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Komplexe Wahrnehmungstherapie im Spannungsfeld der Disziplinwissenschaften Berchtold, Seite 1 von 39 Über die Komplexe Wahrnehmungstherapie von DDr. Bánffy im Spannungsfeld der Disziplinwissenschaften (Gerhard Berchtold, PGDipEDM, MA, MBA, PhD; Reha-Stätten DDr. Bánffy, 2004) 1. Einführung Verschiedene Therapie- und Behandlungsformen zielen auf die Heilung oder Rehabilitation von autistischen, entwicklungsgehemmten, verhaltens- oder wahrnehmungsgestörten Menschen, insbesondere im Rahmen der Frühförderung von Kindern und Jugendlichen, ab. Diese Therapien finden ihren Ausgangspunkt zumeist in der Disziplinwissenschaft, der ihre Vertreter und Verfechter angehören. Die Kinder- und Jugendtherapien berühren daher die Zweige der klinisch-psychologischen Diagnostik und Therapie, der Psychotherapie, der Kinderheilkunde, der Kinder- und Jugendneurologie und –psychiatrie sowie der erziehungswissenschaftlichen Heilpädagogik; wobei auch ein erziehungswissenschaftliches Spannungsfeld errichtet wurde zwischen der Heilung und der Integration. Frau DDr. Eszter-Gabriella Bánffy (2003) berichtet, sie führe in ihren Rehabilitationsstätten seit nunmehr 1988 komplexe Wahrnehmungstherapien im Ausmaß von zehn Therapieeinheiten pro Tag bei wahrnehmungsgestörten und psychisch und motorisch beeinträchtigten Kindern aus verschiedenen Ländern Europas (Österreich, Ungarn, Deutschland, Italien, Schweiz) durch, wobei jedes Kind beschrieben und jede Einheit protokolliert wird. Damit steht den Rehabilitationsstätten ein schriftlich festgehaltener Überblick bzw. Querschnitt zum Entwicklungsverlauf jedes einzelnen Kindes von über fünfzehn Jahren (Anm.: im Jahr 2003) als ein exaktes und ausgezeichnetes Instrument zur Bestimmung von Erfolg und Qualität zur Verfügung. Hackenberg (2001b) stellt fest, dass die Rehabilitationsstätten DDr. Bánffy ohne Einschränkung für entwicklungsgestörte Kinder und Jugendliche geeignet sind, und hofft, „zum Weiterbestand dieser besonderen Institution betragen zu können“. Elkind (1992) zufolge ist der Begriff der Kindheit, der für unsere Lebensweise so bedeutsam war, in der Gesellschaft, die wir geschaffen haben, vom Aussterben bedroht, indem das Kind zu einem unfreiwilligen und unbeabsichtigten Opfer von überwältigendem Stress infolge rapiden, verwirrenden gesellschaftlichen Wandels und durch ständig steigende gesellschaftliche Erwartungen geworden sei; dabei beginnt der Druck, schnell erwachsen zu werden, der heute auf Kinder ausgeübt wird, schon in den ersten Lebensjahren - während der Druck, schnell erwachsen zu werden, also die negativen Folgen des Hetzens, gewöhnlich in der Pubertät in Form von Widerspruch zu institutionellen Verboten deutlich wird. Kiphard (1980) postuliert, in den letzten Jahrzehnten hätten sich bemerkenswerte gesellschaftliche Veränderungen vollzogen, die an unseren Kindern nicht spurlos vorübergegangen seien; sensorische Reizüberflutung und schulischer Dauerstreß mit

Über die Komplexe Wahrnehmungstherapie von DDr. … · muß das Kind ihr Wirken erfassen; ... so viele taktile, ... Individuums mit der Umwelt und wird auf Grund dieser Tatsache

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Komplexe Wahrnehmungstherapie im Spannungsfeld der Disziplinwissenschaften

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Über die Komplexe Wahrnehmungstherapie von DDr. Bánffyim Spannungsfeld der Disziplinwissenschaften

(Gerhard Berchtold, PGDipEDM, MA, MBA, PhD; Reha-Stätten DDr. Bánffy, 2004)

1. Einführung

Verschiedene Therapie- und Behandlungsformen zielen auf die Heilung oder Rehabilitationvon autistischen, entwicklungsgehemmten, verhaltens- oder wahrnehmungsgestörtenMenschen, insbesondere im Rahmen der Frühförderung von Kindern und Jugendlichen, ab.Diese Therapien finden ihren Ausgangspunkt zumeist in der Disziplinwissenschaft, der ihreVertreter und Verfechter angehören. Die Kinder- und Jugendtherapien berühren daher dieZweige der klinisch-psychologischen Diagnostik und Therapie, der Psychotherapie, derKinderheilkunde, der Kinder- und Jugendneurologie und –psychiatrie sowie dererziehungswissenschaftlichen Heilpädagogik; wobei auch ein erziehungswissenschaftlichesSpannungsfeld errichtet wurde zwischen der Heilung und der Integration.

Frau DDr. Eszter-Gabriella Bánffy (2003) berichtet, sie führe in ihren Rehabilitationsstättenseit nunmehr 1988 komplexe Wahrnehmungstherapien im Ausmaß von zehnTherapieeinheiten pro Tag bei wahrnehmungsgestörten und psychisch und motorischbeeinträchtigten Kindern aus verschiedenen Ländern Europas (Österreich, Ungarn,Deutschland, Italien, Schweiz) durch, wobei jedes Kind beschrieben und jede Einheitprotokolliert wird. Damit steht den Rehabilitationsstätten ein schriftlich festgehaltenerÜberblick bzw. Querschnitt zum Entwicklungsverlauf jedes einzelnen Kindes von überfünfzehn Jahren (Anm.: im Jahr 2003) als ein exaktes und ausgezeichnetes Instrument zurBestimmung von Erfolg und Qualität zur Verfügung.

Hackenberg (2001b) stellt fest, dass die Rehabilitationsstätten DDr. Bánffy ohneEinschränkung für entwicklungsgestörte Kinder und Jugendliche geeignet sind, und hofft,„zum Weiterbestand dieser besonderen Institution betragen zu können“.

Elkind (1992) zufolge ist der Begriff der Kindheit, der für unsere Lebensweise so bedeutsamwar, in der Gesellschaft, die wir geschaffen haben, vom Aussterben bedroht, indem das Kindzu einem unfreiwilligen und unbeabsichtigten Opfer von überwältigendem Stress infolgerapiden, verwirrenden gesellschaftlichen Wandels und durch ständig steigendegesellschaftliche Erwartungen geworden sei; dabei beginnt der Druck, schnell erwachsen zuwerden, der heute auf Kinder ausgeübt wird, schon in den ersten Lebensjahren - während derDruck, schnell erwachsen zu werden, also die negativen Folgen des Hetzens, gewöhnlich inder Pubertät in Form von Widerspruch zu institutionellen Verboten deutlich wird.

Kiphard (1980) postuliert, in den letzten Jahrzehnten hätten sich bemerkenswertegesellschaftliche Veränderungen vollzogen, die an unseren Kindern nicht spurlosvorübergegangen seien; sensorische Reizüberflutung und schulischer Dauerstreß mit

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überhöhten geistigen Lernanforderungen hätten zu pathogenen Lernbelastungen geführt, dabeikämen im Gesamtprozeß der Persönlichkeitsentwicklung emotionale und soziale Werte zukurz. Die Zeit für zweckfreies Spiel und schöpferische Muße sei zu knapp, der Bewegungs-und Aktionsraum zu klein geworden; so komme es zu psychomotorischen Erregungs- undGefühlsstauungen, deren Bedürfnisspannung sich bis ins Unerträgliche stauen könne, derenFolgen erhöhte Ablenkbarkeit, Reizbarkeit, Überaktivität und Bewegungsunruhe mit Neigungzu aggressiven Kurzschlußreaktionen seien. Durch solche wenig kindgemäßenEntwicklungsbedingungen sei in unserer Gesellschaft die Zahl der Verhaltensgestörten inkürzester Zeit enorm angestiegen; wodurch für die pädagogisch Verantwortlichen dieVerpflichtung erwachse, sich über die täglichen Erziehungsaufgaben hinausgesellschaftspolitisch für kindgemäßere Umweltbedingungen einzusetzen.

Kiphard (1980, S. 7) schlußfolgert: „Da jede grundlegende Veränderung stets im Kleinenbeginnt, sollten aber auch die Chancen des pädagogischen Alltags ausgeschöpft werden. Eineder kindgerechtesten Möglichkeiten zu einer ausgleichenden Persönlichkeitserziehung ist dieder psychomotorischen Handlungserziehung über lustvolle Bewegungs- undSozialerfahrungen.“

2. Einführung in die psychologische Wahrnehmungstheorie

„Ich bin der Meinung, dass das komplexe Wahrnehmungssystem die Grundlage und dieBedingung der Kommunikation ist. Ist die Kommunikation beeinträchtigt, dann ist dasWahrnehmungssystem zu durchleuchten und zu verbessern.“ (DDr. Bánffy, 2004)

Für Bánffy (2003) setzt jede Kommunikation eine weitreichende komplexe Wahrnehmungvoraus; wobei psychisch kranke Menschen auf Grund ihrer Krankheit über eineeingeschränkte Kommunikation, die die Außenwelt als Leinwand zahlreicher Verzerrungenbetrifft, verfügen. Nach Bánffy (2003) haben alle psychischen KrankheitenErscheinungsbilder spezieller Kommunikationsformen.

Die Wahrnehmung des eigenen Körpers und das Verfügen über fein- und grobmotorischeKompetenzen sind im Rahmen der sensomotorischen Entwicklung nach Piaget (1969, 1974,zit. in Fischer, 1998) für jegliche Lernprozesse von entscheidender Bedeutung.

Der Brockhaus (1973) definiert Wahrnehmung als das Aufnehmen von Eindrücken mit Hilfeder Sinnesorgane. Während Inhalte mit räumlichen und zeitlichen Beziehungen schon dasTier aufnimmt, kann Wahrnehmung als beschreibbare Erlebnisse nur beim Menschennachgewiesen werden.

Zimmer (1995, S. 15) zufolge sind die Sinne „unsere Antennen, über die wir mit der Umweltkommunizieren. Durch sie nehmen wir Kontakt mit der Umwelt auf, über die Sinne lassen wirdie Umwelt in uns hinein. Sie sind die Nahtstelle zwischen innen und außen, zwischen demMenschen und der Welt. Durch die Sinne nehmen wir unsere Umwelt wahr und könnengleichzeitig auf sie einwirken, sie – in bestimmten Grenzen – gestalten. Für Kinder stellt diesinnliche Wahrnehmung den Zugang zur Welt dar. Sie ist die Wurzel jeder Erfahrung, durchdie sie die Welt jeweils für sich wieder neu aufbauen und verstehen können ...Sinneserfahrungen galten bereits in der Antike als Basis jeglichen Lernens ... Wahrnehmen istein aktiver Prozeß, bei dem sich das Kind mit allen Sinnen seine Umwelt aneignet und sichmit ihren Gegebenheiten auseinandersetzt.“

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Kiphard (1983) bezeichnet Wahrnehmung als sensorisch-kognitiv-sozialen Prozeß. Indeminnerhalb der integrativen Gesamtleistung des menschlichen Zentralnervensystems denWahrnehmungsfunktionen eine Schlüsselstellung zufalle, in dessen Rahmen der komplizierteKommunikationsprozeß von Informationsaufnahme, kognitiven Informationsverarbeitung alseigentlichen Erkenntnis- und Denkprozeß ablaufe.

Wahrnehmung ist für Fischer (1998, S. 130) ein „notwendiger und integraler Bestandteilmenschlichen Handelns als sinnhaftes, mit Bedeutungen durchsetztes Tun und dient derOrientierung in der dinglichen und sozialen Wirklichkeit“.

Ayres (1979) differenziert folgende Sinneswahrnehmungen:• Sehen• Hören• Berührung und Tastempfinden• Propriozeption (Eigenwahrnehmung und Tiefensensibilität)• Gleichgewichtssinn (vestibuläres System)• Viszeraler Input (Informationen aus den inneren Organen und Blutgefäßen)• Empfindungen und das gesamte Gehirn (holistische Ordnung, Verknüpfung)

Fischer (1998, S. 9) stellt fest: „Sich selbst und seine Umwelt wahrnehmen zu können istGrundlage für die Fortbewegung, für Handlungs- und Denkprozesse, fürzwischenmenschliche Kontakte und Verständigung, für den Aufbau von Selbstbewußtseinund –vertrauen und stellt somit eine notwendige Voraussetzung für die Lebensbewältigung inder sozialen und dinglichen Umwelt dar. Dies gilt besonders für Kinder und Jugendliche mitBehinderungen und Entwicklungsbeeinträchtigungen, über die vielfach die Auffassungvertreten wird, daß sie neben allgemeinen Beeinträchtigungen ihrer Lernfähigkeit und inverschiedenen Persönlichkeitsbereichen, also in motorischen, kognitiven, sprachlichen undsozial-emotionalen Leistungen, auch spezifische Sinnes- und Wahrnehmungsschwächen bzw.–störungen aufweisen.“

Affolter (1987) zufolge werden Kinder in eine ihnen unbekannte Welt hineingeboren, das,was berührt, gesehen, gehört, gerochen und geschmeckt würde, sei ihnen zunächst unvertraut;dabei lernen Kinder, daß eine gesehene Umwelt auch eine Umwelt sei, die man aucherspüren, berühren und umfassen könne, wodurch das Kind mannigfaltige Informationen überdie Existenz seines Körpers und dessen Gliedmaßen – in Unterscheidung zur Existenz derWelt um es herum – erfahre und somit die Welt für das Kind zur Umwelt werde.

Die psychologische Wahrnehmungstheorie geht davon aus, dass unsere Sinnesorgane durchReiz und Reaktion physikalisch-chemische Energien in Störungen des biologischenGleichgewichts von Nervenzellen transformieren, die sodann als elektrische Impulse in densensorischen Bahnen zentripetal weitergeleitet werden und schließlich zur Erregungbestimmter Ganglienzellen in der Hirnrinde führen.

Einerseits ist die Welt unserer Wahrnehmung kein getreues Abbild der wirklichenGegebenheiten, andererseits sind die im physiologischen Sinne wirklichenErregungsvorgänge in Neuronen unserem Erleben durchaus fremd; dabei präsentiert dieGestaltpsychologie ein reines Gegenwartsmodell: Was mit den im Cortex einlangendennervösen Impulsen geschieht und wie eine Wahrnehmung ausfällt, hängt allein von demaugenblicklichen Zustand eines Wesens ab.

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Die motivationstheoretische Sicht der Wahrnehmung geht davon aus, dass das Bild derUmwelt jeweils vom Bedarf und Bedürfnis des Wahrnehmenden her akzentuiert wird.

Fischer (1998) bietet eine differenzierte Übersicht über die Wahrnehmungstheorien; erdifferenziert die „elementaristische Wahrnehmungstheorie“ - wonach das Psychische ambesten durch Zerlegung in einzelne Elemente zu erforschen sei und Wahrnehmung dieKoordination elementarer Empfindungen in Vorstellungen und Bildern sei, die dann in höhereBegriffssysteme übergeführt würden – von der Gestalttheorie – derzufolge Gestalten mehr alsdie Summe ihrer Teile seien und von einer ganzheitlich gestalteten Wahrnehmung ausgehe –weiters von der Sozialen Wahrnehmung (social perception) – derzufolge Wahrnehmungsozial bedingt, abhängig von Motiven, (indoktrinierten) Einstellungen, Emotionen undErfahrungen sei – sowie von der Wahrnehmung als sinnliche Widerspiegelung – als höherepsychische Leistung, die nicht eine autonome Bewußtseinsfunktion sei, sondern ein Prozeßder Abbildung der objektiven Realität im Bewußtsein.

Die psychologischen Theorien über die Wahrnehmung stellen zumeist nur Partial-Theoriendar, die einzelnen Teilbereichen angepasst sind und sich nur zum geringsten Teil gegenseitigausschließen bzw. integrieren.

Fischer (1998) differenziert Empfindung, als Baustein der Wahrnehmung, von Perzeption, alsTeilprozeß der Wahrnehmung, der die Bewußtseinsschwelle nicht überschreitet, sowie vonApperzeption, als Erkennungsakt im Wahrnehmungsprozeß durch bewußtes, aktives undkognitives Aufnehmen und Einordnen eines Wahrnehmungsinhaltes in die Gesamtheit desbegrifflich geordneten Erfahrungsbestandes, wobei Einordnen mit Sinnerfassunggleichgesetzt werden könne, indem Sinn- bzw. Bedeutungserfassung auf richtiger Einordnungberuhe.

Affolter (1987, S. 52) postuliert: „Damit die wahrgenommene Umwelt zur Wirklichkeit wird,muß das Kind ihr Wirken erfassen; Wahrnehmen gehört dabei stets dazu. Wirken besteht ausUrsache und Wirkung.“ Nach Affolter (1987) nehmen Kinder wahr und bewirken, sieschaffen Ursachen und beobachten, was daraus entsteht.

Bánffy (2003) zufolge habe der Körper jederzeit Kanäle offen, durch die Sinnesreize mit denSinnesorganen aufgenommen werden, um Erfahrungen zu sammeln, die dann auf neuronalerEbene verarbeitet werden. Mit Hilfe dieser Kanäle habe sich der Mensch daran gewöhnt,Reize aus dem Umfeld in gewohnter Weise aufzunehmen. Zugleich habe der Mensch Kanäle,die nicht oder nur selten verwendet werden, die nicht entwickelt oder verschlossen sind undnichts durchlassen. Jeder Mensch habe ein bestimmtes Verarbeitungssystem, wonach dieReize aus der Umwelt fast immer in derselben Weise aufgenommen und verarbeitet werden.

