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Christian Thies Kultur-, Sozial- und Geschichtsphilosophie Vorlesung an der Philosophischen Fakultät der Universität Passau im Wintersemester 2009/10 (Fünfte Sitzung 17.11.2009)

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Christian Thies

Kultur-, Sozial- und Geschichtsphilosophie

Vorlesungan der Philosophischen Fakultät

der Universität Passauim Wintersemester 2009/10(Fünfte Sitzung 17.11.2009)

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17.11.2009 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10

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Fünfter Termin (17.11.2009)

(1) Wiederholung – Ergänzungen – Fragen

(2) Immanuel Kant

(3) Ausblick auf den nächsten Termin

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Die Fragen der Geschichtsphilosophie

Die Grundfrage: Was darf ich hoffen?

methodologisch: Wie ist Geschichte zu erkennen?

ontologisch: Wie unterscheidet sich Geschichte von Natur?

intern-strukturell: Wie ist der Geschichtsverlauf zu gliedern?

intern-dynamisch: Was treibt die Geschichte voran?

normativ: Wie ist Geschichte zu bewerten?

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Fortschrittsmodelle

(a) finalistisch

(b) teleologisch

(c) linear

(d) spiralförmig

(e) stadienförmig

(f) dialektisch

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Fortschrittsdimensionen

1. Wohlstand (in materieller Hinsicht und bedingt durch technische Möglichkeiten)a) Bruttosozialprodukt/Kaufkraftparität („Lebensstandard“)b) plus Lebenserwartung und Alphabetisierung Human

Development Index („Lebensqualität“)c) …

2. Wissen (empirischer Art)3. Rechtsgrundsätze (politische Verfassungen)4. Moral (Moralität der Menschen im engeren Sinn)5. Glück (subjektiv oder auch objektiv?)6. Heil (religiöser Art)

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Bisherige Beispiele

• AUGUSTINUS (427): Fortschritt des (individuellen) Heils

• BOSSUET (1681): Fortschritte des allgemeinen Heils auf Erden

• CONDORCET (1794): mehr (naturwissenschaftliches) Wissen mehr Wohlstand mehr Moral mehr Glück

• LESSING (1780): drei Stufen der moralischen Entwicklung (1. um Strafen zu vermeiden, 2. für eine jenseitige Belohnung, 3. um seiner selbst willen)

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Immanuel KANT

1724 geboren

1781 „Kritik der reinen Vernunft“(2. Aufl. 1787)

1785 „Grundlegung …“1788 „Kritik der praktischen

Vernunft“1790 „Kritik der Urteilskraft“1793 „Die Religion innerhalb der

Grenzen der bloßen Vernunft“1797 „Metaphysik der Sitten“

1804 gestorben

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Zur historischen Einordnung

vgl. Heinrich HEINE

„Zur Geschichte der Religion und Philosophie in

Deutschland“ (1835)

1. Kant wie Robespierre

2. Fichte wie Napoleon

3. Schelling wie die Restauration (1814/15 bis 1830)

4. Hegel wie die Julirevolution 1830 (?)

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Kants geschichtsphilosophische Schriften

1784: „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“

1784: „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“

1786: „Mutmaßlicher Anfang der Menschheitsgeschichte“

1793: „Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis“

1794: „Das Ende aller Dinge“

1795: „Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf“

1798: „Der Streit der Fakultäten, 2. Abschnitt: Der Streit der philosophischen mit der juristischen – Erneute Frage: Ob das menschliche Geschlecht im beständigen Fortschreiten zum Besseren sei?“

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Kants Philosophie im Überblick

1. vor-kritische Philosophiein der Tradition der „Schulphilosophie“ von Christian Wolff

aus dem „dogmatischen Schlummer“ geweckt durch David Hume

außerdem große Bedeutung von Rousseau

2. kritische (Transzendental-)PhilosophieDie drei Hauptwerke 1781 bis 1790

„Propädeutik“

3. Entwicklung eines Systems („Doktrin“)1786 „Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft“

1797 „Metaphysik der Sitten“

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Fragen, Schriften, Disziplinen

(1) Was kann ich wissen? – „Kritik der reinen Vernunft“ Theoretische Philosophie (Erkenntnistheorie)

(2) Was soll ich tun? – „Kritik der praktischen Vernunft“ Praktische Philosophie (Moralphilosophie)

(3) Was darf ich hoffen? – „Kritik der Urteilskraft“ (als methodologische Reflexion) Religions- und Geschichtsphilosophie

(4) Was ist der Mensch?

