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Kirchliche Rechtsgeschichte und wissen- schaftliche Rechtsvergleichung. Von Bernhard P a n z r a m. I. Bald nach dem Erscheinen der ersten Auflage seines Abrisses der Geschichte und des Systems des Kirchenrechts^) trat U. S t u t z mit einer grundsätzlichen Erörterung über „Die Frage der Scheidung von Geschichte und Dogmatil? im Kirchenrecht" und über „Das Problem der Erhebung der kirchlichen Rechtsgeschichte zu einem eigenen Gegen- stand der Forschung und des Wissens" vor die Öffentlichkeit^). Er hat also die aufgeworfene Frage — nach seinen eigenen Worten — zuerst praktisch zu lösen versucht®) und dann diesen Lösungsversuch in einer Festveranstaltung der Bonner Universität grundsätzUch gewürdigt. Seitdem hat man sich zum mindesten in Deutschland ziemlich allgemein an den Gedanken gewöhnt, daß die Kanonistik „nach dem Vorgang von Ulrich Stutz" daran sei, die Trennung von kirchlicher Rechtsdogmatik und kirchlicher Rechtsgeschichte durchzuführen*). Nun darf man ein solches Wort nicht pressen und vielleicht sogar daraus schließen, daß Stutz der erste gewesen sei, der die kirchliche Rechts- geschichte von der Rechtsdogmatik getrennt hätte. Stutz selbst betont, daß „jeder nachfolgende Forscher'auf den Schultern von Vorgängern" stehe und daß die Entstehung einer selbständigen Kirchenrechtsgeschichte „durch die Wissenschaft des vorigen Jahrhunderts von langer Hand vorbereitet" worden sei, „besonders durch die deutsche"®). Im 17. Jahr- hundert war bereits die ausgezeichnete kirchliche Verfassungsgeschichte von L. T h o m a s s i n erschienen, die das Benefizialwesen durch- leuchtete®). Das 18. Jahrhundert brachte uns „Die Geschichte des kano- i)In Holtzendorffs Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., herausgegeben von J. K o h 1 e r, Bd. 2 (Leipzig und Berlin 1904), S. 809—972. U. S t u t z , Die kirchliche Rechtsgeschichte, Rede zur Feier des 27. Januar 1905, gehalten in der Aula der Universität zu Bonn (Stuttgart 1905). =) Stutz a. a. O. S. 4 und 34. ') Vgl. E. E i c h m a n n, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici (Paderborn 1923), S. 21; 6. Aufl. neu bearbeitet von K. M ö r s d o r f 1. Bd. (Paderborn 1949), S. 40. Stutz a.a.O. S. 4. ®) Ancicune et nouvelle discipline de I'öglise touchant les benefices et beneficiers (Lyon 1678); Vatus ac nova disciplina circa beneficia et beneficiarios (Paris 1688). — Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library Authenticated Download Date | 10/22/14 2:21 AM

Kirchliche Rechtsgeschichte und wissenschaftliche Rechtsvergleichung

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Kirchliche Rechtsgeschichte und wissen-schaftliche Rechtsvergleichung.

Von Bernhard P a n z r a m.

I. Bald nach dem Erscheinen der ersten Auflage seines Abrisses der

Geschichte und des Systems des Kirchenrechts^) t rat U. S t u t z mit einer grundsätzlichen Erörterung über „Die Frage der Scheidung von Geschichte und Dogmatil? im Kirchenrecht" und über „Das Problem der Erhebung der kirchlichen Rechtsgeschichte zu einem eigenen Gegen-stand der Forschung und des Wissens" vor die Öffentlichkeit^). Er hat also die aufgeworfene Frage — nach seinen eigenen Worten — zuerst praktisch zu lösen versucht®) und dann diesen Lösungsversuch in einer Festveranstaltung der Bonner Universität grundsätzUch gewürdigt. Seitdem hat man sich zum mindesten in Deutschland ziemlich allgemein an den Gedanken gewöhnt, daß die Kanonistik „nach dem Vorgang von Ulrich Stutz" daran sei, die Trennung von kirchlicher Rechtsdogmatik und kirchlicher Rechtsgeschichte durchzuführen*).

Nun darf man ein solches Wort nicht pressen und vielleicht sogar daraus schließen, daß Stutz der erste gewesen sei, der die kirchliche Rechts-geschichte von der Rechtsdogmatik getrennt hätte. Stutz selbst betont, daß „jeder nachfolgende Forscher'auf den Schultern von Vorgängern" stehe und daß die Entstehung einer selbständigen Kirchenrechtsgeschichte „durch die Wissenschaft des vorigen Jahrhunderts von langer Hand vorbereitet" worden sei, „besonders durch die deutsche"®). Im 17. Jahr-hundert war bereits die ausgezeichnete kirchliche Verfassungsgeschichte von L. T h o m a s s i n erschienen, die das Benefizialwesen durch-leuchtete®). Das 18. Jahrhundert brachte uns „Die Geschichte des kano-

i ) I n H o l t z e n d o r f f s Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., herausgegeben von J. K o h 1 e r, Bd. 2 (Leipzig und Berlin 1904), S. 809—972.

