32
Straßenzeitung für Berlin & Brandenburg 1,50 EUR davon 90 CT für den_die Verkäufer_in No. 2, Januar/Februar 2014 NOTÜBERNACHTUNG »Offener Brief« (Seite 3) RENEÉ SINTENIS »Göttin und Garçonne« (Seite 16) OBDACHLOSENAMBULANZ »Nicht anspruchsberechtigt« (Seite 18) SCHLAMASSEL

Schlamassel – strassenfeger Ausgabe 02 2014

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Berlin, Straßenzeitung, soziale Straßenzeitung, Zeitung, Berliner Straßenzeitung, Magazin, strassenfeger, Aktuelles, Politik, Soziales, Kultur, Sport, mob e.V., Obdachlosigkeit

Citation preview

  • Straenzeitung fr Berlin & Brandenburg

    1,50 EURdavon 90 CT fr

    den_die Verkufer_in

    No. 2, Januar/Februar 2014

    NOTBERNACHTUNGOffener Brief (Seite 3)

    RENE SINTENISGttin und Garonne (Seite 16)

    OBDACHLOSENAMBULANZNicht anspruchsberechtigt(Seite 18)

    SCHLAMASSEL

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 20142 | INHALT

    strassen|feger Die soziale Straenzeitung strassenfeger wird vom Verein mob obdach-lose machen mobil e.V. herausgegeben. Das Grundprinzip des strassenfeger ist: Wir bieten Hilfe zur Selbsthilfe!

    Der strassenfeger wird produziert von einem Team ehrenamtlicher Autoren, die aus allen sozialen Schichten kommen. Der Verkauf des stras-senfeger bietet obdachlosen, wohnungslosen und armen Menschen die Mglichkeit zur selbstbestimmten Arbeit. Sie knnen selbst entschei-den, wo und wann sie den strassenfeger anbieten. Die Verkufer erhalten einen Verkuferausweis, der auf Verlangen vorzuzeigen ist.

    Der Verein mob e.V. fi nanziert durch den Verkauf des strassenfeger soziale Projekte wie die Notbernachtung und den sozialen Treff punkt Kaff ee Bankrott in der Storkower Str. 139d.Der Verein erhlt keine staatliche Untersttzung.

    Liebe Leser_innen,watn Schlamassel: Der Winter ist da, und gerade jetzt muss mob obdachlose machen mobil e.V. seine Hilfeprojekte vorberge-hend schlieen! Grund dafr ist unser erzwungener Auszug aus den Vereinsrumen in der Prenzlauer Allee 87 nach der Kndi-gung durch die Vermieterin. Momentan ziehen wir gerade um in das neue Objekt Storkower Strae 139d. Leider ist es uns organi-satorisch nicht mglich, den Betrieb des Treffpunkts Kaffee Ban-krott, des Sozialkaufhauses Trdelpoint und der kostenlosen Beratungsangebote gleichzeitig in beiden Objekten aufrecht zu erhalten. Noch schlimmer kommt es fr unsere Notbernachtung Ein Dach ber dem Kopf. Leider mssen wir sie vorlufi g bis auf unsbestimmte Zeit schlieen, weil wir trotz intensiver, ber einjhriger Suche nicht ein einziges passendes Angebot im Bezirk Pankow bekommen haben. Aber: Selbstverstndlich bleiben wir am Ball und werden uns weiter ganz intensiv um Abhilfe bemhen (S. 3, 4ff).

    Ein echter Schlamassel ist auch die derzeitige EU-Politik: Die neue Freizgigkeit konfrontiert uns mit der Not des armen Europas vor unserer Haustr. Brssel berlsst die Lsung dieser Probleme den Kommunen und ihren Brgern (S. 6). Dass Pleite-Banken vom Steuerzahler gerettet werden und da-nach trotzdem weitermachen wie zuvor, ist ein echter Skandal (S. 12). Dass Praktikanten immer noch fr Hungerlhne oder gar ganz umsonst schuften mssen, das stinkt uns ganz ge-waltig (S. 14). Dass obdachlose EU-Brger in Deutschland medizinisch nicht versorgt werden, weil sie nicht anspruchs-berechtigt sind, ist ebenfalls ziemlich daneben. Es gibt Aus-nahmen wie die neu erffnete Wohnungslosenambulanz der Berliner Stadtmission (S. 18). Na ja, und dann gibt es auch im Alltag jede Menge Dinge, die einen ziemlich verdrieen: Hundekacke zum Beispiel, in die man gern mal tritt, wenn man aus der Haustr kommt (S. 10).

    In der Rubrik art strassenfeger berichtet unsere Kulturredakteu-rin Urszula Usakowska-Wolff ber die Knstlerin Rene Sintenis, der das Georg-Kolbe-Museum eine groe Ausstellung widmet (S. 16). Das 20-jhrige Jubilum des Internationalen Netzwerks der Straenzeitungen INSP, der strassenfeger ist Mitglied, ist uns natrlich auch einen ausfhrlichen Artikel wert (S. 24). Auer-dem fi nden Sie in dieser Ausgabe ein Feedback zum Comic Su-perpenner, den die Werbeagentur Scholz&Friends fr uns kostenlos produziert hat und der unseren Verkufer_innen sehr geholfen hat. Ein echter Kracher, fi nden wir!

    Ich wnsche Ihnen, liebe Leser_innen, wieder viel Spa beim Lesen!Andreas Dllick

    3

    4

    6

    7

    8

    9

    10

    11

    12

    13

    14

    15

    SCHLAMASSELOff ener Brief zur Notbernachtung

    Kreatives Chaos, Stress & Vorfreude

    Europa ist nicht sozial

    Unionsbrgerschaft

    Der Drehtrpatient

    Hebrisch? Kann ich!

    Interessantes und Hilfreiches zu Hundekot

    Wirtschaft skrise ist noch nicht vorbei

    Das Geldsystem mehr als ein Schlamassel

    Visionen & Politik

    Prekres Praktikum

    Superpenner erfolgreich wie gehts weiter?

    16

    18

    20

    21

    22

    24

    26

    27

    28

    TAUFRISCH & ANGESAGTa r t s t r a s s e n fe g e rRene Sentenis Groe Ausstellung im Georg-Kolbe-Museum fr die Gtt in & Garonne

    B re n n p u n k tObdachlose EU-Brger & medizinische VersorgungNicht anspruchsberechtigt!?

    S o z i a lOne Warm Winter startet wieder durch

    k a f fe e | b a n k ro t tApnoe-Tauchen im Selbstversuch

    K u l t u r t i p p sskurril, famos und preiswert!

    I N S PDas INSP wird 20 Jahre jung

    S p o r tEisbren Berlin auf Talfahrt

    Olympia Sotschi 2014 ruft !

    A k t u e l lTierheim Falkenberg Stadt der Tiere

    29

    30

    31

    AUS DER REDAKTIONH a r t z I V - R a t g e b e rRegelbedarfsstze 2014

    K o l u m n eAus meiner Schnupft abakdose

    Vo r l e t z t e S e i t eLeserbriefe, Vorschau, Impressum

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 2014 SCHLAMASSEL | 3

    Berlin, 23. Januar 2014Offener BriefSehr geehrter Regierender Brgermeister von Berlin Klaus Wowereit, sehr geehrter Senator fr Gesundheit und Soziales, Mario Czaja,

    Hiermit mssen wir Ihnen bedauerlicher Weise mitteilen, dass der Verein mob obdachlose machen mobil e.V. seine Notbernachtung Ein Dach ber dem Kopf Ende Januar schlieen muss. Damit ver-liert der Grobezirk Pankow seine einzige Notbernachtung, die seit Jahren Bestandteil der Berliner Kltehilfe ist. 17 obdachlose Menschen, sieben Frauen und zehn Mnner, verlieren nun ihren sicheren Schlafplatz und mssen wieder auf der Strae, unter der Brcke, im Park, in Abrisshusern oder in U-Bahn-Eingngen nchtigen. Und das mitten im Winter!

    Nachdem dem Verein die Rume in der Prenzlauer Allee 87, 10405 Berlin, von der Vermieterin aus Grnden der Gentrifikation gekndigt worden sind, haben wir uns monatelang bei den verantwortli-chen Politikern des Landes Berlin und des Bezirks Pankow um Hilfe bemht. Leider waren diese Bem-hungen vergeblich.

    Aus eigener Kraft haben wir zumindest Rume fr die anderen sozialen Hilfeprojekte des Vereins den sozialen Treffpunkt Kaffee Bankrott, das Sozialwarenkaufhaus Trdelpoint, die soziale Straenzei-tung strassenfeger sowie unsere Beratungen zu Hartz IV-Problemen bzw. fr Osteuroper (angeboten von den Frostschutzengeln der GEBEWO gGmbH -Soziale Dienste-) finden knnen. Diese Rume bauen wir nun fr unsere Zwecke um, damit wir sie ab 1. Februar nutzen und dort wieder obdachlosen, wohnungslosen und armen Menschen helfen knnen.

    Wir mchten Ihnen, Herr Wowereit und Herr Czaja, vorschlagen, an einem runden Tisch mit Politi-kern bzw. Verantwortlichen des Landes Berlin und des Bezirks Pankow, Vertretern von mob e.V. sowie Reprsentanten der Berliner Wohnungslosenhilfe nach Lsungen fr die Notbernachtung unseres Vereins zu suchen. Wir bieten Ihnen den Dialog an. Sie mssen sich entscheiden, ob sie uns helfen oder ein wichtiges Projekt der Berliner Wohnungslosenhilfe untergehen lassen wollen. Wir bitten Sie: Lassen Sie uns und die Obdachlosen nicht im Regen stehen!

    Im Namen des Vorstands von mob e.V., unserer vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter_innen und vor allem im Namen unserer hilfebedrftigen Gste

    Andreas DllickChefredakteur strassenfeger/Vorsitzender mob e.V.

    Die Notbernachtung von mob e.V. muss vorlufig schlieen (Foto:Jutta H.)

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 20144 | SCHLAMASSEL

    mob e. V. zieht umKreatives Chaos, Stress und Vorfreude auf das neue Objekt Suche nach Rumen fr die NB E R I C H T & F O T O S : A n d r e a s D l l i c k V G B i l d - K u n s t

    Nun ist es soweit: Unser Verein mob obdachlose machen mobil e. V. zieht um. Per 31.01.2014 ist Schluss in der Prenzlauer Allee 87, es geht in die Storkower Strae139d. Der soziale Treffpunkt Kaffee Bankrott und das Sozialwarenkauf-

    haus Trdelpoint haben bereits geschlossen. Leider, doch es geht nicht anders. Momentan herrscht sozusagen das kre-ative Chaos bei uns. Im Kaffee Bankrott mssen Geschirr und Besteck verpackt, Khltruhen abgetaut, und die Khl-zelle zerlegt werden. Alle Tische und Sthle mssen in die Storkower Strae gebracht werden, ebenso smtliche Artikel des Sozialwarenkaufhauses inklusive der Brombel. Auch unser Zeitungsarchiv des strassenfeger wird gerade verlagert. Das ist Stress pur fr alle unsere Mitarbeiter. In der Redaktion des strassenfeger wird die neue Ausgabe produziert. Es ist die letzte in den alten Rumen.

    G s t e m s s e n e i n p a a r Ta g e d r a u e n b l e i b e n

    Dass wir das Kaffee Bakrott fr ein paar Tage schlieen mssen, ist sehr schwierig fr unsere Gste, zumal es gerade kalt wird drauen und der Winter erbarmungslos zuschlgt. Fr viele unserer Gste ist es das Wohnzimmer, der gemt-liche Ort, an dem man sich trifft, miteinander redet, isst, spielt oder sich einfach nur ausruht. Wir wissen das, und deshalb bemhen wir uns, die Schliezeit so kurz wie mglich zu hal-ten. Selbstverstndlich findet der Verkauf des strassenfeger bis zuletzt in den Rumen in der Prenzlauer Allee 87 statt. Zumal die Nachfrage wegen der kostenlosen Beilage gerade riesig ist: Insbesondere der Comic Superpenner frdert den Absatz ganz enorm und hilft, unseren fleiigen Verkufer_in-nen besser ber die Runden zu kommen. 20 000 Exemplare hatten wir drucken lassen, nach zehn Tagen war die Auflage schon fast verkauft!

    E s g i b t n o c h v i e l z u t u n w i r p a c ke n e s a n !

    Die Starttermine fr das Kaffee Bankrott, den Trdel-point und die Beratungsangebote in der Storkower Strae 139d steht noch nicht genau fest. Selbstverstndlich wollen alle unsere Hilfeangebote schnellstmglich wieder zugng-lich machen. Aber es gibt noch viel zu tun: Das Behinderten-WC muss noch gebaut, eine Lftungsanlage in der Kche

    eingebaut werden und auch der Elektriker muss noch mal ran. Auerdem fehlt uns noch der Gasanschluss. Die dazu-gehrige Leitung muss ber das Grundstck des Nachbars gelegt werden, und der lsst sich Zeit mit der Unterschrift unter die Genehmigung. Aber erst wenn die vorliegt, darf die Netzgesellschaft bauen und knnen wir letztendlich eine neue Gastherme und unsere Kchenherde anschlieen. Und schlielich mssen wir alle Rume komplett einrichten, damit es wieder gemtlich wird im sozialen Treffpunkt und im Sozi-alwarenkaufhaus. Auch unsere ehrenamtlichen Sozialberater mssen ihre Rumlichkeiten erst noch herrichten. Auch wenn es noch ein paar Tage dauert, eins ist klar: Der neue Sitz von mob e. V. und strassenfeger wird mindestens genauso schn und kuschlig wie der alte!

