2
mit dem rücken zur wand VON BÜLENT KACAN Tatsächlich ist es äußerst schwer, in Zeiten wie dieser Halt und Orientierung zu finden. Geht man nachts dennoch auf die Straße, weil das Bedürfnis nach Zigaretten einen förmlich aus der Wohnung treibt, so darf man sich nicht wundern, wenn man auf drei ungewöhnliche Gestalten trifft, die ausgerechnet an jener Mauer lehnen, vor der auch der Zigarettenautomat steht, der, weithin sichtbar wie ein aufgetürmter Totempfahl, exemplarisch für eine nach endloser Befriedigung strebende und sehnende Gesellschaft in die Höhe ragt, auf Raucheraugenhöhe wohl gesagt. Nicht, weil man Interesse an der ungewöhnlichen Haltung der drei Gestalten hätte — es ist kurz vor Mitternacht und kein normaler Mensch hockt bei dieser Witterung grundlos an einer Mauer — son- dern um die eigene Furcht vor den drei fremden Figuren ein wenig zu drosseln, fragt man flüchtig, gerade so, wie man sich im raschen Vorbeigehen nach dem Wohlergehen von Bekannten erkundigt, nach dem Grund ihrer Wache in dieser eisigkalten Nacht. »Wachen?«, antwortet der Erste. »Sie irren sich! Ich stehe hier, weil die Inflation all meine Ersparnisse aufgefressen hat. Erst habe ich mein Haus verlo- ren, anschließend verließ mich meine Frau und nachdem ich Frau und Haus verloren hatte, kündigte mir zusätzlich mein Chef, gleich nachdem ich mich, trotz fünfzehnjähriger Dienstzeit, einen Monat lang von meinem Arzt habe krank schreiben lassen. Seither sitze ich, wie Sie sehen können, auf der Straße. Die Straße, dass müssen Sie wissen, ist die letzte Zufluchtsstätte für all jene, die gegenwärtig, womöglich weil sie vorsichtig sind, vielleicht aber auch deshalb, weil sie ungeheures Glück haben, sicher und bequem hinter ihren fein säuberlich herausgeputzten Häuserfassaden schlafen. Wenigstens hier muss ich nicht befürchten, dass man mir in den Rücken fallen wird, die Mauer lässt mich mit Sicherheit nicht in Stich!« Wie gut, denkt man sich, dass man selbst ausreichend vorgesorgt hat, dass Geld unter dem Kopfkissen daheim wird einen sicher über die Runden bringen. »Die Politik«, ruft die zweite Gestalt energisch dazwischen, »hat ein für alle Mal ihre Glaubwürdigkeit verloren! Wer dennoch wählen geht, ist selber schuld, man kann die eigene Verelendung auch eigenhändig wählen! Ich selbst war jahrelang Finanzminister in Kolumbien, ich kann Ihnen also aus erster Hand verraten, mit welchen Tricks und Täuschungen in Bogota die Bevölkerung an der Nase herumgeführt wird. Werfen Sie den Leuten ruhig ein Zucker- stück vor die Füße und versprechen Sie im nächsten Augenblick, dass tausende Stückchen folgen werden und das Volk wird Ihnen zu Füßen liegen. Das Volk hat Hunger und will von Ihnen hören, dass Sie es sind, der es auf Dauer sättigen wird. Hungert das Volk aber nicht, weil es gesättigt, ja übersättigt ist, so will es von Ihnen hören,

kacan

Embed Size (px)

DESCRIPTION

bülent kacan

Citation preview

mit dem rücken zur wandVON BÜLENT KACAN

Tatsächlich ist es äußerst schwer, in Zeiten wie

dieser Halt und Orientierung zu finden. Geht man

nachts dennoch auf die Straße, weil das Bedürfnis

nach Zigaretten einen förmlich aus der Wohnung

treibt, so darf man sich nicht wundern, wenn

man auf drei ungewöhnliche Gestalten trifft, die

ausgerechnet an jener Mauer lehnen, vor der auch

der Zigarettenautomat steht, der, weithin sichtbar

wie ein aufgetürmter Totempfahl, exemplarisch

für eine nach endloser Befriedigung strebende

und sehnende Gesellschaft in die Höhe ragt, auf

Raucheraugenhöhe wohl gesagt.