U. S t u t z , Die kirchliche Rechtsgeschichte, Rede zur Feier des 27. Januar 1905, gehalten in der Aula der Universität zu Bonn (Stuttgart 1905).

=) Stutz a. a. O. S. 4 und 34. ') Vgl. E. E i c h m a n n, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex

Iuris Canonici (Paderborn 1923), S. 21; 6. Aufl. neu bearbeitet von K. M ö r s d o r f 1. Bd. (Paderborn 1949), S. 40.

S t u t z a.a.O. S. 4. ®) Ancicune et nouvelle discipline de I'öglise touchant les benefices et beneficiers

(Lyon 1678); Vatus ac nova disciplina circa beneficia et beneficiarios (Paris 1688). —

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nischen Rechts bis auf die Zeiten des falschen Isidoras" von L. T. S p i 11-1er'). Die ersten 3 Jahrhunderte behandelte J. W. B i c k e l l s , Ge-schichte des Kirchenrechts, die Mitte des 19. Jahrhunderts erschien®). Ungefähr gleichzeitig brachte C. Fr. R o ß h i r t als ersten Teil seiner „Geschichte des Rechts im Mittelalter" das „Canonische Recht" heraus®). Dann kann die vorbildliche „Geschichte des deutschen Kirchenrechts" von E. L o e n i n g i ® ) . Ihr folgten weitere partikuläre kirchenrechts-geschichtliche Arbeiten von geringerer Bedeutung, so die von J. Dood"), und E. Stubbs^"); dann die ausgezeichnete von A. Luchaire^®) . Dem zeitlichen Erscheinen nach könnten hier noch A. G a u d e n z i s Lezioni di storia del diritto canonico^^) erwähnt werden.

Außerdem hatten mehrere kirchenrechtliche Autoren ihrem Kirchen-rechtslehrbuch einen selbständigen Teil vorausgeschickt, der die kirchHche Rechtsgeschichte behandelte. Unter diesen gilt Ä. L. R i c h t e r als der Mann, der dem „Historischen Jahrhundert" Rechnung trug und „Die planmäßig geschichtliche Behandlung des lürchenrechts" ein-leitete^®). J. F. S c h u l t e behandelte vor dem ,,System des Kirchen-rechts" sowohl eine „Geschichte der Entwicklung des Kirchenrechts", als auch eine „Literatiu-geschichte des Kirchenrechts""). Der geschichthche Abriß in E . F r i e d b e r g s Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts") wird von Stutz als nicht ausreichend charakterisiert^®), während die „Historischen Einleitungskapitel" in dem Lehrbuch von Ph. Zorn^') nach Stutz' Meinung eine „beachtenswerte Abrundung

Dieses Werk wird hier nur als Impuls der kirchlichen Rechtsgeschichtsschreibung erwähnt. Im übrigen bleibt die kirchliche Verfassungsgeschichte außerhalb der möglichst eng gezogenen Grenzen dieses Artikels.

') Halle 1778; vgl. S t u t z a.a.O. S. 41. «) 1. Bd. (Gießen 1843); des 1. Bandes 2. Lfg. nach dem Tode des Verfassers,

herausgegeben von F. W. R ö s t e l l (Frankfurt a. Main 1849). ») Mainz 1846. '") Straßburg 1878; Bd. I: Das Kirchenrecht in Gallien von Konstantin bis

Chlodwech, Bd. II: Das Kirchenrecht im Reiche der Merowinger. ") A history of canon law in conjunction with other branches of jurisprudence

(Oxford 1884). The history of the canon law in England (London 1887).

") Manuel des institutiones frangaises, periode des Capitiens directs (Paris 1892). Nach S t u t z ' Worten (a. a. O. S. 44): „Eine vortreffliche Darstellung des Kirchen-rechts des 10. bis 14. Jahrhunderts, mit besonderer Berücksichtigung der französischen Verhältnisse."

") Raccolte da A. P a 1 m i e r i (Bologna 1896). ") Der Große Brockhaus, Bd. 15 (Leipzig 1933), S. 716. — R i c h t e r s Lehr-

buch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts erschien zuerst 1872, in der 8. Aufl. neu bearbeitet von R. D o v e und W. K a h l (1886).

") Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts (Gießen 1863); 4. Aufl., 1886, unter dem Titel: Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts.