    N o t b e r n a c h t u n g v o n m o b e . V. m u s s i h re P fo r t e n s c h l i e e n

    Leider mssen wir die N vorlufig schlieen. Das ist ganz bitter! Vor allem fr die siebzehn Menschen, die nun wieder auf der Strae nchtigen mssen. Aber auch fr unsere eh-renamtlichen Mitarbeiter_innen, denn die knnen nun nicht mehr so helfen, wie sie es gern wrden. Fr Mai 2014 zeichnet sich vielleicht eine Lsung ab. Wenn alles klappt, bekommen wir neue Rume. Doch selbstredend suchen wir fr die Zeit bis dahin nach bergangslsungen. Dabei sind wir auf die Hilfe der Politik angewiesen. Vielleicht gelingt es uns ja, ge-meinsam Rume als Ersatz wenigstens vorlufig zu finden. Vielleicht gibt es ja auch Berliner Wohnungsbaugesellschaf-ten oder private Vermieter, die uns geeignete und bezahlbare Rume in Prenzlauer Berg anbieten knnen. Einfach melden unter der E-Mailadresse [email protected]

    S p e n d e n f r d e n U m z u g

    Ganz wichtig noch: Wer uns untersttzen will, der kann uns gern eine Spende zukommen lassen.Hier unsere Spendenadresse:

    Bank fr SozialwirtschaftBLZ / BIC: 100 205 00 / BFSWDE33BERIBAN: DE97100205000003283801Kennwort: Umzug

  • 01 Das Sozialwarenkaufhaus Trdel-point wird ausgerumt

    02 Auch aus dem Sozialen Treffpunkt Kaffee Bankrott muss alles raus

    03 Unsere Khlzelle wird demontiert

    04 Im neuen Objekt Storkower Str. 139d stapeln sich die Umzugsgter

    01

    02

    04

    03

    strassenfeger | Nr. 2 | Januar 2014 SCHLAMASSEL | 5

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 20146 | SCHLAMASSEL

    Europa ist nicht sozialDas sozialpolitische Versagen der Europischen UnionB E R I C H T : M a n f r e d W o l f f

    Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Rechts-staat, heit es im Artikel 20, Absatz 1 des Grundgesetzes. Das hrt sich erstmal gut an. Es ist aber weniger, als es scheint. Whrend sich die Vter und Mtter des Grundgesetzes alle Mhe gegeben haben, das Funktionieren der De-mokratie und der Justiz detailliert festzuschrei-ben, steht das Wrtchen sozial bescheiden und nicht weiter ausgebaut da. Es wurde eher als ein rgernis wahrgenommen. Der erste groe Kommentator des Grundgesetzes, auf den sich die meisten spteren berufen, Ernst Forsthoff, sah in dem vorsichtigen Hinweis auf ein Sozial-staatsprinzip eine unzulssige Fessel fr die freie Entfaltung des Unternehmertums. Das Soziale war fr ihn kein einklagbarer Rechtsgrundsatz, sondern lediglich ein unbestimmtes Staatsziel.

    Dass es dennoch eine erfolgreiche Sozial-politik in der alten Bundesrepublik gab, ist der Tatsache zu verdanken, dass es eine DDR gab, die von sich behauptete, den Sozialismus zu ver-treten und damit alle sozialen Fragen zu lsen. Die Bundesregierungen und auch die Akteure der Sozialpolitik, Arbeitgeber, Gewerkschaften und Verbnde, handelten in der Absicht, allen Bevlkerungsschichten die berlegenheit der sozialen Marktwirtschaft zu vermitteln. So ent-wickelte sich eine umfassende Sozialpolitik, die durch die Manahmen der Daseinsvorsorge er-gnzt wurde. Die DDR war dagegen alles andere als attraktiv. Mit dem Jahr 1990 wurde dieser sozialpolitische Motor abgestellt.

    D i e n e u e O rd n u n g E u ro p a s

    1957 wurden die Rmischen Vertrge unter-zeichnet. Am 1. Januar 1958 traten sie in Kraft. Die Europische Wirtschaftsgemeinschaft EWG war gegrndet. Dieses Vertragswerk sollte das Leben der europischen Vlker in Frieden und Freiheit sichern, Handel und Wandel frdern. Sehr schnell wurde eine gemeinsame Landwirt-schaftspolitik mit riesigen Subventionen entwi-ckelt, die Zollbestimmungen im europischen Warenverkehr wurden harmonisiert, alle wirt-schaftlichen Aktivitten wurden einem detaillier-ten Wettbewerbsreglement unterworfen. Dieses Regelwerk betraf natrlich auch die Armen und Benachteiligten in den Mitgliedslndern. Um die kmmerte man sich aber nicht. Zwar gab es einen Ausschuss fr Wirtschaft und Soziales,

    aber sozialpolitische Manahmen wurden nicht ergriffen. Eine Initiative Frankreichs, die Sozi-alpolitik zu einer der Sulen der europischen Einigung zu machen, scheiterte am Widerstand der deutschen Regierung.

    Seither haben wir groe Schritte nach vorn zur europischen Einigung erlebt. Immer mehr Staaten schlossen sich der Gemeinschaft an, es gibt einen europischen Pass, man kann mit dem Personalausweis in die Mitgliedstaaten reisen, Schengen hat die Grenzabfertigungsanlagen zu musealen Gedenksttten verwandelt, fr unzh-lige Produkte gelten europaweit dieselben Nor-men. Brssel hat sich um die Krmmung der Sa-latgurke ebenso liebevoll gekmmert wie um die Schadstoffemissionen unserer Autos. Nur eine eigene Sozialpolitik, die diesen Namen verdient, sucht man in Brssel und Straburg vergeblich.

    S o z i a l a b b a u s t a t t S o z i a l p o l i t i k

    Auch beim Herangehen an Fragen, die den Sozi-albereich betreffen, setzt Europa auf den Wett-bewerb. Institutionen der Daseinsvorsorge wie die Versorgung mit Wasser, Energie, Kranken-

    husern, Straen und Nahverkehr werden aus der staatlichen oder kommunalen Hand in den Markt gezerrt, wo sie zum Spielball von Kapi-talinteressen werden. Ein schnes Beispiel da-fr, wie wenig sozialpolitische Aspekte die EU berhren, zeigt ihr Umgang mit der Eurokrise in einigen Lndern. Die Verelendung groer Be-vlkerungsteile interessierte die Troika aus EZB, IWF und EU nicht. Die Sanierung der Haushalte in den betroffenen Lndern sollte nur eines be-wirken: die Sicherung der Banken.

    Soweit heute in Brssel von Sozialpolitik die Rede ist, geht es um Qualifizierungsmanah-men und Frderung der Mobilitt fr benachtei-ligte Menschen. Sie sollen sich geflligst in den Wettbewerb einfgen. Volks- und Betriebswirte denken nicht an glckliche Menschen, sie ken-nen nur funktionierende Menschen. Die Freiz-gigkeit konfrontiert uns mit der Not des armen Europa vor unserer Haustr. Brssel berlsst die Lsung dieser Probleme den Kommunen und ihren Brgern, setzt dabei einen Sog nach unten in Gang, der immer weitere Kreise erfasst. Eu-ropische Sozialpolitik soll sich auf natrlichem Wege entwickeln und harmonisieren.

    (Quelle: www.bpb.de)

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 2014 SCHLAMASSEL | 7

    UnionsbrgerschaftDas Recht auf Freizgigkeit und Niederlassung steht allen EU-Brgern zuB E T R A C H T U N G : M a n u e l a

    Das htten sich die Grndungsvter der Europischen Gemeinschaften wohl nicht trumen lassen. Zur Zeit der Grndung der Europischen Ge-meinschaft fr Kohle und Stahl (EGKS) im Jahr 1951, wenige Jahre nach dem Ende des Zwei-ten Weltkrieges, ging es ihnen um den zollfreien Zugang zu Kohle und Stahl. Auch spter bei den weiteren Gemeinschaftsgrndungen stan-den wirtschaftliche Interessen mit dem Ziel, ei-nen europischen Binnenmarkt zu schaffen, im Vordergrund. Die Freizgigkeit von Arbeitneh-mern und Dienstleistern war notwendiges Mit-tel zum Zweck. Die Entwicklung des gemein-samen Binnenmarktes erforderte den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen.

    Mit dem Vertrag ber die Europische Union, der im Jahr 1993 in Kraft getreten und auch unter dem Namen Maastricht-Vertrag bekannt ist, legte das Recht auf Freizgigkeit und Nie-derlassung seinen Charakter als notwendiges Mittel zum Zweck ab und wurde mit der Ein-fhrung der Unionsbrgerschaft als eigenes Brgerrecht im Vertrag vereinbart. Es erhielt den Rang eines Verfassungsrechts und erlebte dadurch eine erhebliche Aufwertung.

    Seitdem bin ich wie viele andere nicht mehr nur Deutsche, sondern auch Unionsbrgerin. Ich darf mich in jedem anderen Mitgliedsstaat nie-derlassen, unabhngig davon, ob ich erwerbst-tig bin oder nicht. Mein Rechtsstatus in einem anderen Mitgliedsstaat ist von dem eines Ausln-ders aus Drittstaaten weg- und an den des In-lnders herangerckt. Nach wie vor ist das Ziel der Europischen Union die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes. Die politische In-tegration und ein europisches Bewusstsein der Brger gewinnen zunehmend an Gewicht.

    Die Freiheit, sich niederzulassen in einem anderen Mitgliedsstaat steht jedenfalls allen Brgern der Mitgliedsstaaten der Europ-ischen Union zu. Und so suchen nicht nur Deutsche ihr Glck in einem anderen Mit-gliedsstaat, sondern eben die anderen auch in Deutschland. Seit Beginn der Eurokrise nahm der Zuzug von EU-Brger vor allem aus den Schuldenlndern nach Deutschland zu. Mit Jahresbeginn stehen nun auch den Brgern

    aus Bulgarien und Rumnien die vollen EU-Arbeitnehmerfreizgigkeitsrechte zu.

    Zuvor hatte in diesem Zusammenhang eine Ent-scheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28.11.2013 fr Aufmerksamkeit in den Medien gesorgt. Das Gericht sprach einer rumnischen Frau einen Anspruch auf Hartz IV-Leistungen zu. Dies nutzten einige politische Krfte, um mit Blick auf die seit Jahresbeginn Bulgaren und Rumnen zustehenden umfassen-den Rechte Angst vor Armutszuwanderung zu schren. Gerade die konservativen Parteien be-teiligten sich daran. Da frage ich mich, wo die Christlichkeit bleibt. Schlielich geht hier um Menschlichkeit. Seine Heimat zu verlassen, ist nicht einfach, fern der Familie, den Freunden, seiner vertrauten Umgebung in einem Land mit anderen Sitten und fremder Sprache. Gerade junge Menschen wollen der wirtschaftlichen Misere ihres Landes entgehen und suchen eine Perspektive, die sie in ihrer Heimat nicht finden. Manchmal ist es auch die einfache Not. Ich frage mich, was ich eigentlich tun wrde in einer sol-chen Situation. Jung und ungebunden wrde ich wohl auch den Schritt in ein anderes Land wa-gen, doch mit Familie wohl eher nicht.

    In der ganzen Debatte geht es um einen Anteil von weniger als 3,4 Prozent der deutschen Gesamt-bevlkerung. So hoch war der Anteil der Brger aus anderen EU-Staaten zum 31.12.2012 (Euro-stat Pressemitteilung vom 17.07.2013). Es darf davon ausgegangen werden, dass von diesem Teil der Bevlkerung ein Groteil seinen Lebensunter-halt selbst bestreitet. Was die Zahl der Nutznieer von Sozialleistungen nochmals reduziert. Da ist es schon verwunderlich, dass der Aufschrei bei den Summen, mit denen das Bankensystem und marode Banken mit ihren Vorstnden auf Kosten der Steuerzahler gesttzt werden, weniger gro ist. Hier gehen die Schtzungen auseinander, 30 bis 50 Milliarden sagen die einen, 65 bis 70 Mil-liarden andere. Das ist mehr Geld, als sich viele vorstellen knnen. Die Kosten fr Sozialleistun-gen, die in Deutschland Brgern aus anderen EU-Staaten gewhrt werden, drften gegen diese Betrge kaum ins Gewicht fallen.

    In diesem Jahr finden am 25. Mai die Europawah-len statt. Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkun-gen die aktuelle Diskussion darauf haben wird.

    Adriana verkauft den strassenfeger, denn eine richtige Arbeit gibt es fr sie hier nicht (Foto: Jutta H.)

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 20148 | SCHLAMASSEL

    Der Drehtrpatientber die Schwierigkeiten, das Schicksal als alkoholkranker Mensch in die Hand zu nehmenB E R I C H T : A n d r e a s P e t e r s

    Herbert hat letztes Jahr nach einem ar-beitsreichen Leben auf dem Bau end-lich seinen wohlverdienten Rentensta-tus erreicht. Guten Gewissens kann er sich nun ohne Beschftigung ber den Tag retten. Die Umstellung gefllt ihm insgesamt gut. Doch es gibt weiterhin diese Momente, wo er auf sein bisheriges Leben zurckblickt und jeder Blick nach vorne ohne Trost ist. Er sitzt dann in seiner bescheidenen Eineinhalb-Zimmer-Wohnung al-leine auf der groen Couch. Fotos seiner erwach-senen Tochter blicken statisch von der Wand auf ihn herab, whrend der Fernseher fr die beweg-lichen Bilder sorgt. Zeugnisse von seiner geschie-denen Frau und seinem Sohn, der den Kontakt zu ihm abgebrochen hat, sucht man vergebens.

