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7. November 2015, 14:35 Chefs weg, Selbstverwirklichung her An der FH des BFI Wien wird an flexiblen und hierarchiefreien Unternehmensorgansiationen geforscht Wien – Wie kann sich eine größere Anzahl von Menschen organisieren, um eine komplexe Aufgabe zu lösen? Eine Aufgabe, die beispielsweise in der Entwicklung, Produktion und dem Verkauf von Hightechprodukten, Funktionskleidung oder Tomatensugo liegt. Die bisherige Antwort auf die Frage liegt in pyramidenartigen Strukturen, in denen Manager die Arbeit einer Abteilung gegenüber der nächsthöheren Hierarchieebene verantworten. Entscheidungen werden oben gefällt und unten umgesetzt. Für Wirtschaftswissenschafter Richard Pircher sind derartige konventionelle Unternehmensstrukturen vielfach nicht mehr zielführend. Die Zahl jener Organisationen, die andere Wege geht, nimmt zu. Der Grundgedanke dabei lautet Selbstorganisation. Die Unternehmen passen sich besser an tatsächliche Marktgegebenheiten an, indem sie jedem Mitarbeiter im Unternehmen mehr Entscheidungsfreiraum und Verantwortung zugestehen. Pircher ist an der Fachhochschule des BFI Wien dabei, ein Zentrum für die Erforschung derartiger flexibler und hierarchiefreier Organisationsansätze aufzubauen. Er glaubt, dass sich die neuen Strategien auf lange Sicht durchsetzen. "Information ist heute keine knappe Ressource mehr. Was knapp ist, ist die Fähigkeit, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen", erläutert Pircher den Hintergrund der Veränderungen. Es seien leise Signale, deren Wahrnehmung zum Wettbewerbsvorteil wird, etwa das frühzeitige Abschätzen neuer Trends. Dinge, die viel eher jene Menschen intuitiv erkennen, die mit dem Kunden in direkten Kontakt stehen. Führungskräfte sind oft weit davon entfernt. In einer Zeit volatiler Märkte, wo Konkurrenten völlig unvermutet auftauchen, werden oft Entscheidungen getroffen, die nicht zielführend sind, so Pircher. Ideen, die nahe am Markt entstehen, hätten dagegen kaum Chancen, durch die Pyramidenstruktur nach oben zu dringen und in Entscheidungen einzufließen. "Kein Buchhändler dachte vor 15 Jahren, dass Amazon zur Konkurrenz werden könnte. Der Onlinehändler wurde auch bei der Kapitalsuche von vielen Verlagsriesen nicht ernst genommen", gibt Pircher ein Beispiel. Verzichtet man auf starre Hierarchien, könne die Organisation die Fähigkeiten des Einzelnen besser nutzen, ihr Umfeld besser wahrnehmen und sich flexibler auf Marktgegebenheiten einstellen. "Hierarchische Verhältnisse entstehen hier, weil sich Leute in einem Bereich besser auskennen und deshalb von ihren Mitarbeitern die – vielleicht zeitlich begrenzte – Leitung eines Arbeitskreises übertragen bekommen." foto: ap / jens meyer Wie die Organisation von Menschen gestaltet werden kann, um komplexe Aufgaben bestmöglich zu lösen, wird aktuell am BFI Wien erforscht. Im Bild: Arbeiter der Daimler AG in einer Produktionsstätte in Kölleda, Thüringen. 1 POSTING derStandard.at Wissenschaft Forschung Spezial Chefs weg, Selbstverwirklichung her - Forschung Spezial - derStandard.... http://derstandard.at/2000025025232/Chefs-weg-Selbstverwirklichung-her 1 von 2 17.11.2015 20:50

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Wie kann sich eine größere Anzahl von Menschenorganisieren, um eine komplexe Aufgabe zu lösen? EineAufgabe, die beispielsweise in der Entwicklung, Produktion unddem Verkauf von Hightechprodukten, Funktionskleidung oderTomatensugo liegt. Die bisherige Antwort auf die Frage liegt inpyramidenartigen Strukturen, in denen Manager die Arbeit einerAbteilung gegenüber der nächsthöheren Hierarchieebeneverantworten. Entscheidungen werden oben gefällt und untenumgesetzt.Für Wirtschaftswissenschafter Richard Pircher sind derartigekonventionelle Unternehmensstrukturen vielfach nicht mehrzielführend. Die Zahl jener Organisationen, die andere Wegegeht, nimmt zu. Der Grundgedanke dabei lautetSelbstorganisation. Die Unternehmen passen sich besser antatsächliche Marktgegebenheiten an, indem sie jedemMitarbeiter im Unternehmen mehr Entscheidungsfreiraum undVerantwortung zugestehen. Pircher ist an der Fachhochschuledes BFI Wien dabei, ein Zentrum für die Erforschung derartigerflexibler und hierarchiefreier Organisationsansätze aufzubauen.Er glaubt, dass sich die neuen Strategien auf lange Sichtdurchsetzen."Information ist heute keine knappe Ressource mehr. Wasknapp ist, ist die Fähigkeit, die richtigen Schlüsse daraus zuziehen", erläutert Pircher den Hintergrund der Veränderungen. Esseien leise Signale, deren Wahrnehmung zumWettbewerbsvorteil wird, etwa das frühzeitige Abschätzen neuerTrends. Dinge, die viel eher jene Menschen intuitiv erkennen,die mit dem Kunden in direkten Kontakt stehen.