") Erschien zuerst 1879, wurde von Stutz in der 5. Aufl. (1903) benutzt; 6. Aufl. 1909.

") S t u t z a. a. O. S. 14 f. und 41. ") Stuttgart 1888.

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und Vervolktändigung erfahren haben"^). Wenn man Stutz auch weit-gehend beipflichten mag, daß nämlich der geschichtliche Teil, z. B. in Richters Lehrbuch „nicht die stolze Überschrift ,Rechtsgeschichte'" verdiene^), die mehr als 200 Seiten in Zorns Lehrbuch sind ganz zweifeUos mit Recht „Die Geschichte des Kirchenrechts" überschrieben^^). Mehr als Zorn auf dem Gebiete der kirchlichen Rechtsgeschichtsschreibung geleistet hat, konnte man — an dem damaligen Stande dieser Wissenschaft gemessen — nicht verlangen. Bekennt doch Stutz selbst: „Auf keinem Gebiete der Rechtswissenschaft ist eben von jeher das Verhältnis der selbsttätigen Forscher zu den bloß rezipierenden und kompiherenden Elementen so ungünstig und infolgedessen eine die Wissenschaft fördernde Uterarische Diskussion und monographische Produktion so spärlich gewesen wie im K i r c h e n r e c h t W e i t stärkere Anregungen als von der Darstellung Zorns sind von dem ersten Band des Kirchenrechts von R. S o h m ^ ) : „Die geschichtüchen Grundlagen" ausgegangen^®). Und schließlich darf man nicht außer acht lassen, daß schon P. H i n s c h i ü s in den ersten fünf Auflagen desselben Sammelwerks, in dem später Stutz s e i n e Trennung von kirchlicher Rechtsdogmatik und kirchlicher Rechtsgeschichte durchgeführt hat®'), bereits die ,, Geschichte und Quellen des kanonischen Rechts"^') vom „Kirchenrecht"^®) voneinander geschieden hatte, so daß Stutz diese Trennung eigentlich schon als Auflage vom Herausgeber her übernehmen mußte. Daß die Geschichte der Kirchenrechtsquellen und -literatur bereits gegen Ende des 19. Jahr-hunderts eine hochentwickelte Spezialwissenschaft war, ist allgemein bekannt^).

Auf solchen Grundlagen weiterbauend, hat U. S t u t z eine erst-rangige wissenschafthche Leistung vollbracht, indem er

1. die Einzelforschungen, die er selbst sehr beachtlich vermehrt hat, zu einer allumfassenden und einheitlichen kirchlichen Rechtsgeschichte zusammengefaßt hat;

2. den gesammelten Stoff neu und treffend periodisiert hat, so daß diese Periodisierung im großen ganzen von seinen Nachfolgern über-nommen werden konnte;

S t u t z a. a. O. S. 16. ") Ebenda.

S. 9 bis 226. S t u t z a.a.O. S. 5.

") Leipzig 1892. Vgl. S t u t z a. a. O. S. 17 f. Siehe oben Anm. 1.

") 5. Aufl. (1889), S. 185 bis 211. Ebenda S. 857 bis 907. Vgl. S t u t z a.a.O. S. 15 f. und A. v a n H o v e in: Commentarium

Lovaniense Vol. I, Tom. 1: Prolegomena (Mechliniae-Romae 1928), S. 311 f. Die 2. Auflage von 1945 war mir leider nicht zugänglich. — Vgl. auch unten das im letzten Satz der Anm. 32 zitierte Werk.

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3. die Notwendigkeit der Trennung von kirchlicher Rechtsdogmatik und kirchlicher Rechtsgeschichte nicht nur grundsätzlich®®), sondern auch durch eine vorbildliche praktische Lösung® )̂ überzeugend bewiesen hat.

Ohne diese vorgängige Leistung des „Vaters der kirchlichen Rechts-geschichte" können die Arbeiten seiner Nachfolger®^) ebensowenig gedacht werden, wie Stutz' Werk ohne die Leistungen seiner Vorgänger den!;-bar ist.

II.

Die Zweckmäßigkeit der Trennung der kirchlichen Rechtsdogmatik von der kirchlichen Rechtsgeschichte ist im allgemeinen in der wissen-schaftlichen Welt anerkannt. Die Ordinationes der Kardinalskongregation für die Seminarien und Universitäten vom 12. Juni 1931®®) empfehlen eigene Vorlesungen über die kirchliche Rechtsgeschichte; und nicht nur die Gregorianische Universität in Rom, sondern auch manche andere theologische Bildungsstätte hat einen eigenen Lehrstuhl für kirchliche Rechtsgeschichte erhalten. Sind nun dadurch die bekannten römischen Weisungen für die theologischen Fakultäten®^) praktisch überholt und außer Kraft gesetzt, nach denen die Kirchenrechtsprofessoren bei ihren Vorlesungen nicht nur zur Innehaltung der im Codex Iuris Canonici gegebenen Legalordnung und zu einer analytisch-exegetischen Behandlung der Canones verpflichtet sind, sondern auch h i s t o r i s c h e Erklä-rungen zu den einzelnen Rechtsinstitutionen zu geben haben ? Haben nun die erstgenannten Ordinationes etwa so eine Art von Obrogations-wirkung gegenüber den angezogenen älteren Weisungen, weil sie ihnen