Ayres (1979) zufolge beeinflusse die Art und Weise, wie sich das sensorische System imRahmen der Evolution gebildet habe, auch heute noch beim Menschen ihre Entwicklung undFunktion. Schulen machen nach Ayres (1979, S. 68) „den Fehler, daß sie versuchen, dieoptischen und akustischen Systeme der Kinder unabhängig von den anderen Sinnesorganen zutrainieren. Die Eltern können diesen Fehler zum Teil wieder korrigieren, indem sie Kindernerlauben, so viele taktile, vestibuläre und propriozeptive Erfahrungen zu machen, wie siewünschen und benötigen.“

Zimmer (1995, S. 32) definiert Wahrnehmung als den „Prozeß der Informationsaufnahme ausUmwelt- und Körperreizen (äußere und innere Wahrnehmung) und der Weiterleitung,Koordination und Verarbeitung dieser Reize im Gehirn. In diesen Prozeß gehen individuelle

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Erfahrungen, Erlebnisse und subjektive Bewertungen ein. In der Regel folgen der Aufnahmeund Verarbeitung von Informationen Reaktionen in der Motorik oder im Verhalten einesMenschen, die wiederum zu neuen Wahrnehmungen führen.“

Bánffy (2003, S. 65) definiert Wahrnehmung als „die Aufnahme, Verarbeitung, Speicherung,Ein- und Zuordnung wie die Beantwortung und Deutung der Reize aus dem Körper. DerKörper selbst empfängt aus der Umwelt bestimmte mechanische Impulse, die er in elektrischeund/oder biochemische umwandelt und so mit Hilfe der neuronalen Verbindungen denVerarbeitungsprozessen zuführt. Er kann selbstverständlich auch selber Reize produzieren.Die Wahrnehmung ist die Grundlage des Lernens und die Grundlage jeder Therapie ... DieWahrnehmung ist ein komplexer Vorgang. Sie ermöglicht die Auseinandersetzung desIndividuums mit der Umwelt und wird auf Grund dieser Tatsache als Grundlage menschlicherBeziehungen und menschlicher Kommunikation betrachtet.“

Nach Katzenberger (1970, zit. in Fischer, 1998, S. 47) ist Wahrnehmung als eine aus externenSinnesdaten und internen Komponenten (Erfahrung, Motivation) bestehende „komplexepsychische Erscheinung, deren Inhalt im Raum lokalisiert wird und dadurch zur Auffassungvon Gegenständen der Außenwelt“ führe; Wahrnehmung sei als komplexer Prozeß alsoEmpfinden plus Beziehen oder Objektivieren.

Bower (1978, S. 9) zufolge ist Wahrnehmung jeder Prozeß, der uns Geschehnisse außerhalbunseres Ichs unmittelbar gewahr werden lasse. Während der Erwachsene nicht nur in einerWelt der Wahrnehmung, sondern auch des Gedächtnisses und des Wissens lebe, fehlen demneugeborenen Baby diese Möglichkeiten. „Es hat nur wenige Erinnerungen undwahrscheinlich keinerlei Zukunftsgedanken. Seine Welt ist eine reine Wahrnehmungswelt.“Bower (1978, S. 89) stellt die „Wahrnehmung in den Gesamtkontext der menschlichenEntwicklung“ und schlußfolgert, das Wahrnehmungssystem erfahre im Laufe derEntwicklung eine zunehmende Spezifizierung, es operiere innerhalb eines beschränktenReizbereichs und gleiche dieses Manko durch wachsende Leistungsfähigkeit und genauereDifferenzierungen aus; dabei verliere die Wahrnehmung an Bedeutung, je älter wir werden.Bower (1978, S. 91) postuliert: „Eine Theorie kann für den Intellekt noch so zwingend sein,:wir fühlen uns wohler, wenn wir einen Beweis für ihre Richtigkeit vor Augen geführtbekommen ... Je mehr wir der Welt der Wahrnehmungen entwachsen, desto mehr sind wirgezwungen, zu primitiven Gewißheiten der Wahrnehmung zurückzukehren.“

Nach Affolter (1987) führe ein langer Weg vom Berühren der Welt zur Wahrnehmung derWelt. Durch Berühren allein sei die Umwelt noch nicht Wirklichkeit geworden; Leben in derWirklichkeit bedinge zum einen ein Wahrnehmen der Umwelt und darüber hinaus ein Wissenum Urache-Wirkungszusammenhänge; als Voraussetzung, die Wirklichkeit so zu verändern,wie sie gewünscht werde.

Brüggebors (1994, S. 67) betrachtet Wahrnehmung von der Meta-Ebene und postuliert, dassinnliche Empfinden sei keine Form des Erkennens von Wirklichkeit und begründetausführlich, warum die Menschheit aus dem Traum erwache, daß unsere Sinne uns Realitätvermitteln würden, wie sie ist: „Das Bewußtsein erschafft (das Phänomen) Materie. Sinnevermitteln uns einen `naiven Realismus´.“

Maturana und Varela (1984, S. 20) halten fest: “Wir neigen dazu, in einer Welt vonGewißheit, von unbestreitbarer Stichhaltigkeit der Wahrnehmung zu leben, in der unsereÜberzeugungen beweisen, daß die Dinge nur so sind, wie wir sie sehen. Was uns gewißerscheint, kann keine Alternative haben. In unserem Alltag, unter unseren kulturellen

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Bedingungen, ist dies die übliche Art, Mensch zu sein.“ Maturana und Varela (1984) zufolgebringe jeder Akt des Erkennens eine Welt hervor, jedes Tun sei Erkennen, jedes Erkennen seiTun; wobei jedes Erkennen von der Struktur des Erkennenden abhänge, das als Tun desErkennenden in der Eigenart seines Lebendig-Seins, seiner Organisation verwurzelt sei.Maturana und Varela (1984) postulieren, ein Lebewesen, als autonome Einheit, sei durchseine autopoietische Organisation charakterisiert, wobei sie unter Organisation die Relationenverstehen, die zwischen den Bestandteilen von etwas gegeben sein müssen, damites alsMitglied einer bestimmten Klasse erkannt wird; während unter Struktur die Bestandteile undRelationen verstanden werden, die in konkreter Weise eine bestimmte Einheit konstituierenund ihre Organisation verwirklichen. Nach Maturana und Varela (1984, S. 84) sei es „denLebewesen eigentümlich, daß das einzige Produkt ihrer Organisation sie selbst sind, das heißt,es gibt keine Trennung zwischen Erzeuger und Erzeugnis. Das Sein und das Tun einerautopoietischen Einheit sind untrennbar.“

Ayres (1979, S. 83) berichtet, bei „Durchführung der sensorischen Integrationsbehandlungmöchten wir, daß das Kind so viele Synapsen wie möglich benutzt, soweit sein Wohlbefindenes erlaubt. Wir möchten vor allem, daß die Synapsen in seinem Hirnstamm angesprochenwerden, in welchem so viele Empfindungen zusammenströmen.“

Zimmer (1995, S. 23) weist darauf hin, obwohl die Bedeutung sinnlicher Wahrnehmungenbelegt scheint, habe dies nicht zu einer nachhaltigen Veränderung der Erziehungs- undBildungseinrichtungen geführt: „So war es denn auch noch nie so wichtig wie in heutigerZeit, auf den zunehmenden Verlust an unmittelbaren körperlich-sinnlichen Erfahrungen beiKindern hinzuweisen und die daraus entstehenden Gefahrenquellen aufzuzeigen. Zwar wirdauch heute die sinnliche Erfahrung als grundlegende Erkenntnisform menschlicher Existenzallgemein anerkannt, das reibungslose Funktionieren der Sinne wird jedoch alsselbstverständlich betrachtet ... Das Kind, das zur Erfassung seiner alltäglichen Welt desEinsatzes möglichst vieler seiner Sinne bedarf, wird heute oft mit einer Überflutung durchoptische und akustische Reizeinwirkungen konfrontiert. In seinem Bedürfnis nachganzheitlichem Erfassen, nach körperlich-sinnlicher Aneignung, wird es immer mehreingeschränkt.“

Bánffy (2003, S. 68-70) zufolge ist die Wahrnehmung ein komplexes System, „keinWahrnehmungsorgan arbeitet isoliert für sich allein, sondern es ist mit allen anderenWahrnehmungssystemen, Wahrnehmungsorganen und deren Subsystemen verbunden ... DieKörperwahrnehmung mit allen ihren Möglichkeiten und Grenzen ist die Bedingung jederGeneralisierung und Transferierung ... Die Körpererfahrung ist also die Basis für transferierteund kombinierte Begriffspaare ... Unsere Fähigkeit, mit allen Sinnen wahrzunehmen, dieWahrnehmung zentral zu verarbeiten, die neuen Erfahrungen zu integrieren, einzuordnen unddaraus zu lernen, beeinflusst unser Verhalten und unser Wohlbefinden in der Welt, in derGesellschaft, in der wir gerade leben. So wie unser Körper ein ganzheitliches System ist, istunsere Wahrnehmung ein ganzheitliches System und unser `In-der-Welt-Sein´ einganzheitliches Empfinden.“

Zimmer (1995, S. 28) weist darauf hin, Kinder nehmen ganzheitlich wahr: „SinnlicheWahrnehmung spricht alle Sinne an. Sie ist mehr als die Addition einzelner Leistungen derSinneswahrnehmung ... Die Verschmelzung mehrerer Eindrücke zu einerGesamtsinnesempfindung wird als `Synästhesie´ (Zusammen-Wahrnehmung) bezeichnet ...Sinnliche Wahrnehmung läßt sich auch nicht von Gefühlen, Erinnerungen und Wünschentrennen ... spätestens bei der Verfolgung der neurophysiologischen Verarbeitungsprozesse imGehirn wird deutlich, daß Wahrnehmen immer ein ganzheitlicher Vorgang ist, der mit bisher

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gespeicherten Erfahrungen verknüpft wird und bei dem auch emotionale Bewertungen undpersönliche Einstellungen eine Rolle spielen.“

Ayres (1979, S. 322) definiert sensorische Integration als die „sinnvolle Ordnung undAufgliederung von Sinneserregung, um diese nutzen zu können. Diese Nutzung kann in einerWahrnehmung oder Erfassung des Körpers oder der Umwelt bestehen, aber auch in einerAnpassungsreaktion oder in einem Lernprozeß oder auch in der Entwicklung bestimmterneuraler Tätigkeiten. Durch die sensorische Integration wird erreicht, daß alle Abschnitte deszentralen Nervensystems, die erforderlich sind, damit ein Mensch sich sinnvoll mit seinerUmgebung auseinandersetzen kann und eine angemessene Befriedigung dabei erfährt,miteinander zusammenarbeiten.“

Bánffy (2003, S.66) schlussfolgert, dass jede Kommunikation bzw. Interaktion auf dieWahrnehmungsfähigkeit eines Individuums angewiesen ist und umgekehrt das Individuumauf seine Wahrnehmung angewiesen ist, um adäquate körperliche, emotionale, soziale undintellektuelle Beziehungen aufbauen zu können. „Der Mensch ist ein soziales Wesen undkann nur in einem kommunikativen Milieu gesund existieren ... Wenn meine Wahrnehmungteilweise oder ganz beeinträchtigt ist, dann leidet darunter mein gesamtes Bezugssystem unddie Erfahrung, dass ich in diese Welt bzw. in diese Umwelt eingebettet bin ... wird meinePersönlichkeit mit Ängsten, Bedrohung und Unsicherheiten konfrontiert.“

Zimmer (1995) beschreibt den zyklischen Verlauf des Wahrnehmungsprozessesfolgendermaßen:

1. Aufnahme des Reizes durch das entsprechende Sinnesorgan;2. Weiterleitung des Reizes über aufsteigende Bahnen in die entsprechenden

sensorischen Zentren der Großhirnrinde;3. Speicherung des Wahrgenommenen im Gehirn;4. Vergleichen des neuen Reizes mit bisher Gespeichertem – Auswahl und

Bewertung der Meldungen aus Sinnesorganen;5. Koordination der Einzelreize der verschiedenen sensorischen Zentren im Gehirn;6. Verarbeitung der Reize und Einordnung in die bisherigen Erfahrungen;7. Reaktion, Reizbeantwortung (motorische Handlungen, Verhaltensänderung) der

Impulse oder Befehle des Gehirns über absteigende Bahnen zum ausführendenOrgan.

Zu den Umweltreizen zählt Zimmer (1995) visuelle, akustische, taktile, vestibuläre,propriozeptive, olfaktorische und gustatorische Reize.

Fischer (1998, S. 135) zufolge nehmen nicht nur funktionelle und physiologische Grundlagen,sondern auch psychische Kompetenzen des Individuums (Motorik, Kognition,Kommunikation und Sprache, soziale und emotionale Voraussetzungen) sowie soziale undgesellschaftliche Bedingungen Einfluß darauf, „was und wie umfänglich und differenziert einKind wahrnimmt“. Er verweist auf die mehrdeutige Verwendung des Begriffs„Wahrnehmungsstörung“ in der Literatur:

• Sinnesbehinderungen (Beeinträchtigung der Wahrnehmungsfunktionin dersensorischen Reizaufnahme infolge Schädigung der Sinnesorgane)

• Funktionelle Einschränkungen/Schwächen (der notwendigen sensorischen Abläufe inder Sinnestätigkeit)

• Zentrale Wahrnehmungsstörungen (Einschränkungen der zentralenInformationsverarbeitung von Reizen infolge Störungen der Hirnrinde, Fehlfunktionvon Zellverbänden)

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• Soziale Einschränkungen und Behinderungen der Wahrnehmung (mangelndeEntwicklungs- und Reizangebote)

• Körperliche Beeinträchtigungen im motorischen Bereich haben Auswirkungen auf dieWahrnehmung

Zimmer (1995, S. 157) stellt fest, daß Wahrnehmungsstörungen trotz vollerFunktionsfähigkeit der Sinnesorgane auftreten können: „Die Wahrnehmungsfähigkeit einesMenschen ist zwar von der Intaktheit der Sinnesorgane abhängig, Wahrnehmungsstörungenbetreffen jedoch auch den Prozeß der Reizverarbeitung im Gehirn und können trotz vollerFunktionsfähigkeit der Sinnesorgane auftreten.“

Für den Bereich der Auswirkungen körperlicher Beeinträchtigungen auf die Wahrnehmungdemonstriert Fischer (1998, S.150, Abb. 27) folgenden vereinfachten Zusammenhang:

Zu den Faktoren, die Wahrnehmungsstörungen verursachen können, zählt Bánffy (2003, S.67) neben der Komplexität der Wahrnehmung den „Einfluss der soziokulturellen,sozialpolitischen und vor allem sozioökonomischen Interessen einer Gesellschaft auf dieWahrnehmung des Einzelnen ... Tabuisierungen sind ... in der Wahrnehmung derÖffentlichkeit verbotene Inhalte ... Gesellschaft und Wahrnehmung sind miteinanderverflochten wie Gesellschaft und Krankheit oder Gesellschaft und Seuche.“ Bánffy (2003)verknüpft Gesellschaft und Erziehungsstil, indem Erziehungsstile, die nicht auf dieindividuellen Wahrnehmungsfähigkeiten einzelner Kinder abstellen,Wahrnehmungsstörungen geradezu hervorrufen können; weiters stellt sie einenZusammenhang zwischen Wahrnehmung und Autarkie her: „Manipulative Tendenzen führenzu autarkem Verhalten. In unserer Gesellschaft, in der die Manipulation eine äußerst wichtige,ja manchmal lebenserhaltende Rolle spielt, erlernen die Kinder von Anfang an die unzähligenTücken der Manipulation mit all ihren Vor- und Nachteilen.“ (S. 75 ebd.) Bánffy (2003, S.77)weist darauf hin, dass Manipulation Ängste auslöst: „Die Wertesysteme ändern sichunmerklich entsprechend den wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten. Jedes Kindwill verständlicherweise seine Größe, Wichtigkeit und Bedeutung durch seineManipulationsfähigkeit beweisen. Es selbst regiert die Welt. Es drückt Knöpfe und wartetsiegessicher, dass seine Apparaturen ... nach seinen Vorstellungen funktionieren. Alles undjedes um es herum wird Instrument, das es nach Lust und Laune manipuliert. Das Kind wirdmehr und mehr autark ... Was, wenn das Gegenüber ... auf Knopfdruck nicht funktioniert ...wenn ich Knöpfe drücke und die erwartete Wirkung nicht eintritt, wo doch meine ganzSicherheit auf meiner Bewirkungsfähigkeit basiert?“ Dann steigen Ängste im Menschen auf,die sich aus dem Zusammenhang von Autarkie, Manipulation und Angst erklären lassen.

Zusammenfassend stellt Fischer (1998, S. 158) fest, „bei vielen Kindern, vor allem solchenmit sensorischen, körperlichen und kognitiven Einschränkungen ist die Aufnahme undVerarbeitung von Sinnesreizen derart beeinträchtigt, daß ihre Wahrnehmungskompetenzweniger differenziert und kompetent ausgebildet ist, was sich in erster Linie als Erfahrungs-oder Bedeutungsarmut manifestiert und darin zeigt, daß weniger

MOTORIK WAHRNEHMUNGSenso-Motorik

Kognition

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Wahrnehmungsgegebenheiten aus der Umwelt interessant erscheinen und im Rahmen vonsituativ bedeutsamen Handlungen sinnlich erfaßt werden. Unter Verweis auf Piaget (1969,1974) und Feuser (1979) umschreibt Fischer (1998, S. 158)Wahrnehmungsbeeinträchtigungen als Einschränkungen in den Möglichkeiten, sich dieUmwelt in ihrer gegenständlichen und sozialen Bedeutungshaftigkeit über die Sinneanzueignen und sich mit Hilfe sinnlicher Informationen in dieser erfolgreich zu orientieren.

Eggert (1993, S. 11) führt in die diagnostische Denkweise ein:

1. Die Diagnose ist auf die Beschreibung von Defiziten ausgerichtet, indemVergleiche mit der Norm vorgenommen werden.

2. Von einer relativ differenzierten Diagnostik aus wird eine Therapie vorgeschlagen,die lediglich in groben Angaben umschrieben wird.

3. Diagnostik und Therapie werden innerhalb der klinischen Institution getrennt undvon verschiedenen Personen durchgeführt.

Nach Eggert (1993) hat die Motodiagnostik einen besonderen Stellenwert, indem ihreAussagen zur Einordnung des Erscheinungsbildes und zur Indikation für die Therapie führen;wobei er auf das Problem aufmerksam macht, daß quantitative Analysen kein konkretes Bildüber das aktuelle Verhalten eines Kindes vermitteln. Eggert (1993) skizziert folgendenStellenwert der Motodiagnostik im System der Motologie:

Abb.: Motologisches System (nach Eggert, 1993, S. 11)

3. Einführung in kindliches Lernen, Spiel und Heilpädagogik

Graber (1973) zufolge liegt nicht im Verbieten und Unterdrücken der besten Kräfte deswerdenden Menschen das erzieherisch Wertvolle, sondern in der Hilfe zur Befähigung, sielebensfördernd zu entfalten; er weist darauf hin, je früher man bei festgestellten Störungen mitder tiefenpsychologischen Behandlung beginnt, desto besser.

