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Universit¨ at Duisburg-Essen, Campus Duisburg Fachbereich Mathematik Vorkurs Mathematik f ¨ ur Ingenieure Wintersemester 2009/2010 von Wolfgang H¨ umbs und Klaus Kuzyk

Vorkurs Mathematik fur Ingenieure - Willkommen an der ... · Die Vermittlung mathematischer Inhalte, wie sie in der beru ichen Praxis des Ingenieurs auftreten. 2. Die Vermittlung

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Universitat Duisburg-Essen, Campus DuisburgFachbereich Mathematik

Vorkurs Mathematikfur Ingenieure

Wintersemester 2009/2010

vonWolfgang Humbs

undKlaus Kuzyk

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung 2

1 Bionik 5

2 Mengenlehre und Logik 8

3 Elementare Funktionen 18

4 Komplexe Zahlen 33

5 Folgen und Reihen 42

6 Differentialrechnung 53

7 Grundzuge der Integralrechnung 73

8 Determinanten und quadratische lineare Gleichungssysteme 84

Verzeichnis 93

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Liebe Studentinnen und Studenten.

Wir begrußen Sie recht herzlich zum Vorkurs Mathematik fur Ingenieure. Wir mochten hierIhr Abiturwissen in Mathematik wieder auffrischen und Sie fur das hoffentlich erfolgreicheStudium vorbereiten.Erfahrungsgemaß ist der Ubergang von der Schule zur Hochschule nicht einfach. Dafur gibtes im Wesentlichen zwei Grunde. Erstens wird das Lerntempo aufgrund der Voraussetzungenfur die hoheren Semester im Gegensatz zu Schule hoher sein. Zweitens sollte — insbesonderefur fortgeschrittene Studenten — die Lehre aus der Forschung kommen und wird dannnaturgemaß auch durch aktuelle Entwicklungen bestimmt.Welche Fahigkeiten werden also von Ihnen erwartet und welchen Beitrag kann die Mathematikdazu leisten? Von den Didaktikern werden dazu im Wesentlichen zwei Ansatze diskutiert:

1. Die Vermittlung mathematischer Inhalte, wie sie in der beruflichen Praxis des Ingenieursauftreten.

2. Die Vermittlung der allgemeinen Fahigkeit zum mathematischen Denken, soweit diesbei der mathematischen Modellbildung in der Praxis des Ingenieurs gebraucht wird.

Jeder Ansatz hat seine Vorzuge, und auch wenn rein intuitiv die meisten Studenten denersten Ansatz bevorzugen, sollte der zweite nicht unterschatzt werden: Eine axiomatischorientierte Denkweise wird in der Schule normalerweise nicht vermittelt. Dringend benotigteInnovationen aber setzen abstrakte Gedankengange voraus und die Universitat versuchtgerade dieses nutzliche Rustzeug zu vermitteln. Nach dem Studium sollten Sie also nichtnur “Rezepte” nachvollziehen, sondern auch bestehende Konzepte verbessern oder sogar neueIdeen realisieren konnen.Um Ihnen den Einstieg zu erleichtern, haben wir deshalb folgende Themen fur den VorkursMathematik vorgesehen:

1. Bionik

2. Mengenlehre und Logik

3. Abbildungen und elementare Funktionen

4. Komplexe Zahlen

5. Folgen und Reihen

6. Differentialrechnung

7. Grundzuge der Integralrechnung

8. Determinanten und quadratische lineare Gleichungssysteme

Aus der Bionik (“Bionik” ist ein Kunstwort aus Biologie und Technik.) haben wir einigeinteressante, manchmal nicht ganz triviale Beispiele herausgegriffen, um Sie zu motivieren.Auch wenn Sie die dahinterstehende Mathematik nicht sofort verstehen, sollen Sie dieseBeispiele neugierig machen. Einfache logische Beispiele aus der Technik mit einem aktuellenThema aus der Luftfahrt runden die technische Einfuhrung ab.

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EINLEITUNG 3

Im nachsten Abschnitt werden wir den Begriff der Abbildung bzw. Funktion wiederholen. Einenaturliche Fragestellung ist zum Beispiel: Welche Eigenschaft muss eine Funktion haben, damitauch eine Umkehrfunktion existiert? Gleichzeitig schaffen wir einen Funktionenvorrat fur dieDifferential- und Integralrechnung, das heißt wir besprechen einige elementare Funktionen.Welche sind das? Nun, da kann man kurz und bundig sagen: Wir stellen die Funktionen vor,die Sie taglich mit den Tasten Ihres Taschenrechners benutzen.Im vierten Kapitel werden Sie dann die komplexen Zahlen kennenlernen, die in der Schuleleider nicht mehr behandelt werden, aber im Studium unentbehrlich sind. Selbst im taglichenLeben, zum Beispiel bei der Benutzung eines Koaxialkabels (mit dem Wellenwiderstandvon 75 Ohm), sind komplexe Zahlen verborgen. Elektrische Widerstande, Induktivitaten,Kapazitaten, Ubertragungs- und Dampfungsmaße sind alles komplexe Großen.Im nachsten Schritt werden dann die von den Schulern wenig geliebten Folgen — das sindAbbildungen von N nach R — und Reihen besprochen. Einfachste Konzepte wie Verzinsungberuhen auf diesem fundamentalen mathematischen Gebiet. Man denke in diesem Zusammen-hang auch an die bekannte geometrische Reihe. Hoffentlich sehen Sie nach einigen schonenBeispielen dieses Gebiet in einem anderen (helleren) Licht.Fast schon zwangslaufig wird dann die Differentialrechnung behandelt, obwohl dieser Abschnitttreffender “Technik des Differenzierens” getauft werden musste. Die zentralen Punkte sind dieProdukt-, die Quotienten- und die Kettenregel, die Ableitung von Umkehrfunktionen, logarith-misches Differenzieren u.a.. Damit Sie dann auch in der Lage sind, allgemeine Ausdrucke wiezum Beispiel g(x)h(x) mit h(x) > 0 zu differenzieren, konnen Sie dann gewinnbringend IhreKenntnisse aus Kapitel 3 anwenden. Bezuglich der Integralrechnung werden hauptsachlich diepartielle Integration und die Substitution besprochen, wobei man das Schema der partiellenIntegration etwas salopp als∫

schwierige Funktion = Produkt−∫

einfache Funktion

beschreiben kann.Lineare Gleichungssysteme tauchen in jeder Form

Abbildung 1: Geradenschnittpunkt, siehe[14]

und Verkleidung in Natur und Technik auf. Siekonnen genau eine, keine oder unendliche vieleLosungen besitzen, was man sich sofort klarmachenkann: Das lineare Gleichungssystem{

2x − y = 1∧ x + y = 1

ist eindeutig losbar, denn betrachtet man die aqui-valenten Geradengleichungen{

y = 2x − 1∧ y = 1 − x,

so gibt es den eindeutig bestimmten Schnittpunkt (x, y) = (23, 1

3).

Offensichtlich ist aber {x + y = 1

∧ x + y = 2

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EINLEITUNG 4

nicht losbar und {x + y = 1

∧ 2x + 2y = 2

besitzt unendlich viele Losungen. Zeichnen Sie die zu den Gleichungen gehorigen Geraden.

Abschließend mochten wir Ihnen noch einige Tipps zum Losen der Ubungsaufgaben geben.Es ist klar, dass es in der Regel die Musterlosung nicht geben kann. Viele Wege fuhrenbekanntlich nach Rom und uber den Stil lasst sich offensichtlich auch streiten. Versuchen Siedoch einmal, schonere Losungen als die Dozenten zu entwickeln!Folgendes kann Ihnen dabei zur Orientierung dienen: Zur Losung der Aufgaben darf grundsatz-lich der behandelte Stoff verwendet werden. Sachverhalte aus Buchern mussen aber modifiziertund auf die Sprache des Kurses zugeschnitten werden. Insbesondere sind also die aus derLiteratur wohlbekannten Phrasen wie “man sieht leicht”, “offensichtlich gilt”, “trivial”, usw.,entsprechend zu behandeln. Alle Beweise, Begrundungen, Berechnungen und Sachverhal-te sollten also Schritt fur Schritt aufgeschrieben werden. Dabei kann man sich an schongelosten Ubungsaufgaben orientieren. Es genugt also nicht, wenn bei einer Aufgabe, die eineBerechnung erfordert, einfach das Ergebnis (zum Beispiel eine Formel) hingeschrieben wird.Außerdem sind die Erklarungen in vollstandigen deutschen Satzen zu formulieren. Ein buntesGemisch aus Fremdwortern, Funktions- bzw. Relationskonstanten, Quantoren und ahnlichemmag den angehenden Kryptoanalytiker befriedigen, nicht aber den Korrekteur. MathematischeZeichen gehoren zu Berechnungen und Beweisen und wo sie sonst noch angezeigt sind, aberauch nur dahin.Beim Bundeswettbewerb Informatik werden z. B. die eingesendeten Losungen nach folgendenKriterien bewertet:

– ob sie vollstandig und richtig sind

– ob die Ausarbeitungen gut strukturiert und verstandlich sind und

– ob die (Programm-)Unterlagen ubersichtlich und lesbar sind.

Mit etwas Phantasie kann man das durchaus auf die Mathematikaufgaben projizieren. Lesbar-keit ist also oberstes Gebot, denn einmal formulierte schriftliche Arbeiten sind fixiert. Obwohlman oft das Gefuhl hat, dass der Lernende das Richtige meint, kann bei falschen Aussagenauch beim besten Willen nachtraglich nichts Richtiges mehr “hineininterpretiert” werden.Ein allgemein gultiges Konzept lautet somit: Ein unvoreingenommener, mit dem notigenRustzeug versehener Leser sollte muhelos das Vorgehen nachvollziehen konnen.Jetzt aber genug der Worte.

“Nun”, antwortete der Pelikan bereitwillig, “man begreift am Besten, in dem man es macht.”[Lewis Carrol, “Alice im Wunderland”]

Viel Spaß beim Vorkurs,Wolfgang Humbs und Klaus Kuzyk

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1 Bionik

Dieser Abschnitt dient zur Motivation und soll einen kleinen Einblick in die vielfaltigeIngenieursmathematik geben.Zum Begriff “Bionik” zitieren wir zunachst aus den Broschuren “Bionik - Lernen von derNatur” ([12]) und “Bionik - Biologie und Technik” ([13]) des Siemens-Museums Munchen.

[...]Bionik — ein Wort aus Biologie und Technik entstanden — ist ein interdisziplinaresForschungsgebiet mit dem Ziel, Vorbilder der Natur auf ihre Verwertbarkeit fur die Technikzu prufen. Dabei strebt man keinesweg die unkritische Nachahmung der Natur an, son-dern sucht vielmehr nach prinzipiellen Erkenntnissen zu der Frage, wie die Natur ihreProbleme in vorbildlicher Weise gelost hat. Diese Aufgabe fuhrt Techniker dazu, sich furBiologie zu interessieren, und den Biologen regt sie an, sich mit Technik zu beschaftigen.Die in Jahrmillionen der Evolution entstandenen Losungen sind meist okologischer undokonomischer als jene, die der Mensch bisher entwickelt hat.Es gibt unzahlige Analogien zwischen der Natur und der Technik. Die Falle fur eine direkteUbertragung von Losungen der Naur sind jedoch selten. Sehr viel haufiger merkt manerst nach dem Losen eines technischen Problems, dass in der Natur schon eine Losungvorhanden war.[...] (aus dem Vorwort von [12])

[...][Die Anfange der Bionik] gehen auf Franz Reuleaux (1829-1905), Vitus Graber (1844-1892)und Raoul Heinrich France (1874-1943) zuruck. Den Ausdruck selbst hat im Jahre 1958Jack E. Steele vorgeschlagen. Zunachst behandelt die Bionik Probleme, die die biologischeEvolution und der menschliche Erfindergeist auf analoge Weise gelost haben. Dabei wirdoffenbar, dass die Losungen, die die Natur in drei Milliarden Jahren gefunden hat, oftumweltfreundlicher und energieparender sind als jede, die der Mensch bisher entwickelthat. Deshalb ist es auch sinnvoll, moglichst viel von der Natur zu lernen.Bei vielen technischen Beispielen wurde die Analogie zur Natur erst nachtraglich erkannt.Umgekehrt gibt es auch Falle, bei denen der Mensch das Vorbild der Natur erfolgreichubernommen hat.[...] Dr. Herbert Goetzeler, Leiter des Siemens-Museums

(aus dem Vorwort von [13])

Wir illustrieren das Gesagte mit einigen Beispielen:

Eierschalen und KuppelformDie Form des Eis gehort zu den auffalligsten in der Natur — und sie ist ein gutes Bespieldafur, wie man mit einfachsten Mitteln schwierige Aufgaben bewaltigt. Das Erstaunlichedaran ist die Festigkeit, die mit einem eigentlich sehr bruchigen Material, namlich einerdunnen Kalkschale, erreicht wird. Doch wer versucht, ein Ei von “Spitze zu Spitze” mitDaumen und Zeigefinger zu zerdrucken, wird sich uber seine Stabilitat wundern — sieuberfordert die Kraft der menschlichen Hand.Berechnungen zeigen, dass die rotationssymmetrische Gestalt des Eis tatsachlich optimaleFestigkeitseigenschaften aufweist, und das ist auch der Grund dafur, dass der Kuppelbau

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1 BIONIK 6

in der Architektur eine große Rolle spielt — insbesondere dort, wo große Raume uberdachtwerden mussen. Viele gotische Kirchen beruhen auf diesem Prinzip, doch auch die moderneArchitektur ist daran nicht vorubergegangen. Ein weithin bekanntes Beispiel ist das “Atomei”des Garchinger Versuchsreaktors. Es weist jene Form auf, die sowohl der Druckeinwirkungvon außen wie auch einer von innen am besten standzuhalten vermag.

