Summersounds - Ausgabe 16 2014 des strassenfeger

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  • 5/20/2018 Summersounds - Ausgabe 16 2014 des strassenfeger

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    Straenzeitung fr Berlin & Brandenburg

    1,50 EURdavon 90 CT fr

    den_die Verkufer_in

    No. 16, Augus 2014

    HERZENSSACHEBeaseaks mi neuemAlbum (Seie )

    KRPERKULTTaoo you(Seie )

    MORE SKYLichknslerOo Piene (Seie )

    SUMMERSOUNDS

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    srasseneger | Nr. | Augus | INHALT

    strassen|fegerDie soziale Sraenzeiung srassenegerwird vom Verein mob obdach-lose machen mobil e.V.herausgegeben. Das Grundprinzip des srassenegeris: Wir bieen Hile zur Selbshile!

    Der srassenegerwird produzier von einem Team ehrenamlicherAuoren, die aus allen sozialen Schichen kommen. Der Verkau des sras-senegerbiee obdachlosen, wohnungslosen und armen Menschen dieMglichkei zur selbsbesimmen Arbei. Sie knnen selbs enschei-den, wo und wann sie den srassenegeranbieen. Die Verkuer erhaleneinen Verkuerausweis, der au Verlangen vorzuzeigen is.

    Der Verein mob e.V. finanzier durch den Verkau d es srassenegersoziale Projeke wie die Nobernachung und den sozialen TreffpunkKaffee Bankrot in der Sorkower Sr. 139d.Der Verein erhl keine saaliche Unerszung.

    Liebe Leser_innen,vor ein paar Wochen bekam ich einen Anruf: Hallo, hier istMatthias von Universal aus Hamburg. Ich war gerade in Berlinund habe Eure tolle Ausgabe mit McFitti gesehen. Wir bereitengerade den Start des neuen Beatsteaks-Albums vor und wrdendas gern ganz exklusiv mit Euch zusammen machen! Ich sagte

    nur: Alles klar, machen wir! Nun ja, mit der Exklusivitt istdas ja immer so eine Sache, aber egal. Die Beatsteaks sind eineBerliner Band, sind sozial engagiert und gute Musik machen sieauch noch. Vielleicht wird es sogar der Sound dieses Sommers passend zu unserem Titelthema der Ausgabe Summersounds.Gemunkelt wird schon in der Szene, dass die Platte das besteAlbum des Jahres sein soll. Also traf sich der Chef vom stras-senfeger radiound unserer TV-Show Kaffee Bankrott, GuidoFahrendholz, mit den Jungs zum Interview (Seite 3).

    Um den Sound dieses Sommers in Berlin fr Sie einzufangen,waren unsere Autor_innen bei der Botanischen Nacht (Im-pressionen auf Seite 7), haben die Berliner Lebensretter auf undam Wasser besucht (Seite 8) und berichten ber die tollen An-gebote fr Kinder und Jugendliche im Rahmen der FEZitty

    in der Wuhlheide (Seite 12). In der Rubrik art strassenfegerwrdigen wir den groartigen Licht- und InstallationsknstlerOtto Piene. Die Doppelausstellung More Sky von Otto Pienein Berlin wird durch den pltzlichen Tod des Knstlers zu einerposthumen Hommage (Seite 16). Auerdem stellen wir Ihnendie wunderbare Ausstellung WIR GEHEN BADEN im Kup-ferstichkabinett vor (Seite 24). Und: Wir berichten ber die ersteBrandenburgische Landesausstellung (Preuen und Sachsen.Szenen einer Nachbarschaft) in Doberlug (Seite 26).

    Im Brennpunkt steht diesmal die Forderung des SozialverbandDeutschland e.V. (SoVD), die unsgliche HartzIV-Gesetzgebungendlich grundlegend zu reformieren (Seite 20). Im Sportteil be-schftigen wir uns mit Fuball hinter Gittern (Seite 27) undberichten ber das Fuball-Heimturnier fr Wohnungslose vonOcker-Beige Berlin auf dem Metro-Dach in Friedrichshain(Seite 28).

    Ich wnsche Ihnen, liebe Leser_innen, wieder viel Spa beim Lesen!Andreas Dllick

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    SUMMERSOUNDSExklusiv: Inerview mi den Beaseaks

    Die Boanische Nach

    Besuch bei Lebensretern der DLRG

    Geschichen von lauen SommernchenDie Wege des Tatoos

    FEZity Kinder an die Mach

    Waren die Sommer rher schner?

    Skizzen eines heien Tages

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    TAUFRISCH & ANGESAGTa r t s t r a s s e n f e g e r

    Kuns, die nich verebb: DoppelaussellungMore Sky von Oto Piene in Berlin wird durch

    den plzlichen Tod des Knslers zu einer pos-

    humen Hommage

    B r e n n p u n k tBald obdachlos? Wohnen im Bauwagen

    Zehn Jahre Harz IV kein Grund zu eiern!

    s t r a s s e n f e g e r r a d i oLaurenz Caffi er & der Daenschuz

    K u l t u r t i p p sskurril, amos und preiswer!

    A k t u e l lWenn das Baden die Kuns beweg

    Erse Brandenburgische Landesaussellung

    S p o r tImmer nur Heimspiel Fuball hiner Gitern

    Fuballurnier r Wohnungslose

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    AUS DER REDAKTIONH a r t z I V - R a t g e b e rErsaussatungen Teil

    K o l u m n eAus meiner Schnupfabakdose

    V o r l e t z t e S e i t eLeserbriee, Vorschau, Impressum

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    stras senfeger | Nr. | August SUMMERSOUNDS |

    Mach immer das, wofr

    Dein Herz gerade brennt!(Bernd Kurtzke)Das 7. Album heit wie die Band, einfach nur BeatsteaksI N T E R V I E W : G u i d o F a h r e n d h o l z

    Schon das Zustandekommen eines beson-deren Moments kann zu einem persn-lich sehr legendren Ereignis werden.Am 1. August 2014 erschien das sie-

    bente Studioalbum der Beatsteaks. Die Jungsum Snger Arnim Teutoburg-Wei berlassenrecht wenig dem Zufall. So auch die Auswahlder sie interviewenden Journalisten. Ich stauntenicht schlecht, als ich fr den strassenfegerdazueingeladen wurde. Aber natrlich auch nichtirgendwo steril und abgeklrt. Nein, die Beat-steaks luden mich zu einer Dampferfahrt auf derSpree ein. Zwischen Wolkenbruch und gnaden-los brennender Mittagssonne sprachen wir ber

    die Entwicklung der Band, das neue Album, dieWichtigkeit sozialen Engagement und die vonden Beatsteaks untersttzten Projekte.

    Guido Fahrendholz: Soziales Engagement istfr Euch eine Herzenssache?

    Thomas Gtz (Schlagzeug): Bei den ver-schiedenen untersttzten Projekten gibt es auchimmer unterschiedliche Ideen und Motivationenderjenigen unter uns, denen beim Blick durchdie Landschaft das als Erstes auffllt. Beispiels-weise kam Arnim mit der Idee, ein Benefiz frdie Tsunami-Opfer zu spielen. Fr DresdenNazi-frei haben Torsten und ich mich stark en-gagiert. Wir sehen uns fast jeden Tag, kommenschon morgens mit der ersten Tasse Kaffee in denProbenraum, und so bringt auch jeder mit, wasihm unter den Ngeln brennt. Dann reden wir

    darber was uns beispielsweise am Tag zuvor imWeltspiegel auf den Sack ging oder was wir inder Zeitung gelesen haben. Wir tauschen uns aus

    ber unseren Alltag was dann auch seinen Aus-druck finden kann in besagten Aktionen.

    Wir gehe n e ben nic htauf jedes Charity-Event!

    Diese Form der Untersttzung greifen durch-aus auch andere Knstler/Musiker auf, abergerade bei Euch fllt die vielfltige Unterstt-zung unterschiedlichster Projekte besondersauf: Chance gegen Analphabethismus, derVerein fr Organspenden Junge Helden,Viva Con Aqua von Benjamin Adrion undG8-Gipfel in Heiligendamm!

    Bernd Kurtzke (Leadgitarre): Das sind auchalles Aktionen, bei denen wir uns keinen Zackenaus der Krone brechen. Natrlich knnen uns

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    Die Beaseaks wollen mi der neuen Scheibe richig durchsaren! (Foo: Ue Langkael MAIFOTO)

    Torsen (Quelle: Beaseaks Promo)

    Peer (Quelle: Beaseaks Promo)

    Thomas (Quelle: Beaseaks Promo)

    stras senfeger | Nr. | August | SUMMERSOUNDS

    Organisationen wie Amnesty International aufTour begleiten und ihren Stand aufbauen. Dasist fr uns nicht mit viel Arbeit verbunden, abergenau so effizient wie ein Benefizkonzert zu spie-len. Die jeweiligen Organisationen erreichen da-durch tagtglich hunderte, manchmal tausendeMenschen. Ich denke, es ist auch fr Knstlerwie uns ein bisschen Verpflichtung, es gehrteinfach dazu, sich zu engagieren und andereMenschen, also unser Publikum zu motivieren,sich mal Gedanken zu machen. Solche Mglich-keiten muss man einfach auch nutzen!

    Torsten Scholz (E-Bass): Ich finde es totalinteressant, dass wir in der Auenwirkung als en-

    gagierte Band wahrgenommen werden. Ich findeschon, dass wir viel machen, aber ffentlich haltenwir uns damit eigentlich sogar eher zurck. Wir ge-hen eben nicht auf jedes Charity-Event, suchen ge-zielt aus und unter diesen ausgesuchten Projektenwhlen wir aber nicht eine Rangliste aus. DresdenNazi-Frei ist mir genauso wichtig wie Organspen-den, der Kampf gegen Armut oder ein Ressourcenschonender Umgang mit Trinkwasser.

    Heiligendamm 2007, das Deine Stimme gegenArmut-Festival zum G8-Gipfel, ist da aberdoch schon eine ganz andere Hausnummer. Wiekam es dazu?

    Thomas Gtz: Wir sind gefragt worden!Herbert Grnemeyer engagiert sich zu diesemThema richtig dolle, war Initiator und lie unsanfragen, ob auch wir zu dieser Gelegenheit auf-treten wollen. Und wir haben Ja gesagt.

    Arnim Teutoburg-Wei (Snger): Im Gegen-satz zu anderen Projekten, wo wir noch berlegenund uns absprechen, gaben wir dazu unsere so-fortige Zusage. Auch bevor wir berhaupt wuss-ten, dass auch Seeed hinfahren, die Toten Hosendort spielen werden, hatten wir schon unserenAuftritt beschlossen. Dieser Auftritt fiel mittenrein in die Festivalzeit, und ich glaub, wir habenerst einen Tag davor realisiert, Mensch morgenspielen wir ja in Heiligendamm bzw. Rostock.Das gab diesem Auftritt nochmal etwas ganz Be-sonderes. Und auch erst danach haben wir dann

    mitbekommen, wie sorglos und konsequent sichdie Damen und Herren vom Volk abschotten lie-en, um ungestrt nett zu essen.

    Wie reagieren Plattenfirma und das Label aufEure Aktionen?

    Thomas Gtz: Vielleicht muss man das malrelativieren. Wir engagieren uns schon auch frSachen auerhalb, also die nix mit Musik zu tunhaben. Aber es ist auch kein wirklich groes ge-sellschaftliches Engagement zu sagen, Hey ihrLeute, die ihr auf unserer Gsteliste steht, zahltbitteschn einen Betrag von fnf Euro fr einenwohlttigen Zweck, den wir bestimmen. Es istalso nicht so, dass wir tagtglich fr das Gute

    kmpfen. Wir sind in erster Linie eine Rock nRoll Band, wir machen unseren Job und spielenBass, Gitarre, Schlagzeug und singen. Wir spielen

    Rock n Roll und profitieren manchmal auch vonSachen, von denen wir lieber nicht profitieren wol-len, und dann ist der Tag auch schon vorbei. Was wirmachen, halten wir fr selbstverstndlich und sinddeshalb nicht engagierter, nicht besonders geil, nurweil wir es machen. Es ist so einfach fr uns, und geilwird es fr andere. Die Plattenfirma hat uns deshalbnoch nie Stress gemacht.

    Wenn ich mich recht erinnere, spieltet Ihr Euerzehntes Konzert als Vorband der Sex Pistols. ber-haupt habt Ihr eine lange Karriere als Vorband,von Bad Religion, Donots, den Toten Hosen, denrzten...

    Bernd Kurtzke: Es gibt nichts was wir besserknnen! (lacht herzhaft) Ja, das konnten und kn-nen wir echt gut. Da hat man fr den Abend keineVerantwortung, geht fr eine halbe bis dreiviertelStunde raus auf die Bhne, ballert einfach los undist wieder weg.

    Inzwischen seid Ihr fr Eure Abende allein verant-wortlich. Auch fr die Auswahl Eurer Vorbands?Bernd Kurtzke: Ja, die suchen wir selber aus,

    und es ist tatschlich noch nicht vorgekommen,dass uns diese Verantwortung die Plattenfirma htteabnehmen knnen, uns eine Vorband vorsetzt.

