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Ver ni s s age der Büs t e Fr anz O ppenh ei m er s am 31. M är z 2014
Fr anz O ppenhei m er und der B i l dhauer Fr i t z K or m i s
Vortrag von Bertram Schefold
Meine Damen und Herren,
„Franz Oppenheimer und der Bildhauer Fritz Kormis“ – es scheint eine
unlösbare Aufgabe zu sein, über diese Verbindung zu sprechen, da wir
keine Briefe oder ähnliche Zeugnisse eines direkten Kontaktes zwischen
beiden gefunden haben. Und doch wäre Franz Oppenheimer sich untreu
geworden, wenn hinter der Büste, deren Bild er seiner Autobiographie
voranstellte, nicht ein Seelenverwandter steckte. Fritz Kormis, 1894
geboren1, stammte aus einfachen Verhältnissen, arbeitete sich aus dem
1 Diese ist unter mehreren sich widersprechenden Geburtsangaben die plausibelste; sie wird durch das
Stammblatt zu Kormis im Jüdischen Museum in Frankfurt bestätigt und durch einige Dokumente im
Nachlass (s.u.).
2
Kunsthandwerk kommend zum Bildhauer empor und muss um die
Dreißig gewesen sein, als ihn Oppenheimer für die Büste engagierte.
Damals war er kein Star und wurde das auch später nicht. Kormis blieb
ein sich wacker nährender Arbeiter in seinem Beruf als freier Künstler
und trug die Schicksale, die ihm das 20. Jahrhundert auferlegen sollte,
demütiger vielleicht als Oppenheimer. Was ich über ihn zu sagen habe,
beruht hauptsächlich auf seinem persönlichen Archiv, das sich in der
Wiener Library for the Study of the Holocaust and Genocide am Russell
Square in London befindet.2
Als ich vor gerade
vierzig Jahren meine
Tätigkeit in Frankfurt
aufnahm, war
Oppenheimer
älteren Kollegen wie
Häuser oder Moxter
gegenwärtig. Zehn
Jahre früher hatte er
mit dem heute auch
noch berühmten Historiker Kantorowicz im Mittelpunkt der Feiern zum
fünfzigjährigen Jubiläum der Universität gestanden. Rüegg, der spätere
letzte Rektor der Universität, war damals Dekan, und Erich Preiser,
Schüler Oppenheimers, mit Erich Schneider und Erich Gutenberg einer
der drei bekanntesten Wirtschaftswissenschaftler der Zeit, hielt die
2 Das ergiebigste Dokument ist ein von Jessica Wilks 1980 durchgeführtes Interview aus einer Reihe „Artists
in an Age of Conflict“, dessen freilich mit vielen Hörfehlern behaftete Niederschrift im Archiv liegt. Ferner
wurden Ausstellungsprospekte, Briefe, Abbildungen und Zeitungsausschnitte benutzt, die sich ebenfalls im
Archiv befinden.
3
Festansprache. Preiser lobte
Oppenheimers Methodik, die
strenge Zucht seiner Seminare
und evozierte die Vielfalt seiner
Schüler, die der Vielfalt seiner
Interessen entsprach. „Wir
verstehen jetzt, warum
Oppenheimer seiner
nationalökonomischen Theorie die
Staatstheorie vorausschickt.
Entstanden aus Eroberung,
gegründet auf Gewalt, ist der
Staat das politische Mittel, das es
dem Sieger erlaubt, den Besiegten auszubeuten. Land- und
Seenomaden sind die Staatengründer, und ihre erste und wichtigste
Maßnahme ist immer die Aneignung des bebauten Bodens und die
Sperrung auch der freien Flächen. Die Bodensperre wird damit zum
wichtigsten Faktum der Sozialgeschichte.“3 Es kann dann zu einer
Verständigung zwischen den Schichten kommen, aber für Oppenheimer
war trotz der bürgerlichen Revolution die Bodensperre in den großen
Staaten Westeuropas noch gegeben, und sie verhinderte, dass sich der
tüchtige freie Arbeiter wie im offeneren Amerika und in kleineren Staaten
Europas zum selbständigen Mittelbauern aufschwingen konnte. Dem
Landarbeiter blieb daher nur die Wahl zwischen der Abhängigkeit vom
Großgrundbesitz und der vom industriellen Unternehmer. Gäbe es die
Bodensperre nicht, kehrte der industrielle Arbeiter im Krisenfall zurück
3 Erich Preiser, in Franz Oppenheimer zum Gedächtnis, Frankfurter Universitätsreden, Heft 35, Frankfurt:
Klostermann 1964, S. 19.
