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Ganz legal oder ganz egal? jetzt aktuell · 2017-10-18 · Alle Unternehmen reden von der Verantwortung, in der sie sich für die ... Es lohnt sich ein Blick auf die Liste der Kommanditisten:

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Page 1: Ganz legal oder ganz egal? jetzt aktuell · 2017-10-18 · Alle Unternehmen reden von der Verantwortung, in der sie sich für die ... Es lohnt sich ein Blick auf die Liste der Kommanditisten:

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Schwierige Zeiten!

Die Windbranche hat viele schwierige Zeiten erlebt. Wir sind heft igen Gegen-wind aus der fossilen Energiebranche oder der Politi k gewohnt. Wir haben uns gegen behindernde gesetzliche Normen und falsch verstandenen Natur-schutz gewehrt. Diese Herausforderun-gen hat die Branche stets gemeistert – trotz des Wett bewerbs untereinander. Gemeinsam haben wir uns die positi ve Entwicklung der letzten Jahre erarbei-tet und damit die Grundlage für eine erneuerbare Energiezukunft gelegt.

Ich kann mich nicht erinnern, die Windbranche jemals in einer so deso-laten Situati on erlebt zu haben, wie im Anschluss an die zweite Ausschrei-bungsrunde nach dem EEG 2017.

Schuld sind diesmal nicht die bekannten Gegner der erneuerbaren Energien. Schuld ist das verhängnisvolle Zusam-menwirken von schlecht gemachten Gesetzen und verantwortungslosen Unternehmen, die jedes Gespür für die Folgen Ihres Handelns, jeden ethischen Anspruch vermissen lassen. Es sind etablierte und erfahrene Branchen-mitglieder, die den Ausbaukorridor für mindestens ein Jahr verschlossen haben.

Anstand ist gefragt

Eine Branche die für sich in Anspruch nimmt, ethisch moti viert zu sein, die angeblich die zukünft igen Generati onen im Blick hat, sollte mit einem ande-ren Anspruch an sich selbst handeln.

Schauen Sie sich die Homepages an: Alle Unternehmen reden von der Verantwortung, in der sie sich für die Gesellschaft sehen!

Möglicherweise genügen die aus der Hüft e geschossenen Bürgerenergiege-sellschaft en den Anforderungen des Gesetzes – zumindest auf den ersten Blick. Meines Erachtens wird diese Ein-schätzung einer gründlichen Überprü-fung nicht standhalten.

Woran erkennt man Schein-Bürgerenergiegesellschaft en?

Tatsächlich bedarf es keiner großen Sachkenntnis, um eine Schein-Bürge-renergiegesellschaft zu identi fi zieren. Es gibt zahlreiche Indizien:

▪ Erfüllt eine Gesellschaft exakt die formalen Mindestanforderungen

Schein-Bürgerenergiegesellschaft enGanz legal oder ganz egal?Vortrag von Heribert Sterr-Kölln auf der Husum Wind 2017Abschrift des Redemanuskripts – Es gilt das gesprochene Wort.

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Heribert Sterr- Kölln Wirtschaft sprüfer, Steuerberater, Un-ternehmensberater

Der Autor:

Was ist der Unterschied zwischen einem Autohersteller, der vorge-schriebene Abgaswerte nur durch Soft ware-Manipulati on einhält, und Scheinbürgerenergiegesellschaft en?

Was ist der Unterschied zwischen Cum-Ex-Steuerdeals, die selbst große Anwaltskanzleien und an-gesehene Banken zu zweifelhaft en Geschäft en nutzen, und den Schein-bürgerenergiegesellschaft en?

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von zehn natürlichen Personen mit einem Kommanditkapital von je 100 €? Schein-Konstrukte bemühen sich oft nicht einmal, den Eindruck einer „regional gewachsenen“ Gesellschaft zu erwecken. Sie haben keine Person weniger und keinen Euro mehr als unbedingt notwendig.

▪ Es lohnt sich ein Blick auf die Liste der Kommanditisten: Weiß die 92-jährige Dame, was ihr Name auf der Liste bedeutet?

