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Schweiz Monatsschr Zahnmed, Vol 113: 1/2003 76 Zahnmedizin aktuell Betreuung von Patientinnen mit Essstörungen (Dr. Carola Imfeld, Zürich) Unter dem Oberbegriff Essstörungen werden zwei wichtige und eindeutige Syndrome beschrieben: die Anorexia ner- vosa (Pubertätsmagersucht) und die Bu- limia nervosa (Bulimie oder Ess-Brech- Sucht). In der Schweiz leiden ca. 2% der Bevölkerung an Anorexie und 8% an Bulimie. Die Anorexia nervosa ist durch einen ab- sichtlich selbst herbeigeführten oder auf- rechterhaltenen Gewichtsverlust charak- terisiert. Am häufigsten ist die Störung bei heranwachsenden Mädchen und jun- gen Frauen (Risikoalter 15–19 Jahre). Diagnostische Leitlinien sind: Tatsäch- liches Körpergewicht mindestens 15% unter dem erwarteten (entweder durch Gewichtsverlust oder nie erreichtes Ge- wicht) oder ein BMI (body mass index) von 17,5 oder weniger. Der Gewichtsver- lust wird selbst herbeigeführt durch Ver- meidung von hochkalorischen Speisen und/oder Gebrauch von Appetitzüglern (restriktiver Typ, ca. 53% der Fälle) oder durch induziertes Erbrechen, selbst in- duziertes Abführen oder Diuretika (pur- gativer Typ, ca. 47% der Patientinnen). Die Bulimia nervosa (Bulimie, oder wört- lich: «Ochsenhunger») ist durch wieder- holte (in vergangenen 3 Monaten im Durchschnitt zweimal pro Woche oder mehr) Anfälle von Heisshunger (Ess- attacken) und eine übertriebene Beschäf- tigung mit der Kontrolle des Körperge- wichts charakterisiert. Tatsächliche oder eingebildete Gewichtszunahme veran- lasst die Patientin, mit extremen Mass- nahmen den dickmachenden Effekt der zugeführten Nahrung zu mildern, wie selbst induziertes Erbrechen, Missbrauch von Abführmitteln (purgativer Typ, gegen 90% der Patientinnen) und/oder zeitwei- lige Hungerperioden (Fasten von 24 Stun- den oder länger), Gebrauch von Appe- titzüglern, Schilddrüsenpräparaten oder Diuretika oder exzessive sportliche Leis- tungen (restriktiver Typ, ca. 10% der Fäl- le). Die Alters- und Geschlechtsvertei- lung ähneln der Anorexia nervosa, das Alter bei Beginn liegt geringfügig höher (Risikoalter 17–21 Jahre). Ohne auf Details einzugehen, erwähnte die Referentin, dass derartige Störun- gen psychopathologisch durch «forcier- tes Autonomiebestreben bei verleugne- ten Abhängigkeitswünschen im Zusam- menhang mit Ablösungs- und Abgren- zungskonflikten» geprägt sind. Die Prognose der Anorexia nervosa ist bedenklich schlecht: Die Heilungschan- cen liegen trotz wiederholter Behandlun- gen bei unter 50%; die Krankheit führt bei 30% der Patientinnen zu chronischen allgemeinmedizinischen Erkrankungen und in 5,34% sogar zum Tod durch so- matische Leiden oder Suizid. Die Pro- gnose der Bulimia nervosa ist etwas bes- ser, denn in ca. 50% der Fälle kann eine definitive Heilung erreicht werden, aber immerhin 40% der Patientinnen leiden lebenslang an einer chronischen somati- schen Symptomatik. Nur 0,7% der Fälle führen zum Tod. Unter den zahnmedizinisch relevanten Aspekten erwähnte die Spezialistin, Lei- terin einer Sprechstunde für Patientin- nen mit Essstörungen am Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (ZZMK) der Uni Zürich, das gehäufte Auftreten von Verletzungen an der Mu- cosa (Gaumen, Rachen), von Oligosialie (durch Dehydratation oder Antidepres- siva) und von Gingivarezessionen bei sonst guter (aber auch forcierter) Mund- hygiene, die zu Hypersensitivitäten durch freiliegendes Dentin führen kann. Infolge des häufigen, regelmässigen Er- brechens steht aber die Gefahr von ero- siven Schäden an der Zahnhartsubstanz im Vordergrund. In extremen Fällen kön- nen diese gar zu einem Verlust der verti- kalen Bisshöhe führen. Extrinsische Fak- toren sind saure Nahrungsmittel und Getränke (Zitronen, Cola light, Essig, etc.), während unter den intrinsischen Faktoren natürlich der häufige (bis 20 mal am Tag) Reflux oder Vomitus von Magensäuren (pH 2,9–5!) von besonde- rer Bedeutung sind. Die Läsionen an den Zahnhartsubstanzen werden unter dem Begriff Perimolysis zusammengefasst. Es tritt ein charakteristisches Verteilungs- muster der Erosionen auf: Im Oberkiefer sind die palatinalen und okklusalen Zahnflächen betroffen, im Unterkiefer die bukkalen und okklusalen, weil hier die Zunge einen gewissen Schutz vor den Säureattacken bietet. Metallische Füllungen werden natürlich nicht ange- griffen, sodass sie bei fortgeschrittenen Erosionen «überstehen». Oft bleibt in den zervikalen Regionen durch die pro- tektive Wirkung des Sulcus-Fluids ein Schmelzwall erhalten. Im Hinblick auf die Grunderkrankung und der Persönlichkeitsstruktur der jun- gen Patientinnen ist es sinnvoll, in der Behandlungsstrategie höchst behutsam vorzugehen. In jedem Fall sollte eine vollständige Dokumentation mit Fotos, Modellen und eventuell Speicheltests erfolgen. Obwohl das Leugnen und Schamgefühle den Kontakt mit dem Zahnarzt prägen, gilt es immer auch die Wünsche der Patientin zu berücksichti- gen, um dem Streben nach Unabhängig- keit und Selbstbehauptung möglichst Rechnung zu tragen. Solange die jungen Frauen noch in der «aktiven» Phase ihrer Krankheit stecken, sollte lediglich eine prophylaktische Betreuung erfolgen, mit dem Ziel, das Fortschreiten der Erosio- nen durch selbst herbeigeführtes Erbre- chen zu verhindern. Je früher die Dia- gnose erfolgt und eine effiziente Prophy- laxe eingeführt werden kann, um so Bericht über die 8. Jahrestagung der Schweizerischen Vereinigung für Präventive und Restau- rative Zahnmedizin (SVPR) am 26. Oktober 2002 in Zürich «Prophylaxe bei Patienten mit speziellen Befunden» Thomas Vauthier, Basel Ein sichtlich gut gelaunter Peter Minnig, Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Präventive und Restaurative Zahnmedizin (SVPR), konnte sich angesichts des bis zum letzten Platz gefüllten Hörsaals 30 der Universität Zürich Irchel nur noch freudig die Hände reiben. Neben den 577 hier anwesenden Teilnehmern hatten noch gegen 100 «Spätanmelder und -innen» im gegenüberliegenden Hörsaal 45 einquartiert werden müssen. Eine Live-Schaltung erlaubte auch den Personen «im Exil», die Tagung per Video mitzuverfolgen. In seiner humor- vollen Begrüssungsrede zur 8. Jahrestagung der Schweizerischen Vereinigung für Präventive und Restaurative Zahnmedizin (SVPR) hiess Peter Minnig an diesem kühlen aber sonnigen Herbstmorgen insbesondere die zahlreich erschienenen DH sowie Professor Thomas Imfeld und Professor Ulrich Saxer, die «geistigen Väter der SVPR», willkommen. KONGRESSE / FACHTAGUNGEN

«Prophylaxe bei Patienten mit speziellen Befunden» · Bereich (Tonsillitis, Angina, Sinusitis, aber auch Neoplasmen). Unter den sys-temischen Erkrankungen können Diabe-tes, Urämie,

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Betreuung von Patientinnen mit Essstörungen(Dr. Carola Imfeld, Zürich)Unter dem Oberbegriff Essstörungenwerden zwei wichtige und eindeutigeSyndrome beschrieben: die Anorexia ner-vosa (Pubertätsmagersucht) und die Bu-limia nervosa (Bulimie oder Ess-Brech-Sucht). In der Schweiz leiden ca. 2% derBevölkerung an Anorexie und 8% anBulimie.Die Anorexia nervosa ist durch einen ab-sichtlich selbst herbeigeführten oder auf-rechterhaltenen Gewichtsverlust charak-terisiert. Am häufigsten ist die Störungbei heranwachsenden Mädchen und jun-gen Frauen (Risikoalter 15–19 Jahre).Diagnostische Leitlinien sind: Tatsäch-liches Körpergewicht mindestens 15%unter dem erwarteten (entweder durchGewichtsverlust oder nie erreichtes Ge-wicht) oder ein BMI (body mass index)von 17,5 oder weniger. Der Gewichtsver-lust wird selbst herbeigeführt durch Ver-meidung von hochkalorischen Speisenund/oder Gebrauch von Appetitzüglern(restriktiver Typ, ca. 53% der Fälle) oderdurch induziertes Erbrechen, selbst in-duziertes Abführen oder Diuretika (pur-gativer Typ, ca. 47% der Patientinnen).Die Bulimia nervosa (Bulimie, oder wört-lich: «Ochsenhunger») ist durch wieder-holte (in vergangenen 3 Monaten imDurchschnitt zweimal pro Woche odermehr) Anfälle von Heisshunger (Ess-attacken) und eine übertriebene Beschäf-tigung mit der Kontrolle des Körperge-wichts charakterisiert. Tatsächliche oder

eingebildete Gewichtszunahme veran-lasst die Patientin, mit extremen Mass-nahmen den dickmachenden Effekt derzugeführten Nahrung zu mildern, wieselbst induziertes Erbrechen, Missbrauchvon Abführmitteln (purgativer Typ, gegen90% der Patientinnen) und/oder zeitwei-lige Hungerperioden (Fasten von 24 Stun-den oder länger), Gebrauch von Appe-titzüglern, Schilddrüsenpräparaten oderDiuretika oder exzessive sportliche Leis-tungen (restriktiver Typ, ca. 10% der Fäl-le). Die Alters- und Geschlechtsvertei-lung ähneln der Anorexia nervosa, dasAlter bei Beginn liegt geringfügig höher(Risikoalter 17–21 Jahre).Ohne auf Details einzugehen, erwähntedie Referentin, dass derartige Störun-gen psychopathologisch durch «forcier-tes Autonomiebestreben bei verleugne-ten Abhängigkeitswünschen im Zusam-menhang mit Ablösungs- und Abgren-zungskonflikten» geprägt sind.Die Prognose der Anorexia nervosa istbedenklich schlecht: Die Heilungschan-cen liegen trotz wiederholter Behandlun-gen bei unter 50%; die Krankheit führtbei 30% der Patientinnen zu chronischenallgemeinmedizinischen Erkrankungenund in 5,34% sogar zum Tod durch so-matische Leiden oder Suizid. Die Pro-gnose der Bulimia nervosa ist etwas bes-ser, denn in ca. 50% der Fälle kann einedefinitive Heilung erreicht werden, aberimmerhin 40% der Patientinnen leidenlebenslang an einer chronischen somati-schen Symptomatik. Nur 0,7% der Fälleführen zum Tod.