In der Kindererziehung muss sorgfältig auf den Inhalt des kindlichen Lernens geachtetwerden und auf die Art und Weise, auf die Lernen angeboten und vom Kind erfahren wird.

Nach von Bönninghausen (1974) ist das Spiel das Wichtigste im Leben eines Kindes, wobeies von der Bereitschaft der Erwachsenen, sich über das Spiel Gedanken zu machen, undvielfältige Anregungen zum Spielen zu geben, entscheidend abhängt, ob ein Kind bereit undfähig sein wird, zu lernen.

Motorische Entwicklung Störungen der Bewegungsentwicklung

Motodiagnostik

Motopädagogik Mototherapie

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Frommlet et.al. (1975) weisen auf die vermeintliche Unvereinbarkeit von Arbeit und Spielhin, an der ein einseitiger Begriff von Lernen schuld sei, das vorwiegend als kognitivesLernen in der Schule vermittelt würde, demzufolge Lernen als Erwerb von Qualifikationenbedeutet, die später in der Produktions- und Reproduktionssphäre verwertbar sind. DieAutoren betonen, durch aktives Verhalten kommt man zu neuen Erfahrungen, Denken undHandeln bedingen sich im Spiel, wobei Lernprozesse, die mit positiven Erlebnissenverbunden sind, sich besonders einprägen. Aktivität ist die Grundform des Verhaltens imSpiel, die lustvoll erfahren wird.

Fischer (1998, S. 238) bezeichnet Spielen als handelnde Auseinandersetzung mit der Umwelt,indem zahlreiche Spielaktivitäten die „Bedingungen für eine Wahrnehmungsförderung alssinngebende Verarbeitung von Reizen erfüllen und daß das Kind sich in spielerischenHandlungen die in Gegenständen verkörperten Bedeutungen aneignen kann.“

Nach Zimmer (1999, S. 83) arbeiten Kinder im Spiel auch „Vergangenes, Erlebtes auf, dasSpiel dient ihnen als Medium der Äußerung und – unbewußten – Bearbeitung vonKonflikten“.

In der Pädagogik wird die persönliche, soziale und emotionale Entwicklung verstanden alseine Akkumulation von Erfahrungen, die stimulieren und herausfordern und engeBeziehungen, persönliche Identität und Selbstwertgefühl fördern, die Kindern helfen können,Selbstvertrauen, soziale Verantwortung anderen gegenüber, Verständnis, wie man sich inverschiedenen Situationen verhält, Selbstkontrolle und Gemeinschaftsgefühl zu festigen. Diepersönliche, soziale und emotionale Entwicklung ist nicht auf die Prozesse der Aneignungvon Kenntnissen und Fertigkeiten beschränkt, sondern hat mit Gefühlen, Zugehörigkeiten undTeilnahme zu tun.

Scheid und Prohl (1988) zufolge ist die Bewegung ein notwendiges Element dermenschlichen Entwicklung; wobei der Mangel an Bewegungsraum und Spielzeit zuempfindlichen Störungen der kindlichen Entwicklung führen könne und dieBewegungsentwicklung entscheidend durch die Auseinandersetzung des Kindes mit seinerUmwelt bestimmt werde. Es sei also notwendig, dem Kind frühzeitig unterschiedlichsteBewegungsmöglichkeiten zu schaffen, um die Ausbildung der Motorik zu unterstützen.

Pädagogen schätzen Bewegung als zentral für das Lernen junger Kinder und den aktivenModus, beruhend auf Aktion über Lernen durch das selbsttätige Tun mittels Schemata (dieWiederholung einschließen) von Verhaltensmustern, die signifikant sind, Kindern zu helfen,Sinn aus der Welt und ihrem Lernen abzuleiten. Bewegung wird mit Denken durch Schemataund mit sozialer Interaktion sowie mit Gefühlen in Verbindung gebracht, nachdem Bewegungund emotionale Entwicklung verknüpft sind und das Selbst-Image verbessern kann.

Aus pädagogischer Sicht ist Bewegung ein natürlicher Teil eines kindlichen Lebens, mit derenHilfe Kinder ihre Ideen und Gedanken ausdrücken und Verbindungen in ihrem Verständnisherstellen und zeigen können, wie sie über etwas fühlen.Grundsätzlich werden drei Arten von motorischer Entwicklung differenziert:

• Die grobmotorische Locomotor-Entwicklung betrifft die Bewegung durch dieUmwelt.

• Die Non-Locomotirische-Entwicklung (Stabilisierung des Gleichgewichts) betrifft dieBalance des Körpers.

• Die manipulative feinmotorische Entwicklung betrifft die Handhabung von Objekten.

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Erziehungswissenschaftlich ist die Bedeutung hervorzuheben, das ganze Kind zuberücksichtigen und zu beachten, wie das Kind und sein Körper untrennbar verbunden sind.Körperliche Schwierigkeiten können beeinflussen, wie der Geist eines Kindes funktioniert. Esist daher wesentlich, körperliche Entwicklung als Teil der gesamten Entwicklung einesKindes zu betrachten.Dabei ist es wesentlich, zu betonen, dass Kinder mit allen ihren Sinnen lernen.

Zimmer (1988) verweist auf Haselbach (1976), wonach Tanz als „psycho-physischeAusdrucksform“ zu sehen sei, sowie auf Nattkämpfer (1970), wonach der tanzende Menschdas Urbild des homo ludens sei. Zimmer (1988) zufolge gehören Bewegung, Tanz und Spielzu den elementaren menschlichen Ausdrucksformen.

Eggert (1993, S. 36) präsentiert eine hypothetische Einfachstruktur als Entwicklungssequenzmotorischer Basisfaktoren; wobei das Modell einen denkbaren hierarchischen Zusammenhangzwischen den motorischen Basiskompetenzen postuliert, beruhend auf der Annahme einermöglichst einfachen und naheliegenden Dynamik, die leicht anhand empirischer Datenüberprüfbar und eventuell modifizierbar sei:

Gesamtkoordination

Kraft

Gleichgewicht

Gelenkigkeit

Ausdauer

Schnelligkeit

Zeit

Abb.: Hypothetisches Entwicklungsmodell psychomotorischer Basiskompetenzen (nachEggert, 1993, S. 36)

Eggert (1993, S. 41-42) erläutert den Stellenwert des Diagnostischen Inventars MotorischerBasiskompetenzen im Rahmen einer psychomotorischen Intervention durch Gliederung der24 Kernaufgaben in 18 Aufgaben zur Erfassung motorischer Basiskompetenzen und sechssensorische Aufgaben zur Prüfung der akustischen, visuellen, taktischen und visumotorischenDifferenzierung; wobei der Ablauf einer möglichen Untersuchungsstrategie, die sichvorrangig an den individuellen Förderplänen für einzelne Kinder in der Gruppe orientierenmöge, in folgenden Schritten erfolgen sollte:

1. Eisbrecher Aufgaben, die als sehr leichte Aufgaben sicher von allen Kindern gelöstwerden können und am Anfang ohne Bewertung zur Einübung des Prinzips in derGruppe ausprobiert werden;

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2. Durchführung einer Kurzform zur Auswahl von besonders relevanten Items nachErfordernissen der Praxis für einen kurzen Screening Test mit Grobnormen;

3. Differentielle Überprüfung auffälliger Kinder durch intensive Beschäftigung miteinzelnen, in der Schwierigkeit aufsteigenden Aufgaben.

Eggert (1993) gliedert den Ablauf des diagnostischen Inventars in folgende Phasen:

Abb.: Ablauf des diagnostischen Inventars (nach Eggert, 1993, S. 42)

Eggert (1993, S. 117) schlußfolgert, der „Stellenwert der diagnostischen Aufgaben undSituationen ergibt sich aus den Möglichkeiten zur Förderung von Kindern in der Klasse oderGruppe. Deshalb kommt der Abstimmung der ausgewählten Aufgaben mit möglichenFördersituationen eine entscheidende Bedeutung zu ... Die Vorteile eines diagnostichenVorgehens mit derartigen Inventaren leigen u.E. darin, daß die Urteilsbildung über kindlicheAuffälligkeiten und der Förderung auf der Grundlage von mehr Information und zugleichvorsichtiger erfolgt und daß konkrete Vorschläge zum weiteren Vorgehen und zur Förderungauf inhaltlicher Ebene und nicht aufgrund von quantitativen Aussagen erfolgen können.“

Mogel (1991) fasst die wesentlichen Merkmale des Kinderspiels folgendermaßen zusammen:Spielen ist eine frei gewählte Tätigkeit, die frei von äußeren Zwecken verläuft und mitNeugier einhergeht, die sich am Neuigkeitsgehalt der Dinge orientiert und Überraschungensucht; heißt Erleben von Freude, Spaß, Vergnügen und Lust und wird getragen von einerEntspannungssuche, ist ein Bewegen von Gegenständen, das mit Lebensbereicherung und

Eisbrecher-Items ohne Bewertung

Auswahl besonders relevanter Items für einen Screening Test mit Grobnormen

1. DIAGNOSTISCHE PHASEGelenkigkeit Kraft/Ausdauer Schnelligkeit Gleichgewicht Takt/Audit. Perzeption Feinmotor/Vis. Perzeption

2. DIAGNOSTISCHE PHASEBei auffälligen Beobachtungen in einem oder mehreren Bereichen erfolgt eine zweite Phase:

- Durchführung des gesamten Inventars und/oder- Motodiagnostische Situationen (unnormierte Beobachtungssituationen zur vertieften Diagnose

und gleichzeitiger Förderung)

Je nach individuellen Erfordernissen der einzelnen Kinder und/oder der gesamten Gruppe.

THERAPEUTISCHE PHASEPlanung, Durchführung und Kontrolle der Förderungdurch das Psychomotorische Fördermaterial (PFM)

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Lebenserleichterung einhergeht, und hat eine enge Beziehung zu Raum, Zeit und Umwelt, mitdem Sinn, die Wirklichkeit nach außen und nach innen auszuloten, häufig ist Spiel mit Musikoder Rollenspiel verbunden. Spielbeziehungen sind partnerschaftliche Interaktionen, beruhendauf Kommunikation mit Gedanken, Dingen und Personen. Mogel (1991) weist darauf hin,dass für Karl Groos Spiel als Vorübung für das Leben gilt, indem das Kind durch das Spieldie motorischen, sensorischen und psychischen Funktionen übe, die ihm im späteren Lebenals Grundfunktionen zugute kämen; weiters verweist Mogel (1991) auf das Spiel als Lust ander Funktion, motiviert vom Vergnügen am spielerischen Funktionieren der Dinge, nach KarlBühler; sowie auf das Spiel als Aktivitätsform der geistigen Entwicklung nach Jean Piaget,der im kindlichen Spiel einen Weg zur Erkenntnis der Wirklichkeit sah.

Mogel (1991) bezieht sich auf die psychodynamischen Aspekte des Spiels und verweist aufden von Freud aufgestellten Zusammenhang zwischen Triebverzicht und Ersatzbefriedigungsowie auf die von Alfred Adler attestierte Funktion des Spiels für theoretisches Denken, mitdessen Hilfe das Kind versuche, seine Minderwertigkeit kompensatorisch zu überwinden.

Insbesondere weist Mogel (1991) im Hinblick auf die psychohygienischen Funktionen desSpiels auf die Erkenntnisse von Hans Zulliger hin, der das Wesen des Spiels im Erlebniswertselbst sah und sensationelle Heilerfolge mit gestörten Kindern erzielte. Spieldiagnostik undSpieltherapie sind für Mogel (1991) zwei Anwendungsgebiete der Entwicklungs- undpädagogischen sowie der klinischen Psychologie; indem das kindliche Spiel als eigentlicheSprache des Kindes wertvolle Informationen über das psychische Geschehen liefere, aufgrundderer man den aktuellen psychischen Zustand des Kindes und eventuelle innere Konflikteerschließen könne. Mogel (1991) zufolge ist bei der psychotherapeutischen Behandlung vonKindern das Spiel ein ideales Interaktionsmedium für das wechselseitige Verständnis vonKind und Therapeut; die Spieltherapie sei günstig, um die psychischen Konflikte des Kindes,die den Hintergrund seiner Symptome bilden, aufzuarbeiten und zu bewältigen.

Zimmer (1999, S. 90) zufolge ermöglichen (erlebnisorientierte) Bewegungssituationen „demKind, eine Balance zwischen Hilfe und Selbsthilfe herzustellen und zunehmend auch inProblemsituationen selbständiger zu agieren“.

Eggert (1975) versucht, einen systematischen theoretischen Rahmen für daspsychomotorische Training zu finden, indem sowohl sonderpädagogische Aspekte als auchAspekte einer klinisch orientierten Entwicklungspsychologie zu berücksichtigen seien; dabeifühlt sich Eggert (1975) insbesondere Ernst J. Kiphard zu Dank verpflichtet, nachdem erinfolge einer Begegnung mit Kiphard im Jahre 1968 dazu veranlasst worden sei,Psychomotorik als Forschungsmethode anzwenden (Eggert, 1971, 1972, 1973).

Schönwiese (1997, S. 110) zufolge bezieht sich Heilpädagogik auf die Theorie und Praxis derErziehung von „verhaltens- und entwicklungsgestörten“ bzw. „körper-„, „geistig-„ und„sinnesbehinderten“ Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen; wobei der individuelleSchaden oder Defekt im Mittelpunkt stehe, der „nach dem Modell der medizinischenKausaltheorie beseitigt, kompensiert oder so umgangen werden soll, dass andere Fähigkeitenoder `Restfunktionen´ ausgleichend gefördert werden“.

Lapierre und Aucouturier (1998, S. 19-21) propagieren eine konzeptionelleWeiterentwicklung einer Erziehung auf psychomotorischer Grundlage von der Heilpädagogikzur Pädagogik: „Will man das Symptom, über das sich das Kind ausdrück, beseitigen, erhöhtman nur seine inneren Spannungen. Jede normale Heilpädagogik wird als Aggression erlebt,die verunsichert, Angst- und Schuldgefühle macht ... Wir geben ... das medizinische

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Grundmodell auf: Diagnostik, Rezept, Behandlung – das Modell, nach dem alle heil- undsonderpädagogischen Einrichtungen funktionieren. Das kennzeichnet eine entscheidendeEtappe unserer Weiterentwicklung. Vor diesem Moment an gibt es keine Heilpädagogikmehr, alles wird Pädagogik, so wie wir sie verstehen, als Entfaltung der Möglichkeiten, diejedem Kind eigen sind. Dieses Aufgeben einer lokalisierten, spezifischen, instrumentalenHeilpädagogik zugunsten eines umfassenden pädagogischen Zugangs erweiterte unserenHandlungsspielraum beträchtlich. Wir konnten ... an jegliches Thema der Kinder herangehen,wir konnten endlich ihren Interessen und ihrer Kreativität folgen.“

Kiphard (1980) erkennt in veränderten Bewegungsverhaltensmustern behinderter Kinder zumTeil biologische und psycho-neurologische Kompensationsversuche des Organismus mit demZiel, ursächliche Störungsfaktoren auszugleichen, hinter denen sich häufig multipleBedingungsvariablen mit vielfältigen Wechselbeziehungen verbergen. Er fasst dieseStörvariablen folgendermaßen zusammen:

• Körperbehinderungen• Bewegungsbehinderungen• Sinnesbehinderungen• Kognitive Behinderungen• Emotional-soziale Behinderungen.

Kiphard (1980, S. 17) postuliert: „Ziel jeder therapeutischen Fördermaßnahme ist es, dasbehinderte Kind zu befähigen, die Umweltanpassung und Umweltaneignung trotz bestehenderStörungen so gut wie möglich und so erfolgreich wie möglich zu vollziehen. Dazu muß dieAußenwelt dosiert und gelenkt an das Kind herangebracht werden.“

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DIE KOMPLEXE WAHRNEHMUNGSTHERAPIE

ENTSPANNUNGS-TECHNIKEN

SUGGESTION KÖRPER-IMAGINATION KOORDINATION

PROGRESSIVE KOMPLEXE BASALESENSOMOTORISCHE WAHRNEHMUNGS WAHRNEHMUNGS-STIMULATION THERAPIE FÖRDERUNG

SPRACHANBAHNUNG Gleichgewicht

Tiefenwahrnehmung

PROZESSFÖRDERUNG Taktilität

SENSORISCHE INTEGRATION INTERMODALE WAHRNEHMUNGS- FÖRDERUNG

Koordination Aller

Wahrnehmungssinne Kombination aller Wahrnehmungssinne

Abb.: Komplexe Wahrnehmungstherapie

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4. Zur Wirkungsweise der Komplexen Wahrnehmungstherapie

Kiphard (1983) zufolge sei es die Tragik, daß Wahrnehmungsstörungen bei Kindern oft langeZeit hindurch unentdeckt blieben.