    Thomas Gtz: Wir haben das Glck gehabt,als Vorband fr Bands zu spielen, die wie in einemLehrbuch vorgelebt haben, wie man seine Vorbandkorrekt behandelt. Bands wie die Hosen und dierzte, die ihre Vorbands immer cool behandeln.Also auch unsere Vorbands spielen nicht nur fr ei-nen Apfel und ein Ei, sondern werden entsprechendbezahlt, so dass auch fr sie alles cool ist. Sie werdenvon uns ordentlich angekndigt, prsentiert. Sie be-

    kommen wie wir das volle Catering, den komplettenSound. Am Ende des Tages war es unser Abend, andem eben auch Bands vor uns gespielt haben, die

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    Die Beaseaks machen den Sound o Summer! (Foo: Ue Langkael MAIFOTO)

    Arnim (Quelle: Beaseaks Promo)

    Bernd (Quelle: Beaseaks Promo)

    Beaseaks ganz enspann klar neue Plate is draussen! (Foo: Ue Langkael MAIFOTO)

    stras senfeger | Nr. | August SUMMERSOUNDS |

    wir spielen sehen und hren wollten und nicht einStaatssekretr XY fr Rockmusik.

    Das war so mein pers nli che s

    Blumenpflcken.

    Gibt es eine Band, fr die Ihr gern noch einmal alsVorband auf die Bhne steigen wrdet?

    Torsten Scholz: Wir haben mal mit den Beat-steaks vor den Beastie Boys gespielt. Das war somein persnliches Blumenpflcken der fr michbesten Band der Welt. Das haben wir also schon ge-macht. Natrlich gibt es dann noch weitere Bands,mit denen ich gern spielen wrde, wobei das meistBands sind, die man sich in der Phantasie zusammenbastelt. Weil, wenn man mal drei Minuten ernsthaftdarber nachdenkt, ob es so irre wre vor AC/DCzu spielen, wei ich nicht, ob ich noch dazu Bockhtte, meinetwegen im Stadion von Buenos Aires,wo sie alle schon mit den roten Hrnern hocken,vor AC/DC auf die Bhne zu gehen. Wrden aber

    Arcade Fire oder die Arctic Monkeys uns fragen,fnde ich das schon geil.Bernd Kurtzke: Fr mich nicht. Die Bands, die

    mir da einfallen wrden, gibt es entweder schon garnicht mehr und wenn es sie noch gibt, will man siedann doch nicht mehr sehen, weil ihre Auftritte ir-gendwie einer Demontage gleichen. Also Nein.

    Thomas Gtz: Ich wrde gern mit den BlackLips (sogenannte Garagen-Punkrock-Band aus At-lanta, Anm. der Red.) durch den Iran touren.

    Euer erstes Album trgt als Titel die HausnummerEures damaligen Probenraums. Vermisst Ihr ihnund was bedeutet er heute manchmal?Bernd Kurtzke: Nein, berhaupt nicht. Wir mussten

    diesen Probenraum damals ja auch wieder ausein-ander und zurck bauen; was da hinter den einge-zogenen Zwischenwnden und Decken zum Vor-

    schein kam, das mchtest Du gar nicht wissen.Irgendwie zieht es uns da mit Sicherheit nichtmehr hin. Danach folgten noch viele andere,und jetzt sind wir in einem angekommen, in demwir machen knnen, was wir wollen, ohne Ein-schrnkungen oder auch zeitliche Begrenzun-gen. Ich glaube, genau das ist das Wichtigste freinen Probenraum.

    Unse r Luxus ist es, P robezeit en

    nicht mehr nach u nseren Ar-

    beitszeiten zu richten.

    Wird Musikmachen, das Proben und Einspielen

    im Laufe der Zeit effektiver?Thomas Gtz: Nein, es ist bei uns genauso,wie es immer schon war. Wir gehen in den Pro-benraum, entwickeln unsere Songs und nehmenDemos auf. Arnim nimmt die mit und singtdrauf, und beim nchsten Mal wissen wir: Ist dasnun ein geiler Song oder nicht. Ich kenne Musik-machen nicht anders und mchte es mir auch garnicht anders vorstellen. Das ist auch kein Privi-leg, sondern ich glaube, dass es bei den meistenehrlichen Rockbands auch nur so funktioniert.

    Bernd Kurtzke: Das uneingeschrnkt ma-chen zu knnen, das ist wahrscheinlich doch einPrivileg. Auch dass wir damit so viel Geld ver-dienen, dass es uns frei gestellt ist wie, was undwann wir es machen. Aber der Prozess an sichist nicht privilegiert, Musikmachen sollte immerso sein. Das kann der eine oder andere vielleichteffektiver gestalten, wenn der Rechner mit insSpiel kommt, aber solange eine Gitarre und einSchlagzeug gespielt werden, wird es auch keinenanderen Weg geben, damit Musik, in unseremFall Rockmusik, zu machen.

    Thomas Gtz: Disziplin ist dann noch eineSache, die unbedingt mit dazu gehrt. Wenn Duins Studio gehst und ein Stck aufnimmst, willstDu unbedingt, dass es auch so klingt wie Dues die ganze Zeit in Deinem Kopf hrst. Dafrmusst Du es vielleicht zehnmal oder auch zwan-zigmal einspielen. Allein dafr brauchst Du dannaber auch unbedingte Disziplin. Unser Luxus ist

    es, Probezeiten nicht mehr nach unseren Ar-beitszeiten zu richten. Unsere Probenzeiten sindunser Job. Genauso diszipliniert, auch wenn wirmachen, was uns Spa macht.

    Gibt es dann auch eine Art Arbeitsteilung, nachVerantwortung fr Texte, Musik und Arrange-ments?

    Bernd Kurtzke: Ja schon, aber das funktio-niert fr den einen Song oder auch ein Albumauf die eine Art und Weise und beim nchstenSong schon wieder ganz anders. Es wre ja auchbld, sich auf ein Schema festzulegen, das wirdann gnadenlos durchziehen. Es geht eigentlichnach den persnlichen Fhigkeiten. Wer gerade

    das gut kann, soll es auch machen. Mach immerdas, wofr Dein Herz gerade brennt und nichtsworauf Du gerade gar keinen Bock hast!

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    stras senfeger | Nr. | August | SUMMERSOUNDS

    Man kann imm er noch Neul and

    fr sic h s elbs t e ntd ecke n.

    Liebt Ihr beide Seiten, die Studioarbeit wie dieLive-Gigs gleichermaen?

    Bernd Kurtzke: Ich glaube, auch das siehtjeder in unserer Band anders. Ich bin lieber imStudio als auf der Bhne. Fr andere ist es dieErfllung, auf der Bhne zu stehen, dafr ma-chen sie ja die Songs. Das ist auch gut so, dieMischung machts.

    Torsten Scholz: Das Tolle an unserem Jobist doch, man kann immer noch Neuland frsich selbst entdecken. Konzerte im Knast oderin Tropfsteinhhlen oder anderen Orten, was al-

    les schon gemacht wurde, aber eben auch Lustmacht auf andere neue kleine Sachen.

    Wann habt Ihr mit den Arbeiten zu dem neuenAlbum begonnen?

    Thomas Gtz: Wir haben im vergange-nen Sommer angefangen, Demos zu schreibenund fr das neue Album aufzunehmen. DieseSongs haben wir dann unserem ProduzentenMoses Schneider vorgespielt. Insgesamt sieb-zehn Demos waren das, glaube ich. Moses hatelf davon ausgesucht, und von denen woll-ten wir dann eine Vorproduktion machen imSchaltraum-Studio von Tom Schwoll, der malGitarrist bei Jingo de Lunch war. Ein wirklich

    sehr gutes Studio, was obendrein auch sehr gutklingt, nicht so Hightech-mig daher kommt.Wir kennen es schon seit den Aufnahmen fr

    das Album Smack Smash und fhlen uns daauch schon ein bisschen zuhause. Jedenfallshaben wir da in zwei Wochen die Songs aufge-nommen, fr die wir uns entschieden hatten,und nach den zwei Wochen wurde uns klar,dass das mehr ist als eine Vorproduktion, wirhaben grad die Platte aufgenommen. Dannsind wir zurck in den Probenraum gegangen,Arnim hat die elf Songs besungen, wir habennoch drei vier Overdubs aufgenommen, unddie Platte war fertig.

    Klingt verdammt fix!Bernd Kurtzke: Das war auch sehr fix. Als

    wir im Studio fertig waren, haben wir uns alleangeschaut und gefragt: Das ist es jetzt doch

    hier, oder!.Thomas Gtz: Und ohne dass wir das amersten Tag so geahnt htten. Ein richtig geiler Be-triebsunfall. Nur Moses wusste das wohl schonvorher, dass es genau so funktionieren wrde.

    Arnim Teutoburg-Wei: Wir waren aucheinfach mal wieder dran mit einem leichterenAlbum. Der Schalter dazu wurde sicherlich auchumgelegt durch den Unfall von Thomas, den dieBand berlebt hat. Htte Thomas nicht mehrSchlagzeug spielen knnen gbe es die Beat-steaks nicht mehr. Die Aufnahmen selbst gingendann auch deshalb so schnell, weil wir davor fastein dreiviertel Jahr daran geschrieben haben. Je-der von uns ging in sein Kabinchen und machte.

    Jeder brachte dann das Geschaffte mit in denProbenraum. In dieser Zeit wird auch nicht vielgeredet, sondern einfach gearbeitet. Beatsteaks-

    INFO

    hp://beaseaks.com/

    Pre-Lisening au: hp://lisen.beaseaks.com

    Songs werden es dann, wenn auch die Anderenzu ihren Instrumenten greifen und sie gespieltwerden.

    Torsten Scholz: Wenn Arnim dann die De-mos wieder mit in seinen Raum nimmt und draufsingen kann, ist das schon die halbe Miete. Beidiesem Album brachte Arnim, bis auf eine Aus-nahme, alle Songs besungen wieder mit zurck,das war schon sehr einzigartig.

    Kennt Ihr das auch anders?Bernd Kurtzke: Na bei den beiden Alben

    davor. Da war ganz viel Kopf im Spiel, eventu-ell auch jede Menge Kalkl bei dem Einen oderAnderen. Es war auch gut, dass wir diese Albengemacht haben, auch um zu erkennen, was wir

    so nicht mehr wollen. Natrlich sehen wir dasalle auch wieder unterschiedlich, aber mir sinddie beiden Alben davor extrem schwer gefallen.

    Wann gehts mit dem neuen Album auf Tour?Thomas Gtz: Im August spielen wir sechs

    oder sieben Konzerte, zwei Festivals und vierClubkonzerte. Danach machen wir ein wenigUrlaub, und ab November startet dann die aus-gedehnte Tour zum Album, quer durch die Repu-blik, sterreich und die Schweiz.

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    Zum 6. Mal and im Boanischen

    Garen Berlin die Boanische

    Nach sat.

    Besucher waren au Traumklngeund Elengesang am Chinaeich.

    Bernhard Schwarz in einer Pause

    seiner Liveperormance Traum-

    klnge und Elengesang am

    Chinaeich.

    Feuerwerk am Ialienischen Garen.

    stras senfeger | Nr. | August SUMMERSOUNDS |

    INFO

    www.boanischer-garen-berlin.de

    Romantisch,

    fantastisch,magisch!Die Botanische Nacht 2014I M P R E S S I O N E N & F O T O S : T h o m a s G r a b k a

    Bereits zum 6. Mal verwandelte sich der BotanischeGarten am 19. Juli in eine magische Pflanzenoase.Wer sich dorthin auf den Weg gemacht hatte, er-

    lebte ein romantisches Sommerfest der besonde-ren Art. Bereits am Eingang wurde der Besuchervon geheimnisvollen Feen und Kruterhexen, von Trollen undfantastischen Fabelwesen empfangen. Zu einer Zeit, in derder Garten normalerweise geschlossen ist, bot sich dem aben-teuerlustigen Gast ein traumhaftes Erlebnis. Auf 16 km illu-minierten Wegen quer durch einen Mrchenwald erwartetean jeder Wegbiegung etwas Neues, noch Geheimnisvolleresden Erstaunten. So manches Oh und Ah war zu vernehmen.Die drckende Hitze des Tages war frischer Gartenluft ge-wichen. Ein besonderer Anziehungspunkt war der AmerikaTeich. Ideal fr Liebespaare. Man lauschte romantischenVolksliedern, vorgetragen vom Bariton Lars Grnwoldt, derauf einem Kahn stehend sachte in die Mitte des Wassers glitt.Magisch die Performance der japanischen Tnzerin Yoriko

    Maeno im Japanischen Pavillon zu den Klngen von JrgenHeidemann, der mit seinen Klangsteinen einen akustischenTeppich des Fernen Ostens ausbreitete.

    Insgesamt traten ber 50 Knstler auf 18 Bh-nen und Spielsttten auf. Ob Blues, Swing,Dixi, Flamenco, moderner Pop gemixt mit Folk

    Traumklnge und Elfengesang. Geboten wurdeein musikalisches Spektrum der Extraklasse. ImRebengang wartete Bacchus, der griechische Gottdes Weines, um alle groen und kleinen Sorgen zuvertreiben. Und wer irgendwann einen Ruheplatzsuchte, fand diesen im Buchenwldchen mit QiGong. Innere Ruhe und uere Entspannung.

