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DLR - Nachrichten 113 · an den Spätfolgen dieser Strahlen-exposition zu erkranken. ... zu sehen sind die aktiven und passiven ... Körper des Menschen wird bei einem Aufenthalt

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PhantomsWeltraumspaziergang

eines

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Strahlenbiologie

PhantomsWeltraumspaziergang

eines

MATROSHKA registriert Strahlung im All

Von Thomas Berger und

Günther Reitz

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: NA

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Einen ungewöhnlichen Fluggast hat der russische Raumfrachter„PROGRESS“ bei seinem Start zurInternationalen Raumstation ISS am 29. Januar des Jahres 2004 anBord: MATROSHKA ist ein dem Menschen nachempfundenes Phan-tom, benannt nach den russischenMatroshka-Puppen, den Puppen in den Puppen. Der künstliche Körper hält sich den ersten Monat

seines Aufenthalts innerhalb derRaumstation auf. Am 26. Februar2004 wird MATROSHKA von denAstronauten während einer Außen-bordaktivität an seinen geplantenAufenthaltsort an der Außenseitedes russischen Service-Moduls (Zvezda) gebracht und fixiert. Dortbleibt der leblose Hightech-Körperdie nächsten 18 Monate und führtein aufgabenreiches wissenschaft-

liches Leben. Erst am 18. August2005 holen ihn ISS-KommandantSergei Krikalev und NASA-Wissen-schaftsoffizier John Phillips im Zugeeiner weiteren Außenbordaktivitätwieder zurück in die Raumstation.Sein weiteres wissenschaftlichesLeben verbringt MATROSHKA inner-halb der Raumstation ISS.

Der Aufbau von MATROSHKA – von links nach rechts: 1. dem Men-schen nachempfundener Oberkörper, 2. eingehüllt in Poncho undKappe, 3. Container, der den Raumanzug simuliert, 4. MATROSHKAmit der thermischen Isolierung kurz vor dem Start zur Raumstation.

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Strahlenbiologie

Strahlung ist überall

Langzeitaufenthalte im Weltraum in der Internationalen Raumstationoder auch auf einem zukünftigenFlug zum Mars stellen nicht nur einepsychische und physische Herausfor-derung für den Menschen dar, son-dern sind auch mit einer erhöhtenStrahlenexposition verbunden. Dasbedeutet möglicherweise ein erhöh-tes Risiko, nach erfolgreicher Missionan den Spätfolgen dieser Strahlen-exposition zu erkranken. Auf Erdenhat der Mensch die Atmosphäre zwi-schen sich und dem primären Strah-lungsfeld des Weltraums. Ihre schüt-zende Wirkung ist vergleichbar mitder einer 10 Meter hohen Wasser-säule. Die Astronauten innerhalb derRaumstation sehen sich im Gegen-satz dazu nur durch die Wände der

damit verbundene Strahlenrisikomöglichst genau zu bestimmen.MATROSHKA ist mit der Beteiligungvon insgesamt 16 internationalenPartnern unter Federführung desDLR das anspruchsvollste und größtebisher durchgeführte Experiment zurBestimmung der Strahlenexpositionbzw. des Strahlenrisikos für Men-schen im Weltraum. Zu den Beteilig-ten zählen die NASA, die japanischeWeltraumagentur JAXA, das Institutfür Biomedizinische Probleme IMBPin Moskau sowie Universitäten ausDeutschland, Österreich, Polen, Eng-land, Irland, Ungarn, Japan und denUSA.

MATROSHKA verkörpert Menschund Maschine gleichermaßen. Dasdem menschlichen Oberkörper inOriginalgröße nachgebildete Phan-tom ist das Herzstück der Hightech-Apparatur. Es ist mit über 6.000 pas-siven und sieben aktiven Detektorenzur Messung der Strahlenexpositionausgestattet. Das DLR, genauer die Abteilung Strahlenbiologie desInstituts für Luft und Raumfahrtme-dizin, hat MATROSHKA als Nutzlast-element für die Europäische Welt-raumbehörde ESA entwickelt. DasZiel der Forschungen ist es, dieStrahlenexposition von Astronautenbei Außenbordaktivitäten und das

MATROSHKA geöffnet – zu sehen sind die aktiven und passiven Strahlendetektoren zurBestimmung der Strahlungsdosis im Auge.