Affolter (1987, S. 100) weist darauf hin, daß man einem Gehbehinderten, Blinden oderMongoloiden sein Gebrechen ansehe, doch ein wahrnehmungsgestörtes Kind sehe aus wieandere Kinder. „Erst wenn man in den Alltag eines solchen Kindes einsteigt, wird manbeunruhigt. Dann beginnt man das Ausmaß an Auffälligkeiten zu ermessen. Nicht einmal,sondern immer wieder geraten diese Kinder in Spannung, erscheinen verständnislos, zeigenAngst, fallen durch abwegiges Verhalten auf. Mit dem Älterwerden drückt sich die Störungauch in Schwierigkeiten bezüglich der Sprachentwicklung aus, und in der Schule kann sie zurErschwerung des Erwerbs von Lesen, Schreiben, ja auch des Rechnens führen. Wenn mandiese Kinder zu uns bringt, dann haben sie meist schon bei irgendeiner Abklärungsstelle einenNamen für ihre Schwierigkeiten erhalten: verhaltensgestört; verzögert in derSprachentwicklung; Stammler; Agrammatiker; lerngestört; Kind mit einer Lese-, Schreib-oder Rechenschwäche; autistisch; hypoton; spastisch; Kind mit einem POS(psychoorganisches Syndrom) ... und dann wird von uns ein weiterer Name gegeben – meist:wahrnehmungsgestört – etwas sehr Komplexes; etwas, das man nicht sieht.“

Kiphard (1983, S. 254) zufolge entstehen Fehlverhaltensweisen aus tiefenpsychologischerSicht aus einem langandauernden innerseelischen Leidensdruck; dadurch unterscheiden sichVerhaltensstörungen von Leistungsstörungen in den Bereichen der Wahrnehmung und derBewegung, indem sie den emotional-sozialen Bereich betreffen: „Das heißt, diese Kinderhaben einerseits Schwierigkeiten mit sich selbst und ihren Emotionen. Es mangelt ihnen anGefühlssteuerung und Selbstbeherrschung. Andererseits haben sie Schwierigkeiten imUmgang mit anderen, wobei sie sich störend, aggressiv oder gehemmt und regressivverhalten. Genannte Fehlverhaltensweisen äußern sich in der Psychomotorik undSozialmotorik dieser Kinder. Denn jeder Gefühlsausbruch, jede soziale Kontaktnahme istgerade bei Kindern ein motorischer Akt, eine Bewegungshandlung. Menschliche Handlungensind nicht nur kognitiv bestimmt ... vom Intellekt her gesteuert. Sie unterliegen gleichermaßenTrieb- und Gefühlseinflüssen, denen sich der Mensch im allgemeinen gar nicht bewußt ist.Bei Verhaltensgestörten ist dieser Gefühlseinfluß so stark, daß man hier von eineremotionalen Bestimmtheit sprechen muß. So werden viele ihrer Handlungen von gestörten ...Gefühlseinstellungen beherrscht.“ Kiphard (1983, S. 255) schlußfolgert: „Zu einer emotional-sozialen Fehlhaltung kommt es immer dann, wenn die Kontakterlebnisse im sozialen Umfeldständig negative Vorzeichen tragen. Dauergefühle der Enttäuschung und desBenachteiligtseins sind hier die Folge.“

Mertens (1986, S. 127) zeigt Möglichkeiten zur Beobachtung des kindlichen Verhaltens auf:„Eltern und Erzieher verfolgen ein Kind in seinem Tagesablauf. Sie sind ständig in seinerNähe und haben einen starken emotionalen Bezug zu ihm. Dabei werden dieBewegungsäußerungen, seine Gestik und Mimik und die Sprache meist nur unbewußt genauregistriert ... Die Entwicklung eines Kindes bezieht jedoch nicht nur die motorischen Bereichedes Gesamtkörpers, sondern auch seine Wahrnehmungsfähigkeit im optischen, akustischenund taktilen Bereich, sein Handgeschick und sein Sozialverhalten mit ein. SogenannteEntwicklungsgitter (Kiphard, Ohlmeier) geben den Eltern einen Anhaltspunkt über denaltersadäquaten Verlauf. Sie sind eine Orientierung für die Erziehungspersonen, die sichunsicher fühlen, ob ihr Kind auch auf allen Gebieten die nötige Betreuung und Anregungerfährt.“

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Kiphard (1975) zeigt Wege auf, die es ermöglichen, die kindliche Entwicklung mit relativeinfachen Mitteln zu beurteilen, zu diesem Zweck erarbeitete er ein „Entwicklungsgitter“, dasAuskunft darüber gibt, was ein Kind in einem bestimmten Alter können muß. Er empfiehlt,bei allen entwicklungsdiagnostischen und –therapeutischen Maßnahmen (als Grundlagefürdas zu erstellende Therapieprogramm) das Entwicklungsgitter zur Kontrolle heranzuziehen.Mit Hilfe des „Entwicklungsgitters“ erfolgt die Feststellung

• der Sinnes- und Bewegungsentwicklung (sensomotorisches Entwicklungsgitter),• des sozialen Entwicklungsstandes (psychosoziales Entwicklungsgitter).

Zur gestörten Entwicklung rückständiger Kinder postuliert Kiphard (1975, S. 92), „mit demEntwicklungsgitter wird keine Normalentwicklung erfaßt, sondern die Minimalentwicklungals unterste Grenze der Norm. Darüber hinausgehende Rückstände haben eine Bedeutung. Siesind Auswirkung einer oder mehrerer Ursachen. In der Einzeldiagnostik kommtes zunächstdarauf an, die verschiedenen Ursachenmöglichkeiten aufzuspüren. Im Hinblick aufeinzuleitende Therapiemaßnahmen wird es außerdem notwendig sein, Hauptursachen vonNebenursachen zu unterscheiden ... Störungen sind qualitative Veränderungen. Sie sind imallgemeinen Auswirkungen einer Hirnschädigung. Denn wenn der „Computer Gehirn“ defektist, müssen auch die auf dem Nervenwege empfangenen und ausgegebenen Impulse gestörtsein.“

Linn und Holtz (1987, S. 7) stellen fest: „Unter den Behandlungsmethoden, die bei Kindernmit funktionellen und emotionalen Entwicklungsstörungen angewandt werden, nimmt diepsychomotorische Therapie einen besonders wichtigen Platz ein. Sie vereinigt Elemente derÜbungsbehandlung auf den Gebieten der Körperbeherrschung, der Wahrnehmung und dersensomotorischen Koordination mit psychotherapeutischen Ansätzen. Damit wird diepsychomotorische Therapie in besonderem Maße dem Anspruch gerecht, ein gestörtes Kindals ganze Person zu sehen und die Behandlung an ganzheitlichen Zielsetzungen zuorientieren.“

Ayres (1979, S. 3) berichtet: „Schlechtes Lernen und Verhaltensstörungen bei Kindernwerden oft durch unvollkommene Integration der Sinne verursacht. Diese Probleme dersogenannten sensorischen Integration fallen nicht ohne weiteres auf und sind unter Kindernweit verbreitet. Sie können bewirken, daß sogar begabte Kinder Schulschwierigkeitenbekommen und auch Kinder mit intaktem Elternhaus und guter sozialer Umweltverhaltensauffällig werden ... Sofern die Störung nicht sehr ausgeprägt ist, wird einFehlverhalten in der Integration der Sinne von den meisten übersehen, mit Ausnahmederjenigen, die eine spezielle Schulung haben.“ Für Ayres (1979) ist die sensorischeIntegration bzw. die Integration der Sinne das Ordnen der Empfindungen, um sie gebrauchenzu können; dabei müsse das Gehirn alle unterschiedlichen Empfindungen ordnen, damit sichein Mensch normal bewegen und lernen könne, sich normal zu verhalten. SensorischeIntegration ist für sie die wichtigste Art und Weise sinnlicher Verarbeitung: „ohne gutorganisierte sensorische Verarbeitung können Empfindungen nicht verdaut werden, um ihrGehirn zu versorgen“ (S. 8, ebd.). Dabei mache sensorische Integration bzw. Verarbeitungvon sinnlicher Wahrnehmung als vielen Teilen ein Ganzes, indem sie alles (Sensorische undMotorische) zusammen bringe.

Kiphard (1975, S. 92-93) definiert die „Gestörte Wahrnehmung“ folgendermaßen: „Vielehirngeschädigte Kinder leiden unter Wahrnehmungsstörungen. Bei ihnen kommen dieSinnesmeldungen verändert an, weil sie nur bruchstückhaft wahrgenommen werden. Siemögen zwar an sich normal sehen oder hören; ihre optische und akustische Unterscheidungs-und Merkfähigkeit kann dabei aber erheblich gestört sein.“

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Affolter (1987, S. 111, S. 158 und S. 178) faßt zusammen, Wahrnehmungsgestörte sind inihrem Verhalten schwer gestört, was von der Umwelt bemerkt und interpretiert werde.„Wahrnehmungsgestörte berühren, und doch berühren sie nicht wie gesunde Kinder undErwachsene ... Sie wirken, und doch wirken sie nicht wie gesunde Kinder und Erwachsene:Sie nehmen weg und lassen Teilschritte aus ... Dann das Problem der Reihenfolgen – weshalbsind diese so schwierig für die Wahrnehmungsgestörten? ... Wahrnehmungsgestörte versagenim Alltag ... wie eine Leistung da ist und doch, bei der nächsten Veränderung der Situation,wieder zerfällt.“ Affolter (1987) empfiehlt, man solle nicht Fertigkeiten üben, sondern manmüsse bei den `Problemlösenden Alltagsgeschehnisssen´ (als Wurzeln der Entwicklung) undder Informationsvermittlung ansetzen. Dazu gehöre, zu spüren, über das Spüren zu lernen unddas Verhalten zu ändern, indem Wahrnehmungsgestörte Spürinformationen innerhalb`Problemlösender Alltagsgeschehnisse´ benützen können; dabei beginne Lernen beimVerständnis von Verhaltensmustern durch Verinnerlichung gespürter problemlösenderGeschehnisse des Alltags, wodurch die Wahrnehmungsgestörten lernen:

• Probleme lösen ist spannend• Schwierigkeiten sind dazu da, um überwunden zu werden• Erzieher/Therapeut führt durch alle Schritte – ohne dabei zu sprechen – mit Pausen

Zimmer (1995) zufolge sollten Fördermaßnahmen von Kindern mit Wahrnehmungsstörungenmöglichst frühzeitig einsetzen und propagiert eine ganzheitliche Förderung als Therapiezieldurch ganzheitliche Entwicklungsförderung, bei der alle Sinne angesprochen werden; wobeiWahrnehmungsförderung ohne Freude und Motivation nicht sinnvoll sei, da der Erfolg derFörderung wahrnehmungsgestörter Kinder ganz entscheidend von der Motivation der Kinderabhänge.

Fischer (1998) gliedert die traditionellen Ansätze zur Sinnes- und Wahrnehmungsförderung in• Neurologische Organisation mittels sensorischer Reizaufnahme und motorischer

Aktivität• Basale Stimulation von Sinnesmodalitäten im

o somatischen Bereicho vestibulären Bereicho vibratorischen Bereicho auditiven Bereicho taktil-haptischen Bereicho visuellen Bereicho Geschmacks- und Geruchsbereich

in Bewegung und bei intensiver Zuwendung (Basiskommunikation), basierend aufzuverlässiger Bedürfnisbefriedigung, Pflege und Versorgung.

• Snoezelen (angenehme Entspannung)• Sinnesschulung nach Montessori (Polarisation der Aufmerksamkeit)• Das Frostig-Programm (Visuelle Wahrnehmungsförderung, Motorik)• Das PERTRA-Programm (Wahrnehmungstrainingsprogramm)• Sensorische Integration nach Ayres• Senso-/psychomotorische Förderung nach Kiphard• Wahrnehmen und Spüren nach Affolter

Zimmer (1995) verweist darüberhinaus noch auf die Reggio-Emilia Pädagogik von LorisMalaguzzi, derzufolge sich Kinder die Welt über alle Sinne aneignen unter den Aspekten derFreiheit und Anleitung.

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Nach Affolter (1987, S. 297) benötigt der Wahrnehmungsgestörte, um weiter zu kommen,„Informationen – gespürte Widerstandsveränderungen im Rahmen geführter`Problemlösender Alltagsgeschehnisse´ ... geführtes Lösen von Problemen des Alltags“.

Eggert (1975) zufolge verdankt psycho- oder sensomotorisches Training als therapeutischesPrinzip bei behinderten Kindern im Vorschulalter seine Bedeutung in Deutschland imwesentlichen Ernst J. Kiphard (1963, 1970a, 1970b, 1971), dessen Überlegungen auch denAnsatz des von Eggert (1975) unternommenen Versuches der Übertragung in den Bereich derGrundschule geprägt haben. Eggert (1975, S. 10-11) sieht den Weg zur Förderung des Kindes„über das Bewegungsverhalten, das gerade in den ersten Grundschuljahren einen Zugang zumKind darstellt, der weniger mit Leistung und mehr mit Freude und Motivation verbunden ist“.Eggert (1975, S. 11) hält fest, „daß über die Schulung der Haltung und Bewegung desKörpers hinaus durch eine intensive Übung eine Koppelung von Wahrnehmung, Bewegungund sozialer Handlung Lernziele erreichen läßt, die eher in den Bereich des sozialen Lernenshineinreichen ... Der Ansatz geht weit über die Leibeserziehung hinaus“. Eggert (1975)berichtet, das psychomotorische Trainingsprogramm habe zu einer Verbesserung deremotionalen Befindlichkeit, zu einer Stärkung des Selbstwertgefühls und zu einerVerbesserung der sozialen Integration und zu einer Verbesserung der Kontakte des Kindesmit Eltern und Lehrern geführt, und schlussfolgert, dass psycho- oder sensomotorischeTrainingsmethoden als möglicher erster Schritt eines umfassenden Behandlungsplanes vonLernstörungen anzusehen seien. Eggert (1975, S. 14-15) hält fest, „daß psychomotorischesTraining ... auch eine Methode darstellt, mit der Eltern vertraut gemacht werden können undmit der sie unterstützend arbeiten können“, und weist darauf hin, „aus den Berichten derInternationalen Arbeitsgruppe zur Psychomotorik (Eggert/Kiphard, 1972; Müller, Decker undSchilling, 1975) geht hervor, daß bei einem weiten Anwendungsbereich psychomotorischerVerfahren auf breiter internationaler Ebene auch die Grenzen des Ansatzes deutlich werden“.

Ayres (1979, S. 12) zufolge ist sensorische Integration „nicht eine Sache des Entweder-Oder.Man hat nicht eine vollständig perfekte sensorische Integration oder aber gar keine. Niemandvon uns ordnet seine Empfindungen perfekt ... Wenn das Gehirn die sinnliche Wahrnehmungschlecht verarbeitet, führt dieser Umstand im Leben des betreffenden Menschen zu denverschiedensten Schwierigkeiten.“ Ayres (1979) weist darauf hin, daß keine Möglichkeitenbestünden, eine Störung im Gehirn nachzuweisen, zudem sei eine Beeinträchtigung derVerarbeitung sinnlicher Wahrnehmungen nicht als Krankheit im medizinischen Sinneaufzufassen; sodaß bei einem Kind mit einer Störung der sensorischen Integration Nerven undMuskeln normal arbeiten könnten, aber das Gehirn Schwierigkeiten habe, sie koordiniertzusammen arbeiten zu lassen; wobei ein häufig beobachtbares Problem dieEntwicklungsverzögerung der Sprache darstelle; andere Kinder können die Gefühle, die ihnendie Hautoberfläche vermittle, nicht ordnen. Für Ayres (1979, S. 323) ist eine Störung dersensorischen Integration eine „Unregelmäßigkeit oder auch Störung der Hirnfunktion, diedie Verarbeitung und Integration sinnlicher Reizeinwirkungen erschwert. Störungen dersensorischen Integration sind die Grundlage für viele, wenn auch nicht alle Lernstörungen.“

Brüggebors (1994, S. 28) kritisiert das reduktionistische Menschenbild der Sensorischen-Integrations-Theorie nach Ayres, demzufolge Sensorische Integration die sinnvolleAufgliederung und Ordnung von Sinnesreizen im Gehirn sei; wobei Lernen eine Funktion desGehirns sei und Lernstörungen somit als Abweichungen innerhalb der Neuralfunktionbetrachtet werden könnten: „Eine gut funktionierende Integration aller sensorischen Inputs istzweifellos von entscheidender Bedeutung für eine gute Entwicklung des Kindes. Aber dieSchwierigkeiten eines Kindes `Freundschaften zu schließen´ (Ayres, 1984, S. 13) oder allemöglichen anderen Verhaltensstörungen (Ayres, 1984, S. 173 ff) ausschließlich auf eine

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sensorisch-integrative Dysfunktion zurückführen zu wollen, degradiert die Kinder auf dieStufe reiner Reiz-Reaktions-Marionetten. Eine dennoch wichtige Schlußfolgerung für dieSonderpädagogik aus diesen medizinisch-biologischen Erkenntnissen ist das basale Training.Oft wird in der Praxis der Fehler gemacht, auf der `höher´ angesiedelten Symptomebene mitder Therapie zu beginnen, statt sich der tiefliegenden Ursache bewußt zu werden und miteiner basalen, grundlegen Stimulation zu beginnen.“ Sensorische Integration ist daher fürBrüggebors (1994) eine monistische Theorie, in der es nicht zwei oder mehr Substanzen(Geist/Seele; Leib/Seele; Materie/Geist), sondern nur eine – Materie = Gehirn. Brüggebors(1994, S. 33) postuliert: „Spätestens seit Capras `Tao der Physik´ und der `Wendezeit´ ist derBegriff `Holismus´ (Ganzheit) in der Literatur immer häufiger zu finden und er ziehtallmählich ein in die `alltägliche´ Terminologie. Nachdem in unserer Kultur der eine Pol desmenschlichen Potentials, die Ratio, das Denken, die Vernunft – Überhand gewann und derandere Pol mit seinen Dimensionen – Kreativität, Phantasie, Intuition, holographischesBewußtsein ein Schattendasein führte, läßt die Devise des `holographischen´ Menschen- undWeltbildes, daß das Rationale und das Intuitive komplementäre Formen des menschlichenGeistes/Bewußtseins sind, eine neue ganzheitliche Sichtweise zu.“ Brüggebors (1993) beziehtsich auf Capra´s Tao der Physik (1984), wonach es in der Theorie zwar möglich sei, Elementevom Ganzen oder voneinander zu trennen, praktisch jedoch unplausibel, beispielsweise seienElektrizität und Magnetismus Teile einer Ganzheit, ebenso wie im Menschen Geist, Seele undBewußtsein eine Ganzheit bilden. Brüggebors (1994, S. 39) postuliert:„Immaterielles/Geistiges/Energetisches beeinflußt demnach Materielles/Körperliches undumgekehrt. Alles ist in jeder kleinsten Hirneinheit enthalten. Da aber Materie letztlich Energieist, Energie auf kleinstem Raum, ist Energie determinierend.“ Brüggebors (1994, S. 43)schlußfolgert: „Solange Energie/Geist sich zu Materie verdichtet, ist Geist/Energie auch überMaterie ansprechbar; schon weil beide auf dieser bestimmten Ebene eine holistische Einheitbilden.“

Fischer (1998, S. 265) zufolge sei es vor allem für Kinder und Jugendliche mitBeeinträchtigungen in der Sensorik, Motorik und Kognition notwendig, daß sie sich auf derGrundlage ausreichender Körpererfahrungen als „Brücke zur Welt“ in vielfältigen Situationenmit der gegenständlichen und sozialen Wirklichkeit sinnlich auseinandersetzen und die darinverkörperten Gegenstandsbedeutungen aneignen. „Ein solches aktivesWahrnehmungsverhalten ermöglicht vor allem das kindliche Spiel, in besonderem Maße aberein handlungsbezogenes Lernen, bei dem viele der Bedingungen und Voraussetzungen erfülltsind, wie sie für eine auf Sinnstiftung und Bedeutungserschließung ausgerichteteWahrnehmung ... formuliert wurden.“

Nach Olbrich (1989) berücksichtigt psychomotorisch orientierteSprachentwicklungsförderung die entwicklungspsychologische, die psychotherapeutische unddie sozialtherapeutische oder kommunikationstherapeutische Ebene gleichermaßen und setztnicht am Symptom an, sondern versucht, das Kind mit seiner gesamten Persönlichkeit zuakzeptieren, durch ganzheitliche Förderung der Gesamtpersönlichkeit über die Förderung vonFunktionen, wobei Bewegung Fundament und Träger der entwicklungsförderndenden Arbeitist. Olbrich (1989) sieht als oberstes Entwicklungsziel die integriert handelnde Persönlichkeit,die mit der eigenen Person, der dinglichen Umwelt und der sozialen Gemeinschaft inEinklang steht.

