92
BRANDENBURGISCHE HEFTE FÜR WISSENSCHAFT UND POLITIK HEFT 53 AUGUST 2012 www.perspektive21.de GREGOR BEYER: Deutlicher Verlust von Gewissenhaftigkeit THOMAS KRALINSKI: Wo ist das Licht? CHRISTIAN MAAß: Preußens deprimierendes Ende RALF HOLZSCHUHER: Die Energiewende beginnt im Kopf DIETMAR WOIDKE: Pfeiler der Demokratie SABINE KUNST: Die Weichen richtig stellen FRIEDRICH BUTTLER: Klein, aber nicht zu klein ANDREAS FREDRICH: Mehr als ein Jungbrunnen ENRICO SCHICKETANZ: Rot-Rot kann mehr UTA SÄNDIG: Exzellent – auch in der Lehre KLAUS FABER: Die Rückkehr des Bundes WIE DIE ZUKUNFT DER BRANDENBURGER WISSENSCHAFT AUSSEHEN SOLL Welche Hochschulen braucht das Land?

perspektive21 - Heft 53

Embed Size (px)

DESCRIPTION

perspektive21. Heft 53. Welche Hochschulen braucht das Land?

Citation preview

Page 1: perspektive21 - Heft 53

BRANDENBURGISCHE HEFTE FÜR WISSENSCHAFT UND POLITIK

HEFT 53 AUGUST 2012 www.perspektive21.de

GREGOR BEYER: Deutlicher Verlust von Gewissenhaftigkeit

THOMAS KRALINSKI: Wo ist das Licht?

CHRISTIAN MAAß: Preußens deprimierendes Ende

RALF HOLZSCHUHER: Die Energiewende beginnt im Kopf

DIETMAR WOIDKE: Pfeiler der Demokratie

SABINE KUNST: Die Weichen richtig stellen

FRIEDRICH BUTTLER: Klein, aber nicht zu klein

ANDREAS FREDRICH: Mehr als ein Jungbrunnen

ENRICO SCHICKETANZ: Rot-Rot kann mehr

UTA SÄNDIG: Exzellent – auch in der Lehre

KLAUS FABER: Die Rückkehr des Bundes

WIE DIE ZUKUNFT DER BRANDENBURGER WISSENSCHAFT AUSSEHEN SOLL

Welche Hochschulenbraucht das Land?

Page 2: perspektive21 - Heft 53

| Hoffmann und Campe | Das will ich lesen

20 Jahre nach der friedlichen Revolution von 1989:

Wie viel Einheit haben wir erreicht? Welchen Aufbruch braucht Deutsch-land jetzt?

224 Seiten,gebunden

Eine persönliche Bestandsaufnahme

Page 3: perspektive21 - Heft 53

Welche Hochschulenbraucht das Land?S eit einem guten Jahr wird in Brandenburg intensiv über die Zukunft der Hoch -

schul- und Wissenschaftslandschaft diskutiert. Brandenburg glich bis 1990 ehereiner Hochschul-Wüste. 1990 gab es dann einen großen und mutigen wissenschaft -lichen Aufbruch mit der Gründung von drei Unis und fünf Fachhoch schulen. VieleEntscheidungen waren damals sehr umstritten und wurden auch bundesweit sehrskeptisch beurteilt. 22 Jahre später ist es darum höchste Zeit, den 1990 eingeschlage-nen Weg und seine Ergebnisse genau zu analysieren und zu diskutieren. Dabei gehtes um die Frage, was sich bewährt hat und welche Verände rungen notwendig sind,um auch angesichts veränderter finanzieller und demografischer Rah menbedingun -gen in Brandenburg eine gute Hochschul- und Wissen schaftsland schaft zu gewähr-leisten, die jungen Menschen eine gute Ausbildung ermöglicht und Brandenburghilft, eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung zu nehmen. Wir freuen uns,dass wir zu diesem Schwerpunktthema spannende und auch streitbare Beiträge aussehr unterschiedlichen Sichten veröffentlichen können. Die Debatte über das Themawird sicherlich weitergehen. Insbesondere die Beiträge von Frau Prof. Dr. Kunst unddas Interview mit Prof. Dr.Friedrich Buttler vermitteln sehr viele Fakten, die auchwissenschaftspolitischen „Nicht-Profis“ helfen, in die Debatte einzusteigen.

Die Perspektive 21 macht aus ihrer sozialdemokratischen Grundhaltung keinenHehl. Trotzdem haben wir in den vergangenen 15 Jahren unsere Zeitschrift auchimmer für interessante, spannende, eben ganz andere politische Sichtweisen ge -öffnet. Darum haben bei uns beispielsweise schon ein konservativer Publizist wieAlexander Gauland oder Ralf Christoffers (Linke) geschrieben. Und darum ist indieser Ausgabe der Brandenburger FDP-Landesvorsitzende Gregor Beyer mitseiner Sichtweise zur Debatte um den Flughafen BBI vertreten.

Im Magazin finden Sie außerdem zwei Beiträge von Christian Maaß und DietmarWoidke anlässlich des sogenannten „Preußenschlages“ vor 80 Jahren. Die Erinne -rung an die vergessenen demokratischen Traditionen in Preußen wird auch inZu kunft ein Thema in Perspektive 21 bleiben.

IHR KLAUS NESS

vorwort

Page 4: perspektive21 - Heft 53

CCCVCVXCVXCVX

BVCBCXCVXCVXCVB

BVCBVCBCBV

Page 5: perspektive21 - Heft 53

5perspektive21

inhalt

Welche Hochschulenbraucht das Land?WIE DIE ZUKUNFT DER BRANDENBURGER WISSENSCHAFT AUSSEHEN SOLL

MAGAZINGREGOR BEYER: Deutlicher Verlust von Gewissenhaftigkeit ................................ 7

Über die Schwierigkeiten, heutzutage einen Flughafen zu bauen

THOMAS KRALINSKI: Wo ist das Licht? ................................................................ 11

Nach über 20 Jahren werden für den Aufbau Ost neue Wege gesucht

CHRISTIAN MAAß: Preußens deprimierendes Ende .............................................. 17

Wie das demokratische Bollwerk der Weimarer Republik 1932 scheiterte

RALF HOLZSCHUHER: Die Energiewende beginnt im Kopf .................................. 29

In Brandenburg sind vernetztes Denken und lokale Aktivitäten die Triebkräfte einer erfolgreichen Energiepolitik

DAS STRASSENSCHILDDIETMAR WOIDKE: Pfeiler der Demokratie .......................................................... 35

THEMASABINE KUNST: Die Weichen richtig stellen ........................................................ 37

Vier Thesen zur künftigen Wissenschaftspolitik in Brandenburg

FRIEDRICH BUTTLER: Klein, aber nicht zu klein .................................................. 49

Über die Frage, wie es mit Brandenburgs Hochschulen weiter gehen soll, sprach Thomas Kralinski mit Friedrich Buttler

ANDREAS FREDRICH: Mehr als ein Jungbrunnen ................................................ 61

Was eine Hochschule für eine Region bedeutet

ENRICO SCHICKETANZ: Rot-Rot kann mehr ........................................................ 67

Wie die Hochschulpolitik auf die Überholspur kommen kann

Page 6: perspektive21 - Heft 53

UTA SÄNDIG: Exzellent – auch in der Lehre .......................................................... 77

Sieben Thesen für eine gute universitäre Lehre

KLAUS FABER: Die Rückkehr des Bundes ............................................................ 81

Wie sich neues Engagement des Bundes in der Hochschul- und Bildungspolitik auf Brandenburg auswirken kann

6 august 2012 – heft 53

Page 7: perspektive21 - Heft 53

Deutlicher Verlust vonGewissenhaftigkeitÜBER DIE SCHWIERIGKEITEN, HEUTZUTAGE EINEN

FLUGHAFEN ZU BAUEN

VON GREGOR BEYER

Am Rande Berlins, aber gottlob auf brandenburgischem Boden, stampfen deut-sche Ingenieure und Handwerker gerade eine Kleinstadt aus dem Boden. Man

müsste ihnen für diese Leistung eigentlich täglich danken. Denn die Milliarden in -vestition, die sie umsetzen, gibt einer Region nach aller Erfahrung eine blühendeEntwicklungsperspektive und schafft endlich den so lange vermissten Airport derdeutschen Bundeshauptstadt.

Man müsste jubeln! Aber mitnichten – was wir erleben ist ein auf oftmals er-schreckend niedrigem Niveau geführter Streit zwischen so ziemlich allen, die in ir-gendeiner Art und Weise betroffen sind oder zumindest glauben, betroffen zu sein.

Da werden beispielsweise Debatten über Kostenexplosionen geführt, in denenbehauptet wird, dass das Terminal des Flughafens, anstatt geplanter 600 MillionenEuro, nunmehr 1,2 Milliarden Euro kosten wird. Keiner macht sich die Mühe, miteinem Blick in die Unterlagen erkennen zu wollen, dass das bei einem modular ge-planten Bauwerk, bei welchem man schon während der Bauphase die notwendigenErweiterungen angeht, keine Kostensteigerung ist, sondern primär einfach nur diebanale Konsequenz finanzmathematischer Addition.

Die vermeintlichen Experten

Oder aber da werfen sogenannte Flughafenexperten die These in den Raum, dassder Flughafen bereits in wenigen Jahren zu klein und völlig überlastet sei, obwohlder interessierte Zeitgenosse nach einer einfachen Google-Suche überrascht fest-stellen kann, dass exakt der gleiche Experte noch vor wenigen Jahren „Zeter undMordio“ schrie, weil die Flughafenplanung völlig überdimensioniert sei und nie-mals ein solch großer Airport gebraucht würde. Oder noch schöner sind die De -batten um Flugrouten und Plangenehmigungen, bei den man oft sehr schnellfeststellt, dass kaum einer der Beteiligten die 1.171 Seiten des Plan feststel lungs -

7perspektive21

magazin

Page 8: perspektive21 - Heft 53

beschlusses gelesen hat, aber dennoch munter behauptet wird, dass darin Flug -routen festgelegt worden wären, an die man sich heute nicht halten wolle.

Offensichtlich ist eine Debatte um die innere Verfasstheit einer Gesellschaftangebracht, in der annähernd jeder die alljährliche Urlaubsreise mit dem Flugzeuggenießen will, aber keiner auch nur ansatzweise vom Flugverkehr betroffen seinmöchte. Sind wir tatsächlich mittlerweile so saturiert, dass wir uns über dasWachsen von Fluggastzahlen und damit der wirtschaftlichen Entwicklung einerRegion nicht mehr freuen und stattdessen nur noch die Angst vor der eigenenBetroffenheit kultivieren?

Leider lässt der Planfeststellungsbeschluss mehrere Auslegungen des Schall -schutz niveaus zu. Die Auseinandersetzung um diesen Aspekt lässt tief in eine Ge -sell schaft blicken, die so ganz auf die Schnelle erklärt, dass die Wirtschaftlichkeit eines Flughafens nur eine untergeordnete Rolle spiele: Hauptsache der Lärmschutzhat Vorrang! Dabei gerät völlig aus dem Blick, dass mit dem Planfeststellungs be -schluss und der Auslegung des zuständigen Ministeriums ein exzellentes Lärm -schutzniveau umgesetzt werden soll, das deutlich über dem liegt, was an anderendeutschen – von europäischen ganz zu schweigen – Airports üblich ist. Es scheint,als hätten wir das Bewusstsein dafür verloren, dass sich auch ein Flughafen amMarkt behaupten muss und jedes nicht rentable Staatsunternehmen immer zulas-ten der Allgemeinheit geht. Es werden am Ende die Schulen, die Kindergärten, andere soziale Einrichtungen und – wie der aktuelle Haushaltplanentwurf für2013/14 zeigt– vor allem die übrige Infrastruktur sein, die von den Finanzie rungs -defiziten betroffen sind; von den ordnungspolitischen Aspekten ganz zu schweigen.

Kann unsere Gesellschaft Flughäfen bauen?

Aber auch der politische Raum täte gut daran zu reflektieren, an welchen Leit li niensich die Debatte orientieren müsste. Es ist teils erschreckend zu erleben, dass dasBewusstsein schwindet, dass die Politik immer die Verantwortung für das gesamteLand wahrzunehmen hat. So etwas wie staatspolitische Verantwortung und dieErkenntnis dazu, dass dieser Verantwortung sowohl die Regierung als auch dieOppo sition unterliegen, wird in den Auseinandersetzungen immer rarer. Oder sindwir bereits auf der Entwicklungsstufe am Ende der gemeinsamen Geschichte ange-kommen, bei der – um es ausnahmsweise mal mit Faust zu sagen – nur noch derVortrag des Redners Glück ausmacht? Angesichts der oftmals ritualhaften Kämpfeund des deutlichen Verlustes von Gewissenhaftigkeit in der Debatte kann man die-sen Eindruck leider gewinnen.

8 august 2012 – heft 53

magazin

Page 9: perspektive21 - Heft 53

Kein Zweifel! Die erneute Verschiebung der Eröffnung des Flughafens war undist eine Blamage, die wir auswetzen müssen; so schnell wie möglich und mit ver -einten Kräften! Aber wenn der politische Pulverdampf verzogen ist, brauchen wirdrin gend eine viel weitergehende Debatte. Es steht nicht nur die Frage im Raum,inwieweit die gegenwärtig politisch unmittelbar Verantwortlichen versagt haben.Es steht vor allem die Frage im Raum, ob wir als Gesellschaft überhaupt noch inder Lage sind, Flughäfen zu bauen oder bestehende zu erweitern.

Vergessen wir nicht, Flughäfen verbinden Kontinente! Und in mehreren Re -gionen dieser Welt entstehen gerade Märkte mit ungeheurerer Dynamik, die aufGe sellschaften gründen, die alles andere als saturiert sind. n

GREGOR BEYER

ist Landtagsabgeordneter und Landesvorsitzender der FDP Brandenburg.

9perspektive21

gregor beyer – deutlicher verlust von gewissenhaftigkeit

Page 10: perspektive21 - Heft 53
Page 11: perspektive21 - Heft 53

Wo ist das Licht?NACH ÜBER 20 JAHREN WERDEN FÜR DEN AUFBAU OST

NEUE WEGE GESUCHT

VON THOMAS KRALINSKI

E x Oriente Lux: aus dem Osten kommt das Licht. Für so manche Ent wick lungim Osten konnte man das gut behaupten in den vergangenen gut 20 Jahren.

Der Aufbau Ost hat Entwicklungen angestoßen, die die alte Bundesrepublik bis-weilen hat alt aussehen lassen. Man denke an den schnellen Ausbau der Infrastruk -tur, an die stürmische Entwicklung der erneuerbaren Energien, die Alltäglichkeitvon Kinderbetreuung und weiblicher Erwerbsarbeit, den pragmatischen Umgangmit dem rasanten demografischen Wandel.

Nun wird sicherlich niemand behaupten, dass der Aufbau Ost einem general-stabsmäßig entworfenen großen Masterplan gefolgt sei. Vieles passierte nach demPrinzip „Versuch und Irrtum“ – was angesichts der hohen Dynamik und gleich-zeitig stattfindenden enormen Anpassungsprozesse in allen Lebensbereichen auchkein Wunder ist. Es galt das Wort des ehemaligen sächsischen Ministerprä siden tenBiedenkopf: Bei der nächsten Wiedervereinigung machen wir alles besser. Gleich -wohl kann man den Aufbau Ost gut in zwei Phasen gliedern.

Vom Zusammenbruch zur Stabilität

Die neunziger Jahre waren im Wesentlichen die „Gießkannen-Phase“ des Auf bauOst. Aus einem nahezu unerschöpflichen „Wasserreservoir“ wurden mit großemAufwand Unternehmen gerettet, Straßen und Schienen gebaut, Innenstädte sa -niert und Arbeitsmarktmaßnahmen umgesetzt. Der Neuaufbau von Verwal tun genmit all den innewohnenden Handlungsspielräumen als auch die allge gen wär tigeAufbruchstimmung führte in der Anfangszeit bisweilen zu kreativem Chaos. Ganzallgemein machte die tiefe Umbruchsituation an vielen Stellen kre ative Lösungenmöglich, die im engen Korsett des Interessen- und Verbände staates der alten Bun -des republik nicht so ohne weiteres möglich gewesen wären. Diese Phase ist aberauch die der großen sozialen Veränderungen. Vor allem die Mas sen arbeits lo sig -keit, die auf teilweise über 20 Prozent stieg, führte zu harten Bedingungen aufdem Arbeitsmarkt und zu tiefen sozialen Verwerfungen.

11perspektive21

Page 12: perspektive21 - Heft 53

Nach der Jahrhundertwende wurde die „Gießkanne“ als Förderprinzip durch dasPrinzip „Stärken stärken“ abgelöst. Nach zehn Jahren waren in den neuen Län -dern Wachstumskerne und Wachstumserfolge sichtbar. Deutlich wurde aberauch, dass nicht alle Regionen gleichmäßig am ökonomischen Aufholprozess teil-nehmen (konnten). Die langsam zurückgehenden Finanzmittel aus dem Solidar -pakt 2 zwangen deshalb zum Umdenken. Statt das Geld auf besonders benach -teiligte Regionen zu konzentrieren, sollte nun dort zusätzlich investiert werden,wo erste Aufbauerfolge bereits sichtbar waren und man sich Ausstrahlungseffekteerhoffen konnte. Im Ergebnis führte das dazu, dass funktionierende Struktureneben „stärker“ gefördert wurden als andere, ferner die Mittel für aktive Arbeits -marktpolitik reduziert und der Infrastrukturausbau konzentriert wurde.

Diese zweite Phase, gleichwohl noch nicht abgeschlossen, war durchaus erfolg-reich. Die Arbeitslosigkeit hat sich in allen neuen Ländern mehr als halbiert. DieLücken bei schnellen Straßen und Schienen sind kleiner geworden – im WestenDeutschlands herrscht mittlerweile eher die Meinung vor, dass der Osten mit Infra -struktur besser ausgestattet sei. Die Wirtschaft wächst – und ist auch verhältnis-mäßig gut durch die Wirtschaftskrise 2008/2009 gekommen. Nach 15 Jahren vonZusammenbruch und Neuorganisation ist so etwas wie Stabilität in Ost deutsch - land eingezogen. Hinzu ist auch ein gewisser Stolz gekommen, den bisweilen ent-behrungsreichen und unsicheren Aufbauprozess gut gemeistert zu haben.

Im Frühjahr kam die Erschütterung

Dennoch ist die Lage weiter anfällig für Erschütterungen. Das wurde im Frühjahr2012 sehr deutlich. Nach dem rot-grünen Erneuerbaren-Energien-Gesetz hattesich in Ostdeutschland mit der Solarwirtschaft ein komplett neuer Industriezweigentwickelt. „Solar Valley“ nannte sich eine Region in Sachsen-Anhalt, in Frankfurt(Oder) gab es fünf nagelneue Solarfabriken, die Solarwirtschaft schuf neue und –wie man meinte – zukunftsfähige Arbeitsplätze. Dieser Boom war das sichtbareZeichen, dass die dunkle Phase der Deindustrialisierung überwunden schien miteiner ökologisch sauberen und zukunftsfähigen Industrie, für die das Licht ange-sichts des Booms der erneuerbaren Energien so schnell nicht ausgehen sollte. Dochmit dem Ende der großzügigen Förderung der Solarwirtschaft kam auch dasschnelle Ende der Solarfabriken in Ostdeutschland – denn so wurden auch dieSchwächen und Versäumnisse der Solarwirtschaft deutlich sichtbar. Offensichtlichwurde, dass das Herstellen von Solarpaneelen woanders billiger zu machen ist

12 august 2012 – heft 53

magazin

Page 13: perspektive21 - Heft 53

(China) und auch nicht immer etwas mit High Tech zu tun hat, dass die Ent -wick lung neuer Technologien nicht schnell genug ging. In Erinnerung wurdegerufen, dass zu viele Unternehmen in Ostdeutschland immer noch (verlängerte)Werkbänke sind – auch wenn sie (derzeit) mit den modernsten Methoden arbei-ten. Aber wenn ein großer Chemiekonzern lieber am westdeutschen Stammsitzinvestiert und nicht am ostdeutschen Standort, mag dies vielleicht ein Einzelfallsein – ein gutes Zeichen ist es trotzdem nicht.

Die sieben Herausforderungen

Daraus gilt es nun zu lernen. Klar ist, dass die Frage nach der Zukunft der ost-deutschen Industrie, nach der Zukunft des ostdeutschen Wirtschaftsmodells auchmehr als 20 Jahre nach der Einheit nicht abschließend beantwortet ist. Unddabei treten – trotz aller Erfolge – auch die zentralen Probleme des Aufbau Ost(wieder) zum Vorschein:

n Die halbierte Geburtenrate der neunziger Jahre schneidet tiefe demografischeSchneisen in die Bevölkerungsstruktur der neuen Länder. In den kommendenJahren wird die Zahl junger Menschen weiter zurückgehen. Die Zahl der Älte-ren wird sich verdoppeln. Die Zahl der Erwerbsfähigen wird in einigen Regio -nen um 50 (!) Prozent abnehmen.

n Die Unternehmen sind in Ostdeutschland nach wie vor zu klein. Auch wenn eseine Vielzahl von sehr erfolgreichen Unternehmen gibt: Es fehlen große Unter -neh menszentralen.

n Immer noch wird in Ostdeutschland zu wenig (industrielle) Forschung undEntwicklung betrieben. Die Zahl der F+E-Beschäftigten im Osten beträgt gera-de mal 10 Prozent der im Westen. Die Ausgaben für Forschung und Entwick -lung der Wirtschaft sind in den alten Ländern doppelt so hoch wie in den neuen.Zwar kompensiert die öffentliche Hand einiges, doch kann sie nicht wettma-chen, was (zu) kleine und weniger technologieorientierte Unternehmen nichtleisten können.

n Die Kleinteiligkeit der Industrie führt ebenfalls zu einer im Vergleich niedrige-ren Exportquote. Diese liegt in Ostdeutschland bei ca. 20 Prozent, in West deutsch -land ist sie doppelt so hoch.

n Die Zahl der Schulabbrecher ist etwa doppelt so hoch wie in einigen westdeut-schen Bundesländern. Damit entgehen dem Arbeitsmarkt nicht nur qualifizierteMitarbeiter, es fehlen damit gleichzeitig Aufstiegschancen.

13perspektive21

thomas kralinski – wo ist das licht?

Page 14: perspektive21 - Heft 53

n Eine regelrechte Zeitbombe ist die zu erwartende Altersarmut. Sie entstehtdurch niedrige Löhne – ein Fünftel der Ostdeutschen arbeitet für Löhne unter8,50 Euro – sowie die vielen und langen Phasen der Arbeitslosigkeit. Paralleldazu sind auch die Vermögen in Ostdeutschland um ein vielfaches kleiner alsin den alten Ländern.

n Durch das Zusammenspiel von zunehmendem Fachkräftemangel, niedrigenLöhnen und teilweise fehlender Fertigungstiefe könnte die ostdeutsche Wirt -schaft in den kommenden Jahren bzw. Jahrzehnten in eine schwierige Situationgeraten. Dann nämlich, wenn wegen mangelnder Produktivität keine höherenLöhne gezahlt werden können, man so auch weniger attraktiv für heiß umwor-bene Fachkräfte ist und damit letztlich auch weniger wettbewerbsfähig. EinKreislauf könnte in Gang kommen, der die Wirtschaft austrocknet.

Mit dem Auslaufen des Solidarpaktes 2019 wird die Sonderförderung für Ost -deutschland beendet, einen dritten Solidarpakt wird es nach Lage der Dinge nichtgeben. Ab 2020 sollen die Ost-Länder wie „normale“ Bundesländer be handeltwerden. Bis dahin muss man sich überlegen, wie man das (weniger werdende)Geld so einsetzt, damit die entscheidenden Probleme der Entwicklung in denneuen Ländern nicht die Luft abschnüren.

Nun wurde seit der Wiedervereinigung immer wieder nach einer allumfassendenStrategie, nach einem großen Wurf für den Aufbau Ost gerufen. Nur, gefundenwurden diese nie – auch nicht von denjenigen, die sie immer wieder einfordert hat-ten. Das ist auch den jüngsten Diskussionen anzumerken, die sich insbe sondere umGutachten des Bundesinnenministeriums und der Friedrich-Ebert-Stiftung ranktenoder um die regelmäßig wiederkehrende Debatte um die vermeintlichen Nachteilewestdeutscher Kommunen durch den Solidarpakt.

Mehr Mut

Der ganzen Debatte kann man eine gewisse Ratlosigkeit nicht absprechen. Dennvieles, fast alles, wurde in den vergangenen 22 Jahren schon ausprobiert. DieKernprobleme sind trotzdem nicht befriedigend gelöst. Zwar ist die Konzen tra -tion der Fördermittel weiter richtig, mögen radikale Brüche oder vollständigeNeuanfänge weder sinnvoll noch mehrheitsfähig sein. Das mag zur Anmutungführen, als sollte alles weitergehen wie bisher – einfach, weil uns nichts Besseresmehr einfällt, selbst wenn die Ergebnisse nicht voll befriedigend sind. Deshalbscheint es sinnvoll, sich auf erreichten Erfolgen nicht auszuruhen, sondern auf

14 august 2012 – heft 53

magazin

Page 15: perspektive21 - Heft 53

diesen aufzubauen. Es scheint die Zeit zu sein, die eine oder andere Strategie zuverschärfen, andere hingehen beiseite zu legen. Dazu vier Punkte:

n Kampffeld Nr. 1 muss die Absenkung der Schulabbrecherquote sein. In Zu kunftwird jeder einzelne gebraucht – und zwar mit guter Ausbildung. Wenn in Meck -lenburg-Vorpommern 14 Prozent, in Brandenburg und Sachsen knapp 10 Pro -zent jedes Jahr die Schule ohne Abschluss verlassen, sind das innerhalb wenigerJahre zehntausende junge Menschen ohne Perspektive. Deshalb brauchen dieSchulen ein neues System der Förderung, das schwache Schüler früh erkennt undentsprechend fördert. Und bei allen Bemühungen, mehr Schülerinnen undSchü ler zum Studium und damit zu höherer Bildung zu bewegen, muss die Ba -lance gewahrt bleiben. Denn die Mehrzahl der Schüler wird nach wie vor in denBetrieben als Azubis gebraucht.

n Angesichts der Tatsache, dass die Aufwendungen für Forschung und Entwick lungin den ostdeutschen Unternehmen viel zu niedrig sind, um langfristig gut amMarkt vertreten sein zu können, braucht es eine radikalere Form der Wir tschafts - förde rung. Neben der weiter auf hohem Niveau nötigen öffentlichen Förderung derFor schung in und um die Hochschulen sollte jeder Euro, der für F+E in Unter neh -men in Ostdeutschland eingesetzt wird, zusätzlich durch Steuergelder „veredelt“werden – um die Anreize zu stärken. Als verlängerte Werkbank hat der Osten inden kommenden keine Chance – und billiger geht es irgendwo anders immer.

n Ostdeutschland braucht stärkere und verantwortungsbewusste Arbeitnehmer -vertretungen. Überall dort, wo Gewerkschaften und Betriebsräte stark sind,sind Unternehmen besser durch die Krise gekommen und haben weniger Pro -bleme mit Fachkräftemangel. Starke Arbeitnehmervertretungen sind auch einwichtiger, wenn nicht der wichtigste, Baustein um langfristig höhere Löhnedurchzusetzen.

n Höhere Löhne, inklusive eines vernünftigen Mindestlohnes, sind gleichzeitig einefundamentale Voraussetzung dafür, dass Renten steigen können – und somit auchdas Problem der Altersarmut abgemildert werden kann.