    Zum Abschluss im Italienischen Garten danndas furiose farbenfrohe Feuerwerk.

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    Frank Villmow und

    seine Crew au Parouil-

    lenahr mi ADLER 3

    Retungsboo der Deu-

    schen Lebens-Retungs-

    Gesellschaf unerwegs au

    der Havel.

    stras senfeger | Nr. | August | SUMMERSOUNDS

    Wenn wir jeden Zehnten

    retten, sind wir gut!Zu Besuch bei der Deutschen Lebens-Rettungs-GesellschaftB E R I C H T & F O T O S : T h o m a s G r a b k a

    Als Frank Villmow das RettungsbootADLER 3 am Strand der BadestelleGroes Fenster an der Ostseite derHavel verlsst, wird er von seiner

    Frau Monika mit den Worten begrt: Ich binheute Morgen schon ins Glck getreten. Glckist eine Tretmine, stinkende Hinterlassenschaft

    eines spten Badegastes, der seine Notdurft amAbend zuvor direkt auf dem Zugangsweg zumRettungssttzpunkt verrichtet hat. WhrendMonika Villmow noch schimpft, sammelt sie denMll von gestern in eine blaue Tte und stelltdiese neben einen der berfllten Abfalleimeram Badestrand. Eigentlich wre fr die Reini-gung des Gelndes und die regelmige Ml-lentsorgung die Forstverwaltung zustndig, aberdie kommen zu selten vorbei. Vor allem jetzt, dadie heien Sommertemperaturen viele Berlinermit Kind und Kegel ans Wasser pilgern lsst, umder drckenden Schwle der Stadt zu entfliehen,mssten die aufgestellten Behlter tglich geleertwerden. So aber landet schnell was daneben.

    Monika Villmow leitet den Sttzpunkt. AlsMdchen fr alles von Samstagmorgen bisSonntagabend verbringt sie hier schon seit Jah-ren von Mai bis Mitte September viel Freizeit.Zusammen mit zehn bis zwlf weiteren ehren-amtlichen Rettungsschwimmern der DeutschenLebens-Rettungs-Gesellschaft, kurz DLRG ge-nannt, die hier Badegste, vor allem die Kleine-ren nicht aus den Augen lassen, sobald sie sichim Wasser vom Ufer entfernen. Erst vor wenigenTagen retteten die Berliner Rettungsschwimmerder DLRG zwei kleine Mdchen vor dem Ertrin-ken. Aber auch Segler, die mit ihren Booten aufden Berliner Gewssern immer mal wieder inSeenot geraten, gehren zum Einsatzgebiet der

    Retter. Im Schnitt sind es 800 Segelboote proJahr, denen wir helfen mssen, erklrt FrankVillmow, Landeseinsatzleiter der DLRG Berlin.

    Er und seine Frau Monika haben sich seinerzeithier kennengelernt, heute verbringt er seine Wo-chenenden in der Leitstelle Am Pichelssee und sieetwas sdlicher der Havel auf einer der insgesamt27 Rettungsstationen, die an den Berliner Ge-wssern von der DLRG betrieben werden. Mehrals 300 ehrenamtliche Rettungsschwimmer sindjedes Wochenende im Einsatz. Sie haben, bevorsie das Leben anderer retten, eine fundierte Aus-bildung bekommen, knnen professionell tau-chen, haben einen Bootsfhrerschein erworben

    und sind handwerklich begabt, denn die meistenReparaturen an Booten und Stationen fhren sieselbst aus. Denn vom Berliner Senat, in dessen

    Auftrag sie an all den heien Wochenenden aufdie kleinen und groen Badegste aufpassen,bekommen sie nur einen Bruchteil des finanziel-len Bedarfs, den diese Arbeit erfordert. 700 000

    Euro betrgt der Jahreshaushalt, aus dem RotenRathaus kommen aber nur knapp 100 000 Euro.Der Fehlbetrag wird aus Mitgliedsbeitrgen, ausSpenden und anderen Zuwendungen bestritten.

    Die Rettung Hilfebedrftiger durch die DLRGist immer kostenlos. Niemand bekommt sptereine Rechnung. So auch nicht der Mann, der ges-tern auf seinem Boot mitten auf der Havel einenHerzinfarkt erlitt und dessen Erstversorgungdurch Helfer der DLRG erfolgte, bevor er dannstabilisiert an das Team eines Rettungswagensder Feuerwehr bergeben werden konnte.

    Samstagabend, wenn die letzten Badegste den

    Strand verlassen haben, das Rettungsboot ver-tut und die Gerte berprft und fr den kom-menden Tag wieder einsatzbereit sind, bleibt

    Zeit fr Team Building. Dann sitzen die Helferzusammen vor ihrer Station, essen gemeinsamund reden ber ihre Arbeit, bevor sie sich in dieDoppelstockbetten in den zwei Schlafrumen,

    mit denen fast jede Station ausgerstet ist, legen.

    Ein wichtiges Thema ist der Nachwuchs. Fr-her gab es da nie Probleme, aber heute wollenimmer weniger ein solches Ehrenamt ausfllen.Deshalb veranstaltet die Berliner DLRG regel-mige Jugendcamps, in denen den Teilnehmerndie Arbeit als Rettungsschwimmer und Taucherpraxisnah vorgefhrt wird. Hier erfahren die Ju-gendlichen, dass die Realitt nur wenig mit demzu tun hat, was die sexy in Szene gesetzten Holly-woodschauspieler um David Hasselhoff und Bu-senwunder Pamela Anderson in der bekanntenTV Serie Bay Watch treiben. Dort werden 95Prozent aller in Not geratenen Menschen geret-

    tet. Die Wirklichkeit ist eine andere. Wenn wirjeden Zehnten retten, sind wir gut, meint Vill-mow zurck auf Adler 3.

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    Au der Parkbank zu schlaen is hchs gehrlich! (Foo: Andreas Dllick VG Bild-Kuns)

    srasseneger | Nr. | Augus SUMMERSOUNDS |

    Wo ist denn der Penner?Geschichten von lauen SommernchtenB E T R A C H T U N G : J a n M a r k o w s k y

    Begriffsverwirrung: Ich sitze am Abend mit Freun-den drauen im Freien, und wir haben keine Eile,ins Haus zu kommen. Die Stimmung ist gut undfriedlich. Die Sonne geht unter. Aber das ist nochlange kein Grund, aufzustehen. Langsam wird es

    dunkel, uns wird aber nicht kalt, und es regnet nicht. Wirfhlen uns gut, und irgendwie vergeht die Zeit. Laue Sommer-

    nacht. Warum werden warme Nchte lau genannt? Lau-warm ist auch angenehm. Weder zu warm oder gar zu hei,noch zu kalt. Eben richtig. Nur verbinden wir mit dem Wortlau nicht nur Gutes. Fr lau arbeiten, ist nicht so toll. Lausteht auch fr flchtig, teilnahmslos, desinteressiert. Weil dielaue Sommernacht eine warme Nacht ist, wird im Englischenauch warm summernight gesagt.

    G u t e G e s c h i c h t e n a u s z w e i t e r H a n d

    In der Suppenkche des Franziskanerklosters Wollankstraetraf ich eine ganze Weile lang den Heinz, dessen kleine Woh-nung vom Sozialamt Neuklln bezahlt wurde. 300 Eurowarm, so billig gibt es keine Wohnung, sagte er mir oft. Erwar sich sicher. Doch irgendwann hat das Sozialamt die Mietedoch nicht mehr bezahlt, und er musste seine Wohnung ver-lassen. Ich habe auf einer schnen Wiese geschlafen, warsein lapidarer Kommentar. Ich erfuhr, dass es die Wiese an derTiergartenschleuse war. Der Weg vom Hardenbergplatz amZoo vorbei in den Tiergarten und zur Strae des 17. Juni istheute noch in trocknen Nchten stark berlaufen. Heinz wargut gekleidet und hatte damals kleines Gepck. Er entsprachberhaupt nicht dem Klischee des Obdachlosen. Die ersteNacht drauen war eine laue Sommernacht, und so reichteihm sein Jackett zum guten Schlaf auf der Wiese.

    In der Theatergruppe am ehemaligen Standort von UnterDruck Kultur von der Strae e.V. im Scheunenviertel standich mal mit Ahmed, einen jungen Mann aus Ostafrika, der injungen Jahren in einen Flieger nach Berlin gesetzt wurde, aufder Bhne. Er wohnte in den warmen Sommernchten mitFreunden im Weinbergspark. Das hat sicher auch dem kleinen

    flinken Pinscher gut getan, den der junge thiopier als Welpeaufgenommen hat. Der kleine Weinbergspark war Treffpunktvieler ausgegrenzter Menschen, auch der Punker mit ihrenHunden. Mit andren Hunden ber die Wiese tollen, das istreines Hundeglck. Und Ahmed konnte bis weit in der Nachtim Sptkauf Bier oder Wein besorgen. Was wollte er mehr?

    G e s c h i c h t e n i n l a u e n S o m m e r n c h t e ng e h e n n i c h t i m m e r g u t a u s

    In den lauen Sommernchten sind die Schlafzimmer vielerObdachloser, die Parks, gut besucht. Aber nicht immer gehennchtliche Begegnungen von Obdachlosen mit Menschen mitWohnung gut aus.

    Ein Beispiel: Die Arztpraxis fr Obdachlose am Ostbahn-

    hof wurde vor vielen Jahren vom Deutschen Roten Kreuzgetragen und war in unmittelbarer Nachbarschaft des Post-bahnhofs in einem Gebude der Post untergebracht. Im Frh-

    stcksraum stand ein Obdachloser aus Irlandauf und zeigte auf seinen halboffenen zahnlosenMund: I lost my teeth!. Es dauerte eine ganzeWeile, bis ich kapiert hatte, dass er in der Nachtseine Zhne verloren hatte. Wenige Minuten sp-ter machte er einen Tritt ins Leere. Tage spteerschloss sich mir die ganze Geschichte. DerIre hatte sich mit seinem Bruder im sprlichenGebsch an dem ehemaligen Parkplatz schlafengelegt. Auf dem Parkplatz steht jetzt ein Ein-kaufszentrum, das Alexa. In den S-Bahnbgenin der Nhe waren viele Clubs. Alkohol hat da-fr gesorgt, dass die Iren Warnsignale ignorierthatten.

    Wie wichtig funktionierende Sinne sind, da-von kann ich aus eigenem Erleben berichten. Ichhatte mir mal eine schne Wiese am Paracelsusbad

    zum Schlafen ausgesucht. Drei Seiten Gebsch.Vom Hauptweg aus war im dichten Gebsch einekleine Lcke zu erkennen: Ein Trampelpfad. Ichhatte mich mit der letzten S-Bahn vom BahnhofFriedrichstrae aufgemacht. Ich bin vom Bahn-hof Reinickendorf den Weg zur Strae und hattedie Strae noch nicht erreicht, da hrte ich einenJugendlichen: Een Penner!. Wer gemeint war,war mir klar. Ich bin dann arglos ber die Strae,den beleuchteten Hauptweg in den Park rein,den kurzen Trampelpfad und schon war ich imDunklen kaum zu sehen. Ich war am Einschlafen,da hre ich eine mir bekannte Stimme: Wo istdenn der Penner?. Betrunkene Jugendliche sindselten leise. Ich wusste, woher die Stimme kam,

    kurz gelauscht, dann leise aus dem Schlafsack,die Sachen gepackt und zur anderen Seite ab. Diesollten nur suchen.

    SchnellSchalten

    A n z e i g e n : 0 3 0 - 4 1 9 3 4 5 9 1

    r e d a k t i o n @ s t r a s s e n f e g e r . o r g

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    stras senfeger | Nr. | August | SUMMERSOUNDS

    Denn das Ferneliegt so nahDie Wege des Tattoos von der weiten Welt in unsere StadtB E R I C H T : A n n a G o m e r | F O T O S : T h o m a s G r a b k a

    Was machen die Berliner in Berlin,wenn sie nicht gerade Touristen inanderen Stdten sind oder sein kn-nen? Wenn die Hitze sie weg vom

    Fernseher treibt, in dem sie ironischerweise mitWerbung exotischer Strnde bombardiert werden?

    Viele folgen dem Ruf der Berliner RappersKobito&Sokee: Du brauchst nur einen Platz, wodu dich hinlegst// Urlaub in der Stadt/ Komm,vergiss mal die Zeit und verbringen ihre Tage ineinem der Parks. Viele arbeiten aber und knnensich erst am Abend den sommerlichen Genssenwidmen. Am lauen Sommerabend sind die Res-taurants voll. Man speist orientalisch, indisch, la-teinamerikanisch Die Welt auf dem Teller zumVerspeisen bereit. Junge und Junggebliebene mitFlipflops und Shorts, mit freiem Oberkrper

    Es ist verstndlich, dass die Strandklamotte zu-sammen mit den neuen Strandbars Einzug in dieStadt feiert. Man mchte mit der nackten Hautjeden Lufthauch abfangen, jede Luftbewegungin der Schwle des Asphaltsommers spren.Doch die Hitze ist sicherlich nicht der einzigeGrund fr die Entbltheit. Die neuen Tattooswollen auch gezeigt werden. Sowohl in Parks alsauch in der Stadt hat man den Eindruck, dassmehr nackte Haut zu sehen ist, und auch, dassdie Zahl aufwndiger Tattoos im Vergleich zum

    letzten Jahr zugenommen hat.