3») Vgl. oben Anm. 2. Vgl. oben Anm. 1. — Die 2. Auflage erschien unter dem Titel: ,,Kirchen-

recht, Geschichte und System" in Bd. 6 der von J . Köhler herausgegebenen 7. Auf-lage der Holtzendorffschen Enzyklopädie der Rechtswissenschaft (Berlin 1915).

A. M. K o e n i g e r, Grundriß einer Geschichte des katholischen Kirchen-rechts (Köln 1919). — D e r s., ,,Geschichtliche Übersicht" in seinem Katholischen Kirchenrecht (Freiburg i. B. 1926), S. 16 bis 83; im Vergleich zu dem erstgenannten Werk eine weitgehend verbesserte Neubearbeitung. — D e r s . in: A. M. K o e n i g e r -P. G i e s e, Grundzüge des katholischen Kirchenrechts und des Staatskirchen-rechts (3. Aufl., Augsburg 1949), S. 11—50. — J . A. Z e i g e r , Historia iuris canonici (in usum scholae) I : De historia fontium et scientiae juris canonici, I I : De historia institutorum canonicorum (Romae 1939 und 1940, Neudruck 1947). — Die erste größere moderne Geschichte des Kirchenrechts blieb leider unvollendet: B. K u r t s e h e i d, Historia iuris canonici. Vol. I : Ab ecclesiae fundatione usque ad Gratianum (Romae 1941). — B. K u r t s c h e i d et F. A. W i l c h e s , Historia iuris canonici, Tom. I : Historia fontium et scientiae iuris canonici (Romae 1943). — Vgl. dazu B. K u r t s c h e i d. De methodologia historico-iuridica (2. Aufl. Romae 1947, hrsg. von L. Öliger). — In dem von R. Naz herausgegebenen vierbändigen Traite de droit canonique (Paris 1948 f), beschränkt sich O. de Clercq in seiner Historischen Einführung leider nur auf eine Darstellung der Quellen des kanonischen Rechtes (S. 19 bis 63).

") A A S 23 (1931), S. 271, 281. ") A A S 9 (1917), S. 439; 11 (1919), S. 19.

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inhaltlich entgegengesetzt sind und es nur ein „Entweder — oder" gibt®® ? Oder darf man vermuten, daß die Ordinationes mit den früheren Weisungen in Einklang gebracht werden können und sich ein „Sowohl — als auch" ermöglichen läßt®®) ?

Von grundlegender Wichtigkeit für die Beantwortung unserer Frage ist die Herausstellung der wichtigsten Aufgaben der Kirchenrechtswissen-schaft®'). Zweifellos hat sie das geltende Recht so zu lehren, daß der Belehrte in die Lage versetzt wird, es auf die an ihn herangebrachten Tatbestände anzuwenden. Dazu hat sie nicht nur die sachlichen, sondern auch die zeitlichen Rechtszusammenhänge zu durchforschen, die kirchliche Rechtskontinuität darzustellen, deren Äußerungen ja dem unveränderlichen Wesen und Zweck der Kirche entsprechen müssen. Hier wäre ein so tiefes Eindringen in den Geist des Kirchenrechts zu wünschen, daß die klare Erkenntnis vermittelt würde: das Recht der Kirche birgt unter der Schale seiner Form den Geist Gottes®®). Diese Rechtskontinuität aber erschließt sich völlig nur dem, der möglichst allseitig auch die Rechtsformen der Vergangenheit heranzieht, um in ihnen die kontinuierliche Entwicklung des Rechts aufzuzeigen.