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7. November 2015, 14:35

Chefs weg, Selbstverwirklichung her

An der FH des BFI Wien wird an flexiblen und hierarchiefreien

Unternehmensorgansiationen geforscht

Wien – Wie kann sich eine größere Anzahl von Menschenorganisieren, um eine komplexe Aufgabe zu lösen? EineAufgabe, die beispielsweise in der Entwicklung, Produktion unddem Verkauf von Hightechprodukten, Funktionskleidung oderTomatensugo liegt. Die bisherige Antwort auf die Frage liegt inpyramidenartigen Strukturen, in denen Manager die Arbeit einerAbteilung gegenüber der nächsthöheren Hierarchieebeneverantworten. Entscheidungen werden oben gefällt und untenumgesetzt.

Für Wirtschaftswissenschafter Richard Pircher sind derartigekonventionelle Unternehmensstrukturen vielfach nicht mehrzielführend. Die Zahl jener Organisationen, die andere Wegegeht, nimmt zu. Der Grundgedanke dabei lautetSelbstorganisation. Die Unternehmen passen sich besser antatsächliche Marktgegebenheiten an, indem sie jedemMitarbeiter im Unternehmen mehr Entscheidungsfreiraum undVerantwortung zugestehen. Pircher ist an der Fachhochschuledes BFI Wien dabei, ein Zentrum für die Erforschung derartigerflexibler und hierarchiefreier Organisationsansätze aufzubauen.Er glaubt, dass sich die neuen Strategien auf lange Sichtdurchsetzen.

"Information ist heute keine knappe Ressource mehr. Wasknapp ist, ist die Fähigkeit, die richtigen Schlüsse daraus zuziehen", erläutert Pircher den Hintergrund der Veränderungen. Esseien leise Signale, deren Wahrnehmung zumWettbewerbsvorteil wird, etwa das frühzeitige Abschätzen neuerTrends. Dinge, die viel eher jene Menschen intuitiv erkennen,die mit dem Kunden in direkten Kontakt stehen.

Führungskräfte sind oft weit davon entfernt. In einer Zeit volatilerMärkte, wo Konkurrenten völlig unvermutet auftauchen, werdenoft Entscheidungen getroffen, die nicht zielführend sind, soPircher. Ideen, die nahe am Markt entstehen, hätten dagegenkaum Chancen, durch die Pyramidenstruktur nach oben zudringen und in Entscheidungen einzufließen. "Kein Buchhändlerdachte vor 15 Jahren, dass Amazon zur Konkurrenz werdenkönnte. Der Onlinehändler wurde auch bei der Kapitalsuche vonvielen Verlagsriesen nicht ernst genommen", gibt Pircher einBeispiel.

Verzichtet man auf starre Hierarchien, könne die Organisationdie Fähigkeiten des Einzelnen besser nutzen, ihr Umfeld besserwahrnehmen und sich flexibler auf Marktgegebenheiteneinstellen. "Hierarchische Verhältnisse entstehen hier, weil sichLeute in einem Bereich besser auskennen und deshalb vonihren Mitarbeitern die – vielleicht zeitlich begrenzte – Leitungeines Arbeitskreises übertragen bekommen."

foto: ap / jens meyerWie die Organisation von Menschen gestaltet werden

kann, um komplexe Aufgaben bestmöglich zu lösen, wirdaktuell am BFI Wien erforscht. Im Bild: Arbeiter der

Daimler AG in einer Produktionsstätte in Kölleda,Thüringen.

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Gehalt selbst bestimmen

Beispiele für Unternehmen, die auf diese Weise erfolgreich sind,gibt es in vielen Branchen. Eines der bekanntesten ist derUS-Konzern Gore, bei uns vor allem durch sein TextilproduktGore-Tex bekannt; ein anderes der LebensmittelproduzentMorning Star aus Kalifornien, der mit dem Verarbeiten vonTomaten hohe Zuwächse erreicht. Beispiele gibt es aber auch inÖsterreich. Pircher erzählt von einem Wiener Erzeugerelektronischer Steuerungselemente, bei dem Geschäftsführerund Eigentümer ihre Aufgabe darin sehen, ihren etwa 100Mitarbeitern zu ermöglichen, sich selbst zu organisieren. "DieMitarbeiter wissen selbst am besten, was sie brauchen, um ihreAufgaben zu erfüllen und ihre Ziele zu erreichen", so Pircher. Sieentscheiden nicht nur darüber, wie sie ihre Arbeit erledigen,sondern auch über ihr Gehalt. "Sie wissen: Was sieentscheiden, müssen sie auch verdienen."

Selbstorganisation heißt aber nicht Regellosigkeit: DasUnternehmen unterscheidet die drei Kernprozesse Innovation,Produktion und Vertrieb. In einem der elf Supportprozesse sindEigentümer und Geschäftsführer organisatorisch untergebracht.

"Strategische Entscheidungen werden in Gremien getroffen, indenen jeder Mitarbeiter dabei sein und einen Beitrag leistenkann", sagt Pircher. In dieser offenen Struktur verfüge jeder überdie Informationen, die er für seine Entscheidungen benötigt.

Die Mitarbeiter müssen dafür auch bereit sein, mehrVerantwortung als in einer konventionellen Hierarchie zuübernehmen, wo man sich hinter seiner Position verschanzenund sich nach oben absichern, also Verantwortung abgebenkann. Die Mitarbeiter müssen zudem hinter einer gemeinsamenZielsetzung, einem Seinszweck der Organisation stehen, der sieletzten Endes zusammenhält, egal ob es dabei um Tomaten oderbessere Elektronikbauteile geht. Pircher: "Es geht letzten Endesmehr um die Kultur, die in der Organisation aufgebaut wird, alsoum das Organigramm." (pum, 4.11.2015)

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