▪ Gründungs-Hektik: Die Gesellschaft wurde in den Wochen vor der Aus-schreibung kurzfristig aus der Taufe gehoben.

▪ Die Gesellschaften haben alle die gleiche Komplementärin. Diese ge-hört zu einem Projektentwicklungs-unternehmen.

▪ Hat die Gesellschaft eine Projekt-aussicht? Schein-Konstrukten fehlt zuweilen ein realistisches Projekt. Und nicht nur das: Sie haben kein Kapital und keine eigene Führung.

▪ Oft wurde das sog. Projekt bis zur Gesellschaftsgründung von einem Projektentwicklungsunternehmen vorangetrieben, in vielen Fällen sind die Pachtverträge auf dieses Unter-nehmen ausgestellt.

▪ Das Projekt kommt über einen Projekt-entwicklungs- oder Dienstleistungsver-trag zu dieser Gesellschaft, möglicher-weise auch über Kaufoptionsverträge. Auf die wirtschaftliche Bedeutung dieser Verträge kommen wir zurück.

▪ Die Gesellschaft könnte nur dann einen Windpark errichten, wenn sie ein ganzes Bündel von Verträgen mit

dem Projektentwicklungsunterneh-men abschließen würde, von dem die Gesellschaft abhängig ist.

Diese Aufzählung macht deutlich: Im Kern geht es um ein Umgehungsmodell.

Es wird im Einzelnen zu prüfen sein, ob nicht auch eine ganze Reihe von strafrechtlich relevanten Betrugstatbe-ständen vorliegt.

Ein konkreter Fall: Korbach-Flechtdorf

Die Umweltgerechte Bürgerenergie Diemelsee GmbH & Co. KG in Hessen erhielt in der zweiten Ausschreibung einen Zuschlag. Die Gründung dieser Gesellschaft erfolgte unmittelbar vor der Ausschreibung. Sie besteht aus exakt 10 Privatpersonen. Eine davon ist stolze 92 Jahre alt.

75 % der Flächen im Vorranggebiet hat ein seriöses lokales Projektentwicklungs-unternehmen mit Einverständnis mit den Kommunen gesichert. Die Pachten, die durch die Umweltgerechte Bürge-renergie Diemelsee GmbH & Co. KG geboten wurden, waren nach Information des lokalen Projektentwicklungsunter-nehmens sehr hoch. Direkt zwischen den bezuschlagten Standorten liegt das Wetterradar Flechtdorf. Aus wirtschaft-licher Sicht scheint eine Realisierung unmöglich.

| Rechtsanwälte | Wirtschaftsprüfer | Steuerberater | Unternehmensberater

www.Sterr-Koelln.com

Ein konkreter Fall: Windpark Korbach-Flechtdorf in Hessen

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Die hessischen Behörden stellen bekanntermaßen hohe Anforderun-gen an die für eine Genehmigung erforderlichen Unterlagen. Bis heute hat die Gesellschaft noch kein Geneh-migungsverfahren in Gang gesetzt. Dieser Standort wird voraussichtlich nie realisiert werden.

Schein-Konstrukte und die Voraussetzungen gem. § 36g EEG 2017

▪ Woher kommen plötzlich die vielen TR 6 Gutachten? Einer Prüfung wür-den wohl nicht alle standhalten.

▪ Es ist fraglich, ob die Zustimmung der Grundstückseigentümer in jedem Falle zutrifft.

▪ Bei unseren Due Diligence-Prüfungen stellen wir immer wieder fest, dass die Projekte zwar genehmigt und fi-nanziert, die Grundstücke aber nicht rechtsverbindlich gesichert sind. Das betrifft z.B. Erbengemeinschaften. Häufig sind die Verträge nicht von allen berechtigten Personen unter-schrieben.