Jeder einzelne Akt der Rechtsverwirklichung ist ein geschichtlicher Vorgang. Jedes geltende Recht hat wesensnotwendig eine gewisse Sta-bilität ; wenn seine Dauer nicht von vornherein begrenzt wird, hat es sogar in der Regel Perpetuitätscharakter®®). Die Normen des geltenden Kirchen, rechts ordnen also das kirchliche Leben auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten und — wenn man an die Geschichte der formellen kirchlichen Rechtsquellen denkt — vielleicht sogar in den nächsten Jahrhunderten. Aus dem also rechtsgebundenen Leben können sich — in der Kirche meist sehr langsam — neu entstehenden Bedürfnissen entsprechende neue Gesetze entwickeln, die aber in ihrer neuen Form weitgehend überkommene Materien enthalten. N. H i l l i n g drückt das etwas einprägsamer aus: „Kein menschliches Gesetz ist plötzlich vom Himmel gefallen, sondern ein Produkt der Vergangenheit. Darum ist die historische Interpretation bei allen Gesetzen am Platze; eine besondere Bedeutung aber hat sie für das kanonische Recht, dem ein ganz spezielles konservatives Gepräge innewohnt^®)." Aus solchen Überlegungen ergeben sich Zusammenhänge,

Vgl. CIC can. 22. '«) Vgl. CIC can. 2.3. ") Vgl. J. B. S ä g m ü 11 e r, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechta,

1. Bd., 1. Teil (4. Aufl., Freiburg i. B. 1925), S. 1 7 f . ; E i c h m a n n - M ö r s d o r f a. a. O. S. 38 ff.

'»jK. M ö r s d o r f in E i c h m a n n - M ö r s d o r f a. a. 0 . S. 6. — Die Abhandlung der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin Jg. 1947, 1, von H. M i 11 e i s über „Rechtageschichte und das Problem der historischen Kontinuität" ist vermutlich für solche Überlegungen sehr bedeutsam; leider war sie dem Verf. dieses Artikels nicht zugänglich.

") Vgl. Die In-perpetuum-Formel in der Diplomatik. ") Die Allgemeinen Normen des Codex Iuris Canonici {Freiburg i. Br. 1926).

S. 70, dazu S. 9 f.

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denen auch der Codex Iuris Canonici Rechnung trägt, wenn er sich in can. 6 und 23 eindeutig zu dem Grundsatz der Rechtskontinuität bekennt. Die Idee, das Wesen und die Aufgabe der Kirche sowie des Papsttums als des höchsten Gesetzgebers stehen vmveränderlich fest*^). Angesichts dieser Tatsache kann man sich die kirchenrechtsgeschichthche Entwicklung kaiun vorstellen als eine Kette sich wiederholender Spannungen zwischen Idee und Existenz, so daß die Verwirklichung der Idee nach Erreichung ihrer höchsten Wirksamkeit durch den Einsatz einer neuen Idee abgelöst werden könnte.

Jetzt erhebt sich die Frage: In welcher Form sind solche sachlich notwendigen und von den kirchlichen Weisungen eigens vorgeschriebenen historischen Erklärungen zum geltenden Kirchenrecht am zweckmäßigsten zu geben ? Wird dieses Ziel schon dadurch erreicht, daß man nur eine klare Scheidung zwischen Kirchenrechtsdogmatik und kirchlicher Rechts-geschichte diu-chführt ? Der Verfasser dieses Artikels muß aus den Er-fahrungen heraus, die er rezeptiv als Student und produktiv als Univer-sitätsdozent für kirchüche Rechtsgeschichte imd als Hochschullehrer für Kirchenrecht gesammelt hat, diese Frage verneinen, und zwar aus folgenden Gründen:

1. Die meisten Lehrer des Kirchenrechts in Theologischen Fakultäten, in denen diese Trennung durchgeführt ist, beschränken sich auf die Rechts-dogmatik, die sie in den kirchenrechthchen PfUchtvorlesungen lehren. Die kirchliche Rechtsgeschichte dagegen ist als Hilfswissenschaft meist keine Pflichtvorlesung; wer sie also nicht hört, kann nach Belieben auf die sachhch notwendigen „Historischen Erklärungen" verzichten, so daß ein Teil der Studenten die geschichthche Entwicklung überhaupt nicht kennenlernt.

2. Die meisten kirchlichen Institute werden in der kirchhchen Rechts-geschichte in verschiedenen Zeitabschnitten behandelt, d. h. das Werden und Bestehen eines solchen Instituts wird in mehreren zeithch voneinander oft allzu scharf getrennten Ausschnitten dargestellt. Das ist zwar für den Rechtshistoriker selbstverständhch, zumal auch die anderen Zweige der Geschichtswissenschaft notgedrungen solchen Periodisierungen unterworfen sind. Für den Rechtsdogmatiker dagegen ist eine so weitgehende Zerstörung der Kontinuität kaum zu ertragen, besonders wenn der kirchlicheTRechts-historiker sich in einzelnen Perioden mit einer Zusammenstellung von Einzelheiten begnügt, ohne zu einer Beschreibung der Typen vorzudringen. (Wenn dann obendrein der leider in der wissenschafthchen Welt so weit verbreitete Mangel hinzukommt, daß auch der kirchliche Rechtshistoriker mit seinen Vorlesungen wegen Zeitmangels nicht fertig wird, klafft der Riß zwischen dem geltenden Recht und seiner geschichtUchen Entwicklung für die betroffenen Studenten noch schlimmer auseinander.) Jedenfalls kann eine solche kirchUche Rechtsgeschichte den kirchlichen Weisungen,

Vgl. CIC can. 100, 218, 219.