Vor dem Hintergrund der Finanz- und Eurokrise ist der Aufbau Ost auf derdeutschen Themenliste deutlich nach hinten gerutscht – und es sieht nicht soaus, als würde sich das sobald ändern. Die regelmäßig aufflackernden Debattenum den Solidarpakt und Länderfinanzausgleich lassen auch nicht erwarten, dasses für die neuen Länder in Zukunft einfacher wird, mit ihren speziellen Proble -men in der deutschen Öffentlichkeit durchzudringen.

15perspektive21

thomas kralinski – wo ist das licht?

förde rung. Neben der weiter auf hohem Niveau nötigen öffentlichen Förderung der

Page 16: perspektive21 - Heft 53

Doch Entsolidarisierung ist mit Sicherheit kein Weg, der Probleme löst unddafür sorgt, dass wirtschaftlich erfolgreiche und finanziell stabile Länder entste-hen – das gilt in Europa genauso wie in Deutschland. Quantensprünge in derEntwicklung – noch dazu kurzfristige – sollte niemand erwarten. Einige der zentralen Problemfelder Ostdeutschlands sind jedoch in den vergangenen Jahrenstärker zum Vorschein getreten. Um sie anzugehen, braucht es einiges an Mut,Aus dauer und Beharrlichkeit. Aber das ist für die Ostdeutschen nichts Neues. n

THOMAS KRALINSKI

ist Chefredakteur der Perspektive 21 und Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion Brandenburg.

16 august 2012 – heft 53

magazin

Page 17: perspektive21 - Heft 53

Preußens deprimierendes EndeWIE DAS DEMOKRATISCHE BOLLWERK DER WEIMARER REPUBLIK

1932 SCHEITERTE

VON CHRISTIAN MAAß

D ie preußisch-deutsche Geschichte ist reich an Wendepunkten und wichtigenGedenktagen. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar

1933 hat sich ebenso in das öffentliche Gedächtnis eingeprägt wie der Beginn desZweiten Weltkrieges am 1. September 1939 und die Befreiung des Konzen tra -tions lagers Auschwitz am 27. Januar 1945. Darüber hinaus gibt es Tage wie den9. November, die gleich mit mehreren historischen Ereignissen – der Ausrufungder „deutschen Republik“ durch den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann1918, den Pogromen 1938 und dem Fall der Berliner Mauer 1989 – verbundensind.

Der 20. Juli ist ebenfalls ein Tag mit nicht nur einem historischen Datum,wobei die öffentliche Wahrnehmung und offizielle Erinnerung fast vollständigvom gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 dominiert wird. Infolgedessen konnten die Nationalsozialisten ihre Verbrechen bis zum bitteren Endefortsetzen. Weitere Millionen Menschen verloren ihr Leben.

Der Preußenschlag geriet in Vergessenheit

Weitgehend vergessen ist hingegen der 20. Juli 1932. So widmeten weder die dreigroßen Zeitungen Brandenburgs (Märkische Allgemeine, Märkische Oderzeitung undLausitzer Rundschau) dem 80. Jahrestag dieses Datums eine Zeile noch der Rund -funk Berlin-Brandenburg einen Bericht. An diesem Tag beseitigten Reichs präsidentvon Hindenburg – der erst kurz zuvor mit den Stimmen der SPD-Wäh ler in seinemAmt bestätigt worden war –, Reichskanzler von Papen und ihre reaktionäre Cliquein einem Staatsstreich das demokratische Preußen („Preußen schlag“). Als Deck -mantel diente ihnen dabei der fadenscheinige Vorwurf, die SPD-geführte Staats re -gierung sei für die bürgerkriegsartigen Zustände im Land verantwortlich und würdenicht ausreichend konsequent gegen die kommunistische Bedrohung vorgehen.

17perspektive21

Page 18: perspektive21 - Heft 53

Die geschäftsführende Staatsregierung unter Otto Braun (SPD) wurde ab- undReichskanzler von Papen als Reichskommissar für Preußen eingesetzt. Die abge-setzte preußische Staatsregierung wehrte sich mit der Anrufung des Staatsge -richts hofes in Leipzig. Ebenfalls gegen das Vorgehen des Reiches klagten dieLandtagsfraktionen der SPD und des Zentrums, Ministerpräsident Otto Braunund weitere Minister der Staatsregierung sowie die Länder Bayern und Baden.Die Staatsregierung wurde durch Ministerialdirektor im StaatsministeriumArnold Brecht und die SPD-Fraktion durch den Staatsrechtler Prof. HermannHeller vertreten. Für das Reich sprach neben weiteren Carl Schmitt. Obwohl dasGericht dem Antrag Preußens teilweise entsprach, blieb die Staatsregierung fak-tisch machtlos.

Durch diesen „entscheidenden Schritt zur Beseitigung der demokratischenVerfassungsordnung der Weimarer Republik und ihrer föderativen Basis“ (HorstMöller, S. 298) wurde die spätere Machtergreifung der Nationalsozialisten we -sentlich vorbereitet und erleichtert. Insofern stehen beide Daten auch in einemengen Zusammenhang, der aktuell in der Jungle World – wenn auch in sehr po -lemischer Form – dargestellt wird: „Der 20. Juli 1944 war nur der Versuch zukorrigieren, was man am 20. Juli 1932 selbst eingebrockt hatte. So stehen beideDa ten, der erfolgreiche Putsch gegen die Republik und der erfolglose gegen dieDik tatur, für das historische Scheitern konservativer Staatspolitik.“ (Volker Weiß)

Lehren aus dem Ende Weimars

Das Gedenken an den 20. Juli 1944 ist trotz der Diskussion um die Motive undden persönlichen Werdegang einiger Mitglieder vor allem des militärischen Wider -standes zentraler Bestandteil unserer Erinnerungskultur. Der Attentats versuch unddie ihn tragende Gruppe verdeutlicht, dass es Deutsche gab, die sich gegen Hitlerund den Nationalsozialismus erhoben. Die Würdigung der mutigen Tat der Män -ner und Frauen des Widerstandes ist konstituierend für unsere demokratischeKultur und Gesellschaft. Insofern ist das Urteil der Jungle World auch als undiffe-renziert zurückzuweisen. Fast noch wichtiger als das Verhalten in und der Wider -stand gegen eine Diktatur sind jedoch die Fragen, woran eine Demokratie scheitertund wie die Demokratie gesichert werden kann.

Diesen Fragen soll vor dem Hintergrund der Ereignisse des Preußenschlagesund der auf ihn folgenden Entwicklungen nachgegangen werden. Dabei werdendie für die Weimarer Republik und für Preußen als größten deutschen Teilstaat relevanten inneren und äußeren Bedingungen betrachtet. Darüber hinaus darf das

18 august 2012 – heft 53

magazin

Page 19: perspektive21 - Heft 53

Agieren der wichtigsten Akteure nicht unberücksichtigt bleiben. Insofern wird aufdas Verhalten der SPD (als wesentliche Stütze der Demokratie in Preußen und derWeimarer Republik) ebenso eingegangen wie auf das Verhältnis alter sowie neuerrechter und bürgerlicher Eliten zur Demokratie allgemein und zur Sozialdemo kra -tie im Besonderen. Auch die Rolle der Kommunisten darf bei diesem Vorhabennicht in Vergessenheit geraten.

Kampf um die Köpfe

Eine auf Dauer funktionierende, starke und lebendige Demokratie muss sich denRückhalt bei den Menschen immer wieder neu erarbeiten. Sie muss den Kampf umdie Köpfe gewinnen. Ebenso grundlegend ist die wirksame Auseinandersetzung mitihren Feinden. Zudem kann der demokratische Staat dauerhaft nur überleben,wenn er die vor ihm stehenden Aufgaben bewältigt. Dazu gehören in erster Linie dieSicherung von Frieden und Sicherheit sowie sozialer Gerechtigkeit, Menschen wür de,Freiheit und die Wahrung des Rechtsstaates. Heute erlangt zudem der Erhalt unse-rer natürlichen Lebensgrundlagen eine immer größere Bedeutung. Darüber hi nausbraucht auch und gerade die Demokratie starke politische Füh rungs persön lich kei -ten, die zum einen die notwendigen Entscheidungen treffen und mutig durchset-zen. Zum anderen müssen sie den Menschen Halt bieten und Vertrauen in die Po li -tik und die zentralen Institutionen des demokratischen Staates schaffen.

Die Weimarer Republik ist letztendlich an all diesen Herausforderungen ge-scheitert. Auch wenn Weimar formal noch bis zum 30. Januar 1933 oder sogar bisBeschluss des Ermächtigungsgesetzes im März 1933 bestand, eine Demokratie wares seit dem 20. Juli 1932 nicht mehr.

Inwieweit die Weimarer Republik aufgrund der äußeren und inneren Bedin -gun gen überhaupt in der Lage war, die vor ihr liegenden Herausforderungen zumeistern, kann hier nicht beantwortet werden. Es gab jedoch keinen historischenAutomatismus, an dessen Ende von vornherein Hitler, der Nationalsozialismusund vor allem Krieg und Holocaust gestanden hätten. Im Zuge der Weltwirt -schafts krise nach 1929 sahen sich viele Staaten vor enorme Herausforderungen gestellt. Ein von Heinrich August Winkler durchgeführter Vergleich kam aber zudem Ergebnis, dass Deutschland als einziges hoch entwickeltes Industrieland im„Verlauf der Weltwirtschaftskrise seine Demokratie aufgab und durch eine totali -täre Diktatur von rechts ersetzte …“. (Heinrich August Winkler 2005, S. 609) Soantwortete die USA auf die Krise nicht mit einer Diktatur, sondern mit dem NewDeal von Präsident Roosevelt.

19perspektive21

christian maaß – preußens deprimierendes ende

Page 20: perspektive21 - Heft 53

Dennoch können die Rahmenbedingungen der Weimarer Republik und desFreistaates Preußen – nicht erst seit 1929 – als schwierig und herausfordernd be-zeichnet werden. Die zentralen Akteure waren vom Kaiserreich mit seinen besten-falls vordemokratischen und gegen die Sozialdemokratie gerichteten Haltungenebenso geprägt wie das politische, kulturelle, gesellschaftliche und soziale Lebenbreiter Schichten der Bevölkerung. Dazu gehören das Arrangement des Bürger -tums mit dem Obrigkeitsstaat nach dem Scheitern der Revolution von 1848 undder gewaltsamen Schaffung der inneren Einheit unter Bismarck ebenso wie die(mentalen) Folgen der Sozialistengesetze. Mit dem von Heinrich Mann so poin-tiert dargestellten Untertan ist eine Demokratie ebenso schwer zu organisieren wiemit dem von Theodor Fontane im Stechlin beschriebenen Gundermann, der das„große Haus mit den vier Ecktürmen“, den Reichstag, abschaffen will. Als deutscheBesonderheit kommt die starke Stellung der Junker hinzu, die sich bereits sehr frühund aktiv gegen die Demokratie positionierten.

Versailles und die deutsche Innerlichkeit

Die Republik und die demokratische Regierung waren mit dem Makel des verlo re -nen Krieges und des Vertrages von Versailles („Schandvertrag“), Gebiets ab tre tungensowie dem Verlust deutscher Weltgeltung behaftet. Welche Belastungen sich ausVersailles ergaben, unterstreicht die Kritik aus historischer Sicht, die nicht nur vonrechts vorgetragen wird (vgl. Christian Graf von Krockow, S. 129f. und Golo Mann,S. 671ff.). Der abgedankte Kaiser blieb zudem im niederländischen Exil als scheinba-re Alternative zum bestehenden System virulent. Weimar und die Demo kratie stan-den von Anfang an in einem Kampf um die Köpfe breiter Schich ten – nicht nur derMittel- und Oberschicht –, den sie langfristig verloren haben. Christian von Kro -ckow spricht in diesem Zusammenhang vom „deutschen Dä mon“. Er beschreibt eingeistiges Klima, das durch den Kampf gegen die „No vemberverbrecher“, zu denennicht nur die SPD, sondern auch Politiker wie der ermordete Walter Rathenau zähl-ten, gekennzeichnet war. Abgelehnt und bekämpft wurden „Parlamentarismus undParteienherrschaft, Liberalität, Weltoffenheit, De mokratie, Freiheit zur Vielfalt, zumAndersdenken und Anderssein, Idee und Praxis des Pazifismus. … Dagegen stelltman als wahrhaft deutsch: Gemeinschaft, Füh rer tum und Gefolgschaft, Herrschaftund Hierarchie, …, den Kampf und den Krieg, die Opfer- und Todesbereitschaft.“(Christian Graf von Krockow, S. 155)

Mit Carl Schmitt spielte als Prozessvertreter des Reiches – wie oben kurz er -wähnt – eine der zentralen Figuren des intellektuellen Kampfes gegen die Demo -

20 august 2012 – heft 53

magazin

Page 21: perspektive21 - Heft 53

kratie eine wichtige Rolle in der juristischen und nachfolgend auch publizisti-schen Auseinandersetzung um den Preußenschlag. Ihm stand mit HermannHeller ein Staatsrechtler und Politikwissenschaftler gegenüber, der sich wie we -nige seiner Zunft um die Demokratie und Preußen verdient gemacht hat. Auf -grund seiner geistigen Brillanz erwies sich Schmitt als besonders gefährlicherGegner. Hermann Heller kämpfte im Prozess nicht nur gegen die vorgeschobe-nen rechtlichen Argumente Schmitts und der anderen Reichsvertreter. Er wehrteauch alle Angriffe gegen die persönliche Ehre und den politischen Leumund vonMinisterpräsident Otto Braun und Innenminister Carl Severing ab: „Wenn esheute überhaupt noch einen deutschen Rechtsstaat gibt, so liegt es daran, dasssich gerade die Herren Braun und Severing für ihn immer wieder eingesetzthaben ...“ (Preußen contra Reich, S. 407). Den großen Einsatz Hellers hieltSchmitt – er und Heller kannten sich auch persönlich – am 17. Oktober 1932 in seinem Tagebuch fest: „Heller tobte los, protestierte gegen die Beschimp fun-gen Brauns und Severings.“ (Reinhard Mehring, S. 294)

Carl Schmitt verteidigte den Staatsstreich nicht nur juristisch, sondern hob auchnoch die persönliche Rolle Hindenburgs als Vertreter der Dignität und EhrePreußens hervor. Er sprach somit für eben jenen Reichspräsidenten, dessen Ehre –um dieses nicht unproblematische Wort noch einmal aufzugreifen – auch darin be-stand, den ihm treu ergebenen Kanzler Brüning einfach wie einen ungetreuenGutsverwalter vom Hof zu werfen (Carlo Schmid, S. 157). Dies geschah mit demZiel, die Sozialdemokraten aus Staat und Verwaltung zurückzudrängen. Dass erdamit die Weimarer Republik immer tiefer in die Krise trieb und die Demo kra tieaushöhlte, nahm er billigend in Kauf. Darüber hinaus hatte er keine Skrupel, einen Blankoscheck für das Vorgehen gegen den preußischen MinisterpräsidentenOtto Braun auszustellen, der nur wenige Monate zuvor ganz wesentlich für seineWie der wahl geworben hatte.

Carl Schmitt gegen Hermann Heller

Für sein Wirken wurde Carl Schmitt 1933 von Hermann Göring mit der Er nen -nung zum preußischen Staatsrat belohnt, einen Titel, auf den er immer stolz war.Hermann Heller schrieb ihm dazu eine lakonische Postkarte aus seinem spanischenExil, in dem er noch 1933 starb: „Zur überaus wohlverdienten Ehrung durch Mi nisterGoering beglückwünscht Sie Hermann Heller.“ (Reinhard Mehring, S. 294)

Dass ein Ausbrechen aus diesem alten Denken möglich war, zeigt die Wand -lung Thomas Manns während der Weimarer Jahre. Aus dem Autor der Be trach -

21perspektive21

christian maaß – preußens deprimierendes ende

Page 22: perspektive21 - Heft 53

tungen eines Unpolitischen und Unterstützer des Ersten Weltkrieges wurde einFürsprecher Weimars und der Republik: „Wer im Ersten Weltkrieg und danachPositionen vertrat wie Thomas Mann, endete meistens als Nationalsozialist ... .Thomas Mann nicht.“ (Hermann Kurzke, S. 354f.) Der Autor des Zauberbergssetzte sich gerade in den Krisenjahren nach 1929 noch einmal für das für denBestand der Demokratie so notwendige Bündnis von Bürgertum und Sozialde -mo kratie ein. Er fand aber wie die anderen Demokraten zu wenig Gehör. DieDämonen setzten sich durch.

Das gegen die Demokratie und ihre Werte gerichtete Denken fand seinen Nie -der schlag im Handeln einer Vielzahl von Parteien in der Zeit von 1918 bis 1933.Die Weimarer Republik war von Anfang an eine Demokratie mit wenigen An -hängern und vielen Feinden. Bei der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetzam 24. März 1933 verblieben nur mehr die Sozialdemokraten als Träger derDemokratie. Selbst das Zentrum und die ehemalige Deutsche DemokratischePartei (DDP) stimmten für das Ermächtigungsgesetz. Das gemäßigte Bürgertumhatte das für den Erhalt der Demokratie notwendige Bündnis mit den Sozialde -mokraten aufgekündigt.

Ablehnung in den Köpfen

Den rechten Parteien spielten dabei die Dolchstoß- und auch die Kriegs un schulds -legende in die Hände. Wenn auch viele Faktoren zusammenwirkten, so war doch dasspäter verschleierte offensive und aggressive Handeln des Kaisers und der Reichs -leitung in den schicksalhaften Tagen des Jahres 1914 entscheidend für den Beginndes Ersten Weltkrieges. Die SPD hatte direkt nach dem Krieg die Möglichkeit, dieentsprechenden Akten zu veröffentlichen und entstehende Le genden noch zu ent-kräften. Darüber gab es sogar eine Debatte auf dem ersten Nachkriegsparteitag derSPD Mitte Juni 1919 in Weimar. „Machen wir uns doch frei von den Ehrbegriffender Bourgeoisie, nur die Wahrheit, die volle Wahr heit kann uns nützen.“ (HeinrichAugust Winkler 2007, S. 66) Doch anders als von Eduard Bernstein gefordert, hattedie SPD nicht den Mut zur Stunde der Wahr heit und musste später dafür einen ho-hen Preis bezahlen. Nicht nur die deutsche Kriegsschuld wurde verneint. Die Dolch -stoßlegende behauptete, dass das im Feld unbesiegte deutsche Heer durch einenDolchstoß von hinten besiegt worden sei. Auch dieser rechte Mythos fiel auf einenmehr als fruchtbaren Boden.

Kriegswirren, Revolutionserfahrungen sowie die Folgen des rasanten wirtschaftli-chen Abstiegs bis zur fast vollständigen Geldentwertung führten zu einer tief greifen-

22 august 2012 – heft 53

magazin

Page 23: perspektive21 - Heft 53

den Verunsicherung der breiten Massen. Sie bereiteten den Boden einer Radi ka lisie -rung und Enthemmung gerade bei rechten und nationalistischen Kreisen. PolitischeMorde waren an der Tagesordnung, die von der weitgehend aus dem Kaiserreichüber nommenen Justiz, sofern von rechts verübt, fast immer gedeckt wurden. So er-mittelte der Statistiker Gumbel 22 Morde von links und 354 von rechts in den Jahren1918 bis 1922. Dabei ergingen zehn Todesurteile an die linken Täter und keines an einen rechten. Durchschnittlich wurden linke Täter zu fünfzehn Jahren und rechte zueiner viermonatigen Freiheitsstrafe verurteilt (Christian Graf von Krockow, S. 136f.).

Abstieg, Inflation und Gewalt

Hinzu kommen die objektiv schwierigen ökonomischen Rahmenbedingungen.Die Reparationszahlungen aus dem Versailler Vertrag stellten eine erhebliche Be -lastung dar. Nach einer kurzen Phase der Stabilisierung in der zweiten Hälfte derzwanziger Jahre haben dann vor allem die Folgen der Weltwirtschaftskrise und das(vorläufige) Scheitern des Staates bei ihrer Bewältigung die ohnehin schwacheDemokratie noch zusätzlich untergraben. Als besonders problematisch erwies sichdabei die nach dem 25. Oktober („Schwarzer Freitag“) des Jahres 1929 rasant an-steigende Arbeitslosigkeit. Carlo Schmid schreibt dazu in seinen Erinnerungen:„Der 13. Juli 1931 [Zusammenbruch der Darmstädter und Nationalbank (Danat-Bank) und Beginn einer Banken- und Vertrauenskrise in Deutschland], der‚Schwarze Freitag‘, und was danach folgte, demoralisierte die Bevölkerung Berlinsvöllig. … Was bisher als Elend vieler einzelner begriffen wurde, bekam nun denAnschein eines Zusammenbruches von Staat und Gesellschaft. Die Wahlkämpfewurden dramatischer als zuvor, Straßenschlachten zu einem ständigen PhänomenBerliner Lebens. Der Sportpalast fungierte als Hexenküche des Unheils. Jetzt erstbegriff man, daß jener Goebbels, den gestern noch keiner kennen wollte, das Zeughatte, den Acheron aufzuwühlen. Das Kleinbürgertum, die Angestellten, die bis-lang in den politischen Parteien klassischen Stils mehr oder weniger untergingenund sich durch diese kaum mehr vertreten fühlten, sahen in der NSDAP einenHoffnungsbringer.“ (Carlo Schmid, S. 137)

Wenn auch die Zahl der politischen Morde von rechts die Zahl der von linksbegangenen Taten deutlich übersteigt, die Angriffe von links (vor allem der Kom -munisten) führten zu einer Schwächung der Sozialdemokratie und damit der De -mo kratie und Weimarer Republik. Die im Ersten Weltkrieg erfolgte Spaltung derArbeiterbewegung wurde in ihrer negativen Wirkung durch die Politik Moskausnoch verstärkt. Die bald von der Sowjetunion gestützten und gesteuerten Kom -

23perspektive21

christian maaß – preußens deprimierendes ende

Page 24: perspektive21 - Heft 53

munisten entwickelten sich zu einem immer wirksameren Gegner der Sozialde mo -kratie. Sie griffen die SPD an, wo immer sie nur konnten („Die KPD hatte dieRegierung Otto Braun bis zuletzt auf das schärfste bekämpft.“ [Heinrich AugustWinkler 2005, S. 596]). Dabei scheuten sie auch vor einer partiellen Zusam men -arbeit mit den Deutsch-Nationalen und Nationalsozialisten nicht zurück.

Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im preußischen Landtag, Ernst Heilmann,zählte 32 Fälle des gemeinsamen Abstimmens von äußersten Rechten und Linkenam Vorabend der schicksalhaften Landtagswahlen am 24. April 1932. Auch im au-ßerparlamentarischen Bereich wurde kooperiert. So unterstützte die KPD den vonden Rechten initiierten Volksentscheid zur Auflösung des Preußischen Landtagesam 9. August 1931. Zugleich boten sie ob des angeblich nicht ausreichenden anti-kommunistischen Einsatzes der Sozialdemokraten den Rechten immer wieder ei-nen willkommenen Vorwand für Maßnahmen gegen diese. Überbleibsel dieser ver-heerend wirkenden Politik sind bei den heutigen Linken noch immer virulent. Sofindet sich in einem Beitrag auf der Homepage der Linkspartei die Aussage: „Preu -ßen wurde von der SPD-Führung faktisch kampflos jenen Kräften überlassen, dieHitler an die Macht bringen wollten.“ (Ronald Friedmann)

Deprimierendes Ende oder kampflose Aufgabe?

Auf den ersten Blick scheint es sich dabei um eine rhetorische Frage zu handeln.Preußen fiel in die Hand der Reaktion in Gestalt des Reichspräsidenten und seinesKanzlers von Papen („Herrenreiter“ an der Spitze des „Kabinetts der Barone“). Andieser Stelle geht es aber um das Lernen aus historischen Entwicklungen. Insofernist die Frage nach dem Ende Preußens mehr als eine rhetorische Frage.

Für die Kommunisten ist der Kampf um die Deutung der Geschichte vor allemTeil der politischen Auseinandersetzung sowie des Machterwerbs und -erhalts.Damals wie heute dienen die Aussagen der Kommunisten/Linken nicht der Ana -lyse der wirklichen Ursachen und Abläufe, sondern bieten die Grundlage für An -griffe auf die SPD und die Verschleierung der eigenen Verfehlungen („die moskau-hörige KPD irrlichterte der Sozialfaschismusthese hinterher“ [Volker Weiß]).

Eine sachliche und objektive Analyse kann nur zu dem Schluss kommen, dass essich bei der fehlenden kämpferischen und auf die preußische Polizei, die Gewerk -schaften und die Verbände der Eisernen Front gestützte Reaktion der SPD nicht umeine ruhm- und kampflose Kapitulation handelte. Der Sozialdemokratie fehlten1932 die Mittel zu einem wirksamen Widerstand. Ein eindrucksvoller Widerstandwäre nach objektiver Beurteilung wohl auf eine Katastrophe hinausgelaufen.