    Herbert wei nur zu gut, dass er dies vor allem seinem treuesten Begleiter, dem Alkohol zu ver-danken hat. Es hat sehr lange, gut dreiig Jahre gedauert, bis er sich dieses eingestehen konnte. Er erinnert sich noch gut an seine erste Alko-holentwhnungsbehandlung. Das war schon damals alles andere als ein erholsamer Kurauf-enthalt. Die Begegnung mit der eigenen Such-terkrankung hat ihm damals die Augen geffnet und schlielich das Leben gerettet.

    Seither versucht er mit mehr oder weniger Er-folg sich an das abstinente Ufer zu retten. Er ist jedoch immer noch in dieser Ambivalenz-Falle, wie sie die Suchthelfer nennen. Um im Bild zu bleiben, die Strmung der Sucht treibt ihn im-mer wieder an das andere, das nasse Ufer. So wie neulich, als es ihn aus seinem beschaulichen Friedenau wieder nach Spandau, den Ort seines familiren Niedergangs zog. All das Vertraute zog ihn magisch an, Straen, Huser und Pltze. Vielleicht war es das Gefhl von Heimat, was er suchte, als er durch die Altstadt schlenderte. Fast unvermeidlich kam er an den Anlegestellen der Ausflugsschiffe vorbei. Hier hatte er damals seine geschiedene Frau kennengelernt. Hier fing alles an. Erst das Glck und dann der Absturz. Fr einen Moment durchzieht ihn ein tiefer Schmerz. Er wei, dass er daran nie mehr etwas ndern kann.

    Es kommt, wie es kommen musste in solchen Momenten. Der Vorsatz, nur einen noch, reitet ihn noch tiefer rein in die Misere. Am Ende des Tages ist er erfllt von unendlicher Trostlosigkeit

    und tiefer Scham. In seiner Welt gibt es niemanden mehr, an den er sich in seinem Zustand wenden kann. Seine Tochter hat es ihm jedenfalls untersagt. Mit Rcksicht auf seinen Enkel richtet er sich danach. Seinen Bruder, dieser Glckspilz, der einmal richtig im Lotto gewonnen hat, dass er davon sorglos Leben kann, ist auch nicht der Richtige. Und so richtet Her-bert voller Selbstmitleid seinen melancholischen Blick auf al-les Unmgliche. Fern sind das rettende Ufer und all die Helfer aus den trockenen Kreisen, die wissen, wie er tickt und seit Jahren um sein Vertrauen werben. In seinem Alkoholkosmos haben andere jedoch keinen Platz mehr. Zum Glck gibt es die Rettungsstelle des Krankenhauses.

    Hier wird er aufgenommen. Ganz gleich mit wieviel Promille. Andere knnten damit jedenfalls nicht mehr stehen. Herbert steht, redet und ist fast schon wieder ein wenig stolz darauf. Schon bald findet er sich im frisch gemachten Bett auf der Entgiftungsstation wieder. Das ist seine Rettung, das hat er gelernt. Bislang zahlte seine Krankenkasse drei Wochen, um sich auszukurieren und der Abstinenz zuzuwenden. Doch die Zeiten haben sich gendert, bzw. die Gebhrenordnung der Krankenkasse. Herbert bleiben nur noch sieben Tage, um sein Schicksal als alkoholkranker Mensch in die Hand zu nehmen. Zu wenig, um bei sich anzukommen und neue Motivation zur Abstinenz zu schpfen. Es sei denn, er lsst sich auf eine me-dikamentse Behandlung mit Psychopharmaka ein. Wer das nicht will, sitzt wie Herbert am achten Tag wieder einsam auf der eigenen Couch.

    Es ist sicher, dass dies nicht der letzte Rckfall von Herbert sein wird. Wer Alkoholabhngigkeit als chronische Krankheit begreift, wei dass Rckflle zum Krankheitsbild gehren. Dass Herbert nun zum sogenannten Drehtrpatienten wird, ist neu und hat mehr etwas mit unseren Gesundheitssystem zu tun. Offensichtlich ist die Behandlung psychisch Kranker mit Medikamenten fr die Krankenhuser lukrativer, als die Behandlung von Alkoholkranken im Rahmen einer dreiw-chigen Entgiftung. Ob sich Herbert darauf einzustellen wei, bleibt mehr als fraglich.

    Vom Alkohol loszukommen, ist sehr schwer! (Foto: Jutta H.)

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 2014 SCHLAMASSEL | 9

    Hebrisch? Kann ich!Hebrische und jiddische Spuren im BerlinischenB E R I C H T : M a n f r e d W o l f f

    Wenn diese Nummer des strassenfeger mit Schlamassel titelt, nimmt das Wort nicht nur die in der Tat unglckliche Lage unserer Notunterkunft ins Blickfeld, es enthlt auch einen Hinweis auf glcklichere Wendun-

    gen. Dann haben wir Massel. Masal ist das hebrische Wort fr Stern. Ein guter Stern wird dann wieder ber unserer Not-unterkunft leuchten. Diese Redewendungen sind uns vertraut. Wie sind sie wie viele andere Redensarten in unsere Sprache gekommen? Nun, Berlin hatte eine zahlreiche jdische Be-vlkerung; sie wohnte mit den brigen Berlinern zusammen, arbeitete zusammen, trieb Handel. Dabei gebrauchten die j-dischen Nachbarn dann Wrter und Redensarten, die hebri-schen Ursprungs waren und oft ber das Jiddische schon eine Verformung und einen Bedeutungswandel erfahren hatten. Lernbegierig wie der Berliner ist, nahm er diese Redensarten auf und verwandelte sie noch einmal, so dass vom Hebrischen nicht mehr viel zu spren war. Hier ein paar Beispiele.

    Zum Neujahr wnscht man einen guten Rutsch, und auf den Grukarten sind hufig Schlittenfahrer zu sehen. Mit Schlit-tenfahren hat dieser Glckwunsch aber nichts zu tun. Er ist die Verballhornung der Neujahrswnsche der jdischen Freunde zu rosch haschana, was nichts anderes bedeutet als der Anfang des Jahres, also Neujahr.

    Wenn jemand sich auf ein Abenteuer einlsst, wnscht man ihm gern Hals- und Beinbruch. Das klingt nicht gerade nach einem frommen Wunsch, eher das Gegenteil. Auch hier haben wir es mit einer Verballhornung zu tun. Es liegt nmlich ein durchaus freundlicher, berhaupt nicht auf Krperverletzung abzielender Segenswunsch zugrunde. Hasloche und broche, Erfolg und Segen wnschte man. Das klang fr den Berliner dann wie Hals- und Beinbruch.

    Jedes Jahr wieder hlt im Geschft die Sauregurkenzeit Ein-zug. Diese Bezeichnung leitet sich nicht von der Saison im Spreewald ab, wenn die Gurken geerntet und eingelegt wer-den, es geht auch nicht um eine jahreszeitliche Speise, die wegen ihrer Bescheidenheit zum schlechten Geschftsgang passt. Wieder haben wir es mit einer jiddischen Redensart zu tun: Zores und Jokreszeit. Darin stecken die hebrischen Wrter Zakrot = Not und Jakrut = Teuerung. So bekommen die sauren Gurken einen Sinn

    Der unbeliebteste Vogel berhaupt ist der Pleitegeier. Meist wird er jetzt mit dem Wappenadler auf dem Pfandsiegel in Verbindung gebracht. Da der Geier ein Aasfresser ist, liegt die Anspielung bei der Veruerung von Pfandgut auch nahe. Von der Herkunft hat der hssliche Vogel nichts mit anderen Vgeln zu tun. Auch er stammt aus dem Jiddischen. Wenn ei-ner berschuldet und zahlungsunfhig war, sollte er das Weite

    suchen. Das hebrische Wort dafr ist pleta = Flucht. Wer sich so seiner Zahlungspflicht entziehen wollte, war auf Jiddisch ein plajte-gajer, einer, der auf die Flucht geht. Die Berliner machten daraus den Pleitegeier.

    Noch ein paar Beispiele fr hebrische Wrter in der Um-gangssprache:Mischpoche von mischpacha = Familie, Bande (das knnte man eigentlich auch in einem Wort schreiben)Reibach von rewach = Gewinndufte von tow = gutBammel von baal emo = Herr der AngstBohai von paihe = Lrm, KrawallMaloche von melaka = Arbeitmeschugge von maschuga = verrcktRamsch von ramaut = BetrugTacheles von tachlit = ZweckZores von zarot = Sorgen; daher kommt auch gib ihm Sau-resTechtelmechtel von tachti = heimlichSchmiere stehen von schmira = WacheSchachern von sachar = Lohn, GewinnKaff von kafar = DorfGanove von ganav = stehlenDaffke von dafko = TrotzNebbich von nebekh = Nichtsnutz

    Dann sind da noch die hebrischen Wrter aus der Bibel: Amen, Halleluja, Jubel und viele mehr. Wir knnen also mehr Hebrisch, als wir auf den ersten Blick glauben.

    Hebrische Wrterbcher (Quelle: www.bibelarchiv-vegelahn.de)

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 201410 | SCHLAMASSEL

    Verdammte Scheie!Interessantes und Hilfreiches zu HundekotB E T R A C H T U N G : J e a n n e t t e G i e r s c h n e r

    Morgens halb sieben in der Bahn mde Gesichter auf dem Weg zur Arbeit. Ein stechender, penetranter Geruch zieht durch die proppen-volle Bahn. Alle Mitfahrer blicken missmutig vor sich hin, ohne jemanden direkt anzuschauen. Ei-nem wird langsam klar, dass er auf dem Weg zur Bahn wohl eine der vielen Tretminen erwischt hat, die ein liebevoller Hundebesitzer nicht weg-geschafft hat.

    In Berlin, der Hauptstadt von Deutschland und des Hundekots, braucht man einen greren Blickradius, vor allem nach unten. Urberliner erkennt man am Hundehaufen-Slalom-Gang, ohne sichtbar auf den Boden zu gucken. Mit je-dem Jahr, das man in Berlin lebt, erweitert sich der Blickradius ganz automatisch. Ein gezieltes Training verringert die Zeitspanne und befreit den Blick.

    Eine Studie brachte hervor, dass lediglich 15 Prozent der Hundehaufen direkt vom Halter ent-sorgt werden, der Rest bleibt liegen und wird im gnstigsten Fall am gleichen Tag durch die BSR vor dem Zertreten gerettet. In der Regel aber zer-fallen sie in ihre natrlichen Bestandteile und be-reiten allen Fugngern noch lange Zeit Freude. Der Studie nach betrgt die Liegezeit bei knapp 50 Prozent der Haufen ber vier Wochen.

    Solange, wie Menschen Hunde in der Stadt hal-ten, gibt es verschiedene Ideen und Manah-men, der Lage Herr zu werden. So gab es eine Kunstaktion, bei der bunte Fhnchen mit lusti-gen Sprchen in Hundehaufen gesteckt wurden. In Franken beschloss die Stadt, jedem Brger, der nachlssige Hundebesitzer fotografierte, ein Kopfgeld von 20 Euro zu zahlen. Dresden wollte DNA-Proben von Hundekot nehmen, die dann mit der Datenbank aller Stadthunde abgeglichen werden sollte. Das Projekt scheiterte einzig an den kalkulierten Kosten.

    Engagierte Brger patrouillieren durch ihre Wohngegend, um Hufchen-Liegenlasser auf frischer Tat zu ertappen und zu ermahnen. Die zustndigen Mitarbeiter vom Brgeramt sind mit tglich knapp 50 Tonnen Hundekot vollkommen berfordert und die 14 Rsselfahrzeuge der Ber-liner Stadtreinigung (BSR) sind nur ein Tropfen auf dem heien Haufen. Legt man alle Hinterlas-senschaften aneinander, ergbe das eine durch-gehende Wurst quer durch Berlin. Interessant wre da ein Vergleich mit anderen Grostdten

    unter Aufsicht des Prfungsgremiums Guiness World Re-cords. Wenn man schon den Schlamassel hat, kann er auch gewinnbringend genutzt werden.

    Die Berliner Senatsverwaltung fr Umwelt berlegt seit dem letzen Sommer, eine Haufentten-Pflicht fr Hundehalter ein-zufhren. Nun gibt es ja schon so einiges an Vorschriften und Gesetzen, die gegen die Kotflut erlassen wurden. Leider ist die finanzielle Ausstattung fr flchendeckende Kontrollen quasi nicht vorhanden und so laufen Tag fr Tag Menschen im Slalom durch die Stadt, immer mit einem halben Auge auf dem Boden. Und wenn mal einer den Schlamassel hat, sollte er daran denken, was unser aller Brgermeister sagte: Berlin ist arm, aber SEXY. Ungeklrt ist allerdings, ob dies auch noch gilt, wenn die Scheie am Schuh klebt.