4
aufs Land, und so könnte jeder Tüchtige im Zweifel für sich selber
sorgen. So wurde es Oppenheimers Ziel, erst in Deutschland durch die
innere Kolonisation, dann in Israel für die Einwanderer nach Palästina
Siedlungsgenossenschaften zu gründen, die es den Arbeitern erlauben
sollten, sich ihren Unterhalt selbst zu schaffen. An dieser auf Tausenden
von Seiten mit den geschichtlichen Bedingungen, den politischen
Formen, der Begründung durch die klassische Nationalökonomie, der
Kritik an Marx und der
Auseinandersetzung mit der liberalen
Tradition gestützten Theorie hielt
Oppenheimer eisern fest. Wenn wir
uns fragen, wie daraus Soziale
Marktwirtschaft durch den Schüler
Erhard entstehen konnte, können wir
aus Erhards Ansprache als
Bundeskanzler bei der Gedenkfeier
der Freien Universität Berlin, ebenfalls
zum 100. Geburtstag von Franz
Oppenheimer zitieren. Danach habe
seine Einstellung zur „Macht“ „ihre
Wurzel in der geistigen Haltung von
Renata Lenart, die Tochter Oppenheimers, mit Brief des Rektors der Freien Universität Berlin, 1964.
Franz Oppenheimer“. Er meinte nicht nur die Wirtschaftliche, sondern
auch die Politische. Die Wirtschaftliche sei zu bändigen durch die
Konkurrenz – das war die Hauptsache –, und er wünschte wie
Oppenheimer ein Europa der „Freien und der Gleichen“.4
4 Ludwig Erhard, in Franz Oppenheimer: Erlebtes, Erstrebtes, Erreichtes, Lebenserinnerungen. Geleitwort
von Ludwig Erhard. Ergänzt durch Berichte und Aufsätze, hrsg. v. L.Y. Oppenheimer. Düsseldorf: Melzer
1964, S. 5f.
5
Zum 50. Todestag Oppenheimers5 im
Jahr 1993 wurde wiederum eine
Tagung, diesmal im Gästehaus unserer
Universität, veranstaltet, an der in den
Gesprächen auch seine nur selten
gewürdigte Begabung auf literarischem
Gebiet und seine Interessen an den
naturwissenschaftlichen Entdeckungen
der Zeit – erinnert sei nur an seine
Freundschaft mit Einstein – zur Sprache kamen. Er hat Gedichte
geschrieben, ein Theaterstück, das in Berlin auch zur Aufführung
gelangte, seine Schwester heiratete seinen Freund, den Dichter Richard
Dehmel, und auch mit anderen Größen der uns eher fernen Epoche des
Naturalismus war er
verbunden, so
besonders mit Detlev
von Liliencron. Max
Sering, der berühmteste
Agrarökonom seiner Zeit
(er war es, der die
Landarbeiterenquête
anregte, mit der Max
Weber Karriere machen
Oppenheimers Autobiographie, 1.Auflage
5 Zugleich zum 100. Geburtstag des damals noch lebenden Adolph Lowe, seines Schülers. Vgl. Franz
Oppenheimer und Adolph Lowe. Zwei Wirtschaftswissenschaftler der Frankfurter Universität, hrsg. v. Volker
Caspari und Bertram Schefold. Marburg: Metropolis 1996.
6
sollte), Kollege von Schmoller und Wagner an der Berliner Universität,
hatte Oppenheimer geholfen, für sein erstes Buch über die
“Siedlungsgenossenschaft“ einen Verleger zu finden: er knurrte aber
erstaunt, Oppenheimer sei doch mehr ein „Schriftsteller als ein
Gelehrter“6, als Oppenheimer an die Universität strebte – Schmoller
allerdings, selbst künstlerisch begabt – er malte Aquarelle – , bewies für
vielfältige Talente mehr Verständnis und trieb mit Wagner die Habilitation
voran. In Berlin freilich blieb Oppenheimer ein schillernder und viel
umjubelter Privatdozent. Erst in Frankfurt wurde er ein in jedem Sinn
„ordentlicher“ Professor. (Das Exemplar seines Buchs, das Oppenheimer
Sering widmete, werden Sie nachher in der Vitrine sehen; wir konnten es
für unsere kleine Ausstellung erwerben.)
Fred Kormis vor seinem Londoner Studio, aufgenommen im
Sommer 1976 von Frank Lenart, Enkel Franz Oppenheimers.
6 Franz Oppenheimer: Erlebtes, Erstrebtes, Erreichtes, Lebenserinnerungen. Berlin: Welt-Verlag 1931, S.
204.