([12], Seite 13)

RuckstoßprinzipDer Ruckstoß als eine Moglichkeit des Antriebs — auf den ersten Blick hat es den Anschein,dafur bestehe im Bereich der Erde, des Wassers und der Luft keine Notwendigkeit, dennhier gibt es immer die Moglichkeit, sich mit Beinen, Flossen oder Flugeln fortzubewegen.Inzwischen hat sich aber gezeigt, dass man auch in der Natur mehrere Beispiele furdie Anwendung des Ruckstoßprinzips finden kann. Das bekannteste ist die Qualle; inihrem Hohlkorper schließt sie Wasser ein, das sie mit großer Kraft herauspresst, um sichfortzubewegen.In der Technik ist es die Rakete, die auf dem Ruckstoßprinzip beruht. Es bietet die einzigeMoglichkeit der Fortbewegung im leeren Raum. Am Heck werden die Ruckstande desVerbrennungsvorgangs aus den Raketenmotoren mit hoher Geschwindigkeit ausgeschleudert;der Ruckstoß — den jeder kennt, der schon einmal ein Gewehr benutzt hat — treibt denFlugkorper vorwarts. Auf andere Weise ware es nicht moglich gewesen, den Mond zuerreichen. ([12], Seite 17)

Rillen-Struktur (Riblets)Zur Uberraschung der Physiker und der Ingenieure fand man auf Haischuppen Langsrillen(Riblets). Obwohl die Oberflache dadurch betrachtlich vergroßert wird, zeigten Experimenteeine Abnahme des Wasser- und des Luft-Widerstandes.Zur Auswertung dieser Erfindung der Natur hat der amerikanische Chemiekonzert 3Meine selbstklebende Riblet-Folie entwickelt. Damit hat die Hochsee-Yacht “Stars & Stri-pes” 1987 den “America Cup” gewonnen. Beim Airbus 310 werden Riblet-Folien eineTreibstoffersparnis von 1-2% bringen, also in jedem Jahr 150 000l/Flugzeug.Die weitere Erforschung der Haischuppen und die physikalische Erklarung des Riblet-Effektes gehoren zu den aktuellen Aufgaben der Bionik.

([13], Seite 17)

Wir illustrieren die Aufgaben des Ingenieurs an den schon gewahlten Beispielen. Die Festigkeiteine Materials (z. B. auch die Erdbebensicherheit) sollte er zumindest angemessen durchFormeln abschatzen konnen. Das kann kompliziert werden. Ein einfaches Beispiel ist dieDurchbiegung eines Balkens, aber schon hier taucht als Gleichung der Biegelinie eine lineare,inhomogene Differentialgleichung auf. Vielleicht ist aus diesem Zusammenhang auch schondie in der Statik oft verwendete Durchbiegung (“Architektenformel”) D = ql2

8bekannt. Hier

ist q eine Materialkonstante und l die Lange des Balkens, der zwischen zwei Auflagern durchdie Schwerkraft belastet wird.In der Entwicklung einer Raketengleichung (siehe Ruckstoßprinzip) muss man naturlichberucksichtigen, dass die Treibstoffgase mit einer (konstanten) Geschwindigkeit nach hinten

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1 BIONIK 7

ausstromen und somit die Masse der Rakete nicht konstant ist. Eine Losung der Differential-gleichung

mdv

dt+ vg

dm

dt= 0

ist die Funktionv(t) = vg · ln

m0

m(t),

wobei v(t) die Raketengeschwindigkeit zur Zeit t, vg die Ausstromgeschwindigkeit des An-triebsstrahls, m0 die Startmasse der Rakete (inkl. Treibstoff) und m(t) die Masse der Raketezur Zeit t ist. Hier wurden naturlich vereinfachende Annahmen gemacht, z. B. wurden dieReibung und die Gravitation vernachlassigt.

Schließlich sollte ein Ingenieur in der Lage sein zu begrunden, ob und unter welcher Voraus-setzung die Bernoulli-Gleichung in der Form

pstat +1

2%v = pges

in der Aerodynamik angewendet werden kann. Dabei ist pstat der statische Druck (gemessensenkrecht zum Fluss), der zweite Term ist der dynamische Druck: % ist die Dichte der Luft, vihre Geschwindigkeit. Schließlich bezeichnet noch pges den Gesamtdruck.

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2 Mengenlehre und Logik

Im ersten Abschnitt werden noch einmal einige Grundzuge der Mengenlehre wiederholt, umeine immer wiederkehrende Sprechweise festzulegen.Naiv verstehen wir mit Georg Cantor (deutscher Mathematiker, 1845-1918) unter einerMenge die Zusammenfassung gewisser Objekte unserer Anschauung oder unseres Denkens,z. B. die Menge aller naturlichen Zahlen von 8 bis einschließlich 64, oder die Menge aller inDuisburg eingeschriebenen Studenten. Zunachst einmal konnen wir scheinbar alle von unsgewunschten Mengen ohne Widerspruch bilden.Das geht allerdings nicht immer. Wer etwas tiefer in die Mengenlehre einsteigen mochte, kannsich z. B. zunachst mit der Russelschen Antinomie auseinandersetzen.Gewohnlich gibt man eine Menge M in der Form

M = {x | P (x)}

an, d. h. die Menge besteht aus all jenen Elementen, fur die die Aussage P gilt bzw. die dieEigenschaft P haben.

2.1 Beispiele

...

Eine Menge N heißt Teilmenge von M , geschrieben N ⊂ M , wenn jedes Element von Nauch Element von M ist. Man schreibt

N ⊂M bzw. “Aus x ∈ N folgt x ∈M .”.

Wenn N ⊂M und M ⊂ N gilt, so sind die Mengen gleich, man schreibt M = N .

2.2 Beispiel

...

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2 MENGENLEHRE UND LOGIK 9

Die Potenzmenge P(M) (auch als 2M geschrieben) ist die Menge aller Teilmengen von M .

2.3 Beispiel

...

Eine n-elementige Menge hat genau 2n Teilmengen. Diese Aussage wird haufig in der Kombi-natorik verwendet.

2.4 Mengenoperationen

Die Vereinigung zweier Mengen M und N , in Zeichen M ∪N ist die Menge aller Elemente,die zu M oder N gehoren:

M ∪N = {x | x ∈M oder x ∈ N}

Der Durchschnitt zweier Mengen M und N , in Zeichen M ∩N , ist die Menge aller Elemente,die zu M und zu N gehoren:

M ∩N = {x | x ∈M und x ∈ N}

Wenn M ∩N = ∅ gilt, so sagt man auch, der Durchschnitt sei leer.Die Differenz zweier Mengen, in Zeichen M \N (oder auch M −N), ist gegeben durch

M \N = {x | x ∈M und x 6∈ N},

das heißt in M \N sind alle Elemente, die zu M , aber nicht zu N gehoren.Schließlich kann man durch

MC = {x ∈ U | x 6∈M}

das Komplement definieren, wenn man eine universelle — das heißt alles umfassende —Menge U zugrundelegt.

2.5 Beispiele

...

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2 MENGENLEHRE UND LOGIK 10

2.6 Aussagen, Wahrheitswerte

Nun soll — intuitiv, ohne groß in die Logik einzusteigen — der Begriff der Aussage geklart wer-den. Als Aussage wird jeder sprachliche Satz verstanden, der seiner inhaltlichen Bedeutungnach entweder wahr oder falsch ist. Man nennt dies auch das “tertium non datur”-Prinzip,sinngemaß ubersetzt “Eine dritte Moglichkeit gibt es nicht.”Dabei kommt es nicht darauf an, dass man tatsachlich weiß, ob der Satz wahr oder falsch ist.Der Satz “Morgen wird die Sonne scheinen.” ist schon heute eine Aussage, obwohl sich erstmorgen herausstellen wird, ob sie wahr oder falsch ist.Wir legen uns also auf eine zweiwertige Logik fest und fuhren zur Formalisierung die Wahr-heitswerte w (fur “wahr”) und f (fur “falsch”) ein. Wenn es heißt, eine Aussage sei wahr, sowird ihr also der Wahrheitswert w zugeordnet.

Mit dem Aussagenbegriff und den nun folgenden logischen Verknupfungen ist es moglich,komplizierteste Vorgange zu simulieren. Einen anderen Zugang bilden Boolesche Algebren,die in der technischen Informatik fur den theoretischen Unterbau verwendet werden.

2.7 Logische Verknupfungen

Verschiedene Aussagen lassen sich durch logische Verknupfungen zu neuen Aussagen zusam-mensetzen. Dazu stellen wir jetzt kompakt die gebrauchlichsten Verknupfungen, die sog.Schaltfunktionen, vor:

(a) Die Negation (Verneinung), in Zeichen ¬, ordnet einer Aussage X ihren entgegenge-setzten Wahrheitswert zu:

X ¬Xw f

f w

In Formeln, speziell bei Verkettung mehrerer logischer Verknupfungen, schreibt manauch oft X statt ¬X.

(b) Die Konjugation, in Zeichen ∧, ordnet Aussagen X und Y genau dann den Wahr-

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2 MENGENLEHRE UND LOGIK 11

heitswert w zu, wenn X und Y wahr sind:

X Y X ∧ Yw w ww f ff w ff f f

Auch hier benutzt man oft die abkurzende Schreibweise XY statt X ∧ Y .

(c) Die Disjunktion, in Zeichen ∨, ordnet Aussagen X und Y genau dann den Wahrheits-wert w zu, wenn X oder Y oder beide wahr sind:

X Y X ∨ Yw w ww f wf w wf f f

(d) Die Implikation (Folgerung), in Zeichen⇒, ordnet Aussagen X und Y Wahrheitswertegemaß der folgenden Tabelle zu:

X Y X ⇒ Yw w ww f ff w wf f w

(e) Die Aquivalenz, in Zeichen ⇔, ordnet Aussagen X und Y genau dann den Wahrheits-wert w zu, wenn X und Y denselben Wahrheitswert haben:

X Y X ⇔ Yw w ww f ff w ff f w

(f) Die XOR-Funktion (Exklusiv-Oder), in Zeichen ⊕, ordnet Aussagen X und Y genaudann den Wahrheitswert w zu, wenn X oder Y , aber nicht beide wahr sind:

X Y X ⊕ Yw w fw f wf w wf f f

Das Exklusiv-Oder entspricht damit eher unserem sprachlichen “Oder”.

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(g) Die NAND-Funktion (Nicht-Und), in Zeichen �, ordnet Aussagen X und Y Wahr-heitswerte gemaß folgender Tabelle zu:

X Y X � Yw w fw f wf w wf f w

Die NAND-Funktion ist insofern interessant, weil sie ein vollstandiges System bildet,das heißt, dass sie alle anderen Schaltfunktionen ersetzen kann.

Mit den so definierten Verknupfungen kann man konpliziertere Gebilde, sog. aussagenlogischeAusdrucke, aufbauen.

2.8 Beispiel

...

Interessierte Studenten konnen sich auch selbst uber einige Teilbereiche der Logik informieren,zum Beispiel

– Aussagenlogik

– Pradikatenlogik (1. Stufe, ...)

– Modale Logik

– Temporale Logik

– Fuzzy-Logik

– ...

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2 MENGENLEHRE UND LOGIK 13

Wir schließen diesen Abschnitt mit einem aktuellen Forschungsgebiet aus der Ingenieurma-thematik:

Fehlertolerierende RechensystemeWenn schwierige Rechnungen zu vollziehen, bzw. große Datenmengen zu verarbeiten sind,man denke u. a. an die Wettervorhersage, ist man auf einen Computer angewiesen. Invielen Fallen ist es aber ratsam, die erzielten Ergebnisse nicht kompromißlos zu ubernehmen,sondern in irgendeiner Form zu uberprufen.

Eine einfache Variante ware eine Ver-

Abbildung 2: Hardware-Verdopplung, [5]

dopplung der Computer. Zwei moglichstidentische Rechner vergleichen fortlau-fend ihre Ergebnisse, und eine Fehler-meldung erscheint genau dann, wenndie Outputs nicht mehr ubereinstimmen.Da der defekte Computer nicht ohneweiteres diagnostiziert werden kann, istdiese Variante dort angezeigt, wo manes sich leisten kann abzuschalten, z. B.bei der Steuerung einer Seilbahn oderim Bahnverkehr. Hier konnen, je nach

Gegebenheit, Signale auf “Rot” gestellt werden, damit es nicht zu Katastrophen kommt.Im Flugverkehr aber ist die Lage schwieriger. In bestimmten Situationen muss sich derPilot auf die Instrumente verlassen konnen. Man entscheidet sich hier in vielen Fallen furein (2 von 3)-System, d. h. von drei Rechnern mussen mindestens zwei intakt sein.