Bánffy (2003, S. 22) berichtet, sie erstellte im Sommer 1988 das Therapieprogramm derneuen „Komplexen Wahrnehmungstherapie“ und begann im Herbst 1988 mit derDurchführung. „So wurde zum ersten Mal in der `Sozialgeschichte´ Tirols einedurchstrukturierte, alle Bereiche von Behinderung umfassende psychomotorische Therapie für

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Kinder und Jugendliche begründet und angeboten. Dies war eine bahnbrechende undzukunftsweisende Neuerung für psychisch und motorisch beeinträchtigte, behinderte Kinderund eine wesentliche Verbesserung der Infrastruktur der Behindertenpolitik ... Eine Therapiezu schaffen, die mehr als nur die Sinne einzelner Teilbereiche und zugleich die seelischeKomponente fördert, war und ist ein Novum. Der Erfolg war dementsprechenddurchschlagend und die Nachfrage immens.“

Für Bánffy (2003, S. 46) ist der Körper „jenes ganzheitliche Organ, dessen umfassendeMöglichkeiten in der Therapie genutzt werden müssen, um neuartige Erfahrungen zusammeln und dementsprechend eine Verhaltensänderung herbeizuführen“.

Wieland (1975, S. 74) versucht eine Definition der „Psychomotorik“, wonach derZusammenhang zwischen Psyche und Soma nicht in Form eines Dualismus, sondern als sichgegenseitig bedingende Komponenten einer Funktionseinheit (Dualität) zu verstehen sei: „DieMotorik ist eines der konstituiven Elemente der Psyche, während umgekehrt die Psyche mitihren mentalen und affektiven Aspekten den motorischen Ausdruck determiniert.“ Über dieDefinition von G. Rossel (zit. nach Decker, in Eggert und Kiphard 1972) derpsychomotorischen Erziehung zur mentalen Kontrolle über den motorischen Ausdruck imHinblick auf ein beherrschtes Bewegungsverhalten hinausgehend wäre für Wieland (1975) dieBezeichnung „sensumotorisches Training“ (sic!) exakter zu definieren, „weil damit sowohldie sensorische Kontrolle der Bewegung, als auch die der im Laufe der Bewegungenhervorgerufenen Eigenreize und schließlich die im Bewegungsverhalten zu beobachtendeKoordination unterschiedlicher sensorischer Systeme erfaßt wäre“. Wieland (1975) verweistauch auf die Behaftung der „Sensomotorik“ für den von Piaget (1969) beschriebenenEntwicklungsschritt der „sensomotorischen Intelligenz“, weshalb der Terminus„Psychomotorische Übungsbehandlung“ gewählt wurde.

Ayres (1979, S. 322) definiert Sensorische Integrationsbehandlung als eine „Behandlung, diedie Stimulation von Sinnesorganen und die Auslösung von Anpassungsreaktionenentsprechend den neurologischen Bedürfnissen des betroffenen Kindes vermittelt. DieseTherapie umfaßt gewöhnlich Ganzkörperbewegungen, welche eine Stimulation desGleichgewichtssystems (vestibuläres System), der Eigenwahrnehmung (propriozeptivesSystem) und des Tastsinns (taktiles System) umfassen. Diese Therapie enthält gewöhnlichkeine Aktivitäten, die an einem Schreibtisch durchgeführt werden wie Sprachtraining,Leseunterricht oder Übung bestimmter geistiger oder motorischer Fertigkeiten. Das Ziel derTherapie ist die Verbesserung des Ablaufs der Hirnverarbeitungsprozesse und der sinnvollenOrdnung von Empfindungen.“

Wieland (1975, S. 76-77) fasst zusammen, „dem entwicklungspsychologischen KonzeptPiaget´s zufolge, vollzieht sich der Prozeß der zunehmenden Differenzierung und Erweiterungder kognitiven Fähigkeiten als hierarchische Abfolge von Entwicklungsstadien, wobei diefrüheren Lernerfahrungen die Voraussetzungen für das spätere Lernen bilden. So sind alsoWahrnehmungsprozesse immer als die Grundlage kognitiver Leistungen zu interpretieren.Das psychomotorische Training, dessen Übungsinhalte ja immer der Erweiterung desmotorischen und perzeptuellen Repertoires dienen, kann also als basales kognitives Traininginsofern angesehen werden, als damit die Aktivierung des für jeden Lernerfolg erforderlichen„sensumotorischen Unterbaues“ (Piaget, 1969) erreicht wird. Durch die Übungsinhalte, dieeine Steigerung der motorischen und perzeptuellen Fähigkeiten der Schüler bewirken, erfolgteine Stabilisierung und Aktualisierung der „elementaren Intelligenz“ (Piaget, 1969) zugunstenhöherer Organisationsformen der Erkenntnis.“ Für Wieland (1975) erweist sich daspsychomotorische Training als basal (grundlegend) sowohl für die Erweiterung der

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Grundlagen des kognitiven Verhaltens, als auch für die stützende und fördernde Schaffungvon Lernsituationen im Bereich der bewußten und unbewußten Sinneswahrnehmung.

Nach Zimmer (2000) lehnen sich die von Frau DDr. Bánffy und ihren Mitarbeiternangewandten Methoden der Komplexen Wahrnehmungstherapie an die „PsychomotorischeTherapie / Mototherapie und die sensorische Integrationstherapie an und haben diese zu einerSynthese gebracht“. Zimmer (2000) zufolge ist Voraussetzung für die Auseinandersetzungdes Kindes mit seiner Umwelt ein gut funktionierendes Wahrnehmungssystem: „Die Ursachevon Wahrnehmungsstörungen ist weniger in einem nicht funktionsfähigen Sinnesorgan zufinden, sondern in der mangelnden Fähigkeit, Reize auszuwählen, wichtige von unwichtigenzu unterscheiden, Sinneseindrücke richtig einzuordnen, mit vorhandenen Fähigkeiten zuverbinden und sie im Zentralnervensystem zu integrieren.“ Zimmer (2000) betont, dass essich beim Auftreten von Wahrnehmungsstörungen um eine Kette von Einflüssen undEreignissen handle, „die zur Folge haben, dass das Kind in der Auseinandersetzung mit seinerUmwelt beeinträchtigt wird. Störungen im Prozess der sensorischen Integration sind häufigmit Auffälligkeit im Verhalten des Kindes und mit einer Beeinträchtigung seinerLernfähigkeit verbunden.“

Wieland (1975) weist auf den Zusammenhang von Transfer-Theorie und psychomotorischemTraining hin, indem durch ein unspezifisches psychomotorisches Training generalisierbareLernprozesse einsetzen, die sich positiv auf die „kognitiven Strukturen“ (Foppa, 1970) unddie Persönlichkeitsentwicklung der Kinder auswirken; was für die Anwendung in der Praxiszur Folge habe, daß die psychomotorische Übungsbehandlung als heilpädagogischesVerfahren in ihrer Wirksamkeit sorgfältig zu beobachten sei; insbesondere hinsichtlich derMechanismen der beobachteten Leistungssteigerung, als auch für den Bereich der akusto-motorischen Insuffizienz eine generelle Leistungssteigerung durch psychomotorischesTraining zu erwarten sei. Wieland (1975, S. 79) schlußfolgert: „Zeigt sich jedoch – undhierfür sind Langzeitbeobachtungen die Voraussetzung – daß die spezifische Einflußnahmeauf den Wahrnehmungs- und Reproduktionsprozeß den nachhaltigeren und gesicherterenErfolg bringt, wird den Inhalten der Übungsprogramme das Hauptaugenmerk gelten müssen... Eine weitere Perspektive ... liegt ... darin, daß es möglich sein müßte, bei Kindern mit einerzu großen perzeptorischen Abhängigkeit von direkten Einflüssen oder Wahrnehmungsfelderndurch psychomotorische Lernprozesse einen gesicherten Apperzeptionshintergrund zuinduzieren. Der entscheidende Ansatz läge hier wohl in der Verknüpfung perzeptuell-kognitiver Prozesse, die den Transfer in den rein kognitiven Bereich begünstigen.“

Kiphard (2000) zufolge handelt es sich bei der seit 1988 von DDr. Bánffy „speziell fürwahrnehmungsgestörte und entwicklungsrückständige Kinder mit autistischenVerhaltensweisen“ entwickelten komplexen Wahrnehmungstherapie um einen „völlig neuenFörderansatz“, der mit schon bestehenden ganzheitlichen Methoden (zB. konduktivePädagogik nach Petö oder Haustrainingsprogramm nach Doman und Delacato) nicht zuvergleichen sei. Nach Kiphard (2000) ist das „eigentlich Neue und Bahnbrechende derTherapie nach Bánffy die intensive und systematische Einzelförderung im Verhältnis 1:1innerhalb einer festen Übungsgruppe“, die durch Musik, Gesang und rhythmische Reimebegleitend unterstützt wird. Nach Kiphard (2000) vermittle dieser „räumlich sowie zeitlichimmer feste Rahmen mit der therapeutischen Bezugsperson“ dem Kind ein „Gefühl derSicherheit, des Vertrauens und des entspannten Sich-Wohlfühlens“, wobei in einer derartigenAtmosphäre der Geborgenheit und Wärme erste soziale Kontakte zu der „Leibtherapeutin“entstehen, die den ganzen Tag zusammen mit dem Kind verbringt.

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Kiphard (2000) postuliert: „Was das für autistische Patienten bedeutet, die sich selbst fremdsind und ihre Umwelt als chaotisch und bedrohlich erleben, kann nur der ermessen, der weiß,wie schwer es diesen Kindern fällt, Berührungen, Sozialkontakte und persönlicheBeziehungen zu anderen Menschen ohne Angstreaktionen und Wutausbrüche zu akzeptieren.Hier wirken sich sowohl die Gruppenathmosphäre als auch der täglich in gleicher Weisestrukturierte Therapieverlauf äußerst positiv auf alle Perzeptionsbereiche einschließlich dersozialen Wahrnehmung aus.“

Zimmer (2000) weist darauf hin, dass die therapeutischen Maßnahmen zur Bearbeitung vonWahrnehmungsstörungen insbesondere auf eine verbesserte Integration der Sinneseindrückeausgerichtet seien; häufig sei die Körperwahrnehmung nur wenig differenziert, dasKörperschema nicht genügend ausgebildet und das taktile System über- oderunterempfindlich, wobei sowohl die Primär- als auch die Sekundärsymptomatik überWahrnehmungsförderung günstig beeinflusst werden.

Kiphard (2000) betont die Verbesserung des Körperschemas und des Wohlbefindens durchtaktile und propriozeptive Sinnesreize. „Während die wahrnehmungsgestörten Patientenzunächst erst einmal lernen, einzelne isolierte Sinnesinformationen selektiv wahrzunehmen,werden sie mit der Zeit in der Lage sein, auch intermodal, d.h. die Sinnesreize miteinanderverknüpft wahrzunehmen“; sodass sie nach anfänglicher Führung motorischer Vollzüge undBewegungen allmählich selbst in die Lage versetzt werden, sich selbst frei zu bewegen.

Zimmer (2000) berichtet, Hypertonie, Hypotonie, Haltungs- und Koordinationsschwächenkönnen abgebaut, grob- und feinmotorische Fähigkeiten durch entsprechendeWahrnehmungsschulung weiterentwickelt werden: „Insgesamt kann die Entwicklungneurophysiologischer Prozesse über gezielte und differenzierte Wahrnehmungsförderungunterstützt werden, durch Maßnahmen zum Aufbau eines positiven Selbstkonzeptes kanndarüber hinaus auch die psychische Befindlichkeit der Betroffenen stabilisiert werden.“

5. Therapeutische Maßnahmen im Rahmen der Komplexen Wahrnehmungstherapie

Kiphard (1980, S. 12-13) stellt fest: „Im Hinblick auf entwicklungsorientierte undfunktionsorientierte, kindgemäße Therapieformen sind darüber hinaus spezifischsonderpädagogische, lern- und informationstheoretische und verhaltenstherapeutischeModelle und Techniken hilfreich. Sie erweitern und differenzieren die Möglichkeitenpsychomotorischer Einflußnahme. Hinzu kommen Spezialkenntnisse derpsychopathologischen und motopathologischen Besonderheiten einzelnerBehinderungsgruppen ... Entwicklungsförderung bedeutet, ... entsprechend vorstrukturierte,kindgemäße Lernsituationen mit Hilfe von hochmotivierenden Materialien vorgeben, die dasKind zum weitgehend selbsttätigen Handeln auffordern. Gemäß einer ganzheitlichenKonzeption sollte die kindliche Entwicklung als ein Prozeß ständig steigenderAusdifferenzierung, Strukturierung und Organisierung zu höherer funktioneller Komplexitätverstanden werden, und zwar in enger Wechselbeziehung zur Umwelt. Diese sowohlquantitative als auch qualitative Kapazitätssteigerung des kindlichen Organismus ist einerseitsabhängig von der Intaktheit der eigenen Sinnes- und Bewegungsorgane. Andererseits ist esnotwendig, daß die Außenwelt mit all ihrer Reizfülle und ihrem Informationsgehalt vollwirksam wird ... Sinnvolle Bewegungsaktionen bedürfen nun ihrerseits wieder derMitwirkung der Sinne, genauso wie die Sinne durch Motorik geschärft und leistungsfähigergemacht werden. Eingedenk dieser Wechselwirkung sprechen wir von der Sensomotorik alseiner funktionellen Einheit von Wahrnehmen und Sich-Bewegen. Der Ausdruck

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`Psychomotorik´ faßt diese Funktionseinheit noch weiter, indem das Emotionale miteinbezogen wird. So nimmt der Mensch wahr, nimmt gefühlsmäßig Stellung und handelt.“

Bánffy (2003) betrachtet autistisches Verhalten als Überlebensstrategie, basierend auf einerorganischen Beeinträchtigung, einer möglichen funktionalen oder neuronalen Fehlschaltung,einer Hypersensibilität und/oder Vulnerabilität oder einer tiefgreifenden Entwicklungsstörungmit graduell verschiedenen Wahrnehmungsstörungen in Verbindung mit einer aliquotgraduellen Kommunikationsbeeinträchtigung. Für sie ist der Körper die Bedingung derMöglichkeit allen Erlebens, aller Erfahrung, aller Erkenntnis, das wichtigste zur Verfügungstehende Organ (Vermittlungsstelle), um als Schaltstelle die Welt und alle darinvorkommenden Ereignisse aufzunehmen, einzuordnen, zu speichern, unterzuordnen udgl.Durch den Vermittlungsort Körper „zwischen mir und der Außenwelt ... drücke ich mich aus,durch ihn erfahre ich mich selbst, fühle mich, spüre mich und kann der Außenwelt begegnen... Mein Körper ist ein ganzheitliches System, ein nach einem inneren Bauplan aufgebautesGanzes ... Wenn mein Körper in guter Verfassung ist, kann er vieles aufnehmen, vielesverarbeiten und speichern. Er ist sozusagen die Ausdrucksweise meines Geistes ... Bietet erverschiedene, uns fremde Verhaltensweisen an, müssten wir nachschauen, was er braucht, umsich wieder wohler zu fühlen, mit sich und seiner Welt zurechtzukommen. SkurrilesVerhalten weist auf skurrile Eingebungen hin.“ (S. 51-53, ebd.) Bánffy (2003) statuiert eingegenseitiges aufeinander Angewiesensein von Körper und Geist und leitet daraus dieBedeutung der Wahrnehmung in der Therapie ab. Bánffy (2003) stellte fest, dass sensorischeDeprivation u.a. durch einen Mangel an Sinnesreizen hervorgerufen wird und dadurch eineEntwicklungshemmung eintritt; wobei Frühförderung die Nervenzellen vor dem Untergangbewahren und dadurch sensorische Deprivation verhindern kann. Indem visuelleWahrnehmungsstörungen die motorische Entwicklung bzw. Hörschäden die Entwicklung desGleichgewichtssystems beeinflussen, erkannte sie, ein ganzheitliches Wahrnehmungssystemnicht nur anzunehmen, sondern zur Grundlage ihrer Arbeit zu machen durch Förderung derbasalen und intermodalen Wahrnehmung der Klienten. Bánffy (2003) bezeichnet basaleWahrnehmung als Grundlage jedes Lernens, Intermodalität als das Zusammenspiel allerSinneswahrnehmungen. Bánffy (2003) weist auf die Bedeutung der Entspannung in derTherapie hin, da sie festgestellt hatte, dass entwicklungsgestörte Klienten weder Spannungertragen noch Zukunft oder Ziele antizipieren konnten; dabei konnte sie eine kausaleKorrelation beobachten zwischen Fähigkeit, sich zu entspannen (infolge Konzentration aufdie gesunden und nicht die defizitären Anteile), und dem Rückgang von Anfällen; wobei auchdie intensive Beziehung zwischen Klient und Therapeut entspannungsfördernd wirkt. Bánffy(2003) betont auch den Umstand, dass Kinder mit autistischen Verhaltensweisen kaumAntrieb zeigen, aus eigener Initiative etwas zu unternehmen oder von sich aus etwas zuleisten. Sie weist darauf hin, dass die antreibende Motivation erst dann mobilisiert werdenkönne, wenn die Ängste vor der Auseinandersetzung abnehmen, wenn man dieBerührungsängste verliere; daher baute sie in die Therapie sämtliche bekanntenSinneserfahrungen ein, ob taktiler, visueller, akustischer, olfaktorischer, gustorischer oderanderer Art. „Sobald diese den Kindern bekannter wurden und sie diese allmählichdifferenzierter wahrnehmen konnten, begannen sie selbst, Verschiedenes zu unternehmen, zuspielen, Eigeninitiative zu entwickeln, um die Umwelt kennen zu lernen. Ihr Antrieb nahm zu,ihre Motivation auf Personen- und Sachebene verbesserte sich zusehends und sie bekamenLust, die Welt zu erobern.“ (Bánffy, 2003, S. 59)

Nach Kiphard (2000) nimmt man heute an, „dass die dem Hirnstamm zugehörige formatioreticularis als Durchlaß- und Schaltstelle für afferente Sinnesreize funktioniert. Sieentscheidet, welche der sensorischen Empfindungen zur Wahrnehmung an die Hirnrindeweitergeleitet werden. Störungen in diesen subkortikalen Schaltzentren haben ein

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ungefiltertes Reizbombardement zur Folge. Das autistische, wahrnehmungsgestörte Kindwehrt sich gegen das Überangebot an Umweltinformationen, indem es die Kontaktstellen zurAußenwelt auf das Allernötigste beschränkt oder sie ganz zumacht. Das gilt insbesondere fürden Sozialkontakt mit anderen Menschen, deren Verhalten, im Gegensatz zu Dingen, nichtvorhersagbar ist und von daher als verwirrend und bedrängend erlebt wird.“

Bánffy (2003, S. 60) weist auf die Bedeutung der Komplexität der Gehirnfunktionen hin,indem „Informationen aus der Außenwelt verschiedene Wege im Gehirn gehen, miteinanderverglichen und erst auf höchster Ebene zusammengefasst und nach neuen Kriterienzusammengestellt werden müssen“, und betont, „dass manche Stereotypen auf archaischeUmwelt-Bearbeitungsmuster, die kaum lernfähig sind, zurückgehen ... Wir erstelltenkomplexe Wahrnehmungspläne, die dann ermöglichten, die Informationen von außen vonGrund auf in die Verarbeitung aufzunehmen, um das Alte zu überlagern.“ Des weiteren weistsie auf entwicklungsbeeinflussende Abweichungen hin, die als umfassende Störungen dieLebensqualität in Form eines multidimensionalen Ereignisses, das allePersönlichkeitsbereiche und den Körper umfasst, nachhaltig vermindern können, undidentifiziert folgende Mitauslöser der Wahrnehmungsverarbeitungsmängel:

• Mangelhaftes Körperschema – Raum- und Zeitwahrnehmung,• Mangelhafte Lateralisierung des Körpers und der Sinnesorgane,• Mangelhafte Synchronisierungsfähigkeit des Gehirns, Reize zeitverzerrt im Gehirn zu

verarbeiten,• Überempfindlichkeit auf Sinnesreize,• Abweichungen im akustischen Wahrnehmungssystem

wurden durch intensive (Körper-)Therapie und defektbezogene Korrekturen verbessert.