7
Kormis 1934, abgebildet mit einem Doppelportrait
Und nun zum anderen Anfang. Fritz Kormis, der sich in der Emigration
Fred nennen sollte, entstammte einer jüdischen Familie aus Böhmen,
wuchs in Frankfurt in kleinbürgerlichen Verhältnissen auf und kam zur
Bildhauerei. Bis zum Jugendstil liebte man es gerade in Frankfurt, die
Häuser mit steinernen Figuren, mit allerhand Putten, Karyatiden, mit
Blumenfriesen u. ä. zu schmücken, und Kormis lernte das dazu nötige
Handwerk, ferner das Gießen und Schnitzen in Jahren, in denen in
Deutschland das Kunsthandwerk hochgehalten wurde, auch unter dem
Einfluss der Engländer wie Ruskin und William Morris. Ein Stipendium
ermöglichte eine Zusatzausbildung in der Kunstschule, Figurenzeichnen
kam hinzu, aber keine weiblichen Akte – das verbot die Sitte, und von
den Anfängen moderner Kunst nahm er noch wenig wahr; er erinnerte
sich im Alter, dass er in der Jugend die Anfänge des Kubismus
abgelehnt hatte, aber vom Impressionismus angezogen worden war. Mit
Kriegsausbruch wurde er zur österreichischen Armee aufgeboten. Die
Russen nahmen ihn (er war zum Offizier befördert worden) 1915
gefangen und brachten ihn in einer Monate dauernden Reise auf
Flussschiffen und der Eisenbahn nach Sibirien in ein Lager nördlich von
8
Wladiwostock. Fünf Jahre musste Kormis es dort aushalten, unter
Bedingungen, die sich nach der Oktoberrevolution und zuletzt unter den
Japanern immer schwieriger gestalteten, bis die lebensgefährliche Flucht
und der Heimweg zu Schiff gelangen. Um seine Kunst nicht ganz zu
verlieren, hatte er aus dem Lehm über dem Permafrost Figürchen
geknetet und für verstorbene Kameraden mit dem Militärmesser aus
Sandstein Grabmäler errichtet. Dem Erlebnis des Wechsels von
Verzweiflung und Hoffnung in der Gefangenschaft ist sein spätes
bildhauerisches Hauptwerk gewidmet, das ich noch zeigen werde.
Wieder in Frankfurt gelang es Kormis, unter den freilich ärmlichen
Bedingungen der Inflationszeit, dann bald der Wirtschaftskrise, als
Künstler Fuß zu fassen. Er schuf
eine Statue für das heute
zerstörte Tannenberg-Denkmal.
Er bewunderte Lehmbruck,
Barlach, selbstverständlich
Rodin, der noch lebte. Kormis
konnte ausstellen und blieb
dabei einem deutschen
figürlichen Stil treu, so dass die
Nationalsozialisten seine Kunst
erst begrüßten, aber ihn dann
verärgert von sich stießen und
mit Berufsverbot belegten, als
sie von seiner jüdischen Kormis: Kriegsgefangener im
Herkunft erfuhren. Tannenbergdenkmal
9
Anders als Oppenheimer
fackelte er nicht lang,
sondern wanderte 1933
in die Niederlande aus,
wo ihm immerhin zwei
Ausstellungen gelangen,
aber er sich wegen der
Nähe zu Deutschland
nicht sicher fühlte.
Kormis: Ausstellung Amsterdam 1938
Er zog 1934 weiter nach London, weil er dort schon über Verbindungen
verfügte, auch dank seiner Frau. Es waren wieder entbehrungsreiche
Jahre. Er schlug sich durch, indem er Kurse in Bildhauerei an
Abendschulen abhielt, für
eine Töpferei Modelle
entwarf und von
berühmten
Persönlichkeiten Medaillons
verfertigte, so von allen
Mitgliedern des
Kriegskabinetts,
einschließlich Winston
Churchills.
Kormis: Churchill-Medaillon, 1941
10
Eine Reihe Medaillons verdankte er einem anonym gebliebenen Gönner,
der diese Arbeiten bezahlte, aber nicht wünschte, dass er als Mäzen der
Kunst und damit als reicher Mann bekannt würde. Die im Archiv
erhaltenen Briefe tragen die Unterschriften einiger der berühmtesten
Staatsmänner der Zeit, und die nach dem Krieg fortgesetzte Tätigkeit
erstreckte sich schließlich auch auf israelische Politiker.