Unter den zahnmedizinisch relevantenAspekten erwähnte die Spezialistin, Lei-terin einer Sprechstunde für Patientin-nen mit Essstörungen am Zentrum fürZahn-, Mund- und Kieferheilkunde(ZZMK) der Uni Zürich, das gehäufteAuftreten von Verletzungen an der Mu-cosa (Gaumen, Rachen), von Oligosialie(durch Dehydratation oder Antidepres-siva) und von Gingivarezessionen beisonst guter (aber auch forcierter) Mund-hygiene, die zu Hypersensitivitäten durchfreiliegendes Dentin führen kann.Infolge des häufigen, regelmässigen Er-brechens steht aber die Gefahr von ero-siven Schäden an der Zahnhartsubstanzim Vordergrund. In extremen Fällen kön-nen diese gar zu einem Verlust der verti-kalen Bisshöhe führen. Extrinsische Fak-toren sind saure Nahrungsmittel undGetränke (Zitronen, Cola light, Essig,etc.), während unter den intrinsischenFaktoren natürlich der häufige (bis 20mal am Tag) Reflux oder Vomitus vonMagensäuren (pH 2,9–5!) von besonde-rer Bedeutung sind. Die Läsionen an denZahnhartsubstanzen werden unter demBegriff Perimolysis zusammengefasst. Estritt ein charakteristisches Verteilungs-muster der Erosionen auf: Im Oberkiefersind die palatinalen und okklusalenZahnflächen betroffen, im Unterkieferdie bukkalen und okklusalen, weil hierdie Zunge einen gewissen Schutz vorden Säureattacken bietet. MetallischeFüllungen werden natürlich nicht ange-griffen, sodass sie bei fortgeschrittenenErosionen «überstehen». Oft bleibt inden zervikalen Regionen durch die pro-tektive Wirkung des Sulcus-Fluids einSchmelzwall erhalten.Im Hinblick auf die Grunderkrankungund der Persönlichkeitsstruktur der jun-gen Patientinnen ist es sinnvoll, in derBehandlungsstrategie höchst behutsamvorzugehen. In jedem Fall sollte einevollständige Dokumentation mit Fotos,Modellen und eventuell Speicheltestserfolgen. Obwohl das Leugnen undSchamgefühle den Kontakt mit demZahnarzt prägen, gilt es immer auch dieWünsche der Patientin zu berücksichti-gen, um dem Streben nach Unabhängig-keit und Selbstbehauptung möglichstRechnung zu tragen. Solange die jungenFrauen noch in der «aktiven» Phase ihrerKrankheit stecken, sollte lediglich eineprophylaktische Betreuung erfolgen, mitdem Ziel, das Fortschreiten der Erosio-nen durch selbst herbeigeführtes Erbre-chen zu verhindern. Je früher die Dia-gnose erfolgt und eine effiziente Prophy-laxe eingeführt werden kann, um so

Bericht über die 8. Jahrestagung der Schweizerischen Vereinigung für Präventive und Restau-rative Zahnmedizin (SVPR) am 26. Oktober 2002 in Zürich

«Prophylaxe bei Patienten mit speziellen Befunden»Thomas Vauthier, Basel

Ein sichtlich gut gelaunter Peter Minnig, Präsident der Schweizerischen Vereinigung fürPräventive und Restaurative Zahnmedizin (SVPR), konnte sich angesichts des bis zum letztenPlatz gefüllten Hörsaals 30 der Universität Zürich Irchel nur noch freudig die Hände reiben.Neben den 577 hier anwesenden Teilnehmern hatten noch gegen 100 «Spätanmelder und -innen» im gegenüberliegenden Hörsaal 45 einquartiert werden müssen. Eine Live-Schaltungerlaubte auch den Personen «im Exil», die Tagung per Video mitzuverfolgen. In seiner humor-vollen Begrüssungsrede zur 8. Jahrestagung der Schweizerischen Vereinigung für Präventiveund Restaurative Zahnmedizin (SVPR) hiess Peter Minnig an diesem kühlen aber sonnigenHerbstmorgen insbesondere die zahlreich erschienenen DH sowie Professor Thomas Imfeldund Professor Ulrich Saxer, die «geistigen Väter der SVPR», willkommen.

KONGRESSE / FACHTAGUNGEN

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mehr Zahnsubstanz kann erhalten wer-den. Unter den Empfehlungen steht dieErnährungsberatung im Vordergrund. Esgilt, saure Speisen und Getränke mög-lichst zu vermeiden; Getränke sollennicht «genippt», sondern mit einemStrohhalm konsumiert werden. Der an-geätzte Zahnschmelz sollte mit klaremWasser oder einer neutralen fluoridhal-tigen Mundspülung geschützt werden.Die Neutralisation der Mundhöhle kanndurch Kauen von zuckerfreien Kaugum-mis mit Bicarbonat oder Carbamid er-reicht werden. Der optimale Schutz derZähne kann mit einer Medikamententrä-gerschiene erreicht werden, die vor (!)dem Erbrechen mit einem neutralenFluoridgelée oder einem flüssigen Anta-cidum versehen eingesetzt werden soll.Der Gebrauch einer weichen Zahnbürsteund einer nicht abrasiven Zahnpaste(RDA < 40) runden die prophylaktischenMassnahmen ab. Exponierte und ther-misch empfindliche Flächen können miteinem Bond oder flüssigem Kompositabgedeckt werden.Nach der Stabilisierung des Allgemein-zustandes, respektive wenn die Grund-störung während 6–12 Monaten beho-ben ist, kann sich eine restaurative Phaseanschliessen. Wegen der meist flächigenDefekten und der meist geringen Karies-inzidenz werden, wenn möglich, adhäsi-ve Teilrestaurationen mit Erhalt der nochvorhandenen gesunden Zahnhartsub-stanz durchgeführt. Ein regelmässiges,enges Recall (max. 6 Monate) ist im Hin-blick auf die hohe Rückfallrate besonderswichtig.

Prophylaxe bei Patienten mit Mundgeruch(Dr. Rainer Seemann, Berlin)In seinem launigen Referat zu einem«höchst unappetitlichen Thema» erwähn-te der Spezialist aus Berlin zuerst, dasssich auf Grund der wenigen verfügbarenepidemiologischen Daten nur grobschätzen lässt, wie viele Menschen ei-gentlich unter Mundgeruch leiden. Esscheint, als ob ungefähr ein Drittel derBevölkerung gelegentlich Mundgeruchaufweist, während ein Anteil von ca. 5%dauerhaft unter Halitosis leidet. Auchunter Zahnärzten ist das Problem an-zutreffen, was eigentlich verwundernmüsste, weil die Daten aus den interdis-ziplinären Mundgeruchssprechstundenein- deutig belegen, dass in ca. 85% derFälle die Ursachen für Halitosis in derMundhöhle zu suchen sind. Innerhalbder Mundhöhle sind fast immer bakte-rielle Stoffwechselprodukte die eigentli-

che Geruchsursache. Diese Metabolitenentstehen durch die Putrafaktion vonPeptiden und Proteinen. Die bakterielleAminolyse, vor allem durch Gram-nega-tive Keime, führt zur Entstehung undFreisetzung so genannter VSC (volatilesulfur compounds), von denen die Mehr-zahl für den menschlichen Geruchssinnäusserst unangenehm wirken. Die ge-ruchsproduzierenden Bakterien befindensich in der Regel in Interdentalräumen,Zahnfleischtaschen und/oder auf demZungenrücken. Der Referent verglich dieOberfläche der Zunge mit einem Flokati-Teppich, in dem sich eine reiche Floraunter besten Bedingungen einnistenkann.Meist weniger häufig, aber trotzdem beider Differenzialdiagnose zu berücksichti-gen, sind Erkrankungen aus dem HNO-Bereich (Tonsillitis, Angina, Sinusitis,aber auch Neoplasmen). Unter den sys-temischen Erkrankungen können Diabe-tes, Urämie, Nierenversagen, Erkrankun-gen der Leber und Lungen-Karzinomemögliche Ursachen für Mundgeruchsein.Bei der Abklärung steht das anamnesti-sche Gespräch zuerst einmal im Vorder-grund. Dieses sollte nie mit dem Patien-ten auf dem Behandlungsstuhl durch-geführt werden, den es dient dazu,Vertrauen zu schaffen, psychologischeHemmungen abzubauen und den vomPatienten ausgefüllten Fragebogen zubesprechen. Während dieser Unterre-dung kann sich der Untersucher bereitseinen ersten «organoleptischen» Ein-druck verschaffen, indem er sich demGesicht des Patienten langsam und dis-kret annähert; der ideale Abstand für das«Erschnüffeln» eines allfälligen Mundge-ruchs beträgt ungefähr zehn Zentimeter.Unter den objektiveren Methoden nann-te der Spezialist das so genannte «Ha-limeter», ein Messgerät, das mit einerSonde die VSC (volatile sulfur compounds)aufnimmt und deren Werte auf einemDisplay darstellt. Die Methode ist nütz-lich, reproduzierbar und für eine grund-sätzliche Bestimmung ausreichend. Sieist jedoch für die Differenzialdiagnosenicht geeignet, weil sie den Ursprungder ausgeatmeten Schwefelverbindun-gen nicht bestimmen kann. Das Gerätkann jedoch im Recall zur Objektivie-rung der erreichten Fortschritte vongrossem Nutzen sein.Zur Eingrenzung der Ursachen soll einekomplette zahnmedizinische Untersu-chung durchgeführt werden, insbeson-dere des parodontalen Zustands. Gege-benenfalls können mikrobiologische Pro-

ben in interdentalen Nischen und aufdem hinteren Zungenrücken entnommenwerden. Diese können direkt mikrosko-pisch untersucht, oder aber in einem La-bor weiterführend bearbeitet werden.Grundlage einer erfolgreichen Behand-lung von Mundgeruch – nach Ausschlussallfälliger allgemeinmedizinischer Grün-de – ist die Beseitigung der verursachen-den Mikroorganismen, mithin also eingerade in der Zahnmedizin übliches Vor-gehen. Neben der persönlichen Mund-hygiene (insbesondere in den Interden-talräumen) kommt in diesem Zusam-menhang einer systematischenParodontalbehandlung und der profes-sionellen Prävention eine vorrangige Be-deutung zu. Auch Co-Faktoren wie Rau-chen und Oligosialie sollten beseitigtwerden. Eine wichtige Ergänzung «nor-maler» präventiver Massnahmen bestehtin der Einbeziehung der Zunge in dieDiagnostik und Therapie. Der mechani-schen Zungenreinigung mit Schabernoder Spateln, wie sie in den USA oder inAsien weit verbreitet ist, stellt sich leideroft der Würgereiz der Patienten entge-gen.

Orale Gesundheit trotz Immunsuppression(Dr. Dr. Caterine Weber, Laufen)Immunsuppression, d.h. die künstlicheUnterdrückung der natürlichen Abwehr-mechanismen des Organismus, ist eineBegleiterscheinung von verschiedenenErkrankungen und Therapieformen. Be-troffen von den Folgen von Chemo- oderRadiotherapien sind vor allem Empfän-ger von Organ- oder Knochenmark-oder Stammzellentransplantaten sowieKrebspatienten. Auch Patienten mit HIV-Infektionen, Autoimmunerkrankungenoder malignen Erkrankungen des häma-topoietischen Systems müssen sich im-munsuppressiven Therapien unterzie-hen. Die Folgen von Radiotherapien sindim Allgemeinen lebenslang, und auchdie meisten immunsuppressiven Che-motherapien müssen ein Leben lang ein-genommen werden. Die Nebenwirkun-gen können lokaler oder systemischerNatur sein, wobei die Schwächung derInfektionsabwehr ganz besonders ge-fährlich ist. In den letzten Jahren hat dieAnzahl Patienten, die mit Immunsup-pression konfrontiert sind, erheblich zu-genommen, unter anderem auf Grundder Erweiterung des Spektrums vonTransplantationen in der Medizin.Immunsuppression kann zu diversenoralen und dentalen Manifestationenführen. Dazu gehören mukosale Läsio-

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nen, wie z.B. Gingivahyperplasien (vorallem bei Behandlungen mit Cyclosporinund Tacrolimus), Ulzerationen, Blutun-gen und Infektionsanfälligkeit. Anderegastrointestinale Nebenwirkungen (Ano-rexie, Übelkeit) sind häufig, wobei wie-derholtes Erbrechen auch Erosionen anden Zahnhartsubstanzen zur Folge ha-ben kann. Lokale, selektive oder Ganz-körperbestrahlungen führen zu Oligo-oder Xerostomie, die oft zu katastropha-len Situationen (unkontrollierbare undmassive, flächige Kariesläsionen, Prothe-senunverträglichkeit etc.) führen.Da die immunsuppressive Behandlungsich bei vielen Patienten über längereZeiträume erstreckt, ist die langfristigeorale und dentale Prophylaxe zur Ver-meidung von Folgeschäden sehr wichtig.Der behandelnde Zahnarzt muss diemöglichen Hilfsmittel bei dieser speziel-len Patientengruppe kennen und indi-viduell anwenden. In der Planung deroralen Prophylaxe muss vor jeder im-munsuppressiven Therapie eine Fokus-elimination durchgeführt werden, be-gleitet von Instruktionen zur Mundhy-giene und Ernährungsberatung. Währendder aktiven Immunsuppression erfolgtdie persönliche Mundhygiene durchBürsten mit einer weichen Zahnbürsteund nur schwach abrasiver Zahnpaste,unterstützt durch Spülungen mit anti-septischen Lösungen auf Basis vonChlorhexidin oder Betadine. Nach Auf-hebung der aktiven Behandlungsphasesoll der Patient in jedem Fall in ein eng-maschiges Recall mit professionellenprophylaktischen Behandlungen aufge-nommen werden.