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die eine historische Erklärung der Rechtsinstitute fordern, zum Teil nur bedingt, zum Teil überhaupt nicht entsprechen.

3. Der Gesichtswinkel, unter dem das Wichtige und Unwichtige, mit anderen Worten das Darzustellende von dem Mchtdarzustellenden geschieden wird, ist beim kirchlichen Rechtshistoriker und beim kirchlichen Rechtsdogmatiker mitunter sehr verschieden. Der Rechtshistoriker muß auch diejenigen Institute behandeln, die längst der Vergangenheit an-gehören; wenn diese aber im geltenden Recht keine Spuren mehr hinter-lassen haben, interessieren sie den Rechtsdogmatiker nicht oder jedenfalls nicht wesentlich. Andrerseits muß der Rechtsdogmatiker wieder manche Besonderheiten der Vergangenheit eingehender behandeln als der Historiker, wenn er eine ausreichende „Historische Erklärung" eines bestimmten geltenden Rechts gewährleisten will.

Es ist nun aber unmöghch, die wissenschaftliche Entwicklung zu der früher üblichen „Einleitungshistorie" zurückzuschrauben, denn die Zusammenfügungen solcher einzelner historischer Einleitungen könnten niemals ein zusammenhängendes und vollständiges Bild der kirchlichen Rechtsentwicklung bieten*^). Und auf die kirchliche Rechtsgeschiehte kann und wiU die Wissenschaft nicht mehr verzichten.

III .

Aus diesem Dilemma hilft uns ohne Schwierigkeiten die Anwendimg der wissenschaftlichen Rechtsvergleichung^). Früher sprach man wie von „Vergleichender Religionswissenschaft" und „Vergleichender Sprachwissen-schaft" auch von „Vergleichender Rechtswissenschaft". Ich benutze dafür die heute übliche Bezeichnung „Wissenschaftliche Rechtsvergleichung".

") Vgl. Eichmann-Mörsdorf a. a. 0 . S. 39. Vgl. R. S a l e i l l e s , Conception et objet de la science du droit compare,

in: Congres international de droit comparö, Procfes-verbaux des sciences et documents t. 1 (Paris 1905). — D e r s., La fonction juridique du droit compar6, in: Rechts-wissenschaftliche Beiträge, Juristische Festgabe des Auslandes zu Joseph Kohlers 60. Geburtstag (Stuttgart 1909); C a p i t a n t , Conception, möthode et function du droit compare d'apres R. Saleilles, in: L'oevre juridique de Raymond Saleilles (Paris 1914); E. R a b e l , Aufgabe und Notwendigkeit der Rechtsvergleichung (1925); F. V. R a u c h h a u p t , Die wissenschaftliche Pflege der Rechtsverglei-chung, in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 23, 2 (1930); W. E r b e , Der Gegenstand der Rechtsvergleichung, in: Zeitschrift für ausländisches und inter-nationales Privatrecht 14 (1942); K.Z w e i g e r t , Rechtsvergleichung als universale Interpretationsmethode, ebenda 15 (1949) S. 5 bis 21. — Als Fortsetzung des Bulletin de la sociöte de la Legislation comparee erscheint seit 1949 die Revue internationale de droit compare im Verlag dieser Gesellschaft: 31, Rue Saint-Guillaume, Paris VII. — Die Mehrzahl der in dieser Anmerkung angegebenen Werke sind dem Verfasser bei Abfassung dieses Artikels nicht mehr greifbar gewesen; die vergleichende Rechtslehre von A. S c h w e i t z e r (Basel 1945) ist ihm nicht zugänglich gewesen.