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Die Internationale Raumstation ISS – derweiße Kreis zeigt den Aufenthaltsort derMATROSHKA während ihres 18-monatigenWeltraumspaziergangs.

den Teilchen des Strahlungsgürtelsder Erde als primäre Quellen zusam-men. Relevant für die Strahlenexpo-sition sind Protonen, Elektronen undinsbesondere schwere Ionen sowieals Wechselwirkungsprodukte Neu-tronen. Ein wichtiges Merkmal desStrahlenfeldes ist seine hohe Durch-dringungsfähigkeit von Materie aufGrund der sehr hohen Energie derTeilchen. Das gilt insbesondere fürdie galaktische kosmische Strahlung.Das Strahlenfeld verändert sich zeit-lich und örtlich in Abhängigkeit von

Station gesichert. Sie entsprechender Schutzwirkung einer etwa 10 bis30 Zentimeter hohen Wasserschicht.Begibt sich der Astronaut nun aufeinen Weltraumspaziergang, so bleibtihm durch den Raumanzug vergleichs-weise nur mehr ein Zentimeter Wasserals Abschirmung gegen die Strah-lungsumgebung im Weltraum.

Die Strahlungsumgebung im erdna-hen Orbit setzt sich aus der galakti-schen kosmischen Strahlung und dersolaren kosmischen Strahlung sowie

Form und Stärke des Erdmagnetfel-des und auch durch die Sonnenakti-vität. Durch abschirmend wirkendeMaterialien wie Raumschiffwandoder Raumanzug und auch durchden menschlichen Körper selbst wirddas Strahlenfeld weiter verändert:Teilchen werden absorbiert, anderewerden durch Wechselwirkung mitden Atomen des Abschirmmaterialsneu erzeugt.

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Die Höhe der Strahlenexpositionbestimmt die möglichen Strahlenef-fekte. Dabei kann es sich um akuteSchäden, wie Störung des Allge-meinbefindens, Erbrechen, Funk-tionsstörungen der Organe bis hinzum Tod, und Spätschäden, wie Bil-dung von Katarakten im Auge undTumoren, handeln. Akute Schädenkönnen nur durch eine sehr hoheStrahlenexposition während energie-reicher solarer Teilcheneruptionenhervorgerufen werden, die damit einbesonderes Risiko bei Außenbord-aktivitäten darstellen. Der gesamteKörper des Menschen wird beieinem Aufenthalt inner- und außer-

halb der Raumstation kontinuierlichbestrahlt. Auf Grund des breitenEnergie-Intervalls der Teilchen, ihremteilweise nicht isotropen Einfall undder unterschiedlichen Verteilung derAbschirmmassen um den Körperkommt es zu einer unterschiedlichenDosisverteilung in den einzelnenOrganen des Körpers.

Zur genauen Abschätzung des Risi-kos für strahleninduzierten Krebs alsSpätfolge des Aufenthalts im Welt-raum ist die Kenntnis der Summeder Strahlungsdosen, die auf einzel-ne Organe einwirken – die sogenannte Körperdosis – notwendig.

Gemessen werden kann herkömm-licher Weise allerdings nur die Dosisauf der Hautoberfläche des Astro-nauten. Mittels der MATROSHKA –die durch und durch mit Dosimeternbestückt ist – gelingt es, die Bezie-hung zwischen Hautdosis und derDosis der einzelnen Organe zubestimmen. Dies ist insbesondere beiAußenbordaktivitäten von Bedeu-tung, da im Vergleich zum Aufent-halt in der ISS hier die Hautdosiswesentlich größer ist als die Dosisder übrigen Organe. Somit ist es mitdiesem Experiment erstmals möglich,einen konkreten Datensatz zur Erfas-sung der Organdosen unter Außen-bordbedingungen zu erhalten.