    Nun knnen wir uns alle ber die Ignoranz der Hundehalter bezglich Ihrer Haufen-Verantwortung aufregen oder jeder berlegt fr sich, wie er dem Problem ganz persnlich be-gegnet. In allen Obst- und Gemseabteilungen gibt es kleine Plastikbeutel umsonst, die man immer auf Tasche hat und bei Bedarf einem hilflosen Herrchen anbieten kann. Kleine Krt-chen mit Schritt-fr-Schritt-Anleitung zur Kotentsorgung sind gut fr vergessliche Menschen und passen gut in jede Hosentasche. Eisspray hilft im Sommer, die Haufen anfrieren zu lassen und so die Klebewirkung am Schuh zu verringern. Gerade bei Flipflops ist das sehr hilfreich.

    Wer es lieber auf die harte Tour mag, speichert sich die Nummer des Ordnungsamtes auf Kurzwahl oder nutzt die Empfehlungen von Tierpsychologen fr die Sauberkeitserziehung. In diesem Fall jedoch nicht fr den Hund, sondern fr sein Herrchen. Ein Nasenstupser in den frischen Haufen sollte einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

    Ihr Glckshaufen (Quelle: Autorin/http://shit-happens-berlin.de/)

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 2014 SCHLAMASSEL | 11

    Der Schlamassel ist noch nicht vorbeiDie Wirtschaftskrise ist noch lange nicht GeschichteB E R I C H T : J a n M a r k o w s k y

    In der Internetzeitung Telepolis hat Florian Rtzer am 10. Januar 2014 unter Alles gut, Deutschland ber die Stimmung in Deutschland berichtet. Nach dem ARD-DeutschlandTrend sehen 79 Prozent der Befragten die wirtschaftliche Situation in Deutschland gut. Die eigene

    wirtschaftliche Lage bewerten 74 Prozent der Befragten als gut oder sehr gut. Die Krise scheint berwunden.

    Dagegen hatte Ralf Streck in Telepolis vom 10.12.2008 noch konstatiert: Weltbank warnt vor schwerster Rezession seit den Dreiiger Jahren.

    L e h m a n B ro t h e r s e i n a m e r i k a n i s c h e r A l b t r a u m

    Die Brder Lehmann sind laut Wikipedia zwischen 1844 und 1850 aus dem beschaulichen Rimpar in die USA emigriert. 1844 soll Henry Lehmann in Alabama einen Gemischtwa-renhandel erffnet haben. Sein Bruder Emanuel setzte auf die Baumwolle. Aus dem Baumwollhandel wurde die Bank und nach dem amerikanischen Brgerkrieg wurde der Firmensitz nach New York verlegt. So weit folgt die Firmengeschichte dem amerikanischen Traum. Der letzte Lehmann soll die Bank 1969 verlassen haben. Doch auch ohne die Nachfahren der Firmen-grnder ging der amerikanische Traum scheinbar weiter. Nach 1977 begann die Fusion zur systemrelevanten Grobank mit einer Bilanzsumme von 59 Milliarden US-Dollar (2007)!

    Der Albtraum kam mit dem Platzen der Blase auf dem Immobilienmarkt der USA. Die niedrigen Zinsen sorgten fr einen Run auf Immobilien, die als wertbestndig gelten. So wurden Immobilien auch an Brger mit schlechter Bonitt verkauft. Die Immobilie und ihr Wert gaukelte Sicherheit vor. Auch als US-Brger ihre Raten nicht bezahlen konnten und sich mit Hypotheken verschuldeten, galt der Wert der Immo-bilie als Sicherheit. Das geht nie lange gut, und wenn Immobi-lien nicht mehr gefragt sind, verlieren sie an Wert. Zuerst traf es kleine Institute. Recht bald mit Bear Stearns auch eine Grobank, im Juli 2008 mit Fannie Mae und Freddie Mac dann zwei ganz groe. Diese Grobanken wurden mit ffent-lichen Mitteln gerettet. Wegen der Untersttzung privater Institute durch den Staat gab es kritische Stimmen. Deshalb versagte der damals amtierende Finanzminister Henry Paulson Lehman Brothers die Untersttzung durch den amerikani-schen Staat. Lehman Brothers mussten am 15. September 2009 Insolvenz anmelden.

    D i e K r i s e u n d i h re U r s a c h e n

    Die Pleite zog den Finanzmarkt und dann die gesamte Wirt-schaft weltweit in den Strudel. Die Banken vertrauten einan-der nicht mehr. Die Vergabe von Krediten kam fast zum Erlie-gen. Das traf auch die Unternehmen. Aus der Verwerfung am Immobilenmarkt wurde eine Rezession. Die blieb wegen der internationalen Verflechtung nicht auf die USA beschrnkt. China hatte als starke expansive Wirtschaftsmacht Verbind-lichkeiten in den im Auenhandel chronisch defizitren Verei-

    nigten Staaten, die als Folge der Krise entwertet wurden. Aus der Krise des Immobilienmarkts in den USA wurde eine welt-weite Rezession. Der ffentliche Druck auf die US-Regierung und seinen Finanzminister war fr eine Rettung der Bank zu gro. Doch die Ursachen der Krise liegen tiefer. Da waren einmal die grer werdenden Unterschiede im Einkommen. Gleichzeitig wurden die Fesseln fr den Finanzmarkt gelst, fr das Risiko gab es keine Schranken mehr.

    A u s d e r K r i s e g e l e r n t ? Vo n w e g e n !

    Das Bndnis Wir zahlen nicht fr eure Krise erinnerte an den New Deal. Franklin D. Roosevelt hat in den 30er Jahren in den USA den Sozialstaat geschaffen, der auch in Deutschland einmal mehrheitsfhig war. Starker Staat, fi-nanziert durch Steuern. Der Satz der Einkommenssteuer soll zumindest fr die Spitzenverdiener ber 70 Prozent betra-gen haben. Und Regeln fr den Kapitalmarkt. Roosevelt ist trotzdem mit absoluter Mehrheit wieder gewhlt worden. Wie weit wir davon entfernt sind, machen die Reaktion auf die Forderungen des Bndnisses Umfairteilen Reichtum besteuern im August 2012, die Entwicklung auf dem Woh-nungsmarkt in Berlin und anderen groen Stdten Deutsch-lands, die Sanktionspraxis in den Jobcentern deutlich. Und was die Verhltnisse auf dem Finanzmarkt betrifft, so ist die Trennung des Investmentbanking vom klassischen Bank-geschft nie ernsthaft durchgesetzt worden. Die Bundesan-stalt fr Finanzdienstleistungsaufsicht hat im Januar 2014 die Regelung der Deutschen Bank fr die Boni ihrer Mana-ger gergt (Wirtschaftswoche vom 11.01.14). Die hohen Boni begnstigen riskante Deals.

    Kurz und schlecht: Nachhaltige strukturelle Vernde-rungen, die die Krise verhindern, sind nicht einmal ange-dacht, geschweige denn durchgesetzt, worden. Die letzten strukturellen Reformen haben die Krise nicht verhindert, sondern begnstigt.

    Lehman Brothers Headquarters in New York City (Quelle: Wikipedia/Robert Scoble)

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 201412 | SCHLAMASSEL

    Das Geldsystem mehr als ein SchlamasselDer grte Betrug der MenschheitsgeschichteB E T R A C H T U N G : B e r n h a r d t

    Geld kann nicht wertstabil sein. Denn die Wa-ren sind es auch nicht, die man am Markt dafr erwirbt und die seinen Wert, seine Kaufkraft, ausmachen. Sie unterliegen einer naturgem-en Minderung ihres Substanzwertes durch

    Verderbnis, die schrittweise und schleichend erfolgt. Einige gewitzte Bankiers, Wirtschaftswissenschaftler und von die-sen beeinflusste Politiker verknden aber das Gegenteil und versuchen, das durchzusetzen, indem sie die Unkenntnis und Trgheit der Menschen sowie deren heimlichen Wunsch nach Stabilitt und Sicherheit ausnutzen, endlich einmal von dem stndigen evolutionren Wandel und der dadurch ausgelsten Ungewissheit befreit zu sein; und zwar ohne eigene Mhsal (Stichwort: Besitzstandwahrung).

    Ausgehend von dieser Erkenntnis kommen wir zu dem zent-ralen Mangel unseres Geldsystems, dass es nmlich nach herr-schender, aber falscher Ansicht arbeiten kann und weiteres Geld hervorbringen. Und das ohne eigene reale Leistung, also leistungslos. Auch hier macht man sich die Unkenntnis und Trgheit der Brger zu Nutze, die bewusst in Ahnungslosigkeit gehalten werden und die bereitwillig der Lge Glauben schen-ken. Sie meinen, von der Mhsal befreit zu sein, ihren tgli-chen Lebensunterhalt selber zu erarbeiten, und wollen dies durch ihr Geld erledigen lassen. Dieses kann aber gar nicht arbeiten. Das knnen nur Menschen: Unternehmer, Freiberuf-ler, Lehrer, Hausfrauen und vor allem Arbeiter. Hier findet eine ungeheure Ausbeutung der Arbeitenden statt, und die Soziale Schere tut sich auf. Dieses System nennt man Geldkapitalis-mus. Die Kapitalisten lassen ihr Geld arbeiten. Das ist aber, wie gesagt, eine Lge und objektiv nicht mglich.

    Gekrnt wird das Ganze durch die Geldschpfung privater Banken. In einer spezialisierten, arbeitsteiligen und deshalb leistungsfhigen Wirtschaft ist Geld das Mittel, um die fr die Brger unerlsslichen Tauschgeschfte zu erleichtern und zu beschleunigen. Es ist fr die Gesamtheit der Mitglie-der einer Volkswirtschaft da. Es muss mglichst objektiv und neutral den Interessen der Gemeinschaft dienen. Des-halb muss es von einer vertrauenswrdigen Einrichtung in Umlauf gebracht und verwaltet werden. In den geschichtli-chen Anfngen der Menschheit war das der Stammeslteste, spter der Landesherr. In unserer Zeit muss diese Aufgabe dem demokratisch legitimierten und an Rechtsnormen ge-bundenen Staat zustehen; nicht seiner Regierung, denn die

    gewhlten Politiker sind dazu fachlich und charakterlich meist ungeeignet, sondern der Zentralbank; mglichst mit einer verfassungsrechtlich verankerten Unabhngigkeit aus-gestattet wie z. B. das Bundesverfassungsgericht. Tatschlich wird aber der bei weitem grte Teil des umlaufenden Geldes von Privatbanken quasi aus dem Nichts geschpft, die damit ihre eigenschtigen und am Gewinninteresse ihrer Aktionre orientierten Geschfte betreiben und sich den Teufel um das Gemeinwohl kmmern.

    Da in dem gegenwrtigen System alles Geld zugleich Schuld-geld ist, d. h. als Kredit an die verschiedenen Kreditnehmer gegen Zinsen ausgegebenes Geld (und kein Vollgeld), lassen sich damit lukrative Geschfte machen; durch Zinsen, die es bei naturgemer Ausgestaltung des Geldes gar nicht geben drfte. So auch Aristoteles, Bibel (Jesus hat die Geldverlei-her in Jerusalem aus dem Tempel gepeitscht), Talmud, Koran, Martin Luther, die Ppste (bis zur Aufhebung des Zinsverbots in der Neuzeit), Indianerweisheiten, Rudolf Steiner (1861-1925) und die Anthroposophen, Oskar Ernst Bernhardt (1875 1941) und seine Naturphilosophie und viele andere.

    Seit vor 6 000 Jahren bei den Sumerern die ersten Formen von Geld aufkamen, wird die Menschheit mittels der Zinsen und anderer Formen des leistungslosen Einkommens nach Strich und Faden betrogen. Die Profiteure - die Steuerleute dieses Systems in der anglo-amerikanischen Hochfinanz sitzen in der Wallstreet und in der City of London - , die money len-der, arbeiten seit Jahrhunderten daran, ihren Reichtum und ihre Macht zu mehren, schrecken dabei selbst vor Mordtaten nicht zurck. Die US-Prsidenten Abraham Lincoln (1865) und John F. Kennedy (1963) sind die prominentesten Opfer, weil sie das System ndern wollten.

    Das ist nicht nur ein Schlamassel, ein Chaos, sondern der grte und fortdauernde Betrug in der Menschheitsgeschichte. Das Zinssystem ist in den meisten Fllen die Ursache fr die leis-tungslose Anhufung von riesigen Vermgensmassen in den Hnden Weniger; fr das Entstehen sozialer Spannungen; fr das Aufkommen des Grogrundbesitzes sowie der Armut und Landlosigkeit der Bauern bis hin zur Leibeigenschaft. Diese wurde in den deutschen Kleinstaaten erst Anfang des 19. Jahr-hunderts unter dem Einfluss von Napoleon aufgehoben. Auch die meisten Kriege wurden und werden von der Gier nach mehr Macht und leistungslosem Einkommen ausgelst.