24 august 2012 – heft 53

magazin

Page 25: perspektive21 - Heft 53

„Juncker-Preußen oder Arbeiter-Preußen, das allein steht zur Entscheidung!“,formulierte Ernst Heilmann vor der bereits erwähnten Wahl zum preußischenLandtag im März 1932. Anders aber als Heilmann fortfährt, galt im Frühjahr vor80 Jahren schon nicht mehr: „Die Republik Preußen ist das feste Bollwerk derDemokratie in ganz Deutschland geworden.“

Preußen war das Bollwerk der Demokratie

Unabhängig davon, ob Heilmann dies ahnte oder nicht, im Wahlkampf hätte er esso oder so nicht aussprechen dürfen. Diese Illusion von der eigenen Stärke war aberbei vielen Anhängern der SPD und ihren Sympathisanten noch vorhanden: „ZuSeverings Mannen hatte man Vertrauen. Niemand hätte damals für möglich gehal-ten, dieser als starke Mann geltende sozialdemokratische Innenminister Preußenswerde eines Tages sich und die demokratische Regierung des Landes ohne Gegen -wehr durch einen Herrn von Papen verjagen lassen (Carlo Schmid, S. 137).“ Gera -de weil diese Illusion über die eigene Stärke noch bestand, wirkte die dann ausblei-bende große Reaktion so demoralisierend.

Dabei war Preußen unter der Führung Otto Brauns über viele Jahre das festeBollwerk der Demokratie. Aber die stetigen und immer mehr zunehmenden An -griffe von rechts, die mit dem Antritt des Kabinetts von Papen immer manifesterwurden und im Zusammenspiel mit der Reichswehr und dem Reichspräsidentenvon Hindenburg entscheidend an Durchsetzungskraft gewonnen hatten, unter -gruben die Abwehrfähigkeit Preußens immer mehr. Mit dem sich auf Notverord -nungen stützenden Kabinett Brüning wurde zum einen der verfassungsrechtlicheRahmen für die schrittweise Ausschaltung der Demokratie geschaffen. Zugleichwar die auf eine langfristige Stabilisierung Deutschlands gerichtete Politik desZentrums-Kanzlers kurzfristig mehr als kontraproduktiv und trug entscheidend zu Destabilisierung Deutschlands bei.

„Die soziale, ökonomische, mentale und politische Krise war so fundamental wienie zuvor in der Geschichte der Republik.“ (Horst Möller, S. 303) Hinzu kam dasvernichtende Wahlergebnis vom 24. April 1932. Die SPD verlor im Vergleich zuder Wahl des Jahres 1928 fast acht Prozent der Stimmen (21,2 Prozent zu 29 Pro -zent) und 42 Mandate (von 136 auf 94). Die preußische Koalition von SPD, Zen -trum und DDP/DStP errang gemeinsam nur noch einen Sitz mehr als die NSDAPallein (163 zu 162). An eine Mehrheit für eine demokratische Koalition war nichtmehr zu denken. Es konnte aber auch keine andere neue Regierung gebildet werden.Aus diesem Grund blieb die Regierung Braun geschäftsführend im Amt.

25perspektive21

christian maaß – preußens deprimierendes ende

Page 26: perspektive21 - Heft 53

Als eine weitere Schwächung erwies sich die Entlassung Albert Grzesinskis alspreußischer Innenminister im Jahr 1930, vertrat er doch eine kämpferische und aktivere Linie als sein Nachfolger Carl Severing. Zudem war MinisterpräsidentBraun persönlich (durch Krankheit, Depression und Amtsmüdigkeit) angeschlagen.

Für Hagen Schulze – der sich in seiner Braun-Biografie sehr intensiv mit demPreußenschlag beschäftigt hat – liegen die Versäumnisse ebenfalls vor den Ereig -nissen des Jahres 1932. Braun hätte sich 1928 aufschwingen und den Dualismusvon Preußen und Reich beseitigen sollen. Er hätte den Sprung an die Reichsspitzewagen müssen. Ob dieser Schritt allerdings gelungen und langfristig erfolgreich gewesen wäre, muss offenbleiben: „Aber der Versuch mußte und konnte unter-nommen werden.“ (Hagen Schulze, S. 858)

Auch wenn der Kampf der SPD für Republik und Demokratie sowie gegen denPreußenschlag letztendlich nicht erfolgreich waren, endet die preußisch-branden-burgische Geschichte nicht wie noch in Schulzes Braun-Biografie mit der HandvollAsche in einem Schweizer See, in dem der ehemalige Ministerpräsident, Demokratund deutsche Staatsmann still und vergessen seine letzte Ruhe fand.

Seit 1990 gibt es wieder ein demokratisches Brandenburg als Teil des früherenPreußen. Die SPD ist dabei federführend an allen Landesregierungen beteiligt. Ein sozialdemokratisch geführtes Brandenburg ist ein später Triumph für alle, dieschon in Weimar für ein demokratisches Preußen und die Sozialdemokratie ge-kämpft haben. Es liegt in der Hand der heutigen Sozialdemokraten, die Zukunftdes Landes erfolgreich zu gestalten. Dabei helfen auch die Lehren aus Weimar undaus dem Kampf gegen den Preußenschlag. n

CHRISTIAN MAAß

ist Geschäftsführer der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik in Brandenburg.

26 august 2012 – heft 53

magazin

Page 27: perspektive21 - Heft 53

Literatur

Ronald Friedmann, Preußenschlag. Mit der Kapitulation der SPD während des Staatsstreiches im größten deutschen Teilstaat be -gann vor 80 Jahren die Endkrise der Weimarer Republik. www.die-linke.de/nc/dielinke/nachrichten/detail/artikel/preussenschlag (19. Juli 2012)

Christian Graf von Krockow, Die Deutschen in ihrem Jahrhundert 1890 – 1990, Reinbek 1990

Hermann Kurzke, Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk, München 1999

Golo Mann, Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 2004

Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biographie. München 2009

Horst Möller, Preußen von 1918 bis 1947. Weimarer Republik, Preußen und der Nationalsozialismus, in: Wolfgang Neugebauer(Hg.), a.a.O.

Wolfgang Neugebauer (Hg.), Handbuch der Preußischen Geschichte, Band III, Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und GroßeThemen der Geschichte Preußens, Berlin, 2001

Preussen contra Reich vor dem Staatsgerichtshof [Stenogrammbericht d. Verhandlungen vor d. Staatsgerichtshof in Leipzig vom10. bis 14. u. vom 17. Oktober 1932]/mit einem Vorwort von Brecht. Unveränd. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1933. Glas hüt tenim Taunus 1976

Carlo Schmid, Erinnerungen, Bern 1980

Hagen Schulze, Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung, Frankfurt am Main 1981

Volker Weiß, Der vergessene Putsch, in: Jungle World, 19. Juli 2012

Heinrich August Winkler, Weimar 1918 – 1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 2005

Heinrich August Winkler, Auf ewig in Hitlers Schatten? Anmerkungen zur Deutschen Geschichte, München 2007

Ernst Heilmann, Wahlkampfansprache zu den preußischen Landtagswahlen am 24. April 1932, Archiv des Deutschen HistorischenMuseums, www.dhm.de/medien/lemo/audios/heilmann.html.

27perspektive21

christian maaß – preußens deprimierendes ende

Page 28: perspektive21 - Heft 53

28 august 2012 – heft 53

magazin

Page 29: perspektive21 - Heft 53

Die Energiewende beginnt im KopfIN BRANDENBURG SIND VERNETZTES DENKEN UND LOKALE AKTIVITÄTEN

DIE TRIEBKRÄFTE EINER ERFOLGREICHEN ENERGIEPOLITIK

VON RALF HOLZSCHUHER

Zu Beginn dieses Jahres habe ich 2012 als „Jahr der Energie“ bezeichnet. Ener -gie ist eines der strategisch zentralen Politikfelder der Zukunft. Die Art und

Weise, wie wir leben und wirtschaften, wird ganz wesentlich davon abhängen, wieuns die Energiewende gelingt. Deshalb nennt die Brandenburger Energiestra tegieauch vier Ziele, die wir in Übereinklag kriegen müssen: Ausbau der erneuerbarenEnergien, Versorgungssicherheit, Preisstabilität und Akzeptanz.

Seit Jahren ist Brandenburg in Deutschland führend beim Ausbau der erneu-erbaren Energien. Wir sind damit gleichzeitig ein „Labor der Energiewende“ –denn selbst beim Abbau der Atomkraft haben wir Erfahrung. Die Demontage des(vergleichsweise kleinen) Kernkraftwerkes in Rheinsberg dauert nun bereits zweiJahrzehnte – und zeigt, wie schwierig und zeitaufwendig die Abschaltung dieserEnergieform ist. Aber auch der Ausbau der erneuerbaren Energien läuft nicht pro-blemfrei: Kritisch wird der Ausbau der Windkraft gesehen, Belange des Natur-und Artenschutzes werden diskutiert oder die Verlegung von dringend notwen -digen neuen Stromleitungen wird hinterfragt.

Eine Operation am offenen Herzen

Bis Mai dieses Jahres wollte die Bundeskanzlerin von Problemen bei der Energie -wende nichts wissen. Alles sei auf gutem Weg, so die betont gelassene Darstel lungder schwarz-gelben Koalition im Bund. Seit dem desaströsen Abschneiden derCDU bei der Landtagswahl in NRW ist das anders. In Deutschland wird jetztplötzlich viel über die Energiewende geredet. Die Kanzlerin schickte ihren Um -welt minister von heute auf morgen als Wahlkampf-Bauernopfer in die Wüste. Sie lud selbst zu einem schlecht vorbereiteten und ergebnislosen Energie gipfel insKanzleramt. Und schließlich erklärte der neue Umweltminister, die Energiewendein Deutschland drohe gar zu scheitern. Kurzum: Das schwarz-gelbe Regie rungs -

29perspektive21

Page 30: perspektive21 - Heft 53

chaos hat die deutsche Energiepolitik erreicht. Einen energiepolitischen Deutsch -land-Plan hat diese Bundesregierung nicht. Dabei wäre er bitter nötig.

Brandenburg ist da besser aufgestellt. Mit unserer Energiestrategie 2030 sindwir auf klarem Kurs. Im Gegensatz zur Bundesregierung wissen wir nicht erstseit ein paar Wochen vor welch großen Herausforderungen wir stehen. Energie -politik gleicht einer Operation am offenen Herzen. Wir stehen vor großen strate-gischen und kommunikativen Herausforderungen. Energie wird in Zukunft nichtmehr nur in einer Handvoll großer Kraftwerke produziert, sondern in jeder Eckeunseres Landes. Und dort muss Energie entweder gespeichert oder in andereTeile Deutschlands transportiert werden. Nur wenn uns das gelingt, werden wirden von vielen für selbstverständlich erachteten Strom auch in Zukunft aus derSteckdose bekommen. Nur so lassen sich Stromengpässe, die es im vergangenenWinter in Deutschland bereits gab, vermeiden. Und nur so wird es uns auchgelingen, Deutschland als führendes Industrieland in der Welt zu erhalten. Schei -tert die Energiewende, nimmt Deutschlands Wohlstand schweren Schaden.

Energie vor Ort nutzen

Wie weit Brandenburg auf dem Weg zur Energiewende schon gegangen ist, habeich auf meiner Sommertour gerade wieder hautnah erleben können. Ich wolltemir ein ganz persönliches Bild über die Energiewende in Brandenburg machen –angefangen von den vielfältigen Aktivitäten in unseren Städten und Gemeindenüber die innovativen Ideen unserer Landwirte und Unternehmer bis hin zur hei-mischen Spitzentechnologie. Eine der wichtigsten Nachrichten ist: Die Energie -wende ist nicht nur möglich, in Brandenburg findet sie längst statt. Dabei kristal -lisierten sich für mich fünf Punkte heraus, die wir in den kommenden Mo natenangehen müssen:

ERSTENS: DIE ENERGIEWENDE FINDET IM KOPF STATT. Man mag es kaum für mög-lich halten, aber selbst deutsche Gesetzestexte können Exportschlager sein. DasErneuerbare-Energien-Gesetz, eine Erfindung der rot-grünen Bundesregierung, istbereits in vielen Ländern kopiert worden, weil es ein hervorragendes Instrumentist, um den Ausbau von erneuerbaren Energien vor allem mittels Einspeisever -gütungen zu forcieren. Dabei ist aus dem Blickwinkel geraten, dass erneuerbareEnergien auch da, wo sie entstehen, genutzt werden können. Ein Unternehmenaus Brandenburg baut Häuser mittlerweile so, dass sie (zusammen mit leistungs-fähigen Speichern und einer Strategie zur Energieeinsparung) bis zu 90 Prozent

30 august 2012 – heft 53

magazin

Page 31: perspektive21 - Heft 53

ihres Stromverbrauchs über das Solardach produzieren können. Wenn so etwasmehr und mehr gelingt, entlastet dies auch das Stromnetz, womit auch der Be -darf an neuen Leitungen geringer werden kann.

Noch fehlen die Energiespeicher

Das Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, in Kreisläufen zu denken. Deshalb ist esauch klug, Kindern das Thema Energie nahezubringen. Bereits heute gibt es sol-che Angebote für Kitas und Grundschulen, die wir dringend ausbauen sollten.Denn damit wächst nicht nur das Verständnis für Stromerzeugung und -einspa-rung. Kindern wird auch der Zugang zu technischen Themen und Berufen er -leichtert – der Nachwuchs für die so wichtigen Ingenieure wird damit gleich mitgewonnen. Denn die Energiewende werden wir nur mit Hochtechnologie meis-tern, mit neuen Investitionen in Forschung und Entwicklung, mit attraktivenHochschulen, die eng mit Unternehmen kooperieren.

Wir werden die Energiewende nicht im Wettbewerb mit chinesischer Massen -pro duktion von Solarpaneelen meistern. Wir in Brandenburg haben das mit denWerksschließungen in Frankfurt (Oder) schmerzlich erfahren müssen. Ich binsicher, dass wir in Deutschland auch in Zukunft Solaranlagen wettbewerbsfähigproduzieren können. Ich denke dabei nicht an die Massenware, die sich auf dasübliche Dach eines Einfamilienhauses schrauben lässt. Ich denke vielmehr an diespeziellen, individuellen Lösungen, die innovative Ingenieurskunst abverlangen.Was ist beispielsweise mit den vielen denkmalgeschützten Gebäuden, auf denensich in Farbe und Form individuell angepasste Lösungen finden lassen? Hier ha -ben unsere Ingenieure einen gewaltigen Vorsprung vor der asiatischen Kon kur -renz. Wir sollten dieses Potential stärker nutzen. Das sichert auch Arbeits plätze.Deutsche Ingenieurskunst ist gefragt – und die braucht mehr Nachwuchs denn je.

ZWEITENS: BÜRGER MÜSSEN BETEILIGT WERDEN – UND ZWAR SPRICHWÖRTLICH. Dermit Abstand effektivste erneuerbare Energieträger ist Wind, Brandenburg ist beidessen Ausbau bundesweit führend. Vielerorts gibt es dagegen bereits Proteste.Aber dennoch: Wir werden auch in Zukunft Windräder in Sichtweite von Ort -schaften bauen müssen. Dafür brauchen wir Mindestabstände, die bei mindestens1.000 Meter bis zur nächsten Siedlung liegen müssen. Der Mindestabstand alleinwird die Akzeptanz der Anwohner aber nicht herstellen können. Helfen kannhier die Beteiligung der Anwohner an dem Ertrag der Windkraftanlage. Wer amJahresende einen ordentlichen Abschlag auf seine Stromrechnung bekommt, hat

31perspektive21

ralf holzschuher – die energiewende beginnt im kopf

Page 32: perspektive21 - Heft 53

materiell etwas davon. Wo dies bereits stattfindet, lassen sich erhebliche Akzep -tanzsprünge erkennen. Wie ich bei den Stadtwerken in Schwedt erfuhr, suchtman in diesem Zusammenhang dort inzwischen sogar gezielt nach Flächen fürWindräder in Sichtweite von Anwohnern, weil diese aus dem Fenster sehen wol-len, wie sich „ihr“ Windrad dreht und den eigenen Geldbeutel füllt. Eine bemer-kenswerte Entwicklung, die sich auch bei Solarparks bereits abzeichnet. Nicht selten stellen diese langfristig eine wichtige Steuereinnahme für Kommunen dar.Eine solche Form der Bürgerbeteiligung bringt am Ende eine deutlich höhereUnterstützung für die Energiewende vor Ort.

DRITTENS: WINDKRAFT KANN MAN AUCH IM WALD GEWINNEN. Schon in der Bran -den burgischen Energiestrategie 2020 wurde festgelegt, dass zwei Prozent unsererLandesfläche für Windkraftanlagen zur Verfügung gestellt werden sollen. In derEnergiestrategie 2030 haben wir diese Vorgabe bestätigt. Ich weiß um die Vor be -halte von manchen Anwohnern gegen Windkraftanlagen. Ich bin aber der Auf -fassung, dass ein so großes Bundesland wie Brandenburg zwei Prozent Flächen -verbrauch für den effektiven Energieträger Wind gut verkraften kann. Natürlichmüssen wir zuallererst dort nach neuen Flächen suchen, wo wenig oder gar keineMenschen leben. Auf meiner Sommertour habe ich mir bei Lübben eine Wind -kraftanlage in einem Wald angesehen. Apropos an-„gesehen“. Wirklich gesehenhabe ich das Windrad erst, als ich unmittelbar davor auf der Lichtung stand.Beeindruckt war ich zudem von den Aussagen einer Biologin. So habe die Lich -tung um das Windrad die Arten- und Pflanzenvielfalt in dem Wald sogar erhöht.Negative Auswirkungen auf Mensch und Natur gäbe es kaum. Und auch demhäufig vorgebrachten Einwand, für ein Windrad im Wald müssten ganze Schnei -sen für Stromleitungen neu geschlagen werden, halte ich die praktische Erfahrungmeines Besuches entgegen: Zu dem Windrad führt ein befestigter Schotterweg,wie er in vielen Wäldern Brandenburgs zu finden ist. Und unter diesem Schotter -weg führen die Leitungen entlang – ganz ohne negative Auswirkungen auf dieNatur. Wenn wir Windräder nicht näher an die Siedlungen heranlassen wollen,müssen wir sie auch im Wald, insbesondere in Nutzholzplantagen, akzeptieren.

VIERTENS: SPEICHERTECHNOLOGIEN GEHÖRT DIE ZUKUNFT. Zu den größten He -raus forderungen der Energiewende zählen die fehlenden Energiespeicher. Es gibtwenig Blöderes, als wenn bei starkem Wind Anlagen abgeschaltet werden müs-sen, weil zu viel Strom produziert wird und die Überschüsse nicht speicherbarsind. Eine Möglichkeit diesen Zustand zu überwinden hat in diesem Zusammen -

32 august 2012 – heft 53

magazin

Page 33: perspektive21 - Heft 53

hang die Firma ENERTRAG bei Prenzlau entwickelt. Das weltweit erste Hybrid -kraftwerk ist Spitzentechnologie „made in Brandenburg“! „Power to gas“ nenntsich das Konzept. Denn mit dem Hybridkraftwerk lässt sich aus Windkraft völligCO2-neutral Energie produzieren: Strom, Wärme und eben auch Wasserstoff.Entweder direkt als Treibstoff für die Mobilität oder zur späteren Stromerzeu -gung. Das Ganze hat noch einen anderen Vorteil: Deutschland verfügt bereitsüber ein engmaschiges Gasleitungsnetz und große Speichermöglichkeiten. DieProbleme, Energie von Nord nach Süd zu transportieren, ließen sich über dieGasautobahnen erheblich leichter lösen. Die Frage ist jetzt, ob sich Windenergiedurch die Hybridtechnologie auch in großem Umfang speichern lässt. Wenn ja,dann haben wir den Durchbruch in der Speichertechnologie vielleicht ja schonbald geschafft – und zwar in Brandenburg!

FÜNFTENS: NICHT GEGENEINANDER, SONDERN MITEINANDER. An solchen Verknüp -fungen verschiedener Energieträger wird bereits an vielen Stellen gearbeitet. Sokann man Windenergie in Wärme umwandeln (und speichern), die wiederumfür die Fernwärmeversorgung zur Verfügung steht. Aus CO2 lässt sich einfach derTreibstoff Methan herstellen. Eine Algenzuchtanlage nutzt CO2 aus Kohle kraft -werken, um Biomasse zu produzieren. Unsere Landwirte betreiben mit Schweine -gülle Biogasanlagen, die wiederum Gewächshäuser beheizen. All dies sind innova-tive Beispiele für Energieprozesse der Zukunft, die bei uns entwickelt werden.Und ganz nebenbei wird dabei auch deutlich, dass Kohle und erneuerbare Ener -gien längst keine Gegensätze mehr sind, sondern für einige Zeit einander brau-chen. Denn solange wir nicht genügend Speicherkapazitäten haben und wir unsnicht vollständig von Öl- und Gasimporten abhängig machen wollen, werden wirauch in gewissem Umfang auf die heimische Kohle setzen müssen.

Vernetzt denken und lokal einmischen – das könnte die Energiewende beflü-geln und gleichzeitig ihre Akzeptanz deutlich verbessern. Dafür gibt es bereitsviele gute Vorbilder. Es wird Zeit, dass wir uns an ihnen ein Beispiel nehmen. n

RALF HOLZSCHUHER

ist Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion Brandenburg.

33perspektive21

ralf holzschuher – die energiewende beginnt im kopf

Page 34: perspektive21 - Heft 53
Page 35: perspektive21 - Heft 53

35perspektive21

D as Jahr 2012 ist ein Jahr der Preußen. Friedrich II. ist aus Anlass seines 300. Ge -burtstages in Brandenburg und Berlin fast allgegenwärtig. In Potsdam gibt

es sogar ein Friedrich-Musical. Wenn wir uns gerade in diesem Jahr aber Preußenund seiner Geschichte widmen, dürfen wir dabei den Blick nicht auf die Hohen -zollern verengen. So gern wir an den großen König erinnern und unser Land da-bei seine vielen schönen Seiten zeigt, so ist auch Preußens unrühmliches EndeTeil der Geschichte.

Denn es gibt noch ein weiteres Jubiläum in diesem Jahr: Genau vor 80 Jahrenfand der Preußenschlag statt. Am 20. Juli 1932 setzten Reichspräsident Hinden -burg und Reichskanzler Papen mittels Staatsstreich die geschäftsführende Regie -rung des Freistaates Preußen ab – und damit eine (sozial)demokratische Bastiondes Deutschlands der Zwischenkriegszeit. Sie nahmen Preußen die Eigenständig -keit und ebneten so den Gegnern der Weimarer Republik den Weg.

Mit dieser Aktion sollte auch die preußische Polizei als eine der letzten nochfunktionierenden Instrumente des demokratischen Staates ausgeschaltet werden.Aus diesem Grund wurden der Berliner Polizeipräsident Albert Grzesinski (SPD),sein Stellvertreter Bernhard Weiß und der Kommandeur der SchutzpolizeiMagnus Heimannsberg verhaftet und zu einem Verzicht auf weitere Amts hand -lungen gezwungen.

Mit Albert Grzesinski wurde nicht nur der aktuelle Polizeipräsident, sonderneiner der wichtigsten demokratischen Innenpolitiker Preußens und der WeimarerRepublik aus dem Amt gedrängt. Aus einfachen Verhältnissen stammend – seineMutter war vor seiner Geburt Dienstmädchen in Potsdam – übernahm er nachder Novemberrevolution zahlreiche Ämter in der preußischen Landesregierung.So war er von 1925 bis 1926 und noch einmal von 1930 bis 1932 Berliner Poli -zeipräsident. Von 1926 bis 1930 war Grzesinski preußischer Innenminister. Ergehört zu denen, die erkannt hatten, wie wichtig eine Demokratisierung vonStaat und Verwaltung ist. Mit ganzer Kraft ging er daran, die Polizei des wilhel-minischen Obrigkeitsstaates zu einem starken Pfeiler der Demokratie umzubau-en. Was heute viele vergessen haben: Der Slogan „Die Polizei: Dein Freund undHelfer“ geht auf Grzesinski zurück.

Pfeiler der DemokratieVON DIETMAR WOIDKE

d a s s t r a ß e n s c h i l d Albert Grzesinski

1879-1947

Page 36: perspektive21 - Heft 53

Das Wissen um das Scheitern von Grzesinski, Otto Braun und den anderendemokratischen Kräften Preußens und Weimars schärft heute unseren Blick imKampf gegen rechte Extremisten. Ein modernes und erfolgreiches Brandenburg,das seinen Bürgerinnen und Bürgern eine sichere Heimat bietet, braucht im Jahr2012 beides. Mit dem Blick auf Albert Grzesinski und den Preußenschlag sindund bleiben wir starke und wachsame Demokraten. �

DR. DIETMAR WOIDKE

ist Innenminister des Landes Brandenburg.

Mit dieser Rubrik stellen wir eine Person vor, deren Lebensleistung größere Beachtung verdient. Zum Beispiel in Gestalt von Straßen- oder Schulnamen.

36 august 2012 – heft 53

d a s s t r a ß e n s c h i l d Albert Grzesinski

1879-1947

Page 37: perspektive21 - Heft 53

Universitas semper reformanda. DieUniversität muss ständig refor-

miert werden – das galt auch für das zurück liegende Jahrzehnt. In der deut-schen Hochschullandschaft warengrundlegende Veränderungen zu beob-achten. So führte etwa der Bologna-Prozess mit den neuen AbschlüssenBachelor und Master zu einem gestuf-ten System, das Studierenden nunmehrdeutlich früher einen ersten qualifizie-renden Studien abschluss ermöglicht.Die doppelten Abiturjahrgänge und eine erfreulicherweise gestiegene Bil -dungs beteiligung treiben die Studien -anfänger-Zahlen auf Rekordniveaus.Der Wettbewerb um Drittmittel sowiedie Exzellenzinitia tive des Bundes be-feuerten Profilie rungs prozesse der eta -blierten Uni versi täten und Forschungs -institutionen. Es zeigte sich dabei auch,dass die Teil habe der Institutionen derneuen Län der und auch der von Bran -denburg unterdurchschnittlich war –ein Zei chen für den langen Atem, derfür Wissenschaftspolitik nötig ist.