Nicht, weil man Interesse an der ungewöhnlichen

Haltung der drei Gestalten hätte — es ist kurz vor

Mitternacht und kein normaler Mensch hockt bei

dieser Witterung grundlos an einer Mauer — son-

dern um die eigene Furcht vor den drei fremden

Figuren ein wenig zu drosseln, fragt man flüchtig,

gerade so, wie man sich im raschen Vorbeigehen

nach dem Wohlergehen von Bekannten erkundigt,

nach dem Grund ihrer Wache in dieser eisigkalten

Nacht.

»Wachen?«, antwortet der Erste. »Sie irren sich! Ich

stehe hier, weil die Inflation all meine Ersparnisse

aufgefressen hat. Erst habe ich mein Haus verlo-

ren, anschließend verließ mich meine Frau und nachdem ich Frau

und Haus verloren hatte, kündigte mir zusätzlich mein Chef, gleich

nachdem ich mich, trotz fünfzehnjähriger Dienstzeit, einen Monat

lang von meinem Arzt habe krank schreiben lassen. Seither sitze ich,

wie Sie sehen können, auf der Straße. Die Straße, dass müssen Sie

wissen, ist die letzte Zufluchtsstätte für all jene, die gegenwärtig,

womöglich weil sie vorsichtig sind, vielleicht aber auch deshalb, weil

sie ungeheures Glück haben, sicher und bequem hinter ihren fein

säuberlich herausgeputzten Häuserfassaden schlafen. Wenigstens

hier muss ich nicht befürchten, dass man mir in den Rücken fallen

wird, die Mauer lässt mich mit Sicherheit nicht in Stich!« Wie gut,

denkt man sich, dass man selbst ausreichend vorgesorgt hat, dass

Geld unter dem Kopfkissen daheim wird einen sicher über die

Runden bringen.

»Die Politik«, ruft die zweite Gestalt energisch dazwischen, »hat ein

für alle Mal ihre Glaubwürdigkeit verloren! Wer dennoch wählen

geht, ist selber schuld, man kann die eigene Verelendung auch

eigenhändig wählen! Ich selbst war jahrelang Finanzminister in

Kolumbien, ich kann Ihnen also aus erster Hand verraten, mit

welchen Tricks und Täuschungen in Bogota die Bevölkerung an der

Nase herumgeführt wird. Werfen Sie den Leuten ruhig ein Zucker-

stück vor die Füße und versprechen Sie im nächsten Augenblick,

dass tausende Stückchen folgen werden und das Volk wird Ihnen zu

Füßen liegen. Das Volk hat Hunger und will von Ihnen hören, dass

Sie es sind, der es auf Dauer sättigen wird. Hungert das Volk aber

nicht, weil es gesättigt, ja übersättigt ist, so will es von Ihnen hören,

dass Sie dafür sorgen werden, dass es auch sicher

und dauerhaft gesättigt bleibt. Sie müssen also

nur Erfolg versprechend versprechen können, ob

Sie Ihre Versprechungen im Nachhinein halten,

spielt gar keine Rolle. Haben Sie erst einmal Ihr

Amt inne, so erübrigt sich Ihr Versprechen für

die Länge Ihrer Amtszeit. Sobald Sie also einmal

Ihr Amt ausüben, verfügen Sie über ausreichend

Zeit, sich Gedanken für weitere Versprechungen

zu machen, die Sie in den kommenden Wahlperi-

oden Erfolg versprechend an den Mann bringen

können. Überhaupt, und dass sage ich Ihnen nicht,

weil Sie mir als Mensch sympathisch erscheinen,

sondern aus reinem Selbstverständnis heraus,

sollten Sie nur solchen Menschen vertrauen,

die Ihnen rein gar nichts versprechen. Ich selbst

harre hier aus, weil ich befürchten muss, dass

mich die Häscher des Diktators Juan Antonio de

Diabolos hinterrücks ermorden werden. Interne

Kritik am System wird mit internen Versetzungen

geahndet, öffentliche Kritiken hingegen bedeuten

unweigerlich den eigenen Tod! Ich stehe also mit

dem Rücken zur Wand, wie sie sehen.« Wie gut,

denkt man sich, dass man weit und breit keiner

Menschenseele vertraut. Glücklicherweise ist auch

Südamerika weit entfernt. Sollen sich doch andere

über die Politik dumm und dämlich ärgern. So-

lange ausreichend Bier im Kühlschrank steht und

man ohne weiteres seine Meinung am Stammtisch

äußernd darf, kann kommen was will.

»Gott ist tot!«, schreit nun die dritte Gestalt und

gestikuliert emphatisch mit ihren Händen. »Und

der alte Herr wird auch nicht mehr auferstehen!