    Die Welt wird in Form exotischer Gerichte ein-verleibt. Aber auch Motive aus anderen Kulturenfinden groes Interesse bei jungen Erwachsenen.Durch das Interesse an anderen Kulturen, durchProzesse der Selbstssuche, der Identifizierung miteiner bestimmten Gruppe oder Abgrenzung voneiner anderen entstanden, werden Maorizeichen,Yakuzacodes, Indianermotive nun an die Ober-flche transportiert und wie auf einem Bildschirmin Form von Tattoos zur Schau gestellt. So wie esscheint, ist vor allem in Berliner Szenebezirkendie Kleidung am sprlichsten. Dafr sind aber Ta-toos besonders weit verbreitet. Statistisch gese-

    hen trugen 2009 25,5 Prozent der Frauen und 26Prozent der Mnner zwischen 20 und 34 ein Tat-too. Das Interesse ist offensichtlich noch gestie-

    gen, wie man am ersten Wochenende im Augustin Berlin feststellen konnte. In der Arena Treptowfand nmlich die 24. Ausgabe der Tattoo Conven-tion statt. ber 250 Knstler aus verschiedenenLndern und tausende Besucher waren da (BZ).

    Die Inhaberin des Tattoostudios HarmonieBirgit Petrich besttigt den Eindruck der zuneh-menden Popularitt der Tattoos in allen Schichtender Gesellschaft und erzhlt uns, dass es fr Tat-toownsche kaum Altersgrenzen gibt. Es kmenzuweilen Eltern mit dreizehnjhrigen Kindern,die sie wegschicken musste. Stichtag ist nmlicherst mit 18. Aber auch eine 72-jhrige Dame kammit dem Wunsch, ihren langjhrigen Traum voneiner Ttowierung zu verwirklichen. Oft fhrtaber auch ein spontaner Entschluss in ein Tattoo-studio, meint Petrich, so bei Jugendlichen, die ausProtest gegen ihre Eltern Totenkpfe und andereMotive aus der Gothic Szene vorziehen. Die ltereDame entschied sich nach langem Durchsuchender Kataloge fr einen Klassiker der Old-School,einen Delfin, weil dieser ihrer Meinung nach ihrWesen am besten wiedergeben wrde. VieleMnner wrden sich Wikingermotive, Lwen-kpfe und andere Insignien der Mnnlichkeitin die Haut einbringen lassen. Traditionellengeschlechtlichen Zuordnungen entsprechend,lassen sich junge Frauen oft groflchige Blu-menranken einttowieren. Beliebt sind auerdem

    Namen und Geburtsdaten wichtiger Menschen.Vor allem die der Kinder werden meistens ansichtbaren Stellen eingebracht.

    An die 70 Prozent ihrer Kunden entwerfen ihreTattoos zwar selbst oder lassen sie von Knst-lern entwerfen. Die Unikatskizzen werden dannnach der Umsetzung vernichtet. Doch meistenslassen sich die Kunden von Motivvorlagen ausdem Internet inspirieren. Auerdem gibt es Ka-taloge mit klassischen Motiven, die dann nachpersnlichem Geschmack abgewandelt wrden.Besonders beliebt seien dabei Tribal- Tattoos, dieihren Ursprung in Neuseeland haben, wei dieSaloninhaberin zu berichten.

    Die Kulturtechnik des Einbringens von Farbeunter die Haut lsst sich nicht auf einen einzel-

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    Zum Frchen oder ein Kunswerk? Toal zugehack! Eine Frau lss sich ein Bild au den Rcken sechen.

    Such? Ein schon sark owierer Mann lss sich

    noch ein Bild machen.

    Aua! Ein harer Junge lss sich die Brus owie-

    ren.

    24. Inernaionale Tatoo Convenion in der Arena

    in Berlin.

    Eine Frau lss sich einen Finger owieren.

    Posieren au der Tatoo Convenion r ein Tatoo

    Magazin.

    stras senfeger | Nr. | August SUMMERSOUNDS |

    nen Ursprung zurckfhren. berall auf der Weltund zu allen Zeiten traten Ttowierungen auf. Sogibt es 7 000 Jahre alte Mumienfunde mit unterdie Haut eingearbeiteten Zeichen. Immer wiederkamen solche Zeichen im Kontext der Religionenvor, wobei eine religise Minderheit sich dadurchvon der Mehrheit der Gesellschaft abgrenzte.Beispielsweise wurden in Bosnien Mdchen inchristlichen Familien durch ein Kreuztattoo vombertritt zum Islam bewahrt.

    In Japan waren es Kriminelle, die durch Tattoosgekennzeichnet und somit fr immer aus der Ge-sellschaft ausgestoen wurden, was mit der Zeitzur Bildung einer Pariakaste, den Yakuzas, fhrte.In Europa markieren sich Kriminelle hingegenselbst, wobei hier das Moment der Erinnerungs-

    sttze wohl wichtig ist. Im Gefngnis, wo mander gewohnten Umgebung fr Jahre entrissenwird, die die Persnlichkeit u.a. durch menschli-che Beziehungen festigt, fungiert die eigene Hautals Spiegel, als Tagebuch und als das letzte pri-vate Objekt, ber das man verfgen kann. Beieuropischen Seeleuten lsst sich wohl derselbeGrund fr die Krperbemalung ausmachen. Aberauch hier ist das Tattoo ein Abgrenzungsmal undKommunikationscode unter Gleichen.

    Fr die Mittelschicht sowohl in Europa als auchin Japan war dieser Code lange verpnt. Erst abden 90er Jahren kommt es auch hier zu einerzunehmenden Verbreitung des Tattoos. Dabei

    wurden u. a. sowohl Old-School-Motive derSeeleute als auch die Yakuzatradition in die T-towierungspraxis integriert. Warum? Und: in

    welchem Zusammenhang steht die Entblungder Haut mit ihrer Verzierung? Ist es wirklichHaut, die da entblt wird?

    Wenn mythologische Motive und Codes bestimm-ter Milieus auf die Haut gebrannt werden unddiese nun zur Leinwand umfunktionalisiert wird,so ist anzunehmen, dass die Haut nicht mehr alsdas angesehen wird, was sie ist. Nmlich als dasgrte Organ mit lebenswichtigen Funktionen,Barriere zwischen Innen und Auen, Quelle desLeids bei Schmerz und des Genusses bei Berh-rung. Sondern vielmehr als etwas ueres, als

    ein Erkennungskostm und eine Kommunikati-onsmembran mit der Auenwelt.

    Stndige Kommunikation prgt den Alltag derjungen europischen Mittelschicht. PersnlicheProfile werden erstellt und in die Welt hinaus-geschickt. Man uert sich in verschiedenenBlogs und auf Facebook. Doch wie es scheint, istdiese Form der Kommunikation, obwohl mittler-weile so vertraut und alltglich, mit einer Aurader Unbegreiflichkeit behaftet. Und mit ngs-ten verknpft. Wo landen meine persnlichenKommentare, wer wird mein Profil gegen michvielleicht verwenden? Unsere Internetidentittentgleitet unserer Kontrolle.

    Also sucht man womglich nach anderen, fass-baren Medien fr die Selbstdarstellung und fr

    die Kommunikation. Und was ist nher undscheinbar kontrollierbarer als die eigene Haut?Auf ihr hat man die Mglichkeit, ein fr alle Malpersnliche Zeichen zu setzen und Erinnerun-gen wach zu halten. Das eigene Profil ist aus demther des Internets zurckgekehrt und ist nunwieder buchstblich in der Reichweite.

    Der Ort der Identitt scheint jetzt wieder unterKontrolle zu sein. Doch wie ist es mit der Zeit?Auf den Einwand der Ttowiererin, ihre Ganz-krper- Blumenranken wrden in einigen Jahrennicht mehr so frisch aussehen und vielleicht aus

    der Mode kommen, hatte mal eine junge Fraugesagt: Ist mir egal. Ich will das jetzt.

    Man stellt sich insgeheim die Frage, ob die jun-gen Erwachsenen von heute in einigen Jahrenihre Tattoos noch mgen werden. Mglicher-weise wird die ewige Gegenwart der momenta-nen Identitt von der sonst flexiblen und mobi-len urbanen Mittelschicht so sehr herbeigesehnt,dass kein Gedanke an ihre Vernderung und Ent-wicklung aufkommen darf.

    Und so sind wir wieder aus der exotischen Fernein unsere Stadt zurckgekehrt, und knnen mitdem aktuellen Song Urlaub in der Stadt von

    Kobito&Sookee sagen: Was wolln wir mehr?/Das wird ne Weile so bleiben//Urlaub in derStadt/Vergiss mal die Zeit.

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    Kinder an die MachtIn FEZitty haben die Kinder ihre eigene StadtB E R I C H T : D e t l e f F l i s t e r | F O T O S : T h o m a s G r a b k a

    Mit groer Vorfreude gehts am Mon-tag, den 28. Juli, gegen 10.30 Uhrins FEZ in der Wuhlheide. Ein Be-such von FEZitty der Hauptstadt

    der Kinder steht an. Martin Schneider, der Pro-jektleiter von FEZitty begrt mich freundlich,und wir setzen uns nach Betreten des heiligenBodens erst einmal separat an einen Tisch, be-kommen von Herrn Schneider die Grundlagendes Projektes erklrt. FEZitty ist ein Projekt desFEZ-Berlin, das von 14.07. - 22.08.2014 dau-ert. Kinder von 6 14 Jahren drfen an diesemrealittsnahen Spiel teilnehmen, das die Nach-bildung einer Stadt und ihres munteren Treibenssimulieren soll.

    Alles beginnt mit dem Gang zum Einwohner-meldeamt, wo der Stadtausweis und das Be-grungsgeld von vier Wuhlis ausgehndigtwerden. Die Wuhlis sind das einzige gltigeZahlungsmittel, fr das man im SupermarktSpielzeug, Essen und Trinken, Hte und an-dere Dinge erwerben kann, die man bentigt.Nach dem Gang zum Einwohnermeldeamt geht

    es zum Jobcenter, bei dem sich die Jungs undMdchen einen Job suchen knnen, der mit vierWuhlis nach Abzug von einem Wuhli Steuerbezahlt wird. Wer vier Stunden gearbeitet undvier Stunden an der Uni studiert hat, erhlt denStatus des Stadtbrgers. Jeder Stadtbrger kannfr mter (z. B. Brgermeister, Stadtrat) ge-whlt werden und ber Gesetze mitentscheiden.Auerdem gibt es bestimmte Bereiche, die nurfr Stadtbrger zugnglich sind. Auch drfenStadtbrger heiraten.

    Herr Schneider erklrt mir, dass Raufereien,Diebstahl, Betrgereien und Vandalismusnicht geduldet werden. Bei groben Versten

    kann es zum Ausschluss kommen. Er stelltaber gleich fest, dass es so gut wie nie Konfliktegegeben habe und im Groen und Ganzen alles

    ziemlich friedlich ablaufen wrde. Die Kinderwrden freundlich und rcksichtsvoll mitei-nander umgehen und keinen rger machen.Man merkt ihm an, dass er Spa an seiner Ar-beit mit den Kindern hat, sich mit dem Projektidentifizieren kann.

    Die Kinder bauen aus Pappe und Holz die Hu-ser unter Anleitung der Betreuer selbst. Es gibtunter anderem ein Rathaus, eine Fhre mit Au-toverleih und eine Stadtreinigung. Ein Zirkusund ein Theater sowie ein Naturerlebniszent-rum bereichern das Freizeitleben der Stadtbr-ger. Handwerksbetriebe, wie zum Beispiel eineSchmuckmanufaktur, eine Textilwerkstatt, eineSpielzeugfabrik und eine Siebdruckwerkstattbieten interessante Bettigungsfelder.

    Herr Schneider berichtet mir, dass Kinder, diehufig an FEZitty teilgenommen haben und daszulssige Hchstalter berschritten haben, auchweiterhin am Projekt als Praktikanten oder Pro-jektleiter mitarbeiten knnen. Paul z. B., ist mitder Leitung des Einwohnermeldeamtes beschf-

    tigt. Er begrt neue Kinder und hilft ihnen, mitihrer Arbeit zurecht zu kommen. Auch weist erdarauf hin, dass FEZitty eine elternfreie Zoneist. Die Eltern sollen nicht in die Spielhandlun-gen ihrer Kinder eingreifen, auch um das spie-lerische Lernen der Kinder nicht zu behindern.Viele Erwachsene sitzen hufig abseits und lesenden ganzen Tag.