Abbildung 3: (2 von 3)-System, [5]

Ein defekter Computer kann also toleriert werden, er wird von den anderen zwei intaktenRechnern in einer klassischen Mehrheitsentscheidung uberstimmt. Es gilt allerdings hierdie Generalvoraussetzung, dass maximal ein Computer ausfallen darf.Ohne weitere Sicherheitsmaßnahmen konnten sonst zwei defekte Rechner den intaktenComputer uberstimmen. ([6], Seiten 48-53)

2.9 Beispiel

Im Flugverkehr wird oft die TMR-Technik (Triple Modular Redundancy) verwendet. Eswerden drei Computer, insbesondere fur Navigationsaufgaben, uber einen sogenannten Mehr-

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2 MENGENLEHRE UND LOGIK 14

heitsbildner (Voter) zusammengeschaltet. Ein eventuell defekter Rechner kann dann durch diebeiden intakten Rechner uberstimmt werden. Dass von drei Rechnern maximal ein Computerdefekt sein soll, ist in der Praxis eine durchaus realistische Annahme.Nun zu Ihrer Aufgabe als angehende Ingenieure:

(a) Konstruieren Sie einen (2 von 3)-Voter (aus UND- Gattern und einem ODER-Gatter)und stellen Sie die Wahrheitstafel und Schaltfunktion auf.

(b) Lokalisieren Sie einen defekten Rechner mit Hilfe von XOR-Gattern.

(c) Wie lautet die Schaltunktion, wenn ein Eingang eines UND-Gatters bei dem Voterfehlerbehaftet immer auf “1” (stuck at 1) ist?

(d) In einer Selbstdiagnose konnen sich die Computer auch gegenseiteig uberprufen. Ange-nommen, es liegt folgender Fall vor: R1 pruft R2, R2 pruft R3 und R3 pruft schließlichR1.R1 meldet R2 als intakt, R2 meldet R3 als defekt und R3 diagnostiziert R1 als defekt,siehe auch Abbildung 6.Welcher Computer ist nun defekt, wenn man annimmt (Generalvoraussetzung!), dassmaximal ein Computer nicht korrekt arbeitet?

Losungsvorschlage:

(a) Schaltfunktion:Y = X1X2 ∨X2X3 ∨X1X3

Abbildung 4: Voter mit Fehleranzeige, [5]

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2 MENGENLEHRE UND LOGIK 15

Wahrheitstabelle:

X1 X2 X3 X1 ∧X2 X2 ∧X3 X1 ∧X3 Y0 0 0 0 0 0 00 0 1 0 0 0 00 1 0 0 0 0 00 1 1 0 1 0 11 0 0 0 0 0 01 0 1 0 0 1 11 1 0 1 0 0 11 1 1 1 1 1 1

(b) Vergleicht man die Einzelsignale bitweise uber XOR-Gatter mit dem Mehrheitssignal,d. h. bildet man die Funktionen

Zi = Y Xi + Y Xi (fur i ∈ {1, 2, 3}),

so wird automatisch der (eventuell) defekte Computer festgestellt.

Sind zum Beispiel R1 und R2 intakt und R3 defekt, so ergibt sich fur X1 = X2 = 1 undX3 = 0 offensichtlich Y = 1 sowie Z1 = Z2 = 0 und mit Z3 = 1 wird die nicht-intakteKomponente lokalisiert. Liefern umgekehrt R1 und R2 eine Null, so erzeugt der defekteRechner R3 das Komplement, also eine 1; es ergibt sich jetzt Y = 0 sowie wiederZ1 = Z2 = 0 und Z3 = 1. Vollig analog werden die anderen Fehlerfalle behandelt.

(c) Siehe Abbildung 5

(d) Angenommen, R1 ware defekt, dann konnte er R2 als intakt beurteilen. R2 ist aber lautVoraussetzung intakt und konnte somit R3 nicht als defekt melden. Ware R2 defekt, sokonnte er R3 als defekt diagnostizieren, aber R3 durfte R1 nicht als defekt melden undR1 konnte R2 nicht als intakt diagnostizieren. Also ist R3 defekt: Er beurteilt R1 alsdefekt; denn auf einen defekten Rechner ist naturlich kein Verlaß — R1 meldet R2 alsintakt und R2 diagnostiziert R3 richtigerweise als defekt.

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Abbildung 5: Fehlerhafter Eingang, [5]

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Abbildung 6: Hardware-Redundanz, [5]

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3 Elementare Funktionen

3.1 Funktionen und Abbildungen

Seien A,B Mengen. Eine Abbildungsvorschrift f , die jedem Element a ∈ A genau ein(!)Element b ∈ B zugeordnet, nennt man eine Funktion oder auch eine Abbildung. Manschreibt

f : A → B

f : x 7→ das Element b ∈ B, auf das ein konkretes a abgebildet wird.

A heißt Definitionsbereich von f , B Wertebereich von f .

3.2 Die Charakteristika einer Funktion, Sprechweise

Eine Funktion ist also durch drei Angaben gegeben:

– Eine Menge A, der Definitionsbereich von f

– Eine Menge B, der Wertebereich von f

– Eine Zuordnungsvorschrift, die jedem x ∈ A ein eindeutig bestimmtes Element aus Bzuordnet

Generell gibt es keinen Unterschied zwischen einer Funktion und einer Abbildung. Es hat sichaber die allgemeine Sprechweise durchgesetzt, eine Funktion zwischen abstrakten Vektorraum-en eher eine “Abbildung” zu nennen und Funktionen, etwa von Rn nach Rn, tatsachlich“Funktionen” zu nennen.Wichtig allerdings ist die Unterscheidung zwischen f und f(x): Oft wird eine Funktioninkorrekt mit f(x) bezeichnet. Das ist jedoch falsch: f ist die Funktion, f(x) ist nur ihrFunktionswert an der Stelle x. Oft ist es jedoch praktisch, eine Funktion f einfach durch ihreAbbildungsvorschrift f(x) zu beschreiben.

3.3 Injektivitat, Surjektivitat und Bijektivitat einer Funktion

Eine Funktion f : A → B heißt injektiv, wenn fur a, a′ ∈ A mit a 6= a′ stets f(a) 6= f(a′)folgt. Gleichbedeutend hierzu ist: Aus f(a) = f(a′) folgt a = a′. (Eine injektive Funktionnimmt also jedes Element des Wertebereichs B hochstens einmal als Wert an.)f heißt surjektiv, wenn es zu jedem b ∈ B ein a ∈ A gibt mit f(a) = b. (Eine surjektiveFunktion nimmt also jedes Element des Wertebereichs B mindestens einmal als Wert an.)f heißt bijektiv, wenn f injektiv und surjektiv ist. (Eine bijektive Funktion nimmt also jedesElement des Wertebereichs genau einmal als Wert an.)

18

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3 ELEMENTARE FUNKTIONEN 19

3.4 Beispiele

...

3.5 Der Graph einer Funktion

Ist f : A→ B eine Funktion, so heißt

Gf :={(a, f(a)

)| a ∈ A

}der Graph von f .

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3 ELEMENTARE FUNKTIONEN 20

3.6 Beispiele

Als Beispiele betrachten wir (siehe Abbildung 7) die Graphen einer quadratischen Funktionf und der Identitat g:

f : R→ R; x 7→ x2 und g : R→ R; x 7→ x

Abbildung 7: Graphen zweier Funktionen ([14])

3.7 Das Bild einer Funktion

Ist f : A→ B eine Funktion, so heißt f(A) = {f(a) | a ∈ A} das Bild von A unter f .

3.8 Beispiel

...

3.9 Die Komposition von Funktionen

Seien f : A→ B und g : C → D Funktionen mit f(A) ⊂ C. Dann heißt die Abbildung

g ◦ f : A→ D; x 7→ g(f(x)

)

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3 ELEMENTARE FUNKTIONEN 21

die Komposition (oder auch Verknupfung) von g und f .Beachte dabei, dass die Forderung f(A) ⊂ C notwendig ist, da ansonsten g ◦ f nicht definiertware!Insbesondere unter Algebraikern schreibt man — statt dem hier vereinbarten

(g ◦ f

)(x) —

haufig(f ◦ g

)(x) fur g

(f(x)

), liest also konsequent von links nach rechts.

3.10 Beispiel

...

Abbildung 8: cube, sqrt und deren Komposition ([14])

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3 ELEMENTARE FUNKTIONEN 22

3.11 Die Umkehrfunktion

Ist eine Funktion f : A→ B bijektiv, so existiert genau eine Funktion g : B → A mit

(f ◦ g)(y) = y fur alle y ∈ Bund (g ◦ f)(x) = x fur alle x ∈ A.

Diese Funktion heißt Umkehrfunktion von f und wird im Allgemeinen mit f−1 bezeichnet.

3.12 Beispiel

...

Abbildung 9: cube und die Umkehrfunktion 3√ , ([14])

3.13 (Strenge) Monotonie

Sei D ⊂ R und f : D → R eine Funktion.

(a) f heißt monoton steigend, falls fur x, y ∈ D mit x < y folgt f(x) ≤ f(y).

(b) f heißt streng monoton steigend, falls fur x, y ∈ D mit x < y folgt f(x) < f(y).

(c) f heißt monoton fallend, falls fur x, y ∈ D mit x < y folgt f(x) ≥ f(y).

(d) f heißt streng monoton fallend, falls fur x, y ∈ D mit x < y folgt f(x) > f(y).

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3 ELEMENTARE FUNKTIONEN 23

3.14 Strenge Monotonie und Injektivitat

Streng monoton steigende Funktionen und streng monoton fallende Funktionen sind injektiv.

3.15 Beispiel

...

3.16 Monotonie der Umkehrfunktion

Die Umkehrfunktion streng monoton steigender (bzw. streng monoton fallender) bijektiverFunktionen sind ebenfalls streng monoton steigend (bzw. streng monoton fallend).

3.17 Polynome

Polynome und die in 3.21 eingefuhrten rationalen Funktionen stellen wichtige Funktionen-klassen dar.Seien a0, . . . , a0 ∈ R, an 6= 0. Dann heißt

p : R→ R; x 7→ anxn + . . .+ a1x+ a0

ein Polynom vom Grad n.

3.18 Beispiel

p : R→ R; x 7→ − 1

10x3 + x2 − 5

ist ein Polynom vom Grad 3, siehe auch Abbildung 10.

3.19 Die Nullstellenmenge

Sei p ein Polynom. Dann heißt

Np := {x ∈ R | p(x) = 0}

die Nullstellenmenge von p.

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3 ELEMENTARE FUNKTIONEN 24

Abbildung 10: Das Polynom p(x) = − 110x3 + x2 − 5, ([14])

3.20 Beispiele

...

3.21 Rationale Funktionen

Seien p, q Polynome. Dann heißt

p

q: R \ Nq → R; x 7→ p(x)

q(x)

eine rationale Funktion.

3.22 Beispiel

f : R \ {1, 2, 3} → R; x 7→ x2 + 1

(x− 1)(x− 2)(x− 3)

ist eine rationale Funktion, siehe auch Abbildung 11.

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3 ELEMENTARE FUNKTIONEN 25

Abbildung 11: Die Funktion f(x) = x2+1(x−1)(x−2)(x−3) , ([14])

3.23 Periodizitat

Sei D ⊂ R und f : D → R eine Funktion. f heißt L-periodisch fur ein L ∈ R, wenn

f(x) = f(x+ L)

gilt fur alle x ∈ D, falls jeweils noch x+ L ∈ D ist.

3.24 Beispiel

...

3.25 Sinus und Cosinus

Es gibt genau zwei 2π-periodische Funktionen, genannt

sin : R→ R Sinus

und cos : R→ R Cosinus,

die den Additionstheoremen

sin(x+ y) = sin(x) cos(y) + sin(y) cos(x)

cos(x+ y) = cos(x) cos(y)− sin(x) sin(y)

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3 ELEMENTARE FUNKTIONEN 26

sowie der Kreisgleichungcos2(x) + sin2(x) = 1,

jeweils fur alle x, y ∈ R, genugen.Explizite Formeln fur sin und cos werden am Ende von Abschnitt 5, Seite 51, angegeben.Es ist

sin(R) = cos(R) = [−1, 1].

Abbildung 12: Sinus und Cosinus, ([14])

Die Einschrankungen

sin : [−π2,π

2] → [−1, 1],

cos : [0, π] → [−1, 1]

sind bijektiv. Die Umkehrfunktionen

arcsin : [−1, 1] → [−π2,π

2],

arccos : [−1, 1] → [0, π]

werden mit Arcussinus und Arcuscosinus bezeichnet, siehe auch Abbildung 13.

3.26 Monotonie von Sinus und Cosinus

sin ist auf [−π2, π

2] streng monoton steigend und cos ist auf [0, π] streng monoton fallend.

3.27 Nullstellen von Sinus und Cosinus

sin besitzt genau in den Punkten kπ (mit k ∈ Z) Nullstellen.cos besitzt genau in den Punkten kπ + π

2(mit k ∈ Z) Nullstellen.

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3 ELEMENTARE FUNKTIONEN 27

Abbildung 13: Arcussinus und Arcuscosinus, ([14])

3.28 Der Tangens

Aufgrund dessen, dass fur x ∈]− π2, π

2[ stets cos(x) 6= 0 gilt, ist die Funktion

tan :]− π

2,π

2[→ R; x 7→ sin(x)

cos(x)

wohldefiniert; man nennt sie den Tangens, siehe auch Abbildung 14.

3.29 Der Arcustangens

Der Tangens ist bijektiv. Seine Umkehrfunktion

arctan : R→]− π

2,π

2[

wird mit Arcustangens bezeichnet.

3.30 Einige Funktionswerte von Sinus und Cosinus

Der Sinus ist eine ungerade Funktion, das heißt es ist sin(−x) = − sin(x) (Punktsym-metrie am Koordinatenursprung). Der Cosinus ist eine gerade Funktion, das heißt es istcos(−x) = cos(x) (Symmetrie an der y-Achse).