    Jesus vertreibt die Geldwechsler aus dem Tempel (Foto: Jacob Jordaens1650)

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 2014 SCHLAMASSEL | 13

    Visionen & PolitikUrsachen der Lhmung von Politik und GesellschaftB E T R A C H T U N G : D e t l e f F l i s t e r

    Ich bin noch immer verstimmt. Schuld an dieser Tatsa-che ist die Bundestagswahl 2013. Sie hat in mir Trau-rigkeit, Wut, Ohnmacht und teilweise auch Resignation ausgelst. Massenarbeitslosigkeit, Krisenszenarien in der Wirtschaft, schleichende Abschaffung des Sozial-

    netzes, Bildungsnotstand und Bankenskandale bringen unse-ren Staat in eine fr mich unakzeptable Schieflage. Und was fllt den zustndigen Politikern dazu ein? Weiter so!, tnen Merkel & Co. ohne wenn und aber und um jeden Preis! Zu allem berfluss tnt es aus der Bevlkerung ebenfalls: Ihr habt Recht, ihr lieben Politiker! Das Wahlergebnis zeugt von dieser weit verbreiteten Meinung des Brgers und bringt die CDU/CSU fast an die absolute Mehrheit. All das sorgt bei mir fr die oben genannte Verstimmung. Ich frage mich wirklich, warum sich einfach nichts ndert, nichts ndern kann.

    U r s a c h e d e s S c h l a m a s s e l s

    Irgendwie scheint etwas schief zu laufen. So einig wie gerade jetzt waren sich Politiker_innen und Brger_innen eigentlich noch nie. In hnlichen Situationen gab es frher oft Macht-wechsel (von Schmidt zu Kohl, von Kohl zu Schrder und von Schrder zu Merkel). Nach der lngst flligen Abwahl von Gerhard Schrder durch die Whler dachte ich schon, dass die Bevlkerung endlich den Stimmzettel benutzt, um wenigstens noch ein bisschen einzugreifen. Die Abstrafung Schrders damals bei der Bundestagswahl war ein Meilen-stein der Demokratie fr mich, weil er als erster Kanzler von der Bevlkerung abgewhlt wurde. Und nun dieser Schock bei der Bundestagswahl 2013! Mit dem Wahlergebnis 2013 sendet der Whler meines Erachtens das falsche Zeichen an die Machthaber. Woran liegt das?

    R e s i g n a t i o n & U n m u t

    Bei den Brger_innen scheint es mir schlicht und einfach Re-signation zu sein, die dafr gesorgt hat, dass bei dieser Wahl die Chance auf einen Machtwechsel, der meiner Meinung nach bitter ntig war, verpasst wurde. Viele Menschen ballen jetzt die Faust schon in der Tasche. Wenn ich mich mit an-deren Menschen unterhalte, habe ich eben nicht das Gefhl, dass Meinungsgleichheit mit den Machthabern herrscht. Was oben genannte Politikfelder angeht, nehme ich eher Unmut war und spre, dass sich der Brger von der Politik betrogen und hintergangen fhlt. Eine fatale Das-wird- sich-ohnehin-nicht-ndern-Haltung ist sprbar. Whrend die 68er auf die politische Unbeweglichkeit und Unflexibilitt der Adenauer-

    ra mit Protest, Unruhe und politischen Gegenentwrfen (Vi-sionen) reagierten, duckt sich der Brger 2013 desinteressiert und resignativ weg.

    R o u t i n e , L e t h a rg i e u n d G l e i c h g l t i g ke i t d e r M a c h t h a b e r

    Die Machthaber haben ebenfalls keine Visionen, wie man et-was ndern soll zumindest werden keine sichtbar. Das ist ja auch kein Wunder, weil sie von der jetzigen Lage profitieren, die ihre Macht strkt. Frau Merkel und ihre Minister kn-nen berhaupt nicht daran interessiert sein, etwas zu ndern, weil sie scheinbar gerade vom Whler die Besttigung fr ihr politisches Handeln erhalten haben. Ihr Weiter so! ist damit verstndlich. Sie brauchen sich keine Gedanken ber politische Visionen machen. Es geht nach dem Motto: Was brauche ich Ideen und Visionen, wenn ich die Macht schon sicher habe? Bei den regierenden Politkern herrscht deshalb eine fatale Mischung aus Routine, Lethargie und Gleichgl-tigkeit vor, die sich fr revolutionre Gedanken und Visionen als schdlich erweist. Es scheint wieder jener Geist der Ade-nauer-ra aufzuerstehen, der zu einem geistigen Stillstand in der Politik gefhrt hat. Der die 68er auf den Plan brachte, de-nen es schlielich gelang der Erstarrung der Politik ein Ende zu bereiten.

    B rg e r b e t e i l i g u n g d r i n g e n d n t i g

    Die Machthaber, die durch ihrem Umgang mit der Macht die Misere ausgelst haben, werden sicher nicht fr die Aufl-sung der Erstarrung sorgen. Auch, weil die jetzige Lage ihren Machterhalt begnstigt und deshalb fr sie eine Vernderung ihres Vorgehens nicht ntig zu sein scheint. Die Brger ms-sen sich endlich aus ihrer Erstarrung und Resignation lsen und sich wieder in die Politik einmischen. Es heit schlielich auch, dass die Parteien und die Brger Deutschlands an der Meinungsbildung teilnehmen. Ich glaube, dass wir uns alle die-ser Verantwortung bewusster werden mssen. Und dass wir politisch aktiver werden mssen, um unsere Interessen zu ver-treten und unser Rolle in der Demokratie als Volkssouvern wahrzunehmen, die das Grundgesetz vorsieht. Wenn die poli-tisch Verantwortlichen sich lieber in ihrer Machtgier verlieren, dann mssen wir Brger die Visionen einbringen und sie mittels unser nicht geringen Macht gegen den Willen der regierenden Politiker durchsetzen auch indem wir Politiker ohne Visionen und Ideen in Zukunft unsere Stimme verweigern. Und ganz so erfolglos waren die 68er ja schlielich auch nicht...

    Links: Sigmar Gabriel beim politischen Ascher-mittwoch der BayernSPD in Vilshofen. (Foto: Wikipedia/Arne Mseler)

    Rechts: Angela Merkel bei der Erffnung der Ce-BIT am 6. Mrz 2012 (Foto: Wikipedia/ Ralf Roletschek)

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 201414 | SCHLAMASSEL

    I N FO

    www.prekaerespraktikum.com

    Der Anfang prekr macht es doppelt schwerStudierende in Berlin organisieren sich in einem Netzwerk gegen unbezahlte PraktikaB E R I C H T : B o r i s W o r k a h o l i c N o w a c k

    Praktika whrend des Studiums sind wichtig, um das an der Hochschule Ge-lernte anzuwenden, fr den Lebenslauf, oder um zu erfahren, dass der angeb-liche Traumberuf doch eher der Horror ist. In vielen Studiengngen sind Praktika sogar vor-geschrieben. Ohne Berufserfahrung bekommt man keinen Abschluss. Das Problem dabei: Viele Arbeitgeber bezahlen ihre Praktikanten nicht. Studierende mssen whrend dieser Zeit einen Nebenjob annehmen, was krperlich und psychisch belastet.

    U n t e r d e m E x i s t e n z m i n i m u m b e i e i n e r 6 0 -S t u n d e n - Wo c h e

    Im sozialen Sektor ist es besonders schlimm. Unbezahlte Praktika sind hier die Regel. Studie-rende der drei sozialen Hochschulen in Berlin hatten davon die Schnauze voll und grndeten das Netzwerk Prekres Praktikum. Im Novem-ber 2012 fand an der Katholischen Hochschule fr Sozialwesen Berlin (KHSB) der Hochschul-tag ber Studienbedingungen statt. Man war sich einig, dass die Rahmenbedingungen fr Praktika in der Ausbildung im sozialen Bereich nicht mehr zeitgem sind und schloss sich mit den beiden anderen Hochschulen, der Evangeli-schen Hochschule Berlin (EHB) und der Alice-Salomon Hochschule Berlin (ASH) zusammen.

    Die Studierenden bekommen alle denselben Abschluss in Sozialer Arbeit, die Studiengnge haben den gleichen Aufbau und wir haben spter denselben Arbeitsmarkt, sagt Svenja Ketelsen. Sie studiert den Masterstudiengang Praxisfor-schung in sozialer Arbeit und Pdagogik an der ASH. Ein Praktikum ist Pflicht fr die staatliche Anerkennung als Sozialarbeiter, erklrt sie. Das gilt fr alle sozialen Berufe, weil es ein ffentli-cher Sektor ist. Je nach Hochschule muss man im 4. oder 5. Semester ein halbes Jahr Praktikum machen. Zeit verlieren die Studierenden im Un-terschied zu freiwilligen Praktikanten anderer Be-rufsbereiche nicht, denn dieses halbe Jahr gehrt zum Studium. Allerdings ist die Belastung wh-rend dieser Zeit fr die angehenden Sozialarbeiter besonders hoch. Rund 65 Prozent mssen ne-benher einen Job annehmen. Das sind also 20 bis 30 Stunden Lohnarbeit neben einer 40-Stunden-Woche Praktikum sagt Ketelsen. Weil es sich

    meist um sogenannte Minijobs handelt, haben die Praktikanten und Jobber nur 400 Euro in der Tasche. Ein Leben unter dem Existenzminimum bei 60 Stunden Arbeit in der Woche.

    E i n h o c h p o l i t i s c h e s T h e m a

    Ketelsen lastet diese Umstnde allerdings nicht den Arbeit-gebern allein an. Im Unterschied zur freien Wirtschaft etwa ist Arbeit im sozialen Bereich ein staatlich organisierter und finanzierter ffentlicher Sektor, der sein Geld vom Senat bekommt. Freie Trger in Berlin knnen deshalb zum gro-en Teil einfach nichts bezahlen, weil ihnen die Mittel dazu fehlen. Fr Auszubildende und Studierende aus dem Hand-werk, der Industrie oder der Pharmazie etwa gelten Prakti-kavergtungen von bis zu 1 000 Euro im Monat. Der Markt und Angebot und Nachfrage regeln hier den Preis. Zwar hat das Netzwerk Prekres Praktikum Gesprche mit der Senats-verwaltung gefhrt, allerdings ohne befriedigendes Ergebnis. Das sei ein politisches Thema, das man nicht beeinflussen knne, die Koalition im Landtag habe Schuld.

    Po s i t i v l i s t e

    Die Politik knnte eine Mindestvergtung im von ihr sonst als so wichtig gepriesenen sozialen Sektor vorschreiben. Das wre schon deshalb sinnvoll, um den Anreiz fr die Ausbil-dung und so spter die Anzahl der Arbeitnehmer zu erhhen. Doch so lange das nicht geschieht, unterbieten sich die Tr-ger bei den Vergtungen auch gerne mal: Es gibt durchaus Trger, die ihre Praktikanten bezahlen knnten, es aber nicht tun, weil unbezahlte Praktika zur Normalitt geworden sind, wei Ketelsen. Angriff ist die beste Verteidigung, dachten sich deshalb die jungen Damen und Herren des Netzwerks, und verffentlichen eine regelmig aktualisierte Positivliste der Arbeitgeber. Dort wird aufgefhrt, wer im sozialen Sektor seine Praktikanten bezahlt.

    Wir hoffen, dass dadurch ein Konkurrenzkampf unter den Trgern fr engagierte Praktikanten losgeht, sagt Svenja Ketelsen. Auerdem ist das Netzwerk mit den Hochschulen im Gesprch, das Praktikum so umzustrukturieren, dass der Anreiz zur Finanzierung grer wird. In einer Studie hat man 1 800 Studierende befragt, ob sie whrend des Praktikums nebenher arbeiten mussten und wie sich das Praktikum auf ihre konomische, gesundheitliche und psychische Situation ausgewirkt hat. Die Ergebnisse werden dieser Tage verffent-licht. Svenja Ketelsen rt den Studierenden, sich im Netzwerk zu organisieren, ffentlichkeit ber ihre Praktika zu schaf-fen und im Vorfeld stets zu fragen, ob das Praktikum bezahlt wird. Es darf nicht mehr als normal gelten, dass dieser Aus-bildungsteil nicht bezahlt wird.

    Ob ein Praktikum bezahlt wird, hngt vom Sektor ab. Wirtschaft, Industrie und Handwerk zahlen gut. (Quelle: Autor)

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 2014 SCHLAMASSEL | 15

    Der Superpenner ist der RennerToller Abverkauf des strassenfeger, riesiger Medienhype, Ausgang offenB E R I C H T : A n d r e a s D l l i c k & N a t h a l i e Z u r h o l d ( S c h o l z & F r i e n d s )

    Wer htte das gedacht: Ein zugegebenerma-en etwas politisch unkorrekter Comic fhrt zu einem derartigen Medienhype, wie es die soziale Straenzeitung strassen-feger wohl noch nie erlebt hat. Smtliche

    lokalen, aber auch viele groe berregionale Zeitungen, viele Radio- und TV-Sender haben ber den Superpenner berich-tet. Selbst die ARD hievte einen Beitrag in die Hauptnachrich-tensendung. Aus ganz Deutschland flattern tglich E-Mails bei uns ein, kommen Telefonanrufe mit der Bitte: Ich wrde gern den aktuellen strassenfeger mit dem Comic bei Ihnen bestellen! Manche wollen einen Comic, andere gleich 50. Selbst in Sammlerkreisen ist der Superpenner mittlerweile hei begehrt.