Betreuung von Patienten mit Xerostomie(Prof. Dr.Thomas Imfeld, Zürich)Die physiologischen Werte für den Spei-chelfluss sind > 0,4 ml/min im Ruhe-zustand, respektive > 2,0 ml/min beiStimulation. Werte zwischen 0,2 und0,4 ml/min, respektive zwischen 0,5 und2,0 ml/min stimuliert, entsprechen einerOligosialie, und bei Werten < 0,2 ml/minunstimuliert und < 0,5 ml/min handelt essich um eine Xerostomie. Der Speichelerfüllt eine Reihe physiologischer Funk-tionen (Lubrifikation der Mukosa, Puffergegen Säuren, Remineralisation, Reini-gung und Regulation des Durstgefühls).Die neurologische Steuerung des Spei-chelflusses ist sehr komplex. Sie geht ausvon den Nuclei salivatorii in der Medullaoblongata, via den N. facialis, den N.glossopharyngeus und die Chorda tym-pani. Ist nur das Volumen, nicht aber

die Zusammensetzung beeinträchtigt,spricht man von einer funktionalen Ver-minderung des Speichelflusses, währendbei einer organischen Oligosialie oderXerostomie sowohl das Volumen wieauch die Zusammensetzung des Spei-chels nicht mehr den physiologischenWerten entsprechen. Häufige Ursachenfür organische Beeinträchtigungen desSpeichelflusses sind Aplasien der Spei-cheldrüsen, Allergien, maligne Tumoren,das Sjögren-Syndrom, gewisse Medika-mente, besonders Psychopharmaka, so-wie Radiotherapien im Kiefer-Gesichts-bereich. Von einer Radioxerostomie sindin der Schweiz jährlich etwa 3 500 Patien-ten betroffen.Die Symptome der Xerostomie sindMundtrockenheit, Schmerzen, Blutun-gen und Infektionen. Dazu kommt meistein chronisches Durstgefühl, Dysphonie,Dysgeusie und Dysphagie. Die zahnme-dizinisch auffälligen Folgen sind Zahn-halskaries, schaumige Mundflüssigkeitinfolge eines grösseren Anteils von Mu-zinen und in gravierenden Fällen einemarkante Attrition. Die Schädigung derSpeicheldrüsen nach Radiotherapie istirreversibel und führt nicht nur zur Ver-minderung des Speichelflusses sondernauch der Bicarbonat-Konzentration, wo-bei beide Veränderungen den Schutz ge-gen Karies quasi zum Erliegen bringen.Wie bei den anderen erwähnten Ätiolo-gien ist eine Kausaltherapie meist nichtmöglich, allfällige therapeutische Mass-nahmen sind deshalb rein palliativ.Die Betreuung von Patienten mit Xero-stomie oder Oligosialie umfasst einer-seits die professionelle Prophylaxe mitZahnreinigung und Fluoridapplikationen(pH-neutral!), mindestens 4-mal pro Jahr,nach Radiotherapie sogar alle 6 bis 8 Wo-chen. Auch Lacke auf Chlorhexidinbasis(Cervitec®) leisten bei der Kariesprophy-laxe wertvolle Dienste. Bei noch vorhan-dener Restfunktion der Speicheldrüsenkommt eine systemische Stimulation mit

spezifischen Medikamenten in Frage. Beiden Speichelersatzmitteln sind gewissefrüher empfohlene Produkte als nichtmehr geeignet anzusehen (unter ande-ren Biotène und Oralbalance), weil siejetzt Glucose enthalten und nicht zahn-schonend sind. Die meisten anderen,höchst empfehlenswerten Produktemüssen leider zurzeit noch aus dem Aus-land importiert werden (Saliva OrthanaSpray von AS Pharma, Dänemark undOralube Gel von Orion Labs in Austra-lien).

Prophylaxe in der obligatorischenVersicherung(Dr. Alfred Troesch, Zürich)Der Gesetzgeber erwähnt die zahnärztli-che Prophylaxe nicht. Deshalb gelten alsRichtlinien bei Pflichtleistungen immerdie Grundsätze der Wirksamkeit, derZweckmässigkeit und der Wirtschaftlich-keit. Somit hat der Zahnarzt zu belegen,dass eine Therapie diese Kriterien nurmit entsprechender Prophylaxe einhal-ten kann. Hingegen gilt auch das Prinzipder Selbstverantwortung des Patienten,d.h. er hat für eine DH-Sitzung pro Jahrin jedem Fall selbst die Kosten zu tragen.Immerhin meinte der Experte, dass beigrösseren zahnärztlichen Arbeiten alsUnfallfolge im Rahmen des UVG dieVersicherung nach Ermessen die prophy-laktische Betreuung zu übernehmen hat.Das KVG hat in den Artikeln 17–19 derKLV den Rahmen klar abgesteckt. Dazugibt es inzwischen auch schon rund 40Entscheide des Bundesversicherungsge-richts, die zum Teil als Anhaltspunktedienen können. Als Beispiele erwähnteder Referent einen Fall von Zahnschädennach Xerostomie, wo sich die Frage stell-te, ob diese mit entsprechender Prophy-laxe hätten vermieden werden können.Das Gericht hielt fest, dass die Beweis-pflicht der Vermeidbarkeit in jedem Fallbei der Kasse liegt. Daraus folgerte erauch die Notwendigkeit, dass der behan-delnde Zahnarzt solche Fälle sauber undgründlich zu dokumentieren hat. In ei-nem anderen Fall von Zahnschäden alsFolge einer schweren Depression ent-schied das Gericht, dass prophylaktischeBehandlungen nur dann als kassen-pflichtig anzusehen sind, wenn dieMundhygiene verunmöglicht ist, nichtaber wenn diese nur erschwert ist. Dieselben Prinzipien gelten übrigens auch inder Geriatrie!Zum Thema des oft schwierigen Um-gangs mit Versicherungen und Kranken-kassen gab der Experte zu bedenken,dass zahnärztliche Behandlungen nur

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gerade 0,125% der Leistungen der Kas-sen ausmachen. Deswegen kann nichtim vornherein eine allzu grosse Kompe-tenz der Mitarbeiter erwartet werden.Zudem beträgt die Rate der Rotationender Sachbearbeiter etwa 10 bis 15%.Beim Verkehr mit Versicherungspersonalsollte immer sachlich argumentiert wer-den, mit Angabe einer vollständigen Be-gründung und entsprechender Doku-mentation. Eine Steigerung der kommu-nikativen Effizienz ist auch hier vonNutzen.Der Vertrauens(zahn)arzt hat eine reineBeraterfunktion, der Entscheid über eineÜbernahme von Kosten im Rahmen derLeistungspflicht liegt letztlich immerbeim Versicherer. Deshalb sind Kosten-übernahmen immer Ermessensentschei-de und hängen in letzter Instanz von derInterpretation und den Erfahrungswer-ten der Kompetenzträger der Kassen ab.Sollte der behandelnde Zahnarzt mitdem Entscheid nicht einverstanden sein,bleibt ihm meist nur der lange und be-schwerliche Weg durch die Instanzen...

Prophylaxe bei HIV-Patienten(Dr. Dominik Hofer, Langnau im Emmental)In den letzten Jahren hat die Dramatikder HIV-Epidemie etwas an Bedeutungverloren, ausser in Asien und Afrika, wobis zu 40% der Bevölkerung seropositivsind. Trotzdem sieht sich das Praxisper-sonal auch hierzulande in der Behand-lung von HIV-seropositiven oder AIDS-Patienten mit verschiedenen Besonder-heiten konfrontiert: Verstärkte Hygiene-massnahmen, komplexe medizinischeZusammenhänge, Polymedikation, spe-zifische, teilweise selten beobachteteorale Manifestationen und anspruchs-volle Therapieplanung. Diese Besonder-heiten haben zur Folge, dass die Zusam-menarbeit und Koordination innerhalbdes Praxisteams und mit den behandeln-den Ärzten eine bedeutende Rolle spie-len. Es ist zu beachten, dass zahnärztli-che Behandlungen von HIV-seropositi-ven Patienten nicht kassenpflichtig sind,es sei denn, die Krankheit sei bis zumAusbruch manifester Symptome vonAIDS fortgeschritten.Die Prophylaxe beim HIV-Patientenkann in drei Schwerpunkten zusammen-gefasst werden: AllgemeinmedizinischeAspekte mit meist mukosalen Folgeer-krankungen, z.B. Haarleukoplakie, Ka-posi-Sarkom, nekrotisierende Stomatitisrespektive NUG oder NUP und Candi-diasis sowie schlechter Allgemeinzu-stand und Fieberschübe. Die präventivenMassnahmen zur Verhinderung von Ka-

ries und Parodontalerkrankungen unter-scheiden sich nicht wesentlich von den-jenigen bei gesunden Patienten. Bei spe-ziellen Situationen wie Mundtrockenheit(cave Wurzelkaries!) und Pilzerkrankun-gen müssen die Prophylaxemassnahmenentsprechend angepasst werden. Candi-da albicans kann bei solchen Patientenein typisches so genanntes lineares gin-givales Erythem (LGE) hervorrufen, aberauch aggressive Formen von Gingivitisund Parodontitis sind häufig. Eine opti-male Koordination zwischen Zahnarztund DH ist notwendig, im Zweifelsfallsollte der Patienten zum Paro-Spezialis-ten, respektive in die Universitätskliniküberwiesen werden.Seit der Einführung und den Erfolgen derKombinationstherapien gegen HIV hatsich die Häufigkeit der opportunistischenInfektionen deutlich reduziert. Trotzdem,gerade weil parodontale Erkrankungenbei einer Verschlechterung der Immunla-ge unter Umständen rasch fortschreitenkönnen, hat sich ein straffes Recall von3–6 Monaten bewährt. Zudem könnenbei regelmässigen Kontrollen und pro-fessioneller Zahnreinigung kariöse Lä-sionen früher diagnostiziert und versorgtwerden. Als unterstützende Massnah-men bei der Intensivprophylaxe nannteder Spezialist Spüllösungen, Gelées undLacke auf Chlorhexidin- und Fluoridba-sis sowie spezifisch wirksame Antibiotikaim Falle von aggressiven akuten paro-dontalen Infektionen oder Pilzerkran-kungen.

Prävention von Zahnunfällen beim Sport(Dr. Andreas Filippi, Basel)Durch Trendsportarten (Inlineskating,Kickboards, Wasserrutschen in Freizeit-bädern) und eine aktivere Freizeitgestal-tung ist es in den letzten Jahren zu einemdeutlichen Anstieg der Zahnunfälle ge-kommen. Vor allem schwere Zahnverlet-zungen führen nicht selten zum soforti-gen oder verzögerten Verlust von Zähnenmit lebenslangen ästhetischen, psycho-logischen und finanziellen Folgen fürden meist jungen Patienten. Während ineinigen Sportarten – wie z.B. Eishockey,Rugby, American Football oder Boxen –bei professionellen Spielern das Trageneines Mundschutzes vorgeschrieben ist,existieren für Amateur- und Freizeit-sportler weder Empfehlungen noch be-steht die Akzeptanz, einen Zahnschutzbeim Sport zu tragen. Zahlreiche Studienbelegen heute die hervorragende prä-ventive Wirkung eines individuell undoptimal gefertigten Multilayer-Zahn-

schutzes. Durch diesen können auch dievielfach geäusserten Kritikpunkte («istmega uncool», behindert die Kommuni-kation und die Atmung, mangelnderHalt) am Tragen eines Mund- und Zahn-schutzes vermieden werden.Bei allen Kontaktsportarten und anderenRisiken sollte ein Zahnschutz getragenwerden. Patienten mit einem Overjet von> 3 mm sind besonders gefährdet undsollten gegebenenfalls kieferorthopä-disch beurteilt werden. Es ist darauf zuachten, dass der Schutz nicht nur dieZahnreihen, sondern auch den Alveolar-fortsatz genügend bedeckt. Herstellungund Aussehen eines individuellen Zahn-schutzes werden durch die ausgeübteSportart, die Spielklasse des Sportlerssowie die jeweiligen Designwünschebestimmt. Vorgefertigte Modelle, auchwenn sie durch innere Beschickung indi-viduell angepasst werden, sind abzuleh-nen. Sie sind im Allgemeinen zu dünn,geben keine Abstützung gegenüber denAntagonisten und sind durch einen un-genügenden Halt nicht stabil. Die Spe-zialisten fordern deshalb individuell her-gestellte Zahnschütze, die eine hohePassgenauigkeit und eine genügendeokklusale Dicke mit Abstützung auf denAntagonisten bieten. Durch die Multi-layer-Technik mit verschiedenen Kunst-stoffen (Aethylenpolymerplatten mitSchichtstärken von 2–4 mm) kann derMundschutz zudem individuell, je nachSportart, «programmiert» werden. DerNachteil liegt im Preis: 250–400 Franken,wobei ausserdem Neuanfertigungen in-folge des Wachstums unvermeidlich sind.Der Zahnschutz soll nach dem Tragenunter fliessendem Wasser gut abgespült,dann in einer Plastikbox aufbewahrtund vor erneutem Einsetzen mit einer0,2-prozentigen Chlorhexidinlösung des-infiziert werden. Es ist besonders daraufzu achten, dass der Schutz auch im Trai-ning getragen wird. Noch ist die Akzep-tanz gering, aber eine verstärkte Medien-präsenz von Profisportlern mit Mund-schutz (nicht nur beim Boxen oderEishockey) kann sich in Zukunft als för-derlich erweisen.