Nietzsche hat das früh genug erkannt, geholfen

hat’s dem armen Kerl aber auch nicht. Gottlose

Welt, wer wird dir noch einen höheren Sinn

verleihen? Wo ist der Sinn des Lebens? Wer hat ihn

je gefunden? Liegt er denn im Geld verborgen? Ist

er etwa in der Macht enthalten? Ist der Sinn des

Lebens etwa auf dieser Welt zu Hause, existiert

gar ein Weg dorthin? Haben wir den Weg dorthin

verloren? Oh, weh, oh weh, oh wei, oh wei, wie

sinnlos ist doch diese Welt geworden! Der Mensch

lebt lang und immer länger und wird doch auf

ewig sterblich bleiben! Der Mensch ist ein Gott auf

zwei Beinen, der ständig Durst und Hunger hat

und unentwegt auf Toilette muss! Ein gieriger und

unersättlicher Gott ist der Mensch! Ein Vielfraß

unter den Göttern im Universum ist der Mensch!

Ein Götterfresser ist der Mensch, ein Menschen-

fresser ist der Mensch! Ich aber sage euch, ein

neuer Gott wird kommen und unbarmherzig über

die Menschheit wüten! Habt acht, Brüder, und seid

gewarnt, das Böse ist in euch und der Teufel lauert

hinter euch! Seid auf der Hut, Brüder, Satan will

mit euch Huckepack fahren!« Wie gut, denkt man

sich, dass man selbst noch alle Sinne beisammen hat. Kaum hat man

die Münzen in den Automatenschlitz geworfen, spuckt der stählerne

Totempfahl auch gleich seine heiß begehrten Giftsubstrate aus. Trotz

des Abscheus verabschiedet man sich höflich von den drei Gestalten

und sieht noch flüchtig im Vorübergehen, wie diese ängstlich an

ihren Fingernägeln kauen.

Der Weg nach Hause ist, obwohl man kein abergläubiger Mensch

ist, nach solchen Augenblicken alles andere als leicht, auf der Straße

könnte einem ja doch ein Unglück wiederfahren. Die erste Zigarette

schmeckt in solch ungewöhnlichen Momenten immer noch am bes-

ten. Man blickt hinauf zum Himmel und gesteht, so düster war die

Nacht noch nie. Die Sterne am Himmel, die eben noch geleuchtet

haben, sind verschwunden und auch der Mond ist vollends erlo-

schen, obwohl keine einzige Wolke den nächtlichen Himmel bevöl-

kert. Sicher, die Zigarettenglut wird einem in dieser Finsternis den

Weg nach Hause weisen, man zieht tief und lange daran, schließlich

könnte einem auf der Straße doch ein Missgeschick passieren. Man

mag sich kaum ausmalen, welch blutrünstige Bestie dort drüben an

der Straßenecke lauert. Womöglich wartet dort drüben, unter der La-

terne, ein brutaler Straßenräuber, der einem ein ellenlanges Messer

hinterrücks in den Rücken treiben wird. Wie gut, wie gut, denkt man

sich, dass wenigstens die Zigarettenglut einem den Weg nach Hause

bahnt, auch wenn man nun vorsichtshalber einen Umweg macht.

Und doch blickt man sich vorsichtshalber um, man kann nie wissen,

wer einem in dieser Dunkelheit nach Hause folgt.

Ist da wer? Hallo?

Niemand, der da antworten würde, und doch hört man fremde

Schritte näher kommen.

Ist da wer?? Hallo??

Schritte, kurze feste Schritte, die immer näher kommen. Man sucht

nach einer Häuserwand, nach einem kurzen flüchtigen Halt, nach

einer Rückendeckung, doch auch die Häuser, ja ganze Straßenzüge

sind mit einem Mal verschwunden. Auch die Glut erlischt, der Atem

stockt und die fremden Schritte kommen näher, immer näher.

AUSGABE 10 HEFT ZWEI 2011 JAHRGANG 04 UM[LAUT] JUNGE KUNST. POLITISCHE KUNST. MINDESTENS. 09

BÜLENT KACAN *1975 IN MINDEN (WESTFALEN), LEBT IN BIELEFELD. STUDIUM DER GER-

MANISTIK, GESCHICHTSWISSENSCHAFTEN UND PHILOSOPHIE AN DER UNIVERSITäT BIE-

LEFELD. DIVERSE VERÖFFENTLICHUNGEN, U.A. IN ETCETERA UND LITERAMUS.

> KACAN.EU