    Ich beginne meinen Rundgang durch die Stadtam Rathaus, wo ich Martin Korjakow treffe, denlegitim gewhlten Brgermeister von FEZitty. Ererzhlt mir, dass er auch einer Regierung vor-steht, die auer ihm aus drei Stadtrten bestehe.Er erzhlt, dass heute, am 28. Juli, offiziell ein

    Spatag ausgerufen sei und die Brger mit be-sonderem Witz und noch mehr Spa an FEZittyzu Werke gehen sollten als blich. Beim Foto-

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    INFO

    Es gib auerdem ein ineressanes Sad-programm, das jede Woche uner einemanderen Moto seh. In diesem Jahr siehdas Programm olgendermaen aus:

    14.07 18.07 Narlich, narlich - eineNaur- und Umwelwoche,

    21.07 25.07. Schneller, hher, weier eine Woche der ungewhnlichen FEZityRekorde,

    28.07. - 01.08. Wizigkei kenn keine Gren-zen die Comic-Komik-Woche,

    04.08. - 08.08. Bro und Buter eineGeziter-Modewoche,

    11.08 15.08 Geziter-Olympiade und

    18.08 23.08 Pianissimo das Abschluss-es.

    ffnungszeien : Mo-Fr. 10 17 Uhr.

    Die Preise: Sadausweis 3 Euro/ermig 2Euro, Wochenausweis 8 Euro/ 6 Euro, Dau-

    erausweis 25 Euro/20 Euro, Gse (Elern,Kinder uner 6 Jahre) 1 Euro

    stras senfeger | Nr. | August SUMMERSOUNDS |

    Supermark in der FEZity in Berlin Wuhlheide

    Brgermeiser Paul vor dem Rahaus

    Marin Schneider, Projekleier der FEZity

    Einwohnermeldeam

    Jobcener

    Was gibs denn so alles in der FEZity?

    grafieren stellt er sich selbstbewusst lchelnd mitAngela-Merkel-Geste auf.

    Martin ist ein sympathischer Junge, der Spa amRegieren hat. Ich frage den Brgermeister, ob icheinmal eine Zeitung sehen drfte. Kurz daraufkommt ein Junge und berreicht mir lchelnd eineAusgabe der FEZitty-News, die ber das Stadt-leben berichtet. Auf der Sportseite wird ber einMinigolfturnier informiert, dass am Freitag, den25.07., stattgefunden hat. Als Sieger ging Mo-ritz hervor. Auer einer Medaille und Wuhliesgewann er auch ein Tisch-Minigolf-Spiel. DieKinder bauten sich selbst Minigolfbahnen. Unddann haben sie ein Turnier gemacht. Der erstePlatz ging an Moritz. Die Bahnen wurden dannverkauft, berichtet Youri mir stolz.

    Ich schlendere weiter zum Jobcenter, wo die an-gehenden Stadtbrger sich Arbeit besorgen kn-nen, um ihr Leben in der Stadt und ihre Freizeitfinanzieren knnen. Es gibt 150 Berufe! Die Kin-der knnen unter anderen Schauspieler, Grtner,Sekretr, Modedesigner und Werkstoffsammler

    bei der Stadtreinigung werden. Beim Fhrdienstknnen die Kinder auch eine Karriere als Ka-pitn anstreben. Im Supermarkt beobachte ichKinder beim Einkaufen. Leider ist es heute nichtganz so voll. In der Textilwerkstatt, die wir unsanschlieend ansehen, werden uns stolz Hteaus der betriebseigenen Herstellung vorgefhrt,die sehr schn sind und deren Herstellung aucheine gewisse Geschicklichkeit verlangt.

    Anschlieend sehe ich mich drauen um. Sofortsticht mir ein kleiner See mit einer Landungs-brcke ins Auge. Dort ist auch ein kleines Boot,das als Fhre benutzt wird. Ich besuche auch denZirkus, in dem gerade eine Nummer von den Art-

    listenkindern geprobt wird. Sie laufen zu Musikauf Bllen und jauchzen dabei vor Freude. Esherrscht eine lustige Stimmung. Es macht mir

    riesige Freude den frhlichen Kindern zuzuse-hen. Man merkt deutlich, dass es ihnen Spamacht und sie genieen, was sie tun.

    Am Theater komme ich natrlich auch nichtvorbei. Dort wird mir berichtet, dass sieben biszehn Kinder tglich hier proben. Eine Probe dau-ert ca. ein bis zwei Stunden, eine Auffhrungetwa zehn Minuten. Ein Stck, das geprobt wird,kommt noch am selben Tag zur Auffhrung, da-mit die Kinder ein schnelles Erfolgserlebnis ha-ben. Manchmal gibt es sogar zwei Auffhrungenan einem Tag.

    Auf meiner Tour hier drauen, treffe ich auchOlaf, den Projektleiter der Stadtreinigung. Erberichtet mir, dass die Kinder gern hier arbeiten.Das Sauberhalten der Stadt sei eine sehr beliebteTtigkeit. Auf Mlltrennung werde in FEZittygroen Wert gelegt. Zum Abschluss gehe ichins FEZ-Hauptgebude zurck, um den oberenBereich zu besichtigen. Zuerst schaue ich mirdie Uni an. Hier knnen die Stadtkinder selbstals Dozenten ttig sein und studieren. Es gibt

    die Mglichkeit, in verschiedenen Fakultten zuforschen und neue Entdeckungen zu machen. ImFEZino werden Kinderfilme wie Emil und dieDetektive und Dschungelbuch gezeigt, diein den FEZitty News auch besprochen werden.Im oberen Bereich befinden sich eine Fernrohr-fabrik und eine Siebdruckwerkstatt. Meine Be-sichtigung geht so langsam dem Ende zu.

    Mein Fazit aus diesem spannendem Vormittag:FEZitty ist extrem schn, ich kann es allen El-tern nur empfehlen. Es ist lehrreich, und es wirdden Kindern viel Spa bereiten. Ich hatte beider Besichtigung des Projektes, das unter derSchirmherrschaft von Klaus Wowereit, dem Re-

    gierenden Brgermeister von Berlin, und OliverIgel, dem Bezirksbrgermeister von Treptow-Kpenick steht, sehr viel Spa.

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    Reisall Nebel Reianlage nahe Germering/Mnchen (Quelle: www.reisall-nebel.de)

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    Karikaur:OL

    Sommer meiner KindheitWaren die Sommer frher schner?B E T R A C H T U N G : A s t r i d

    Die Lieblingserinnerung meiner Mutterin meiner Kindheit war, als der Bade-meister des Freibades in der Stadt,in der ich aufgewachsen bin, vor ihr

    stand und sie fragte Wissen Sie, dass ihre Toch-ter soeben vom 5-Meter Brett gesprungen ist?Meine Mutter berlegte, dann zuckte sie mit denSchultern. Die zweite Frage des Bademeisterskam hinterher: Sie wissen, dass sie noch nichtsehr gut schwimmen kann? Dieses Mal nicktemeine Mutter, dann fragte sie mal was: Muss-ten Sie sie retten? Der Bademeister grinste und

    meinte: Nee, sie tauchte bis zum Rand! Wie-der kam ein Schulterzucken meiner Mutter: Sieist halt der Junge in der Familie! Ach ja, da warich gerade mal sechs Jahre alt.

    Ich bin in einer Stadt mit 25 000 Einwohnern imSaarland aufgewachsen. An meine Kindheits-sommer erinnere ich mich gerne. Da unsere StadtHttenwerke hatte, mussten diese Htten einenkleinen Wald erhalten, um die Schadstoffe ausder Luft zu holen. Ein herrlicher Spielplatz fruns Kinder. Meine beste Freundin, ihre Schwes-tern und noch ein paar andere Kinder, die wirkannten, waren oft stundenlang in diesem Waldunterwegs. Folgten einem Bach, der dort durch-

    floss, oder suchten Molche und Kaulquappen indiesem, die wir dann in einem Aquarium grozo-gen und dann irgendwann im Herbst wieder aus-setzten. Oder wir versuchten, da man in der Um-gebung rmische Funde gemacht hatten, auchwelche auszubuddeln. Das Gelang uns aber nie.

    Um die Mittagszeit fiel dann irgendeiner Mutterauf, dass eins oder zwei ihrer Kinder vermisstwurde, und es wurde eine andere Mutter ange-rufen, die aber auch Kinder vermisste. Eine Tele-fonkette startete und unsere Mtter beschlossen,dass wir entweder wieder auftauchen wrden,wenn wir hungrig sind oder wir wren bei zweiunserer Freundinnen gelandet, deren Eltern einHotel besaen und die uns ab und zu verpflegten.Meistens kam ich nur zum Schlafen abends nachHause oder blieb gleich bei meiner besten Freun-din, nachdem ihre Mutter meine Mutter angeru-fen hatte und das Einverstndnis geholt hatte.

    Ein zweiter Platz, den meine beste Freundin

    und ich uns fr den Sommer entdeckt hatten,war unser Reitstall. Da viele Kinder im Som-mer in die Ferien gefahren waren, durften wirim Sommer die Pferde pflegen helfen. Als wir l-ter waren, halfen wir auch mit, die Reitturnierevorzubereiten, Stangen streichen, Blumengir-landen binden. Und man glaubt es kaum, auchden Kartoffelsalat fr den Verkauf vorzuberei-ten. Abends trennten sich dann unsere Wege.

    Wenn es hei genug war, bremste mich meineMutter und meinte, wir knnten ja schwimmengehen. Ich rief meine Freundin an, sie fragte ihreMutter, und so sammelten wir uns im Freibad. WirKinder tobten durch die Becken, spielten Nach-

    laufen vom Planschbecken bis in das Springer-becken, und irgendwann jagte meine Mutter malmeinen Bruder los, um uns einzufangen. Maulend

    tauchten wir auf, bekamen erklrt, dass wir unsnur ein wenig aufwrmen sollten, da wir inzwi-schen blaue Lippen hatten. Sptestens nach zehnMinuten waren wieder unterwegs. Stillsitzen imFreibad, wir doch nicht.

    Der Bademeister, der auch ein sehr guter Freundunserer Familie war, grinste oft, wenn er meineMutter inmitten der Decken und Handtchersah, und fragte sie, ob er noch ein paar Kindersammeln gehen solle. Meine Mutter nahm ihmdas nie bel. Abends sammelte meine Mut-ter dann die Kinder ein, die bei uns wohnten,schickte meine Freundin und deren Schwesternnach Hause, und wir machten uns auf den Heim-

    weg.

    Dann, wenn der Sommer so langsam dem Endeentgegenging, bekam der Wald, in dem meineFreundinnen und ich rumstromerten, noch maldie Aufmerksamkeit meiner Familie. Als ichnoch ein Kind war, konnte man dort Pilze inHlle und Flle finden. Wir aen wochenlangPilze in allen Variationen, und ich finde selbstheute, selber gepflckte Pilze schmecken besserals die gezchteten. Aber vorher kam noch et-was, das alle Leute im Saarland immer freute.Da wir ein fast rein katholisches Bundeslandsind, hatten wir einen Feiertag im August. Die inRheinland -Pfalz nicht, also machten wir als Fa-

    milie immer einen Ausflug nach Trier, um bum-meln zu gehen. Auch das ist eine sehr schneErinnerung an die Sommer meiner Kindheit.

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    Das Gold von Jland (Foo: Andreas Dllick VG Bild-Kuns)

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    Frau und Herr Sommer...oder Skizzen eines heien TagesT E X T : M i s c h a N .

    Ich rufe verschiedene Menschen an, aber finde jeweilsnur die Nachricht vor, dass man am Meer sei und vordem Herbst nicht wiederkme. Im Khlschrank sucheich fr einen Moment meinen Kopf zu khlen und dar-ber nachzudenken, wie ich der Sonne entfliehen knne,

    die seit Tagen das Glas der Fenster meiner Wohnung und al-les dahinter erwrmt, sogar die Vorhnge bezwingt michim Schwitzkasten umherlaufen zu lassen, ohne dass ich eineLsung oder einen Ausweg finde.

    Die nachtgetrnkten Laken hnge ich ber die Balkonbrs-tung, auf der ein kleiner Vogel seine Fchen mhselig zu

    strecken sucht, erfolglos aber umfllt, direkt auf das Laken.Ich begrabe ihn unter Eiswrfeln, die ich aus dem Khl-schrank hole, in dem inzwischen mein Telefon liegt und meinglhendes Herz.

    Vielleicht sollte ich hinunter auf die Strae und zum Bahnhofgehen, mich nach der Ankunft der Zge im Herbst zu erkun-digen. An der Wand unseres Hausflures lehnt meine Nachba-rin, nach Atem ringend, sich mit einem weien Seidenschalden Schwei von der Stirne zu wischen. Guten Tag, FrauSommer gre ich und frage, ob ich ihr helfen knne. MeinMann ist am Meer, rchelt sie. Er wird wiederkommen,Frau Sommer vielleicht schon nach dem ersten Gewittersuche ich sie mit Worten zu khlen und denke an mein Herzim Eisschrank.

    Ich spre die Trnen auf meinem Gesicht und Frau Sommerbreitet ihre Hnde unter ihnen aus, sie dort zu sammeln. Ichgehe zum Bahnhof, sage ich ihr, eine Auskunft zu erbit-ten. Mein Mann ist am Meer, erwidert Frau Sommer undwischt sich mit meinen Trnen die Schminke aus dem Gesicht.Nehmen Sie eine kalte Dusche und das Handy aus dem Eis-schrank, suche ich ihr zu raten. Ja, seufzt Frau Sommer, esist nur dieser heie Tag.

    Whrend Frau Sommer mhsam die Stufen zu ihrer Wohnungnimmt, laufe ich hinunter auf die Strae. Die Sonne brenntzwischen den duldsamen Huserzeilen. Ich setze mich nachwenigen Schritten auf eine Bank, nur einen Moment auszuru-hen. Eine alte Frau schlurft an mir vorber - mit ihrem Hand-wagen, dessen Rder krchzen und in dem ein voluminser

    Pudel sitzt, der einen Sommerhut trgt.