Rauchen – Intervention in der Zahnarztpraxis(Dr. Christoph Ramseier, Bern)Aus der Literatur der letzen Jahre giltheute erwiesen, dass Raucher schlechte-re Chancen zur erfolgreichen Parodon-talbehandlung haben als vergleichswei-se Nichtraucher. Wenn gerade Raucher-patienten mit Parodontalerkrankungenkausal therapiert werden sollen, dann ist

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neben der routinemässig durchgeführtenMundhygienekontrolle zusätzlich eineIntervention in ihr Rauchverhalten ange-bracht.Weitere Studien zeigen auf, dass Rau-chen ein modifizierender Faktor auch fürdie Entstehung von Parodontalerkran-kungen bildet. Raucher, die das Rauchenaufgegeben haben, zeigen eine erfolgrei-che Stabilisierung der Parodontalgewebeund eine wesentlich bessere Prognosenach parodontalchirurgischen Eingriffen.In der Schweiz sind Zahnarztbesucheund Recalls bei DHs häufiger und regel-mässiger als Arztbesuche. Diese Tatsachemacht die dringende Notwendigkeit fürdas zahnärztliche Team offenbar, sich ak-tiv in der Raucherberatung und Therapiezu engagieren.Die Raucherentwöhnung gehörte bisvor kurzem nicht zur Tätigkeit eineszahnärztlichen Teams. Eine Intitiative derKlinik für Parodontologie und Brücken-prothetik der Universität Bern und derFeusi Dentalhygieneschule Bern in Rich-tung Ausbildung von angehenden Zahn-ärzt/innen und Dentalhygieniker/innenfiel in einer glücklichen Fügung mit dernationalen Rauchstoppkampagne «Rau-chen schadet – Let it be» zusammen, diezur gleichen Zeit das zahnärztliche Teamzur Ausbildung in der Raucherentwöh-nung unterstützen wollte.Aus dieser Verbindung heraus wurde imHerbst 2001 eine Task force «Rauchen –

Intervention in der Zahnarztpraxis» insLeben gerufen. Ihre Aufgabe ist die Er-arbeitung von Ausbildungsprogrammenzur Kurzintervention für alle Berufe imzahnärztlichen Team.Selbstverständlich kann in der zahnärzt-lichen Praxis in der Regel nicht allzu vielZeit aufgewendet werden zu einer inten-siven Raucherberatung oder gar zu einerEntwöhnungsbegleitung. Wie folgendeZahlen des Bundesamts für Gesundheitbelegen, bewirken jedoch kurze Inter-ventionen schon sehr viel mehr als garkeine Ansprache auf das Rauchverhalten,wie diese Abstinenzraten nach 12 Mona-ten belegen (siehe Tabelle).Damit erst ohne Entzugssymptome dieRauchgewohnheit abgelegt und durchneue Gewohnheiten ersetzt werden kann,empfehlen Experten die Unterstützungdurch nikotinhaltige Medikamente. Er-wiesenermassen sind die Erfolgschancendamit bis doppelt so hoch. Alle fünf(Stand März 2002) in der Schweiz zuge-lassenen Produkte (Kaudepots, Hautde-potpflaster, Nasenspray, Inhalator, Sub-

lingualtablette) haben ähnliche Erfolgs-raten, und bisher gibt es keinen gesicher-ten Nachweis, dass ein Produkt dem an-deren überlegen wäre. Eine solche The-rapie ist nicht gesundheitsschädlich, undnur wenige Ex-Raucher/innen sind län-gere Zeit darauf angewiesen.Nikotinpräparate kosten etwa gleich vielwie der durchschnittliche Tabakkonsum.Nikotinkaudepots und -depotpflaster sindrezeptfrei erhältlich, die anderen galeni-schen Formen sind rezeptpflichtig (Standebenfalls März 2002).

SchlussbemerkungenIn kompakter und prägnanter Form wur-den an dieser 8. Jahrestagung der Schwei-zerischen Vereinigung für Präventive undRestaurative Zahnmedizin (SVPR) inZürich dem interessierten Publikum dieMöglichkeiten der Prophylaxe bei Pa-tienten mit speziellen Befunden aufge-zeigt. Schon jetzt darf man sich auf die9. Jahrestagung der SVPR am 25. Okto-ber 2003 in Genf freuen. ■

Behandlung Abstinenzrate nach 1 Jahr

• Keine 1–2%• Kurze Beratung allein 5%• Kurze Beratung mit Nikotinsubstitution 10%• Intensive Beratung allein 15–20%• Intensive Beratung mit Nikotinsubstitution 30–40%

Kinder- und Jugendzahnheilkunde für die Alltagspraxis

Manuela Beck

Kinder- und Jugendzahnheilkunde für die Alltagspraxis – diese bescheiden klingende Bezeich-nung liess einen Fortbildungskurs mit nicht zu hohem Anspruch erwarten. Doch was an zweiWochenenden im Oktober und November 2002 am International Center for Dental Education(ICDE) in Schaan, Liechtenstein, geboten wurde, war ein Update auf höchstem Niveau.

Zehn Experten aus der Schweiz,Deutschland und Österreich – 2 Damenund 8 Herren – präsentierten eine ab-wechslungsreiche Palette von Einzelthe-men aus dem Bereich Zahnheilkunde fürKinder und Jugendliche.Im ersten Kursteil referierte Prof. Dr. Dr.Hans Jörg Staehle, Leiter der Poliklinik fürZahnerhaltungskunde an der UniversitätHeidelberg, über den neuesten Standder restaurativen und endodontischenTherapie bei Kindern und Jugendlichen.Der Hochschullehrer kombinierte wissen-schaftlich fundierte Informationen mitklaren Handlungsanweisungen für die

Praxis und erfüllte damit die Erwartun-gen der Zahnärzte aus der Schweiz,Österreich und Deutschland.Die Münchner Kinderzahnärztin Dr.Angela Freundorfer faszinierte das Publi-kum mit ihrem Konzept für ein wirksa-mes Behandlungs-Management bei Kin-dern. Dabei beschrieb die in den USAweitergebildete Spezialistin von der psy-chologischen Verhaltensführung überLokalanästhesie und pharmakologischeInterventionsmöglichkeiten bis zu Hyp-nose und Verwendung von Handpuppendas gesamte Spektrum. Detailliert zeigteDr. Freundorfer, wie sie ihr fein abgestuf-

tes Instrumentarium altersgerecht ein-setzt.

Pulpotomie statt ÜberkappungBesonderes Highlight des zweiten Wo-chenendes war der Vortrag von Dr. Huber-tus van Waes, Leiter der Züricher Schul-zahnklinik, Lehrbeauftragter für Kin-derzahnheilkunde und Dentale Trauma-tologie und Buchautor. Die klar struktu-rierten Informationen vermittelten denZuhörern ein umfassendes Bild der diag-nostischen und therapeutischen Mög-lichkeiten im Milch- und Wechselgebiss.Unerwartet war die Feststellung, dass ei-ne Pulpotomie nach traumatischer Eröff-nung sehr einfach durchführbar ist und –wissenschaftlich untermauert – gegen-über einer Überkappung meist die besse-re Alternative darstellt.

Vollkeramische Klebebrücken und Wissens-CheckDie Option einer präparationsfreienLückenversorgung mit keramischen Kle-bebrücken aus IPS Empress 2 erläuterte

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Dr. Stefan Ries, Oberarzt für Zahnärztli-che Prothetik an der Universität Würz-burg. Auf der Basis der verfügbaren Da-ten sind geklebte einflügelige Keramik-restaurationen im Vergleich zu metall-gestützten Konstruktionen besondersZahnsubstanz-schonend und ästhetisch.Die rund 50 Teilnehmer der Fortbildungzeigten sich begeistert von der Qualitätder insgesamt neun Vorträge und derenVerwertbarkeit für die Praxis. Die vonIvoclar Vivadent verliehenen Zertifikatewerden von der Österreichischen Bun-deskurie Zahnärzte, der SchweizerischenZahnärzte-Gesellschaft (SSO) und der inDeutschland ansässigen European Den-tal Association (EDA) offiziell anerkannt.Als Lernkontrolle und Dokumentationder erfolgreichen Teilnahme nutzten et-wa 20 Teilnehmer zusätzlich die Möglich-keit, das erworbene Wissen in einem

Wissens-Check überprüfen und von derUniversität Heidelberg mit einer Urkun-de bescheinigen zu lassen.

Continuing Education ProgramDer beschriebene Kurs ist Teil des Conti-nuing Education Program (CEP), dassich in erster Linie an Allgemeinprakti-ker wendet. CEP versteht sich nicht alsKonkurrenz zu vorhandenen Speziali-sierungsprogrammen. Im 2003 werdenCEP-Kurse zu den Themen Parodontolo-gie (in Schaan) und Praxismanagement(in Konstanz) angeboten. Nähere Infor-mationen zu diesen Kursen und eine Ge-samtübersicht des ICDE-Fortbildungs-angebots erhalten Sie von:Manuela Beck,Tel. 00423-235-3255E-Mail:[email protected] oder im Internet www.ivoclarvivadent.com ■

Noxen freisetzt, welche zum klinischenBild der Gingivitis führen. Nach 5 Mona-ten ist mit einem Attachmentverlust zurechnen. Wichtig ist hierbei, dass die Pa-rodontitis keine Knochenerkrankung ist,sondern die Folgeerscheinung eines pri-mären Faserverlustes der Weichgewebe.Die Parodontitis kann auch als opportu-nistische Infektion bezeichnet werden,d.h., die Opportunität der pathogenenKeime wird durch opportunistische Fak-toren gefördert. Demnach ist auch beischwierigen Hygieneverhältnissen, z.B.Engständen, eine gute Mundhygienemöglich.Die Parodontaltherapie wird nach HerrnProf. Lang in vier Phasen eingeteilt, diesystemische Phase, die Initialtherapie, diekorrektive- und die Betreuungsphase.

Parodontitis im Kindesalter; aggressive Parodontitis: vom Screening zur TherapieNach Dr. G. Salvi, Oberassistent an derAbteilung für Parodontologie undBrückenprothetik der Zahnmedizini-schen Kliniken der Universität Bern,weist die früheinsetzende aggressive Pa-rodontitis folgende Merkmale auf: Dassonst gesunde Individuum weist eineParodontalerkrankung auf, welche zumraschen Attachmentverlust und Kno-chenabbau führt. Die aggressive Paro-dontitis tritt familiär gehäuft auf. Sekun-däre Merkmale bilden der Schweregradder Erkrankung sowie die erhöhten An-teile der pathogenen Keime. Generelltritt die früheinsetzende, aggressive Pa-rodontitis bis zum 30. Lebensjahr auf undbefällt vor allem die Sechsjahresmolaren.Die Erkrankung führt schubweise zumAttachment- und Knochenverlust, wobeivor allem die approximalen Anteile be-troffen sind. Die Prävalenz beträgt beiden 7- bis 9-Jährigen 2–4,5%, bei den 16-Jährigen 0,1% und bei den 16- bis 20-Jährigen 0,13%. Ätiologietechnischwerden die gram negativen A. actinomy-cetemcomitans als Krankheitserreger be-trachtet. Somit werden diese auch an denerkrankten Stellen vermehrt gefunden.Als Wirtsantwort folgt die Ausschüttungvon Entzündungsmediatoren, welche zurprotektiven Wirkung durch eine erhöhteAntikörperproduktion führt. Diagnosti-zieren lässt sich die Parodontitis klinischmittels Screening sowie der Anfertigungeines Parodontalstatus, radiologisch durchErstellung von Bitewings sowie OPTs,mikrobiologisch mittels Abstrich und ge-netisch mittels Familienanamnese.Therapeutisch finden die vier obgenann-ten Phasen ihre Anwendung.

Fachtagung der Schweizerischen Gesellschaft für Kieferorthopädie vom 7. und 8. November inThun

Wechselspiel zwischen Parodontologie und KieferorthopädieIstvan Völgi, Basel

Gastgeberstadt der diesjährigen Tagung der Schweizerischen Gesellschaft für Kieferorthopä-die war Thun. Der Schadausaal, am Thunersee gelegen, bot den stetig steigenden Besucher-zahlen ideale Platzverhältnisse. Referenten waren dieses Jahr die Herren PD Dr. T. von Arx,Prof. Dr.T. Baccetti, Prof. Dr. U. Brägger, Prof. Dr. N. P. Lang, PD Dr. H. Luder, Dr. R. Männ-chen, Dr. G. Salvi und Dr. F. Weber. Hauptthema war das Wechselspiel zwischen Parodonto-logie und Kieferorthopädie.

Geweberemodellierung während der orthodontischen Zahnbewegungbeim MenschenHerr PD Dr. H. Luder, Leiter der Abteilungfür orale Strukturbiologie der UniversitätZürich, eröffnete den wissenschaftlichenTeil des Kongresses mit seinem Referatüber die Geweberemodellierung wäh-rend der orthodontischen Zahnbewe-gung beim Menschen. Während desLückenschlusses bei einem Extraktions-fall entstehen in der knöchernen AlveoleDruck- sowie Zugzonen. Die in derDruckzone aktiven Osteoklasten führenzum Knochenabbau, die in der Zugzoneaktiven Osteoblasten dagegen zum Kno-chenanbau. Die Regulation dieses Kno-chenumbauprozesses wird über mecha-no-sensitive Ionenkanäle (Mechanore-zeptoren), sprich elektrische Strömungs-potenziale, reguliert. Auch das Desmo-dont erfährt Veränderungen währendeiner orthodontischen Zahnbewegung.Dies in Form von Zellproliferationen so-wie Kollagenumbauten. Das Desmodont

ist höchst kraftempfindlich, d.h., zu ho-he, langandauernde Kräfte führen zurDesmodontnekrose, sprich zur Hyalini-sation. Dies kann klinisch nach 5–6 Wo-chen beobachtet werden, indem dieZahnbewegung bis zu 3 Wochen stoppt.