Zimmer (2000) berichtet: „In der Rehabilitationsstätte arbeiten Psychologen, Pädagogen,Psychotherapeuten und Physiotherapeuten. Der interdisziplinären Zusammensetzung desTherapeutenteams entspricht die Heterogenität der behandelten Kinder. Hierzu gehörenschwer wahrnehmungsgestörte Kinder, Kinder mit psychomotorischen Störungen undautistischen Verhaltensweisen, mehrfach behinderte Kinder und solche mit allgemeinenEntwicklungsstörungen und –retardierungen. Die Indikation für eine Aufnahme in dieRehabilitationsstätte wird von Ärzten getroffen, Empfehlungen werden aber auch vonBehörden, Lehrer/innen und Kindergärtnerinnen ausgestellt. Bei einer Aufnahme erfolgtzunächst ein Gespräch mit den Eltern, dann werden die Kinder zu einer Grobdiagnostikaufgenommen. Diese Diagnostik umfasst eine Überprüfung der Wahrnehmungsfähigkeit(insbesondere der vestibuläre und taktil-kinästhetische Bereich), der Koordinationsfähigkeitund des allgemeinen Entwicklungsstandes. Das Verhältnis von Therapeuten und behandeltenKindern beträgt 1:1. Jedes Kind wird also von einem Therapeuten betreut, obwohl dieTherapie in der Gruppe durchgeführt wird ... Die heterogene Zusammensetzung bewirkt auch,dass die Kinder sich untereinander anregenund herausfordern können, es werdenLernprozesse im Sinne des Modellverhaltens angeregt. Die Unterstützung desSozialverhaltens wirkt sich auch auf das Alltagsleben positiv aus. Jede Gruppe wird von einereigenen Therapeutin/Anleiterin betreut, die sich auf die inhaltliche Konzeption konzentrierenkann.“

Bánffy (2003) berichtet von folgenden Schwerpunkten ihrer Therapie:

• Entspannung, um neue Kanäle zu mobilisieren• Komplexe Wahrnehmung: um die Möglichkeiten des Körpers zu nützen• Kommunikation: um die neuen Erfahrungen auf die Ebene des verbalen Ausdruckes

zu heben

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• Aktivität als Versuch, die Erfahrungen in Handlungen umgesetzt zu vertiefen unddann zu stabilisieren

• Verbalisierung und Kombinierung der erfahrenen Prozesse

„In der komplexen Wahrnehmung werden alle Wahrnehmungskanäle realiter oder imaginärgefördert und geschult, um einen adäquaten Zugang zur Wirklichkeit, zu der Materialitätsowohl des Körpers als auch des Umfeldes zu bekommen.“ (Bánffy, 2003, S. 47)

Zimmer (2000) stellt fest, „die inhaltlichen Schwerpunkte liegen im Bereich der basalenWahrnehmungsförderung, der Körperwahrnehmung, der Stimulation der vestibulären,propriozeptiven und kinästhetischen Entwicklung. Eine Führung durch den Therapeuten ist invielen Fällen notwendig, die Kinder sind zum Teil nicht zu selbständiger Bewegung fähig.Andererseits können sie ... zur Eigenaktivität herausgefordert werden. Ein weitererSchwerpunkt liegt in der rhythmischen Bewegung. Die rhythmischen Impulse undrhythmischen Spiele unterstützen die Bildung der Sprache und den Bewegungsfluß ... Auchfeinmotorische Übungen sind in dem Therapieprogramm enthalten ... Für eine intensiveWahrnehmungstherapie sind spezifische Materialien und große, für Bewegung geeigneteRäume erforderlich. Diese sind in den meisten physiotherapeutischen undergotherapeutischen Praxen nicht vorhanden. Die Rehstätte verfügt über einen sehr großenBewegungsraum, der sowohl mit fest eingerichteten als auch mit mobilen Geräten optimalausgestattet ist ... Eine Therapieeinheit umfasst zehn Stunden, sie dauert in der Regel alsoeinen ganzen Tag ... Am Abschluss eines jeden Behandlungstages wird von jedemTherapeuten ein Beobachtungsbogen über das betroffene Kind ausgefüllt, diese Protokolledienen auch einer Effektivitätskontrolle der Therapie.“

Bánffy (2003, S. 49) zufolge ist die Sprache die höchste, geistige, in allgemein gültigenRegeln gegossene Form der Kommunikation, die kaum oder durch nichts ersetzt werdenkann. „Sie ist inhaltlich angewiesen auf die Erfahrungen und die Fähigkeit einer komplexen,integrierten Wahrnehmung der Betroffenen. Und wenn ausgerechnet diese Art vonKommunikation, die den Menschen speziell auszeichnet, verloren geht oder brüchig wird,dann verliert der Mensch ein tragendes Element in seinem Leben, nämlich jenes, das ihmermöglicht, mit seinen Mitmenschen in adäquater Weise verkehren und sich einerGemeinschaft zugehörig fühlen zu können ... Psychische Krankheiten also zeigen sichvorwiegend in der Verarmung der sprachlichen Ausdrucksweise, in der Eindimensionalitätdes Mitteilungsbedürfnisses oder in der Skurrilität und Perseveration des Wortschatzes.“

Da nach Bánffy (2003, S. 50) die Lebensqualität des Menschen davon abhängt, in welcherWeise er mit seinen Mitmenschen kommuniziert, wendet sie die KomplexeWahrnehmungstherapie an, die auf einer Verbesserung der Kommunikation mit der Umweltund den Mitmenschen, der Wahrnehmung basiert: „Selbst die schwerstkranken Kinder undJugendlichen beginnen nach einiger Zeit, sich in ihrer eigenen Weise einander zuzuwenden,Bedürfnisse zu äußern, sich mitzuteilen, aufeinander zuzugehen, sogar gemeinsam zu spielenund gelegentlich Fragen zu stellen.“

Zimmer (2000) stellt fest, „in die komplexe Wahrnehmungstherapie fließen andereTherapieformen ein. Hervorzuheben ist insbesondere das Hörtraining nach der `Tomatis-Methode´, die bei Kindern mit Kommunikationsstörungen undEntwicklungsbeeinträchtigungen erstaunliche Erfolge erzielt.“

Bánffy (2003, S. 83) zufolge sucht die Komplexe Wahrnehmungstherapie einen gänzlichneuen therapeutischen Zugang durch Bewegung von außen im Inneren Bewegung und

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Neustrukturierung zu erreichen; dabei basiert die Komplexe Wahrnehmungstherapie auffolgenden wesentlichen Prinzipien:

• Von ihren äußeren Rahmenbedingungen her bietet die Therapie maximale Sicherheitan.

• Alle therapeutischen Schritte werden in einen rhythmischen Ablauf gestellt undmittels Musik, Liedern ... begleitet.

• Jedem Klienten steht für die gesamte Dauer der Therapie ein Therapeut zurVerfügung. Damit wird eine individuelle Behandlung gewährleistet und einepersönliche Beziehung möglich.

• Die Therapie bietet klar strukturierte Sinneserfahrungen an, damit darausdifferenzierbare ... und kommunizierbare Wahrnehmungen werden.

• Der körperorientierte Zugang ermöglicht die Stabilisierung und Integration dersensorischen Stimuli.

• Die Therapie ist so aufgebaut, dass sämtliche Wahrnehmungsbereiche gefördert undauf einer komplexen Ebene miteinander verflochten werden.

• Die Therapie wird in der Gruppe durchgeführt, da diese an sich schon eintherapeutisches Element ist und die soziale Kommunikation fördert.

Zimmer (2000) subsummiert: „Nach Kenntnis der theoretischen Voraussetzungen und nacheinem intensiven Einblick in die praktische Therapie wahrnehmungsgestörter, autistischer undbehinderter Kinder möchte ich ausdrücklich betonen, dass ich diese Form der Intensivtherapiefür sehr gut begründet und inhaltlich sehr gelungen halte. In der Rehabilitationsstätte stehensehr gut ausgebildete Therapeuten für die Betreuung der Kinder zur Verfügung, dieBeziehung zwischen Therapeuten und Kindern gelingt außerordentlich gut. Die Leiterin derRehastätte, Frau Dr. E.G. Bánffy hat mit ihrer Ausbildung zur klinischen Psychologin undPsychotherapeutin und ihrer Weiterbildung in Wahrnehmungstherapie undMototherapie/Psychomotorik ideale fachliche Voraussetzungen zur Leitung einesinterdisziplinär zusammengesetzten Therapeutenteams. Die großzügig gestalteten und inBezug auf Geräte und Bewegungsmaterialien sehr gut ausgestatteten Räume der Reha-Stätteermöglichen eine ausgesprochen intensive Entwicklungsförderung. Ich konnte michpersönlich eine ausgesprochen intensive Entwicklungsförderung. Ich konnte mich persönlichdavon überzeugen, dass auch schwerst-mehrfach-behinderte Kinder mit Freude an dentherapeutischen Einheiten teilnehmen, daß bereits im Verlauf einer TherapieeinheitFortschritte bei spezifischen Aufgabenstellungen zu beobachten waren.“

Kiphard (2000) zufolge bewirken die in der komplexen Wahrnehmungstherapie angewandtenVariationen „mit der Zeit eine Generalisierung sensomotorischer Grundmuster und führennach und nach zur Fähigkeit der Adaption an neue bisher ungewohnte Handlungssituationen.Die gängigen Wahrnehmungs- und Bewegungsmuster automatisieren sich durch zahlreicheWiederholungen und müssen nicht mehr bewusst gesteuert werden. Hierdurch werden neuraleKapazitäten frei, die wiederum für neue perzeptiv-motorische Erfahrungen genutzt werdenkönnen. Dabei gilt der neurophysiologische Grundsatz ... die Funktion bestimmt die Struktur(LeWinn 1967). Damit ist gemeint, dass durch die Übungsroutinen der komplexenWahrnehmungstherapie nach Bánffy mit der Zeit auch strukturelle Veränderungen im Gehirndurch Bahnung neuer neuraler Verbindungen und Vermehrung der Synapsen bewirkt werden.Das ist besonders wichtig, da sie ohne Entwicklungsreize von außen nicht von ihrenAutomatismen und Stereotypen loskommen. Nur über basale und komplexe Sinnes- undBewegungserfahrungen gelingt es im Laufe der Zeit, die zum Leben und Überleben dringendnotwendigen neuralen Strukturen im Gehirn zu aktivieren.“

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Zimmer (2000) schlussfolgert: „Eine Alternative zu der in der Rehabilitationsstätteangebotenen Therapie wäre aus meiner Sicht eine Vollzeitbetreuung der Kinder, in dieregelmäßige Therapiemaßnahmen mit einem ähnlich hohen Zeitaufwand integriert werdenmüßten. Die Kosten dieser Vollzeitbetreuung wären allerdings erheblich höher als eineambulante Therapie, wie sie in der Rehabilitationsstätte angeboten wird. Für die Kinder ist esinsgesamt natürlich auch besser, wenn sie in ihren Familien bleiben. Aus fachlicher Sichterscheint mir der Aufwand, den die intensive Therapie mit sich bringt, gerechtfertigt zu sein.Der Erfolg ist belegt durch die nachweisbaren Entwicklungsfortschritte der Kinder.“

6. Fallbeispiele aus der Praxis der Komplexen Wahrnehmungstherapie

Seit 1988 wurden über 1.200 Klienten mittels der Komplexen Wahrnehmungstherapie in denRehastätten Bánffy behandelt. Im folgenden werden nur zwei Fallbeispiele exemplarischgeschildert (vgl. Bánffy, 2003, S. 176-197).

Judith, 9 Jahre, 3. Klasse Volksschule – Lehrerin bat um Versetzung in die Sonderschule. DieDiagnose ergab eine Entwicklungsretardierung mit massivem intermodalemWahrnehmungsverarbeitungsmangel mit starker Reaktionsverzögerung, verlangsamtermotorischer Koordination, Schwierigkeiten im vestibulären System, Lateralitätsschwäche undDiskriminationsmangel in nahezu allen Sinnesmodalitäten. Judith erhielt eine speziell auf sieabgestimmte Komplexe Wahrnehmungstherapie (fünf Einheiten pro Woche) mit SchwerpunktVerbesserung der Lateralität im akustischen und visuellen Bereich, Stabilisierung desvestibulären Systems, Stützung der Praxie und Behebung der Diskriminationsmängel. Judithverbesserte bereits in den ersten Monaten ihre Reaktionsfähigkeit, wurde in der Schulezugänglicher und bewegte sich sicherer. Ihre Lateralitätsschwierigkeiten verschwanden nachneun Monaten und sie wurde in ihrer Ausdrucksweise immer differenzierter und alsbaldaltersadäquat. In 18 Monaten hatte sie den Entwicklungsrückstand aufgeholt und mußtefolglich nicht in die Sonderschule überstellt werden, sondern wurde sogar zurKlassensprecherin gewählt. Nach diesen 18 Monaten wurde sie als vollständig geheilt aus derTherapie entlassen, inzwischen besucht sie die Hauptschule, lernt mit gutem Erfolg und weistkeine Rückfallstendenzen auf.

Sascha, 4 Jahre 9 Monate, wurde von der Kindergärtnerin überwiesen, da er nicht sprach,aggressiv und zerstörerisch reagierte. Sascha, mit einem offenen Rücken und Herzschwächegeboren, verstand weder, was man ihm sagte, noch redete er selbst und sei es auch inLautkombinationen, vertrug keine Berührung. Als Sascha in die Therapie übernommenwurde, konnte er bereits gehen, teilweise selbständig essen und teilweise selbst anziehen. DieDiagnose ergab Entwicklungsrückstand in allen Bereichen, besonders sozial; akustischeHypersensibilität, basale Wahrnehmungsschwierigkeiten im vestibulären, propriozeptiven undtaktilen Bereich, mangelnde Lateralisierung. Trotz motorischer Koordinationsfähigkeit wardie intermodale Fähigkeit und die Koppelung der Modalitäten nur ansatzweise in bestimmtenBereichen vorhanden. Sascha erhielt eine Komplexe Wahrnehmungstherapie (zehn Stundenpro Woche). Bereits nach zwei Monaten meldete der Kindergarten eine Abnahme derAggressionen. Die intensive Förderung ermöglichte eine ruckartige Verbesserung dessozialen und emotionalen Verhaltens des Kindes. Nach der Festigung der inneren Sicherheitund seiner grob- und feinmotorischen Koordination wurde die Lateralisierung stärker trainiertund die Diskriminationsfähigkeit gefördert. Nach zwei Jahren wurde mittels audio-pädagogischer Förderung die Sprachanbahnung vorgenommen, Sascha begannLautkombinationen zu erlernen, verstand bald einfache alltagsbezogene Aufforderungen undbegann einfache Tätigkeiten selbständig auszuführen. Nach zweieinhalb Jahren war Sascha inseinen Bewegungen koordiniert, sicher, zielgerichtet, verfügte über eine altersadäquate

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emotionale und soziale Verhaltensweise und begann, in ganzen Sätzen zu reden. DieTherapeutin empfahl den Besuch einer Vorschule, um seine sprachliche Ausdrucksfähigkeitzu verbessern und zu stabilisieren, seinen aktiven Wortschatz zu erweitern und die vorläufignoch verschwommene Lautbildung in eine klare und deutliche Sprache überführen zu können.Nach insgesamt drei Jahren und zwei Monaten war Sascha kein behindertes Kind mehr,wurde in die normale Regelschule eingestuft und besucht seitdem die Schule mitdurchschnittlichem Erfolg.

7. Kostenersparnisse für die öffentliche Hand infolge der KomplexenWahrnehmungstherapie

Die Heilung von psychotischen und wahrnehmungsgestörten, entwicklungsretardierten undsensomotorisch gestörten Klienten entlastet die öffentliche Hand in einem Umfang, derbislang noch nicht entsprechend kalkuliert und gewürdigt wurde.