    Vom Balkon fllt ein Blumentopf, zerschellt vor den Fender Alten, die ratlos stehen bleibt, nach oben schaut, dannaber ihren emprten Blick mir zuwendet. Sie sind alle amMeer rufe ich, aber die alte Frau versteht mich nicht, hebtdrohend ihren Spazierstock und der dicke Pudel entledigt sichknurrend, mit einer schabenden Kopfbewegung am Wagen-rand, seines groen Hutes...

    Eine behbige Tr dort, die alte Frau beugt sich hinunter fassungslos den zerbrochenen Blumentopf und weggeworfe-nen Hut betrachtend, ffnet sich. Eine junge Frau im Kleiderscheint mit einem Besen, einer Schaufel und einem kleinenKind, das in der Hand eine Wasserpistole hlt, lachend auf die

    Alte zielt, die dem knurrenden Pudel den Hut wieder auf denKopf setzt. Brav sein, Herr Sommer bestimmt die alte Frau.Brav sein, sagt die junge Frau im Kleid dem Kind.

    Sie fegt die Scherben zusammen. Ich denke an den Herbstwie an den Weg zum Bahnhof, der noch vor mir liegt undwerde unsanft aus meinen Gedanken gerissen. Wieso trgtIhr Hund meinen Hut? drhnt es aus einer nackten Brust, diesich im ngstlichen Gesicht der Alten strafft. Hnde hoch!brllt das Kind. Diebin! fgt der so pltzlich erschieneneMann hinzu. Sein Bauch wlbt sich ber den Bund einer kur-zen Hose, aus dessen Tasche er eine krftige Hand zieht, umnach dem Hut zu fassen.

    Das ist doch Herr Sommer, denke ich unglubig und hre ausder Ferne mein Handy im Eisschrank klingeln, erst leise, danndrngend wie eine an mich gerichtete Forderung umzukeh-ren. Ich muss doch zum Bahnhof, flstere ich und falle mitdiesem Satz aus den Laken in den Tag hinein, den Augen eines

    kleinen Pudels folgend, der knurrend auf dem Boden sitzt,den Schatten eines Vogels hinter den zugehngten Fensternzu betrachten.

    Ich kleide mich hastig an, leine das Tier, um hinunter auf dieStrae zu gehen, Frau und Herrn Sommer, die ein paar Tageohne ihren Hund am Meer hatten verbringen wollen, vomZug abzuholen. Es ist hei, und ich setze mich nach wenigenSchritten auf eine Bank, nur einen Moment auszuruhen. Einealte Frau schlurft an mir vorber. Sie trgt einen Sommerhutund erklrt dem - mit einer Wasserpistole spielenden Kind- an ihrer Seite, dass es bald ein Gewitter geben werde. Wirblicken nach oben.

    Auf einem Balkon, ber dessen Brstung ein Laken hngt,

    steht ein Blumentopf im sonnigen Tag und das Bellen desHundes erinnert mich an den Weg zum Bahnhof, den ich nochvor dem Herbst erreichen muss.

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    stras senfeger | Nr. | August | TAUFRISCH & ANGESAGT a r t s t r a s s e n f e g e r

    Oto Piene

    (* 18. April 1928 in Laasphe, 17. Juli 2014 in Berlin)

    Blick in die Aussellung More Sky,

    KunsHalle Deusche Bank

    - Oto Piene, Double Neon, 1972

    Kunst, die nicht verebbtDie Doppelausstellung More Sky von Otto Piene in Berlin wird durch

    den pltzlichen Tod des Knstlers zu einer posthumen HommageB E R I C H T & F O T O S : U r s z u l a U s a k o w s k a - W o l f f

    Er malte mit Licht, Feuer und Rauch, lieeinen Regenbogen ber dem Olympia-Stadion in Mnchen steigen, der Him-mel war fr ihn die grte Leinwand

    der Welt: Otto Piene war ein Meister, der ausdem Flchtigen, Vergnglichen und Elementa-ren Kunst machte. Seine Gemlde, Zeichnun-gen, Skulpturen, Installationen und aufblasbarenObjekte, die er Energieproduzenten nannte,pulsieren, vibrieren, rotieren und tanzen. Siefgen sich zu einem einzigartigen Luftballettzusammen, in dessen Mittelpunkt die Bewegung,eine Form der Energie, steht. Otto Piene war einVisionr, dem es gelang, seine Trume zu ver-wirklichen, denn er glaubte daran, dass sie keineSchume sind. Er war einer der ersten multime-dialen und interdisziplinren Knstler, nicht nurin Deutschland. Seine Kunstwerke sind kleineund groe Wunder der Technik, die er einsetzte,um die Dinge zum Schwingen zu bringen. Wasist das alles, Bild, Farbe, Licht, Vibration, reineEnergie? Leben, Leben in Freiheit, schrieb er

    bereits 1959. Und stellte zwei Jahre spter en-thusiastisch fest: Jetzt sind die Bilder nicht mehrVerliese, die den Geist und seinen Krper fesseln,sondern Spiegel, von denen die Krfte auf denMenschen bergreifen, Strme, die sich frei imRaum entfalten, die nicht ebben, sondern fluten.

    K a r n e v a l d e r K u n s tOtto Pienes Kunst verebbt nicht. Seine Arbei-ten aus den Jahren 1952 1974 sehen aus, alsseien sie heute konzipiert und geschaffen wor-den. Sie werden seit Mitte Juli an zwei Orten inBerlin gezeigt: in der Kunsthalle der DeutschenBank und in der Neuen Nationalgalerie, einerIkone der modernen Architektur aus der Hand

    von Mies van der Rohe. Die doppelte Soloschauheit More Sky und bezieht sich auf das so be-titelte, 1973 verffentlichte Buch, ein ABC und

    Manifest, in dem der seit 1964 in den USA anss-sige und international agierende Knstler seineGedanken und Skizzen zu Papier brachte. DemMitbegrnder der Dsseldorfer KnstlergruppeZERO (1958 1966) schwebte von Anfang aneine Kunst vor, die ein kollektives Werk und einkollektives Erlebnis sein sollte, eine Kunst, dieden Himmel, die Luft, den Wind, die Landschaftund den stdtischen Raum als Projektionsflcheund Bhne nutzt, die Massen anspricht und zumMitmachen bewegt. Sie sollten an einem Karne-val der Kunst teilnehmen, wo groe und kleineBallonskulpturen zum Himmel steigen, Fantasie-fahnen im Winde wehen, Licht-und Soundins-tallationen und Feuerwerke dargeboten werden:eine Neuauflage der Kirmessen fr den homoludens, geschaffen von einem interdisziplinrenTeam, von Wissenschaftlern, Technikern, Archi-tekten, Ingenieuren und Designern unter der Lei-tung eines Knstlers. Auch aus einem anderenGrund wird ein planender Knstler dringendbentigt. Er kann aus einer Mllkippe einen

    Spielplatz machen, er kann auf einer Wste ei-nen Park errichten, er kann eine Industriebrachein ein Paradies verwandeln, wenn er einsieht,dass er das tun muss, schrieb Otto Piene inMy Sky. Dafr eignet sich freilich ein Museumnicht, denn dort hngen berall Verbotsschilder:Berhren verboten!, Mitnehmen verboten!,Bitte nichts ndern!

    A l l e s b e w e g t s i c hOtto Piene, der sich so dezidiert gegen die Mu-sealisierung und Kommerzialisierung der Kunstwandte, beteiligte sich seit dem Ende der 1950eran dem internationalen Kunstgeschehen. Ernahm dreimal an der documenta in Kassel teil

    (1959, 1964, 1977), hatte ber 130 Einzelaus-stellungen weltweit, wurde mit Preisen und Eh-rungen berhuft, leitete das zukunftsweisende

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    stras senfeger | Nr. | August TAUFRISCH & ANGESAGT | a r t s t r a s s e n f e g e r

    interdisziplinre Center for Advanced Studies(CAVS) in Boston (1974 1994), war Profes-sor fr Umweltkunst am Massachusetts Instituteof Technology. Er trug auch dazu bei, dass dieKunsthochschule fr Medien in Kln (KHM)sowie das Zentrum Kunst und Medientechnolo-gie in Karlsruhe gegrndet wurden. Doch seineKunst hat darunter nicht gelitten, er beugtesich nicht dem Markt, obwohl vor allem seinefrhen Licht- und Feuerbilder begehrte Samm-lerobjekte sind. 60 seiner Arbeiten aus den Jah-ren 1952 1974 sind jetzt in der Kunsthalleder Deutschen Bank in Berlin-Mitte ausgestellt:Dort bewegt sich alles, auch das, was an derWand hngt. Das ist natrlich eine optische Tu-schung, hervorgerufen durch die Unschrfe derRauch- und Feuerbilder. Parallel zur statischenFeuerkunst begann Otto Piene in der zweitenHlfte der 1960er Jahre Lichtrume zu bauen.Es sind dunkle Kabinette mit perforierten Ku-geln, die sich drehen. Aus den Lchern fllt Lichtauf die Wnde, es bildet immer neue Muster und

    fhrt ein Lichtballett auf. Es gibt auch Lichts-kulpturen in Form von Lampen mit 800 Neon-birnen, die mal golden, mal rtlich funkeln. Aufdie Frage, warum Licht in seiner Kunst so einegroe Rolle spielt, antwortete der am 28. Ap-ril 1928 in Laasphe geborene und in Lbbeckeaufgewachsene Otto Piene: Mit 16 musste ichals Flakhelfer in den Krieg ziehen. Der Krieg be-deutete, whrend des Flugalarms im Dunkeln zusitzen. Der in den Bombennchten erleuchteteHimmel verkrperte den Tod. Wenn am Tag derHimmel blau war, griffen die Flieger an. Nachdem Krieg musste ich vor dem blauen Himmelkeine Angst mehr haben. Licht ist Leben.

    G r a n d i o s e s S c h a t t e n t h e a t e rWhrend Otto Pienes frhe Arbeiten in derKunsthalle der Deutschen Bank von 10 bis 20

    Uhr bewundert werden knnen, ist der zweiteTeil seiner Ausstellung in der Neuen Nationalga-lerie eher etwas fr Nachtschwrmer. Dort findetnmlich von 22 bis 3 Uhr ein gigantisches Licht-ballett statt. Es ist die Dia-Performance TheProliferation oft the Sun (Die Sonne kommt n-her), vom Knstler ursprnglich fr eine kleineOff-Bhne in New York konzipiert. Sie bestehtaus ber eintausend handbemalten Glas-Dias,die in den riesigen dunklen Raum projiziertwerden und zu einer poetischen Raumfahrteinladen. Der transparente Quader des Mies-van-der-Rohe-Baus ist wie geschaffen dafr: DasDia-Karussell dreht sich, die runden Fleckenbilden eigenartige Konstellationen, berlagernsich, flieen auseinander. Die Menschen wer-fen Schatten auf die flutenden Bilder, die Bilderwerfen farbige Reflexe auf die Gesichter undKrper der Menschen, das Publikum wird zurProjektionsflche fr die Bilder: Ein grandiosesSchattentheater, welches an die Inszenierung desHllengleichnisses denken lsst.

    D r e i M e g a s t e r n e a m H i m m e lAm 19. Juli wurde das Kulturforum belagert.Fnftausend Schaulustige aus nah und fernstrmten in die Potsdamer Strae, blockiertenden Verkehr, drngten sich, um der Sonne n-her zu kommen, bewaffnet mit Handys, damitsie spter zeigen knnen, dass sie dabei waren.Schlangen bildeten sich vor dem Eingang zurNeuen Nationalgalerie. Doch die grte Attrak-tion war das Sky Art Event auf dem Dach desMusentempels. Dort wurden drei 90 Meter hoheLuftskulpturen, darunter der Berlin Star von1984, zum ersten Mal seit vielen Jahren ffent-lich zum Schweben gebracht. Der Wind spielte

    am Anfang nicht mit, sodass die Leute lange war-ten mussten, um zu sehen, wie sich aus den wei-en Schluchen prchtige Sterne entwickelten

    und am Berliner Himmel hell leuchteten. Es warein atemberaubendes Schauspiel in der friedli-chen Kulisse der Nacht. Die Welt ist fr einenAugenblich dank Otto Pienes Kunst und Fanta-sie etwas besser und schner geworden, was jaschon immer sein Ansinnen war.

    Otto Piene hat bis zuletzt den Aufbau seinerbeiden Ausstellungen in Berlin koordiniert. Am15. und 16. Juli traf er sich mit den Medien, ant-wortete unermdlich auf Fragen, gab unzhligeInterviews, nahm an der Erffnung seiner Schauin der Kunsthalle der Deutschen Bank teil, be-sprach am 17. Juli die letzten Einzelheiten desSky Art Events auf dem Dach der Neuen Na-tionalgalerie. Am selben Tag ist er auf dem Wegins Hotel in einem Taxi gestorben. Seine Familiebeschloss, die Sterne trotzdem zum Himmel stei-gen zu lassen. Darin sind sich alle einig: OttoPiene hat Berlin posthum das schnste Public ArtViewing seit Christos Verhllung des Reichstagsgeschenkt, meint der Tagesspiegel.