Dies gilt auch für uns in Branden -burg bei der Unterstützung der Hoch -schulen und Forschungsinstitutionen,sich selbst weiter zu entwickeln. Die

Wissenschaftsfreiheit ist eine wesentli-che Voraussetzung, um die aktuellenAnforderungen erfolgreich zu meistern.Hochschulen sollen mehr Studierendemit sehr unterschiedlichen Vorausset -zungen erfolgreich ausbilden, müssensich zugleich aber einem Wettbewerbum Mittel stellen. Sie sollen Grund -lagenforschung auf höchstem Niveaubetreiben, zugleich aber Partner derregionalen Wirtschaft und Motor desStrukturwandels sein.

Eine beeindruckende Entwicklung

Die Mehrzahl der Hochschulen inBrandenburg besteht in ihrer jetzigenForm seit etwas mehr als zwanzigJahren, nur die Hochschule für Filmund Fernsehen „Konrad Wolf“ gibt esbereits seit 1954. Mit der Gründungdes Bundeslandes Brandenburg 1990war ein Neuaufbau von Wissen schafts -strukturen erforderlich. Die damalsentwickelte Hochschulstruktur mit dreiUniversitäten, fünf Fachhochschulenund einer künstlerischen Hochschuleist bis heute unverändert. Sie entstan-den zweifach komplementär. Komple -mentär zur Wissenschaftslandschaft der

37perspektive21

thema – welche hochschulen braucht das land?

DieWeichen richtigstellenVIER THESEN ZUR KÜNFTIGEN WISSENSCHAFTSPOLITIK IN BRANDENBURG

VON SABINE KUNST

Page 38: perspektive21 - Heft 53

außeruniversitären Forschung, und siewurden ergänzend zum Profil derBerliner Hochschulen konzipiert. Diesgalt insbesondere in und um Potsdam.Komplementarität war aber auch einLeitthema in der Lausitz für Cottbusmit Blick auf die Technischen Uni -versitäten in Berlin und Dresden wieauch in Frankfurt (Oder) in Bezug auf Poznan und Wroclaw.

Von Anfang an war klar, dass mandie brandenburgische Hochschul land -schaft mit der Metropole Berlin inihrer Mitte immer auch im Bezug zudieser sehen muss. Eine gemeinsameWissen schaftsregion war und ist das

Ziel. Einrichtungen in beiden Ländernwerden von Studierenden aus beidenLändern nachgefragt, so dass identischeStudienangebote nur Sinn machen,wenn ein besonders großer Bedarf anAbsolventen zu erwarten ist. So hatBrandenburg ganz bewusst darauf ver-zichtet, in seinem Hochschulsystem dieFachdisziplinen Medizin, Pharmazieund Agrarwissenschaft vorzuhalten.Den Hochschulen war es so möglich,sehr eigenständige und attraktive Profi -le herauszubilden, die junge Menschennicht nur aus Brandenburg und Berlin,sondern auch aus anderen Ländernund dem Ausland anlocken.

38 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Studierende im Wintersemester 2011/12

Universitäten

Universität Potsdam

Brandenburgische Technische Universität Cottbus

Europa-Universität Viadrina

Universitäten insgesamt

Hochschule für Film und Fernsehen

Fachhochschulen

FH Brandenburg

Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde

Hochschule Lausitz

FH Potsdam

TH Wildau

Fachhochschulen insgesamt

Hochschulen insgesamt

20.800

6.800

6.500

34.100

551

3.000

2.000

3.400

3.100

4.200

15.700

50.300

Quelle: MWFK 2012

Page 39: perspektive21 - Heft 53

Die Hochschulen Brandenburgshaben dann in den letzten Jahren eineganz erhebliche und beeindruckendeDyna mik entfaltet. Innerhalb einesJahr zehnts konnte die Zahl der Studie -renden um rund 50 Prozent gesteigertwerden (siehe Abbildung). Auch beimWachstum der Studienanfängerzahlenbelegt das Bundesland vordere Plätze.Brandenburg verfügt über ein überpro-portional ausgelastetes und hocheffi-zient arbeitendes Hochschulsystem.

Ebenso ist das Land Bran denburg für die außeruniversitäre For schung ein erstklassiger Standort: Vier Einrich -tungen der Fraunhofer-Gesell schaft(FhG), vier Einrichtungen der Her -mann von Helmholtz-Gemein schaftDeutscher Forschungszentren (HGF),neun Institute der Leibniz-Gemein -schaft (WGL) und drei Institute derMax-Planck-Gesellschaft (MPG) sind in unserem Land vertreten. Im Rahmender gemeinsamen Forschungsförderungentfielen im Jahr 2010 auf brandenbur-gische Einrich tungen insgesamt rund236 Millionen Euro. Brandenburg liegtdamit auf dem 10. Platz im Vergleichder Bundes länder. Sehr bedeutsam gera-de für den Bereich der Informatik undSoftwaresystemtechnik ist das Hasso-Plattner-Institut (HPI) als nicht mehrweg zu denkendes privates Engagementim Wissenschaftsbereich.

Für die Filmmetropole Berlin-Ba bels - berg gehört zweifelsfrei die Hoch schulefür Film und Fernsehen „Konrad Wolf“

zu den Stätten mit einem einzigartigenspezifischen Ent wicklungspo tential.Die Studie renden werden durch sehrspezialisierte Stu dien gänge und eineexzellente technologische Ausstat tungin die Lage versetzt, in verschiedenenBereichen der Medien berufliche Tätig -keiten zu finden.

Die Entwicklung der Wissen schafts - landschaft in Brandenburg innerhalbeines Zeitraums von vergleichsweisekurzen zwanzig Jahren ist beeindru-ckend. Wollen wir weiterhin eine der-art starke Dynamik erreichen und auchin zwanzig Jahren genauso gut oderbesser noch besser da stehen, müssenwir heute die Weichen richtig stellen!

Kommis sio nen mit Perspektiven

2012 wurden nun die Begutachtungender Hochschullandschaft durch zweihochkarätig besetzte Kommissionenab geschlossen:

n In der Lausitz hat eine Kommissionunter Vorsitz von Prof. Dr. Dr. h.c.Emmermann zwischen 2010 und2012 die Brandenburgische Tech -nische Universität Cottbus und dieHochschule Lausitz einer qualitati-ven Analyse unterzogen und imJanuar 2012 ihren Bericht vorge-legt.1 Das Wissenschaftsministeriumhat den Vorschlag der Kommission

39perspektive21

sabine kunst – die weichen richtig stellen

1 http://www.mwfk.brandenburg.de/sixcms/detail.php/538891

Page 40: perspektive21 - Heft 53

um einen Schritt erweitert und verfolgt das Ziel der Neugründungeiner Technischen Universität inder Lau sitz, die die beiden Hoch -schulen miteinander verkoppelt.Dabei soll eine gemeinsame Ver -antwortung für For schung undLehre zu den The men „Energie,Umwelt und Mensch“ Leit linie der künftigen Entwicklung sein.

n Die im März 2011 berufene Hoch -schulstrukturkommission unter derLeitung von Prof. Dr. Buttler hatim Auftrag der Landesregierungschwerpunktmäßig die strukturel-len Gege benheiten der Hochschul-landschaft Brandenburgs insgesamtuntersucht.

Die Hochschulstrukturkommissionsollte nach 20 Jahren eine Bilanz ziehenund für ihre Empfehlungen zur Zu -kunfts sicherung in den Blick nehmen,wie die Innovationskraft des Landes ausdem Wissenschaftssystem heraus weitergestärkt werden kann und welche Kor -rekturen das Bildungs angebot arrondie-ren könnten, um für die nächsten Jahr -zehnte spezifisch und attraktiv zu sein.

Der Auftrag der Hochschulstruktur -kom mission war es, Empfehlungen fürdas brandenburgische Hochschul sys -tem zu entwickeln, damit es

n einen Beitrag zur Lösung aktuellerund zukünftiger Aufgabenstellungenim Land Brandenburg und darüber

40 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Anstieg der Studienanfängerzahlen 2009 zu 2005 in Prozent

33,7%

29,1%

27,2%

26,3%

22,1%

20,5%

18,9%

18,8%

17,1%

17,0%

16,9%

16,7%

16,4%

15,3%

12,8%

11,6%

8,4%

Brandenburg

Hamburg

Berlin

Saarland

Mecklenburg-Vorp.

Thüringen

Rheinland-Pfalz

Hessen

Deutschland

Bayern

Schleswig-Holstein

Sachsen-Anhalt

Baden-Württemberg

Niedersachsen

Nordrhein-Westfalen

Bremen

Sachsen

Quelle: Hochschulpakt 2020

Page 41: perspektive21 - Heft 53

hinaus leisten kann (allgemeinerBil dungsauftrag),

n einen noch größeren Beitrag zurStär kung der Innovationsfähigkeit in der Region Brandenburg-Berlin,insbesondere in den Clustern, die im Rahmen der Gemeinsamen Inno -va tionsstrategie Berlin-Brandenburgdefiniert wurden, leistet (Beitrag zurInnovationsfähigkeit),

n weiterhin in der Lage ist, hochquali-fizierte Fachkräfte für die Unterneh -men in der Region zur Verfügung zustellen und so dem in der Gemein -samen Fachkräftestudie Berlin-Bran -denburg prognostizierten Fach kräf -te mangel entgegenwirkt (Beitrag zurFachkräftesicherung),

n den außeruniversitären Forschungs -einrichtungen in der Region als star-ker gleichberechtigter Partner zurSeite steht,

n den jungen Menschen aus Branden -burg, anderer Bundesländer und ausdem Ausland attraktive, qualitativhochwertige Bildungschancen bietet,

n der demografischen Entwicklung in-sofern entgegenwirkt, so dass Halte -faktoren gestärkt und Zuwanderungstimuliert werden (demografischerEntwicklung entgegenwirken).

Die Kommission ist in ihrem Bericht2

im Juni 2012 zu Empfehlungen ge -langt, die aktuell Eingang in die Dis -kussion zur Landeshochschul ent wick -lungsplanung finden.

Die im Mai 2012 veröffentlichte neueste Bevölkerungsprognose für Bran - denburg erwartet einen Rückgang derEinwohnerzahl des Landes um rund250.000 bis zum Jahr 2030; das ent-spricht rund 10 Prozent. Regional gibtes dabei große Unterschiede: So kannzum Beispiel Potsdam mit einem Be - völkerungswachstum von etwa 20 Pro -zent rechnen, während einige Landkreisemit einem Bevölkerungs einbruch um 20 Pro zent planen müssen.

Leistungsfähig und finanzierbar

Natürlich muss es ein politisches undgesellschaftliches Ziel sein, perspekti-visch u. a. auch die Wissenschafts land -schaft als Motor für eine positive de mo -grafische Entwicklung wirksam werdenzu lassen. Es wäre nicht verantwortlich,wenn man nicht jetzt die Weichen sostellt, dass unter Berück sich tigung derdemografischen Ent wick lung auch inZukunft eine leistungsfähige und bür-gernahe Hoch schulstruktur zu finan -zierbaren Kosten gewährleistet werdenkann. Denn nur die berlinnahen Stand -orte werden weiter eine hohe Nachfrageaus der Region haben. Für die anderenwird es immer mehr zusätzliche An -stren gungen erfordern, Studierende zugewinnen. Dies gilt selbst dann, wennder Anteil der Studien berech tigten proJahrgang weiter steigt.

41perspektive21

sabine kunst – die weichen richtig stellen

2 http://www.mwfk.brandenburg.de/cms/detail.php/bb1.c.294596.de

Page 42: perspektive21 - Heft 53

Der Landeshaushalt wird in dennächsten Jahren bis 2019 voraussicht-lich deutlich sinken. Auch für denWissenschaftsetat bedeutet dies, dasszusätzliche Landesmittel für diesenprioritären Bereich wahrscheinlichnicht zur Verfügung stehen werden.Neue Strukturen, neue Studiengängeund eine weitere Forschungs profi -lierung können so in erster Linie nurmit den vorhandenen Kräften realisiertwerden. Das bedeutet, dass aus demheute Bestehenden Ressourcen genutztwerden müssen, die für eine innovativeHochschulentwicklung reinvestiertwerden können. Gleichzeitig ist eserforderlich, die Anstrengungen zurGewinnung von Drittmitteln undForschungsförderung noch weiter zuintensivieren. Dies wiederum setztSpitzenleistungen voraus. Mit Spit -zenleistungen – seien sie in der For -schung oder Lehre – werden sich dannauch weitere Ressourcen wie Bundes-oder EU-Mittel akquirieren lassen.

Vor diesem Hintergrund lassen sichnun vier Thesen für die BrandenburgerWissenschaftspolitik ableiten.

1. „KONSEQUENTE KOMPLE MENTARITÄT“

ALS DURCHGÄNGIGES PRINZIP DER

HOCH SCHULENTWICKLUNG. Angesichtsder finanziellen, personellen, fachlichenund infrastrukturellen Rahmenbedin -gungen besteht eine große Chance darin, die Wissenschaftslandschaft in

„konsequenter Komplementarität“weiterzuentwickeln. Das klingt kompli-ziert, ist aber ganz einfach: Es verfolgteinerseits die erfolgreiche Linie der bishe-rigen Aufbauarbeit weiter und bedeuteteine Ergänzung zwischen Hoch schul-und außeruniversitärer For schung. Undes setzt konsequent weiter um, was bisherauch Kern des Erfolgsrezeptes war: Nichtalle Ein richtungen machen alles, sondernes gilt, jeweils Schwerpunkte zu bilden.Das ist unerlässlich, um eine „kritischeMasse auf die Waage“ zu bringen unddie wissenschaftliche Qualität zu sichern.Damit wird im verhältnismäßig kleinenbrandenburgischen Hochschul- undWissenschaftssystem die Pflege und Kul -tur von Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit auch zu einem Qualitäts kri te -rium. Wer das kann, sich zum Bei spielbei gemeinsamen Vorhaben gegenseitigzu unterstützen, gemeinsame Ver ant -wortung für Forschung, Lehre und Bil -dung wirklich zu leben, der profitiert.

Mehr Kooperation

Erforderlich ist eine noch größere Ko -operation zwischen Universitäten,Fach hochschulen und außeruniversitä-ren Forschungsinstitutionen, zwischenHochschulen und auch zwischen Teil -bereichen von ihnen. Bei spiele wäreneine interdisziplinäre School of Educa -tion für Erziehungsberufe und die Leh -rerbildung oder der Bereich von Me -dien und Informatik.

42 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 43: perspektive21 - Heft 53

Mit den Hochschulen untereinanderund auch mit den außeruniversitärenForschungseinrichtungen sollen einsich ergänzendes System von For -schungs schwerpunkten und koopera -tive Strukturen in der Ausbildung vonStudierenden entwickelt werden. Sosoll auch in der Fläche die Gewähr -leistung des allgemeinen Bildungs -auftrages ebenso wie die Innova tions -fähigkeit und die Fachkräftesicherungauch auf regionaler Ebene gesichertwerden.

Hierzu gehört, dass Brandenburgseine internationalen Partner noch ein-mal neu entdeckt und die jeweilsgereichte Hand aus dem Blickwinkelder Wissen schaft, Forschung undKultur ergreift. Neu könnte sein,

Partner schaften mit intensiverer Ko -operation zu verstärken. Und dasjeweils besonders dort, wo schonVerbindungen vorhanden sind. Sobestehen zum Beispiel mit Israel Ko -operationen bei der Ausstellungs ge -staltung in der Erlöserkirche durchLehrende und Studierende der FHPotsdam, in den Jüdischen Studien, in der biomedizinische Forschung zum„Taschentuch labor“ und der Informa -tik mit dem Technion Haifa und demSAP Re search Lab in Tel Aviv. Einanderes Beispiel ist die Vereinbarungvon Aspekten einer gemeinsamenHoch schulstrukturentwicklung mitPolen und der weitere Ausbau der Be ziehun gen zwischen Frankfurt undPoznan, Cottbus und Wroclaw.

43perspektive21

sabine kunst – die weichen richtig stellen

Studierende an staatlichen Hochschulen in Brandenburg

32.400 34.200

37.000 38.800

40.200 40.900 41.400 43.200

45.900

48.600 49.800

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

Quelle: AfS BE-BB, jeweils Wintersemester

Page 44: perspektive21 - Heft 53

Von großer internationaler Ausstrah -lung ist auch das jährlich stattfindendeFilmfestival „sehsüchte“ der Hoch -schule für Film und Fernsehen, dasTeilnehmer aus der ganzen Welt nachBrandenburg lockt und in der Fach -welt einen ausgezeichneten Ruf ge -nießt. Nicht zuletzt ließen sich dieguten Beziehungen zu türkischen For -schungs- und vor allem Bildungs insti -tutionen landesweit aufstellen. Es gibtdiesbezüglich bereits eine jeweils ausge-zeichnete Aktivität sowohl in Potsdamals auch in Frankfurt und Cottbus.Von Seiten der Industrie- und Han -dels kammern werden diese Anstren -gun gen nachhaltig unterstützt.

2. DIE INSTITUTE DER AUßERUNIVERSI TÄ -

REN FORSCHUNG STÄRKEN GEMEINSAM

MIT DEN HOCHSCHULEN DEN WISSEN -

SCHAFTS STANDORT BRANDENBURG. DieAnsiedlungspolitik der Wissenschafts -organisationen in Potsdam-Golm, aufdem Telegrafenberg und in der StadtPotsdam mit Blick auf Partner in denHochschulen und gemeinsame Beru -fungen sind eine bundesweit beachteteund international sichtbare Erfolgs ge -schichte.

Es gilt, diese Dynamik auch fürandere Regionen Brandenburgs zunutzen. Auch die außeruniversitäreund universitäre Forschung abseitsder Haupt stadtregion müssen ver-

44 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Absolventen (ohne Promotion) an staatlichen Hochschulen in Brandenburg

3.187 3.112 3.062

3.702 4.081

4.484

5.259 5.299

6.043

6.733

7.319

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

Quelle: AfS BE-BB

Page 45: perspektive21 - Heft 53

zahnt werden. Das kann zum Beispieldurch abgestimmte Forschungs pro -jekte ge schehen, durch eine effektiveNutzung zur Verfügung stehenderRessourcen in Bibliotheken, Laborenund Werk stätten, durch eine strategi-sche Orien tierung auf Wettbewerbedes Bundes, der Länder und der Eu -ro pä ischen Union. Durch eine höhereAttrakti vität der Hochschulen kön-nen weitere Forschungsinstitute ge -wonnen werden.

Es geht hier um die Nutzung derspe zifischen Stärken, die im Vergleichzu den Konkurrenten originell sind.Da für gibt es im brandenburgischenWis senschaftssystem Beispiele zuhauf:

n die biotechnologisch-biomedizinischeForschung in Senftenberg, Golm undTeltow, die gute Chancen hat, nachDresden und Berlin zu wirken,

n Geoenergie als neue Ergänzung derbundesweit aufgestellten Energie -forschung,

n border studies als ein europäischesThema par excellence,

n Logistik-Entwicklung vis a vis demneuen Flughafen BER und vielenBezügen in alle Welt,

n die energieeffizienten Verkehrssys -teme, die das Interesse der Deut schenBahn gefunden haben in Bran den -burg oder

n die konsequente Nachhaltigkeits stra -tegie der Hochschule für Nachhal ti -ge Entwicklung Eberswalde, für die

eine Hochschule mit ihrer Stadt ge-meinsam steht.

Im Interesse eines starken Wissen schafts -systems in Deutschland ist es zudemunerlässlich, Hürden der Zu sam men -arbeit zwischen Bund und Ländern –gerade im finanziellen Be reich – abzu-bauen. Denn Branden burg wird aufRessourcen des Bundes angewiesen sein,um weitere Potentiale seines Wissen -schafts systems konkurrenzfähig zu ent-wickeln. Die Chancen stehen gut, hierin den nächsten Jahren entscheidendeSchritte voran zu kommen und das Ko -operationsverbot, welches sich aus derletzten Föderalis mus reform ergab, in einKooperationsgebot zu wandeln.

3. MEHR BILDUNGSTEILHABE UND AUS -

SCHÖPFUNG VON POTENZIALEN SIND

AUCH FÜR DEN WISSENSCHAFTSBEREICH

ZENTRALE ZIELE! Bei der Sicherungeiner leistungsstarken Hochschul land -schaft in Regionen mit einem deutli-chen Bevölkerungsrückgang spielt dieSteigerung der Bildungsbeteiligungund die Verbesserung der Durch läs -sigkeit eine zentrale Rolle. Um denBedarf an qualifizierten Fachkräften zusichern, muss ein höherer Anteil vonjungen Menschen für ein Studiumgewonnen werden.

Zudem erfordert die gesellschaft -liche Entwicklung gerechtere Bildungs -chancen: So wollen wir mehr Men -schen mit Migrationshintergrund für

45perspektive21

sabine kunst – die weichen richtig stellen

Page 46: perspektive21 - Heft 53

ein Studium gewinnen. Ebenso gilt es,beruflich Qualifizierten ohne Abiturdurch angemessene Förderstrukturenund flexible Lehrveranstaltungen einerfolgreiches Studium zu ermöglichen.Auch, wenn solche Ziele zusätzlicheAnstrengungen und veränderte Kon -zepte erfordern, so ist es doch einlohnender Weg.

Mehr Durchlässigkeit schaffen

Bei den Studienanfängern ohne Abiturkönnen Brandenburgs Fach hoch schu -len bereits auf beeindruckende Werteverweisen: So kommt etwa die Fach -hochschule Brandenburg auf rund

10 Prozent Anfänger ohne Abi tur.3

Das ist rund fünfmal so viel wie derbundesweite Durchschnitt. Auch dieUni ver si täten werden sich dieser Fragestärker stellen müssen; Kooperationenzwischen Fachhochschulen und Uni ver - si täten können hier wichtige Brü ckenbilden. Ein Ausbau der Wei ter bil dungs -angebote und berufsbegleitender Stu -dien angebote sind ebenso erforderlich.

Im Bereich von Existenzgründungund Weiterbildung ist in den vergange-nen Jahres besonders das Branden bur -gische Institut für Existenzgründung

46 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Entwicklung der Drittmitteleinnahmen an staatlichen Hochschulen in Brandenburg in Millionen Euro

Quelle: AfS BE-BB

36,2

48,8 46,7 49,6

53,6 49,8

54,5 58,4

70,1

93,8

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009

3 Vgl. Centrum für Hochschulentwicklung (che), Arbeitspapier157 „Studieren ohne Abitur – Monitoring der Entwicklungin Bund, Ländern und Hochschulen“, Gütersloh 2012, S. 58

Page 47: perspektive21 - Heft 53

und Mit telstandsförderung (BIEM)zum Motor geworden. Seine Angebote,die von allen Hochschulen gemeinsamge tragen werden, dienen vor allem denAbsolventen bei Gründungen in derRegion und der Anwerbung und Wei -ter bildung von Fachkräften.

Wie die Lausitz gewinnt

Brandenburg wird die Weiterbildungim Sinne einer offenen Hochschuleverstärken, d. h. aufsetzend auf den vor-handenen Angeboten der Hochschu -len. Dabei gilt es, diese gemeinsam mitden Kammern weiter zu entwickeln.Bereits führend sind die Angebote desdualen Studiums an der FH Branden-burg. Für die Akademisierung der Ge -sundheitsfachberufe gemäß den Emp -feh lungen des Wissenschaftsrats vonJuli 2012, bei denen Brandenburgseine Chancen jetzt nutzen sollte, wer-den spannende neue berufsbegleitendeQualifikationswege entstehen.

4. DIE LAUSITZ MUSS ALS WISSEN -

SCHAFTS STANDORT GESTÄRKT WERDEN.

Die Einrichtung einer eigenen Kom -mis sion zur Hochschulentwicklung inder Lausitz hat bereits deutlich ge macht,dass dem Land die besondere Bedeu -tung einer starken Wissen schafts land -schaft in dieser Region sehr bewusst ist.Die Ergebnisse der Lausitz-Kommissionwie auch der Hochschul struktur kom -mis sion haben für beide Hochschulen

in der Lausitz ein differenziertes Bildihrer Situation in Lehre, Forschungund Wissenstransfer ge zeichnet. DieKommission empfiehlt eine klare Neu -strukturierung und komplementäreNeuausrichtung des Profils.

In der nun seitens des Wissen schafts -ministeriums vorgeschlagenen gemein-samen Einrichtung ist es aufgrund dergrößeren gemeinsamen „kritischenMasse“ zum Beispiel in Bezug auf dieZahl der Studierenden, das gemeinsameBudget und die Zahl der Professu reneher möglich, Schwerpunkte he raus -zubilden und diese dann im Ver gleichbesser auszustatten. Diese Schwer punkt -

47perspektive21

sabine kunst – die weichen richtig stellen

Anzahl der studienberechtigtenSchulabgänger in Brandenburg 1995-2020

1995 10.000

2000 13.500

2005 14.300

2007 14.900

2008 14.500

2009 15.500

2010 12.300

2011 10.700

2012 13.300

2013 8.900

2014 8.900

2015 9.400

2020 10.200

Quellen: Destatis, KMK (* = Prognose)

Jahr des Erwerbs der Hochschul zu -gangs berechtigung

Anzahl der studien -berechtigten Schul - abgänger*

Page 48: perspektive21 - Heft 53

bereiche werden in der Forschung unteranderem durch die Gründung einer„Graduate School“ auch internationalstärker sichtbar werden.

Mit der Bologna-Reform, die grund-sätzlich den Bachelor-Grad als erstenbe rufs qualifizierenden Abschluss defi-niert und die Unterschiede der Vergan -gen heit zwischen den Abschlüssenfachhochschulischer und universitärerStudiengänge in den Hintergrund tre-ten lässt, ist es möglich, unter einemDach forschungs- und anwendungsori-entierte Studiengänge anzubieten. DieAbsolventen sind in der Region ge -fragt, bleiben in der Region und ihnensollen die Welten der Wissen schaftund der Wirtschaft gleichermaßenoffenstehen, regional, national undinternational. Der geplante Verbundsoll neben der Forschungs- und An -wen dungsorientierung vor allem eineerfolgreiche Studierendengewinnungund Studierendenvorbereitung garan-tieren. Hierzu bedarf es einer Ent -wick lungsplanung, einer Leitungs-,

Ergeb nis- und Ressourcen verant wor -tung aus einer Hand.