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Gerade in den letzten Jahren ist die wissenschaftliche Rechtsver-gleichung mit sehr gutem Erfolg auch von Kanonisten angewendet worden. K. M ö r s d o r f hat z. B. die Faktoren der staatlichen Verwaltungs-gerichtsbarkeit untersucht, hat dann gleiche und ähnliche Faktoren im Kirchenrecht nachgewiesen und ist so entgegen der Meinung anderer zum Nachweis und zugleich zu einer Darstellung der kirchlichen Ver-waltungsgerichtsbarkeit vorgedrungen^). Damit hat er uns ein schönes Beispiel Dogmatischer Rechtsvergleichung gegeben. Die dogmatische oder systematische Rechtsvergleichung befaßt sich ausschließUch mit den heute geltenden Rechtssystemen oder deren Instituten. Mit dieser dogmatischen Rechtsvergleichung hat Mörsdorf die Genetische Rechts-vergleichung verbunden. Er hat nämlich in geschichtlichen Rückblicken aufgezeigt, daß die kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit keine Neuerimg sei, sondern daß sie „vor der kirchlichen Rechtserneuerung im päpstlichen Bereich die einzige Form kirchlicher Gerichtsbarkeit darstellte und im bischöfhchen Bereich die gemeingerichtliche Tätigkeit fast vollständig verdrängt hatte^®). Damit hat uns M. aber noch keine Geschichte der kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit geschenkt; er hat sie uns auch gar nicht geben wollen, sondern er hat — und das ist für die genetische Rechtsvergleichung typisch — auf die älteren Stadien der kirchlichen Rechtsentwickelung nur soweit zurückgegriffen, als sie für die Beurteilung des behandelten Rechtsinstituts der Gegenwart noch notwendig er-schienen. Und diese genetische Rechtsvergleichung sollte meines Er-achtens der Rechtsdogmatiker überall dort anwenden, wo den oben zitierten Weisungen der S. C. Stud. vom 7. August 1917 entsprechend „Historische Einleitungen" einem besseren Verständnis des geltenden Rechts dienlich sein können.

Schon aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Methoden der genetischen Rechtsvergleichung und der Rechtsgeschichte voneinander verschieden sind. Wenn der Historiker auch nicht ganz voraussetzungslos an die Quellen herangehen kann*®), so bemüht er sich doch, aus ihnen selbst die Maßstäbe für ihre Beurteilung zu gewinnen. Er hat sich also in die Quellen hineinzuleben und entspricht damit der von R a n k e aufgestellten Forderung des sogenannten Historischen Relativismus. Man ist versucht, ein Goethe wort für die Historiker zu variieren, z. B. für einen Historiker des Römervolkes:

,,Wär nicht dein Auge römerhaft, Die Römer könnt es nie erblicken . . . "

K. M ö r s d o r f , Die kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Festschrift, Eduard Eichmann zum 70. Geburtstag dargebracht von seinen Freunden und Schülern, in Verbindung mit Wilhelm Laforet herausgegeben von Martin Grabmann und Karl Hofmann (Paderborn 1940), S. 551 bis 591.

«) Mörsdorf a. a. O. S. 590 f. *') Vgl. R. S t a m m l e r , Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. vermehrte Aufl.

(Berlin und Leipzig 1928), S. 365 f.

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oder für den Kirchengeschichtler:

„Wär nicht dein Auge kirchenhaft, Die Kirche könnt es nie erblicken . .

Der Rechtsdogmatiker dagegen lebt der Gegenwart. Wenn er die genetische Rechtsvergleichung anwendet, um eine heute geltende Rechts-besonderheit auch „historisch" zu erklären, nimmt er den geltenden Rechtsbegriff geradezu als Forschungsprinzip und Maßstab mit hinüber in seine Beschäftigung mit der vorgängigen Entwicklung. Er benutzt die Vorarbeiten der Historiker (nach Möglichkeit sogar die Quellen) nur eklektisch und zieht aus ihnen nur das heraus, was geeignet ist, das Dasein und das Sosein der geltenden Rechtsbesonderheit zu erklären. Es ist klar, daß die genetische Rechtsvergleichung von der Rechtsgeschichte abhängig ist und abhängig bleiben muß, so daß auch von diesem Standpvmkt aus die Selbständigkeit der kirchüchen Rechtsgeschichte gefordert werden muß.

Um noch ein Beispiel zu bringen: Die Entwicklung eines Rechts-instituts kann mehreren Rechtssystemen angehören. So können die Bezeichnung und der Begriff der praescriptio (Verjährung, Ersitzung) des CIC kaum genügend erklärt werden, wenn man nicht rechtsver-gleichend die praescriptio der prätorischen Prozeßformel heranzieht, die v o r die intentio g e s c h r i e b e n war und in ihrer Rechtswirkung der exceptio gleichkam. Die Zwischenstufen der weiteren Entwicklimg darzutun, die vom römischen Recht ins kanonische hinüberführten, ist für das Ver-ständnis des modernen kirchlichen Präskriptionsbegriffes nicht notwendig*®).

*') „Wär nicht das Auge sonnenhaft, Die Sonne könnt es nie erblicken; Lag nicht in uns des Gottes eigne Kraft, Wie könnt uns Göttliches entzücken!?