    Und auch unsere Verkufer_innen berichten uns immer wieder unglubig darber, wie oft sie derzeit nach dem stras-senfeger und dem Comic gefragt werden. Es hat kaum zehn Tage gedauert, da war die komplette Ausgabe schon verkauft. Und das Feedback war bislang fast durchweg uerst positiv. Der Berliner Zeitung sagte unser Verkufer Florian, dass diese Ausgabe eine ganz besondere ist: Schon seit Tagen fragen mich die Leute nach dem Comic. Zum provokanten Titel des Comics meinte Verkufer Carsten: Das ist doch eine tolle Idee! Wir haben doch Humor. Ein klitzekleines Prob-lem habe ich mit dem Riesenerfolg des Superpenner schon: Whrend der Comic wie schon oben bemerkt derartig viel Aufmerksamkeit bekam, die bevorstehende Schlieung der einzigen Notbernachtung im Bezirk Pankow mit 17 sicheren Schlafpltzen fr obdachlose Menschen dagegen sehr viel we-niger, das zeigt mir ganz deutlich, dass sich die Wertigkeiten in unserer Gesellschaft anscheinend sehr verschoben haben.

    G i b t e s e i n e Fo r t s e t z u n g d e s S u p e r p e n n e r ?

    Viele Menschen fragen uns mittlerweile ganz aufgeregt, ob und wann es eine Fortsetzung des Comics Superpenner gibt. Ehrlich gesagt, wir wissen es nicht. Denn das ist von vielen Faktoren abhngig. Wollen wir als soziale Straenzeitung das? Wollen unsere Verkufer_innen das? Was will die Agen-tur Scholz & Friends? Will Stefan Lenz, der Zeichner des Comics, weitermachen? Wer bezahlt das Ganze, finden sich Sponsoren fr eine Fortsetzung? Wir werden uns demnchst ganz sicher mit den Machern des Superpenner zusammen-setzen und die Wirkung des Projekts Comic bewerten. War es ein Erfolg, wie ist das Verhltnis von Aufwand und Nutzen, wem hat der Comic was gebracht? Dann werden wir berlegen, was mglich und was sinnvoll ist. Und ja, vielleicht kehrt er ja zurck, um fr Gerechtigkeit und Ordnung zu sorgen auf den Straen von Berlin, um zu retten, was noch zu retten ist der Superpenner von strassenfeger und Scholz & Friends!

    A u c h d i e A g e n t u r S c h o l z & Fr i e n d s v e r m e l d e t e i n t o l l e s Fe e d b a c k

    Wie die Idee entstanden ist/Genesis: So genau, wei ich das auch nicht mehr, aber es war vor un-gefhr zwei Jahren. Straenmagazine werden ja vor allem in U- und S-Bahnen verkauft und dann idealerweise gelesen, konkurrieren aber heutzu-tage nicht nur mit Bchern und anderen Zeitun-gen, sondern eben auch mit iPods, Handys, Ipads und eben auch Comics, die sich besonders fr die Lnge einer Fahrt eigenen.

    So ist die Idee eines Comics als Beilage ent-standen und dann sollte es ja nicht irgendein Co-mic sein, sondern einer mit thematischem Bezug, der aber trotzdem leicht zu konsumieren ist und Spa machen soll.

    Aufwnde/ Probleme bei der Erstellung des Comics: Die Entwicklung der Story war nicht so das Problem. Die Probleme begannen damit, wer das Ding dann eigentlich zeichnet. Nach einigen Gesprchen mit Profis war uns klar, dass wir de-ren Aufwand einfach nicht bezahlen knnen. So ist aus Stefan Lenz, eigentlich von Beruf Texter (mit einem Talent fr Zeichnungen), quasi ein Comiczeichner wider Willen geworden. Und da es sich eben um ein Non-Profit-Projekt handelt, konnte nicht jeden Tag von morgens bis abends mit Hochdruck drauf gearbeitet werden. Eine echte Erleichterung war es fr Stefan, dass das Artil Studio sich dann um die auch nicht gerade unaufwendige Kolorierung gekmmert hat.

    Feedback: Das Feedback ist absolut sensa-tionell. Eigentlich hat in Berlin alles, was Rang und Namen in Presse, Radio und Fernsehen hat, berichtet. Dazu kommt eine halbe Seite in der Sddeutschen, Bewegtbildbeitrge von Reu-ters, die nicht nur in Deutschland liefen, sondern auch in Indonesien! Sogar auf der Online-Seite der New York Times konnte man die Geschichte le-sen. Und morgen kommt das russische Fernsehen zu uns.

    Stimmung bei den Beteiligten: Die Stim-mung ist gut, und wir hoffen natrlich, dass die Aktion auch auf der Strae funktioniert. Bisher haben wir nur Gutes gehrt, aber wir kennen noch keine Zahlen.

    Fortsetzung: Ob es eine Fortsetzung gibt, knnen wir noch nicht sagen. Aber Lust haben wir alle darauf.

    Cover des Superpenner (Foto Scholz&Friends)

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 201416 | TAUFRISCH & ANGESAGT a r t s t r a s s e n fe g e r

    Gttin und Garonne Alle Jahre wieder kommt die Berlinale, zu deren Hhepunkten die Verleihung des Goldenen und des Silbernen Bren gehrt. Die Trophe der Berlinale stammt aus der Hand von Rene Sintenis, der das Georg-Kolbe-Museum eine groe Ausstellung widmet. T E X T & F O T O S : U r s z u l a U s a k o w s k a - W o l f f

    Sie berragte alle um einen Kopf und stellte viele Mnner in den Schatten: Re-ne Sintenis war eine der erfolgreichsten und bestverdienenden Knstlerinnen der Weimarer Republik. Und das in einer Domne, die zu der Zeit den Frauen vorenthalten war: der Bildhauerei. Die Sintenis, wie man sie zu nennen pflegte, 179 cm gro, was sie damals wie eine Riesin erscheinen lie, eroberte die Kunstwelt mit kleinen niedlichen Tierchen. Ihre Bronze-plastiken, in denen sie bevorzugt Jungtiere wie Fohlen, Esel, Klbchen, Ziegen- und Steinbcke, Rehe, Hunde und Bren darstellte, waren etwas Sensationelles, galt doch die Bildhauerei lange Zeit als eine Kunst, deren Aufgabe es war, Groe Mnner: Kaiser, Kriegsfhrer, Dichter, Denker und andere Helden auf monumentalen Denkm-lern zu verewigen.

    D ro l l i g e We s e n

    Ihre ersten Tierfiguren aus Bronze Junges Reh und Kniendes Reh sowie eine Terrakottamaske ihres Gesichts zeigt Rene Sintenis 1915 in der Herbstausstellung der Berliner Knstlergruppe Freie Secession am Kurfrstendamm 232. Das Publikum ist von den Arbeiten der 27-jhrigen begeistert, die Kritik wird auf sie aufmerksam. Der angesehene Kunstkritiker, Schriftsteller und Publizist Julius Meier-Graefe feiert die Sintenis als eine Frau, der es zum Glck nicht einfllt, dem Mann in bornierte Intellektualitt zu fol-gen, die es vorzieht, statt klotzige Fuste, mannhafte Waden, wulstige Pferdeschwnze und den durchbohrenden Heroenblick, Kinder in die Welt zu setzen, drollige Wesen, beileibe keine Germania, keine Adam und Eva, noch die lsterne Gltte finsterer Weiber. Dinger aus dem Spielkasten setzt sie hin. Man merkt auf einmal, dass deutsche Plastik lcheln kann. Eine Frau hat kommen mssen, um es zu zeigen. Eine Frau, nichts weiter.

    S e l b s t v e r s t n d l i c h e s M s s e n

    Seitdem avancierte die Sintenis, liebevoll-iro-nisch als Riesin mit dem Kleintierzoo bezeich-net, zum unumstrittenen Star des Kunstmark-tes und der Society. Vor allem in den Goldenen Zwanzigern war ihre Popularitt enorm, als ob die mondne und brgerliche Kunstkundschaft nur darauf wartete, ihre Salons mit den sympa-thischen Viechern zu schmcken. Die drolligen Wesen waren ein Verkaufsschlager, sie eigneten sich fr Geschenke, fr Reiche und weniger Rei-che erschwinglich. Die Nachfrage war so gro, dass die geschftstchtige Frau von jeder Figur, die sie in Gips modellierte, bis zu 35 handsi-gnierte Exemplare in Bronze gieen lie. Von Anfang an arbeitete sie mit der Bildgieerei Her-mann Noack, die sich damals in Berlin-Friedenau befand, zusammen. Ich selber habe nie gewusst, ob ich viel oder wenig oder ob ich berhaupt et-was Besonderes kann. Ich glaube es nur, weil die anderen es mir stets vom neuen sagen und ich am Erfolg die Wirkung merke. Mir ist mein Schaffen nichts anderes als ein selbstverstndliches Ms-sen, schrieb die Bildhauerin im 1931 von Ada Schmidt-Beil herausgegebenen Buch Die Kultur der Frau. Eine Lebenssymphonie der Frau des XX. Jahrhunderts.

    R e i n s t e Q u a l

    Dass Rene Sintenis zu einer der schillerndsten Figuren der Berliner Boheme und einer gefragten und hoch bezahlten Knstlerin aufsteigen wird, lag nicht auf der Hand. Sie wurde am 20. Mrz 1888 im niederschlesischen Glatz als Renate Alice Sintenis geboren. Ihr Vater, der aus einer hugenottischen Familie stammte, war Justizrat. Die Eltern ihrer Mutter waren zum Protestantis-mus konvertierte Juden. Ihre Jugend verbrachte das zu hoch gewachsene und magere Mdchen in Neuruppin und Stuttgart. In der Schule wurde

    I N FO

    Rene Sintenis, Berliner Bildhau-erin (1988 1965), noch bis zum 23. Mrz 2014 im Georg-Kolbe-Museum in der Sensburger Allee 25, 14055 Berlin

    ffnungszeiten Dienstag bis Sonntag 10 18 Uhr

    Eintritt: 5 /3 Euro

    Fr Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren frei

    Buch: Silke Kettelhake Rene Sintenis, Berlin, Boheme und Ringelnatz, Osburg Verlag 2010, 13,50 Euro

    01

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 2014 TAUFRISCH & ANGESAGT | 17 a r t s t r a s s e n fe g e r

    01 Buchcover (Quelle: Osburg Verlag)

    02 Rene Sintenis, Junger Reiter, 1935

    03 Rene Sintenis, Der Esel von Seelow, 1927

    04 Rene Sintenis, Blick in die Ausstellung

    sie fr ihr Aussehen gehnselt, zog sich zurck, entdeckte ihre groe Zuneigung zu Pferden und Hunden, die sie zu zeichnen begann. 1905 zog sie mit ihrer Familie nach Berlin, wo ihr Vater eine Stelle als Rechtsanwalt am Kammergericht bekam. 1907 begann Renate Alice ihr Studium an der Unterrichtsanstalt des Berliner Kunstge-werbemuseums, in der Klasse fr Dekorative Plastik, die der Bildhauer Wilhelm Havekampf leitete. 1910 wurde sie von ihrem Vater gezwun-gen, das Studium abzubrechen, um in seinem Anwaltsbro als Sekretrin zu arbeiten. Fr Renate war das aber reinste Qual. Sie brach alle Kontakte zu ihrer Familie ab, denn sie wollte Bildhauerin werden. 1917 heiratete sie den Mann, der ihr dabei half: den Maler, Schriftge-stalter und Illustrator Emil Rudolf Wei.

    G ro s t a d t a m a z o n e

    Obwohl es in der Berliner Boheme nicht an Pa-radiesvgeln mangelt, fllt Sintenis, die sich als Knstlerin Rene nennt, besonders auf. Von ih-ren ersten Einknften kauf sie sich ein Pferd: eine Grostadtamazone, die morgens im Tierpark rei-tet. Sie ist Gttin und Garonne, distanziert und burschikos, fhrt einen Studebaker, trgt schul-terlose Kleider, Mnneranzge und Schleifen. Sie ist androgyn, selbstbewusst und emanzipiert, ein Medienstar, die meistfotografierte Neue Frau der Weimarer Republik. Mit ihrem Freund Rin-gelnatz zieht die Indianerschne durch Jazz-lokale und Szenekneipen. Ihr Kunsthndler ist Albert Flechtheim. 1922, nach der Erffnung seiner Galerie am Ltzowufer 13 in Berlin, wird sie schnell zu einem der besten Rennpferde im Flechtheims Stall. 1931 wird sie als erste Bildhau-erin und zweite Knstlerin nach Kthe Kollwitz in die Akademie der Knste aufgenommen, aus der sie drei Jahre spter, wie alle anderen nicht-arischen Mitglieder, von den Nationalsozialisten ausgeschlossen wird. Bis zum Ende des Kriegs

    lebt sie ziemlich unbehelligt, obwohl sie jeder-zeit damit rechnet, deportiert zu werden. 1943 stirbt berraschend ihr Mann. Nach dem Krieg wird sie wieder als groe Knstlerin gefeiert, mit Auszeichnungen berschttet, in die West-Ber-liner Akademie der Knste aufgenommen. Eine Grundschule in Berlin-Frohnau wird nach ihr be-nannt. Doch die Knstlerin scheint das Interesse am gesellschaftlichen und knstlerischen Leben verloren zu haben. Die meiste Zeit verbringt sie in ihrer kleinen Wohnung in der Innsbrucker Strae 23, die sie mit ihrer Haushlterin und Lebensge-fhrtin Magdalena Goldmann teilt. Rene Sinte-nis stirbt am 22. Mrz 1965.