Die orale Plaqueinfektion alskompromittierender Faktor für die kieferorthopädische TherapieProf. Dr. N. P. Lang, Abteilungsvorste-her der Klinik für Parodontologie undBrückenprothetik der Zahnmedizini-schen Kliniken der Universität Bern, de-finierte die Plaque als Biofilm mit Eigen-leben, welcher sich langsam auf Grundvon Proteineinlagen aufbaut und kolo-nialisiert wird. Die kalzifizierte Form desBiofilms wird Zahnstein genannt. DieMundhöhle ist ein ökologisches System,welches sich aus verschiedenen ökologi-schen Nischen zusammensetzt. Lagertsich die Plaque in einer dieser Nischenein, z.B. in den Gingivalsulcus, wehrt sichder Wirt mittels Immunantwort, indem er

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Prothetische Behandlungsstrategienbei Agenesis und LKG Lückenschlussoder -präservationDer heutige Trend der Behandlungstech-nik von LKG-Patienten ist nach Prof. Dr.U. Brägger, geschäfsführender Direktorder Zahnmedizinischen Kliniken derUniversität Bern, das bone grafting, wel-ches die Behandlungszeiten ganz we-sentlich verkürzt. Die Problematik beiLKG Patienten liegt eindeutig bei denZähnen welche sich im Spaltbereich be-finden. Häufig sind an diesen Stellen einAttachment- sowie Knochenverlust vor-zufinden.Bei der Versorgung von Nichtanlagen,liegt der Trend eindeutig bei der Implan-tatinsertion, wobei die Ästhetik im Vor-dergrund steht. Viel Aufmerksamkeitmuss vor allem der Papillenästhetik ge-widmet werden. Technische Komplika-tionen bei der Implantatversorgung be-reiten vor allem Porzellanfrakturen sowiedie Befestigungsschraubenlockerung derSuprakonstruktion. Der Erfolg dieserTherapieformen ist immer abhängig vonder Prävention.

Geweberegeneration bei Implantatenzur kieferorthopädischen VerankerungUnter Osseointegration versteht manlaut Prof. Dr. N. P. Lang, einen dichten Ver-bund zwischen dem alveolären Knochenund dem Implantat. Dabei inserieren diekollagenen Fibrillen direkt am Implantat.Weiteres Merkmal bildet das implanto-mukosale Gewebesiegel. Dieses bestehtaus dem kristoalveolären Faserapparat,welcher, im Gegensatz zum dento-gingi-valen Gewebesiegel, nicht am Implantatinseriert, sondern zirkulär um das Im-plantat verläuft. Schliesslich setzt auchdas Epithel ein Siegel zum Implantat.Die Gaumenimplantate welche zur Ver-ankerung in den Gaumen eingebracht

wurden, können schon nach sechs Wo-chen voll belastet und somit als absoluteVerankerung benutzt werden. Biegekräf-te auf das Implantat müssen jedoch ver-mieden werden (Orthosystem der FirmaStraumann).

Das Gaumenimplantat in derkieferorthopädischen BehandlungNach Dr. R. Männchen, Winterthur, exis-tieren zwei absolute, ossäre Veranke-rungsmöglichkeiten: der ankylosierte Zahnsowie das Gaumenimplantat. Die Prob-lematik der Gaumenimplantate äussertesich stets in der Torsionsbelastung. Mit-tels Entwicklung des Orthosystems IIgelang es, ein rotationsstabiles Gaumen-implantat zu entwickeln. Implantiertwird paramedian im Gaumen, zwischenden Prämolaren. Herr Dr. Männchenskizzierte kurz die Implantationstechnik.Die Indikation für Gaumenimplantateliegt vor allem bei der Lückenschluss-verankerung, Mesialisierung oder Dista-lisierung von Molaren, Rotations- sowieVertikalbewegungen.

Zahntrauma: Regenration des Parodonts oder AnkylosePD Dr. von Arx, Oberassistent an der Kli-nik für Oralchirurgie und Stomatologieder Universität Bern, teilt das dentaleTrauma in Dislokationsverletzungen so-wie Frakturen ein. Zu den Dislokations-verletzungen zählen die Extrusion, dielaterale Dislokation, die Intrusion sowiedie Avulsion. Frakturen werden eingeteiltin Wurzelfrakturen, Kronenfrakturenoder kombinierte Kronen- und Wurzel-frakturen.Posttraumatische Veränderungen könnensein die oberflächliche Resorption, dieentzündliche Resorption sowie die Er-satzresorption. Zu den traumafördern-den Faktoren zählt der erhöhte Overjet

von mehr als 6 mm sowie der erschwerteLippenschluss. Als präventive Massnah-men gelten der Zahnschutz (Sport) so-wie die kieferorthopädische Behandlung.Wichtig bei erfolgtem Trauma ist die phy-siologische Zahnerhaltung bis zur Re-plantation, Milch gilt somit immer nochals Mittel der Wahl da sie den geeignetenph-Wert sowie die benötigte Osmolalitätaufweist. Weiterhin ist im Anschluss dieadäquate Anwendung der Schienenthe-rapie wichtig. Die Schienung muss flexi-bel sein und darf nur wenige Tage ange-wendet werden. Um Resorptionen zuvermeiden, kann Doxyzyklin, ein Tetra-zyklin, abgegeben werden.

Bone RegenerationDr. F. E. Weber, Mitarbeiter an der Klinikfür Kiefer- und Gesichtschirurgie desUSZ, Zürich, stellte zunächst das bonemorphogenetic protein II vor. Danacherklärte er die Funktionen des BMP II.Die Produktion des BMP II kann inCHO-Zellen oder in Bakterien stattfin-den.

Schlussvortrag: ektopisch durch-brechende Zähne, AttachmentProf. Dr. Tiziano Baccetti, Universität Flo-renz, stellte eine Studie bezüglich ekto-pisch durchbrechender Zähne vor. 24 Pa-tienten wurden in 3 Patientengruppeneingeteilt, wobei eine Split-mouth-De-sign-Studie durchgeführt wurde. In allen3 Gruppen wurde das Attachmentniveauvon ektopisch durchbrechenden Zähnenvor und nach orthodontischer bzw. pa-rodontaler Therapie bestimmt. Gruppe I,die Gruppe bei welcher nur die Milch-zähne therapeutisch extrahiert wurde,wies endlich nur noch ein Attachmentni-veau von 1,5 mm auf. Gruppe II wies mit3 mm Attachment das höchste Niveauauf. Dieses «hohe» Niveau wurde mittels

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Gingivallappenbildung erreicht. GruppeIII wurde auch Parodontalchirurgisch be-handelt, indem Gingivatransplantatio-nen durchgeführt wurden. Wichtig ist,

ektopisch durchbrechende Zähne mit ei-nem Parodontologen zusammen zu be-handeln, um ein Maximum an Attach-ment zu gewinnen. ■

tionsmaterial führen können. Finierstei-ne und Gummipolierer, die bei starkerDruckanwendung zu viel Wärme erzeu-gen und dadurch die Füllung in Mitlei-denschaft ziehen.Gute Instrumente dagegen seien leichtePlastik-Scaler und -Küretten, Nylon-bürstchen, Eva Plastiktips, Occlubrush,Polierdisks, rotierende und oszillierendeFeinstdiamanten und Finierstreifen.

Der letzte Vortrag am Freitagnachmittaghielt Urs Brodbeck zum Thema Vollkera-mische Restaurationen.Der Referent verfügt über jahrelange Er-fahrung in diesem Bereich, und manmerkte ihm die Freude an seinen Arbei-ten an. Es war eindrücklich zu sehen, wieAmalgamstrassen zu natürlichen Zahn-reihen mutierten, und gleichzeitig ge-sunde gingivale Verhältnisse vorlagen.

Am Samstagmorgen eröffnete der Kie-ferorthopäde Matteo Cassina den Kon-gresstag mit Kieferorthopädie, wannist eine Behandlung beim Spezialis-ten notwendig? Er erläuterte Zahn-durchbruch und Zahnwechsel und zeigteanhand mehrerer klinischer Fälle undderen skelletaler Klassen, wann und wie-so eine Behandlung beim Spezialistennotwendig ist.

Bernita Bush referierte über die prophy-laktischen Massnahmen bei Patien-ten mit fest sitzenden kieferorthopä-dischen Apparaturen.Anhand guter klinischer Aufnahmen de-monstrierte sie die durch jede Art vonFixapparaturen steigende Karies-, Gin-givitis- und Parodontitisgefahr. Die er-schwerte Zugänglichkeit und das Vor-handensein von Brackets, Bändern, Bö-gen und anderen Teilen tragen zu einerVerschiebung des biologischen Gleich-gewichts der Mundhöhle bei. NebenMundhygieneinstruktionen ist auch eineErnährungsberatung indiziert.Mundhygiene- und Paro-Status sind vorBehandlungsbeginn festzuhalten und zuoptimieren. Kind wie Eltern tragen einegrosse Mitverantwortung punkto Com-pliance.Bei allen Patienten ob gross oder kleinwerden bei jedem Termin die Mundhy-giene und der Zustand der oralen Gewe-be kontrolliert. Chemische Plaquekon-trolle während einer KFO-Behandlungist nur notwendig, wenn die Entzündungnicht mehr oder nur schwer zu beherr-schen ist. Chlorhexidin als Spüllösung, inLackform oder als Gel mit Schiene, kom-men zum Einsatz. Kein Dauergebrauch,

Sorridi – Lächle – SouriezVreni Steinegger, Dentalhygienikerin, Ipsach

Zirka 450 Dentalhygienikerinnen orientierten sich im Palazzo dei Congressi über Produkte-neuheiten und widmeten sich der Kinderzahnmedizin, dem Füllungsunterhalt und vollkera-mischen Restaurationen, Endocarditis sowie dem Lächeln in der Ethik.

Nach der Begrüssung durch die Zentral-präsidentin Doris Hüsler sprach PeterMinning, Leiter der SchulzahnklinikenBasel über die infektiöse Endocarditis.Bei Patienten mit einer Endocarderkran-kung ist allein die Aufrechterhaltung ei-ner optimalen Mund- und Zahnpflegebereits Endocarditisprophylaxe. Vor je-dem operativen Eingriff muss die Mund-höhle mittels Antibiose entzündungs-und herdfrei gemacht werden, und eineentsprechende Nachsorge ist einzupla-nen. Die prophylaktische Antibiose istam effektivsten, wenn sie behandlungs-begleitend, also 1 Stunde vor und 6 Stun-den nach dem Eingriff, verabreicht wird.Er zeigte den Anwesenden die verschie-denen Ausweise und betonte, dass jede/rPatient/Patientin mit einem Herzfehlerim Besitze eines Endocarditis-Prophy-laxe-Ausweises sein sollte.

Umgang mit Kindern und Jugend-lichen: ein ErfahrungsberichtElisabeth Altermatt berichtete über ihrenPraxisalltag. Sie sprach davon, kreativund flexibel zu bleiben, sich zu vergegen-wärtigen, dass Kinder viele Ängste ha-ben, und da gehöre die Zahnarztangsteben auch dazu. Die Behandlung in derPraxis sei keine Märchenstunde, aber wirkönnten uns einen kinderfreundlichenUmgang «zulegen». Die Behandlung ei-nes kleinen Patienten benötige viel Zeit.Mit erklären, zeigen, Fragen beantwortenund Entspannungsübungen möchte mandas Kind behandlungsbereit machen.Gelingt dies nicht, ist ein Behandlungs-abbruch ins Auge zu fassen. Die Referen-tin betonte, dass ein Abbruch nicht einVersagen unsererseits, der Kinder oderder Eltern sei, sondern einfach als Um-weg im Behandlungsplan verstandenwerden sollte.

Behandlung von Kindern unter NarkoseChristian Zedler demonstrierte anhandvieler Bilder die Behandlung unter Nar-

kose. Ziel dieser doch grossen und kost-spieligen Intervention ist die Wiederher-stellung von Schmerzfreiheit, Kaufunk-tion und soweit möglich Ästhetik. Dabeinicht zu unterschätzen ist auch der Um-stand, dass dank schmerzfreier Behand-lung das Kind später «normal» in derPraxis behandelt werden kann.Sollen diese aufwändigen Sanierungenzu einem langfristigen Erfolg führen,sind regelmässige Recalls mit einer mo-tivierenden, individuell angepassten In-struktion notwendig.