Einerseits trägt Frau DDr. Eszter-Gabriella Bánffy einen Anteil von rd. 50 % der bei derBehandlung der Klienten anfallenden Kosten, da seitens des Landes Tirol zwar fürRehabilitationsmaßnahmen bzw. seitens der gesetzlichen Sozialversicherungsträger fürbestimmte Psychotherapien eine Kostenübernahme anhand fixer Sätze refundiert wird, dieseKostenersätze enthalten allerdings nicht die Kosten für die Erhaltung und den Betrieb derRehabilitationsstätten und für den Transport der Klienten zu und von denRehabilitationsstätten.

Andererseits wurden auch die ersparten Folgekosten für die öffentliche Hand nichtberücksichtigt. Diese ersparten Folgekosten beziehen sich auf Kosten, die für eine fortgesetzteSonderschule, eine lebenslange Heimpflege udgl. anfallen würden, wenn die Klientenmangels der Behandlung mittels der Komplexen Wahrnehmungstherapie lebenslange„Pflegefälle“ bleiben würden.

Unter Ansatz von 1.000 Klienten, die monatlich die öffentliche Hand rd. 3.000,-- Euro kostenwürden, und bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 70 Jahren, sind dieshochgerechnet 2.520.000.000,-- € an Ersparnissen für Pflege, Sonderbetreuung undHeimunterbringung der mittels der Komplexen Wahrnehmungstherapie geheilten Klienten.

8. Zu den Kritikern der Komplexen Wahrnehmungstherapie

Brüggebors (1994, S. 89) postuliert: „Wissenschafts-Wahrnehmung ist ebenso wie Alltags-Wahrnehmung eine Wahrnehmungsart, die begrenzt ist durch Schwellen und Brillen derErkenntnismöglichkeit.“

Banffy (2003, S. 23) berichtet: „Zehn Jahre nach der Begründung der KomplexenWahrnehmungstherapie für Kinder boykottierte das pädagogische Institut der UniversitätInnsbruck mit allen Mitteln in den Medien und in der Presse die Akzeptanz von Therapie fürbehinderte Kinder generell und die Komplexe Wahrnehmungstherapie im Speziellen. DerenStandpunkt war, dass behinderte Kinder integriert statt therapiert werden müssten. Der Erfolgdieser Kundgebung brachte mit sich, dass der Trend wieder in Richtung Aufbewahrung undBetreuung ging und eine gediegene Therapie nur mehr selten angeboten wurde. Die Heilungund Besserung, die anfänglich so vermehrt zu verzeichnen waren, waren dadurch starkrückläufig.“

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Kiphard (1980, S. 15) zufolge – ausgehend von Mensch und Umwelt als gegenüberliegendeGlieder eines kreisförmigen Ganzen - weisen behinderte Kinder „mehr oder wenigerausgeprägte Störungen innerhalb dieser Wahrnehmungs-Handlungs-Einheit zwischenOrganismus und Umwelt auf. Das bedingt immer eine Einschränkung ihrerHandlungsfähigkeit, Umweltanpassung und Umweltaneignung. Diese Einschränkung undBeeinträchtigung der Handlungskompetenz wirkt sich immer im dinglichen wie im sozialenUmfeld negativ aus. Dadurch ist der Bewegungsbehinderte in seinerPersönlichkeitsentwicklung in vielerlei Hinsicht benachteiligt.“

Schönwiese (1997, S. 114) fasst infolge der leidvollen Erfahrungen eines körperbehindertenRollstuhlfahrers zusammen, dass „nicht `objektive Schädigungen´, sondern sozialeDefinitionsprobleme Behinderungen konstituieren“. Schönwiese (1997, S. 116) drückt seineAblehnung einer Heilpädagogik folgendermaßen aus: „Dass trotz zunehmenderfachwissenschaftlicher Kritik die Sonderpädagogen an einer eigenen Pädagogik abseits derallgemeinen Erziehungswissenschaft und an eigenen Institutionen abseits der allgemeinenSchulen festhalten, entspricht neben der Entlastungsfunktion für die Regelschule auch denMechanismen der Entwicklung von Professionalisierungs- und Standesinteressen innerhalbgesellschaftlicher Dienstleistungssysteme.“ Schönwiese (1997, S. 118) propagiert daherausschließlich die Integration und begründet seinen Standpunkt folgendermaßen: „Es bestehtdie Gefahr, dass der Sonderschulbesuch der Beginn einer Karriere in die lebenslangeAussonderung in Heime und geschützte Werkstätten ist. Auch bei der Frühförderung ist dieentscheidende Frage, wie weit sie nach medizinisch-therapeutischen Vorstellungen defekt-orientiert ist oder am Alltag des behinderten Kindes und seiner Eltern bzw. an derBewältigung dieses Alltags ansetzt. Eine rein defekt-orientierte Therapie ist der Beginn einerAussonderungsstrategie.“

Ayres (1979, S. 87) zufolge ist eine Störung der sensorischen Integration „für das Gehirndasselbe wie eine Verdauungsstörung für den Verdauungskanal. Das Wort Störung bedeutetsoviel wie schlechtes Funktionieren. Das heißt nichts anderes, als daß das Gehirn nicht inseiner natürlichen, wirkungsvollen Weise funktioniert. Sensorisch bedeutet in diesemZusammenhang, daß die ungenügende Leistung des Gehirns besonders die Sinnesorganebetrifft. Das Gehirn ist nicht in der Lage, den Zustrom sensorischer Impulse in einer Weise zuverarbeiten und zu ordnen, die dem betreffenden Individuum eine gute und genaueInformation über sich selbst und seine Umwelt ermöglicht. Wenn das Gehirn Sinneseindrückenicht richtig verarbeiten kann, ist es gewöhnlich nicht in der Lage, sinnvolleVerhaltensweisen zu bestimmen.“

Bánffy (2003, S. 43) zufolge gehen psychologische und psychotherapeutische Konzepte „oftvon der Annahme aus, dass sie Verhaltensweisen Gesunder wie Kranker in einem bestimmtentheoretischen Rahmen von vornherein interpretieren können. Es werden zwischen demVerhalten des Klienten und seiner möglichen vorausgehenden Erfahrung kausaleZusammenhänge hergestellt. Zwar können wir manche Vermutungen darüber anstellen, beipsychisch kranken Menschen allerdings dürften diese von uns selbstverständlichangenommenen kausalen Zusammenhänge nicht unbedingt zutreffen. Empfindungen könnenaußer von der betreffenden Person von keiner Außenstehenden weder realiter noch geistig inder gleichen Weise wahrgenommen werden.“ Für Bánffy (2003, S. 45) sind psychischeKrankheiten „Gratwanderungen auf den Gipfeln der Extreme in Richtung Vergeistigung,Intellektualisierung, oder in Richtung des totalen Versinkens im Morast, der vollenIdentifikation mit der Erdigkeit, mit der Materie“.

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Ayres (1979, S. 88) weiter: „Obwohl eine Störung der sensorischen Integration durchunregelmäßige Aktivität im Gehirn verursacht wird, werden die meisten Neurologen (Ärzte,welche sich speziell mit Erkrankungen des Nervensystems befassen) nichts Auffälliges aneinem Kind mit sensorischer Integrationsstörung finden.“

Friedrich (1999) stellte die Frage nach der komplexen Wahrnehmungstherapie undpostulierte, „dass es sich bei der komplexen Wahrnehmungstherapie um keinewissenschaftlich abgesicherte, auf bestimmten Theorien basierende Therapieform handle“; erbegründete seine Skepsis mit der damals nicht vorgelegenen wissenschaftlichenÜberprüfbarkeit der von DDr. Bánffy angewandten Methodik, weiters war ihm unklar,„welche Anteile nach welcher kontinuierlichen Methodik durchgeführt werden“, undsubsummierte: „Die Therapien entstammen einem vorwissenschaftlichen Denken. Es ist DDr.Bánffy hoch anzurechnen, dass sie für eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen erstmaligim Land Tirol, Betreuungseinrichtungen geschaffen hat, die zumindest vorgeben, Hilfe zubieten. Dies muß umso höher angerechnet werden, als ja eine große Anzahl von zufriedenenKlienten das `Hohelied´ auf DDr. Bánffy singen. Es ist in diesem Gutachten nicht zurAufgabe gestellt, Kriterien für die Schließung von Institutionen zu erreichen, dawissenschaftliche Kriterien, wie sie die Universität vorgibt, nicht erfüllt werden, sondern esist Aufgabe eines Gutachtens, Zustände aufzuzeigen und zu kritisieren, die gegebenenfallseine Verbesserung nach sich ziehen müssen. Wenn also der Sachverständige vonvorwissenschaftlichem Denken spricht, so meint er, dass die, in den Gründungsjahrenwohlgemeinten Bemühungen in einem Stadium steckengeblieben sind, das längst derwissenschaftlichen Durchforstung und Begleitung bedurft hätte.“ Friedrich (1999) stellte fest:„Das Werk von DDr. Bánffy muß in der, zur Verfügung stehenden Größe, in Umfang und inqualitätsmäßiger Ausstattung, wie auch Instandhaltung, positiv gewertet werden. Gerade ausdiesem Grund ist es notwendig, die vorhandenen Ressourcen, die DDr. Bánffy aufgebaut hatund zur Verfügung stellt, bestmöglich zu nutzen ... DDr. Bánffy zu helfen, den notwendigen,wissenschaftlich abgesicherten und modernen Kriterien in ihrer Umsetzung beizustehen.“

Franke (1990, S. 12) stellte fest: „Zur Untersuchung der Artikulationsstörung benötigen wirein Fehlererkennungssystem, das uns helfen soll, den Störungsmechanismus und die Ursachenzu erkennen, und uns Hinweise auf eine Therapie gibt. Das erfordert eine analytischeBetrachtungsweise ... Kein einzelner Test kann diesen Anforderungen gerecht werden.“

Die bereits vor der Entwicklung der Komplexen Wahrnehmungstherapie verfasste Literaturund Forschung (Zimmer, Kiphard, Eggert et.a.) sowie die zwischenzeitlich vorliegendenwissenschaftlichen Gutachten über die Komplexe Wahrnehmungstherapie (Zimmer, Kiphard,Hackenberg) entziehen der Kritik von Max Friedrich in Bezug auf die unterstellte„Vorwissenschaftlichkeit“ jegliche Grundlage.

Bereits zum Zeitpunkt der Abfassung des Gutachtens von Friedrich (1999) fußte diePsychomotorik (als wesentlicher Teil der Komplexen Wahrnehmungstherapie) auf einemwissenschaftlichen Fundament.

Kiphard (1980, S.10-12) berichtet, die Geschichte der Psychomotorik sei relativ jung: „Esmag zum Verständnis eines innerhalb weniger Jahrzehnte sich ereignenden dynamischenEntwicklungsprozesses beitragen, einmal kurz die Anfänge motopädagogischer undmototherapeutischer Erfahrungen einzugehen. Im Jahre 1955 stellte ich mich erstmals derAufgabe, sensomotorisch entwicklungsgestörte und in ihrer psychomotorischen Entfaltungbehinderte Kinder über das Mittel der Bewegung in ihrer Gesamtentwicklung zu fördern. Diedamals inder Jugendpsychiatrischen Klinik in Gütersloh unter Leitung von Frau Dr.med.

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Elisabeth Hecker und in enger Kooperation mit Dr.med. Helmut Hünnekens erzieltenAnfangserfolge waren überaus ermutigend. Dennoch lag dem psychomotorisch-therapeutischen Bemühen damals noch kein umfassendes theoretisches Konzept zugrunde. Zuhypothetischen Vorüberlegungen und ausführlichen theoretischen Erörterungen fehlte einfachdie Zeit. Zum anderen fehlten gleichgerichtete mototherapeutische Erfahrungen, auf die manhätte zurückgreifen können. Der Notstand behinderter Kinder forderte aber zumunverzüglichen Handeln, zur Soforthilfe auf. Vielleicht ist es bezeichnend für dieEntwicklung der psychomotorischen Übungsbehandlung, daß sie – aus der Not geboren –zuerst praktische Erfahrungen und Erfolge aufzuweisen hatte. Erst sehr viel später wurdedaran gegangen, das Erarbeitete zu systematisieren und theoretisch zu fundieren ... Zumdamaligen Zeitpunkt interessierte uns nur, inwieweit wir mit den angewandten Methoden undÜbungserfolgen unserem Ziel möglichst nahekommen konnten: Motorik und Verhalten deruns anvertrauten Jungen und Mädchen zu verbessern. In einer 1957 bis 1958 entstandenengrößeren Arbeit konnte dargelegt werden, daß sich innerhalb eines sechswöchigenIntensivtrainings die motorische Leistungsfähigkeit signifikant verbessern ließ ... Hierbeizeigte sich, daß die Kinder mit den größten Bewegungsrückständen am erfolgreichsten waren,indem sie am meisten aufholen konnten ... Auf dem Wege zu einer wissenschaftlichenFundierung: Jede Art von Bewegungspädagogik oder Bewegungstherapie, sei sie nursportmotorischer, rhythmisch-musikalischer oder sinnesschulender Natur, zielt auf eineVerbesserung der Bewegungskontrolle und des Bewegungsverhaltens, damit das betreffendeKind sich harmonischer entwickelt und sein Leben besser bewältigt. Bei behinderten Kindernsind die verschiedenen Therapiemittel je nach Behinderungsform und Entwicklungsalterdifferenziert worden, um damit eine höhere Übungseffizienz zu erreichen. Es fehlt gewißnicht an systematischen Zuordnungsversuchen im Sinne entwicklungstheoretischer undzielgruppenbezogener Schwerpunktarbeit ... Dennoch sind wir weit davon entfernt, definitivsagen zu können, bei welchen Störungssymptomen, Alters- und Schadensbereichen welcheLerninhalte und welche Lehrweisen die besten Erfolge zeitigen. Repräsentativewissenschaftliche Untersuchungen in dieser Richtung stehen noch aus. DerartigeVersuchsanordnungen müssen sauber geplant werden, um andere Therapieeinflüsseweitgehend auszuschalten. Wir sind von jeher bemüht gewesen, die didaktisch-methodischen Prinzipien unserer psychomotorischen Arbeitsweise soweit wie möglich lehrbarzu machen. Dabei sind wir uns der Tatsache bewußt, daß die Persönlichkeit des Pädagogenoder Therapeuten ganz wesentlich zum Übungserfolg beiträgt. Es wäre wirklichkeitsfremd zuglauben, man könne auf die vertrauenserweckende Herzenswärme und Emotionalität, auf denmitreißenden Schwung und die Begeisterungsfähigkeit des erwachsenen Übungsleitersverzichten ... So steht und fällt die effektive Anwendung psychomotorischer Übungspraktikenmit der Persönlichkeit des Pädagogen einerseits und seiner fundierten Sachkenntnisandererseits. Letzteres betrifft nicht allein die didaktisch-methodischen Mittel. Ebenso wichtigist die Kenntnis der vielschichtigen Zusammenhänge und Wechselwirkungen des gesamtenkindlichen Entwicklungsgeschehens. Dabei sind neben neurophysiologischen vor allementwicklungspsychologische, wahrnehmungspsychologische und sozialpsychologischeAspekte von grundlegender Bedeutung.“

Kiphard (1980, S. 21-22) berichtet von der Geburtsstunde einer neuen Fachrichtung: „InDeutschland haben sich die seit 1955 gemachten Erfahrungen in der „PsychomotorischenÜbungsbehandlung“ (Hünnekens und Kiphard, 1960) durch motodiagnostische undmototherapeutische Forschungsaufträge erweitert. Sie entstanden aus der engenZusammenarbeit zwischen Sportpädagogik, Medizin und Psychologie. Die Konzeption`Erziehung durch Bewegung´ (Kiphard und Huppertz, 1968) fand rasch Eingang in diesonderpädagogische Schulpraxis ... Auf Anregung und Betreiben des Autors entstand im Juli1974 eine interdisziplinäre Interessensgemeinschaft für spezielle Bewegungspädagogik und

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psychomotorische Therapie. Diese anfangs noch unorganisierte Bewegung wurde zwei Jahrespäter ... in einen gemeinnützigen Verein als `Aktionskreis Psychomotorik e.V.´ umgewandeltund auf eine breitere Funktionsbasis gestellt ... Für ... die sog. Grundlagenkommission bestanddie Aufgabe zunächst darin, diesen neuen Fachbereich wissenschaftlich zu fundieren. Diedabei erstellten Begriffsbestimmungen und Analysen sowie die erarbeiteten Curricula sindgrößtenteils in der vereinseigenen Zeitschrift `Psychomotorik´ (seit 1978 `Motorik´) aucheinem breiteren Interessentenkreis zugänglich gemacht worden. Damit hat sich die Motologieals eigenständige wissenschaftliche Fachdisziplin in der Öffentlichkeit vorgestellt.“

Kiphard (1980) fasst folgendes Lehrgebäude der Motologie bzw. Motopädie, als dasBewegungsfachgebiet speziell für das Kindesalter, zusammen:

• Motologie (Motopädie): Lehre von der menschlichen Bewegung, ihrer Entwicklung,ihren Störungen sowie deren Erfassung und Behandlung.

• Motogenese: Bewegungsentwicklung, Wahrnehmungsentwicklung, Entwicklung undDifferenzierung psychomotorischer Verhaltensmuster.

• Motopathologie: Bewegungsentwicklungsstörungen, krankhafte Bewegungsmuster,psychomotorische Auffälligkeiten und Störungen.

• Motodiagnostik: quantitative und qualitative Erfassungsmethoden zur Beurteilung vonBewegungsleistung und Bewegungsverhalten.

• Motopädagogik: Konzept einer ganzheitlichen Erziehung und Persönlichkeitsbildungüber motorische Lernprozesse und Verhaltensänderung.

• Mototherapie: Bewegungsbehandlungsmethoden bei Entwicklungsstörungen,pathologischen Bewegungsmustern sowie Auffälligkeiten und Störungen impsychomotorischen Leistungs- und Verhaltensbereich.

Nach Kiphard (1980) gliedert sich die Motopädagogik systematisch in Lernzielbestimmungenhinsichtlich Qualifikationen im Wahrnehmungsbereich, im Bewegungsbereich und imemotional-sozialen Bereich und zielt auf die perzeptive, die motorische sowie dieemotionale/soziale Entwicklungsförderung ab.