Priorität im Mittelpunkt

Das Land Brandenburg blickt auf einebeeindruckende Entwicklung seinesWissenschaftssystems zurück. Nach 20 Jahren sieht sich das Wissenschafts -system vor neuen Herausforderungen,die gemeinsamen mit den Menschen,die mit ihren Leistungen dieses Systemtragen, zu bewältigen sind. Bei der vonder Landesregierung dem Bereich vonBildung und Wissenschaft zugewiese-nen Priorität muss es gelingen, dieHoch schulstrukturen im Land nach-haltig zukunftsfähig und national wieinternational wettbewerbsfähig zu ge -stalten, den regionalen Bedingungenanzupassen, den Forschungsstandort zu stärken und die Hochschulen undwissenschaftlichen Einrichtungen mitihrem intellektuellen und technologi-schen Potential in der Mitte der Ge -sell schaft zu platzieren. n

48 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

PROF. DR.- ING. DR. SABINE KUNST

ist Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg.

Page 49: perspektive21 - Heft 53

PERSPEKTIVE 21: Sie haben vor 20 Jahrendie erste Brandenburger Hochschulstruk -turkommission geleitet, jetzt haben Sie er-neut eine Hochschulstrukturkommissiongeleitet. Sind Sie zufrieden mit „IhremKind“ und wie es sich entwickelt hat? FRIEDRICH BUTTLER: Zufrieden kannman sein. Wir hatten damals ein be -stimmtes Konzept verfolgt. Der Wis -senschaftsrat hatte kritisiert, dass dasLand plane, drei Universitäten undfünf Fachhochschulen aufzubauen. DieEntscheidungen waren getroffen, dieStandorte beschlossen. Ich habe danndem Vorsitzenden des Wissenschafts -rates erklärt, dass wir daraus keine dreiVoll-Universitäten und fünf großeFachhochschulen machen, sondern einkomplimentäres Konzept verfolgenwollten.

Nicht alles glänzt

Das heißt? BUTTLER: Keine Volluniversität in Pots -dam, aber doch ein sehr breites Fächer -spektrum, die TU in Cottbus mit einerbesonderen ingenieurwissenschaftlichenProfilierung und die Viadrina in Frank -

furt mit einer besonderen Wid mung zueuropäischen Fragen. Dieses Konzept istim Prinzip noch heute da. Es hat sichweiterentwickelt, es haben sich mancheSchwerpunkte besser entwickelt, alsman geglaubt hat, während sich andereSchwerpunkte neu entwi ckelt haben.Denken Sie nur an die Kognitionswis -sen schaften als Exzellenz bereich derUniversität Potsdam. Das gab es damalsnicht. Absehbar war aber schon, dass dieNaturwissenschaften in Potsdam einebesondere Perle werden könnten. Letzt -lich war dies auch die Vo raussetzungdafür, dass die großen Wis senschafts -organisationen ihre Verspre chen einge-löst haben und hier en tsprechendeaußeruniversitäre For schungsein richtun -gen gründeten. Gleich zeitig müssen wiraber auch sehen, dass nicht alles Goldist, was glänzen soll – wie uns auch dasGu t ach ten zu den Hochschulen in derLausitz gezeigt hat.

Hat denn die Profilierung so geklappt,wie Sie sich das vorgestellt haben? BUTTLER: Das ist schwierig zu beant-worten. Da treffen zwei verschiedeneKonzepte aufeinander, nämlich das der

49perspektive21

Klein, aber nicht zu kleinÜBER DIE FRAGE, WIE ES MIT BRANDENBURGS HOCHSCHULEN

WEITER GEHEN SOLL, SPRACH THOMAS KRALINSKI MIT

FRIEDRICH BUTTLER

Page 50: perspektive21 - Heft 53

Profilierung und das des Wettbewerbs– und die beißen sich bisweilen. Dennder Wettbewerb um dasselbe studenti-sche Klientel mit ganz ähnlichen Ange -boten von Fachrichtungen kann auchdazu führen, dass man Doppelstruk -turen vorfindet und nicht etwa eineProfilierung – wenn wir mal an Senf -tenberg und Cottbus denken. Wirhaben deshalb in der Kommission mitdem Konzept der Schwerpunktbildunggearbeitet. Dabei geht es im Kern umdie Frage, ob Mehrfachangebote wirk-lich gerechtfertigt sind.

Zu viele Mehrfachangebote

Sind sie es? BUTTLER: Im Prinzip ja, vorausgesetztsie bilden unterschiedliche Schwer -punkte aus. Man kann das ganz ein-fach an der Betriebswirtschaftslehredemonstrieren, die ja im Moment ansieben von neun Standorten in Bran -denburg vorhanden ist. Das wird sichdadurch ändern, dass Cottbus undSenftenberger zusammengehen, dannsind es immer noch sechs. Die Frageist, braucht man diese sechs und dieAntwort ist „ja“. Zum einen sind erstmal zwei verschiedene Typen darunter,nämlich die fachhochschulischen Be -triebswirtschaftslehre-Studiengängeund die universitären Studiengänge.Und dann ist es gut, dass man die Be -triebswirtschaftslehre als Angebot inder Fläche hat, in Brandenburg an der

Havel, in Wildau, in der Lausitz undauch in Eberswalde, weil gerade dieseStudiengänge attraktiv für Jugendlicheaus eher hochschulfernen Schichtensind. Insofern ist dann die Frage: Ge -lingt es, dass diese verschiedenen Be -triebswirtschaftslehren unterschiedlichemöglichst komplementäre Schwer-punkte setzen. Wenn das gelingt, kannman diese Fächer auch halten.

Es gibt eine Diskussion, ob wir mit demBologna-Prozess in einigen Jahren über-haupt noch einen Unterschied zwischenFachhochschulen und Unis haben. Brau -chen wir wirklich beide Hochschulformen? BUTTLER: Fachhochschulen und dieUniversitäten sind zwei unterschiedli-che Hochschultypen, die unterschied -liche Aufgabenstellungen haben. Durchdas Bologna-System sind diese Auf -gabenstellungen ein wenig näher anein-andergerückt. Wenn sie jedoch jeman-den aus der Wirtschaft – vor allem derIndustrie – fragen, ob er diesen oderjenen Typ von Ingenieur haben will,dann ist die Antwort: weder noch –sondern beide. Deshalb brauchen wirauch in Brandenburg beide Hoch schul - typen. Aber sie rücken eben auch zu -sammen und sollten auch in Zukunftstärker miteinander kooperieren, in -dem sie zum Beispiel gemeinsam Stu -dien gänge tragen wie das etwa zwi-schen der Fachhochschule und derUniversität Potsdam der Fall ist. Oderwie wir uns das für die Gesund heits -

50 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 51: perspektive21 - Heft 53

berufe vorstellen – in der Kooperationzwischen der Lehrerbildung und derAusbildung, die an der Fachhochschulein Senftenberg gemacht wird. Von An -fang an haben wir in Brandenburg dasLeitbild einer FH mit einer starkenanwendungsbezogenen Forschung ver-folgt. Deshalb enthält unser Hoch -schul gesetz schon heute eine Formu - lierung, nach der Absolventen vonFachhochschulen, für eine Promotionan einer Uni auch von Fachhochschul -professoren betreut werden können.

Funktioniert das? BUTTLER: Nicht gut genug. Deshalbdrängen wir auch darauf, dass darausein systematischer Zugang wird.

Von Amerika lernen?

Das läuft am Ende also auf einen Hoch -schultyp hinaus. BUTTLER: Das ist schwer zu sagen.Unter Verweis auf Amerika ruft manuns auf, die Trennung zwischen FHsund Unis aufzuheben. Aber wer genauhinschaut, sieht: Wir haben ein vielweniger geschichtetes Hochschulsystemals etwa in Amerika. Dort ist die Dif -ferenzierung zwischen den unterschied-lichen Niveaus der Einrichtungen –von Harvard bis zu den CommunityColleges – noch größer. Ich glaube, es wäre gut, wenn wir an den beidenHoch schultypen festhalten. Auch wenndie Fachhochschulen sicher ein Inte -

resse haben, immer näher an den Sta tus von Universitäten heranzu-kommen.

Ist denn das heutige Hochschulsystempassend für ein kleines Bundesland wieBrandenburg? BUTTLER: Es ist klein, aber mit Blickauf die Zukunft nicht zu klein. Es hatderzeit die Größenordnung von50.000 Studierenden – und die trägtauch noch im Jahr 2025. Wir gehendavon aus, dass obwohl die demogra -fische Entwicklung dafür sorgen wird,dass weniger Schulabgänger da sind,im Gegenzug der Übertritt in dieHochschulen weiter zunimmt. Diesenganz deutlichen Veränderungsprozessin der brandenburgischen Gesellschaftbeobachten wir ja schon in den letztenzehn Jahren. Die brandenburgischenMädchen fangen jetzt mit dem Stu -dium fast genau so häufig wie imBundesdurchschnitt an, während dieJungen noch deutlich zurückhängen.Und wir können nur hoffen, dass esdenen auch gelingt, diesen Anschlusszu finden. Dafür muss man einigestun. Das ist ein ganz interessantesGender-Thema.

Das heißt, wir brauchen auch keine zu -sätzliche Hochschule?BUTTLER: Nein, das haben wir Mitteder neunziger Jahre genau überlegt unduns gefragt, ob man zusätzliche Stand -orte für Fachhochschulen gründen

51perspektive21

friedrich buttler – klein, aber nicht zu klein

Page 52: perspektive21 - Heft 53

sollte. Damals waren auch Standorte in der Prignitz, Neuruppin oder Eisen -hüttenstadt im Gespräch. Aber dasLand hatte sich zu diesem Zeitpunkt ja bereits Einiges auf die Hörner ge -nommen. Allerdings kann man sagen,dass der Anteil der Fachhochschulenam Gesamtsystem mit etwa 30 Pro -zent relativ klein ist. Wenn manschon eine Entwicklung weiter för-dern will, dann sollte es im Bereichder Fachhoch schu len sein.

Zu wenig Geld

Gibt denn Brandenburg heute genugGeld aus für seine Hochschulen?BUTTLER: Die Antwort ist schlicht undeinfach nein. Eine der wesentlichenSchlussfolgerungen der Kommissionist, dass das Land mehr für seineHoch schulen tun sollte. Sie könnendas an einem ganz einfachen Indikatorfestmachen, nämlich an dem Anteil desBruttoinlandsprodukts, den Branden -burg für die Hochschulen aufwendet.Da liegt Brandenburg an letzter Stelleim Vergleich der Länder untereinan-der. Wenn sie das nach verschiedenenanderen Indikatoren ausfächern undfragen, wie viel wird also pro Ein woh -ner ausgegeben oder wie viel wird proStudierenden ausgegeben, wie gut oderschlecht die Betreuungsrelation Leh -rende zu Studierende ist, dann kom-men sie immer wieder zu Ergeb nissen,die für Brandenburg nicht ganz erfreu-

lich sind. Wenn man das alles betrach-tet und trotzdem sieht, dass doch soviel geleistet worden ist, dann wirdman einem Spruch der Ministerin fol gen können, der sagt: „Keiner kannmit weniger mehr.“ Aber es bleibt eben wenig.

Hängen die geringen Hochschulausgabendamit zusammen, dass es keine Medi zi -ner-Ausbildung in Brandenburg gibt?BUTTLER: Nein, das haben wir immergeprüft, weil man nicht Vergleichezwischen Äpfeln und Birnen machenkann. Bei allen Vergleichen, die sichauf die Studienkosten beziehen, ist dieMedizin herausgerechnet. Anders siehtes aus, wenn man die Ausgaben für dieHochschulen am Bruttoinlandsproduktmisst. Da geht es darum zu bestim-men, wie viel einem Land die Hoch -schulen wert sind, was es für Wissen -schaft und Forschung tut. Dabei ist esim föderalen System zunächst unerheb-lich, für welche Studiengänge das Geldausgegeben wird.

Zu wenig Absolventen

An welchen Stellen müsste das Landinvestieren? BUTTLER: Das Land muss insbesondereetwas tun, damit die Betreuungs rela -tionen besser werden und die Studie -renden, die hier beginnen zu studieren,eine größere Chance haben, erfolgreichihr Studium zu beenden. Das ist ein

52 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 53: perspektive21 - Heft 53

ganz großes Thema der Hochschul -struk tur kommission gewesen.

Wie groß sind denn die Erfolgsquote unddie Abbruchquote der Studienanfänger? BUTTLER: Heutzutage ist das System jaso verschult, dass man das alles genauwissen könnte, wenn man es wollte.Interessanterweise wissen es die Hoch -schulen teilweise so genau nicht. Esmag da Ausnahmen geben. Eberswaldehat zum Beispiel ein wunderbares Infor -mationssystem, die wissen ziemlichgenau, was aus ihren Anfängern wird.Und sie haben auch eine sehr guteErfolgsquote. Wir können also nichtsagen, die Erfolgsquote der brandenbur-gischen Hochschulen ist schlecht. Abersie variiert in einem Umfang, dass wirsagen müssen, da ist noch einiges zutun. Das bedeutet zuallererst, dass sichdie Hochschulen selber einmal Klarheitdarüber verschaffen müssen, wie denndie Situation exakt ist. Wir haben esmit ihnen einmal durchexerziert undsie wissen jetzt viel mehr darüber. Aberdass man ein solches Informations -system teilweise noch gar nicht hatte,deutet schon darauf hin, dass da ir -gend wo ein Problem liegt.

Und wie lässt sich die Erfolgsquote ver-bessern? BUTTLER: Jedenfalls nicht, indem maneinfach sagt, wir müssen massenweiseProfessoren neu berufen. Die Kom -mission plädiert ganz nachdrücklich

dafür, das Mentorensystem, was imGesetz bereits vorgeschrieben ist, auchwirklich mit Leben zu erfüllen. Aberwenn die Betreuungsrelationen so sind,wie sie sind, dann wird man auch nichtviel verbessern können, indem manjedem Studierenden einen Mentor zu -ordnet, denn das sind zu viele Studie -rende pro Mentor. Man wird also Geldin die Hand nehmen müssen, um Tuto -rensysteme aufzubauen. In einem sol-chen System profitieren beide Seiten:Jüngere Studierende lernen von älterenStudierenden und die älteren habendurch die eigene Lehre einen außeror-dentlichen Lerneffekt.

Zu wenig Tutoren

Gefragt sind also mehr studentische Mit -arbeiter. BUTTLER: Ja, zum Beispiel. Und manmuss sich überlegen, ob es richtig ist,den Mittelbau in der Weise wie er ge -gen wärtig besteht, bestehen zu lassenoder ob nicht viel mehr Forscher grup -pen, Juniorprofessuren usw. eingerich-tet werden müssten, damit junge Leuteviel schneller auch selbst verantwortlichlehren und forschen können.

Die Hochschulstrukturkommission schlägtnun vor, die juristische Fakultät in Pots -dam zu schließen und nach Frankfurt zuverlagern. Ein Trick, um zu sparen? BUTTLER: Wir wollen die beiden juris -tischen Staatsexamensstudiengänge in

53perspektive21

friedrich buttler – klein, aber nicht zu klein

Page 54: perspektive21 - Heft 53

Frankfurt zusammenführen, weil beidezusammen ungefähr das leisten, wasman von einer Fakultät erwarten sollte.Die Zahlen dazu sind ganz einfach undstammen völlig unverdächtig vom Ju -ristischen Fakultätentag Deutschlands.Sie sagen, dass pro Hochschullehrer aneiner juristischen Fakultät im Jahrbundesweit etwa 9,4 Absolventen pro-duziert werden, in Brandenburg sind es 5,2, wobei Potsdam besser alsFrank furt abschneidet. Im Übrigenempfehlen wir nicht platt die Schlie -ßung der juristischen Fakultät. Wirhaben vorgeschlagen, eine Fakultät fürRechts-, Wirtschafts- und Verwal -tungs wissenschaften zu schaffen, weilwir meinen, dass die Uni Potsdam her-vorragende Potentiale hat, im Bereichder Verwaltungswissenschaften einenauch überregional beachteten Exzel -lenz bereich zu schaffen. Das geht – wieder Name der Fakultät schon sagt –nicht gegen die Juristen, sondern nurmit ihnen. In Potsdam gäbe es auchweiterhin eine starke rechtswissen-schaftliche Lehre und Forschung, nurdie „Erste Juristische Prüfung“ könnteman hier nicht mehr ablegen.

Wo die Juristen hingehen

Das heißt, die Betreuungsrelation bei denJuristen ist relativ gut? BUTTLER: Es ist nicht so, dass die Fakul -tä ten übertrieben viel Personal hätten.Die Fakultäten arbeiten an der unteren

Kapazitätsgrenze, die kritische Masse,die man braucht, ist so eben erreicht.Aber um darüber hinaus attraktiveStudienangebote anzubieten, wird esknapp. Wir kritisieren auch nicht diewissenschaftliche Qualität der Lehre, dassind beides sehr reputierliche Fakultäten.

Aber woran liegt es nun, dass bisher nurgut halb so viele Absolventen ausgebildetwerden wie im Bundesdurchschnitt? BUTTLER: Das kann man nicht bis insletzte Detail klären. Im Wesentlichenist es ein Mix aus zu hohen Abbrecher -quoten und einem negativen Wande -rungssaldo während des Studiums, ver-mutlich vor allem nach Berlin. Auchohne alle Ursachen im Detail zu ken-nen, kann man im Vergleich mit ande-ren Ländern zu dem Schluss kommen,dass die quantitative Ausbildungs leis -tung der brandenburgischen Universi -täten gemessen an den eingesetztenMitteln zu gering ist.

Berlin genügt sich selbst

Womit wir bei Berlin wären. Wie gutklappt die Zusammenarbeit der Hoch -schulen mit unserem Nachbarland? BUTTLER: Man kann erst einmal sagen,das Berliner Hochschulsystem ist sogroß, dass es in sich selber genügendkritische Masse hat, um nicht aufandere angewiesen zu sein. Trotzdemgibt es eine sehr intensive Kooperationzwischen den Hochschulen. Daneben

54 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 55: perspektive21 - Heft 53

wird zwischen den außeruniversitärenForschungseinrichtungen und Hoch -schulen beider Länder kreuz und querkooperiert und das ist auch gut so.

… Berlin hat es aber weniger nötig alsBrandenburg … BUTTLER: Als wir uns vor 20 Jahren dasHochschulsystem überlegt haben, ha -ben wir natürlich auf Berlin geschautund uns nicht gefragt, ob die auch hin-reichend auf Brandenburg schauen.Das ging zu diesem Zeitpunkt ohnehinnicht. Heute ist es schon anders. Dabeiist herausgekommen, dass bestimmteAngebote auch weiterhin hier in Bran -denburg nicht geplant werden sollten,wie zum Beispiel in der Medizin undverwandten Berufen wie Pharmazieoder Tiermedizin. Heute muss mansehen, dass zum Beispiel an der Charitéeine Ausbildung für Pflegeberufe nichtmehr in dem Umfang angeboten wird,dass es auch für Brandenburg reicht.Deshalb sollen künftig entsprechendeStudien gänge in Senftenberg angebo-ten werden. Anderseits sind bestimmteVerwaltungs studiengänge an der Fach -hochschule in Wildau sinnvollerweisebesser an der jetzt zusammengeführtenHochschule für Wirtschaft und Rechtin Berlin durchzuführen. Da gibt esnoch mehrere Beispiele. Insofern lohntes sich immer, Berlin und Branden -burg als eine Ge samt region zu sehenund die Wissen schaftslandschaft immerwieder aufeinander zu beziehen.

Wenn man allerdings in der Regional -express-Linie 1 sitzt, hat man den Ein -druck, dass die ganzen Studenten undProfessoren von Berlin nach Potsdamund Frankfurt pendeln und unsere Unisnur Außenstellen von Berlin sind. BUTTLER: Nein, Potsdam ist bestimmtkeine Außenstelle. Auch Frankfurt hateinen ganz eigenen Stil. Aber es ist evi-dent, dass man sich wünschen möchte,dass mehr Professoren und mehr Stu -dierende auch in Brandenburg wohnenwürden. Das ist ein ganz wichtigerPunkt, um insofern auch die Eigen -ständigkeit des brandenburgischenHoch schulsystems zu betonen, weil esja in enormer Weise zur Entwicklungdes Landes in verschiedenen Dimen -sionen beiträgt. Allerdings werden dieHochschulen unterschiedlich nachge-fragt. Ein Problem besteht in derLausitz und deshalb hat die „Lausitz-Kom mission“ einige Vorschläge zurKoo pe ration der dortigen Hochschulenunterbreitet. Dabei ist zu gewährleis -ten, dass beide Hochschul einrich tun -gen entsprechend ihrer fachlichen Aus -richtung mit ihrem regionalen Umfeldeng zusammenarbeiten.

Die Regionen profitieren

Und die Kooperation in Brandenburgfunktioniert? BUTTLER: Ja, nach allem, was wir ausden Regionen gehört haben. Natürlichmuss auch mal geklagt werden, wir

55perspektive21

friedrich buttler – klein, aber nicht zu klein

Page 56: perspektive21 - Heft 53

hätten gern von dem und dem mehr.Das ist als Anregung auch gut. Aber imPrinzip sagen alle: Das war eine richti-ge Entscheidung, die Hochschulen hieranzusiedeln und wir möchten sie aufkeinen Fall missen. Dieser Beitrag zurLandesentwicklung kann nicht hochgenug veranschlagt werden. Man sollteauch nicht unterschätzen, was bei spiels -weise Studierende der Kultur wissen -schaften in Frankfurt für die Stadt undihr Kulturangebot bedeuten.

Ohne Hochschule ein Torso

Wie funktioniert die Zusammenarbeitzwischen den Unternehmen und denHochschulen? BUTTLER: Dabei sind große Unter schie -de zu machen zwischen der Koopera -tion mit der mittelständischen Wirt -schaft und der Großindustrie. Beidesfunktioniert gut, beide haben aber eineunterschiedliche Klientel. So ist inSenftenberg die Kooperation mit dermittelständischen Wirtschaft sehr gut.Von der Uni Cottbus würden wir ehererwarten, dass sie mit der großenIndustrie und den entsprechendenKonzernen zusammenarbeitet, wie dasja auch in erheblichem Umfang derFall ist. Wenn sie etwa sehen, wiezusammengearbeitet wird zwischenCottbus und bestimmten Unterneh -men, die etwas mit dem neuen Flug -hafen Berlin-Brandenburg zu tunhaben, kann man erkennen, dass es

funktioniert und von den Partnern inder Wirtschaft auch so eingeschätztwird. Auch zwischen der Hochschulefür Film und Fernsehen und demStandort Babelsberg gibt es eine ganzenge Verzahnung. Das eine wäre ohnedas andere ein Torso. Es lässt sich aberauch noch deutlich mehr machen. Wirmeinen, dass man die wissenschaftlicheWeiterbildung mit Hinblick auf denFachkräftebedarf der Region noch stär-ker intensivieren und miteinander ab -stimmen kann. Die Kommission istdeswegen der Meinung, dass es sinn-voll ist, regionale Plattformen zu bil-den, auf denen die Produzentenseiteund die Abnehmerseite von wissen -schaft licher Weiterbildung zusam -menarbeiten. Da soll nicht jeder allesma chen, sondern man muss sich ab -spre chen und die Arbeit teilen. Auchhier gilt es, komplementäre fachlicheSchwerpunkte aufzubauen.

Neue Perspektiven

Bilden denn die Brandenburger Hoch -schulen das Personal aus, das die Unter -nehmen hier nachfragen? BUTTLER: Die Unternehmen äußertensich durch die Bank außerordentlichpositiv und zufrieden. Ein Problemsehe ich bei den Ingenieurwissen schaf -ten. Dort entwickelt sich inzwischender Fachkräftebedarf so, dass mankünftig verstärkt Ingenieure benötigt.Deshalb empfehlen wir der Techni -

56 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 57: perspektive21 - Heft 53

schen Fachhochschule Wildau sichwieder stärker auf ihre ingenieurwis-senschaftliche Schwerpunktsetzung zukonzentrieren. Wenn man Wildau undden neuen Flughafen nebeneinandersieht, dann sind Themen wie Pro duk -tionslogistik und Verkehrslogistik vongroßer Bedeutung, die von Ökono-men, Ingenieuren und Informatikerngut bedient werden können.

In den neunziger Jahren war die Wie der -gründung der Universität in Frank furtdurchaus umstritten, gerade aus fi nan -zieller Sicht. Hat sie noch das Po tential,ein Brückenkopf nach Osteuropa zu seinoder braucht man sie nicht mehr? BUTTLER: Doch, man braucht sie noch.Aber sie hat inzwischen ein anderesKoordinatensystem. 2004 hat sich mitder Osterweiterung der EuropäischenUnion einiges verändert. Darauf mussdie Universität auch reagieren, sie musssich mit den großen Themen der euro -päischen Entwicklung im internationa-len Zusammenhang beschäftigen, siemuss sich mit den großen Fragen derInstitutionen Europas beschäftigen.Dazu ist die Viadrina mit ihren Fakul -täten im Prinzip richtig konzipiert.Auch die gute Position Brandenburgsim Ländervergleich bei der Interna -tionalität, also der Anteil der auslän -dischen Studierenden, ist zu einemgroßen Teil Frankfurt zu verdanken.Jetzt ist die Frage, wie entwickelt dieViadrina ihr Konzept weiter und wie

entwickelt sie ihre Internationalität.Wir wünschen uns, dass sie dabei nichtnur Polen, sondern alle osteuropä -ischen Nachbarn im Auge hat. Ichbetone aber sehr nachdrücklich, dassdie Perspektive Polen unter keinenUmständen aus dem Auge verlorenwerden sollte. Gleichzeitig bedarf esaber auch einer Perspektiverweiterungnach Westeuropa.