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3 ELEMENTARE FUNKTIONEN 28

Abbildung 14: Tangens und Arcustangens, ([14])

Einige spezielle Werte von Sinus, Cosinus und Tangens:

6

π

4

π

3

π

2

sin 01

2

1

2

√2

1

2

√3 1

cos 11

2

√3

1

2

√2

1

20

tan 01

3

√3 1

√3

nicht

definiert

3.31 Die hyperbolischen Funktionen

Es gibt genau zwei Funktionen, genannt

sinh : R→ R Sinus hyperbolicus

und cosh : R→ R Cosinus hyperbolicus,

die den Additionstheoremen

sinh(x+ y) = sinh(x) cosh(y) + sinh(y) cosh(x)

cosh(x+ y) = cosh(x) cosh(y) + sinh(x) sinh(y)

sowie der Hyperbelidentitat

cosh2(x)− sinh2(x) = 1,

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3 ELEMENTARE FUNKTIONEN 29

jeweils fur alle x, y ∈ R, genugen.sinh ist bijektiv und streng monoton steigend. cosh ist auf ]−∞, 0] streng monoton fallendund auf [0,∞[ streng monoton steigend.Es gelten sinh(0) = 0 und cosh(0) = 1. sinh ist eine ungerade Funktion, das heißt

sinh(−x) = − sinh(x)

und cosh ist eine gerade Funktion, das heißt

cosh(−x) = cosh(x).

Am Ende von Abschnitt 5, auf Seite 51, werden explizite Formeln fur sinh und cosh angegeben.

Abbildung 15: Die hyperbolischen Funktionen, [14]

3.32 Die Exponentialfunktion und der Logarithmus

Die Funktionexp : R→ R; x 7→ cosh(x) + sinh(x)

heißt Exponentialfunktion (oder auch einfach e-Funktion). Anstatt exp(x) schreibt manauch haufig ex.Es gilt exp(0) = 1. Eine Berechnungsformel fur die Exponentialfunktion wird in Abschnitt 5gegeben, siehe Seite 50.Als Abbildung R→]0,∞[ ist exp bijektiv. Die Umkehrfunktion

exp−1 :]0,∞[→ R

heißt (naturlicher) Logarithmus und wird als ln geschrieben (“logarithmus naturalis”).

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3 ELEMENTARE FUNKTIONEN 30

Abbildung 16: Die Exponentialfunktion und der Logarithmus, [14]

3.33 Die Funktionalgleichungen der Exponentialfunktion und desLogarithmus

Es giltexp(x+ y) = exp(x) · exp(y) fur alle x, y ∈ R

und ln(ab) = ln(a) + ln(b) fur alle a, b ∈]0,∞[.

3.34 Weitere Eigenschaften der Exponentialfunktion und des Lo-garithmus

Direkt aus 3.33 folgen

exp(−x) =1

exp(x)fur alle x ∈ R

undln(xα) = α · ln(x).

Die Exponentialfunktion und der Logarithmus sind auf ihrem ganzen Definitionsbereichstreng monoton steigend.

3.35 Die allgemeine Potenzfunktion

Fur ein a > 0 ist die allgemeine Potenzfunktion

expa : R→ R definiert durch expa(x) := exp(x · ln a).

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3 ELEMENTARE FUNKTIONEN 31

Statt expa(x) schreibt man auch ax.

3.36 Beispiel: Kanalkapazitat von Shannon

Ein Ubertragungsweg der Bandbreibe f0, der durch ein Storsignal mit der mittleren StorleisungNR gestort wird, erlaubt (idealisiert) eine maximale Ubertragungsgeschwindigkeit von

vM = f0 · ld(

1 +NS

NR

),

wobei NS die mittlere Sendeleistung und ld den “Logarithmus dualis”, also den Logarithmuszur Basis 2 bezeichnet. (In der Praxis werden allerdings deutlich geringere Ubertragungsge-schwindigkeiten realisiert.)Uber eine Schnittstelle soll bei einer Bandbreite von 10kHz eine Ubertragungsgeschwindigkeitvon 20kBits/s erreicht werden. Ermitteln Sie nach Shannon die minimale Sendeleistung, wennauch noch mit einer Storleistung von 2 Watt gerechnet werden muss.Losungsvorschlag:Mit obiger Formel erhalt man

vMf0

= ld

(1 +

NS

NR

).

Setzt man die gegebenen Werte ein, so erhalt man

2 = ld

(1 +

NS

NR

)⇔ 22 = 1 +

NS

NR

⇔ 22 − 1 =NS

NR

⇔ NS = 6.

Es muss also mit mindestens 6 Watt gesendet werden.

3.37 Beispiel: Dampfung und Verzerrung von Signalen

Auch bei der Darstellung von ubertragenen Signalen spielen die elementaren Funktionen exp,cos und sin eine große Rolle. Unter Berucksichtigung von frequenzabhangigen Dampfungenund Laufzeiten kann ein Signal, das vom Sender in der Form

sS(t) =a0

2+∞∑n=1

[an cos(nω0t) + bn sin(nω0t)

].

ausgesendet wird, beim Empfanger in der Form

sE(t) =a0e−α(0)

2+∞∑n=1

e−α(nω0)

[an cos

(nω0

(t− τ(nω0)

))+ bn sin

(nω0

(t− τ(nω0)

))]

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3 ELEMENTARE FUNKTIONEN 32

ankommen. Alle mit Ubertragungsschwierigkeiten verbundenen Phanomene sind zum Beispielvom Fernsehen her bekannt. Der “Schnee” wird durch die Dampfung e−α(nω0) beschrieben.Eine frequenzabhangige Phasenverschiebung wird durch den Term τ(nω0) beschrieben.Signale kommen also gedampft und phasenverschoben an. Die Signalstarke muss also aufeinen angemessenen Pegel regeneriert werden. Den Laufzeitverzerrungen kann man u. U. mit(z. B. in Verstarkern eingebauten) Entzerrern begegnen.

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4 Komplexe Zahlen

Die historischen Wurzeln der komplexen Zahlen liegen im 16. Jahrhundert. Wahrend man dieGleichung x2 − 5x+ 6 = 0 aufgrund der Beobachtung

x2 − 5x+ 6 = 0 = (x− 2)(x− 3)

problemlos in R losen kann, gelingt das schon bei der einfachen Gleichung x2 + 1 = 0 nichtmehr. Offensichtlich gibt es kein Element aus den reellen Zahlen, das diese Gleichung erfullt.Kreiert man jedoch ein Element i und schreibt man ihm die Eigenschaft i2 = −1 zu, so kannauch x2 + 1 = 0 gelost werden, genauer: Die Gleichung besitzt die Losungen x = ±i.Bildet man nun die Kombinationen

z = x+ iy mit reellen x, y,

so erhalt man den sog. Korper der komplexen Zahlen, in Zeichen C. Offenbar bildendie reellen Zahlen eine Teilmenge der komplexen Zahlen. Fur das Rechnen mit den kom-plexen Zahlen ubernehmen wir alle Regeln aus R (z. B. Assoziativitat, Kommutativitat,Distributivitat, etc.); es muss nur jeweils i2 = −1 beachtet werden.Man kann sich die komplexen Zahlen in der sog. Gaußschen Zahlenebene als 2-dimensionalenVektorraum veranschaulichen. Dabei werden x = Re z, der sog. Realteil, und y = Im z, dersog. Imaginarteil, als die “Komponenten” der komplexen Zahl z = x+ iy aufgefasst.Die Darstellung einer komplexen Zahl z als “Realteil + i·Imaginarteil” nennt man dieNormaldarstellung von z.

4.1 Beispiel

Abbildung 17: Komplexe Zahlen in der Gaußschen Ebene ([14])

33

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4 KOMPLEXE ZAHLEN 34

4.2 Beispiel

Mit Hilfe der komplexen Zahlen sind nun alle Gleichungen der Form z2 + pz + q = 0 losbar.Wir demonstrieren das an einem Beispiel: ...

4.3 Bemerkungen

(a) Wenn die komplexen Zahlen in mathematischer Strenge formal eingefuhrt werden, machtman sich die Darstellung

komplexe Zahl = Realteil + i · Imaginarteil

zu Nutze und konstruiert eine Abbildung R2 → C, die zeigt, dass die Ebene R2 und Cdieselbe Struktur besitzen.

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4 KOMPLEXE ZAHLEN 35

(b) Definiert man den Betrag einer reellen Zahl x durch

|x| :=

{x fur x ≥ 0−x fur x < 0

,

so gilt laut 3.10 fur alle reellen Zahlen

√x2 = |x|.

Aus Grunden, die mit der Potenzierung komplexer Zahlen zu tun haben, vereinbarenwir aber √

z2 = ±z

fur alle echt-komplexen Zahlen z, also fur alle z ∈ C \ R.

4.4 Das Konjugiert-Komplexe und der Betrag

Zu einer komplexen Zahl z = x+ iy definieren wir die konjugiert-komplexe Zahl z durch

z = x− iy.

Ferner definieren wir den Betrag |z| von z durch

|z| =√x2 + y2.

4.5 Beispiel

Die komplexe Zahl z = 1 + 2i besitzt den Realteil Re z = 1 und den Imaginarteil Im z = 2,sowie den Betrag |z| =

√12 + 22 =

√5 und das Konjugiert-Komplexe z = 1− 2i.

Abbildung 18: Die Zahlen z, z, Re z und Im z ([14])

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4 KOMPLEXE ZAHLEN 36

4.6 Die Polardarstellung komplexer Zahlen

Auf Seite 33 haben wir komplexe Zahlen durch kartesische Koordinaten dargestellt. Allerdingsgibt es noch eine weitere Moglichkeit; anstatt eine komplexe Zahl z durch (Re z, Im z) zubeschreiben, kann man auch ihren Betrag |z| und den Winkel arg z (das sog. Argument von z)angeben, den sie mit der positiven x-Achse einschließt. Dies nennt man die Polardarstellungvon z.Jeder komplexen Zahl damit eine eindeutige Polardarstellung zuzuordnen funktioniert abernur, wenn man fur den Winkel arg z eine Einschrankung macht:

0 ≤ arg z < 2π

Man spricht auch vom Winkel “modulo 2π” oder kurz “mod 2π”.Setzt man in der Reihendarstellung der Exponentialfunktion (siehe Seite 50) komplexe Zahlenein, so erhalt man folgenden interessanten Zusammenhang, die sog. “Eulersche Formel”: Istϕ ein Winkel im Bogenmaß, so gilt

eiϕ = cosϕ + i sinϕ.

Hat also eine komplexe Zahl z den Betrag r := |z| und den (Polar-)Winkel ϕ := arg z, sokonnen wir auch

z = r · eiϕ

schreiben, sozusagen “Zahl = Betrag · Winkeldarstellung”.

4.7 Beispiel

Abbildung 19: z = 2 + 2√

3i = 2 · ei π3 , [14]

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4 KOMPLEXE ZAHLEN 37

4.8 Umrechnung zwischen beiden Darstellungsmoglichkeiten

Mit der Eulerschen Formel konnen wir problemlos zwischen den beiden Darstellungen kom-plexer Zahlen umrechnen:Ist z = x+ iy gegeben, so erhalt man r und ϕ durch

r = |z| =√x2 + y2

ϕ = arg z =

arccos

(xr

)fur r > 0 und y ≥ 0

− arccos(xr

)fur r > 0 und y < 0

unbestimmt falls r = 0

.

Ist dagegen z = r · eiϕ gegeben, so ist

x = Re z = r · cosϕ und y = Im z = r sinϕ.

Es sei hier noch angemerkt, dass das Argument von z oftmals uber den Arcustangens berechnetwird, also

ϕ = arctany

x.

Das ist soweit in Ordnung, wenn man weiß, in welchem Quadranten man sich befindet, sieheAbbildung 20.

Abbildung 20: Die vier Quadranten ([14])

Die Zahl z = −1− i liegt im dritten Quadranten, aber die Berechnung von arg z uber denArcustanges liefert

ϕ = arctan−1

−1= arctan 1 =

π

4.

Es muss bei dieser Art der Berechnung also evtl. noch π dazuaddiert werden.

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4 KOMPLEXE ZAHLEN 38

4.9 Multiplikation zweier Zahlen in Polardarstellung

Die Schlagkraftigkeit der Polardarstellung sieht man anhand der Multiplikation: Sindz1 = r1e

iϕ1 und z2 = r2eiϕ2 gegeben, so folgt mit den ublichen Potenzgesetzen

z1 · z2 = r1eiϕ1 · r2eiϕ2

= r1r2 · ei(ϕ1+ϕ2).

Somit ist

|z1z2| = r1r2 und arg(z1z2) = ϕ1 + ϕ2 mod2π.

Entsprechend hat man fur die Division

z1

z2

=r1e

iϕ1

r2eiϕ2

=r1r2· ei(ϕ1−ϕ2),

also ∣∣∣∣z1

z2

∣∣∣∣ =r1r2

und arg

(z1

z2

)= ϕ1 − ϕ2 mod2π.

Allgemein gelten also folgende Merkregeln:Multiplikation: Betrage multiplizieren und Argumente addieren.Division: Betrage dividieren und Argumente subtrahieren.

4.10 Die Formel von Moivre

Abschließend soll als Verallgemeinerung noch die Formel von Moivre angegeben werden.Durch Anwendung der Potenzgesetze in der Eulerschen Formel erhalt man namlich

(cosϕ+ i sinϕ)n = cos(nϕ) + i sin(nϕ).