    INFO

    Ott o Pie ne. M ore S ky

    noch bis z um 3 1. Au gust

    Deusche Bank KunsHalle, Uner den Linden 13/15,

    10117 Berlin ffnungszeien glich 10 20 UhrEinrit 4 / 3 Euro, monags Einrit rei

    Neue Naionalgalerie, Kulurforum, Posdamer Sr.

    50,10785 Berlin ffnungszeien Diensag Sonn-ag 22 3 Uhr, Einrit rei

    Publikaion: Oto Piene. More Sky, Verlag derBuchhandlung Walher Knig, Kln, in englischerSprache, Preis 29,80 Euro

    www.oopieneinberlin.de

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    stras senfeger | Nr. | August | TAUFRISCH & ANGESAGT B r e n n p u n k t

    Bald obdachlos?Hans N.*lebt seit zehn Jahren in einem Bauwagen. Derbersteht nun den nchsten Winter nicht mehr. DasSozialamt trgt zwar bislang die Pacht fr das Grundstck,die Finanzierung eines neuen Bauwagens lehnt es aber abT E X T & F O T O S : J u t t a H e r m s

    Wer an der Station Karow aus der S-Bahn steigt, der Hauptstrae mitihren blhenden Vorgrten folgt,dann einen schmalen Fuweg

    Richtung Norden einschlgt, der stt auf derlinken Seite bald auf den Eingang zum Wagen-dorf Karow. Vorbei am hlzernen Vereinshausdes Dorfes fhrt der Weg auf ein weitlufigesGelndes. Der staunende Besucher erblickt hiergeschmackvoll umgebaute Wohnwagen, schmu-cke selbst gezimmerte Bauwagen, ja ein Baum-haus. Individuelle Verwirklichungen alternativerWohnformen, eingebettet ins Grn der Natur.

    Hans N. kommt der Besucherin entgegen.Am Telefon hat er gesagt, alleine finde manschwer zu ihm. Tatschlich liegt sein Grundstcketwas versteckt, man muss ein anderes Grund-stck berqueren, um es zu erreichen. Hieralso lebt er. Sein Domizil ist ein grauer groerBauwagen, umwuchert von Pflanzen. Die Fens-terscheiben sind kaputt, der ganze Wagen siehtheruntergekommen und baufllig aus. Wie hatN. darin nur den letzten Winter berstanden?Das ging schon, ich bin hart im Nehmen, sagtder 54-Jhrige und grinst. Er nimmt einen klei-nen schwarzen Kater auf den Arm und streichelt

    ihn. Aber jetzt, sagt er, hat er doch gemerkt, nocheinen Winter geht das so nicht. Die Fenster sindkaputtgegangen, die Feuchtigkeit im Inneren desWagens ist nicht mehr wegzukriegen, es habensich Risse in den Wnden gebildet. Im Mai hat erbeim Sozialamt Pankow die Finanzierung einesneuen Bauwagens beantragt. Die Antwort vomAmt kam am 30. Juni, es war eine Ablehnung.

    K l e i n b e i g e b e nw i l l e r j e d e n f a l l s n i c h t

    Als Leistungsberechtigter sei er grundstzlichgehalten, einen Teil seiner monatlichen Leistun-gen anzusparen, um bei entstehendem Bedarf zu-

    knftig grere Anschaffungen zu ttigen, heites in dem Ablehnungsbescheid. N. ist eigentlichnicht so leicht aus der Ruhe zu bringen, aber diese

    Forderung des Sozialamtes macht ihn noch immer wtend.Gerade diejenigen, die fast nichts haben, sollen das Wenige,das sie haben, auch noch sparen, das ist doch emprend!entfhrt es ihm. Klein beigeben will er jedenfalls nicht. Kurznachdem der Brief mit der Ablehnung kam, hat er sich ins Ver-einshaus an den Computer gesetzt und einen Widerspruch indie Tasten geschrieben. Dass das Sozialamt seine Pacht zahle,bedeute ja, dass es seinen Bauwagen als Unterkunft anerkenne,schrieb er dem Amt, das gehe nicht zusammen mit der Ableh-nung eines neuen Wagens. Nun wartet er erneut auf Antwort.

    Hans N. ist ein krftiger Mann mit kurzgeschorenen Haa-ren und Bart. Vor vielen Jahren war er einmal Maurer, hat aufBaustellen gearbeitet. Noch vor der Grenzffnung kam er nachBerlin, seit zehn Jahren lebt er im Wagendorf Karow in seinemBauwagen. Fr 100 Euro hat er den damals, 2004, gekauft. Esist ein Bauwagen, der zu DDR-Zeiten auf Baustellen seinenDienst getan hat. N. hat damals noch 50 Euro fr den Trans-port obendrauf gelegt, dann stand der Wagen an dem Platz, andem er noch heute steht. Das erste halbe Jahr im Wagendorfhatte er eine Probezeit zu bestehen. Als neuer Bewohner desDorfes musste er sich erst bewhren, was aber bald geschafftwar. Er erhielt ein unbegrenztes Wohnrecht.

    Kann sich N. nicht vorstellen, in eine konventionelleWohnung zu ziehen? Nein, antwortet N. sofort, darin fhleer sich eingesperrt. Er brauche die Natur um sich herum,seine Freiheit. Auerdem knne er in eine normale Wohnung

    seine Katzen nicht mitnehmen, die seien keine geschlossenenRume gewhnt. Erst, wenn ich alt bin und nicht mehr krau-chen kann, gehe ich in eine Wohnung.

    S t r o m g i b t e s i m W a g e n , W a s s e r n e b e n a n

    Das Sozialamt Pankow ist erst seit Anfang 2014 fr Hans-Jrgen N. zustndig. Von ihm erhlt N. zustzlich zu seinerErwerbsunfhigkeitsrente einen aufstockenden Betrag, sodass ihm Geld in Hhe von HartzIV-Leistungen zur Verf-gung steht. Zuvor hatte ihm das Jobcenter fast zehn Jahre langdas Geld fr seinen Lebensunterhalt gezahlt. Daneben kames fr die Pacht des Grundstckes in Hhe von inzwischen110 Euro auf. N. gleitet mit seinem Finger eine Tabelle ent-lang. Neben der Pacht, sagt er, habe das Jobcenter jhrlich die

    Kosten fr die Briketts bernommen, mit denen er im Wintergeheizt habe, auerdem habe es einmal eine Renovierung desWagens gezahlt. Dabei sei es um eine Neubeschichtung des

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    stras senfeger | Nr. | August TAUFRISCH & ANGESAGT | B r e n n p u n k t

    Wagens von auen zwecks Isolierung gegangen,die er selbst vorgenommen habe.

    Zugang zu Wasser hat er an einer Wasser-stelle, die sich direkt neben seinem Grundstckbefindet. Im Wagen gibt es elektrischen Strom der treibt einen Khlschrank, eine Kaffeema-schine und einige Glhlampen an. ber die Jahresind Hans N. zwei Kater zugelaufen. Sie sindmeine wichtigsten sozialen Bezge, sagt N.

    Und jetzt? Muss er nun whlen zwischenObdachlosigkeit und Umzug in eine konventi-onelle Wohnung? Das Sozialamt hat in seinemablehnenden Bescheid neben dem Hinweis, alsLeistungsempfnger zur Bildung finanziellerRcklagen aufgefordert zu sein, die Ablehnungder Kostenbernahme fr einen neuen Bauwa-gen mit 31 des Sozialbuchs XII begrndet. Indiesem Paragraphen, der die Gewhrung einma-liger Leistungen vorsieht, seien die von N. bean-tragten finanziellen Leistungen fr einen Bauwa-gen nicht erfasst, heit es in dem Schreiben.

    W o j e m a n d w o h n t ,i s t u n e r h e b l i c h .

    Ist ein Bauwagen, in dem man leben mchte, also

    ein exotischer Wunsch, fr den man keinen Pa-ragraphen heranziehen kann? Tut das Sozialamtalso recht daran, N. die Anschaffung eines neuenWagens zu verwehren? Eindeutig nein, sagt Ha-rald Thom, Sozialrechtsexperte aus Wupper-tal. Das Sozialamt ordne die Beschaffung einesBauwagens, der ja dann fr N. Wohnwagen undWohnraum sein solle, unter Einmalbedarf-Leis-tungen ein. Das sei nicht korrekt. Die Beschaf-fung des Bau- bzw. Wohnwagens, sei unter diesogenannten Kosten der Unterkunft zu fassen.Unter diese falle alles, was zum Wohnen dienlichsei: Wo jemand wohnt, ist unerheblich, mageb-lich ist, ob der Preis stimmt, so Harald Thom.Das gehe aus der gesamten Rechtsprechung zum

    Thema Unterkunftskosten hervor. Die Begrn-dung, die das Amt fr seine ablehnende Haltunganfhre, halte er insofern fr verfehlt, fr rechts-

    widrig, fr vorstzlich am Thema vorbeiargumentiert.Ein weiterer Aspekt sei vom Sozialamt zu bercksichtigen,

    sagt Harald Thom. Paragraph 33 des Sozialgesetzbuchs I be-tone, dass den Wnschen eines Leistungsberechtigten entspro-chen werden solle, insbesondere dann, wenn die Wnsche

    fr das die Kosten tragende Amt mit Minderkosten verbundensind. Tatschlich kme das Sozialamt ja selbst bei Anschaf-fungskosten in Hhe von 2 000 oder 3 000 Euro fr einen Bau-wagen gut weg. Denn wenn man zugrunde legt, dass das Amtfr konventionelle Wohnungen Mieten von deutlich ber 300Euro bernimmt, wre bei einer Pacht von 110 Euro im Monatdas Geld fr den Wagen bald wieder drin.

    N. sagt, der Wagen, der ihm vorschwebe, solle nicht klei-ner sein als sein jetziger, der acht Mal drei Meter gro ist.Auerdem msse ein neuer Bauwagen gut isoliert sein. EinenOfen habe er ja, aber ein Ofenrohr nach auen msse es natr-lich geben. Vor einigen Tagen war er bei einem Anwalt. Solltejetzt wieder eine Absage vom Sozialamt kommen, wird er denAnwalt beauftragen, Klage beim Sozialgericht einzureichen.Zur Not muss auch ein Eilverfahren angestrengt werden.

    Denn in einigen Monaten steht der Winter vor der Tr.*Name von der Redaktion gendert

    Toiletenhuschen au dem Gelnde

    des Wagendores

    Hans N.s Bauwagen

    Feuchigkeisschden im Inneren des

    Bauwagens

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    stras senfeger | Nr. | August | TAUFRISCH & ANGESAGT B r e n n p u n k t

    Zehn Jahre Hartz IV sind

    kein Grund zu feiern!Sozialverband von Deutschland e. V. fordert grundlegende Reform von Hartz IVB E R I C H T : J a n M a r k o w s k y | F O T O : T h o m a s G r a b k a

    Zehn Jahre Hartz IV sind kein Grund zufeiern, so lautet die Bilanz des Sozial-verband von Deutschland e. V. (SoVD).Auf einer Pressekonferenz am 30. Juli im

    Haus der Bundespressekonferenz stellten derPrsident des SoVD Adolf Bauer und die Vor-sitzende des Arbeitskreises Sozialversicherung

    in diesem Verband Prof. Dr. Ursula Engelen-Kefer das Konzept zur Revision von Hartz IVvor. Dazu fordert der Sozialverband eine Gene-ralrevision der Hartz-Gesetze.

    B l i c k z u r c kPnktlich zum 1. Januar 2005 trat das Kernstckder angeblich modernen Reformen auf dem Ar-beitsmarkt Hartz IV in Kraft. Vorausgegangenwar ein monatelanges Tauziehen zwischen Re-gierungsmehrheit im Bundestag und Mehrheitder CDU/CSU-Opposition im Bundesrat in zweizentralen Fragen. Sollen den Langzeitarbeits-losen Geldkrzungen als Strafe angedroht undverhngt werden drfen, und wer ist fr dieIntegration der Langzeitarbeitslosen in Arbeitzustndig. Wegen des Zeitdrucks kam ein Kom-promiss heraus, in denen die vermeintlichenKunden die Verlierer sind. Die CDU/CSU hatihre Sanktionen durchgesetzt und die SPD dieZustndigkeit der dem damals sozialdemokrati-schen Bundesministeriums fr Arbeit und Sozi-ales unterstehenden Agentur fr Arbeit fr Ver-mittlung auf dem Arbeitsmarkt.