Potsdam ist attraktiv

Die Lausitz-Kommission hat die Zusam -menführung der Fachhochschule Lausitzund der BTU Cottbus empfohlen. Warumhaben Sie nicht die Zusammenführungvon FH und Uni Potsdam empfohlen? BUTTLER: Zunächst einmal ist die Zu -sammenführung, die die Lausitz-Kom -mission vorschlägt, ja eine partielle.Daneben ist der Ausgangspunkt einvöllig anderer. In Cottbus und Senf -tenberg ist die Verdoppelung der Stu -diengänge an den beiden Standortensehr weit getrieben worden. Die Ab -wanderung in der Region ist ein weite-res Problem. Sie wird aber kein Pro -blem mehr sein für eine kooperierendeEinheit oder zwei wirklich intensiv ineiner Holding kooperierende Einhei ten.Das ist in Potsdam völlig anders. Pots -dam ist auch aus Berliner Sicht einhoch attraktiver Standort und trägt dazubei, dass mehr Berliner Studien anfängernach Brandenburg kommen als umge-kehrt. Das liegt übrigens nicht nur an

57perspektive21

friedrich buttler – klein, aber nicht zu klein

Page 58: perspektive21 - Heft 53

der Attraktivität der Stu dien orte, son-dern zunehmend auch an der inzwi-schen erreichten fachlichen Qua lität.

Der Gnade nachhelfen

Demnächst wird in Potsdam ein Stu dien -gang für inklusive Bildung eingerichtet,auch der Studiengang für frühkindlicheBildung ist eine Reaktion auf gesell schaf -tliche Entwicklungen. Gleichwohl hatman im Landtag den Eindruck, dassdauert alles viel zu lange. Ist das Hoch -schulsystem manchmal nicht auch einbisschen zu schwerfällig? BUTTLER: Die Kommission unterstütztganz nachdrücklich, dass in diesenBereichen etwas geschehen muss. Unddie Idee, dass man die gute Entwi ck -lung der Kognitions wissenschaften ander Universität Potsdam und die Mög -lichkeit der Kooperation mit demFach bereich Sozialer Arbeit an derFachhoch schule Potsdam nutzt, liegt jaauf der Hand. Das muss funktionieren.Und trotzdem dauern diese Prozesseeben ihre Zeit. Ich denke aber schon,dass man das auch ausdrücklich imRahmen der Hochschulent wicklungs -planung anstoßen kann. Die Hoch -schulautonomie ist eines der höchstenGüter. Sie muss aber auch verantwortetwerden können. Dort, wo die koopera-tive Autonomie der Hochschule nichtso funktioniert, muss auch mal nachge-holfen werden. Ich sage ihnen das alsehemaliger Paderborner Rektor: In

Paderborn sagen die Menschen, mansoll „der Gnade ab und zu mal einbiss chen nachhelfen“.

Muss die Hochschulautonomie neu aus-balanciert werden? BUTTLER: Wir beschreiben das als einenRegelkreis. Autonomie zuerst! Aberman sollte eben dort, wo sie zu zöger -lichen Reaktionen führt, auch mal entsprechend nachhelfen können. DasHochschulgesetz gibt der Ministe rinoder der Landesregierung durchaus dieMöglichkeiten, das zu tun. Dazu mussman gar keine neuen Instru men te er -finden, sondern sie nur konsequen teranwenden.

Kurzfristig geht das nicht

Welchen Zeithorizont haben denn dieVorschläge der Hochschulstruktur kom -mission? BUTTLER: Wir haben die Perspektive bis2025 dargestellt. Man muss bedenken,dass bei einem neu einzurichtendenStudienangebot die ersten Absolventenerst nach drei bis fünf Jahren fertigsind. Berufungen von Professoren sindimmer auch Festlegungen für eineerhebliche Zeit. Man darf nicht kurz-fristig denken, gerade wenn es umAufbau von Ingenieurwissenschaften,Mathematik oder Naturwissenschaft,um die Einwerbung von Drittmittelnsowie Produktions- und Publikations -erfolge geht. Was die Hochschulent -

58 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 59: perspektive21 - Heft 53

wicklungsplanung angeht, will dasMinisterium sie noch in diesem Jahrauf die Beine stellen.

Das heißt, wir sehen uns in 15 Jahrenwieder und sie werden die nächsteHochschulstrukturkommission leiten.

BUTTLER: Da bin ich mir nicht sicher.Aber es ist jedenfalls eine sehr interes-sante Erfahrung, wenn man nach 20 Jahren noch mal betrachten kann,was man damals mit angeregt hat.

Vielen Dank für das Gespräch.

59perspektive21

friedrich buttler – klein, aber nicht zu klein

PROF. FRIEDRICH BUTTLER

war von 1994 bis 2000 Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft,Forschung und Kultur des Landes Brandenburg und leitete die Hochschul -

strukturkommission, die im Juni 2012 ihren Bericht zur Gestaltung derBrandenburger Hochschullandschaft übergeben hat.

Page 60: perspektive21 - Heft 53

60 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 61: perspektive21 - Heft 53

Konfuzius sagte: „Wenn der Menschnicht über das nachdenkt, was in

ferner Zukunft liegt, wird er das schonin naher Zukunft bereuen.“ DiesemLeitspruch muss die damalige Landes -regierung gefolgt sein, als sie in denneunziger Jahren entschied, die Hoch -schullandschaft im neuen Land Bran -denburg aufzubauen. Hochschulen undUniversitäten wurden neu gegründetaber auch unter den neuen Bedingun genweiterentwickelt. Die Entschei dung,auch in der Fläche, im eher ländlichenRaum Hochschulen weiter zuentwi -ckeln oder aufzubauen, trägt heute dieFrüchte. Gleichwohl soll hier keine wis-senschaftliche Abhandlung mit Fuß -noten und Grafiken stehen, sondern einFazit aus ganz persönlichen Erfahrun -gen eines Bürgermeisters einer Hoch -schul stadt.

Fünf Punkte

Jeder wird sagen, dass die Bedeu tungeiner Hochschule für eine Region hochist. Worauf die Bedeutung zu rück zu -führen ist und die Höhe der Bedeutunghängt nach meiner Auffas sung vonzwei Faktoren ab. Zum einen stellen

die agierenden Per so nen einen ent-scheidenden Faktor dar. Dies ist nichtsNeues, da Entwick lungen immer vonMenschen erdacht und umgesetzt wer-den. Diesen Punkt möchte ich daherim Folgenden nicht weiter betrachten.Vielmehr möchte ich auf den zweitenFaktor näher eingehen. Ich nenne ihneinfach „Wirt schafts- und Wissens ge -sellschaft“ der Region.

Lassen Sie mich diesen zweitenFaktor in fünf Punkte untergliedern:

n Hochschule als Bildungsschmieden Hochschule als Unternehmen n Hochschule als Partner der Wirtschaftn Hochschule als Imagefaktorn Hochschule als Partner der regionalen

Gebietskörperschaften.

DIE HOCHSCHULE ALS BILDUNGS SCHMIE DE

der Region kann man nicht nur auf dieAusbildung der Studierenden reduzie-ren. Vielmehr ist eine Hochschule auchein Ort der geistigen Auseinander set -zung mit Fragen der wirtschaftlichenund gesellschaftlichen Entwicklung derRegion und unseres Landes. Diese Dis -kussionen werden in die Wohnbevöl -

61perspektive21

Mehr als ein JungbrunnenWAS EINE HOCHSCHULE FÜR EINE REGION BEDEUTET

VON ANDREAS FREDRICH

Page 62: perspektive21 - Heft 53

kerung getragen und sind ein wichtigerBestandteil unseres demokratischenEntscheidungs pro zesses. Gerade durchden Wechsel der Studierenden kom-men immer wieder neue Ideen –manchmal, zugegebenermaßen, auchetwas abstruse Ideen – auf den Tisch.Aber durch die immer neuen Ausein -andersetzungen und Dis kussionen ent-wickelt sich die Region weiter. Kreati -vität kommt immer wieder neu in dieGegend und man bleibt offener fürEntwicklungen, die uns voranbringen.

Lebensgefühl und Werbefaktor

Eine Hochschule bildet aber nicht nurhochwertige Arbeitskräfte für die regio-nale Wirtschaft aus – welches schon al-lein für eine Hochschule in einer Re -gion spricht – sondern die Hoch schuleweckt das Interesse junger Men schen anakademischer Bildung. Ich meine damitnicht nur Abiturien tinnen und Abitu -rienten sondern bereits Kin der und Ju -gendliche. Durch eine Kin der-Uni, diedurch die Hoch schu len organisiert werden, wird die natürliche Neugierder Kinder geweckt und be friedigt.Wenn man so will, ist das eine „wissen-schaftliche“ Verzah nung von Hoch -schule und Familie.

Gleiches gilt für die Unterstützungder Schulen bei Projekten der Berufs -orientierung durch Science Academy,Science On Tour, Schnupperstudiumoder Juniorstudium. Auch durch die

von Hochschulen organisierten Fort - bildungskurse über unterschiedlicheThemen oder öffentlichen Vortrags -reihen bis hin zu Seniorenakademiendringt Bildung in die Gesellschaft vorOrt. Alle Interessierten, die diese An -gebote wahrnehmen, kommunizierenpositiv über die Hochschule und damitüber ein Angebot, welches es in derStadt gibt. Dies führt zu einem gutenLebensgefühl und ist ein nicht zu unter -schätzender Werbefaktor, denn alle er-zählen es weiter. Diese Veranstal tungensetzen natürlich ein besonderes Enga -gement der Hochschule voraus.

DIE HOCHSCHULE ALS UNTERNEHMEN.

Natürlich ist die Hochschule kein klas-sisches Unternehmen, das auf in Geldauszuzahlende Gewinne ausgerichtetist. Aber für eine Region entfaltet sie diegleichen Wirkungen wie ein klassischesUn ter nehmen. Hochschulen sind im-mer einer der größten Arbeitgeber derRe gi on. Bei ihnen sind je nach Größemehrere hundert bis zu über tausendMitar bei terin nen und Mitar beiter be-schäftigt.

Stabiler Arbeitgeber

Im Gegensatz zur gewerblichen Wirt -schaft unterliegt eine Hochschule keinenstarken konjunkturellen Schwan kungenund ist daher ein stabiler Ar beit geber.Auch die Bandbreite des Beschäfti gungs - spektrums – vom Pro fessor über wissen-

62 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 63: perspektive21 - Heft 53

schaftliche, verwaltungstechnische bishin zu technischen Mitarbeite rinnenund Mitarbeitern – ist positiv zu be-werten. Bei der klassisch gewerb lichenWirtschaft ist in der Regel die Band -breite nicht so groß. Festzuhalten ist,dass es sehr viele stabile Arbeits ver -hältnisse gibt. Die Arbeit nehmerinnenund Arbeitnehmer wohnen in der Re -gion und geben dort ihr Einkommenaus. Dies gilt natürlich auch für dieStudierenden und Hoch schulmit ar bei -ter, die in der Region wohnen. Diesestärken direkt die regionale Wirt schaft als Kunden im Einzel han del, als Mieter,als Verbraucher usw. Es stärkt aber natürlich auch das gesellschaftliche Le ben und die Kompetenz von Gre -mien oder Vereinen bei der Begleitungund Be urteilung kommunalpolitischerEnt scheidungen.

Verlängerte Forschungsbank

Darüber hinaus fragt die Hochschuleauch Leistungen der regionalen Wirt -schaft ab. Genannt seien hier nur bei-spielhaft Ausstattungsgegenstände,Verbrauchsmittel aller Art, Wohnraumund Bau- sowie Reparaturleistungen.Der Klein- und Mittelstand profitiertinsbesondere bei Angeboten der Be -wirtschaftung der Gebäude und tech -nischen Anlagen. Letzten Endes sindauch die Stadtwerke, Wasser- undAbwasser verbände bei der Bereit stel -lung der entsprechenden Medien

Nutz nießer eines Hochschulstandortes.Hoch schulen sind sogar bei den Ab nah - me men gen sehr große und verlässlicheKunden.

DIE HOCHSCHULE ALS PARTNER DER

WIRT SCHAFT wird in Zukunft nochmehr an Bedeutung gewinnen bzw. gewinnen müssen. Gerade unter demGesichtspunkt der Globalisierung undder Kostenstruktur für die Produktionvon Massenware wird die deutscheWirt schaft auch in Zukunft Motor voninnovativen Produkten sein müssen.Die Hochschule agiert daher in Teilenals „verlängerte Forschungsbank“ fürviele kleinere Unternehmen der Region,die sich eine eigene Forschung nichtoder nur teilweise leisten können. DieWirtschaft profitiert daher vom Wissen -stransfer und schafft und erhält dieArbeitsplätze im Umland. Eine Hoch -schule, die eng mit der Wirtschaft arbei-tet, ist somit Standortfaktor für dieAnsiedlung von Unternehmen. Diezahlreichen Nachfragen von Investorenbei Ansiedlungsgesprächen nach derVerzahnung und der Vernetzung derHochschule mit der regionalen Wirt -schaft belegen dies.

Darüber hinaus ist klar erkennbar,dass durch die Kooperation zwischenHochschule und Wirtschaft sowie derGebietskörperschaft die Wachstums -dynamik der ganzen Region unterstütztwird. Unternehmen, die sich wegen derHochschule ansiedeln, da sie gemein-

63perspektive21

andreas fredrich – mehr als ein jungbrunnen

Page 64: perspektive21 - Heft 53

sam mit der Hochschule neue Produkteentwickeln, sind in der Regel auch be-reit, den dann benötigten Produktions -standort in der Region zu errichten.Dies schafft Arbeitsplätze und Einkom -men in der Region.

Eine Hochschule ist immer einIMAGE FAKTOR FÜR DIE REGION und daher auch ein Imagefaktor für Unter -neh men. Die Hochschule selbst, aberauch Unter neh men, die auf die Absol -venten der Hoch schule zurückgreifen,halten Akade mi ker in der Region. Diesgilt bis hin zur Gewinnung von Füh -rungs kräften. Oder um es einfach zusagen: Men schen aus der Region stu-dieren in der Hoch schule der Regionfür Unter nehmen in der Region (undnatürlich darüber hinaus). Wenn danndie Ab sol venten in den regionalenUnterneh men diesen hochwertigenArbeitsplatz in An spruch nehmen kön-nen, in der Region durch die Tätigkeithier ansässig werden, schließt sich miteinem Hausbau, der Gründung einerFamilie, dem Ein satz der Kaufkraft vorOrt ein weiterer Wirt schaftskreislauf,der Vor bild cha rakter für neue Stu die -rende beinhaltet.

Gemeinsame Projekte

Ein erhöhter Imagegewinn – mit derChance auf Unternehmensansiedlung –ist natürlich auch mit den internationa-len Kontakten einer Hochschule ver-

bunden. Diese Kontakte können dannim Rahmen der Kooperation mit denUnternehmen neu geknüpft und ver-tieft werden.

Die HOCHSCHULEN SIND PARTNER DER

REGIONALEN GEBIETSKÖRPERSCHAFTEN.

Wie sehe ich eine Hochschule als Ver -treter einer Gebietskörperschaft? Ichkann sagen, dass die Hochschule in derStadt steht. Aber ich kann auch sagen,dass die Hochschule nicht nur in derStadt steht, sondern sie lebt auch in der Stadt. Für mich ist die Hochschulenicht ein Gebäude, sondern die Hoch -schule sind für mich die Menschen, die dort arbeiten und lernen. Und mitMenschen muss man kommunizierenund etwas auf die Beine stellen. Das ist natürlich etwas abhängig von denFach bereichen der Hochschule. Aberwenn alle richtig nachdenken, gibt esimmer etwas gemeinsam zu entwickeln.Sei es im Rahmen von Städte pla nung,von energetischer Gebäude sanierungbis hin zu Gesundheits fragen. DieKunst ist, die Kompetenzen einerHochschule für kommunale Projektezu nutzen. Die Wissenschaft kannLösungen für kommunale Problemeerarbeiten und auch Studierende kön-nen durch Masterarbeiten oder andereArbeiten Praxisbezug bekommen undLösungen erarbeiten. Und diese ge -mein samen Projekte einer Hochschulemit der Stadt führen nicht nur zu Pro -blemlösungen, sondern auch zu mehr

64 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 65: perspektive21 - Heft 53

Lebensqualität in der Region und zueinem besseren Lebensgefühl der Men -schen vor Ort.

Eine Hochschule ist nicht nur einJungbrunnen für Menschen undIdeen in einer Region, sondern auchein knallharter Wirtschaftsfaktor. DieBe deutung einer Hochschule kannnicht hoch ge nug eingeschätzt wer-

den. „Die Ein bin dung einer Hoch -schule in das wirtschaftliche undgesellschaftliche Leben einer Stadtund der Region be stimmt derenEntwicklungspotenzial maßgeblichmit“, so der Präsident der Hoch -schule Lausitz, Prof. Dr. GüntherSchulz. Dem kann ich nichts mehrhinzufügen. n

65perspektive21

andreas fredrich – mehr als ein jungbrunnen

ANDREAS FREDRICH

ist Bürgermeister der Stadt Senftenberg, die die Hochschule Lausitz (FH) beherbergt.

Page 66: perspektive21 - Heft 53

66 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 67: perspektive21 - Heft 53

67perspektive21

B ildung und Wissenschaft habenPriorität“ – ist ein immer wieder

gerne beschworener Satz in bundes-deutschen Debatten. Ein Satz, den sichauch viele märkische Landespolitiker aller demokratischen Parteien bis hinzur rot-roten Regierungsführung umMinisterpräsident Platzeck (SPD) undseinem Stellvertreter, FinanzministerMarkov (Linkspartei), gerne auf ihre jeweilige Fahne schreiben. Die Realitätsieht allerdings differenzierter und am-bivalenter aus, als solche plakativenSprüche suggerieren.

In ihrem im Juni vorgelegten Ab -schlussbericht gehen die Experten derHochschulstrukturkommission desLandes Brandenburg um FriedrichButtler detailliert auf die Prioritäten-und Investitionsfrage ein. Unmissver -ständlich weisen sie in Bezug auf diefinanzielle, personelle und sächlicheAusstattung des Hochschulwesens fürdie zurückliegenden Jahre und dieaktuellen haushaltspolitischen Pla nun -gen nach, „dass die schlechte wirt schaft - liche Ausstattung der Hochschu lennicht allein Folge der Wirtschafts kraftdes Landes ist.“ Und weiter: „Zu den-ken gibt freilich, dass [Brandenburg]

auch gemessen an den laufenden Aus -gaben als Anteil am Brutto inland spro -dukt an letzter Stelle liegt; es handeltsich also um eine bewusste Pri o ritäts -entscheidung.“ (siehe dazu auch:Enrico Schicketanz/David Kolesnyk,Quo vadis?, in: Perspektive 21, Heft52, 2012).

Wegzug ist vermeidbar

Die Experten prognostizieren eine wei-tere „Abwärtsspirale“ und eine Redu -zierung von Bildungsteilhabe, wennnicht sofort ein Umdenken in derHaushaltspolitik einsetzt und Priori tä -ten neu definiert wird. „Brandenburg[bietet] bereits heute kapazitär nur weitunterdurchschnittliche Bildungs chan -cen im akademischen Bereich und wirddadurch seiner Verantwortung im föde-ralen Kontext nicht voll gerecht“, weil„in keinem Land mehr Jugendliche zurAufnahme ihres Studiums das Land ver-lassen (müssen) als in Brandenburg.Dies hängt einerseits mit dem begrenz-ten Fächerspektrum zusammen, das inBrandenburg angeboten wird, ist aberandererseits auch auf die im Vergleichzur relevanten Bevölkerungsgruppe ge-

Rot-Rot kann mehrWIE DIE HOCHSCHULPOLITIK AUF DIE ÜBERHOLSPUR KOMMEN KANN

VON ENRICO SCHICKETANZ

Page 68: perspektive21 - Heft 53

ringen Studienplatzkapazitäten zurück-zuführen.“ Der Wegzug dieser jungenMenschen und Fachkräfte wird regel-mäßig bedauert, ist aber zum Teil poli-tisch vermeidbar.

Fußend auf dem rot-roten Koa li -tionsvertrag, zur notwendigen Haus -haltskonsolidierung das Landespersonalin den nächsten zehn Jahren um rund20 Prozent zu reduzieren, fordert derFinanzminister auch einen Beitrag desHochschulbereiches. Er brachte hierden Abbau von 360 Stellen ins Ge -spräch, was der Schließung von bis zudrei Hochschulen entsprechen könnte.Buttler fordert jedoch nicht ein Minus,sondern 360 zusätzliche renommierteWissenschaftler, damit Brandenburgdie Betreuungsrelation der Studie ren -den wieder verbessert und langsam demBundesdurchschnitt annähert, aberauch, um die Abbrecherquote zu sen-ken. Niemand solle zurückgelassen wer-den. Einen ähnlich hohen Personal auf -wuchs wurde zuletzt im „Bildungs streik“2009/10 gefordert.

Vermächtnis des Bildungsstreiks

Diese bundesweite Bildungs streik be -wegung legte den Finger auf die vielenwunden Punkte des Bildungs sys tems.Der rot-rote Regierungswechsel 2009weckte daher bei den engagiert kämp-fenden Studierenden, Beschäf tigtenund ihren gewerkschaftlichen wie po -litischen Unterstützern Hoffnungen.

Fußend auf den hochschulpolitischenProgrammatiken von SPD, Linksparteisowie ihren jewei ligen Jugend- undStudierenden ver bänden, hofften sie aufwegweisende Fortschritte im demokra-tischen, sozialen, ideellen und finanzi-ellen Bereich der märkischen Wissen -schaftspolitik. Die SPD übernahm dasWissenschafts ministerium. Ein neuerWind der Ge sprächsbereitschaft undgroßer Auf geschlossenheit trat an dieStelle der konservativen Brems- bzw.Verhin derungspolitik seitens der CDUgegen über progressiven und studenti-schen Inhalten.

Weniger Selektion

Schnell war jedoch die Enttäu schungda: Bei den Finanzen wird es erstmalnicht besser. Doch es gibt weit mehrHandlungsfelder, um Branden burg alsLand von Wissenschaft und Innova -tion voranzubringen. Auch daraufmachten die „Bildungsstreikenden“und in ihrem Nachgang die Juso-Hoch schulgruppen mit ihren Bünd -nispartnern aufmerksam. Hier legteRot-Rot los:

n Unsinnige Selektionshürden beimMasterzugang wurden abgeschafft.Mindestnoten und fachlich nichtzwingend notwendige Eignungs -voraussetzungen dürfen nicht mehrgefordert werden. Der Zugang zumMasterstudium wird jetzt in der

68 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 69: perspektive21 - Heft 53

Re gel über die zur Verfügung ge -stellten und auszubauenden Kapa -zitäten und Finanzen gesteuert.

n Teilzeitstudienmöglichkeiten wur-den deutlich erweitert, sind aber beileibe noch nicht an allen Hoch -schu len und in möglichst allenStudien gängen umgesetzt.

n Zwei Hochschulstruktur kommis -sionen nahmen nach 20 Jahren unser Hochschulwesen und dessenGrundlagen eingehend unter dieLupe.

Jedoch, der Elan verflog rasch:

n Bundesweit wegweisende „großeWürfe“ bleiben der versprochenen„großen Novelle“ des Branden bur -gischen Hochschulgesetzes vorbe-halten.

n Das im Austausch mit den Juso-Hoch schulgruppen im Wissen -schafts ministerium erstellte Kon -zept für Landeslehrpreise wurdemangels Finanzen vorerst wieder aufEis gelegt. Statt ein Ein-Tages-Ereignis zu implementieren, warvorgesehen, den Prozess zum Ziel zumachen, indem mit maßgeblicherAusgestal tung durch die Stu -dierenden kontinuierlich immerwieder neu an den Hochschulen reflektiert werden sollte, was „guteLehre“ ausmacht und wie Do zie -rende gezielt darin bestärkt werdenkönnen, dass es sich lohnt, die Lehr -

qualität zu verbessern. Dafür solltees auch Auszeichnungen geben.

Haushaltspolitik ist nicht alles. Den -noch muss sie für den Bildungs- undWissenschaftsbereich kontinuierlichimmer wieder neu auf die Tages ord -nung der Landespolitik gesetzt werden,denn für eine Trendwende bleibt nochviel zu tun. Ebenso auf Bundesebene,wo erst noch die vehemente schwarz-gelbe Blockade durchbrochen werdenmuss, um aus dem Kooperationsverbotim Grundgesetz ein Kooperationsgebotzu machen und um die Vermögendenund Finanzspekulanten an der solida -rischen Finanzierung des Gemein we -sens mittels einer umfassenden sozia-len Steuerreform stärker zu beteiligen.

Nicht alles kostet Geld

Die vielen inhaltlichen und strukturel-len Fragen, die – geeignet progressivbeantwortet – ebenfalls zu einer nach-haltigen Stärkung des Hoch schul we sensund seiner Strahlkraft nach innen undaußen beitragen können, dürfen dabeijedoch nicht aus dem Blick geraten.Einige Antworten kosten wieder Geld –da sind wir wieder bei der Grund frage.Aber viele sind mindestens kostenneu-tral oder „kosten“ le dig lich politischenWillen und Kreati vität.

Gerade in diesen Feldern könnteein Land wie Brandenburg bundes-deutscher Vorreiter werden, zumal bei

69perspektive21

enrico schicketanz – rot-rot kann mehr

Page 70: perspektive21 - Heft 53

der hiesigen Regierungskonstellationmit Rot-Rot – und mit starken Stu -die ren denverbänden im Rücken. Wasdie Juso-Hochschulgruppen als SPD-Stu dierendenverband betrifft, so mau-serten sie sich in den letzten Jahren zu einem führenden und präsentenpar teinahen studentischen Akteur auf Lan des ebene, bauten ihre Flä -chen präsenz kontinuierlich aus under reichten be achtenswerte Wahl er -gebnisse. So ist die neu gegründeteJuso-Hochschulgruppe Wildau beiden Wahlen zum Studie renden par -lament in die Nähe der absolutenMehr heit gekommen. Zusam men mitBündnispartnern sind sogar Zwei-Drit tel-Mehrheiten an heiß um kämp f -ten Standorten mit starker Kon kur -renz möglich.

Zwölf Ideen

So ist die Juso-Hochschulgruppe ander Uni versität Potsdam seit sechsLegi sla turen im AStA vertreten undstellt als stärkste Gruppe eines links-progressiven Bün d nisses seit zweiJahren den Vorsitz. Doch möchte Rot-Rot ge meinsam mit den Jugend- undStu dieren denver bän den von SPD undLinkspartei links blinken und auf dieÜberholspur wechseln? Auf zum bun-desdeutschen Klas sen pri mus in derHochschul ge setz ge bung, in der Stu die -renden freund lich keit? Ein ver locken desSzenario ist das zweifellos, oder?