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Erkenntnistheorie

1. Wie die Welt an sich beschaffen ist („die Dinge an sich selbst“), können wir prinzipiell nicht erkennen.

2. Erkenntnis wäre gar nicht möglich ohne angebbare apriorische Muster (Anschauungsformen, Kategorien …), die jedes Wissen vor aller Erfahrung strukturieren („transzendentale Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt“).

3. Darüber hinaus liegen jeder Erkenntnis weitere Begriffe und Vorannahmen zugrunde.

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Moralphilosophie

1. Gegenstand der Ethik ist nicht die Natur (im weiten Sinne) oder die (reale) Erscheinungswelt, also das Sein, sondern das Sollen, die ideale Welt der Moral.

2. Das Prinzip der Moralphilosophie ist der eine kategorische Imperativ „Handle so, dass die Maxime deines Handelns zugleich als allgemeines Gesetz dienen könnte“.

3. Dabei wird von allen empirischen Elementen abgesehen, allen Bedürfnissen („Neigungen“) und inhaltlichen Moralvorstellungen.

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Eine Kluft

1. Zwischen den deskriptiven Aussagen der (Natur)Wissenschaft und den normativen Aussagen der Ethik liegt eine „logische Schlucht“.

2. Ein Beispiel: Die Naturwissenschaften bestimmen den Menschen als ein determiniertes Lebewesen, die Ethik setzt die Autonomie des Menschen voraus (Dualismus Notwendigkeit – Freiheit).

3. Als Naturwesen streben alle Menschen nach Glück, als Vernunftwesen nach Moral.

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Das Prinzip Hoffnung bei Kant

nicht: „Was hoffe ich?“ oder „Was soll ich hoffen?“

sondern: Was darf ich hoffen?

= Was darf ich berechtigterweise hoffen?Wenn ich immer so handele, wie ich soll, also

moralisch – darf ich dann hoffen, glücklich zu werden?

Das höchste Gut ist die Einheit von Glückswürdigkeit

(Moralität) und Glückseligkeit.

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Das Prinzip Hoffnung bei Kant (Fortsetzung)

Unser Hoffen muss in zweierlei Hinsicht vernünftig sein:

1. Sie muss vernünftig sein im empirisch-theoretischen Sinne; sie muss sich also auf etwas richten, das faktisch möglich (und durch unser [kollektives] Handeln erreichbar) ist.

2. Sie muss vernünftig sein im normativ-praktischen Sinne; sie muss sich also an den unbedingten Forderungen der Moral orientieren.

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Geschichtsphilosophie bei Kant

… ist die (weltlich-säkulare) Antwort auf die dritte Frage (neben der Religionsphilosophie).

Sie ist eine Ergänzung zur praktischen Philosophie mit

Blick auf die theoretische Philosophie und unter

Einbeziehung teleologischer Reflexionen, deren

(begrenzte) Legitimität die „Kritik der Urteilskraft“

nachgewiesen hatte.

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„Was ist Aufklärung?“ (1784)

Die ersten Sätze:

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst

verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen,

sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.

Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache

derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der

Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines

andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen

Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

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Vergleiche

Ursache der schlechten Lage

Ursache der „Befreiung“

Christentum Eigene Schuld („Erbsünde“)

Erlösung durch Gott („Gnade“)

Gnosis Äußere Ursachen (Dunkelheit)

Eigene Leistung

(das Licht in uns)

Klassische Aufklärung

Äußere Ursachen Äußere Ursachen(Automatismus des Fortschritts)

Aufklärung bei KANT Eigene Schuld

(„Faulheit und Feigheit“)

Eigene Leistung

(Mut und Verstand)

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Erkenntnistheoretische Reflexionen

Vorhersagen lässt sich die Geschichte eigentlich nicht.

In den scheinbar chaotischen Prozessen sind jedoch

Regelmäßigkeiten zu erkennen. Daraus kann man

einen „Leitfaden a priori“ konstruieren.

Dieser lässt sich teleologisch deuten, so als ob „eine

Naturabsicht in diesem widersinnigen Gange der

menschlichen Dinge“ entdeckt werden könne.

Die darauf beruhende Geschichtsphilosophie ist

„selbst für diese Naturabsicht förderlich“.

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„Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“

Erster Satz:Alle Naturanlagen eines Geschöpfes sind bestimmt, sich einmal vollständig und zweckmäßig auszuwickeln.

Zweiter Satz:Am Menschen (als dem einzigen vernünftigen Geschöpf auf Erden) sollten sich diejenigen Naturanlagen, die auf den Gebrauch seiner Vernunft abgezielt sind, nur in der Gattung, nicht aber im Individuum vollständig entwickeln.

Dritter Satz: Die Natur hat gewollt: daß der Mensch alles, was über die mechanische Anordnung seines tierischen Daseins geht, gänzlich aus sich selbst herausbringe …

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„Idee zu einer allgemeinen Geschichte …“ (2. Teil)

Vierter Satz:

Das Mittel, dessen sich die Natur bedient, die Entwicklung aller

ihrer Anlagen zu Stande zu bringen, ist der Antagonism derselben

in der Gesellschaft …

Fünfter Satz:

Das größte Problem für die Menschengattung, zu dessen

Auflösung die Natur ihn zwingt, ist die Erreichung einer allgemein

das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft.

Sechster Satz:

Dieses Problem ist zugleich das schwerste, und das, welches von

der Menschengattung am spätesten aufgelöst wird.

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„Idee zu einer allgemeinen Geschichte …“ (3. Teil)

Siebenter Satz:Das Problem der Errichtung einer vollkommenen bürgerlichen Verfassung ist von dem Problem eines gesetzmäßigen äußeren Staatsverhältnisses abhängig, und kann ohne das letztere nicht aufgelöset werden.

Achter Satz:Man kann die Geschichte der Menschengattung im großen als die Vollziehung eines verborgenen Plans der Natur ansehen …

Neunter Satz:Ein philosophischer Versuch, die allgemeine Weltgeschichte nach einem Plane der Natur … zu bearbeiten, muß als möglich, und selbst für diese Naturabsicht förderlich angesehen werden.

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Kants Anthropologie

1. Vernunftdurch praktische Vernunft bestimmbarer Wille und absolute

Freiheit gegenüber unseren (natürlichen) Neigungen

2. natürliche Mängel keine optimale Einpassung in die natürliche Umwelt

3. „krummes Holz“„aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden“ (6. Satz)

4. „ungesellige Geselligkeit“(4. Satz)

5. individuelle Vervollkommnungsfähigkeiten

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Kultur – Zivilisation – Moral

„Wir sind im hohen Grade durch Kunst und

Wissenschaft kultiviert. Wir sind zivilisiert, bis zum

Überlästigen, zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und

Anständigkeit. Aber, uns für schon moralisiert zu

halten, daran fehlt noch sehr viel.“ (7. Satz)

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Kants Periodisierungin pädagogischer Hinsicht

1. Herausarbeiten aus der Rohigkeit

2. Disziplinierung („Kultur der Zucht“)

3. Kultivierung („Kultur der Geschicklichkeit“)

4. Zivilisierung

5. Moralisierung1. in der Dimension der innen-politischen Legalität

2. in der Dimension der außen-politischen Legalität

3. in der Dimension der Moralität

Erst wenn es eine „gute Staatsverfassung“ geben wird, ist „die gute

moralische Bildung eines Volkes zu erwarten“.