4.11 Beispiel

(a) Zu Berechnen ist der Quotient 2+3i4+5i

in Normaldarstellung.

...

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4 KOMPLEXE ZAHLEN 39

(b) Klausuraufgabe Mathematik fur Informatiker I, SS09

(i) Schreiben Sie die komplexe Zahl

z = i49 + i50 + i51 + i52

in der Normalform z = x+ iy mit x, y ∈ R.

...

(ii) Gegeben ist z ∈ C mit

z = 9 · 5 + 3i+ (1− i)2

2 + 3i+

(1− 11i) · (1 + i)

2

Bestimmen Sie die Normalform z = x+ iy mit x, y ∈ R.

...

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4 KOMPLEXE ZAHLEN 40

(iii) Die Menge aller Losungen z ∈ C der Gleichung

zz + (2 + i)z + (2− i)z = 4

ist eine Kreislinie K in der komplexen Ebene. Bestimmen Sie Mittelpunkt undRadius von K.

...

(c) Seien z1 = 1 +√

3i und z2 = 2 + 2i. Zu bestimmen sind Real- und Imaginarteil von

z1z2, z1z2,z1

z2

, z152 .

...

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4 KOMPLEXE ZAHLEN 41

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5 Folgen und Reihen

Neben den Eigenschaften der reellen Zahlen bilden Folgen und Reihen die Grundlagen derAnalysis.Eine Funktion f : N→ R oder f : N0 → R heißt Folge.Statt f(n) schreibt man an und f selber bezeichnet man mit (an)n∈N. Eine Folge (an)n∈N istalso eine Auflistung (a1, a2, a3, . . .) reeller Zahlen. Bei Folgen interessiert man sich fur dieFrage, ob sich fur n→∞ die Folgenglieder an einem bestimmten Wert annahern.

5.1 Konvergenz, Grenzwerte

Eine Folge (an)n∈N heißt konvergent gegen a ∈ R, wen es zu jedem ε > 0 ein n0(ε) gibt, sodass

|an − a| < ε gilt fur alle n > n0(ε).

Man schreibt dannan → a.

a heißt Grenzwert von (an)n∈N. Er ist im Falle der Existenz eindeutig bestimmt.Hat eine Folge keinen Grenzwert, so heißt sie divergent.

Abbildung 21: Eine gegen 1 konvergente Folge mit ε-Schlauch fur ε = 0, 15

5.2 Beispiele

...

42

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5 FOLGEN UND REIHEN 43

5.3 Der “Grenzwert” ±∞Aus pragmatischen Grunden erweitert man den Konvergenzbegriff fur Folgen um den Begriff“konvergent gegen ∞” und “konvergent gegen −∞”:Eine Folge (an)n∈N heißt uneigentlich konvergent gegen ∞ (bzw. gegen −∞), wennfur alle bis auf endlich viele Folgenglieder an > 0 (bzw. an < 0) gilt und die Folge ( 1

an)n∈N,an 6=0

gegen 0 konvergiert.Beachte: Uneigentlich konvergente Folgen sind divergent.

5.4 Beispiel

...

5.5 Rechenregeln fur konvergente Folgen

Sei die Folge (an)n∈N konvergent gegen a ∈ R und die Folge (bn)n∈N konvergent gegen b ∈ R.Dann gelten folgende Rechenregeln:

(a) (an ± bn)n∈N konvergiert gegen a± b.

(b) (an · bn)n∈N konvergiert gegen a · b.

(c) Ist zudem b 6= 0, so existiert die Folge (anbn

)n∈N ab einem gewissen n ∈ N und konvergiertgegen a

b.

Mit den bisherigen Beispielen fur konvergente Folgen und diesen Rechenregeln lassen sichbereits etwas kompliziertere Folgen auf Konvergenz untersuchen.

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5 FOLGEN UND REIHEN 44

5.6 Beispiel

...

Gelegentlich nutzlich sind auch folgende Regeln:

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5 FOLGEN UND REIHEN 45

5.7 Die Sandwich-Regel

Konvergieren (an)n∈N und (bn)n∈N gegen denselben Grenzwert, etwa a ∈ R, und gilt fur eineFolge (cn)n∈N

an ≤ cn ≤ bn

fur alle (bis auf hochstens endlich viele) n ∈ N, so folgt auch cn → a.

5.8 Die Wurzelregel

Sei (an)n∈N eine Folge. Ist an ≥ 0 fur alle n ∈ N und an → a ≥ 0, so folgt fur die Folge(√an)n∈N die Gultigkeit von √

an →√a.

Konvention: Anstatt an → a benutzt man haufig auch die etwas schwerfalligeren Schreib-weisen

limn→∞

an = a oder ann→∞−→ a.

Da es sich haufig als schwierig erweist, den Grenzwert einer Folge zu berechnen, hat man sichhaufig damit zu begnugen, nachzuweisen, dass eine Folge uberhaupt konvergiert. Dazu ist dieeingefuhrte Konvergenzdefinition denkbar ungeeignet, da sie bereits den Grenzwert benutzt.Es erweist sich folglich als notwendig, konvergente Folgen intrinsisch zu charakterisieren.

5.9 Cauchy-Folgen

Eine Folge (an)n∈N heißt Cauchy-Folge, wenn es zu jedem ε > 0 ein n0(ε) ∈ N gibt, so dassfur alle n ≥ n0(ε) und m ≥ n0(ε) gilt

|an − am| < ε.

5.10 Das Cauchy-Kriterium: Uber die Konvergenz von Cauchy-Folgen

Eine Folge (an)n∈N ist genau dann konvergent, wenn sie eine Cauchy-Folge ist.

Ein weiteres Kriterium, die Konvergenz einer Folge ohne Kenntnis des Grenzwertes nach-zuweisen, geht auf Bolzano-Weierstraß zuruck, das in 5.15 in leicht abgeschwachter Formwiedergegeben wird. Dazu sind ein paar Vorbereitungen notig:

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5 FOLGEN UND REIHEN 46

5.11 (Strenge) Monotonie

Eine Folge (an)n∈N heißt monoton steigend bzw. streng monoton steigend, wenn

an ≤ an+1 bzw. an < an+1

gilt fur alle n ∈ N. Entsprechend heißt sie monoton fallend bzw. streng monoton fallend,wenn

an ≥ an+1 bzw. an > an+1

gilt fur alle n ∈ N. Monoton steigende oder monoton fallende Folgen heißen monoton.

5.12 Beispiel

...

5.13 Beschranktheit

Eine Folge (an)n∈N heißt beschrankt, wenn es ein K > 0 gibt mit

|an| ≤ K fur alle n ∈ N.

5.14 Beispiel

...

5.15 Das Konvergenz-Kriterium von Bolzano-Weierstraß

Jede monotone und beschrankte Folge ist konvergent.

5.16 Beschranktheit konvergenter Folgen

Jede konvergente Folge ist beschrankt.

5.17 Beispiel

...

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5 FOLGEN UND REIHEN 47

5.18 Reihen

Ist eine Folge (an)n∈N gegeben, so bezeichnet man die (neue) Folge

(sn)n∈N mit sn = a1 + . . .+ an

als Folge der Partialsummen (der Folge (an)n∈N). Anstatt sn verwendet man die suggesti-vere Schreibweise

∑nk=1 ak (oder

∑nk=0 ak, falls die Folge der an mit a0 anfangt).

Im Falle der Existenz nennt man dann den Grenzwert

limn→∞

sn =∑∞

k=1ak bzw. lim

n→∞sn =

∑∞

k=0ak

unendliche Reihe oder auch einfach Reihe.Da Folgen von Partialsummen spezielle Folgen sind, gelten alle bisher fur Folgen gegebenenDefinitionen und Satze naturlich auch hier. Die spezielle Bauweise der Partialsummenfolgenerlaubt es jedoch, scharfere Konvergenzkriterien als fur allgemeine Folgen herzuleiten.

Fur Reihen∑∞

k=1 ak schreibt man im Falle der Konvergenz statt∑n

k=1 ak → a meist einfach∑∞k=1 ak = a.

5.19 Rechenregeln

Fur konvergente Reihen konnen wir sofort folgende Rechenregeln festhalten: Gilt∑∞k=1 ak = a ∈ R und

∑∞k=1 bk = b ∈ R und ist c ∈ R, so gilt

(a)∑∞

k=1(ak + bk) = a+ b

(b)∑∞

k=1(ak − bk) = a− b

(c)∑∞

k=1(cak) = ca

5.20 Die geometrische Reihe

Eine der wichtigsten elementaren Reihen ist die geometrische Reihe∑∞

k=0 qk. Diese Reihe

ist fur |q| < 1 konvergent und es gilt

∞∑k=0

qk =1

1− q.

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5 FOLGEN UND REIHEN 48

Dies kann man so einsehen: Fur die Partialsummen sn = 1 + q + q2 + . . .+ qn gilt

(1 + q + q2 + . . .+ qn)(1− q) = 1 + q + q2 + . . .+ qn − (q + q2 + q3 + . . .+ qn+1)

= 1− qn+1,

also ist

sn =1− qn+1

1− q.

Fur |q| < 1 folgt limn→∞ qn = 0 und daher∑∞

k=0qk = lim

n→∞sn =

1− 0

1− q=

1

1− q.

Dass die geometrische Reihe fur |q| ≥ 1 divergiert, folgt aus folgendem Satz:

5.21 Zusammenhang zwischen der Konvergenz der Reihe∑ak

und der Konvergenz der Folge an

Ist die Reihe∑∞

k=1 ak konvergent, so konvergiert die Folge (an)n∈N gegen 0.Diese Aussage lasst sich nicht umkehren: So konvergiert zum Beispiel die Folge ( 1

n)n∈N gegen

0, die Reihe∑∞

k=11n

— die sogenannte harmonische Reihe — divergiert jedoch. Dies siehtman am schnellsten mit Hilfe des folgenden Satzes, der — analog zum Cauchy-Kriterium furallgemeine Folgen — ein intrinsisches Kriterium fur die Konvergenz von Reihen darstellt.

5.22 Das Cauchy-Kriterium fur Reihen

Eine Reihe∑∞

k=1 ak ist genau dann konvergent, wenn es zu jedem ε > 0 ein n0(ε) ∈ N gibt,so dass ∣∣∣∑m

k=n+1ak

∣∣∣ < ε

gilt fur alle m > n ≥ n0(ε).

Bei der harmonischen Reihe gilt fur die Partialsummen sn und s2n

|s2n − sn| =

∣∣∣∣∑2n

k=n+1

1

n

∣∣∣∣=

1

n+ 1+

1

n+ 2+ . . .+

1

2n

≥ n · 1

2n=

1

2.

Die Bedingungen des obigen Satzes sind also nicht erfullt, womit die Divergenz der harmoni-schen Reihe gezeigt ist.Man findet aber

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5 FOLGEN UND REIHEN 49

5.23 Die Reihe∑∞

k=11nα fur α > 1

Fur jedes α > 1 ist die Reihe∑∞

k=11nα

konvergent. Speziell fur α = 2 und α = 4 findet man

∞∑k=1

1

n2=

π2

6

und∞∑k=1

1

n4=

π4

945.

Die Herleitung dieser Ergebnisse erfolgt i.A. mittels der Theorie der Fourier-Reihen, mitdenen Sie in Ihrem Studium noch Bekanntschaft schließen werden.

Die Berechnung konkreter Reihenwerte kann extrem schwierig oder sogar unmoglich sein.Aus diesem Grund sind Kriterien gefragt, die zumindest die Konvergenz garantieren.

5.24 Absolute Konvergenz

Eine Reihe∑∞

k=1 ak heißt absolut konvergent, falls die Reihe∑∞

k=1 |ak| konvergiert.Absolut konvergente Reihen sind konvergent. Die Umkehrung ist jedoch i.A. falsch, wie nocham Beispiel der alternierenden harmonischen Reihe gezeigt werden wird.

5.25 Das Majorantenkriterium

Sei∑∞

k=1 ck konvergent und |ak| ≤ ck fur alle k ≥ k1, dann ist die Reihe∑∞

k=1 ak absolutkonvergent.

Zum Majorantenkriterium gibt es auch ein entsprechendes Divergenz-Kriterium, das sog.Minorantenkriterium:

5.26 Das Minorantenkriterium

Gilt 0 ≤ ck ≤ ak fur alle k ≥ k1, und ist die Reihe∑∞

k=1 ck divergent, so ist die Reihe∑∞

k=1 akebenfalls divergent.

5.27 Beispiel

...

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5 FOLGEN UND REIHEN 50

5.28 Das Quotientenkriterium

Sind (ab einem beliebigen Index) alle ck 6= 0 und gibt es eine Zahl q < 1 und ein k1 ∈ N, sodass ∣∣∣∣ck+1

ck

∣∣∣∣ ≤ q fur alle k ≥ k1

gilt, so konvergiert die Reihe∑∞

k=1 ck.

5.29 Beispiel

Sei x ∈ R, x 6= 0 beliebig und ck = |x|kk!

, so gilt

∣∣∣∣ck+1

ck

∣∣∣∣ =

|x|k+1

(k+1)!

|x|kk!