▪ Es bestehen komplexe Vertrags-beziehungen zu einem Projekt-entwicklungsunternehmen: In der Gesamtschau werden diese wohl die Wirkung von Gewinnabführungsab-reden im Sinne des § 36g Abs. 6 EEG 2017 entfalten. Wenn eine Gesell-schaft nur 1000 € Kapital aufweist, kann das wirtschaftlich kaum anders ausgestaltet sein. Es sei denn, die Kommanditisten dürfen eine Rendite von mehreren tausend Prozent ma-chen. Das ist wohl kaum das Ziel des Projektentwicklungsunternehmens!

▪ Schließlich stellt sich die Frage: Wie kann eine Gesellschaft ohne Eigen-kapital die Erstsicherheit in Höhe von 15 €/kw und die notwendigen Eigenmittel zur Realisierung des Projektes bereitstellen?

Verstoß gegen KWG und andere Rechtsnormen?

Bei genauer Betrachtung werden sich möglicherweise einige Rechtsverstöße bei der Gründung der Schein-Gesell-schaften zeigen. Gier und Hektik sind i.d.R. keine guten Voraussetzungen für fehlerfreies Handeln.

Zwei Aspekte sind aber auf jeden Fall zu prüfen: 1. Da die Schein-Gesellschaft nicht

über das Eigenkapital zur Stellung der Erstsicherheiten verfügt, muss sie Finanzierungs- oder Absiche-rungsverträge mit dem Projektent-wicklungsunternehmen abgeschlossen haben. Bei der Vielzahl der notwen-digen Verträge liegen wohl erlaubnis-pflichtige Bankgeschäfte vor.

2. Möglicherweise liegen wettbe-werbswidrige Absprachen vor.

Folgen für Schein-Bürger-energiegesellschaften und ihre Initiatoren

Schein-Bürgerenergiegesellschaften untergraben nicht nur das Vertrauen in eine Branche. Sie untergraben das Vertrauen in eine nachhaltige Zukunfts-idee. Die Initiatoren dieser haben somit selbst ihre Glaubwürdigkeit verspielt.

Darüber hinaus halte ich folgende Kon-sequenzen für denkbar: 1. Rücknahme des Zuschlags2. strafrechtliche Verfolgung

wegen möglichen Betrugs 3. Ausschluss von weiteren

Ausschreibungen 4. Folgen aus einem Verstoß

gegen KWG etc.

Folgen für die Windbranche

Die Einspeisevergütung ist drama-tisch eingebrochen! Ein Ergebnis, das sich die Bundesregierung kaum mehr nehmen lassen wird. Nur das BMWI hat einen scheinbaren Grund, über die komplett gescheiterte zweite Aus-schreibung zu jubeln.

Die Folgen der Schein-Bürgerener-giegesellschaften zeigen sich in den Sektoren der Branche unterschiedlich. Für alle aber sind sie gravierend.

Die Hersteller von WEAs arbeiten kurz. Sie haben Einstellungsstopps verfügt und/oder kündigen Entlassungen an! Die WEA-Preise sind ebenfalls deutlich gesunken. Es bleibt abzuwarten, ob es den Herstellern gelingt, die Kostenreduk-tion mit neuen WEA-Typen kurzfristig mit den notwendigen Deckungsbeiträgen

zu realisieren. Langfristig wird das wohl gelingen.

Die Projektentwicklungsunternehmen prüfen, ob sie nun auch mit Schein-Bürgerenergiegesellschaften antreten sollen und sind fleißig in der Vorberei-tung. Manche stehen vor dem Aus!

Der BWE ist fassungs- und sprachlos.

Das Jahr 2018 ist wohl zum großen Teil verloren. Die Branche hat ihre Un-schuld verloren!

Was ist zu tun?

Wir müssen der zerstörerischen Wirkung der Schein-Bürgerenergiegesellschaf-ten ein Ende machen. Dazu sind alle Akteure gefragt.

Sofortmaßnahmen durch den Gesetzgeber ▪ Die Teilnahme an Ausschreibungen

sollte nur noch mit einer BIMSCH-Genehmigung erfolgen – auch nach den ersten beiden Ausschreibungs-runden in 2018!