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Das „Ziel“ der Geschichte

• innenpolitisch: „gerechte bürgerliche Verfassung“ (5. Satz) Republikanismus

• außenpolitisch: „Völkerbund“ (7. Satz) äußerer Föderalismus

• „allgemeiner weltbürgerlicher Zustand“ Kosmopolitismus

Der realistischerweise anzustrebende Fortschritt bezieht sich nur auf den Bereich des (öffentlichen) Rechts (nicht den der Moral oder Tugendlehre)!

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„Zum ewigen Frieden“ (1795)

Öffentliches Recht:(a) Staatsrecht republikanisch

1. Drei Staatsformen: Autokratie – Aristokratie – Demokratie2. Zwei Regierungsformen: despotisch – republikanisch

(Trennung von Exekutive und Legislative; Repräsentationssystem)

Die Regierungsform ist wichtiger als die Staatsform.

(b) Völkerrecht Völkerbund, ein „Föderalism freier Staaten“

(c) Weltbürgerrecht Prinzip der „Hospitalität“

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„Zum ewigen Frieden“

Drei entgegenkommende Tendenzen:1. die friedliche Natur von „Republiken“

Demokratien führen zwar Kriege, aber nicht gegeneinander (?)

2. der Welthandel als verbindende Kraftim Inneren soziale Gegensätze, im Äußeren Imperialismus

3. die Rolle der politischen Öffentlichkeit (das Prinzip der Publizität)Strukturwandel der Öffentlichkeit (im Zeitalter der elektronischen Massenmedien)

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Weitere wichtige Zitateaus „Zum ewigen Frieden“

„Daß Könige philosophieren, oder Philosophen Könige werden, ist nicht

zu erwarten, aber auch nicht zu wünschen; weil der Besitz der Gewaltdas freie Urteil der Vernunft unvermeidlich verdirbt.“

„Da es nun mit der unter den Völkern der Erde einmal durchgängigüberhand genommenen (engeren oder weiteren) Gemeinschaft so weitgekommen ist, daß die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde anallen gefühlt wird: so ist die Idee des Weltbürgerrechts keine phantastische und überspannte Vorstellungsart des Rechts, sonderneine notwendige Ergänzung des ungeschriebenen Kodex, sowohl desStaats- als Völkerrechts zum öffentlichen Menschenrechte überhaupt,und so zum ewigen Frieden, zu dem man sich in der kontinuierlichenAnnäherung zu befinden nur unter dieser Bedingung schmeicheln

darf.“

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17.11.2009 Christian ThiesVorlesung WS 2009/10

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„Geschichtszeichen“ (1798)

Gibt es ein „Geschichtszeichen“ dafür, dass sich „das

menschliche Geschlecht im beständigen Fortschreiten

zum Besseren“ befindet, also in Bezug auf seine

Moralität?

Ja. Es ist nicht die „Revolution eines geistreichen

Volkes“, aber die Begeisterung des weltweiten

Publikums dafür, „deren Äußerung selbst mit Gefahr

verbunden war“.

„Denn ein solches Phänomen in der Menschheits-

geschichte vergißt sich nicht mehr.“

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ZusammenfassungKants Geschichtsphilosophie

1. Kants Geschichtsphilosophie setzt die normativen Aussagen seiner Ethik voraus und verbindet diese mit empirisch-theoretischen Aussagen.

2. Sie zeigt, dass ein Erreichen unserer vernünftigen praktischen Ziele möglich ist.

3. Fortschritt ist letztlich keine Tatsache, sondern eine apriorische normative Forderung (eine Menschheitsaufgabe), deren Verwirklichbarkeit gezeigt werden kann, weil sich die bisherige Geschichte in ihrem Lichte deuten lässt.