Hackenberg (2001a) teilt mit, „die Problematik um die vielfältigen Schulmeinungen in derBehandlung entwicklungsgestörter Menschen und gleichzeitig die raren Behandlungsangebotefür diese Klientel“ seien seit langem bekannt. „Ausgelöst durch eine Reihe von offenenFragen und ein Gutachten von Prof. Friedrich ergibt sich nun für das Land Tirol dieNotwendigkeit, Kriterien für Indikationserstellung, Methodik und Kontrolle zu definieren ...Einige Gegebenheiten in der Anerkennung von Therapie- und Behandlungsverfahren inÖsterreich sind dabei zu berücksichtigen: im Gegensatz zur Bundesrepublik zählen inÖsterreich weder die Mototherapie noch die Musiktherapie zu den anerkannteneigenständigen Therapieverfahren ... Der Therapiebegriff wird nur für jene Verfahrenangewendet, welche auch von den Kassen bezahlt werden, während unter `Behandlung´ auchjene Verfahren subsummiert sind, welche als Rehabilitationsmaßnahmen eingesetzt werden,Therapie mit dem Ziel der Heilung, Behandlung mit dem Ziel der psychischen, physischenund sozialen Rehabilitation. Zugegebenermaßen entbehrt diese Zuordnung nicht einergewissen Willkür, ist aber eben das Ergebnis längerer Abhandlungen. Die von (DDr. Bánffy)angewandte `Komplexe Wahrnehmungstherapie´ lässt sich keiner der in Österreichanerkannten Psychotherapiemethoden eindeutig zuordnen, am ehesten wohl derVerhaltenstherapie mit einem integrativen Ansatz zwischen Mototherapie,Musik(Hör)therapie und Ergotherapie. Das bestätigen auch die von (DDr. Bánffy)vorgelegten Gutachten, die (nach österreichischer Begriffsdefinition) (DDr. Bánffy´s)heilpädagogische und ergotherapeutische Kompetenz belegen. Auf diesen Bereich gehtFriedrich in seinem Gutachten nicht oder kaum ein.“

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Gruber (2004) fasst die heilpädagogische Problematik folgendermaßen zusammen: „Dieheilpädagogische Landschaft wird ... derzeit von verschiedenen Berufsgruppen und ihrenStandes- bzw. Interessensvertretungen beackert ... Die Heilpädagogik selbst könnte sichereine tragfähige Ausbildungsgrundlage im Schnittpunkt von Pädagogik, Medizin, Psychologieund anderen Wissenschaften liefern. Ihr historisches und inhaltliches Fundament wurdeallerdings durch verschiedene Umstände in den letzten Jahrzehnten geschwächt ... DieIntegrationsbewegung der letzten Dezennien (von Tirol aus maßgeblich mitbestimmt) und dieEntwicklung der Behindertenbewegungen mit ihren vielen destruktiven Statements bzw.Forderungen haben auch nicht gerade zur Stabilisierung heilpädagogischer Einrichtungenbeigetragen. Leider verkennen viele selbsternannte und tatsächliche Experten, dass dasEingliedern auch ein guter Ansatzpunkt sein kann, spezielle Vorsorgen auszusetzen. Alsdrittes Element ist die Rivalität zwischen der Kinder- und Jugendneuropsychiatrie und derKinderheilkunde (als historischer „Quellfluss“ der Heilpädagogik – um Asperger zu zitieren)zu sehen, aus der die Kinderpsychiatrie meiner Einschätzung nach siegreich hervorgegangenist. Den Endpunkt dieser Entwicklung stellt für mich dar, dass an der Wiener Medizin-Uni dieheilpädagogische Station so reorganisiert wurde, dass der Begriff Heilpädagogik nicht mehrvorkommt. Aber warum sollten Max Friedrich oder Ernst Berger für die Heilpädagogikeintreten? (Beide saßen in der zuständigen Kommission) So gesehen sind wir in derHeilpädagogischen Gesellschaft geradezu eine aussterbende Spezies, weil wir uns um eineIntegration der Wissenschaftsbereiche bemühen und möglichst alle Berufsgruppen ansprechenwollen.“

9. Exkurs - Anwendung der Tomatis-Methode in den Rehastätten DDr. Banffy

Wenn ein Kind nicht hören will, wenn es schnell ermüdet, wenn es allzu langsam ist, wenn esunbeholfen schreibt, wenn es unruhig ist und zappelt, wenn es Eltern und Kollegen ständigbeschäftigt, wenn es aggressiv ist und sich in der Welt nicht zurecht findet, wenn Erwachseneniedergeschlagen, energielos oder schwerhörig sind, dann ist die Horchtherapie das Mittel derWahl.

Ganzheitlich betrachtet ist der menschliche Organismus ein System, in dem jede kleinsteEinheit auf alle anderen und auf das Ganze angewiesen ist, um überleben zu können. Dasintermodale Wahrnehmungssystem erweist sich als das Zusammenspiel allerWahrnehmungsbereiche untereinander, deren Abhängigkeit voneinander, der engenneurophysiologischen und psychologischen Angewiesenheit aufeinander. Der Mensch als einganzheitliches organisches System lernt im Laufe seiner Entwicklung, alle seine Sinne zuintegrieren, alle Empfindungen, die eigentlich nichts anderes als elektrische Impulse sind, zudeuten und so sich selber und seine Wirklichkeit zu begreifen. Die Intermodalität derSinnesorgane bedeutet die vielschichtige und vielseitige Verbindung und Koppelung derSinnesreize von unterschiedlichen Qualitäten. Sind diese Verbindungen nur mangelhaftvorhanden, sprechen wir von intermodalen Störungen. Sinnesorgane entfalten sich allmählich.Ihre Entfaltung ist einerseits eine Ausdifferenzierung und andererseits eine Koordinierunguntereinander. Die Entfaltung der Sinnesorgane bedeutet die Entfaltung ihrerDiskriminationsfähigkeit. Bleibt letztere auf der Strecke, dann ist die Entwicklung gefährdet.Wenn z.B. Kinder eine mangelhafte, unausgereifte, nicht altersentsprechendeDiskriminationsfähigkeit der Akustik aufweisen, dann sind sie meistens noch sehr kindlich,gelegentlich auch verwöhnt und nehmen das Umfeld nur dann und nur so weit wahr, als esihnen gerade entgegenkommt. Der Aufforderungcharakter der Wirklichkeit, die sie zurAuseinandersetzung mit den augenblicklichen Gegebenheiten aufruft, wird verleugnet. DasKind neigt dann dazu, noch in seiner kindlichen Welt zu verbleiben, sich weiter versorgen zu

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lassen, keine oder nur wenig Verantwortung für sich zu übernehmen. Seine Entwicklungbeginnt sich zu verzögern. Eine altersentsprechende Diskrimination verschiedener Qualitätenfördert die realitätsadäquate Wahrnehmung der Wirklichkeit, die Selbständigkeit, dieAutonomie und damit die Reifung der Persönlichkeit. Diskriminationsprobleme bedeuten dieUnfähigkeit, zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem zu unterscheiden. SensorischeIntegration ereignet sich in jedem Augenblick im menschlichen Leben durch Empfindungen,die geordnet, gespeichert und eingeteilt werden müssen, um die Bereitschaft und Fähigkeit zuentwickeln, den Situationen im Alltag, den Gegebenheiten der Realität angepasst zuentsprechen und diese zu bewältigen. Die Sinnesmodalitäten zeigen die neuronalenArbeitsweisen bestimmter Sinnesorgane und deren Zusammenarbeit mit anderenSinnesorganen auf. Sinnesmodalitäten können nur in Kombination und als übergeordnetesSystem verstanden werden, wobei die Zusammenarbeit aller Teilbereiche erst dasFunktionieren des Ganzen ermöglicht. Dementsprechend kann die Förderung der sensorischenIntegration bei Mängeln und Störungen nur basal, d.h. von der Basis her, mitBerücksichtigung der sensomotorischen Entwicklungsstufe und deren Forderungenverstanden werden.

Das Ohr ist jenes Organ, das die Klanginformation von der Außenwelt erhält und diese zurTransformation an das Gehirn weiterleitet, indem das Nervensystem über das Hören demGehirn Energie zuführt. Unterbleibt diese Energieversorgung, weil die Schallwellen ausorganischen oder psychischen Gründen nicht bis zum Innenohr vordringen, so könnenverschiedenste – körperliche aber auch psychische – Leistungsstörungen die Folge sein.

Guy Bérard beschäftigte sich eingehend mit der Leistungsfähigkeit des Hörorgans und fandheraus, dass es Zusammenhänge zwischen dem Hören und dem Verhalten, dem Hören undder Schulleistung und dem Hören und dem psychischen Befinden gibt. Bérard erarbeitete eineHörtrainingsform, bei der das Horchen der Kinder und der Erwachsenen geschult werdenkann, um verschiedene Mängel auszugleichen, aufzuholen und aufzuheben; gestützt auffolgende Grundsätze:

- Horchen entspricht dem Verhalten eines Menschen.- Gutes Horchvermögen korreliert mit guten Schulleistungen.- Horchvermögen entscheidet über Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit des

Menschen.- Bestimmte Hörkurven können über das Befinden einer Person Auskunft geben.- Verbesserung des Horchvermögens ist mittels der Horchpädagogik erreichbar und

verbessert die Schulleistungen unmittelbar.Beim Hörtest können wir verschiedene Abweichungen im Hörsystem eines Klientenwahrnehmen – Zeitverhältnis und Reaktionsverzögerung; Konzentrationsschwäche;Schmerzen; mangelnde Diskriminationsfähigkeit (z.B. schwer wahrnehmbare Unterschiedezwischen hohen und tiefen Frequenzen); Verzerrung, und akustische Lateralitätsprobleme (inder seitlichen Wahrnehmung einer Geräuschquelle).

9.1. Die Audio-Psycho-Phonologie nach Tomatis

Alfred A. Tomatis (HNO-Arzt und Spezialist für Kopfoperationen) erkannte, dass das Hörenund Nicht-hören-Wollen unbewusst von der Psyche beeinflusst werden und dass das Gehörund die Stimme einer Person in enger Beziehung zueinander stehen; worauf beruhend er diedrei „Tomatis-Gesetze“ aufstellte:

- Die Stimme enthält als Obertöne nur die Frequenzen, die das Ohr hört.- Mangelnde Hörbarkeit bestimmter Frequenzen tritt unmittelbar in der Stimme der

betreffenden Person in Erscheinung.

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- Eine über eine bestimmte Zeitdauer zugeführte akustische Stimulation verändert dasGehör und dementsprechend die Artikulationsfähigkeit des Klienten.

Um hör- und sprachgeschädigten Menschen zu helfen, entwickelte Tomatis einen Apparat,„das elektronische Ohr“, der durch audiovokale Trainings nicht nur die analytischeHörfähigkeit, sondern auch die Sprachfähigkeit verbessert. Durch langjährige Forschungenstellte sich heraus, dass manche sowohl psychisch wie auch physisch bedingte Hörschädendurch seine speziellen Hörtrainings und Hörkuren nicht nur verbessert, sondern in vielenFällen behoben werden konnten, wofür insbesondere klassische Musik (z.B. Mozart)besonders geeignet ist. Eine Besonderheit der Tomatis-Methode ist die Verwendung derKnochenleitung, die auch separat genutzt werden kann und bei nahezu tauben Kindern dieHörfähigkeit wesentlich verbessert. Eine zweite Besonderheit dieser Methode ist der Einsatzder Mutterstimme, die bei allen Kindern eine ruckartige Entfaltung mit sich bringt, indem sieso aufgenommen und gefiltert wird, wie das Kind sie einst im Mutterleib vernommen hat.

Unsere langjährige Erfahrung an nahezu 1.000 Klienten hat diese Tatsachen bestätigt und unsdarin bestärkt, die Tomatis-Methode gezielt nicht nur bei verschiedenen Hörstörungen,sondern auch bei Lernschwierigkeiten, bei Stabilisierung der Persönlichkeit, bei Tinnitus undbei psychisch schwer kranken (autistischen, wahrnehmungsgestörten) Kindern einzusetzen.

Zusätzliche Erfolge erzielten wir bei Kindern, die motorisch beeinträchtigt oder lernverzögertwaren und je nach Behinderung nach relativ kurzer Zeit zu krabbeln und bald darauf zu gehenbegonnen haben.

Die Hörtherapie kann Kindern und Erwachsenen helfen bei

- Lernstörungen- Konzentrationsschwäche- Legasthenie- Depressionen und Energielosigkeit- Psychosomatische Krankheiten- Gehörsturz und Ohrenrauschen- Stimmproblemen

und wird von der Französischen Akademie der Wissenschaften anerkannt und weltweit inüber 200 Instituten angewandt.

10. Abschließende Bemerkung des Autors

Brüggebors (1994, S. 79) stellt fest: „Die Pädagogik und Psychologie, die Psychomotorik unddie Ergotherapie etc. hechten oftmals immer noch den Prinzipien des Physikalismus hinterher,die die Physik selbst längst überwunden hat.“ Brüggebors (1994, S. 87) weiter: „Die Einheitder Sinne zu erfassen erschwert das Gesetz der `spezifischen Sinnesenergie undSinnesrezeptoren .́“

Bánffy (2003, S. 82) postuliert: „In der Arbeit mit psychisch kranken Menschen haben allebisher bekannten Therapieansätze wie Psychoanalyse, Verhaltenstherapien etc. zwar guteEinsichten gebracht, einem umfassenden Verständnis der Ursachen und einer adäquatenBehandlung wurden sie aber nicht gerecht. Vor allem auch deshalb nicht, weil sich ihreTherapiegebäude mehrheitlich an gesunden und/oder neurotischen Menschen orientierten undsomit ein gewisses Ausmaß an Kommunikationsfähigkeit voraussetzten ... In der Arbeit mit

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Autisten und Psychotikern haben wir es aber oftmals mit Menschen zu tun, die dazu nicht inder Lage sind, weil sie über keine Sprache – sei es verbal oder nonverbal – verfügen, die wirverstehen könnten. Ist eine Kommunikation in unseren Kategorien nicht möglich, bleibt alseinziges Ausdrucks- und Kommunikationsmittel der Körper in seinem gesamtenVerhaltensrepertoire ... die oft bizarren Verhaltensweisen und Autoaggressionen so mancherAutisten und Behinderter ist ihre Kommunikation mit uns.“

Brüggebors (1994, S. 89) warnt: „Zu viel Spezialisierung und Detailwissen verhindert denBlick auf das Ganze und die Erkenntnis des Sinns des Ganzen und seiner Teile.“

Heilung und Integration bedingen einander und schließen sich nicht aus. Derdisziplinwissenschaftliche Lösungsansatz hat die Welt in Stadium geführt, in dem sektoral-perspektivisch ein Problem gelöst wird, indem man mindestens zwei neue Probleme damitschafft. Die Überwindung des kartesianischen Paradigmas der Disziplinwissenschaften istdaher ein Gebot der Stunde.

Linn und Holtz (1987, S. 7) warnen „Ganzheitlichkeit“ würde „leicht als Alibi für einemangelhafte rationale Strukturierung einer Behandlung mißbraucht. Deshalb ist es besondersverdienstvoll, wenn ein erfahrener Therapeut nicht nur in jeder Behandlungssituation sichselbst über seine therapeutische Zielsetzung Rechenschaft geben, sondern diese Reflexionauch noch didaktisch weitergeben kann. Eine gute Therapie hat mit Kunst gemeinsam, daß sieein solides `handwerkliches´ Fundament braucht.“

Kiphard (1980, S. 12) postuliert: „Wir kommen heute um eine interdisziplinäre Annäherungund gemeinsam im Team zu bewältigende Forschungsarbeit auf dem Gebiete der Motologieund Psychomotorik nicht mehr herum. Entscheidende Impulse gingen von derKinderpsychiatrie, Kinderneurologie und Kinderheilkunde aus. Genauso hat dieEntwicklungspsychologie (Piaget, 1972) wichtige pädagogische und therapeutischeErkenntnisse beigesteuert.“

Zimmer (1999, S. 12) stellt fest: „Psychomotorik kann sowohl im pädagogischen wie imtherapeutischen Rahmen stattfinden. Mit dem Anspruch auf eine ganzheitliche Förderungliegt sie an der Schnittstelle von Therapie und Pädagogik.“

Die Perspektive der Disziplinwissenschaften ist für den interdisziplinären Ansatz zu enggefasst. Ich vertrete einen interdisziplinären Ansatz – um mit Fritjof Capra (1996) bzw. EdgarMorin (1999) zu sprechen: Das neue Paradigma der Wissenschaften ist ganzheitlich.

Nach diesem fachübergreifenden ganzheitlichen Ansatz, der den Menschen nicht als Reiz-Reaktions-Maschine sondern als ganzen Organismus versteht, arbeitet Frau DDr. Eszter-Gabriella Bánffy mittels der Komplexen Wahrnehmungstherapie.

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Schönwiese, Volker, 1997, „Behinderten- und Integrationspädagogik“, (Univ.-Prof. am Institut für Erziehungswissenschaften der UniversitätInnsbruck) in Hierdeis, Helmwart, und Hug, Theo (Hrsg.) Taschenbuch der Pädagogik, Bd. 1, S. 110-120, Schneider Verlag Hohengehren, 5.Auflage 1997

Tomatis, Alfred A., 1981 (deutsche Erstausgabe 1987), „Der Klang des Lebens. Vorgeburtliche Kommunikation – Die Anfänge derseelischen Entwicklung“, rororo Sachbuch, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg

Wieland, Axel-Jan, 1975, „Die Theorie der psychomotorischen Übungsbehandlung – Die Begründung des Trainingsverfahrens“, in Eggert,Dietrich (Hrsg.), 1975, “Psychomotorisches Training”, Beltz Verlag, Weinheim und Basel (S. 73-102)

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Zimmer, Renate, 1995, „Handbuch der Sinneswahrnehmung. Grundlagen einer ganzheitlichen Erziehung“, Herder, Freiburg-Basel-Wien

Zimmer, Renate, 1999, „Handbuch der Psychomotorik. Theorie und Praxis der psychomotorischen Förderung von Kindern“, Herder,Freiburg-Basel-Wien

Zimmer, Renate, 2000, „Gutachten über die `komplexe Wahrnehmungstherapie´ an der Rehabilitationsstätte unter der Leitung von Frau Dr.Eszter-Gabriella Bánffy“, von Univ.-Prof. Dr. Renate Zimmer, Universität Osnabrück, Fachbereich Erziehungs- und Kulturwissenschaften