    I n k l u s i o n d e r L a n g z e i t a r b e i t s -l o s e n g e f o r d e r tAdolf Bauer nannte zuerst zwei Zahlen: 2004waren Langzeitarbeitslose im Durchschnitt 48Wochen auf staatliche Transferleistungen ange-wiesen, der Wert soll aktuell bei 130 Wochen

    liegen. Er machte in seinem Statement daraufaufmerksam, dass von Hartz IV nicht nur dieLangzeitarbeitslosen betroffen sind. Auch derenFamilienangehrigen und die Aufstocker und ihreFamilien. Die sogenannten Aufstocker sind Men-schen in Arbeit mit so geringem Lohn, dass sieAnspruch auf Leistungen des Jobcenters haben.Und die vielen Menschen in prekren Beschfti-gungsverhltnissen. Natrlich wurden die statis-tischen Taschenspielertricks und willkrlichenEingriffe in den Warenkorb bei der Ermittlungdes sozialkonomischen Existenzminimumsangesprochen, um die Forderung eines bedarfs-gerechten Regelsatzes fr die staatlichen Trans-ferleistungen zu untermauern. Dazu kommen

    die Sanktionen. Hartz IV hat entgegen den Ver-sprechungen von 2004 die Langzeitarbeitslosennicht in den Arbeitsmarkt integriert, sondern die

    Ausgrenzung verfestigt. Private Vermittlungsagenturen km-mern sich um die Langzeitarbeitslosen, die relativ leicht inden Arbeitsmarkt integriert werden knnen. Die Problemevon Menschen, die nur schwer eingegliedert werden knnen,werden nicht oder nur unzureichend angegangen.

    N e u o r d n u n g d e r A u f g a b e n v o nA g e n t u r f r A r b e i t u n d J o b c e n t e rUrsula Engelen-Kefer przisierte dann das Konzept des SoVD,das viele Einzelmanahmen enthlt. Ausgangspunkt sollendie Strken und Kompetenzen der Menschen ohne Arbeit seinund nicht, wie derzeit blich, deren Defizite. Die Wichtigstescheint mir die Neugliederung der Aufgaben von Arbeitsagen-tur und Jobcenter zu sein. Die Agentur fr Arbeit soll fr dieIntegration fr alle arbeitslosen Menschen in den Arbeitsmarktzustndig werden. Unabhngig von Alter, Dauer der Zeit ohne

    Beschftigung usw. Die Jobcenter sollen den Menschen, derenProbleme eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt hindern, dieHilfen organisieren, die diese Menschen brauchen.

    B e w e r t u n gDas SoVD-Konzept bringt den Menschen, die von einem Job-center Leistungen beziehen mssen, einige Erleichterungen.In der Pressekonferenz wurde die Tatsache, dass die Kostenfr Unterkunft und Heizung fr viele Menschen in groenStdten und Ballungsrumen trotz Wohnungsnot nicht mehrin voller Hhe bernommen werden, mit keinem Wort er-whnt, ist aber im Konzept mit einer technischen Forderungenthalten. Vernunft und Sachargumente spielen in der Politiknur eine marginale Rolle. Insofern ist fraglich, ob das Kon-zept des SoVD im Ausschuss fr Arbeit und Soziales des Bun-

    destages eine Rolle spielt. Die Regierungsfraktionen habeneigene Argumentationslinien. Wenigstens kann Jahre spterniemand behaupten, er htte das alles nicht wissen knnen.

    Der Prsiden des SoVD Adol Bauer und die Vorsizende des Arbeiskreises Sozialversi cherung in

    diesem Verband Pro. Dr. Ursula Engelen-Keer

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    stras senfeger | Nr. | August TAUFRISCH & ANGESAGT | s t r a s s e n f e g e r r a d i o

    INFO

    strass enfe ger R adio

    Mitwochs 17 18 Uhr au 88vier- kreaives Radio rBerlin

    UKW-Frequenzen

    88,4 MHz (Berlin),90,7 MHz (Posdam &Teile Brandenburgs)

    Kein Briefgeheimnis

    fr E-MailsStarke Kritik an Laurenz Caffiers Wahrnehmungder Rechtstaatlichkeit und des DatenschutzesB E R I C H T : G u i d o F a h r e n d h o l z

    Die Aussagen des Whistleblowers Edward Snowdenhaben bei fast jedem Menschen das Vertrauen inRechtstaatlichkeit und Datenschutz bis ins Markerschttert. Aber eben nur fast. Mindestens einenVolksvertreter in unserer Republik gibt es, dem das

    Handeln der verschiedenen internationalen Geheimdienste au-

    genscheinlich nur zu bewusst war, ja er sieht es sogar als sozialpo-litische Selbstverstndlichkeit der heutigen globalen Gesellschaft.

    Lorenz Caffier (CDU) ist Innenminister des Landes Mecklen-burg-Vorpommern und mischte sich vehement in die Diskussionum eine mgliche Verleihung der Ehrendoktorwrde an EdwardSnowden durch die Philosophische Fakultt der Universitt Ros-tock ein. Caffiers unsglicher Einwurf gipfelte in der Aussage, ershe nicht, inwieweit Snowden etwas fr unser Land getan habe.Ich sehe nur, dass er sich von Putin fr dessen PR einspannenlsst. Unverstndlich, geradezu einfltig folgt dann noch seineEinschtzung unserer digitalen Kommunikation aus. Diejeni-gen Brger, die sich intensiver mit IT und Datenschutz beschfti-gen, wissen das, was wir angeblich von Snowden erfahren haben,doch schon lange. Ist das so, Herr Caffier?

    Ob der Mann nun Hellseher ist oder nur dreist, darber gehendie Kommentare auseinander. Oliver Gnther, Prsident derUni Potsdam gab zu bedenken, dass die meisten fhrenden IT-Experten nichts von einer solchen Massenberwachung ahnten.Dafr, dass Snowden uns die Augen geffnet hat, verdient ergrten Respekt und hohe Ehrungen auch wenn Caffier diesalles schon vor Jahren klar war. Konstantin von Notz, Bundes-tagabgeordneter der Grnen kommentierte Caffiers Aussagenmit unfassbar unterkomplex.

    Caffier selbst und viele angefragte Vertreter der etablierten Par-teien waren dem strassenfeger gegenber nicht zu einer Stellung-nahme bereit. Ausnahme: Jrg Neubert. Er ist Mitglied der Piratenin Mecklenburg-Vorpommern und beschftigt sich speziell mitden Themen Energiewirtschaft und Umweltschutz, gesellschaft-

    liche Teilhabe. Im strassenfeger radiokritisierte Neubert Caffierscharf: Ich bin natrlich berhaupt nicht mit der durch HerrnCaffier vertretenen Meinung einverstanden. Als Innenminister ister dafr verantwortlich, uns Brger zu schtzen. Das gilt natr-lich auch fr die Brgerrechte, die wir haben. Wenn wir ohnejegliche Verdachtsmomente flchendeckend und systematischvon Geheimdiensten ausspioniert werden, toleriert und verteidigtdurch einen Innenminister, ist das eine Bankrotterklrung.

    Das Handy seiner Parteivorsitzenden und unserer Bundeskanzle-rin wurde durch die NSA berwacht. Die geheimen Verhandlun-gen ber das Freihandelsabkommen mit den USA haben nichtsGeheimnisvolles mehr. Hat der Mann vielleicht recht, ist das in-zwischen Normalitt, wollte ich von Jrg Neubert wissen: Das,was Frau Merkel zu besprechen hat, hat fr uns alle Bedeutung und

    Auswirkungen auf unser Leben. Deshalb ist es wichtig, dass sieentsprechend geschtzt wird. Aber ganz ehrlich, auch ich als Br-ger mchte nicht, dass jeder Geheimdienst wie selbstverstndlich

    mitlesen kann, wenn ich eine E-Mail schreibe, und nachvollzieht,wann ich mit wem wie lange ber welches Thema telefonierte.

    S i c h e r D E - M a i l s o d e r z u r c k z u r B r i e f t a u b e ?

    Neuberts findet: Das Grundgesetz und das Recht auf informati-onelle Selbstbestimmung sollte uns davor schtzen. Nimmt manCaffier beim Wort, haben sich genau diese Rechte auf Privatsphredurch die vernderten bertragungswege verndert. berspitztformuliert, wir bekmen mit der Reaktivierung von Brieftaubendieses Recht wieder zurck. Jrg Neubert: Das ist falsch! Es gibt

    diese Gesetze zum Schutz der Privatsphre. Und ich wrde mireine Ausweitung der bestehenden Gesetze wnschen, beispiels-weise die Ausweitung des Briefgeheimnisses auch auf E-Mails. ImGegensatz zum DE-Mail-Gesetz-Mumpitz auch effektivere Ma-nahmen zum Schutz von Mitteilungsinhalten. Eine Art Freedomof the Internet Act, ein Gesetzt zur Sicherung der Freiheit im In-ternet. Das gibt es bis heute nicht.

    Ob das effektiver als die DE-Mail wre, wollte ich dann noch vonJrg Neubert wissen: Es ist richtig, dass die darber versandtenE-Mails verschlsselt von mir zum Anbieter bertragen werden.Dort werden sie aber vollstndig entschlsselt, um sie angeblichauf Viren, Trojaner usw. zu berprfen, was fr mich ziemlichabsurd klingt. Anschlieend werden die Mails neu verschlsselt,um sie an den Empfnger zu senden. Das ist natrlich keine end-

    to-end-Verschlsselung mehr, und der Bruch in der bertragungs-kette ist ein idealer Angriffspunkt fr weitere berwachungsma-nahmen und gezielte Zugriffe der Geheimdienste.

    Laurenz Caffier und der Daenschuz sehen au Kriegsu

    (Collage: Auor)

  • 5/20/2018 Summersounds - Ausgabe 16 2014 des strassenfeger

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    stras senfeger | Nr. | August | TAUFRISCH & ANGESAGT K u l t u r t i p p s

    skurril, famosund preiswert!Kulturtipps aus unserer RedaktionZ U S A M M E N S T E L L U N G : L a u r a

    FILMFESTIVAL

    Cinemagosto50 Jahre portugiesisches Kino - einfeierlicher Anlass, der nebenanderen Initiativen auch Filme ausPortugal beinhalten kann undsollte. Dies ist die Idee vonCinemagosto FilmFokusPortugal, einer Initiative von fnfLeuten, die sich fr das portugiesi-sche Kino begeistern. Alle Filmewerden im Original mit englischem

    Untertitel und mit einer Einfhrunggezeigt. Publikumsgesprche findennach den Abendvorfhrungen statt.Zur Erffnungs- und Abschlussvor-fhrung werden die Regisseure desjeweiligen Films zu Gast sein.

    Vom 16.8. bis zum 20.8.zu unerschiedlichen Zeien, die derInerneseie ennommen werdenknnen.

    Einrit: ach Euro / sieben Euro

    Kino BabylonRosa-Luxemburg-Sr. 3010178 Berlin

    Ino: www.babylonberlin.deBild: wurde angerag

    FILM

    Berlin TelegramBerlin Telegram ist ein musikalisches Roadmovie,das von Brssel nach Berlin, Lissabon und Kairo

    fhrt, wo sich die Wege der Musiker und Protago-nisten treffen und berschneiden. Berlin Tele-gram erzhlt von einer verlorenen Liebe und derKraft des Neuanfangs. Die Musikerin Leila wirdvon ihrer groen Liebe verlassen. berstrztverlsst sie ihre Heimatstadt Brssel und beginnt inBerlin ein neues Leben. Leila Albayaty ist eine inFrankreich geborene, franzsisch-irakischeSngerin, Schauspielerin und Regisseurin, diebereits mit ihrem Kurzfilm VU auf der Berlinale2009 Aufmerksamkeit erlangte.

    Am 16.8., um 19 UhrArsenalPosdamer Srae 210785 Berlin

    Ino: www.arsenal-berlin.deBild: Berlin Telegram

    FILM

    Herr LehmannAn Charlies Beach wird am 14.August Kultkino gezeigt: FrankLehmann, von seinen Freunden nurHerr Lehmann genannt, lebt inWestberlin und steht kurz von seinemdreiigsten Geburtstag. Er jobbt als

    Barkeeper in Kreuzberg, lgt seinenEltern aber vor, ein eigenes Restaurantzu besitzen. Der erstmalige Besuchseiner Eltern in Berlin droht ihndeshalb in eine Krise zu strzen. Unddann ist da noch Katrin, in die erverliebt ist und die ihn eigentlichschon genug vor Herausforderungenstellt.

    Am 14.8., um 21 Uhr, Eintritt frei!Aber ein rhzeiiges Erscheinen is we-gen der hohen Beliebhei angeraen.

    Charlies BeachFriedrichsr. 4810117 Berlin

    Ino: www.bpb.deBild: wurde nich angerag

    KONZERT

    Jazz in the gardenEfrat Alony ist jede Schublade zu klein: Grenz-gnge und Gratwanderungen sind es, mit denen siesich von der Masse der Jazzsngerinnen abhebt. ImTrio mit Oliver Leicht und Frank Wingold anKlarinette und Gitarre erffnen sich so neueexperimentelle Dimensionen Ein Nhkstchen,um Gedanken zu flicken. Kinder knnen imRahmen der Veranstaltung lernen, Mazzen zubacken.

    Am 24.8., ab 11 Uhr, Eintritt frei!

    MuseumsgarenJdisches MuseumLindensrae 9-1410969 Berlin

    Ino: www.alony.de & www.jmberlin.deBild: Carola Schmid

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    AUSSTELLUNGMensch im Mittelpunkt

    Fr die Hamburger KnstlerinAnnette Lck steht das ThemaMenschen im Vordergrund ihrergestalterischen Arbeit. Besonders derweibliche Krper, seine Schnheit undsein Verfall reizen sie zu Bildfindun-gen. Die Knstlerin geht beim Malennicht von einer Bildidee aus. Sie lsstsich von dem Bild fhre