Um ein Gefühl für die Höhe derStrahlenexposition im Weltraum zubekommen, kann folgender Ver-gleich herangezogen werden: EinAstronaut, der sich innerhalb derRaumstation aufhält, erhält im Laufevon einigen Tagen dieselbe Strah-lungsdosis wie ein Mensch, der sichein Jahr auf der Erdoberfläche auf-hält. Die Dosis im Weltraum ist somitum mindestens einen Faktor 100größer als auf der Erdoberfläche.Befindet sich der Astronaut nun außer-halb der Raumstation, so erhöht sichdie Strahlenexposition nochmals. Die Einheit für die biologisch rele-vante Dosis, die so genannte Äqui-valentdosis ist das Sievert (Sv). EinMensch erhält durch die natürlicheStrahlungsumgebung auf der Erdepro Jahr eine Dosis von etwa 2 bis 3 Milli-Sievert (mSv).

Strahlenbiologie

ISS-Kommandant Sergei Krikalev (links) und NASA-Kommandant John Phillips (rechts)beim Ausbau der Strahlendetektoren aus der MATROSHKA am 14. September 2005.

Bild: NASA

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MATROSHKAs Innenleben

Beim Aufbau der MATROSHKA versuchte man, dem menschlichenKörper möglichst nahe zu kommen.Natürliche Knochen sind eingebettetin gewebeäquivalenten Kunststoffverschiedener Dichte, um Gewebeund Lunge zu simulieren. Der eigent-liche Körper besteht aus 33 jeweils25 Millimeter dicken Scheiben. Indiese Scheiben wurden zur Messungder Strahlung Sensoren eingesetzt.Gemessen wird die Dosisverteilungin über 800 Messpunkten im ganzenPhantom. Zusätzlich gibt es nochaktive Messgeräte, die die Dosis inbestimmten Organen wie Auge,Lunge, Magen, Darm und Nieremessen. Des Weiteren befindet sichein aktives Messgerät oberhalb desKopfes und ein weiteres vor demRumpf des Phantoms. Zur möglichstrealistischen Messung der Hautdosisträgt MATROSHKA eine Jacke undeinen Hut. In beiden Bekleidungs-stücken sind wiederum Sensoren ineinem Raster von 25 Millimeter ein-genäht.

Die äußere Hülle der 1,10 Metergroßen und 66,5 Kilogramm schwe-ren MATROSHKA wird von einem

Container gebildet, der den Rauman-zug des Astronauten simuliert und dermit einer Thermalmatte umhüllt ist.Dieser Container besteht aus Fiber-glas. Seine Abschirmdicke entsprichtin etwa der eines Raumanzugs. Aufder Oberfläche der Thermalmatte sindweitere fünf Detektorpakete ange-bracht. Durch den Vergleich der Mess-daten von den äußeren und innerenDetektoren lässt sich die Modifizie-rung des Strahlenfeldes durch denContainer bestimmen.

Die Daten

Nach erfolgreichen Tests im Orbit wur-de MATROSHKA am 13. April 2004 inBetrieb genommen. Ende April 2004erreichten die ersten Messdaten deraktiven Strahlungsdetektoren mitSOYUZ die Erde. Erste Ergebnisse vonMessungen auf dem Kopf des Phan-toms ergaben vorläufige Werte für dieStrahlenexposition von 1,3 mSv proTag, während im Innern der Raumsta-tion in der gleichen Zeit Werte zwi-schen 0,45 und 0,55 mSv gemessenwurden. Das entspricht einer Erhöhungder Strahlungsdosis um bis zu einemFaktor 3 im Vergleich zu einem Aufent-halt innerhalb der Raumstation.

Am 14. September 2005 bautenSergei Krikalev – der inzwischen zurErde zurückgekehrte Langzeitflug-weltrekordler – und sein Astronauten-kollege John Phillips die passivenDetektoren aus dem Phantom aus.Diese wurden am 11. Oktober 2005mit einem SOYUZ-Transporter zurAuswertung auf die Erde zurückge-bracht. MATROSHKA wird noch wei-ter auf der Raumstation verbleiben.Die nächste Aufgabe ist es, dieStrahlenverteilung im Phantominnerhalb der Raumstation zu mes-sen, um einen direkten Vergleich mitden Messungen während derAußenbordaktivitäten zu erhalten.

Autoren: Dr. Thomas Berger ist in der

Abteilung Strahlenbiologie des Instituts

für Luft- und Raumfahrtmedizin zustän-

dig für den Aufbau der passiven Detek-

toren der MATROSKHA, Dr. Günther

Reitz leitet die Abteilung Strahlenbiologie

und das MATROSHKA-Projekt.

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