Dafür ist die konkrete personelleund inhaltliche strategische Aufstellungentscheidend, das heißt die Trias aussozial gerechten, als „Fortschritt“ emp-fundenen Ideen, Multiplikatoren undVormachern. Deshalb sollen im Fol -genden zwölf Ideen, zum Teil provo-kant und zugespitzt, angeboten und indie Diskussion gebracht werden.

1. HOCHSCHULDEMOKRATIE UND

-AUTONOMIE. Hochschulen sind keineprä sidiumsgesteuerten Wirtschafts - unterneh men oder Studien- und For - schungs fabriken, in denen alles der ökonomischen Verwertbarkeitslogikunterworfen werden kann. Fremd -steuerung durch undemokratische„Aufsichtsräte“, die über große Gestal -tungsmacht verfügen und jüngst wiederfür die Lausitz in die landespolitischeDebatte gebracht wurden, oder weitereHierarchisierung sind ein Irrweg.Vielmehr ist die Legislative rechtlichaufzuwerten. Im Rahmen des verfas-sungsrechtlich Möglichen muss einegleichberechtigte Mitbestimmung derdrei Statusgruppen (Drittelparität) imHochschulgesetz festgelegt werden, wiedas immer mehr Bundesländer vorma-chen (wollen). In Studienkommis sio -nen sollten die Studierenden 50 Pro zentder Stimmen haben. Hochschulen kön-nen sich selbst beratende Gremienschaffen, in die sie nach pluralen Ge -sichtspunkten Repräsentanten wichti-ger gesellschaftlicher Gruppen und ex-

70 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 71: perspektive21 - Heft 53

ternes Fachpersonal berufen können.Da die Präsidentin bzw. der Präsidentdie gesamte Hochschule repräsentiertund leitet, sollte ernsthaft geprüft wer-den, wie eine Direktwahl durch alleHochschulmitglieder umgesetzt werdenkann. Das fördert zugleich die Debat -tenkultur um die stetige Weiterent -wicklung der Hochschule, führt zu einerstärkeren Berücksichtigung stu den ti -scher Interessen und verschafft eine höhere Legitimation.

2. STUDIERENDENSCHAFT. Das Mandatder Studierendenschaften ist rechtlichbesser abzusichern. Hier können imBrandenburger Hochschulgesetz leichtdie Berliner Regelungen zu den Auf -gaben und des politischen Mandatesder Berliner Studierendenschaftenadaptiert werden. Es ist selbstverständ-liche und gesellschaftspolitisch wichtigePraxis, dass sie „sich [auch] mit dergesellschaftlichen Aufgabenstellung derHochschulen sowie mit der An wen -dung der wissenschaftlichen Erkennt -nisse und der Abschätzung ihrer Fol -gen für die Gesellschaft und die Naturbeschäftigen“ (§ 18 Berliner Hoch -schulgesetz).

3. SOZIALE ÖFFNUNG DER HOCHSCHULEN

Die Zahl der Menschen, die nicht überden „klassischen“ Weg des Abiturs bzw.des (hier weit verstandenen) Fach abi -turs ein Studium aufnehmen, musskontinuierlich erhöht werden, indem

die Hochschulen immer mehr fürberuflich Qualifizierte und für Men -schen, die spezielle wissenschaftlicheWeiterbildungsangebote nutzen möch-ten, geöffnet werden. Absol ven ten desberuflichen Bildungsweges müssengenerell studienberechtigt werden.Damit wird den Prinzipien lebens lan -gen Lernens und breiter Bil dungs teil -habe entsprochen. Conditio sine quanon ist freilich die Studien gebühren -freiheit, die konsequenter Weise auchfür Weiterbildungs ange bote geltenmuss. Um ein Studium für auslän -dische Studierende attraktiver zu ma -chen, ist es jedoch auch notwendig, auf Bundesebene vor allem bestehendeBeschränkungen für Erwerbsarbeit auf-zuheben, weil sie sich oft komplettselbst finanzieren müssen.

4. MASTER FÜR ALLE. Der Bachelor darfnicht zur Sackgasse werden, zumal ernicht einmal im öffentlichen Dienst alsvollwertiger wissenschaftlicher Ab schlussakzeptiert wird. Alle Bachelor-Absolven -ten müssen das Recht haben, ein Mas -terstudium aufzunehmen. Realisiertwerden kann das da durch, dass die Zu -lassung zum Bachelor-Stu dium nachdessen erfolgreichem Ab schluss automa-tisch die Zulassung für einen passendenMasterstudiengang beinhaltet.

5. GLEICHMÄßIGER GESCHLECHTER -

ANTEIL. Das ist auf allen Karrierestufenanzustreben. Hier könnte man sich

71perspektive21

enrico schicketanz – rot-rot kann mehr

Page 72: perspektive21 - Heft 53

zum Beispiel an der Regelung imKoalitionsvertrag der neuen „Schles -wig-Holstein-Ampel“ orientieren. Siewill, dass sich der Frauenanteil einerQualifikationsstufe an der jeweils da -runter liegenden Stufe orientiert unddieses Ziel über ihr Mittelvertei lungs -modell umsetzen. Ähnliches soll fürGremien gelten.

6. WISSENSCHAFT HAT GESELLSCHAFT -

LICHE VERANTWORTUNG. Hochschul -auto nomie bedeutet nicht Abkopplungvon der Gesellschaft. Unabhängigkeitvon Lehre und Forschung kann aberauch nicht heißen, sich unkritisch anmeist profit- oder ideologieorientierte(Privat-)Interessen auszuliefern. Wis -sen schaft hat den gesellschaftlichenAuftrag, kritische Reflexion undEmanzi pation der Bürger zu fördernund diese mit der Vermittlung beruf -licher und sozialer Kompetenzen zuverbinden. Zu diesem Auftrag gehörtausdrücklich, ethisch-moralische, sozia-le, ökologische und gesellschaftlicheAspek te von Forschung, Technologienund Drittmittelprojekten zu reflektie-ren. Forschung, die zum Beispiel mili -tärischen oder Rüstungszwecken dient,gehört nicht an zivile Hoch schu len.Gerade mit Blick auf Potsdam gehörteine Zivilklausel ins Hochschul gesetz.Freilich ist die Frage zentral, wie gene-rell mit Forschungsergebnissen umge-gangen wird. Nicht nur im natur- oderhumanwissenschaftlichen Bereich kön-

nen viele Ergebnisse sowohl zivil alsauch militärisch, sowohl für Menschund Umwelt als auch für die scho -nungs lose Ausbeutung oder Manipu la -tion von Mensch und Umwelt ge nutztwerden. Hier müssen wir alle gemein-sam ein gesellschaftliches Kli ma derVerantwortung schaffen.

7. TRANSPARENZ UND OPEN ACCESS

Mit öffentlichen Mitteln geförderteForschungsergebnisse müssen derGesellschaft allgemein leicht undkostenfrei zugänglich sein. Um diesenAnspruch umzusetzen, sollte ein„Open-Access“-Konzept in Abstim -mung mit den Hochschulen entwickeltwerden. Darüber hinaus bedarf es einerOffenlegungspflicht für Drittmittel -projekte: Es muss transparent gemachtwerden, welche Projekte in wessenAuftrag und mit welcher Zielstellungan den einzelnen Hochschulen laufen.Das gilt auch für die Lehre. ReguläreKurse, die zum Beispiel von Versiche -rungskonzernen mit dem Nebeneffektdes Kundenfangs verantwortet werden,sind eine zu korrigierende Fehlent -wick lung.

8. STUDENTISCHE BESCHÄFTIGTE UND

WISSENSCHAFTLICHER NACHWUCHS

Die Frage nach einer wissenschaftsad -äquaten Personalstruktur mit zum Bei -spiel dreijährigen Qualifikations stellenmuss weiter diskutiert und in engerAbsprache mit den Gewerkschaften

72 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 73: perspektive21 - Heft 53

gestaltet werden, wobei die Einheit vonLehre und Forschung auf alle Fälle zuerhalten ist. Langfristig sollte sozial -demokratisches Ziel sein, tariffreieZonen, das Unwesen mit Kurzzeitbe -fristungen und Lehre zu Dum ping-Bedingungen an den Hochschulen zuüberwinden. Für gleiche Arbeit muss esgleiches Geld geben, für alle Beschäf -tigten Tarifverträge und einen gesetzli-chen Anspruch auf personalrechtlicheVertretung. Für die Verbesserung derSituation der studentischen Beschäf -tigten bzw. wissenschaftlichen Hilfs -kräfte kann die Landesregierung aberauch kurzfristig Einiges machen. EineJahressonderzahlung kann laut Richt -linie der Tarifgemeinschaft deutscherLänder ins Ermessen der Hochschulengelegt werden. Ebenso kann das Lan -despersonalvertretungsgesetz eine per-sonalrechtliche Vertretung vorsehen.Per Verordnung kann festgelegt wer-den, dass es längere Regelvertrags -laufzeiten gibt und alle Stellen hoch-schulöffentlich ausgeschrieben werdenmüssen, weil eine Vergabe „unter derHand“ oder über „Vitamin B“ unge-recht ist. Rot-Rot muss das nur wollen.

9. TEILZEITSTUDIUM. Das Teilzeit stu -dium dient der Vereinbarkeit vonStudium, Familie, Job, Ehrenamt undder persönlichen Lebensplanung. Dierot-rote Regelung im Hochschulgesetzist schon heute eine der besten, aberkönnte noch unbürokratischer und

flexibler gestaltet werden. Rechtfer ti -gungs zwang für Studierende und Prüf-und Bewilligungsaufwand für die Ver -waltung sind nicht nötig. Ganz simpel:Alle Studierenden können ohne Angabevon Gründen semesterweise ein Teil -zeitstudium wählen. Knackpunkt bleibtaber auch dann, dass auf Bundes ebenedie BAföG-Förder fähigkeit ge währ leis -tet werden muss.

10. FREIES STUDIUM OHNE ZWANGS -

EXMATRIKULATION. Die Zwangs ex -matri kulations- und Studienab -schluss fris tenregelung im §20 (2) des Hoch schul gesetzes ist 2008 aufWunsch der CDU und gegen die Über - zeugung von SPD und Links par tei ein-geführt worden, weswegen sie bei derneuen Novelle problemlos wieder abge-schafft werden kann und sollte. Studie -rende sind erwachsene Men schen undmüssen sich, wenn sie kein BAföGbekommen, selbst finanzieren. Zudemsind Studienzeitverlängerungen oftfinanziell bedingt oder aufgrund derStudienbedingungen hausgemacht. EinStudienabschluss ist besser als Hartz IV.

11. RENAISSANCE DES DIPLOMS. Dasdeutsche Diplom genießt weltweiteAnerkennung als Begriff von Qualität„made in Germany“. Insbesondere der„Dipl.-Ing.“ ist in der Wirtschaft wei-terhin beliebt und kann beruflicheVorteile verschaffen. Bundesbildungs -ministerin Schavan (CDU) wertet es

73perspektive21

enrico schicketanz – rot-rot kann mehr

Page 74: perspektive21 - Heft 53

als Zeichen von „Selbstbewusstsein“,wenn Hochschulen für den Abschlusseines Masterstudiums den Diplomgradverleihen dürfen. Dass das „Bologna-tauglich“ ist, beweist Österreich, indemes das Diplom und den Master alsMastergrade definiert. Eine recht fort-schrittliche Formulierung hat jüngstMecklenburg-Vorpommern in seinemHochschulgesetz gefunden, das eineGleichwertigkeitsprüfung voraussetzt.

12. MEDIZIN-INSTITUT. In Cottbus gibtes, unterstützt von der BTU Cottbusund den sechs kommunalen Klinikendes Südens, ein „Institut für interdiszi-plinäre Medizinerweiter- und -fortbil-dung und klinische Versorgungs for -schung“. Das ist eine gute Initiative,dem Ärztemangel entgegen zu wirken.Der Standort ist sehr gut gewählt,schließlich ist das Carl-Thiem-Klini -kum Cottbus das größte (Lehr-)Kran -kenhaus Brandenburgs. Potenzial fürein kleines und bescheidenes An-Institut oder gar eine Fakultät mitPromotionsrecht an der BTU Cottbusbesteht, würde das Land seine ableh-nende Haltung revidieren. Eine finan-zielle Förderung im jetzigen Umfangwäre für das Land sogar kostenneutral(und ein Gewinn an gesellschaftlichemGestaltungsspielraum), würde es dieSubventionen an Vattenfall um rund500.000 Euro kürzen – so hoch istnäm lich der Betrag, mit dem der Kon -zern das Institut sponsert.

SPD-Fraktionschef Holzschuher er -klärte Anfang 2012 Hochschulpolitikzu einer von drei Zukunftsfragen, dieschwerpunktmäßig in diesem Jahr aufder Agenda stehen. Dass es jetzt erst-mals in ganz Brandenburg eine gewisseHochschulbewegung über alle Berufs-und Gesellschaftsgruppen hinweg gibt,ist ein Verdienst aller hochschulpoli-tisch ehrenamtlich Aktiven und derLandespolitik. Das ist gut so. Dasschafft eine Sensibilisierung, auf derenGrundlage wir alle gemeinsam Bran -denburg voranbringen können. DieseAufmerksamkeit entstand in Kombi - nation von drei Debattensträngen (undunterstützend begleitet durch die De -batte der SPD um das Leitbild „Bran -denburg 2030“): Die Haushalts politikdes Landes, mit der jedes Hochschul -system steht und fällt. Dieses Themadominierte in den letzten beiden Jah -ren den Diskurs um die weitere Ent -wicklung des akademischen Bereiches.

Für das ganze Land

Die Kontroverse um die zukünftigeGestaltung der Niederlausitzer Hoch -schullandschaft, die im Februar miteinem landesweit hörbaren Pauken -schlag begann: Sollen die BTU Cottbusund die Hochschule Lausitz zu einer(„unternehmerischen“?) Universität„neuen Typs“ zusammengelegt wer-den? Es geht um das Wie und denUmfang ihrer Fortexistenz, Studien-,

74 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 75: perspektive21 - Heft 53

75perspektive21

enrico schicketanz – rot-rot kann mehr

Lehr- und Forschungs ka pazitätensowie ihrer Studienangebote; es gehtum ihre Finanzierung, ihren Ruf undihre strukturpolitische Funk tion in derRegion. Erstmals gibt es sogar eineVolks initiative „Hoch schu len erhal-ten“, die bereits nach einem Mo nat dasnotwendige Quorum er reicht hat.

Studentensicht fehlt

Die Debatte zu den Anfang Juni vorge-legten Empfehlungen der Hoch schul -strukturkommission. Da allerdings derstudentische Blickwinkel fehlte, scheintes geboten, dass eine neue Art „Kom -mis sion“ Feedback der Studierendenund Anregungen zur Verbesserungihrer Studien- und Le bensbedingungenan allen Hochschul standorten sam-melt. Denn hier besteht ebenso wichti-ger Informationsbedarf, der in die wei-tere Hochschul entwick lungsplanungeinbezogen werden muss.

Spätestens seitdem wird in Bran - den burg und an allen Wissenschafts -stand orten leidenschaftlich und enga-giert debattiert und um den richtigenWeg in die Zukunft gestritten. Wis -sen schafts ministerin Kunst forderthier zu Recht breite Diskussionen undStel lungnahmen ein, um einen nach-haltigen Landeshoch schulentwick -lungsplan erstellen zu können. DieseDebatten gehen das ganze Land undalle gesellschaftlichen Schichten an,die ja „ihre“ Bildungslandschaft mit-tragen. Aber vor allem die Betroffenenan den Hoch schulen müssen dabeisowohl ergebnis offen als auch ent-scheidungswirksam eingebunden undinformiert werden. Unser aller Zielsollte ein solide finanziertes undinhaltlich wie strukturell gestärktesHochschulwesen (einschließlich deroben genannten Vorschläge) für einBrandenburg der Innovationen sein.Beginnen wir jetzt! n

ENRICO SCHICKETANZ

war von 2010 bis 2012 Landessprecher der Juso-Hochschulgruppen Brandenburgund deren Vertreter im Landesvorstand der Jusos Brandenburg, und viele Jahrein verschiedenen universitären Gremien engagiert, zum Beispiel als Referent für

Sozialpolitik im Allgemeinen Studierendenausschuss der Universität Potsdam.

Page 76: perspektive21 - Heft 53

76 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 77: perspektive21 - Heft 53

77perspektive21

A ls man bundesweit über die Exzel -lenz programme für Hochschulen

diskutierte, die sich nahezu ausschließ-lich auf die Forschung bezogen, fordertedie Wissenschaftsabteilung der GEW,und mit ihr weitere gesellschaftlicheKräfte, auch für die Lehre ein Exzel lenz -programm aufzulegen. Mittlerweile bestreitet kaum noch jemand, dass dieLehre an deutschen Hochschulen stief-mütterlich behandelt wird und dass dieBemühungen engagierter Dozenten, ei-nen Teil ihrer Arbeitskraft ausdrücklichfür eine gute Lehre zu reservieren, nichtals karrierefördernd gelten.

Was ist gute Lehre?

Was aber ist eine gute, gar eine exzel-lente Lehre? Schaut man sich dieAktivitäten der Universität Potsdaman, dieser Frage zunächst einmal perLehrevaluation beizukommen, sogelangt man zu dem Schluss, dass bis-lang die quantitativen Parameter über-wiegen: Anzahl der Teilnehmer anLehrveranstaltungen im Verhältnis zuRaumgröße und Ausstattung, stunden-

plantechnische Passfähigkeit der Ver -anstaltungen, Einsatz moderner Me -dien, Versorgung der Studierenden mitMaterialien, Arbeitsaufwand zur Vor-und Nachbereitung.

Um nicht falsch verstanden zu wer-den, die Evaluationsbemühungen derUniversität Potsdam sind durchausverdienstvoll und sicher nicht schlech-ter als die Anstrengungen andererHoch schulen – aber dem Phänomeneiner guten Lehre kommen sie nursehr bedingt auf die Spur. Mittler -weile hat Potsdam auch Programmezur Quali fizierung der Lehre aufgelegtund dafür sogar einige Preise einge-heimst. Daraus aber schließen zu wol-len, dass hier schon flächendeckendgute Lehre praktiziert wird, wäreallein deshalb kurzschlüssig, weil diepreisgekrönten Vor zeigeprojekte quasiin „Reinräu men“ stattgefunden undmit dem banalen Studienalltag wenigzu tun haben.

Was also macht eine gute universi -täre Lehre, zumal unter Standard be -din gungen, aus? Sieben Thesen sollenhier zur Diskussion gestellt werden.

Exzellent – auch in der LehreSIEBEN THESEN FÜR EINE GUTE UNIVERSITÄRE LEHRE

VON UTA SÄNDIG

Page 78: perspektive21 - Heft 53

1. GUTE LEHRE IST KOMPETENZORIEN-

TIERT. Sie stellt nicht das Eintrichternvon Lernstoff in den Vordergrund,sondern die systematische Entwick -lung fachlicher Kompetenzen, willheißen: relevanter Techniken der geistigen Ar beit und fachwissenschaft -licher Me tho den. Diese lassen sichexemplarisch an vielen fachlichenInhalten ausbilden; die Auswahlbesonders geeigneter Inhalte gehörtsomit zu den wesent lichen Ent schei -dungen, die Lehrende zu treffen ha ben. Den Kampf zwischen vernünf -tiger Stoffbeschränkung und „Stoff hu -berei“ gewinnt derzeit leider häufignoch letztere.

2. GUTE LEHRE IST PROZESSORIEN-

TIERT. Es geht um die Gestaltung vonLern prozessen. Das setzt Kenntnisseüber den Ablauf dieser Prozesse vor-aus, also die fachbezogene Beschäfti -gung mit der Lernforschung, speziellauch mit innovativen Lerntechniken.Die Stu dierenden da abzuholen, wosie in ihrem Lernprozess gerade ste-hen, ist eine Lehrkunst, auf die –zumindest im universitären Raum –viel zu wenig Wert gelegt wird. DasBemühen der Lehrenden, möglichsteindrucksvoll solche fachlichen In -halte weiterzugeben, für die sie selbstbrennen, reicht eben nicht aus, umbei allen Studie ren den, zumal inMassenfächern, systematische Lern -prozesse auszulösen.

3. GUTE LEHRE IST FORSCHUNGSBA-

SIERT. Eine Lehrperson, die selbstüberhaupt nicht forscht, läuft irgend-wann Gefahr, nur noch reproduktivund steril zu agieren. So gesehen kön-nen die seit einiger Zeit ins Gesprächgebrachten Lehrprofessuren durchausin eine Sackgasse führen. Selbst akade-mische Mitarbeiter mit hohen Lehr -verpflichtungen, etwa im Bereich vonSprachübungen, sollten nicht ausBelastungsgründen gezwungen sein,sich der angewandten Forschung oderzumindest der forschungsbasiertenMaterialentwicklung gegenüber absti-nent zu verhalten.

4. GUTE LEHRE IST GEHIRNGERECHT. Sieorientiert sich also an den natürlichenLernprozessen, die über alle Sinne undalle Aneignungsweisen der Welt laufenund somit auf die Lernenden als ganz-heitliche Persönlichkeiten gerichtetsind. Eine ausschließlich rationalisti-sche Herangehensweise an Lerninhalte,wie sie im universitären Raum durch-aus als angemessen gilt, ignoriert all dieanderen „Kanäle“, über die sich Lernen– und oft nachhaltiger – vollzieht.

5. GUTE LEHRE IST KOMMUNIKATIV. Mitanderen Worten, sie fordert den Dis -kurs heraus, bezieht die vielfältigenKompetenzen der Lernenden mit einund ist im besten Sinne unterhaltsam.Eine solche Lehre bedarf geeigneterSozialformen, etwa der Projekt- und

78 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 79: perspektive21 - Heft 53

79perspektive21

uta sändig – exzellent – auch in der lehre

Stationenarbeit. Die Studierenden wer-den nicht zum passiven Objekt derBelehrung degradiert, sondern in ihrerBereitschaft zu konstruktiv-kritischemAgieren ermutigt.

6. GUTE LEHRE SETZT EINE DIDAKTISCH

MOTIVIERTE AUFBEREITUNG DES STOF -

FES VORAUS. Gerade im universitärenRaum gilt die Methode „Friss Vogel,oder stirb“ leider noch immer nicht als ehrenrührig. Es muss aber darumgehen, sich bei der Stoffvermittlung anden Kompetenzen, Lernwegen undBedürfnissen der Studierenden zu ori-entieren. Dazu kann ein wohlüberleg-ter Einsatz moderner Moderations-und Präsentationstechniken beitragen,auch die Bereitstellung von Readernund Handouts, die Einbeziehung vone-learning- und blended-learning-Se -quenzen, aber ebenso ein gepflegtesTafelbild und ein lebhafter, hörer -freund licher Auftritt.

7. GUTE LEHRE SETZT ERFAHRENE LEHR -

PERSONEN VORAUS. Und Er fahrungbraucht Zeit, und zwar in zweierlei

Hinsicht: Zeit für die Be ra tung undBetreuung der Stu dierenden und Zeit,um als Lehrperson zu reifen. Aber dieChancen dafür stehen schlecht: DiePersonalausstattung an deutschenHoch schulen ist nicht nur viel zuknapp, sondern auch extrem ungünstig,um Erfahrungen in der Lehre zu sam-meln. Wider bessere Signale aus deneuropä ischen Nachbar ländern und denUSA leistet sich Deutschland bei seinemakademischen Nachwuchs ein Durch -lauf erhitzer-System, das seinesgleichensucht. Kaum hat eine Lehr person trotzQuali fizierungsdruck eine Ahnungdavon gewonnen, wie gute Lehre ausse-hen könnte, ist ihr Frist vertrag auchschon ausgelaufen. Von der Zunahmeprekärer Beschäftigungs verhältnisse, zumBeispiel in Form von Lehrauf trä gen, garnicht zu reden. Es ist wohl nicht über-trieben zu behaupten, dass die ersteVoraussetzung für eine gute Lehre dieaufgabengerechte Personal ausstat tung anHochschulen ist. Aber davon sind wir inDeutsch land – und da macht auch dieUni versi tät Potsdam keine Ausnahme –leider noch meilenweit entfernt. n

DR. UTA SÄNDIG

ist Mitglied der Arbeitsgruppe Akademischer Mittelbau der Uni Potsdam undVorsitzende der Landesfachgruppe Hochschule und Forschung und Mitglied des

Hauptvorstandes der GEW.

Page 80: perspektive21 - Heft 53

80 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 81: perspektive21 - Heft 53

Zur Stärkung des Bundes im Hoch -schul- und Bildungsbereich hat die

Bundesregierung im Mai 2012 einenGesetzentwurf zur Änderung des Grund - gesetzes eingebracht. Ausgangs punkt fürdie neue Debatte ist die erste Föderalis -mus reform von 2006. Diese Reformsoll nun in einigen Punkten rückgängiggemacht werden.

Ein wesentliches Ziel der Födera lis -musreform I war es, so die Argumen -tation der Initiatoren und Befürworterder damaligen Verfassungsänderung,die Zuständigkeiten zwischen Bundund Ländern u. a. im Bereich Wissen -schaft und Bildung zu „entflechten“.Zu den Unterstützern derartiger Be -stre bungen zählten auch ostdeutscheLandesregie rungen, darunter die dama-lige SPD-CDU-Regierung des LandesBranden burg. Hauptinitiatoren jedochwaren die Länder Bayern und Nord -rhein-West falen.

Ziel war es, Bundesleistungen imBereich der Bund-Länder-Gemein -schafts aufgaben, zum Beispiel imHochschulbau, abzubauen und nacheiner Übergangszeit ganz abzuschaffen.Eine derartige Leistungsreduzierung

musste sich vor allem auf weniger fi nanzstarke und auf Länder mit In -vestitionsrückständen im Hochschul - bereich – also auch auf ostdeutscheLänder – besonders negativ auswirken.Daher hätte man von diesen Länderneigentlich deutlichen Widerstand gegenderartige Abbauplanungen er war tendürfen. Solchen Erwartungen ist inTeilbereichen nur das Land Mecklen -burg-Vorpommern gerecht geworden.Der Einfluss von Staats kanzleien undFinanzministern, die sich nicht selteneher an im engeren Sinne fiskal- als aninvestitions- und wachstumspolitischenZielen orientieren, hat in anderen ost-deutschen Län dern schon früh zur Zu -stimmung zu den Initiativen für dieVerfassungs än derung von 2006 geführt.