(Zahme Xenien) Vgl. in diesem Zusammenhang N. L ä m m 1 e, Beiträge zum Problem des Kirchen-rechts (Rottenburg a. N. 1933), S. 106: ,,Die Grundforderung für eine r i c h t i g e Entwicklung des Kirchenrechts ist naturgemäß die, daß dadurch das Wesen der Kirche nicht verändert werden darf. Aber wie läßt sich das der Kirche Wesentliche jeweils feststellen? Und will nicht die Entwicklung des Kirchenrechts eben erst das Wesen der Kirche aus dem Dunkel heben ? Wir stehen hier vor einem Problem, das jedenfalls mit den Mitteln der historischen Forschung nicht restlos gelöst werden kann. Die tatsächliche Entwicklung des Kirchenrechts kann zwar nach gewissen apriorischen Merkmalen geprüft und eventuell als typisch erwiesen werden, ihre göttliche Notwendigkeit aber kann mit natürlichen Mitteln nicht zwingend bewiesen werden. Nur der G l a u b e an die Kraft des Heiligen Geistes sowie an die gott-gesetzte Autorität der Kirche kann die christliche Entwicklung als e c h t erkennen. Wer die Kirche, bzw. das Kirchenrecht, aus der Geschichte beweisen will, übersieht nicht bloß die Lückenhaftigkeit jeder Geschichtserkenntnis, sondern auch die Tat-sache, daß die Kirche kein bloßes Christentum der evangelischen Überlieferung ist, sondern eine Religion der Entwicklung aus dem Evangelium durch die Kraft des HeUigen Geistes."

••) Vgl. in diesem Zusammenhang N. H i 11 i n g. Das Personenrecht des Codex Iuris Canonici (Paderborn 1924); d e r s . , Das Sachenrecht des Codex Iuris Canonici (Preiburg i. Br. 1928). Die,,Geschichtlichen Entwicklungen", die er dem erstgenannten

13 MIÖG., Bd. 58. Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library

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Page 10: Kirchliche Rechtsgeschichte und wissenschaftliche Rechtsvergleichung

194 Bernhard P a n z r a m — Kirchliche Eechtsgeschichte

Während die dogmatische und die genetische Rechtsvergleichung ausschließlich dem besseren Verständnis des gegenwärtig geltenden Rechts dienen, ist die historische Rechtsvergleichung das wichtigste Werkzeug in der Hand des Historikers. „Alle historische Betrachtung besteht un-vermeidlich in einem Vergleichen. Es kommt ihr auf den geschichtlichen Zusammenhang an, in den sich ein bestimmtes Streben und ihm folgendes Geschehen einreiht; und damit ist von selbst gegeben, daß die verschiedenen einzelnen Betrachtungen, die gerade in Frage stehen, in Beziehung zu einander gesetzt werden"*®). Die historische Rechtsvergleichung deckt also die Zusammenhänge auf zwischen früheren Rechtssystemen oder zwischen den einzelnen Phasen eines Rechtssystems oder zwischen einzelnen Instituten oder deren Veränderungen, o h n e aber den Gegenwartswert der Vergleichsresultate ins Auge zu fassen. Sie dient also lediglich der Rechts g e s c h i e h t e.

Die ethnologische Rechtsvergleichung greift noch weiter zurück. Sie kommt für den kirchlichen Rechtshistoriker eigentUch nur in Betracht für die Aufhellung der ersten Anfänge des Rechts, für die Abgrenzung von Recht, Sitte und Religion und vielleicht auch noch für Erkenntnis allgemeinster natürlicher Rechte.

Zusammenfassend dürfen wir feststellen: Um die notwendigen und überdies kirchlich geforderten historischen Erklärungen des geltenden Rechts zu bieten, bedarf der Rechtsdogmatiker der genetischen Rechts-vergleichung. Sie bildet für ihn die Brücke zwischen dem System und der Geschichte des Kirchenrechts, die den Nutzen und die Notwendigkeit ihres selbständigen Bestandes längst erwiesen hat.

und die ,,Geschichtlichen Überblicke", die er dem letztgenannten Werk beigegeben hat, sind sehr instruktiv. Für das erste Buch des CIC: J. H a r i n g , Römisches und deutsches Gedankengut im ersten Buch des Codex iur. can., in: Festschrift Eduard Eichmann (vgl. oben Anm. 44), S. 353 bis 371. — Auch die Grundzüge des kathoUschen Kirohenrechts von H a r i n g (3. Aufl. Graz 1924) enthalten geschichtliche Vorbemerkungen. — Auch die 1928—34 in 4. Auflage erschienenen 4 Lieferungen des Lehrbuches des kathohschen Kirchenrechts von J. B. S ä g m ü l l e r sind für den Historiker besonders wertvoll. — Allerdings muß beachtet werden, daß die geschichtlichen Einleitungen und Erklärungen in den hier angeführten Werken meistens noch nicht im Sinne der genetischen Rechtsvergleichung gegeben worden sind (am meisten entspricht ihr noch das oben erwähnte Personenrecht von Hilling).

") S t a m m l e r a. a. O. S. 365.

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