▪ Neu-Definition der „Bürgerener-giegesellschaft“: Z.B. durch die Festlegung, dass zur Gründung mindestens 50 GesellschafterInnen aus dem Landkreis notwendig sind. Nach 10 Jahren könnte die Zahl auf 30 sinken.

▪ Festlegung einer Mindestkapitalaus-stattung der Gesellschaft mit echtem Eigenkapital

▪ Die Übertragbarkeit des Zuschlages innerhalb eines Landkreises muss entfallen, auch für Gesellschaften, die bereits in 2017 einen Zuschlag erhalten haben

▪ Ausfallende Volumina müssen „nachgeholt“ werden

▪ Für 2018 sollte noch einmal ein Höchstgebot von z.B. 7 € cent/kWh minus einem Abschlag von z.B. 10 % gelten. Als Alternative: eine De-Mini-mis-Regelung wie in Frankreich.

Erweiterte Anforderungen der Bundesnetzagentur an die Voraussetzungen für ein Projekt ▪ Prüfung der vorgelegten Gutachten

durch zertifizierte Gutachter: Entspre-chen sie den Vorgaben nach TR 6?

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| RECHTSANWÄLTE | WIRTSCHAFTSPRÜFER | STEUERBERATER | UNTERNEHMENSBERATER

▪ Überprüfung anhand eines aktuellen Grundbuchauszugs: Liegen wirklich alle notwendigen Zustimmungen der Grundstückseigentümer rechtswirk-sam vor?

Erweiterte Kontrollfunktionen der Bundesnetzagentur im Projekt ▪ Kontrolle der kommunalen An-

bindung: Wurde der zuständigen Gemeinde tatsächlich eine 10 %-ige Beteiligung angeboten? Zu welchen Bedingungen? Der Gesellschafts-vertrag muss je nach Landesrecht kommunalrechtlich zulässig ausge-staltet sein!!

▪ Vorlage des Gesellschaftsvertrages: Existiert ein solcher Vertrag? Falls nicht, gilt das HGB. Es ist sicherzu-stellen, dass die Komplementärin kein Stimmrecht hat.

▪ Vorlage aller Projektverträge vor der Ausschreibung: Liegen Umgehungs-tatbestände vor?

▪ Vorlage einer eidesstattliche Versi-cherung: Ja, es handelt sich um eine „echte“ Bürgerenergiegesellschaft!

Was wir vom BWE erwarten müssen ▪ Glaubwürdige und klare Stellung-

nahme gegen branchenschädliches Verhalten

▪ Nachdrückliche Forderungen an Gesetzgeber

▪ Nachdrückliche Forderungen an Bundesnetzagentur

▪ Vorlage eines Verhaltenskodexes für Branchenmitglieder

▪ Ausschluss von Mitgliedern

Das sollten wir von allen Branchenmit-gliedern verlangen ▪ Der Versuchung nicht erliegen! ▪ Tragfähige Zukunftslösungen erar-

beiten ▪ Den BWE bei Forderungen an Ge-

setzgeber und Bundesnetzagentur unterstützen

▪ Aktiv die Aufdeckung von Umge-hungstatbeständen vorantreiben

▪ Politisch aktiv werden: z.B. Bundes-tagsabgeordnete einladen, informie-ren, Lösungen einfordern

▪ Bei der Wahl und danach: Lesen Sie Energie-Passagen in den Parteipro-grammen und handeln Sie entspre-chend

Wer Braunkohlekraftwerke stilllegen will, sollte keine Schein-Bürgerenergiegesell-schaft gründen!

IN FRANKREICH

STRASBOURG12 Rue Finkmatt67000 StrasbourgTel. +33 1 53534670

PARIS8 Rue de Hanovre75002 ParisTél. +33 1 53534670

IN DEUTSCHLAND

FREIBURGEmmy-Noether-Str. 279110 FreiburgTel. +49 761 490540

BERLINAn der Kieler Brücke 2510115 BerlinTel. +49 30 28876180

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