    M u t t e r d e r M u l t i p l e s

    Lange Zeit war es um Rene Sintenis still gewor-den. Ihre letzte groe Ausstellung fand 1984 im Georg-Kolbe-Museum statt. Nun ist dort Rene Sintenis Kunst wieder zu sehen. Das ist gut so, denn man kann sich berzeugen, dass sie nicht nur drollige Wesen in die Welt setzte. Die aus ber einhundert Exponaten bestehende Schau zeigt die Vielfalt der Sintenis, ihr handwerkliches Knnen, und ihren przisen Blick. Ihre filigranen, kleinen und groen Plastiken: Tnzerinnen, Kna-

    ben, Tiere und Sportler sind an Dynamik kaum zu bertreffen, sie sind eingefrorene, doch pulsie-rende Bewegung. In flachen schwarz gepolsterten Vitrinen stehen verschiedene Figurengruppen, die vorfhren, dass Rene Sintensis als Mutter der Multiples betrachtet werden kann. Beein-druckend sind auch ihre Zeichnungen, wo sie mit einigen wenigen Strichen das Wesen von Mensch und Tier erfasst. Ihre strksten Arbeiten sind, ne-ben der berlebensgroen Skulptur Daphne (1930), die Bsten und Masken, die sie fr ihre Freunde schuf. Ihre eigenen Masken aus Bronze oder Keramik zeigen ihr Gesicht im Wandel der Zeit. Doch in dieser Ausstellung sehen wir nicht nur die Welt aus der Sicht von Rene Sintenis. Auch die Sicht der anderen auf die Knstlerin mit den markanten Gesichtszgen wird gezeigt. Dazu gehren Bilder ihres Mannes Emil Rudolf Wei, der sie gern in huslicher Umgebung malte, fer-ner zahlreiche Fotos, die versuchen, einer seltsam entrckten Frau nherzukommen, was aber sel-ten gelingt. Auf den meisten dieser Portrts, auch auf denen, die von unbestrittenen Meisterinnen der Fotografie wie Frieda Ries und Kthe Aug-stein stammen, wirkt Renes Konterfei wie eine Maske. Eine seltene Symbiose zwischen Leben und Kunst.

    02

    03

    04

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 201418 | TAUFRISCH & ANGESAGT B re n n p u n k t

    Kein Recht auf GesundheitDie Berliner Stadtmission hat eine neue Wohnungslosen-Ambulanz erffnet, in der auch nicht krankenversicherte EU-Brger behandelt werden. Finanzielle Untersttzung gibt es keine vom Senat fr ihn sind obdachlose EU-Brger nicht anspruchsberechtigt. B E R I C H T & F O T O S : J u t t a H .

    Der erste Patient, der an diesem Nachmittag in die Ambulanz kommt, ist ein 37jhriger, grauhaa-riger Mann aus Tschechien, der einen Gehwa-gen vor sich her schiebt. Er stellt sich mit Pa-wel vor, und man fragt sich mal wieder, warum

    Wohnungslose wie selbstverstndlich nur Vornamen zu haben scheinen. Pawel kommt zum Verbandwechsel. Er ist bereits ein bekanntes Gesicht in der Praxis. In eingespielter Teamarbeit wechseln rztin Jutta Herbst-Oehme und Krankenschwes-ter Navina Sarma den Verband am linken Unterschenkel des wohnungslosen Patienten. Die Wunde sieht schon viel besser aus, lautet das einhellige Urteil der beiden Frauen. Pawel hat eine seltene, schwere Hauterkrankung, die ohne medizinische Behandlung eine Amputation des Beines erforderlich gemacht htte. Hier in der Praxis erhlt er Antibiotika und Schmerz-mittel, auch der Gehwagen stammt von der Stadtmission. Mit einer Medikamentenbox in der Hand und einem dankbaren Strahlen im Gesicht verlsst Pawel die Ambulanz.

    U n m i t t e l b a re N h e z u r N o t b e r n a c h t u n g

    Mitte Dezember hat die Ambulanz der Berliner Stadtmission in der Lehrter Strae ihre Arbeit aufgenommen. Die Praxis liegt ebenerdig, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Notun-terkunft der Stadtmission, in der tglich deutlich ber 100 Wohnungslose bernachten. Die Rume der Praxis sind hell und freundlich, es gibt hier ein Wartezimmer, zwei kleine Be-handlungsrume, ein Bad mit Dusche und Toilette. Sprechzei-ten sind am Dienstagnachmittag und Freitagmorgen. Leiterin ist die Internistin Jutta Herbst-Oehme, die bereits seit vielen Jahren in der abend- und nchtlichen medizinischen Versor-gung der wohnungslosen Gste in der angrenzenden Notun-terkunft ttig ist. Herbst-Oehme hat eine eigene Arztpraxis in Zehlendorf, fr die Wohnungslosen der Stadtmission ist sie ehrenamtlich ttig. Auer von ihr werden die Sprechzeiten der Ambulanz von zwei weiteren rzten abgedeckt. Zudem sorgt die fest angestellte Krankenschwester Navina Sarma fr Kontinuitt im medizinischen Team.

    An diesem Nachmittag sind viele Menschen aus den stlichen EU-Beitrittstaaten aus-schlielich Mnner unter den Patienten. Die wenigsten, die zu uns in die Praxis oder zur me-dizinischen Versorgung in die Notbernachtung kommen, sind Deutsche, sagt Krankenschwes-ter Navina Sarma. Die meisten Patienten kmen aus Polen, viele auch aus Rumnien und Bulga-rien. rztin Herbst-Oehme ergnzt, ihrer Ein-schtzung nach seien 2012 zu etwa 80 Prozent Menschen aus den EU-Beitrittslndern und zu 20 Prozent Deutsche zu ihnen in die Behandlung gekommen. Sie habe aber den Eindruck, dass 2013 die Zahl der deutschen Patienten wieder etwas angestiegen sei.

    K e i n e K r a n ke n v e r s i c h e r u n g

    Auch und insbesondere fr sogenannte neue Unionsbrger mchte die neu erffnete Ambu-lanz da sein. Fr diejenigen, die hier vor Jahren ein besseres Leben gesucht haben und obdach-los geworden sind. Es sind diejenigen, die lngst die weitaus grte Gruppe der Hilfesuchenden in Notunterknften, Suppenkchen und Wr-mestuben in der Hauptstadt ausmachen. Anders als es der von CSU-Politikern als Schreckensge-spenst verwendete Begriff des Sozialtourismus suggeriert, haben EU- Zuwanderer, die hier nicht arbeiten, per se keinen Anspruch auf soziale Zu-wendungen. Zudem sind EU-Brger, die sich in Deutschland in der Obdachlosigkeit durchschla-gen, in aller Regel nicht krankenversichert. Es sind diejenigen, die im Jargon des Berliner Senats als nicht anspruchsberechtigt gelten.

    Vor zehn Jahren lag der Anteil derjenigen Gste in unserer Notbernachtung in der Lehrter Strae, die einen Hilfeanspruch auf soziale Leis-

    Teamarbeit: Krankenschwester Navina Sarma und rztin Jutta Herbst-Oehme

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 2014 TAUFRISCH & ANGESAGT | 19 B re n n p u n k t

    tungen hatten, bei 75 Prozent, das heit, diese Leute htten wir in eingliedernde Hilfestruktu-ren weitervermitteln knnen bzw. wir haben sie weitervermittelt. Heute liegt der Anteil der Men-schen mit Hilfeanspruch bei 25 Prozent, sagt Ulrich Neugebauer, Leiter der Kltehilfe der Ber-liner Stadtmission und zentraler Initiator der me-dizinischen Ambulanz. Keinen Hilfeanspruch zu haben, das bedeutet fr viele EU-Obdachlose ein berleben in den Einrichtungen der Wohnungs-losenhilfe, eine Existenz zwischen Pfandflaschen-sammeln und Alkoholkonsum. Viele sind nach Jahren auf der Strae inzwischen zu schwach, Arbeit zu suchen oder Arbeit suchen zu wollen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie hier wieder auf die Beine kommen, ist gering. Eine Suchtthera-pie, ein Platz in einem Obdachlosenheim steht ihnen nicht zu - und keine Krankenversicherung. Ihnen zumindest die ntigste medizinische Ver-sorgung zukommen zu lassen, sieht Neugebauer im Selbstverstndnis der Berliner Stadtmission verwurzelt. Jeder soll Hilfe bekommen, sagt Neugebauer.

    A n e r ke n n u n g d e r W i r k l i c h ke i t

    Um finanzielle Mittel hat die Stadtmission im Vorfeld der Erffnung der Ambulanz nicht beim Senat geworben. Man hat sich gleich anderweitig umgesehen, hat die Firma Vattenfall fr die Fi-nanzierung der Renovierung der Rumlichkeiten gewonnen, die Deutsche Bahn fr weitere Zu-schsse. Bei frheren Gesprchen mit der Senats-verwaltung fr Soziales sei den Vertretern der Stadtmission klar geworden, dass es im Moment politisch nicht gewollt sei, Zuwendungen fr die Gruppe der sogenannten nicht Anspruchsbe-rechtigten zu leisten. Dabei habe man durchaus

    in den letzten Jahren Vernderungen in der Hal-tung der politisch Verantwortlichen wahrgenom-men. Vor zehn Jahren habe man noch mit den Zahlen von in den Notunterknften bernach-tenden EU-Brgern hinter dem Berg halten ms-sen. Heute sei das viel entspannter geworden. Man msse heute nicht mehr um eine Mittelkr-zung frchten. Inzwischen sehen die im Senat, dass die Wirklichkeit uns eingeholt hat.

    Ein Grundrecht auf medizinische Versor-gung auch fr nicht krankenversicherte EU-Brger sieht der Senat indes nicht. Diejenigen Berliner Wohnungslosenambulanzen, die Zu-wendungen erhalten, drfen nur deutsche Woh-nungslose behandeln. Weil man das nicht wollte, haben die Verantwortlichen der Caritas-Ambu-lanz am Zoo der Streichung der Zuwendungen durch den Senat ab 2012 zugestimmt. Auer-halb des Hilfesystems fr Wohnungslose sind

    Krankenhuser verpflichtet, im Notfall Patienten auch bei nicht vorliegender Versicherung zu behandeln. Neugebauer bleibt gelassen. Man msse manchmal zunchst eigenstndig Hilfe-projekte anschieben, um von der Notwendigkeit der Hilfeleistung berzeugen zu knnen.

    Am Abend kommt ein junger Mann aus Lettland in die Praxis. Jutta Herbst-Oehme kennt ihn bereits, sie verstndigt sich in englischer Sprache mit ihm. Der Mann hat einen Virusin-fekt, berichtet aber auch, dass er HIV-positiv sei. Da die Erkrankung nicht als Notfall gilt, stehen ihm in Deutschland keine Medikamente dage-gen zu. Auch die Ambulanz verfgt ber keine Aids-Medikamente, die sehr teuer sind. Herbst-Oehme will herumtelefonieren, sich erkundigen. Sie ist inzwischen gebt darin, Krankenhuser und Arztpraxen fr unbrokratische Hilfe fr ihre Schtzlinge zu gewinnen.

    Erffnung mit Prominenz: (von li nach rechts:) Deutsche-Bahn-Chef Rdiger Grube, Hanz-Georg Filker (Berliner Stadtmission), Jutta Herbst-Oehme (Leitende rztin), Eckart von Hirschhausen (Schirmherr der Ambulanz), Wolf-Dietrich Kunze (Vattenfall Europe)

    Verbandwechsel: Medizinische Versorgung auch fr Wohnungslose

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 201420 | TAUFRISCH & ANGESAGT S o z i a l

    I N FO S

    www.strassenfeger.org

    www.onewarmwinter.org

    www.friendswbenefits.de

    www.dojofuckingyeah.de

    One Warm Winter startet wieder durchKleiderausgabe am Bahnhof Zoo & Das Leben ist kein U-Bahnhof-Benefiz-Party im Bi NuuB E R I C H T : A n d r e a s D l l i c k

    Jetzt hat er uns wieder der Winter. Viele ha-ben mit diesem pltzlichen Wintereinbruch schon gar nicht mehr gerechnet. Eis und Schnee, klirrender Frost da wird es wie-der hchste Zeit fr unsere Hilfekampagne

    One Warm Winter! Die soziale Straenzeitung strassenfeger,

    die Kreuzberger Werbeagentur DOJO und deren Treuhandstiftung Friends with Benefits haben dafr im vergangenen Jahr viele Spenden eingesammelt und ber das ganze Jahr verteilt von diesem Geld warme Kleidung und mehr gekauft und immer wieder an obdachlose Men-schen verteilt. Von den Ausgabeterminen gab es immer auch Berichte im strassenfeger. In den nchsten Tagen und Wochen werden wir wie-der jede Menge warme Jacken, Strmpfe, Ther-mounterwsche, Schals, Handschuhe, Mtzen und Schlafscke am Bahnhof Zoo ausgeben.

    D a s L e b e n i s t ke i n U - B a h n h o f -B e n e f i z - Pa r t y i m B i N u u

    Am 8. Februar ist es wieder soweit: Dann steigt im Klub Bi Nuu im U-Bhf Schlesisches Tor wieder die Benefiz-Party Das Leben ist kein U-Bahnhof. Ganz sicher mit an Bord in diesem Jahr: Der grandiose MC Fitti, Soulmind, Visa Vie, der Fotgraf Oliver Rath, Max Busch-feld, Very Special Guests.