2006 und die Folgen

In der Praxis führte diese Entflechtungvon Bundes- und Landeszuständig kei -ten überwiegend dazu, dass Bundes -kompetenzen gestrichen oder reduziertwurden. Nach der Verfassungsän de -rung von 2006 blieben im SektorBildung und Hochschule nur noch

81perspektive21

Die Rückkehr desBundesWIE SICH NEUES ENGAGEMENT DES BUNDES IN DER HOCHSCHUL-

UND BILDUNGSPOLITIK AUF BRANDENBURG AUSWIRKEN KANN

VON KLAUS FABER

Page 82: perspektive21 - Heft 53

wenige Bundeszuständigkeiten übrig.Die Kompetenzverluste betrafen u. a.die Hochschulgesetzgebung und diefrühere Gemeinschaftsaufgabe Hoch -schulbau nach Art. 91a des Grund -gesetzes. Die Hochschulrahmen ge -setzgebung des Bundes wurde, wieinsgesamt die Rahmengesetzgebung,aufgegeben. Im Bereich der konkur -rierenden Gesetzgebung blieben beimBund die Regelungskompetenzen fürdie Hochschulzulassung und dieHoch schulabschlüsse, nicht aber die jenige für die Hochschul personal -struk tur. Als Aus gleich für die Ab -schaffung der GemeinschaftsaufgabeHochschul bau wurden Regelungengetroffen, nach denen bis 2013 zweck-gebundene Übergangszahlungen desBundes, be rechnet nach dem Durch -schnitt zuvor erbrachter Leistungen, zu leisten sind. Ab 2014 entfällt dieZweckbin dung der Bundesbeiträge,die, unter dem Vor behalt einer Erfor -derlich keits prü fung, noch bis 2019gezahlt werden sollen.

Bereits vor dem Wegfall der Zweck -bindung in 2014 waren in einigenLändern, auch in Brandenburg, keineden Bundesmitteln entsprechendenLandesleistungen für den Hochschul -bau aufgebracht worden. In der Praxiswurden auf diese Weise die Befürch -tungen bestätigt, die Kritiker gegenü-ber der geplanten Abschaffung derGemeinschaftsaufgabe Hochschulbaubereits 2006 vorgetragen hatten.

Ohne den Anreiz der Bundesmit fi -nanzierung und den im früherenGrundgesetz ge regelten Zwang, ent-sprechende Landes zahlungen für denHochschul bau in gleicher Höhe wieder Bund zu leisten, ist in finanz-schwachen Ländern und in Ländernmit Nachholbedarf im Hoch schulbaueine ausreichende Hoch schulbau fi -nanzierung oft nicht gesichert.

Kooperationsverbot in der Kritik

Für den Bildungsbereich allgemein, alsoinsbesondere für Schule und Hoch -schu le, hat auch eine andere Neurege -lung von 2006 Bedeutung. Vor allemBeschwerden des früheren hessischenMinisterpräsidenten Roland Koch überdie Bundesmitfinanzierung von Länder -aufgaben zum Beispiel bei der Förde -rung von Ganztagseinrich tungen (nachArt. 144a Abs. 4 alt des Grundge -setzes), hatten dazu geführt, dass durchdie Verfassungsänderung zur Födera -lismusreform I derartige Bund-Länder-Kooperationsabkommen nur noch indemjenigen Bereich zugelassen wurden,in dem der Bund über eigene Gesetzge -bungszuständigkeiten verfügt.

Im Schulwesen ist das bekanntlichkaum der Fall, sieht man von der Aus -bildungsförderung ab, die aber zurBegründung von gemeinsamen Bund-Länder-Förderabkommen im Schul -sektor nicht ausreicht. Die 2006 in dasGrundgesetz neu eingefügte – die

82 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 83: perspektive21 - Heft 53

Bund-Länder-Kooperation einschrän-kende – Regelung wird heute meist als„Kooperationsverbot“ beschrieben.Auch im Hochschulbereich reichen diegeschilderten, nach 2006 verbliebenenBundesgesetzgebungszuständigkeitennicht aus, um darauf Förderabkommenmit dem Bund zu begünden.

Inzwischen werden viele der Neu -rege lun gen des Grundgesetzes imBildungs- und Hochschulbereich vorallem diejenigen, die den Bundes ein -fluss reduziert haben, kritisiert. Zu denKritikern ge hö ren Politiker aus allenBundes tags parteien, auch aus der SPD.Viele Kritikansätze zielen insbesonderedarauf ab, eine höhere Bundesmit fi -nanzie rung des Bildungs- und Hoch -schul bereichs zu erreichen.

Eine neue Gemeinschaftsaufgabe

Merkwürdigerweise (und glücklicher-weise) hat die Föderalismusreform von 2006, gegen den ihr zugrunde liegenden Generaltrend zur Entflech -tung, eine neue Bund-Länder-Ge mein - schafts aufgabe zur Förderung von„Vorhaben der Wissenschaft undForschung an Hochschulen“ einge-führt. Sie wurde vor allem aufgrundder Initiativen ostdeutscher Bundes -tags abgeordneter (insbesondere vonAndrea Wicklein und WolfgangThierse) in der letzten Beratungsphasein Art. 91b des Grundgesetzes einge-fügt. Bund-Länder-Vereinbarungen

nach dieser neuen Gemeinschafts auf -gabe bedürfen „der Zustimmung allerLänder“. Die gemeinsame Finanzie -rung könnte sich auch auf alle Bau -vorhaben an Hochschulen beziehen,also nicht nur auf die im Grundgesetzerwähnten „Forschungsbauten“.1 Dieauf die neue Fördervorschrift nach Art.91b Abs. 1 des Grundgesetzes gestütz-ten Bund-Länder-Hochschulpaktesehen das allerdings noch nicht vor.

Die neue Regelung konnte nur des-halb durchgesetzt werden, weil beieiner Ablehnung der Initiativen die fürVerfassungsänderungen notwendigeZwei-Drittel-Mehrheit im Bundestaghätte gefährdet sein können. Die Ein -fügung einer neuen Bund-Länder-Ge -meinschaftsaufgabe in die Verfas sungs -änderung von 2006 zeigt, dass sichWiderstand auch gegenüber einerüber mächtig erscheinenden Formation,wie der damaligen politischen Führungder CDU/CSU-SPD-Koalition aufBundesebene, durchaus lohnen kann.Die neuen Bund-Länder-Hochschul -

83perspektive21

klaus faber – die rückkehr des bundes

1 Nach dem 2006 neu eingefügten Art. 91b Abs. 1 Satz 1Nr. 2 des Grundgesetzes (Förderung von „Vorhaben derWissenschaft und Forschung an Hochschulen“) könnenBund und Länder auch dann Bauvorhaben an Hochschulenfördern, wenn sie nicht „Forschungsbauten“ nach Art. 91bAbs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Grundgesetzes sind. Zu den zu för-dernden Hochschul-„Vorhaben“ etwa im Bereich der Lehrekönnen nämlich auch Bauvorhaben gehören. Eine Aus -schluss funktion, die sich auf alle anderen Bauten als die„Forschungsbauten“ nach Art. 91b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 desGrundgesetzes bezieht, kommt der genannten Norm nichtzu. Siehe dazu auch: Klaus Faber, Wissenschaftspolitik undFöderalismusreform: Verfassungspolitische Ungereimt hei -ten, in: Botho Brachmann et.al (Hg.), Die Kunst des Ver -netzens. Festschrift für Wolfgang Hempel, Berlin 2006, S. 449 bis 460.

Page 84: perspektive21 - Heft 53

pakte leisten insgesamt einen beacht -lichen Beitrag zur Hochschulfi nan zie -rung. Sie wären ohne die Initiativender ostdeutschen SPD-Bundestags -abgeordneten nicht möglich gewesen.

Neue Forderungen

Vor allem auf der Basis der neu einge-führten Hochschul-Gemein schafts auf -gabe hat sich der Bund im Hoch schul -wesen trotz der Kompe tenz verluste von2006 einen erheblichen und in letzterZeit wachsenden Einfluss sichern kön-nen. Die größten neuen Bundesfinan -zie rungsbeteiligungen enthalten dieBund-Länder-Vereinbarungen imRahmen des Hochschulpaktsystemsund zur sog. Exzellenzinitiative. Siekönnten ohne Verfassungsänderungauf weitere Hochschulgebiete, die aucheinen Teil der Grundfinanzierung derHochschulen umfassen, ausgedehntwerden. Entsprechende Vorschläge,die sich auf die Bundesmitfi nanzie rungder erreichten Hochschulab schlüssebeziehen, sind 2011 vom Wis sen -schafts fo rum der Bundes-SPD vor -gelegt worden.

Auch der letzte SPD-Bundespartei taghat 2011 einmütig – mit den Stim menaller Delegierten aus Bran den burg –umfassende Forderungen an neue ge -meinsame Bund-Länder-Programmezur Finanzierung des Bildungs- undHochschulwesens beschlossen. Vor ge -sehen sind danach in einem Ver bund -

programm von Bund und Län dern etwa20 Milliarden Euro Mehr ausgaben fürBildung und Wissenschaft pro Jahr. ImWissen schafts bereich wäre ein derarti-ges Bund-Länder-Verbundprogrammauch ohne eine Grundgesetzänderungzu verwirklichen, da die vor und seit2006 bestehenden Grundgesetz bestim -mun gen weit und flexibel genug gefasstsind. Im Schulbereich hingegen, ist fürdie Umsetzung der SPD-Parteitags for -derungen allerdings eine Aufhebungdes Kooperationsverbots erforderlich.

Mehrheit ist fraglich

Verfassungsänderungen setzen Zwei-Drittel-Mehrheiten im Bundestag undBundesrat voraus. Im Bundestag ist esvielleicht möglich, für eine Aufhebungdes Kooperationsverbots eine derartigeMehrheit zu erhalten. Das trifft sowohlauf die Positionen der beiden Regie -rungs fraktionen als auch auf die Ent -wicklung der Meinungsbildung in denBundestagsfraktionen von SPD undGrünen (und vielleicht auch in derLinks-Fraktion) zu. Fraglich ist aller-dings, ob eine Zwei-Drittel-Mehrheitim Bundesrat erreicht werden kann,was wiederum die Position eines Teilsder Bundestagsfraktionen beeinflussenkönnte. Widerstände sind dabei auchin denjenigen Ländern vorstellbar, dievon der SPD mitregiert werden. DieBundes-SPD wird eine Aufhebung desKooperationsverbots allerdings wohl in

84 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 85: perspektive21 - Heft 53

jedem Fall als Teil ihrer Agenda fürden Bundestagswahlkampf 2013 pro-pagieren. Die SPD-Bundestagsfraktionhat zu diesem Thema einen Beschluss -antrag vorgelegt, der mit der SPD-Länderseite abgestimmt ist.

Der Bund kann mehr tun

Die Bundesregierung hat zur verfas-sungsrechtlichen Absicherung eineshöheren Bundesengagements imHoch schulbereich eine Ergänzung desArtikels 91b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 desGrundgesetzes vorgeschlagen. Nebenden „Vorhaben der Wissenschaft undForschung an Hochschulen“ sollenkünftig auch „Einrichtungen“ derWissenschaft und Forschung an Hoch -schulen, also zum Beispiel Hochschu -len selbst, durch Bund-Länder-Koope -rationsabkommen gefördert werdenkönnen. Auch hier ist eine verfassungs-ändernde Zwei-Drittel-Mehrheit imBundestag trotz der zunächst negativenReaktion der Opposition unter Um -ständen vorstellbar, im Bundesrat aberbislang noch nicht gesichert. Der SPD-Bundestagsfraktion geht die Initiativenicht weit genug; sie stimmt dem Än -derungsanliegen jedoch in der Sachezu. Fraglich ist, ob man für die vorge-sehenen, erweiterten Bund-Länder-Förderprogramme im Hochschulbe reichdie vorgeschlagene 91b-Erwei te rung, diezur Klarstellung und Ab gren zung desSpielraums für Verein ba rungen gewiss

nützlich wäre, unbedingt benötigt. DieVerfassungspraxis zeigt eher, dass auchjetzt schon die Instrumente für wesent-liche neue Programme zur Verfügungstehen, wie u. a. die Fälle zeigen, indenen der Bund Hochschulen mitfi-nanziert.

Im Bundestag zeichnet sich seit längerer Zeit eine breite Übereinstim-mung dazu ab, auch ohne eine voraus-gehende Verfassungsänderung dasVolumen und die inhaltliche Reich -weite der Bundesmitfinanzierung imHochschulwesen deutlich zu erweitern.Auf der Seite der zurzeit bestehendenRegierungskoalition ist dafür u. a. dieschon erwähnte Bereitschaft ein Zei -chen, den Bund in stärkerem Umfangan der Mitfinanzierung bestimmterHochschulen zu beteiligen (Beispiele:Charité Berlin, Karlsruhe). DiesesModell könnte unter Umständen eben-so in ostdeutschen FlächenländernAnwendung finden, ein entsprechendesEngagement auf der Landesseite vo -rausgesetzt, etwa bezogen auf die Euro -pa-Universität Viadrina und ihreminternationalen Profil. Die Realisierungwird in diesem Fall allerdings wohl erstnach den Bundestagswahlen 2013unter dann veränderten bundespoliti-schen Ausgangsbedingungen möglichsein. Die Bundes-SPD hat ihre Ziel -setzung, eine stärkere Bundesmitfi nan -zierung im Hochschulbereich an zu stre -ben, u. a. in dem Parteitagsbe schlussvon 2011 deutlich gemacht.

85perspektive21

klaus faber – die rückkehr des bundes

Page 86: perspektive21 - Heft 53

Man sollte bei den Bundesange bo tenzu einem größeren Finanzenga gementim Hochschulwesen berücksichtigen,dass der Bund nicht die Absicht hat,bislang von den Ländern aufgebrachte(oder nach allgemeinen Standards auf-zubringende) Finanz leis tungen ganzoder teilweise zu ersetzen. Es geht viel-mehr in der Regel um eine Bundesfi -nanzierungsbeteiligung an künftig not-wendigen Ausbauanstren gungen, etwaim Bereich der Studien plätze, beispiels-weise beim Ausbau von Masterstudien -plätzen oder zur Verbes serung derQualität der Lehre. Mittel bar werdendie Länder auf diese Weise jedoch ent-lastet, nämlich bei der Fi nanzie rungeines beachtlichen Teils der künftigenWachstumsraten in den Hoch schul-und Forschungs haushal ten. Zu derenVolumen geben die im SPD-Partei -tagsbeschluss genannten Steigerungs -raten (20 Milliarden Euro pro Jahr fürBund und Länder) einen Hinweis.

Konsequenzen für Brandenburg

Vor dem Hintergrund der in der zwei-ten Verfassungsreform von 2009 be -schlossenen Schuldenbremsen werdenauch andere Länder als Brandenburg,das bekanntlich in seinen Hochschul -ausgaben pro Kopf der Bevölkerung ander letzten Stelle in Deutschland liegt,Schwierigkeiten haben, die notwen -digen Steigerungsraten für den Hoch -schulhaushalt zu gewährleisten.

Theoretisch gibt es zwei Wege füreinen Ausweg aus dem Dilemma. Zumeinen wäre es denkbar, die beschlosse-nen Regelungen zu Schuldenbremsendurch Verfassungsänderung wieder zulockern, auch unter dem Eindruck dereuropäischen Debatte über eine gleich -rangige Prioritätensetzung für dieHaus haltskonsolidierung, für das wirt-schaftliche Wachstum und für Zu -kunftsinvestitionen zur Sicherung derindividuellen, regionalen und interna-tionalen Wettbewerbsfähigkeit. Poli -tisch wahrscheinlicher ist bei fast allenvorstellbaren Ergebnissen der Bundes -tagswahl 2013 eine Entscheidung füreine Verstärkung der Bundesmitfi nan -zierung in strategisch wichtigen Sekto render Infrastrukturförderung, also u.a. im Bildungs- und Hochschulwesen.Außerdem geht es in diesem Zusam -menhang auch darum, Verbesserungenauf der Einnahmeseite des Bundes zuerreichen, etwa – wie es die SPD vor-schlägt – durch Wiedereinführung derVermögenssteuer.

Die Brandenburger Politik musssich in jedem Fall, auch für die Zeitnach den Landtagswahlen von 2014,auf eine derartige Entwicklung einstel-len, um im Wettbewerb um mehrBundesmittel finanzpolitisch Erfolghaben zu können. Die zurzeit geführtewissenschaftspolitische Debatte umSpar- und Kürzungsvorschläge und umdie brandenburgische Hochschul struk -tur hat ambivalente Auswirkungen.

86 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

Page 87: perspektive21 - Heft 53

Neben negativen Aspekten, auch sol-chen, die sich auf rufschädigendeFolgen für das Land und seine Hoch -schulen beziehen, gibt es ebenso positi-ve Effekte. Zu den letzteren gehört dieKlärung einiger bislang strittigen Fra -gen in der politischen Debatte. DassBrandenburg in Deutschland die letztePosition bei der Finanzierung seinerHochschulen belegt, ist inzwischenbekannt und unumstritten. Auch dievon der Landesregierung zur Beglei tungvon Sparmaßnahmen eingesetzte Ex -per tenkommission unter Leitung desfrüheren Staatssekretärs Prof. Dr.Buttler hat deutlich gemacht, dass diein Brandenburg vorhandenen Hoch -schul kapazitäten im Ländervergleichkeinesfalls überdimensioniert sind. InTeilbereichen der politischen Debattehörte sich das zuvor noch anders an.Brandenburg könne sich sein Hoch -schulsystem langfristig nicht leisten, esgebe im Land zwei Universitäten, da -runter die Brandenburgische Techni scheUniversität Cottbus, zu viel, so einigeStimmen zu Beginn der politischenAuseinandersetzung. Dieser Teil derArgumentation ist inzwischen geklärt.

Wie viele Studenten?

Offen ist allerdings zum Teil nochimmer die Frage, von welchen Kapa -zitätsannahmen für die Studieren den -zahlen in Brandenburg mittel- undlangfristig ausgegangen werden soll.

Die Einsicht, dass es im Hochschul -bereich, anders als im Schulsektor, kei-nen automatischen Zusammenhangzwischen Bevölkerungswachstum oder-verlust und der Studienplatznachfragegibt, wird zwar im Abschlussberichtder Buttler-Kommission2 geteilt, hatsich aber sonst noch nicht überalldurchgesetzt. Ein Vergleich des – be -grenzten – Berliner Bevölke rungs -wachstums und der gleichzeitig festzu-stellenden großen Steigerungsraten derBerliner Studierendenzahlen nach1990 belegt die Unabhängigkeit derbeiden Bewegungen.

Im Interesse aller

Auch in anderen deutschen Regio nenlässt sich dieser Unterschied nachwei-sen. Gegen nach oben prinzipiell offe-ne Entwicklungsannahmen zu denlangfristigen Studierendenzahl pro gno -sen für Brandenburg kann auch nichtangeführt werden, alle unsere Nach -barländer in Mittel- und Osteuropaseien durch einen ähnlichen Rückgangbei den Geburtenzahlen geprägt wieDeutschland; sie kämen daher als Stu -dierendenexportländer für Bran den -burg nicht in Frage. Das Gegenteil istvielmehr richtig. Aus Polen sind in denvergangenen Jahren jeweils hunderttau-sende Menschen nach Groß britannien

87perspektive21

klaus faber – die rückkehr des bundes

2 Siehe dazu: Bericht der HochschulstrukturkommissionBrandenburg („Buttler-Bericht“) vom 08.06.2012,www.mwfk.brandenburg.de

Page 88: perspektive21 - Heft 53

und nach Spanien ausgewandert. Daszeigt, dass der Gebur tenrückgang keineEinschränkung der grenzüberschreiten-den Mobilität zur Folge haben muss.Die zurzeit diskutierte Zahl von50.000 Studierenden, die Brandenburgjetzt schon überschritten hat, solltedaher keine starre Obergrenze füreinen nachfrageorientierten branden-burgischen Hochschulausbau bilden.Man sollte bei der Bewertung vonStudierendenzahlprognosen auch ihrehohe Fehleranfälligkeit berücksichti-gen. Die Prognosen mussten fastimmer nach oben korrigiert werden.Interessengeleitete Bewertungsfaktoren,etwa das Interesse, den Investitions -bedarf niedrig anzusetzen, spieltendabei wahrscheinlich eine Rolle, aberwohl auch die Neigung, die Komple -xität der Vorgänge beim Studier ver -halten in unzulässiger Weise zu redu-zieren. Reserven für eine künftigwei ter hin steigende Studien platznach -frage in Brandenburg ergeben sich ausnoch bestehenden Nachfragedefizitenbei bestimmten Bevölkerungsteilenund aus der Einwanderungs möglich -

keit aus anderen Bundesländern sowieaus dem Ausland.

Ein attraktives, vielfältiges Studien an -gebot in Brandenburg auszubauen, liegt,langfristig betrachtet, im Interesse allerBürgerinnen und Bürger. Das gilt unterfinanzpolitischen, aber ebenso unter al -len Gesichtspunkten, die mit der Siche -rung der Entwicklungs möglich keitenund der Wettbewerbs fähigkeit des Lan -des und seiner Men schen zusammen-hängen. Dazu gehören auch die Wirt -schaftsen twicklung und die Siche rungeiner qualifizierten Hoch schul part ner -schaft für die ausgezeichneten außer-hochschulischen Forschungsein rich tun -gen in Bran denburg. Die Chancen, diesich jetzt unter demografischen undbundespolitischen Gesichtspunkten bie-ten, sollten wahrgenommen werden. DieFinanz beträge, die dafür vom Land zuerbringen sind, sind im Vergleich zumGesamtvolumen des Landeshaushaltsoder auch nur zu den – wohl unver-meidbaren – Mehrkosten beim Flug ha -fenausbau in Schönefeld eher be grenzt.Ihr Nutzen kann aber nicht hoch genugeingeschätzt werden. n

88 august 2012 – heft 53

thema – welche hochschulen braucht das land?

KLAUS FABER

ist Staatssekretär a. D., Rechtsanwalt und Vorsitzender des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg

und Mecklenburg-Vorpommern e. V.

Page 89: perspektive21 - Heft 53
Page 90: perspektive21 - Heft 53

90 august 2012 – heft 53

impressum

HERAUSGEBER

n SPD-Landesverband Brandenburgn Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie

in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e.V.

REDAKTION

Klaus Ness (V.i.S.d.P.), Thomas Kralinski (Chefredakteur), Ingo Decker, Dr. Tobias Dürr, Klaus Faber,Tina Fischer, Klara Gey witz, Lars Krumrey, Christian Maaß, Till Meyer, Dr. Manja Orlowski, John Siegel

ANSCHRIFT

Alleestraße 914469 PotsdamTelefon 0331 / 730 980 00Telefax 0331 / 730 980 60

[email protected]

INTERNET

http://www.perspektive21.de

HERSTELLUNG

Layout, Satz: statement WerbeagenturKantstr. 117A, 10627 BerlinDruck: LEWERENZ Medien+Druck GmbH,Coswig (Anhalt)

BEZUG

Bestellen Sie Ihr kostenloses Abonnement direkt beim Herausgeber. Senden Sie uns eine E-Mail.

Page 91: perspektive21 - Heft 53

Wie werden wir im 21. Jahrhundert leben? Die alten Lösungen taugen nicht mehr, die neuen

kommen nicht von selbst. Die Berliner Republik ist der Ort für die wichtigen Debatten unserer

Zeit: progressiv, neugierig, undogmatisch. Weil jede Zeit ihre eigenen Antworten braucht.

Die Berliner Republik erscheint 5 mal jährlich. Das Einzelheft kostet 8,00 € zuzüglich 1,53 € Versandkosten. Die Berliner Republik gibt es auch im Jahresabo für 40,00 € frei Haus. Studierende zahlen 25,00 € frei Haus.Bezug der bereits erschienenen Hefte möglich.Jetzt Probeheft bestellen: Telefon (030) 255 94-130, Telefax (030) 255 94-199, E-Mail: [email protected]

DAS DEBATTENMAGAZIN

www.b-republik.de

Page 92: perspektive21 - Heft 53

SPD-Landesverband Brandenburg, Alleestraße 9, 14469 PotsdamPVST, DPAG, Entgelt bezahlt, A47550

Seit 1997 erscheint „perspektive 21 – Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik“.

Wenn Sie Interesse an bisher erschienenen Ausgaben haben, können Sie ältereExemplare auf unserer Homepage www.perspektive21.de als pdf herunterladen.

Einzelne Exemplare von bisher erschienenen Ausgaben schicken wir Ihnen gerne auchauf Wunsch kostenlos zu. Senden sie uns bitte eine E-Mail an [email protected].

Zur Zeit sind folgende Titel lieferbar:

Heft 17 Ende der Nachwendezeit. PDS am Ende?

Heft 18 Der Osten und die Berliner Republik

Heft 19 Trampolin oder Hängematte? Heft 20 Der Letzte macht das Licht aus?Heft 21/22Entscheidung im Osten:

Innovation oder Niedriglohn?Heft 23 Kinder? Kinder!Heft 24 Von Finnland lernen?!Heft 25 Erneuerung aus eigner KraftHeft 26 Ohne Moos nix los?Heft 27 Was nun Deutschland?Heft 28 Die neue SPDHeft 29 Zukunft: WissenHeft 30 Chancen für RegionenHeft 31 Investitionen in KöpfeHeft 32 Auf dem Weg ins 21.JahrhundertHeft 33 Der Vorsorgende Sozialstaat

Heft 34 Brandenburg in BewegungHeft 35 10 Jahre Perspektive 21Heft 36 Den Rechten keine ChanceHeft 37 Energie und KlimaHeft 38 Das rote PreußenHeft 39 Osteuropa und wirHeft 40 Bildung für alleHeft 41 Eine neue Wirtschaftsordnung?Heft 42 1989 - 2009Heft 43 20 Jahre SDPHeft 44 Gemeinsinn und ErneuerungHeft 45 Neue ChancenHeft 46 Zwanzig Jahre BrandenburgHeft 47 It’s the economy, stupid?Heft 48 Wie wollen wir leben?Heft 49 Geschichte, die nicht vergehtHeft 50 Engagement wagenHeft 51 Die Zukunft der KommunenHeft 52 Die Zukunft der Medien