=|x|k + 1

<1

2

fur alle k ≥ 2|x|. Nach dem Quotientenkriterium ist also die Reihe

∑∞

k=0ck =

∑∞

k=0

|x|k

k!

konvergent und damit auch absolut konvergent, da sowieso alle ck ≥ 0 sind. Da absoluteKonvergenz die Konvergenz impliziert, folgt alsdann sogar auch die Konvergenz der Reihe∑∞

k=0

xk

k!

fur x 6= 0, fur die das Quotientenkriterium aber auch ohne den Umweg uber die absoluteKonvergenz die “normale” Konvergenz geliefert hatte. Fur x = 0 ist die Reihe trivialerweisekonvergent.

Da in obigem Beispiel Konvergenz fur alle x ∈ R vorliegt, kann man∑∞

k=0xk

k!auch als

Funktion R→ R auffassen. Das fuhrt zum Begriff der Potenzreihe:

5.30 Potenzreihen

Sei ∑∞

k=0akx

k oder ganz allgemein∑∞

k=0ak(x− x0)

k

konvergent fur alle x ∈ R. Dann nennt man diese Reihe eine auf R konvergente Potenz-reihe.Viele der im Abschnitt “Elementare Funktionen” eingefuhrten Funktionen lassen sich durchgunstige Wahl der ak als auf R konvergente Potenzreihen darstellen. So ist die geradebetrachtete Potenzreihe

∑∞k=0

xk

k!— also mit ak = 1

k!— gerade die Exponentialfunktion exp,

das heißt

exp(x) = ex =∑∞

k=0

xk

k!.

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5 FOLGEN UND REIHEN 51

Fur den Sinus und den Cosinus lassen sich die auf R konvergenten Potenzreihen

sin(x) =∑∞

k=0

(−1)k

(2k + 1)!x2k+1

cos(x) =∑∞

k=0

(−1)k

(2k)!x2k

herleiten. Fur den Arcustangens erhalt man fur x ∈]− 1, 1[

arctan(x) =∑∞

k=0(−1)k

x2k+1

2k + 1.

Wegen tan(π4) = 1 folgt hieraus

π = 4

(1− 1

3+

1

5− 1

7+

1

9− 1

11± . . .

).

Setzt man in der Potenzreihe der Exponentialfunktion x = 1, so erhalt man

e =∑∞

k=0

1

k!.

Diese Formel ist zur numerischen Berechnung der Zahl e gut geeignet, da die Summanden 1k!

sehr schnell extrem klein werden. Es ist zwar auch

e = limk→∞

(1 +

1

k

)k,

die obige Reihe konvergiert aber wesentlich schneller gegen e als es die Folge (1 + 1k)k tut.

In der Technik spielen noch die hyperbolischen Funktionen cosh und sinh eine große Rolle.Ohne Widerspruch zu 3.31 kann man

cosh(x) =ex + e−x

2

sinh(x) =ex − e−x

2

schreiben. Damit besitzen sinh und cosh die Potenzreihendarstellung

cosh(x) =∑∞

k=0

x2k

(2k)!

sinh(x) =∑∞

k=0

x2k+1

(2k + 1)!.

Hinsichtlich Differentiation und Integration gehoren Potenzreihen zu den angenehmstenFunktionen uberhaupt, da man sie gliedweise differenzieren bzw. integrieren kann.

Es ist noch der bereits erwahnte Sachverhalt zu bestatigen, dass nicht jede konvergente Reiheauch absolut konvergiert. Dazu benotigen wir noch

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5 FOLGEN UND REIHEN 52

5.31 Das Leibniz-Kriterium

Sei (ck)k∈N eine monoton fallende Folge mit ck → 0, speziell also ck ≥ 0 fur alle k ∈ N, sokonvergiert die Reihe ∑∞

k=1(−1)k+1ck.

Wahlt man nun ck = 1k, so erhalt man mit dem Leibniz-Kriterium die Konvergenz der

alternierenden harmonischen Reihe ∑∞

k=1(−1)k+1 1

k

— ihr Grenzwert ist ln 2 —, die aber wegen∣∣∣∣(−1)k+1 · 1

k

∣∣∣∣ =1

k

nicht absolut konvergiert, da die harmonische Reihe divergiert, siehe Seite 48.

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6 Differentialrechnung

Die Differentialrechnung bildet zusammen mit der Integralrechnung den Kern der Analysis.Differenzierbarkeit einer Funktion in einem Punkt x0 bedeutet, dass die Funktion in einer(evtl. sehr kleinen) Umgebung des Punktes x0 sehr genau durch eine affin-lineare Funktion (d.h. eine Gerade), die als Tangente bezeichnet wird, approximiert (d. h. angenahert) werdenkann. Daraus lassen sich dann Ruckschlusse auf Eigenschaften der Funktion selber ziehen.Differenzierbarkeit lasst sich auch physikalisch interpretrieren. Darauf wird kurz eingegangen,wenn der Begriff der Ableitung zur Verfugung steht.Um Differenzierbarkeit uberhaupt definieren zu konnen, wird der Begriff “Grenzwert einerFunktion” benotigt. Es werden also vorab einige grundlegende Sachverhalte uber Grenzwertevon Funktionen und stetige Funktionen zusammengefasst. Stetigkeit einer Funktion f ineinem Punkt x0 bedeutet anschaulich, dass sich bei Annaherung einer Punktfolge (xn)n∈Ngegen x0 die Folge

(f(xn)

)n∈N dem Wert f(x0) annahert. Es ist daher klar, dass man den

Begriff der Stetigkeit mittels der Konvergenz von Folgen definiert wird.

6.1 Stetigkeit

Eine Funktion f : D → R heißt stetig in x0∈D, wenn fur jede Folge (xn)n∈N mit xn → x0

die Folge(f(xn)

)n∈N gegen f(x0) konvergiert.

f heißt stetig, wenn f in jedem x0 ∈ D stetig ist.

6.2 Beispiel

...

6.3 Rechenregeln fur stetige Funktionen

Seien f : D → R und g : D → R stetige Funktionen und λ ∈ R. Dann gelten

(a) f + g ist stetig.

(b) f − g ist stetig.

(c) f · g ist stetig.

(d) λ · f ist stetig.

(e) fg

ist stetig in allen Punkten x mit g(x) 6= 0.

53

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 54

(f) f ◦ g ist stetig (sofern f ◦ g definiert ist).

Aus dem obigen Beispiel und den Rechenregeln folgt sofort, dass Polynomfunktionen

f(x) = anxn + . . .+ a1x+ a0

(mit aj ∈ R) stetig sind. Ebenso folgt, dass jede rationale Funktion

g(x) =anx

n + . . .+ a1x+ a0

bmxm + . . .+ b1x+ b0

in allen Punkten, in denen der Nenner nicht Null ist, stetig ist.Da auch alle auf R konvergenten Potenzreihen stetig sind, folgt die Stetigkeit von exp, sin,cos, sinh, cosh und arctan, sowie nach den Rechenregeln auch die der Funktionen

tan =sin

cos, cot =

cos

sin, tanh =

sinh

coshund coth =

cosh

sinh

in allen Punkten, in denen die Nenner nicht Null werden. Dabei wird tanh als Tangenshyperbolicus und coth als Kotangens hyperbolicus bezeichnet.

6.4 Der Grenzwert einer Funktion fur x→ a ∈ RIst eine Funktion f : D → R stetig in einem Punkt x0 ∈ D, so sagt man auch “f besitzt inx0 den Grenzwert f(x0).” und schreibt dafur

limx→x0

f(x) = f(x0).

Ist D ein offenes Intervall ]a, b[ oder D = R, so interessiert man sich auch fur das Grenzver-halten von f(x) fur x→ a oder x→ b bzw. fur x→∞ oder x→ −∞. Dieses Grenzverhaltenwird durch den Stetigkeitsbegriff nicht mehr erfasst. Man definiert daher fur ein offenesIntervall D =]a, b[ und eine Funktion f : D → R:

(a) f besitzt in a den (rechtsseitigen) Grenzwert y, falls fur jede Folge (xn)n∈N aus]a, b[ mit xn → a die Folge

(f(xn)

)n∈N gegen y konvergiert. Man schreibt hierfur

limx→a+

f(x) = y.

(b) f besitzt in a den (rechtsseitigen) Grenzwert ∞, falls in einer Umgebung vona stets f(x) > 0 und limx→a

1f(x)

= 0 gilt. Man schreibt in diesem Fall

limx→a+

f(x) =∞.

(c) f besitzt in a den (rechtsseitigen) Grenzwert −∞, falls in einer Umgebung vona stets f(x) < 0 und limx→a

1f(x)

= 0 gilt. Man schreibt

limx→a+

f(x) = −∞.

Vollig analog definiert man den (linksseitigen) Grenzwert limx→b− f(x).

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 55

6.5 Beispiel

...

6.6 Der Grenzwert einer Funktion fur x→ ±∞Sei nun D = R und f : D → R eine Funktion.

(a) f besitzt in∞ den Grenzwert y, falls fur jede Folge (xn)n∈N mit xn →∞ die Folge(f(xn)

)n∈N gegen y konvergiert. Man schreibt hierfur

limx→∞

f(x) = y.

(b) f besitzt in −∞ den Grenzwert y, falls fur jede Folge (xn)n∈N mit x→ −∞ dieFolge

(f(xn)

)n∈N gegen y konvergiert.

(c) f besitzt in ∞ den Grenzwert ∞, falls fur jede Folge (xn)n∈N mit x → ∞ folgtf(xn)→∞.

(d) f besitzt in ∞ den Grenzwert −∞, falls fur jede Folge (xn)n∈N mit x→∞ folgtf(xn)→ −∞.

(e) f besitzt in −∞ den Grenzwert∞, falls fur jede Folge (xn)n∈N mit x→ −∞ folgtf(xn)→∞.

(f) f besitzt in −∞ den Grenzwert −∞, falls fur jede Folge (xn)n∈N mit x → −∞folgt f(xn)→ −∞.

Der Grenzwert ist, falls er existiert, eindeutig bestimmt.

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 56

6.7 Beispiele

...

Die Berechnung von Grenzwerten kann sich als sehr schwierig erweisen. Hierfur stellt dieDifferentialrechnung weitere Verfahren zur Verfugung. Abschließend seien noch zwei wichtigeSatze uber stetige Funktionen erwahnt sowie ein Beispiel fur eine nicht-stetige Funktion.

6.8 Extrema stetiger Funktionen auf kompakten Mengen

Sei f : [a, b] → R stetig. Dann nimmt f auf [a, b] ein Maximum und ein Minimum an, dasheißt es gibt x, y ∈ [a, b], so dass fur alle t ∈ [a, b] gilt

f(t) ≤ f(x) und f(y) ≤ f(t).

6.9 Der Zwischenwertsatz

Sei f : [a, b]→ R stetig. Dann nimmt f jeden Wert zwischen f(a) und f(b) als Wert an.Ist insbesondere f(a) < 0 < f(b) oder f(b) < 0 < f(a), so bedeutet dies, dass es ein s ∈ [a, b]gibt mit f(s) = 0.

6.10 Beispiel einer im Nullpunkt unstetigen Funktion

...

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 57

6.11 Stetigkeit anschaulich

Mathematisch vollig unprazise, aber die Anschauung unterstutzend, kann man sagen, dassdie Graphen stetiger Funktionen zwar “Knicke” besitzen durfen, aber niemals “Sprunge”,siehe Abbildung 22.

Abbildung 22: Ein Knick und eine Unstetigkeitsstelle, [14]

6.12 Differenzierbarkeit

Eine Funktion f : D → R heißt differenzierbar in x0 ∈ D, falls der Grenzwert

limx→x0

f(x)− f(x0)

x− x0

existiert und in R liegt. Dieser Grenzwert wird (im Falle der Existenz) mit f ′(x0) bezeichnetund Ableitung von f an der Stelle x0 genannt.Ist f : D → R in jedem Punkt x0 ∈ D differenzierbar, so wird die Abbildung

f ′ : D → R f ′ : x 7→ f ′(x)

die Ableitung von f genannt.

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 58

Ist auch f ′ differenzierbar, so nennt man f ′′ := (f ′)′ die zweite Ableitung von f . Analogwerden (im Fall der Existenz) die dritte Ableitung f ′′′, ... und allgemein die n-te Ableitungf (n) definiert.

Anschaulich hat die Differenzierbarkeit folgende Bedeutung: Nahert man sich dem Punkt x0,so gehen die Sekantensteigungen in einen Grenzwert uber, der die Steigung der Tangente imPunkt x0 angibt, siehe Abbildung 23.

Abbildung 23: Tangente im Punkt -1 und einige Sekanten, siehe [14]

Die Gleichung fur die Tangente tx0 lautet dann

tx0(x) = f ′(x0) · (x− x0) + f(x0).

Fasst man eine Funktion s : D → R (im physikalischen Sinne) als Bewegung eines Objektsund die Variable t als Zeit auf, so dass s(t) genau den Ort des Objektes zum Zeitpunkt tangibt, so ist

s(t)− s(t0)t− t0

die mittlere Geschwindigkeit zwischen den Punkten s(t) und s(t0). Folglich ist

s′(t0) = limt→t0

s(t)− s(t0)t− t0

die Geschwindigkeit der Bewegung zum Zeitpunkt t0. Physikalisch gedeutet ist die zweiteAbleitung s′′(t0) dann die Beschleunigung der Bewegung zum Zeitpunkt t0.

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 59

6.13 Zusammenhang zwischen Stetigkeit und Differenzierbarkeit

Differenzierbare Funktionen sind stetig. In einem Punkt x0 nicht stetige Funktionen brauchendaher in x0 erst gar nicht auf Differenzierbarkeit untersucht werden.