    Der Eintritt betrgt zehn Euro. Rechtzeiti-ges Erscheinen sichert die besten Pltze. Im ver-gangenen Jahr war es brigens so brechend voll, dass viele Gste selbst bei klirrender Klte noch weit nach Mitternacht am Einlass drngelten, um reinzukommen. Und das zu Recht: Denn die Be-nefizparty war ganz sicher eine der lssigsten und krassesten Partys in dieser Stadt in 2013!

    brigens: Wie jedes Jahr, knnen und sol-len natrlich Kleidung, Decken und Schlafscke am Eingang abgegeben werden, die der Aktion One Warm Winter zugute kommen. Wichtig ist dabei, dass sich die Sachen in einem guten Zustand befinden.

    Mehr drfen wir im Moment noch nicht ver-raten, aber da geht noch wesentlich mehr!!!Wer das verpasst, ist selber schuld!!!

    Auch Palina untersttzt wieder die Kampagne! (Foto: www.friendswithbenefits.de)

  • strassenfeger | Nr. 2 | Januar 2014 TAUFRISCH & ANGESAGT | 21 k a f fe e | b a n k ro t t

    kaffee | bankrott geht unter WasserApnoe-Tauchen im SelbstversuchR E P O R T : G u i d o F a h r e n d h o l z

    Es ist schon ein paar Jahre her, da begeis-terte mich der Film Luc Bessons Im Rausch der Tiefe ganz auerordent-lich. In einer Schlsselszene sprangen Jean Reno und Jean-Marc Barr, Darsteller zweier Apnoe-Taucher und die Protagonisten des Films, ohne jegliche Vorbereitung und im Anzug in ei-nen Pool und blieben bis zur Bewusstlosigkeit unter Wasser. Bis dahin vergingen aber etliche Minuten. Ob das mglich ist, diese Frage stellte ich vor geraumer Zeit dem Leiter des Apnea-College Berlin, Daniel Weihoff, live in unse-rem Radiostudio. Neben vielen interessanten Informationen zum Freitauchen ohne Atemhil-fen und den unterschiedlichen Disziplinen gab es eine Aussage Daniels, die mich Tage, Wochen und Monate beschftigte: Am ersten Trainings-tag bekomme ich Jeden, der sich darauf einlassen kann, beigebracht, zwei Minuten unter Wasser zu bleiben! Einige schaffen sogar drei. Nachzu-hren unter www.apnea-college-berlin.de/2011/07/interview-

    im-radio.

    Irgendwann stand dann auch mein Ent-schluss fest: Ich nehme Daniel beim Wort und wage den Selbstversuch. Mit Folgendem hatte ich allerdings nicht gerechnet. Als ich meinem lang-jhrigen Freund, Kollegen, und Aufnahmeleiter und Produzent der TV-Sendung kaffeebankrott, Oliver Spinedi, davon erzhlte, war seine Ant-wort unmissverstndlich: Da sind wir dann aber mit der Kamera dabei! Ja klar, er wollte, dass

    mir ein Kamera-Team mit vollem Besteck in die Halle und ins Wasser folgt. Lange bitten musste er mich nicht. So sah ich mich dann kurz darauf beim Yoga, bei Atem- und Entspannungsbungen sowie spter auch unter Wasser stndig von drei Kameras und einer Ton-Angel umringt.

    Ta u c h e n b e g i n n t a n L a n d

    Zuerst wies mich Daniel mit unterschiedlichen bungen in die richtige Atmung vor einem Tauch-gang ein. Dazu musste ich mich erst mal dehnen, um dabei die volle Kapazitt meiner Lungen zu erkennen. Schon allein das war ein unvergess-liches Erlebnis, zu spren, dass da immer noch was rein geht. Dafr nahmen wir uns etwa 20 Minuten Zeit. Es folgte eine ausgiebige Pause zur Vorbereitung auf den Tauchgang mit Duschen und dem Anlegen des Neoprenanzugs. Im Was-ser drehte sich dann ebenfalls erst einmal alles wieder um Entspannung, Atmung und Wahrneh-mung, bevor es dann endlich ernst wurde.

    E s g e h t d o c h

    Nach etwa 50 Minuten Training wurde, ohne es mir mitzuteilen, der kontrollierte finale Tauch-gang angegangen. Wieder legte ich mich rcklings auf die Wasseroberflche, atmete ruhig und tief, sprte meinen Puls und drehte mich irgendwann um. Als ich wieder auftauchte, hatte ich keine Ah-

    nung, wie lange der Tauchgang gedauert hatte. Auf Daniels Frage, wie es mir geht, antwortete ich ein-fach nur: Gut, schtze mal, das waren etwa 1:20 min. Daniel zeigte mir die Stoppuhr. Es waren 2:15 Minuten. Mit einem Mal waren wirklich alle an den Kameras, am Mikrofon, Daniel Weihoff und ich selbst komplett aus dem Huschen. Ich hatte es wirklich nicht fr mglich gehalten.

    N a c h b e t r a c h t u n g

    In seinem Apnoe-Blog schrieb Daniel ber diesen Abend: Nach einem kleinen Entspannungsaus-flug haben wir uns ins Neopren gehllt und sind ins Wasser gegangen. Wir haben verschiedene Masken und Nasenklammern ausprobiert und das Abtauchen aus verschiedenen Lagen gebt. Anschlieend hat Guido vier Tauchgnge durch-gefhrt. Jeder lnger als der vorhergehende. Man konnte zusehen, wie ihn der Spa ergriff, aber auch, dass er durch die Kameras nicht sein gan-zes Potenzial ausschpfen konnte.

    Aber etwas anderes bewegt mich genau so intensiv. Wir sind ein tolles und rein ehrenamt-lich arbeitendes TV-Team. Und es macht un-glaublichen Spa, mit und unter Freunden zu arbeiten. Danke Leute.

    Die laufenden Bilder sind in wenigen Tagen in kaffeebankrott das Magazin im Programm von ALEX zu sehen. Nhere Informationen dazu gibts unter www.alex-berlin.de

    Immer an Guidos Seite ist Ausbilder Daniel Weihoff (Quelle: Guido Fahrendholz)

  • 01

    02 04

    strassenfeger | Nr. 2 | Januar 201422 | TAUFRISCH & ANGESAGT K u l t u r t i p p s

    Skurril, famos und preiswert!Kulturtipps aus unserer RedaktionZ U S A M M E N S T E L L U N G : L a u r a

    01 THEATER

    Der talentierte Mr. RipleyTom Ripley ist arm, arbeitslos und sehr schchtern. Seine besonderen Talente sind das Flschen von Unterschriften und das Nachahmen anderer Personen. Deshalb kommt das Angebot des Werftbesitzers Herbert Greenleaf gerade richtig: Ripley erhlt eine bezahlte Reise nach Italien, Spesen und eine grozgige Belohnung, wenn es ihm gelingt, seinen Sohn Dickie, der an der italienischen Kste das se Leben geniet, zurckzuholen. Ripley reist nach Italien und freundet sich mit Dickie und dessen Verlobter Marge an. Der schchterne Tom ist fasziniert von dem charismatischen Lebemann. Bald schlgt Ripleys Faszination fr Dickie in das Gegenteil um. Er bringt Dickie um und nimmt dessen Identitt an.

    Am 5.2., um 20 Uhr, Eintritt: 14 EuroTickets: Per Telefon unter 030 890023 und per E-Mail unter [email protected]

    Schaubhne Kurfrstendamm 15310709 Berlin

    Info: www.schaubuehne.de Bild: Gianmarco Bresadola

    03 MUSIK

    SongslamSongslam das ist nicht aus-schlielich musikalische Unterhal-tung fr Zuschauer, sondern auch ein Wettbewerb, in dem neun Songwriter gegeneinander antreten. Eine Publikumsjury benotet die Leistungen auf dem Instrument und von der Stimme der Teilneh-mer. Die ersten drei Gewinner erhalten Ehre, Ruhm, Schnaps und eine Tte Rachengold. Moderiert wird die Veranstaltung von den Poetryslammern Tilmann Birr und Paul Bokowski. Wer sich selbst dem Wettbewerb stellen mchte, kann sich unter der E-Mailadresse [email protected] anmelden.

    Am 6.2. um 20.30 Uhr, Eintritt: 6

    Saalbau NeukllnHeimathafenKarl-Marx-Str. 14112043 Berlin

    Info & Bild: www.heimathafen- neukoelln.de

    04 AUSSTELLUNG

    StichprobeStichprobe heit die Ausstellung von Comic-Kunst der vier zeitgens-sischen finnischen Comiczeichner Mari Ahokoivu, Hanneriina Moisseinen, Petteri Tikkanen und Marko Turunen. Zu sehen ist die Ausstellung zurzeit im Finnland-Institut. Die Knstler zeigen auergewhnliche Formen grafi-schen Erzhlens und reizen dabei die Grenzen der neunten Kunst aus: Alle vier sind anerkannte Knstler in ihrem Heimatland, die selbst Comiczeichnen unterrichten und Trger verschiedener Kunst-preise sind. Die Finissage der Ausstellung gibts am 5. Februar zwischen 19 und 21 Uhr.

    Noch bis zum 5.2. - Eintritt frei!Montag von 10 Uhr bis 17 Uhr, Diens-tag bis Donnerstag von 11 Uhr bis 19 Uhr, Freitag von 9 Uhr bis 15 Uhr

    Finnland-InstitutGeorgenstr. 24 10117 Berlin

    Info: www.finnland-institut.de Bild: www.finnishcomics.info

    02 KINDER & JUGENDLICHE

    Theaterstck aneinander vorbeiIm Stck aneinander vorbei im Grips Podewil geht es um Begegnungen zwischen Kindern und Erwachsenen, die manchmal aneinander vorbeilaufen knnen. Dabei entste-hen interessante Geschichten, wenn es darum geht, sich morgens in aller Eiligkeit anzuziehen oder sich am Abend fr das Bett fertig zu machen. Anziehen, Essen oder Haarekmmen knnen zu Streitereien fhren, wenn die Wnsche der Beteiligten unterschiedlich sind. Aber es gibt auch schne Momente mit Lachen, Tanzen und Aneinan-dersein. Im Anschluss an das Stck drfen die Kinder auf die Bhne kommen und diese erforschen. Geeignet fr Kinder ab zwei Jahren.

    Am 6.2. & am 7.2., um 10 Uhr, Eintritt: sieben - zehn EuroTicketvorbestellung: 030 - 397474 - 0

    Grips PodewilKlosterstrae 6810179 Berlin

    Info & Bild: www.grips-theater.de

  • 05 07

    VORSCHLAGENSie haben da einen Tipp? Dann

    senden Sie ihn uns an:[email protected]

    Je skurriler, famoser und preiswerter, desto besser!

    strassenfeger | Nr. 2 | Januar 2014 TAUFRISCH & ANGESAGT | 23 K u l t u r t i p p s

    05 F ILM

    Hanna Schygulla TraumprotokolleHanna Schygulla wurde durch die Fassbinder-Filme Die Ehe der Maria Braun und Lili Marleen international bekannt. Weniger bekannt ist vielleicht, dass sie selbst nicht nur als Schauspielerin gewirkt, sondern eigene Kurzfilme gedreht und darin mitgespielt hat. Ihre Videos sind unter dem Titel Traumprotokolle verffentlicht worden und sind in der Akademie der Knste in eigenen Filmprsentationen zu sehen. Die erste Prsentation findet am 31.1. um 19 Uhr statt. Bei zwei Vorfhrungen wird Hanna Schygulla zugegen sein, so wie jeweils ein Gesprchspartner: Andres Veiel wird am 25.2. bei der Prsentation sein und Max Moor am 6.3.

    Vom 31.1. bis zum 30.3., von Dienstag bis Sonntag von 11 Uhr bis 19 UhrEintritt: fnf Euro/ ermigt: drei EuroBis 18 Jahre und dienstags von 15 Uhr bis 19 Uhr freier Eintritt

    Akademie der KnstePariser Platz 410117 Berlin

    Info & Bild: www.adk.de

    06 W ORKSHOP

    Apps selber machenApps sind ntzliche kleine Programme, die den Weg weisen, Gre versenden und Fotos teilen knnen. Das ntige Wissen, um eine kleine App selbst erstellen zu knnen, vermittelt der Workshop Medien- und Kommunikationsdesign Mobile Apps zum Selbermachen. Dabei werden erste Ideen auf Papier skizziert und kleine, klickbare Prototypen entwi-ckelt. Wer die App am Ende des Workshops nicht fertigstellen konnte, kann sie nachtrglich noch bearbeiten. Der Workshopleiter gibt dazu Tipps fr kostenlose, ntzliche Werkzeuge, die im Internet gefunden werden knnen. Fr diesen Workshop brauchen Teilnehmer kein Vorwis-sen, aber die Bereitschaft vieles auszuprobieren.

    Am 4.2. und 5.2., von 12 Uhr bis 16 Uhr, Eintritt frei!Anmeldung: Per Onlineformular unter www.macromedia-fachhochschule.de

    Macromedia Hochschule fr Medien und KommunikationMehringdamm 332. Gebude 10961 Berlin

    Info & Bild: www.macromedia-fachhochschule.de

    07 KABARETT

    Wie geschmiertUnzhlige Lobbyisten sieben sich durch die kufliche Politik und werden fndig. Sie sind wie Geheimagenten, die keiner sieht und keiner hrt. Doch ohne sie luft nichts. Mit investigativem Sprsinn schleusen sich die Kabarettisten in ein Treffen der Strippenzieher in einem Szene-Italiener direkt in der Friedrichstrae. Dort brsten sich die Lobbyis-ten wie sie die