Der professionellen Zahnreinigung:Füllungsunterhalt oder Füllungs-destruktionwidmete sich Till Göhring. Im ersten Teilsprach er von den Vorteilen der Kompo-sitmaterialien, da sie fast universell an-wendbar seien. Im zweiten Teil des Refe-rates ging er auf die Nachteile ein: DieAdhäsivtechnik müsse mit strukturellenSchwächen seitens Zahnhartsubstanzund mit materialspezifischen Nachteilenwie Wasseraufnahme und Alterung le-ben.Vor allem die Randbereiche der Restau-rationen seien gefährdet. Es könne zuRissen im Schmelz kommen, die teilwei-se als weisse Ränder erkennbar seien.Diese durch die Lichtbrechung zunächstweissen Ränder können sich durch Pig-mente aus der Nahrung mit der Zeitdunkel verfärben. Überschüsse, die nichtsichtbar seien, auslaufende Federränderoder ungenügend polierte Stellen sindweitere Punkte, die mit einer regelmässi-gen sorgfältigen Nachsorge verbessertwerden können.Nach Till Göhring schaden Pulverstrahl-geräte mit Salzkristallen oder Sand sowieUltraschallgeräte den Kompositrestaura-tionen, indem eine rauhe Oberflächeentsteht, die sich schnell wieder verfär-ben kann. Gefährlich seien auch Metall-Scaler und -Küretten, die, unsachgemässangewandt, zu Aussprengungen an derZahnhartsubstanz oder am Restaura-

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wegen der Verfärbungen und des Ge-schmacks. Wichtig: Während CHX-Ein-satz keine Zahnpaste mit Sodium LaurylSulphat verwenden, diese Substanzblockiert die CHX-Wirkung.

Das Lächeln in der EthikZum Abschluss referierte Christine Abbtüber das Lächeln, welches dem diesjähri-gen Kongress den Namen gegeben hatte.Lächeln, eine Geste, die erstaunlich vielmit der Grundhaltung eines Individuumszu tun hat. Es scheint, dass das Lächeln

in einer eigentümlichen Spannung zwi-schen Nähe und Distanz, zwischen Of-fenheit und Verschwiegenheit gegenübereinem Du steht. Es ist eine Spannung,aus der heraus noch alles möglich ist, ausder heraus sich noch alles ereignen kann.Dentalhygienikerinnen begegnen täglichganz unterschiedlichen Menschen mitverschiedenen Geschichten und Wün-schen. Christine Abbt wünschte uns denMut und die Bereitschaft, sich immerwieder mit einem offenen Lächeln aufunsere Klienten einzulassen. ■

gewebe fehlen könne, müsse hier konse-quenterweise zur Schaffung von stabilenSchleimhautverhältnissen eine Trans-plantation von Schleimhaut aus demGaumen oder retromolaren Bereich er-folgen. Prof. Lang zog daher die Schluss-folgerung, dass die Indikation der muko-ginigivalen Chirurgie streng begrenztsein sollte, dass weiterhin die geneti-schen Einflüsse der Gewebe berücksich-tigt werden müssten und dass es klareUnterschiede zwischen Zahn und Im-plantat gäbe.

Dr. C. Schädle, Zürich (CH)Im zweiten Vortrag behandelte Dr. Schädledas Thema «Bindegewebige Grafts zurDeckung von Rezessionen». Hierbeistellte er eine eigens entwickelte Technik«Bindegewebsgraft mit Vertikalinzision»vor. Die bereits in den Neunzigerjahrenentwickelte Technik wurde über einenZeitraum von neun Jahren beobachtet.Die Besonderheit dieser Technik liegedarin, dass im Gegensatz zu den meis-ten in der Literatur beschriebenen Tech-niken ein Full thickness flap gebildetwird. Das gewonnene Bindegewebe wirdanschliessend durch eine Vertikalinzisioneingebracht und zwischen Knochen,Zahn und Mukoperiostlappen fixiert. DieErgebnisse zeigten, dass die gewonne-nen Resultate auch nach neun Jahrenstabil seien. Dr. Schädle betonte, dass dasoptische Ergebnis sehr stark von derQualität des Bindegewebegrafts abhän-ge. So zeige Bindegewebe aus der Tiefeein eher rotes und stark vaskularisiertesAussehen, Bindegewebe unmittelbar un-ter dem Epithel entnommen hingegenein sehr helles.

Prof. Dr. G. Pini Prato, Florenz (I)Die Deckung von Rezessionen mit Mem-branen und Papillenmanagement war dasThema von Prof. Pini Prato. Zu Beginnseines Vortrages erläuterte er die Anato-mie der Zahnfleischpapillen und die ver-schiedenen Gründe, weshalb es zu ei-nem Verlust derselben kommen könne.Die häufig als «schwarzen Dreiecke» be-zeichneten Interdentalräume seien beimErwachsenen häufig durch einen Verlustvon knöchernem Support als Folge vonparodontaler Erkrankung anzusehen.Weitere Faktoren wie fehlerhafte Res-taurationen, ungünstige Zahnanatomienund traumatische Mundhygienemass-nahmen könnten die Destruktion der In-terdentalpapille ebenfalls negativ beein-flussen. Prof. Pini Prato erläuterte in An-lehnung an eine Untersuchung vonTARNOW et al. (1992) die Bedeutung des

Parodontologie-Symposium, 9. November 2002

«Weichgewebe-Management um Implantateund Zähne»Frauke Berres

An der Universität Zürich-Irchel fand am 9. November 2002 ein ganztägiges Parodontologie-Symposium unter dem Thema «Weichgewebe-Management um Implantate und Zähne» statt.Zahlreiche Referenten aus der Schweiz, Frankreich, Italien und den USA zeigten neben denklassischen Methoden der mukogingivalen Behandlungsvarianten neue, innovative Metho-den auf, die den heute wachsenden ästhetischen Anforderungen mehr gerecht werden. DieDiskussion um das Attachment Management um Implantate nahm einen weiteren wichtigenTeil dieser Veranstaltung ein.

Zu Beginn begrüsste Prof. Dr. U. P. Saxer(Präsident der Schweizer Gesellschaft fürParodontologie) die Teilnehmer und Re-ferenten des Symposiums und führte ge-meinsam mit den Mit-Initianten Dr. F.Weber und Dr. U. Brodbeck (Seniorpartnerund Spezialisten SSO der Praxisgemein-schaft Zürich Nord) durch das Pro-gramm. Die Tagung wurde von der Pro-phylaxe-Schule Zürich Nord in Zusam-menarbeit mit der Schweizerischen Ge-sellschaft für Parodontologie (SSP) admi-nistrativ organisiert.

Prof. Dr. N. P. Lang, Bern (CH)Prof. Lang erläuterte im ersten Vortragder Veranstaltung die biologischenAspekte der parodontalen, mukogingiva-len Chirurgie. Diese befasst sich grund-sätzlich mit der chirurgischen Manipula-tion der Gewebe um die mukogingivaleLinie, also die Begrenzung der mastika-torischen von der auskleidenden Mund-schleimhaut. Als mutmassliches Problemnannte Prof. Lang die minimale Gingiva-zone, die fehlende keratinisierte Mukosaum das Implantat sowie Rezessionenund Dehiszenzen. Welche Konsequen-zen ergeben sich daraus für die Langzeit-prognose von Zahn und Implantat?Hierzu erläuterte er erst einmal die biolo-gischen Gewebecharakteristika von Gin-giva und Alveolarmukosa. Die mukogin-

givale Linie selbst sei genetisch deter-miniert und von daher durch eine Ver-

lagerung in Gebiete mit veränderterFunktion kaum beeinflussbar.Spekulationen in der Vergangenheit ha-ben zu der Meinung geführt, dass dasFehlen einer hinreichenden Zone vonbefestigter Gingiva negative Auswirkun-gen auf die Stabilität der Weichgewebeum den Zahn haben könnte. Jeder natür-liche Zahn besitze eine wenn auch sehrgeringe Zone an keratinisierter Gingiva.Bei einem Implantat gestalte sich die Si-tuation jedoch grundlegend anders: AufGrund des fehlenden parodontalen Liga-ments könne es durchaus vorkommen,dass ein Implantat vollständig von be-weglicher Alveolarmukosa umgeben sei.Prof. Lang zeigte anhand von Studien,dass eine chirurgische Manipulationder mukogingivalen Grenze bei einemschmalen Band von Gingiva weder pro-phylaktischen noch therapeutischenNutzen besitzt. Eine wissenschaftlichvertretbare Indikation bestünde lediglichbei der aus ästhetischen Gründen durch-geführten Rezessionsdeckung. Hierbeimüsse jedoch strikt beachtet werden,dass nur Gewebe mit der entsprechen-den genetischen Information (Bindege-webe) an die gewünschte Lokalisationgebracht wird. Da bei einem Implantatdas vom Desmodont beeinflusste Binde-

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Abstandes vom Kontaktpunkt zum Kno-chen für die Ausbildung einer interden-talen Papille. Der Verlust der interdenta-len Papille könne nach NORDLAND & TAR-NOW (1998) in vier Gruppen eingeteiltwerden. Grundsätzlich gäbe es für dieKorrektur des Papillenverlustes zwei Mög-lichkeiten: Die nichtchirurgische Thera-pie, die auf eine künstliche Wiederher-stellung des Kontaktpunktes ausgerich-tet ist (konservierende Massnahmen,prothetische Rehabilitation, Kieferor-thopädie etc.), und die chirurgische The-rapie. Hierzu zählen die Papillenrekontu-rierung, die Papillenpreservation und diePapillenrekonstruktion. Prof. Pini Pratozeigte anhand von Studien verschiedeneTechniken des Weichgewebsmanage-ments und der Knochenregeneration(GTR) auf. Neu sei eine spezielle Naht-technik («ramp mattress suture») nachTINTI (2002), die es ermögliche, in einemzusätzlichen chirurgischen ZweiteingriffPapillen zwischen Implantaten auszubil-den. Schlussfolgernd bemängelte Prof.Pini Prato die fehlende Vorraussagbarkeitüber die Resultate der einzelnen Techni-ken und die in der Literatur lückenhafteInformation über die langgfristige Stabi-lität der Ergebnisse solcher chirurgischerVerfahren.

Dr. F. E. Boltchi, Dallas (USA)Dr. Boltchi referierte über die ästheti-schen parodontalen Behandlungen in denUSA. Die moderne Parodontaltherapiefordere heute nicht nur ein gutes funk-tionelles Ergebnis, sondern auch ein ent-sprechend ästhetisches Resultat. In denUSA habe die rein ästhetisch ausgerich-tete parodontale Behandlung einen ho-hen Stellenwert erreicht. So sei die ästhe-tische Analyse bereits ein fester integra-ler Bestandteil der zahnärztlichen Unter-suchung geworden. Der ästhetische Er-folg von chirurgischen Eingriffen an Pa-rodont und Implantaten setze eine um-fangreiche Planung und gute Kenntnisseder einzelnen restaurativen und chirurgi-schen Verfahren voraus. So seien eineadäquate Gesundheit und Morphologiedes Parodonts für etwa fünfzig Prozentdes ästhetischen Resultates verantwort-lich. Unabdingbar sei hierbei die Harmo-nie zwischen dem gingivalen Niveau,dem Kontaktpunkt und der biologischenBreite.Die gleichen Prinzipien gelten auch beiImplantaten. Dr. Boltchi zeigte, dass einImplantat, welches zu nahe an einennatürlichen Zahn gesetzt wurde, einenerheblichen Knochenverlust am gleichenZahn hervorruft. Die Ausbildung einer

interdentalen Papille sei so nicht mehrmöglich. Für die Ausbildung einer Papillesei von daher das Knochenniveau amnatürlichen Nachbarzahn ausschlagge-bend, weniger das Knochenniveau desImplantates selbst. Bei mehreren neben-einander platzierten Implantaten sei fürdie Ausbildung einer Papille und einernormalen biologischen Breite der Ab-stand von mindestens 3 mm zwischenden Implantaten unbedingt einzuhalten.Im weiteren Verlauf seines Vortrages gingDr. Boltchi ausführlich auf die Ästhetikder Lachlinie ein. Anhand von klinischenFällen zeigte er verschiedene Opera-tionstechniken zur Korrektur von unter-schiedlichen mukogingivalen Problemenauf: Die ästhetische Kronenverlänge-

rung, bei der neben der Korrektur derGingiva eine Konturierung des Kno-chens erfolgt, die Kombination von Kro-nenverlängerung und Bindegewebsgraftsbei assymetrischem Verlauf der Gingiva-linie und schliesslich der Kammaufbaudurch Bindegewebsgrafts. Bei Zahnver-lust im Frontzahnbereich werde immerhäufiger die Sofortimplantation mitgleichzeitiger provisorischer Versorgungangestrebt (Abb. 1–4), um die Weichge-websstrukturen vollständig zu erhalten.Der Zahn oder Wurzelrest werde mög-lichst atraumatisch entfernt, das Im-plantat unter Erhalt der Papillenstruktu-ren gesetzt, abgeformt und am gleichenTag mit einer provisorischen Krone ver-sorgt.

Abb. 1 Präoperative Situation von Zahn 22

Abb. 2 Klinische Situation nach atraumatischer Extraktion des Zahnes 22

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Abschliessend bemerkte Dr. Boltchi, dassdie Koordination zwischen chirurgischerund restaurativer Technik exakt abge-stimmt sein müsse, um ein optimiertesästhetisches Resultat für Zähne und Im-plantate zu erhalten.

Dr. J. S. Hermann, Zürich (CH)Mukogingivale Chirurgie um Implantate– Grundlagen und biologische Gegeben-heiten war das Thema des fünften Refe-renten. Dr. Hermann berichtete, dass sichbei der Insertion von enossalen Implan-taten zwei Techniken etabliert haben:Einmal die zweizeitige Technik, bei derdas Implantat subgingival einheilt und ineiner zweiten Operation freigelegt wird.