6.14 Beispiele

...

6.15 Rechenregeln fur differenzierbare Funktionen

Seien die Funktionen f, g : D → R in x0 ∈ D differenzierbar und λ ∈ R. Dann gelten folgendeRechenregeln:

(a) f + g ist in x0 differenzierbar mit

(f + g)′(x0) = f ′(x0) + g′(x0).

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 60

(b) f − g ist in x0 differenzierbar mit

(f − g)′(x0) = f ′(x0)− g′(x0).

(c) λf ist in x0 differenzierbar mit

(λf)′(x0) = λf ′(x0).

(d) Produktregel: f · g ist in x0 differenzierbar mit

(f · g)′(x0) = f ′(x0)g(x0) + f(x0)g′(x0).

(e) Quotientenregel: Ist g(x0) 6= 0, so ist fg

in x0 differenzierbar mit(f

g

)′(x0) =

f ′(x0)g(x0)− f(x0)g′(x0)

g(x0)2.

Als Spezialfall ergibt sich fur f(x) = 1 die Ableitung von 1g

durch(1

g

)′(x0) = − g

′(x0)

g(x0)2.

Mit diesen Regeln und den obigen Beispielen folgt, dass fur ein Polynomp(x) = anx

n + an−1xn−1 + . . .+ a2x

2 + a1x+ a0

p′(x) = nanxn−1 + (n− 1)an−1x

n−2 + . . .+ 2a2x+ a1

gilt. Weiter erhalt man mit der Quotientenregel(1

xn

)′=−nxn−1

x2n= − n

xn+1.

6.16 Beispiel

...

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 61

6.17 Differentiationsregeln fur auf R konvergente Potenzreihen

Auf R konvergente Potenzreihen durfen gliedweise differenziert werden, das heißt(∑∞

k=0akx

k)′

=∑∞

k=1kakx

k−1.

Damit erhalt man fur die Exponentialfunktion∑∞

k=0xk

k!

(ex)′ =∑∞

k=1kxk−1

k!=∑∞

k=1

xk−1

(k − 1)!=∑∞

k=0

xk

k!= ex.

Die Exponentialfunktion reproduziert sich also bei Differentiation. Fur die Arkustangens-Reihe

arctan(x) =∑∞

k=0(−1)kx2k+1

2k+1(fur x ∈]− 1, 1[) erhalt man

arctan′(x) =∑∞

k=0

(2k + 1)(−1)kx2k

2k + 1=∑∞

k=0(−1)kx2k

=∑∞

k=0(−x2)k

5.20=

1

1− (−x2)=

1

1 + x2.

Diese Ableitung wird mittels des Satzes uber die Differentiation der Umkehrfunktion spaternoch einmal berechnet werden.Mittels der Differentiation der Potenzreihen von sin, cos, sinh und cosh erhalt man

sin′ = cos

cos = − sin

sinh′ = cosh

cosh′ = sinh .

6.18 Differentiation der Umkehrfunktion

Die Funktion f : D → R sei injektiv, als Funktion von D nach f(D) also bijektiv, unddifferenzierbar. Dann ist die Umkehrfunktion f−1 : f(D)→ R in all jenen Punkten y ∈ f(D),fur die f ′

(f−1(y)

)6= 0 ist, ebenfalls differenzierbar mit

(f−1)′

(y) =1

f ′(f−1(y)

) .6.19 Beispiele

...

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 62

Wegen der einfachen Struktur der Ableitungen einiger wichtiger Funktionen konnen auchsofort einige hohere Ableitungen aufgeschrieben werden:

f(x) = xm ⇒ f (n)(x) = m(m− 1)(m− 2) . . . (m− n+ 1)xm−n.

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 63

Speziell ist

f(x) = xn ⇒ f (n)(x) = n!

f(x) = anxn + an−1x

n−1 + . . .

. . .+ a2x2 + a1x+ a0

⇒ f (n)(x) = ann!

f(x) = ex ⇒ f (n)(x) = ex

f(x) = ln(x) ⇒ f (n)(x) = (−1)n+1 (n− 1)!

xn

f(x) = cos(x) ⇒ f (n)(x) = cos(x+

2

)f(x) = sin(x) ⇒ f (n)(x) = sin

(x+

2

)f(x) = cosh(x) ⇒ f (n)(x) =

{cosh(x) fur gerades nsinh(x) fur ungerades n

f(x) = sinh(x) ⇒ f (n)(x) =

{sinh(x) fur gerades ncosh(x) fur ungerades n

Um auch die Ableitungen von Funktionen wie ax, xa, xx (fur x > 0, a > 0) berechnen zukonnen, wird eine weitere Rechenregel benotigt.

6.20 Die Kettenregel

Die Funktion f sei differenzierbar in x0 und die Funktion g sei differenzierbar in f(x0). Dannist die zusammengesetzte Funktion g ◦ f differenzierbar in x0 und es gilt(

g ◦ f)′

(x0) = g′(f(x0)

)· f ′(x0).

6.21 Beispiele

...

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 64

6.22 Extrema differenzierbarer Funktionen

Einigen wird noch aus der Schule bekannt sein, dass sich mit der Differentialrechnung dieExtremwerte (Minima, Maxima) einer differenzierbaren Funktion bestimmen lassen. Fur diefolgenden Betrachtungen sei D ein offenes Intervall ]a, b[, wobei a = −∞ und b =∞ zugelassensind. Dann besitzt jeder Punkt x0 ∈ D =]a, b[ eine Umgebung der Form ]x0− ε, x0 + ε[⊂]a, b[fur genugend kleines ε > 0.

Sei nun f : D → R eine Funktion. Wir definieren:

(a) f besitzt in x0 ein lokales Minimum, falls es eine Umgebung ]x0− ε, x0 + ε[⊂ D gibt,so dass

f(x) ≥ f(x0) gilt fur alle x ∈]x0 − ε, x0 + ε[.

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 65

(b) Gilt in (a) anstelle von ≥ sogar >, so spricht man von einem strengen lokalenMinimum.

(c) Gilt in (a) anstelle von ≥ die Beziehung ≤, so spricht man von einem lokalen Maxi-mum.

(d) Gilt in (a) < anstelle von ≥, so spricht man von einem strengen lokalen Maximum.

(e) Minima und Maxima werden auch Extrema genannt.

(f) Ein kleinstes Minimum von f auf D wird (falls vorhanden) auch globales Minimumgenannt. Analog wird ein globales Maximum definiert.

Konstante Funktionen f : R→ R besitzen offenbar in jedem x ∈ R ein lokales Minimum undein lokales Maximum. Diese Minima und Maxima sind naturlich nicht streng.

6.23 Notwendiges Kriterium fur lokale Extrema bei differenzier-baren Funktionen

Ist die Funktion f in x0 ∈ D differenzierbar und besitzt in x0 ein Extremum, so gilt

f ′(x0) = 0.

Die Umkehrung ist falsch, wie man sofort an der Funktion f(x) = x3 an der Stelle x0 = 0sieht. Folgendes Kriterium ist daher sehr nutzlich:

6.24 Hinreichendes Kriterium fur lokale Extrema bei differenzier-baren Funktionen

Die Funktion f sei in x0 ∈ D zweimal differenzierbar mit f ′(x0) = 0. Gilt dann ...

(a) ... f ′′(x0) ≥ 0, so hat f in x0 ein lokales Minimum.

(b) ... f ′′(x0) > 0, so hat f in x0 ein strenges lokales Minimum.

(c) ... f ′′(x0) ≤ 0, so hat f in x0 ein lokales Maximum.

(d) ... f ′′(x0) < 0, so hat f in x0 ein strenges lokales Maximum.

(e) ... f ′′(x0) = 0, so kann ohne weitere Untersuchungen keine Aussage getroffen werden.Es kann ein Extremum vorliegen (wie z. B. bei f(x) = x4), muss aber nicht (wie z. B.bei f(x) = x3).

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 66

6.25 Beispiele

...

Wir geben nun zwei wichtige Satze uber differenzierbare Funktionen an.

6.26 Der Satz von Rolle

Ist die Funktion f : [a, b]→ R stetig und auf ]a, b[ differenzierbar mit f(a) = f(b), dann gibtes ein x0 ∈]a, b[ mit f ′(x0) = 0.Geometrisch besagt der Satz von Rolle, dass es im Intervall mindestens einen Punkt mit zurx-Achse paralleler Tagente an f gibt, siehe Abbildung 24.

6.27 Mittelwertsatz der Differentialrechnung

Ist f : [a, b]→ R stetig und auf ]a, b[ differenzierbar, dann gibt es ein x0 ∈]a, b[ mit

f(b)− f(a)

b− a= f ′(x0)

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 67

Abbildung 24: Zum Satz von Rolle, [14]

Abbildung 25: Zum Mittelwertsatz der Differentialrechnung, [14]

Geometrisch besagt der Mittelwertsatz, dass es unter den angegebenen Voraussetzungen eineStelle x0 im Intervall ]a, b[ gibt, an der die Tangente an f parallel zur Sekante zwischen denPunkten

(a, f(a)

)und

(b, f(b)

)ist, siehe Abbildung 25.

Die Grenzwertbestimmung von Funktionen kann bisweilen sehr schwierig werden, da beider Grenzwertbestimmung unbestimmte Ausdrucke (wie zum Beispiel 0

0, ∞∞ , 0 · ∞, . . . )

vorkommen konnen. Auch hier liefert die Differentialrechnung mit dem folgenden Satzwertvolle Hilfestellungen.

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 68

6.28 Der Satz von de l’Hospital fur die Ausdrucke 00 und ∞

Wenn die Berechnung von limx→af(x)g(x)

zu einem der unbestimmten Ausdrucke 00

oder ∞∞ fuhrt,und f und g in a differenzierbar sind, so besagt der Satz von de l’Hospital

limx→a

f(x)

g(x)= lim

x→a

f ′(x)

g′(x),

falls letzterer Grenzwert existiert. Fuhrt dieser neue Grenzwert wieder auf einen unbestimmtenAusdruck der obigen Form, so kann das Verfahren (mit f ′ fur f und g′ fur g) wiederholtwerden, wenn f ′ und g′ jeweils wieder differenzierbar sind.

6.29 Beispiel

...

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 69

6.30 Der Satz von de l’Hospital fur den Ausdruck 0 · ∞Sind f, g differenzierbar in a und fuhrt limx→a f(x)g(x) auf einen unbestimmten Ausdruckder Form 0 · ∞, so nutzt man

limx→a

f(x)g(x) = limx→a

f(x)(1

g(x)

)oder aquivalent

limx→a

f(x)g(x) = limx→a

g(x)(1

f(x)

) ,womit der Fall 0 · ∞ auf den Fall 0

0oder ∞∞ zuruckgefuhrt ist.

6.31 Beispiel

...

6.32 Der Satz von de l’Hospital fur den Ausdruck ∞−∞Sind f, g differenzierbar in a und fuhrt limx→a

(f(x)− g(x)

)auf den unbestimmten Ausdruck

∞−∞, so benutzt man

limx→a

(f(x)− g(x)

)= lim

x→a

1g(x)− 1

f(x)

1f(x)· 1g(x)

,

womit dieser Fall zuruckgefuhrt ist auf den Fall 00.

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 70

6.33 Beispiel

...

6.34 Der Satz von de l’Hospital fur die Ausdrucke 1∞,∞0 und 00

Die Falle 1∞, ∞0 und 00 werden entsprechend behandelt.

6.35 Approximation differenzierbarer Funktionen durch Polyno-me

Einleitend wurde bereits erwahnt, dass sich eine in einem Punkt x0 differenzierbare Funktionf in diesem Punkt durch eine Tangente, also ein Polynom ersten Grades annahern lasst.

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 71

Je ofter f differenzierbar ist, desto genauer kann man f durch ein Polynom entsprechendhoheren Grades approximieren.

6.36 Der Satz von Taylor

Ist f : D → R ein einem Punkt x0 (n+ 1)-mal differenzierbar, so gilt

f(x) =∑n

k=0

(x− x0)k

k!f (k)(x0) +Rn(x)

= f(x0) +x− x0

1!f ′(x0) +

(x− x0)2

2!f ′′(x0) + . . .+

(x− x0)n

n!f (n)(x0) +Rn(x)

mit

Rn(x) =(x− x0)

n+1

(n+ 1)!f (n+1)

(x0 + η(x− x0)

)fur ein 0 < η < 1. Dabei bezeichne f (0) die 0-te Ableitung von f , also die Funktion f selber.Rn heißt Lagrangesches Restglied und das Polynom Tn,x0 mit

Tn,x0 = f(x0) +x− x0

1!f ′(x0) +

(x− x0)2

2!f ′′(x0) + . . .+

(x− x0)n

n!f (n)(x0)

heißt n-tes Taylorpolynom in x0.Ist f unendlich oft differenzierbar, so nennt man die Reihe∑∞

k=0

(x− x0)k

k!f (k)(x0)

die Taylor-Reihe von f mit Entwicklungspunkt x0.

Warnung: Es kann vorkommen, dass die Taylor-Reihe einer Funktion f nur im Entwicklungs-punkt selber, also fur x = x0 konvergiert! Und selbst wenn sie uberall konvergiert, brauchtsie nicht gegen f zu konvergieren!

Fur die durch (auf R konvergenten) Potenzreihen definierten Funktionen stimmt die Taylor-reihe mit der Potenzreihe, also mit der Funktion uberein.

6.37 Beispiel (Klausuraufgabe vom 12.2.2009)

...

