielen anschaulich illustrieren. Die behandelten Themen umfassen: 1. Neuro-wissenschaft als eine der Leitwissenschaften für unser heutiges Menschenbild, 2. Spiritualisie-rung der Wissenschaft als Spiritualisierung des Wissenschaftlers, 3. Die Relevanz einer klaren philosophischen Orientierung in der Naturwis-senschaft, 4. Beispiele für «andere Erkenntnisse» in der Neurowissenschaft und Ausblick auf mög-liche Entwicklungen.Das Seminar wird von der Anthroposophischen Gesellschaft in Stuttgart veranstaltet, die in den letzten Jahren immer wieder Kolloquien und Tagungen zur Auseinandersetzung der Anthro-posophie mit den Neurowissenschaften durch-geführt hat.

    Information und Anmeldung im Rudolf Steiner-Haus Stuttgart, Tel.: 0711 / 248 50 97; Fax: 0711 /248 50 99E-Mail: [email protected]

    Befreiung des Bildungswesens(an) Vom Do., 3. bis So., 6. Oktober 2013 findet an der Universität Witten/Herdecke ein Bil-dungskongress statt, auf dem durch verschie-denste Vorträge, Arbeitsgruppen, Podiumsdis-kussionen und Gespräche die Notwendigkeit der «Freiheit für das Bildungswesen» grundle-gend bearbeitet werden soll. Veranstalter sind Freie Bildungsstiftung, Institut für soziale Drei-gliederung, D. N. Dunlop Institut e.V., Europe-an Forum for Freedom in Education.

    Nähere Information und Anmeldung: Thomas Brunner / Tel. 0355 4887480 [email protected]

    Demeter-Pionier Gothart Willmann verstorben

    (nna, an) – Im Alter von 85 Jahren verstarb am 27. Juli überraschend während einer Sitzung des Arbeitszentrums Stuttgart Gothart Will-mann, der Gründer der Gärtnerei Willmann in Bietigheim-Bissingen und des gleichna-migen regionalen Großhändlers in Vaihingen bei Stuttgart. Demeter-Vorstand Dr. Alexander Gerber wür-digte die Lebensleistung des 85jährigen für die biodynamische Gemeinschaft und Johannes Ell-Schnurr, Geschäftsführer der baden-württ-embergischen Arbeitsgemeinschaft für Biolo-gisch Dynamische Wirtschaftweise erinnerte vor allem an Gothart Willmanns Beharrlichkeit im Ringen um ein gemeinsames Verständnis: Im Mittelpunkt habe für ihn stets die Anthro-posophie Rudolf Steiners und die daraus zu entwickelnden konkreten Aufgaben gestan-den. Gothart Willmann war vielfältigts für Demeter engagiert. Er war Mitbegründer der Vereinigung für Biologisch-Dynamische Wirt-schaftsweise Baden-Württemberg und lange Zeit im Vorstand tätig. Geprägt durch ein anthroposophisches Eltern-haus, die Waldorfschule und frühen Kontakt zu Demeter-Erzeugern besuchte der junge Gärtner bereits im Januar 1947 den vierwö-chigen Einführungskurs in die Biodynamische Wirtschaftsweise. 1952 pachteten er mit sei-ner Frau Ingemarie eine kleine Gärtnerei in Kleinglattbach, einem Ortsteil von Vaihingen/Enz. Hier entstand die Keimzelle der Gärtnerei Willmann und auch die erste Vermarktungs-struktur. Gothart Willmanns Mutter verkaufte das selbst erzeugte Gemüse in Stuttgart an der Waldorf-schule Uhlandshöhe im eigens dafür errich-teten Häuschen, dem «Gemüseanum». Die Gärtnerei pachtete Flächen dazu, bildete Lehr-linge aus, sorgte durch gemeinsame Arbeit an Steiner-Texten und künstlerische Elemente wie die Aufführung der Oberufer Weihnachts-spiele für Entwicklung, verband sich mit einem Trägerverein und gründete schließlich Anfang der 1980ziger Jahre das Handelskontor Will-mann (HAKO), das heute noch als regionaler Großhändler vorrangig Demeter-Waren in die Naturkostläden liefert. Charakteristisch für Gothart Willmann war es, sowohl die Grundprinzipien des Biodyna-mischen im Blick zu haben wie die Gestaltung der Anthroposophischen Gesellschaft, in der er unermüdlich mitarbeitete und sich engagierte. So gab es praktisch keine Veranstaltung im Rudolf Steiner-Haus Stuttgart, an der Gothart Willmann nicht aktiv teilnahm, oft auch in Begleitung seiner Frau, die sich zugleich inten-siv und hingebungsvoll um die gesunde und nachhaltige Ernährung der Veranstaltungsteil-nehmer kümmerte.Allen, die ihn gekannt haben, wird Gothart Willmann in seiner liebevollen und zugleich temperamentvollen Art unvergesslich und nahe zugleich bleiben.