Die zweite Technik ist das einzeitige Ver-fahren, bei der das Implantat transgin-gival einheilt. In Langzeitstudien sei ge-zeigt worden, dass beide Verfahren er-folgreich sind. Wenig bekannt sei jedochbis heute die Reaktion des Hart- undWeichgewebes und das daraus resultie-rende klinische Ergebnis. Dr. Hermannstellte hierzu Studien mit der Fragestel-lung vor, ob die an Implantaten beobach-tete Resorption des Knochens in den ers-ten Monaten nach Insertion einmal durchdie Art des Implantates (Ein-Stück- oderZwei-Stück-Implantate) oder durch dieGrösse des Mikrospaltes zwischen Im-plantat und Abutment hervorgerufenwird. Tierexperimentell durchgeführte

Studien konnten zeigen, dass die Grössedes Mikrospaltes keinen signifikantenEinfluss auf die Knochenresorption hat.Andererseits zeigten Zwei-Stück-Im-plantate eine signifikant stärkere Kno-chenresorption als Ein-Stück-Implanta-te. Es könne daher vorgeschlagen wer-den, dass die Stabilität zwischen Implan-tat und Abutment einen Einfluss auf dieKnochenresorption in den ersten ein biszwei Monaten der Einheilung habenkönne.

Prof. Dr. D. Etienne, Paris (F)Prof. Etienne behandelte in seinem Vor-trag die Problematik der mukogingivalenChirurgie und der angewachsenen Gin-giva um Implantate. Die Ziele der muko-ginigivalen Chirurgie bei Implantatenseien mit denen der parodontalen Muko-gingivalchirurgie vergleichbar: Funktio-nalität kombiniert mit ästhetischen Re-sultaten. So könne das Weichgewebe be-reits vor der Implantation durch einenoder mehrere Eingriffe vorbereitet wer-den. Vor allem im Frontzahnbereich seieine genaue Einschätzung der Machbar-keit und des therapeutischen Erfolgesunabdingbar. Grundsätzlich unterschiedProf. Etienne drei verschiedene Regio-nen: die lateral mandibuläre, die lateralmaxilläre und die anteriore. Im posterio-ren mandibulären Bereich handele essich immer um ein funktionelles Prob-lem, dass er bevorzugt durch eine Kom-bination von Lappenoperation und Bin-degewebsgraft zu lösen versuche. Fürden lateralen maxillären Bereich gäbe eseine grosse Anzahl von Möglichkeiten,um die mukogingivalen Verhältnisse inRelation zum Kieferkamm zu verändern.Problematisch seien jedoch häufig dieerhöhte Resorption des Kieferkammesoder grosse Niveauunterschiede zwi-schen zahnlosen Kieferabschnitten undnoch vorhandener Restbezahnung. Häu-fig müsse hier ein Weichgewebeaufbaumit Wiederherstellung des «emergenceprofile» erfolgen. Im Frontzahnbereichgelten prinzipiell die gleichen Regeln,allerdings könne die Situation extrem an-spruchsvoll sein, sodass eine enge Zu-sammenarbeit zwischen Patient, Behand-ler und Zahntechniker unabdingbar sei.Zu Beginn der Behandlung müsse dahereine genaue Evaluation der Gewebe, derTherapie und der Alternativen erfolgen.

PD Dr. S. Studer, Zürich (CH)PD Dr. Studer befasste sich in seinemVortrag mit der mukogingivalen Chirur-gie in der Brückenprothetik und Defekt-prothetik. Zu Beginn seines Vortrages

Abb. 3 Situation nach Sofortimplantation und eingebrachtem Abutment

Abb. 4 In der gleichen Sitzung angefertigtes und eingesetztes Provisorium

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zeigte er, dass in der Brückenprothetikdie mukogingivale Ästhetik über langeZeit nicht berücksichtigt wurde. Der 1957von FRIEDMANN eingeführte Begriff derMukogingivalchirurgie umfasse fünfklassische Operationsmethoden zur Be-seitigung funktioneller Probleme: derapikal reponierte Verschiebelappen, dieFrenotomie, der Doppellappen, das freieSchleimhauttransplantat und der lateraleVerschiebelappen. Erst in den Achtziger-jahren seien ästhetische Probleme wieein assymetrischer Gingivaverlauf, un-ästhethische Gingivatexturen oder lokaleAlveolarkammdefekte mit einer modifi-zierten Technik des freien Schleimhaut-transplantates und der Einführung desBindegewebsgrafts behandelt worden.Die grösste Herausforderung sei jedochbis heute der Papillenverlust geblieben.PD Dr. Studer erläuterte speziell die Tech-niken zur Rekonstruktion von Alveolar-kammdefekten durch das Onlay-Trans-plantat und das Bindegewebstransplan-tat. Anhand von durchgeführten Studienzeigte er auf, dass bei Klasse-III-Defekten(vertikal & horizontal) ein Bindegewebs-transplantat mehr Volumengewinn undein zuverlässigeres Resultat als ein On-laygraft zeigt. In der Defektprothetik ge-he die mukogingivale Chirurgie fliessendin die präprothetische Chirurgie überund löse damit wiederum weitestgehenddie klassischen funktionellen Probleme.Für die tägliche Klinik bedeute dies, dassbei reinen Volumenproblemen das Bin-degewebetransplantat das Mittel derWahl sei, bei zusätzlichen mukogingiva-len Problemen wie eine fehlende Gingi-vabreite, Tatto und Texturproblemen je-doch das Onlay-Transplantat. Für ein zu-frieden stellendes Ergebnis sei jedocheine gute Zusammenarbeit zwischenTumorchirurgen, Radio-Onkologen unddem rekonstruktiv tätigen Zahnarzt un-abdingbar.

Prof. Dr. Azzi, Paris (F)Prof. Azzi betonte zu Beginn seines Vor-trages über die perioprothetische undplastisch-chirurgische Ästhetik die be-deutende Rolle der Zusammenarbeit vonZahnarzt und Zahntechniker. Durch diewachsenden ästhetischen Ansprüche desPatienten nach einem perfekten Zahn-fleisch sei die restaurative und parodon-tale Zahnheilkunde unweigerlich in eineneue Epoche eingetreten. Fortschritte inder parodontalen, implantologischenund restaurativen Therapie ermöglichtendie Entwicklung innovativer Techniken.Prof. Azzi erläuterte in seinem Vortrag dieBedeutung der Biologie der Gewebe und

ging auf die «white ethetics» ein. Er be-tonte, dass die parodontalen Gewebeden Erfolg einer prothetischen Arbeit wi-derspiegeln. Von daher sei die Gesund-heit der Gingiva, der harmonische Verlaufder Papillen und ein Gleichgewicht zwi-schen Stellung, Form und Farbe der Zäh-ne für ein befriedigendes ästhetischesResultat entscheidend. Der Trend in derChirurgie gehe hin zu einer minimal in-vasiven Technik. So forderte er bei einerästhetischen Kronenverlängerung nur dieBildung eines bukkalen Lappens, nichtaber die eines palatinalen Lappens. Beider restaurativen Therapie sei die gingi-vale Kontur und Papillenausbildung starkvon der Gestaltung der Arbeit abhängig.

So könne eine Papille allein durch eineentsprechende restaurative Arbeit wie-derhergestellt werden. Bei Implantatensei vor allem die ponticförmige Gestal-tung der Suprastruktur für den Erhaltund die gingivale Ausformung von Be-deutung.Für den Praktiker stelle sich letzlich dasProblem, die richtige Technik zu wählen,um ein vorraussagbares Ergebnis zu er-halten.

Dr. G. Zucchelli, Bologna (I)«Ästhetische Deckung mehrfacher Re-zessionen» war das Thema des letzen Re-ferenten. Dr. Zucchelli stellte heraus, dasser sich mit der rein ästhetischen Deckung

Abb. 5 Definitive Restauration regio 22 nach erfolgter Einheilzeit des Implanta-tes mit maximalem Erhalt der Weichgewebe

Abb. 6 Präoperative klinische Situation mit multiplen Rezessionen

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von Wurzeloberflächen befasst, die aufWunsch des Patienten erfolgen. Sein per-sönliches Ziel sei es deshalb, den Patien-ten die Gingiva zurückzugeben, die ur-sprünglich vorhanden war. Dies bedeutedie totale Deckung der Wurzeloberflächebis hin zur Schmelz-Zement-Grenze.Kann keine vollständige Deckung er-reicht werden, sei der Patient meist mitdem ästhetischen Resultat unzufrieden.Auch Form und Farbe der operiertenStellen seien für den Erfolg entschei-dend. In den meisten Fällen handele essich nicht um eine singuläre Rezession,sondern um multiple nebeneinanderliegende Stellen (Abb. 5). Der Patientmöchte so wenig Eingriffe wie möglichmit optimalem Ergebnis. Hierzu stellteDr. Zucchelli eine modifizierte Form deskoronal verschobenen Lappens vor, ummultiple Rezessionen zu therapieren

(Abb. 6). Ein entscheidender Unterschiedbei dieser Technik sei das Fehlen von ver-tikalen Entlastungsschnitten, sodass eineoptimale Blutversorgung gewährleistetund keine sichtbare Narbenbildung vor-handen ist. Weitere Vorteile dieser Ope-rationstechnik («split-full-split flap ele-vation») seien die einfache Verschiebungdes Lappens und die Möglichkeit zurstabilen Verankerung und besserenDurchblutung der involvierten Papillenin den Zahnzwischenräumen. Schliess-lich könne die Dicke des Gewebes überder zu deckenden Zahnfläche angepasstwerden.Dr. Zucchelli wies darauf hin, dass ineiner Studie gezeigt werden konnte(ZUCCHELLI & DE SANCTIS 2000), dass diebeschriebene Technik in 73% der behan-delten Patienten zu dem gewünschtenErfolg geführt hatte (Abb. 7). Sowohl sta-

tistisch als auch klinisch könne ein sig-nifikanter Gewinn an keratinisierter Gin-giva beobachtet werden. Dieser Gewinnsei von der Ausgangsbreite der Gingivaabhängig, d.h., je weniger keratinisierteGingiva vor der Operation vorhandenwar, desto grösser der Gewinn nach er-folgter Therapie.Abschliessend kann gesagt werden,dass das Symposium ein sehr umfas-sendes Bild des heutigen Standes dermukogingivalen Chirurgie widerge-spiegelt hat. Der Enthusiasmus der Re-ferenten und die gute Organisation derVeranstalter haben das Symposium zueinem erfolgreichen Fortbildungstaggemacht.

DanksagungMein besonderer Dank geht an Prof. Dr.U. P. Saxer und an die Referenten Dr. F.Boltchi und Dr. G. Zucchelli, die mirfreundlicherweise ihr Bildmaterial zurVerfügung gestellt haben.

LiteraturFRIEDMANN N: Mucogingival surgery.

Texas Dental Journal 1957; 75: 358–362.

TARNOW D P: The effect of the distancefrom the contact point to the crest ofbone on the presence or absence of theinterproximal dental papilla. J Perio-dontol 1992; 63: 995–996.

TINTI C, BENFENATI S P: The ramp mattresssuture: a new suturing technique com-bined with a surgical procedure to ob-tain papillae between implants in thebuccal area. Int J Periodontics Restora-tive Dent 2002; 22: 63–69.

NORDLAND W P,TARNOW D P: A classifica-tion system for loss of papillary height.J Periodontol 1998; 69: 1124–1126.

ZUCCHELLI G, DE SANCTIS M: Treatment ofmultiple recession-type defects in pa-tients with ethetic demands. J Perio-dontol 2000; 71: 1506–1514. ■

Abb. 7 Schematische Darstellung der Schnittführung

Abb. 8 Vollständige Deckung der Rezessionen nach erfolgter Therapie

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verletzungsformen und deren Behand-lung beschrieben.Teil 3 bespricht Angaben über posttrau-matische Untersuchungen sowie Diätund Mundhygiene nach Zahntrauma.Die verschiedenen endodontischen Be-handlungstechniken, abhängig von Pul-paexposition und Reifestadium der Zäh-ne, werden vorgestellt. Mögliche Komp-likationen bei der Heilung wie z.B. An-kylose und Ersatzresorption oder infek-tionsbedingte Resorption, aber auchderen Behandlungen werden beschrie-ben.Im Teil 4 findet man Hinweise zu den imvorangehenden Text erwähnten einsetz-baren Materialien, Medikamenten undderen Herstellern. Eine tabellarische Ge-genüberstellung der Vor- und Nachteilebestimmter Behandlungstechniken beiEinsatz konventioneller Endodontie undauto-alloplastischer Plantation vervoll-ständigt den Teil 4.Die «auto-alloplastische Plantation» bil-det einen besonderen Schwerpunkt. Die-se Behandlungsmethode entspricht einerWurzelspitzenresektion des verunfalltenZahnes ausserhalb des Mundes mit re-trograder Wurzelkanalaufbereitung undInsertion eines zylindrischen Titanstiftes.Diese endodontische Behandlung ver-hindert das Eindringen von Mikroorga-nismen und damit das Entstehen infek-tionsbedingter Resorption. Die Autorenstellen die Indikation zur extraoralenStiftinsertion bei «zellunphysiologischgeretteten» Zähnen sowie bei Re- undTransplantation wurzelreifer Zähne. DasVorgehen bei dieser Behandlungsform istsehr anschaulich beschrieben und wirdan einem Fall schrittweise mit klinischenBildern dargestellt.Das vorliegende Buch ist sehr informativund sowohl mit klinischem als auch mitradiologischem Bildmaterial reichhaltigillustriert. Es ist ein ideales Nachschlage-werk für den Praktiker und gibt auch imakuten «Fall des Unfalles» schnell undzuverlässig Hilfestellung bei Diagnostikund Therapie. Praxisnah wird aufgezeigt,wie luxierte oder frakturierte Zähne ge-rettet werden können. Trotz seiner kom-pakten Grösse gibt es einen umfassen-den Überblick über die verschiedenenVerletzungsgrade, die Behandlungsmög-lichkeiten und Prognosen. Das Werk

stellt für Studentinnen und Studenteneine sinnvolle Ausbildungshilfe dar. Esrichtet sich aber vor allem an Zahnärztin-nen und Zahnärzte als informativer Rat-geber für den direkten Einsatz in derPraxis.