Kormis: Begin-Medaillon, ca. 1978
Dankesbrief Begins
11
Kormis: Die Klageharfe in Kiryat-Gat
(Entstehung)
Kormis: Die Klageharfe in Kiryat-Gat (Aufstellung)
Mit Israel fühlte er sich verbunden. Die Aufträge, die er zu öffentlichen
Denkmälern in den Nachkriegsjahren erhielt, führten ihn nach England,
Schottland und Wales. Der Gewerkschaftskongress bestellte bei ihm, und
eine Stadt in Israel, Kiryat Gat, stellte eine von ihm entworfene monumentale
Davidsharfe auf, nicht eine Figur, sondern ein Symbol der Klagegesänge, zur
Erinnerung an den Holocaust7.
7 Die Harfe als Symbol, die zahlreichen Medaillons mag man mit Kormisʼ Herkunft in Verbindung bringen. In
dem umfassenden Werk Juden im deutschen Kulturbereich (hrsg. v. Siegmund Kaznelson, Berlin: Jüdischer
Verlag, 3. Ausgabe 1962) heißt es im Beitrag von Max Osborn über „Bildende Künste“ (S.97): „In der Plastik
fällt die jüdische Mitarbeit erheblich weniger ins Gewicht... Kein Zweifel, dass das strenge religiöse Gesetz,
den einzigen, unsichtbaren Gott unter keinen Umständen im Abbild darzustellen, den künstlerischen Trieb in
dieser Richtung gehemmt hat.“ So hätten sich die palästinensischen Juden des Altertums nicht an Plastik
herangewagt, aber in Italien sehe man seit dem Mittelalter und der Renaissance vereinzelt jüdische
Bildhauer am Werk. In Deutschland sei es „zuerst die besondere Kunstübung der Münzen und Medaillen,
bei der man Juden beteiligt findet“, und diese Tradition sieht Osborn bis ins 19. Jh. fortgesetzt. Er erwähnt
dann in der Generation der im letzten Viertel des 19. Jh. Geborenen mehrere, die diese bildhauerische
Spezialisierung pflegten (S.101); Kormis allerdings erscheint im Buch nur in einem ergänzenden Nachtrag
(S.1063).
In der Neu-Isenburger
Stadtbücherei steht eine Büste
Berta Pappenheims, der Gründerin
des jüdischen Frauenbundes.
12
Der Frankfurter Historiker Rebentisch vor der
Pappenheimer-Büste von Kormis
Die Gefangenen: heutige Aufstellung 1
Die Erinnerung an die Gefangenschaft verließ Kormis während des
ganzen Lebens nicht. Im Zweiten Weltkrieg entwarf er ein Denkmal für
die Gefangenen beider Kriege, dessen Entwurf mit anderen frühen
Arbeiten durch eine Fliegerbombe zerstört wurde, wie übrigens auch das
Das Gefangenen-Denkmal: Nachkriegsentwurf
13
Meiste, was er in Deutschland
zurückgelassen hatte, im Krieg
zugrunde ging. Er begann von
vorn, und fünf Figuren, die die
Phasen von Hoffnung,
Verzweiflung, neuem
Hoffnungsschimmer eines
Gefangenen evozieren, wurden
1970 im Gladstone Park im
Norden Londons aufgestellt;
die Vernissage war mit einem
Gottesdienst verbunden.
Kormis, 1986 verstorben, mit einem Nachruf in der Times geehrt, hat es
nicht mehr erlebt, dass in nächtlichem Vandalismus den Figuren die
Köpfe abgeschlagen wurden. Man hat sie mit den Mitteln privater Stifter
unter Zuhilfenahme der Maquetten aus dem Atelier restauriert und in
einem besonderen, durch Mauern und Gitter geschützten Garten
innerhalb des Parks wieder ausgestellt. Es mag sein, dass gelegentlich
ein Spaziergänger in dieser heiteren Umgebung vor den Figuren stehen
bleibt und betroffen ihre Bedeutung erwägt.
14
Gefangenen-Denkmal: Vandalismus
Gefangenen-Denkmal: Restauration
15
Gefangenen-Denkmal: heutige Aufstellung
Soviel also kann ich Ihnen über Fritz Kormis berichten, über einen Mann,
dessen Leben jedenfalls insofern Oppenheimers Idealen entsprach, als er
auch unter schwierigsten Bedingung gestalterische Arbeit hochhielt,
lieber selbst gab, als von anderen etwas zu erbetteln und sich so Freiheit
und Unabhängigkeit bewahrte. Er rechnete sich wohl eher zur Linken,
aber er verkörperte nicht jenen Sozialismus, der durch Transfers Elend
vertreiben will und dabei den Menschen tatenlos macht, sondern jenen
eigentlich bürgerlichen Drang zur Selbständigkeit, der das eigene Talent
– und aus Seelengröße auch das der andern – so weit entwickelt, wie es
jeder und jedem gegeben ist.