A. Anzidei, Zürich

Medizinische Genetik

Opitz Ch, Witkowski R, Tinschert S:Genetisch bedingte Fehlbildungenim orofaziokranialen Bereich228 S., 258 Abb., E 128.–, Quintessenz Berlin (2001)ISBN 3-876652-324-9

Ein kurzer, von denselben Autorinnenverfasster Abriss zu dieser Thematik ist inder Zeitschrift Zahnärztliche Mitteilun-gen (ZM) Nr. 9, 1.5.2002 erschienen.Die Einleitung dieses Buches ist höchstlesenswert. Sie legt dar, wie der Inhaltdes Begriffs «Medizinische Genetik» sichin den letzten Jahrzehnten gewandelthat, von der «Lehre von der Vererbungvon Merkmalen und Krankheiten» zurLehre von den genotypischen, d.h. denmolekulargenetisch erfassbaren Ursa-chen der Merkmalsausbildung. WarenMitte des 20. Jh. ca. 15 «Erbkrankheiten»bekannt, die Mendel’schen Erbgängenfolgen, so sind heute über 6000 Gen-Orte bekannt, in denen Mutationen zuleichten bis schwersten phänotypischenVeränderungen führen. Darunter ist einehohe Zahl von Neumutationen, die früheSpontanaborte auslösen. Ein problem-loser Schwangerschaftsverlauf ist alsodurchaus keine Selbstverständlichkeit,und auch 5% der Geborenen sind mitFehlbildungen oder anderen genetischbedingten Abweichungen behaftet. Die-se hohe Fehlerquote des Genoms gilt alsumweltstabil, d.h. als unabhängig vonden gemeinhin oft verdächtigten Um-weltbelastungen.Für Kliniker wichtig ist der Hinweis, dassder «Lehrbuchfall» in der Praxis kaumexistiert, da pro Gen eine Vielzahl vonAllelen und damit ein breites Spektrumphänotypischer Manifestation existiert.Es wird also in der Praxis weniger um ei-ne definitive Zuordnung zu bestimmtenSyndromen gehen als darum, Zeichenvon Dysmorphie zu erkennen und Pa-tienten allenfalls einer eingehenderenmedizinisch-genetischen Abklärung zu-zuführen.Der Hauptteil dieses Buches gliedert sichnach klinischen Manifestationen in 12

BUCHBESPRECHUNGEN

Unfälle bei Jugendlichen

Kirschner H, Filippi A, Pohl Y, Ebeleseder K:Unfallverletzungen der Zähne1. Aufl., 111 S., 203 Abb., SFr. 112.–,E 68.–,Schlütersche GmbH & Co., Hannover (2002)ISBN 3-87706-598-8

Zahnunfälle sind leider ein allzu häufigesThema in der täglichen Praxis, und diekompetente Behandlung erfordert eingewisses Grundlagenwissen und auchklinische Erfahrung. Je schneller eineadäquate Behandlung erfolgt, desto bes-ser ist die Prognose für die traumatisier-ten Zähne. Gerade wenn es sich umeinen schwereren Unfall mit Frontzahn-verlust oder Mehrfachverletzungen han-delt, fühlt sich der Praktiker manchmalüberfordert. Diese Situation hat die Au-toren des vorliegenden Buches bewogen,ein handliches Kompendium zu publi-zieren.Das Werk setzt sich mit Zahnunfällen,deren Behandlung und Komplikationenauseinander und ist in vier Teile geglie-dert:Teil 1 befasst sich mit den Grundlagenvon Zahnunfällen. Unfallursachen undVorbeugemassnahmen mittels Front-zahnschutz werden besprochen. Dierichtige Handhabung und Aufbewah-rung avulsierter Zähne wird erläutert,was eine wichtige Voraussetzung für denBehandlungserfolg darstellt. Die Funk-tion und Anwendung der in der Uni-versität Giessen entwickelten Zahnret-tungsbox Dentosafe® werden geschildert.Ausserdem wird über die allgemeineDiagnostik bei akutem Zahntrauma be-richtet.Ein Kapitel über die Reaktionen der ver-schiedenen Gewebe nach Zahntraumafrischt das Grundlagenwissen wiederauf. Zudem finden sich in diesem erstenTeil Informationen zu Schienungsverfah-ren, Begleittherapie und Infektionspro-phylaxe.In Teil 2 finden sich Anleitungen, die sichmit der verletzungsspezifischen Diag-nostik,Therapie und Prognose von Zahn-unfällen befassen. Von der «einfachen»Konkussion über die Avulsion bis hin zurBehandlungsstrategie bei Mehrfachver-letzungen werden alle möglichen Zahn-

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Kapitel: Abweichungen in Zahl undMorphologie der Zähne, Erkrankungenvon Gingiva, Parodont und Mund-schleimhaut, Anomalien von Zunge, Kie-fer und Gebiss, Lippen-Kiefer-und/oderGaumenspalten, Kiemenbogen-Syndro-me, Dysostosen des Mittelgesichts, Kra-niostenosen und -Synostosen, Oro-Fa-zio-Digitale Syndrome. Unter dem Titeleinzelner Manifestationen wird häufigauch verwiesen auf das letzte Kapitel, inwelchem eine grosse Zahl von Syndro-men beschrieben ist, die mit fazialen und/oder kraniofazialen Auffälligkeiten ver-bunden sind. Dabei stellen neuere mole-kulargenetische Erkenntnisse traditio-nelle, klinisch gewählte Einteilungen inFrage. Sehr viele der über 250 beschrie-benen (zum Teil sehr seltenen) Zustands-bilder werden ausführlich illustriert. DieDarstellung ist ausserordentlich syste-matisch, mit sehr zuverlässigen Querver-weisen und ausgezeichnetem Stichwort-verzeichnis. Zu jeder Manifestation wirdauch die Referenznummer aus dem um-fassenden Katalog «Online MendelianInheritance in Man» (OMIM) angege-ben, was die weitere Suche im Internetunter www.ncbi.nlm.nih.gov/Omim/se-archomim.html sehr erleichtert. Weiter-

führende Literatur wird ebenfalls ange-geben.Auch wenn der Praktiker den meistender beschriebenen Zustandsbildern nieam Patienten begegnen wird, lohnt essich, in diesem Buch zu blättern, wenneinem «auffällige Gesichter» begegnen.Immerhin gibt es einige Zustände, die fürBetroffene von wesentlicher Bedeutungsind und deren Merkmale nicht seltenerstmals vom Zahnarzt erfasst werden.Genannt seien hier nur zwei Beispiele:Die dentalen Befunde (multiple Odonto-me, Zahnüberzahl, Formanomalien undAnkylosen der Zähne) bei der Polyposisintestinalis III (GARDNER-Syndrom) mitNeigung zu maligner Entartung sowiedie paramedianen Unterlippenfistelnbeim autosomal dominant vererbtenVAN DER WOUDE-Syndrom, die für dieNachkommen Betroffener ein hohes Ri-siko für Lippen-Kiefer- und/oder Gau-menspalten (nebst Lippenfisteln) bedeu-ten. Mit einem Preis von 128.– E ist die-ses sehr ausführliche und handlicheWerk auch erschwinglich und kann so-wohl für interessierte Studierende alsauch als Nachschlagewerk für Zahnärzteund Ärzte bestens empfohlen werden.

W. Gnoinski, Zürich

auch die unterdosierten CHX-Lösungensignifikante Plaquereduktionen, die nachdrei Monaten denen des AZFs gleichka-men oder diese übertrafen. Nach sechsMonaten erwies sich nur noch die Posi-tivkontrolle dem AZF überlegen. Mitden 0,06%igen CHX-Präparaten wurdenzum Studienabschluss gleichwertige Er-gebnisse erzielt.Der Gingiva-Index verhielt sich ähnlichzum Plaque-Index. Nach drei Monatenkonnte mit allen aktiven Spüllösungeneine signifikante Entzündungsreaktiongegenüber der Ausgangslage (0 Monate)erreicht werden. Beim Vergleich der ak-tiven Präparate am Ende der Studie(6 Monate) wies lediglich die Gruppe mit0,1% CHX einen signifikant geringerenGI als die AZF-Gruppe auf. Auch im di-rekten Vergleich zur Negativkontrollekonnte lediglich mit 0,1% CHX einesignifikante Entzündungsreduktion auf-rechterhalten werden.In allen Gruppen nahmen im Untersu-chungszeitraum die Zahnverfärbungenzu. Die Kontrollgruppe zeigte nach dreiund sechs Monaten eine signifikant ge-ringere Verfärbung als die aktiven Spüllö-sungen.0,1%iges CHX erzeugte nach drei undsechs Monaten eine plaquereduzierendeWirkung, aber keine vollständige Plaque-inhibition, wie sie von 0,2%igem CHX be-kannt ist. Eine signifikante Entzündungs-reduktion im Vergleich zum Placebo wur-de am Ende der Studie ausschliesslich mit0,1%iger CHX-Lösung erreicht. Für diekurzfristige Anwendung von Spüllösun-gen zur Plaquereduktion wurde deshalbvon den Autoren die Beibehaltung einer0,2%igen CHX-Lösung empfohlen. Fürden längerfristigen ergänzenden Einsatzzur Mundhygiene wurde eine 0,06%-CHXals aussichtsreich erachtet.

Christian E. Besimo, Brunnen

Präventivzahnmedizin

Bruhn G, Netuschil L, Richter S T,Brecx M, Hoffmann T H:Klinische Wirkung von subdosiertenChlorhexidin-PräparatenOralprophylaxe 24: 1 13–1 16 (2002)

In einer klinischen, randomisierten, Pla-cebo-kontrollierten Blindstudie wurdendie Plaqueinhibition, Gingivitisreduk-tion und das Auftreten oraler Nebenwir-kungen von unterdosierten Chlorhexi-dindiglukonat (CHX)-Mundspüllösun-gen (0,06% CHX und 0,06% CHX mit250 ppm Natriumfluorid) im Vergleich zueiner 0,1%igen CHX-Mundspüllösung,zu Aminfluorid/Zinnfluorid (AZF; Meri-dol) und einer Kontrolle (Leitungswas-ser) geprüft. Insgesamt 85 Probandenwurden im Rahmen der Studie übersechs Monate beobachtet. Als Prüfungs-parameter wurden zu den verschiedenenUntersuchungszeitpunkten (14 Tage, 0, 1,2, 3 und 6 Monate) der Plaque-Index

nach SILNESS & LÖE, der Gingiva-Indexnach LÖE und der Diskolorations-lndexnach BRECX et al. verwendet.Die vielfach nachgewiesene plaqueredu-zierende Wirkung von CHX konnte auchin dieser Studie bestätigt werden. Nebender Positivkontrolle (0,1% CHX) zeigten

ZEITSCHRIFTEN

Kinderbehandlung

Erste wichtige LeukämiezeichenWenn Kinder eine ganz besonders blasse Mundschleimhaut haben oder sogar et-was Blut in der Mundhöhle zu sehen ist, was nicht auf eine unmittelbare Verletzunghindeutet, ist äusserste Achtsamkeit geboten. Diese Erscheinungen könnten Signa-le einer Leukämieerkrankung darstellen. Nicht alle Kinder, die an dieser malignenKrebserkrankung leiden, zeigen eine Gingivahyperplasie. Auch nicht therapierba-re, rötliche Veränderungen auf der Gingiva sind ein häufiges Alarmzeichen für die-se gefährliche Allgemeinerkrankung. Bei Leukämiekindern sind im Röntgenbildhäufig mottenfrassähnliche Knochenauflösungen an Zahnwurzeln und im Kiefer-bereich zu finden. Eine Überweisung an den Spezialisten ist eilig und unumgäng-lich, wie Prof. Dr. Gerhard Wahl, Bonn, kürzlich in einem Vortrag forderte. sp