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6 DIFFERENTIALRECHNUNG 72

6.38 Logarithmische Differentiation

Als abschließendes Beispiel wollen wir noch die sogenannte logarithmische Ableitung betrach-ten. Die Funktion

f(x) =(x3 + 2)6

√x4 + 1 · (3x5 + 2)20

konnte man naturlich mittels der Quotientenregel differenzieren und dabei fur die einzelnenTerme die Kettenregel und im Nenner zusatzlich die Produktregel anwenden. Aber um unsdiesen Weg abzukurzen, nutzen wir unsere bereits gewonnenen Kenntnisse.Durch Logarithmieren erhalt man

ln(f(x)

)= ln

(x3 + 2)6

√x4 + 1 · (3x5 + 2)20

= 6(x3 + 2)− 1

2ln(x4 + 1)− 20 ln(3x5 + 2).

Wegend

dxln(f(x)

)=

f ′(x)

f(x)

ergibt Differenzieren auf beiden Seiten

f ′(x)

f(x)= 6 ln

3x2

x3 + 2− 1

2

4x3

x4 + 1− 20

15x4

3x5 + 2.

Schließlich kann nun nach f ′(x) aufgelost werden:

f ′(x) =(x3 + 2)6

√x4 + 1 · (3x5 + 2)20

·(

18x2

x3 + 2− 2x3

x4 + 1− 300x4

3x5 + 2

).

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7 Grundzuge der Integralrechnung

Es wird das Stammfunktionsintegral, kurz S-Integral, eingefuhrt. Gewohnlich wird ineiner Vorlesung das Riemann-Integral betrachtet, das zwar nur eine unwesentlich großereKlasse an integrierbaren Funktionen umfasst, sich aber auf mehrere Veranderliche erweiternlasst. Fur die Vorkurse genugt das einfach verstandlichere S-Integral. Der mathematischinteressierte Leser kann auch das noch allgemeinere Lebesgue-Integral (Konvergenz-Satze!)betrachten.

7.1 Definition der Stammfunktion

Ist eine Funktion F differenzierbar mit F ′ = f , so versteht man unter dem unbestimmtenIntegral

∫f(x)dx jede Funktion F + C, wobei C alle Konstanten aus R durchlauft. F heißt

dann Stammfunktion von f . Wegen der auftretenden Konstanten ist ein unbestimmtesIntegral also nicht eindeutig bestimmt. Auch diese Definition lasst sich noch verfeinern, aberdiese Version ist fur uns hinreichend.

7.2 Grundintegrale

(a)

∫xn dx =

xn+1

n+ 1+ C (fur n ∈ Z \ {−1})

(b)

∫1

xdx = ln(|x|) + C

(c)

∫ex dx = ex + C

(d)

∫ax dx =

ax

ln a+ C

(e)

∫sinx dx = − cosx+ C

(f)

∫cosx dx = sinx+ C

(g)

∫sinhx dx = coshx+ C

(h)

∫coshx dx = sinhx+ C

(i)

∫1

1 + x2dx = arctanx+ C

Der Beweis erfolgt unmittelbar durch Differenzieren.

73

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7 GRUNDZUGE DER INTEGRALRECHNUNG 74

7.3 Integrationsregeln

Seien f, g integrierbar, c ∈ R und ϕ differenzierbar. Dann gelten

(a)

∫ (f(x) + g(x)

)dx =

∫f(x)dx+

∫g(x)dx

(b)

∫ (f(x)− g(x)

)dx =

∫f(x)dx−

∫g(x)dx

(c)

∫c f(x)dx = c

∫f(x)dx

(d)

∫f(x)dx =

∫f(ϕ(t)

)ϕ′(t)dt mit x = ϕ(t) und dx = ϕ′(t)dt

Fur 1.-3. sagt man auch, das Integral sei “linear”, genau wie beim Differenzieren.4. nennt man die Substitutionsregel. Man beachte, dass sich bei bestimmten Integralendann auch die Integrationsgrenzen verandern, wenn man nicht zurucksubstituiert.

7.4 Haufig verwendete Substitutionen

(Hier ist das ↔ symbolisch zu verstehen.)

ax = t ↔ dx = 1adt a

x= t ↔ dx = − a

t2dt

ax = t ↔ dx = 1t ln a

dt√x = t ↔ dx = 2t dt

ex = t ↔ dx = 1tdt lnx = t ↔ dx = et dt

a+ bx = t ↔ dx = 1bdt

7.5 Beispiel

...

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7 GRUNDZUGE DER INTEGRALRECHNUNG 75

7.6 Partielle Integration

Seien u, v differenzierbar. Dann gilt∫uv′ dx = uv −

∫u′v dx

oder in anderer Schreibweise ∫u dv = uv −

∫v du,

was man sofort durch Integration der Produktregel verifiziert.Die partielle Integration macht also Sinn, wenn man das Integral auf die Form∫

komplizierte Funktion = uv −∫

leichte Funktion

oder ∫komplizierte Funktion = uv −

∫dieselbe komplizierte Funktion

bringen kann. Im letzteren Fall formt man dann um zu

⇔ 2

∫komplizierte Funktion = uv

⇔∫

komplizierte Funktion = 12uv.

7.7 Beispiel

...

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7 GRUNDZUGE DER INTEGRALRECHNUNG 76

7.8 Bestimmte Integrale

Das unbestimmte Integral∫f(x) dx = F (x) + C nimmt fur x = a und x = b die nicht

eindeutigen Werte F (a) + C und F (b) + C an. Bildet man die Differenz, so entfallt dieIntegrationskonstante C und es ergibt sich ein eindeutig bestimmter Wert∫ b

a

f(x) dx = F (b)− F (a),

den man das bestimmte Integral von f zwischen der unteren Grenze a und der oberenGrenze b nennt.Uber die Wortwahl “bestimmtes” und “unbestimmtes” Integral kann man sich naturlichstreiten, denn das Integral ist durch die Stammfunktion (bis auf die Integrationskonstante C)eindeutig bestimmt.

7.9 Rechenregeln fur bestimmte Integrale

Seien a ≤ c ≤ b und f, g integrierbar sowie α ∈ R. Dann gelten:

(a)

∫ b

a

f(x) dx = −∫ a

b

f(x) dx

(b)

∫ a

a

f(x) dx = 0

(c)

∫ b

a

f(x) dx =

∫ c

a

f(x) dx+

∫ b

c

f(x) dx

(d)

∫ b

a

(f + g)(x) dx =

∫ b

a

f(x) dx+

∫ b

a

g(x) dx

(e)

∫ b

a

αf(x) dx = α

∫ b

a

f(x) dx

7.10 1. Mittelwertsatz der Integralrechnung

Ist f : [a, b]→ R stetig, so existiert ein λ ∈]a, b[ mit∫ b

a

f(x) dx = f(λ)(b− a).

7.11 2. Mittelwertsatz der Integralrechnung

Sind f, g : [a, b]→ R stetig und wechselt g in [a, b] nicht das Vorzeichen, so gibt es ein λ ∈]a, b[mit ∫ b

a

f(x)g(x) dx = f(λ)

∫ b

a

g(x) dx.

Mit 7.10 und 7.11 kann man Integrale abschatzen ohne ihren tatsachlichen Wert zu kennen.

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7 GRUNDZUGE DER INTEGRALRECHNUNG 77

7.12 Ableitung nach der oberen Grenze

Ist f : [a, b]→ R stetig, so ist

F : [a, b]→ R mit F (x) =

∫ x

a

f(t) dt

fur x ∈]a, b[ differenzierbar mit F ′(x) = f(x).

7.13 Hauptsatz der Integral- und Differentialrechnung

Ist f : D → R stetig differenzierbar mit F ′ = f , so gilt fur jedes Intervall [a, b] ⊂ R∫ b

a

f(x) dx = F (b)− F (a).

Im Hauptsatz kann auf die stetige Differenzierbarkeit nicht verzichtet werden, da es differen-zierbare Funktionen gibt, deren Ableitung nicht integrierbar ist.

7.14 Geometrische Deutung des bestimmten Integrals

Das bestimmte Integral∫ baf(x) dx gibt zahlenmaßig den Inhalt der Flache an, die von der

Kurve y = f(x), der x-Achse und den Ordinaten f(a) und f(b) begrenzt wird. Flachenunterhalb der x-Achse ergeben sich rechnerisch als negative Werte, sind also bei der Flachen-inhaltsbestimmung positiv zu nehmen. Hat die Funktion innerhalb der Grenzen eine odermehrere Nullstellen, so berechnet man die Flache als Summe der einzelnen Flachenstuckeoberhalb und unterhalb der x-Achse, wobei die unter der x-Achse liegenden wieder positiv zunehmen sind.

7.15 Beispiel

Als Beispiel betrachten wir das Integral uber sin(x) in den Grenzen von 0 bis 2π. Es ist∫ 2π

0

sin(x) dx = − cos(2π) + cos(0) = 0

In ]0, 2π[ jedoch besitzt der Sinus an der Stelle π eine Nullstelle, so dass im Sinne derFlachenbestimmung gilt

F =

∫ π

0

sin(x) dx +

∣∣∣∣∫ 2π

π

sin(x) dx

∣∣∣∣= − cos(π) + cos(0) + | − cos(2π) + cos(π)|

= 2 + | − 2| = 4.

Fur integrierbare Funktionen f gilt grundsatzlich∣∣∣∣∫ b

a

f(x) dx

∣∣∣∣ ≤ ∫ b

a

|f(x)| dx.

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7 GRUNDZUGE DER INTEGRALRECHNUNG 78

7.16 Integration von Potenzreihen

Potenzreihen∞∑k=0

ak(x− b)k

mit dem Entwicklungspunkt b, die auf einem offenem Intervall ]b − r, b + r[ konvergieren,lassen sich fur jedes % mit 0 < % < r besonders einfach uber [b − %, b + %] integrieren. Furjedes Intervall [c, d] ⊂ [b− %, b+ %] gilt namlich∫ d

c

∞∑k=0

ak(x− b)k =∞∑k=0

(ak

∫ d

c

(x− b)k)

=∞∑k=0

ak(x− b)k+1

k + 1.

7.17 Naherungsformeln

Die Integration kann sehr aufwandig werden. Deshalb wurden Naherungsformeln fur Integraleentwickelt.Gegeben sei eine auf [a, b] integrierbare Funktion f . Man teilt das Intervall [a, b] in n gleichgroße Intervalle auf, deren Begrenzungspunkte

a ≤ x1 ≤ x2 ≤ . . . ≤ xn−1 ≤ b

seien. Dann gelten folgende Naherungsformeln, die umso genauer sind, je großer man n wahlt.

7.17.1 Rechteckformel∫ b

a

f(x) dx ≈ b− an

(f(a) + f(x1) + . . .+ f(xn−1)

)7.17.2 Trapezformel∫ b

a

f(x) dx ≈ b− a2n

(f(a) + 2f(x1) + . . .+ 2f(xn−1) + f(b)

)7.17.3 Simpson-Regel (nur fur gerades n)

∫ b

a

f(x) dx ≈ b− a3n

(f(a) + 4f(x1) + 2f(x2)

+ 4f(x3) + 2f(x4)

+ . . .

+ 4f(xn−3) + 2f(xn−2)

+ 4f(xn−1) + f(b))

Der Spezialfall n = 2 der Simpson-Regel ist die Keplersche Fassregel.

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7 GRUNDZUGE DER INTEGRALRECHNUNG 79

7.17.4 Keplersche Fassregel∫ b

a

f(x) dx ≈ b− a6

(f(a) + 4f(x1) + f(b)

)Wir betrachten hierzu ein Beispiel:Teilt man [−π

2, π

2] in die zwei gleich großen Intervalle [−π

2, 0] und [0, π

2], das heißt a = −π

2,

x1 = 0 und b = π2, so liefert die Keplersche Fassregel∫ π

2

−π2

cos(x) dx ≈ π

6

(cos(− π

2

)+ 4 cos(0) + cos

(π2

))=

3≈ 2, 094.

Der exakte Wert ist ∫ π2

−π2

cos(x) dx = sin(x)∣∣∣π2−π

2

= 1− (−1) = 2.

7.18 Uneigentliche Integrale

Integrale mit unendlichen Grenzen und Integrale uber Funktionen, die im Integrationsintervallunendlich werden, werden als uneigentliche Integrale bezeichnet.Man schreibt (zunachst nur formal)∫ ∞

a

f(x) dx = limb→∞

∫ b

a

f(x) dx

∫ b

−∞f(x) dx = lim

a→−∞

∫ b

a

f(x) dx

∫ ∞−∞

f(x) dx = lima→−∞b→∞

∫ b

a

f(x) dx

und fur den Fall limx→b f(x) = ±∞∫ b

a

f(x) dx = limε→0

∫ b−ε

a

f(x) dx.

Existieren diese Grenzwerte, so werden sie als Wert des uneigentlichen Integrals gesetzt.

(a) Es ist ∫ 1

0

1

xndx = lim

ε→0

∫ 1

ε

1

xndx = lim

ε→0

(x1−n

1− n

∣∣∣1ε

)=

1

1− n(1− lim

ε→0ε1−n).

Der letzte Grenzwert existiert fur n < 1 und hat den Wert 0. Fur n ≥ 1 existiert ernicht, also ∫ 1

0

1

xndx =

1

1− nfur n < 1.

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7 GRUNDZUGE DER INTEGRALRECHNUNG 80

(b) Es ist ∫ ∞1

1

xndx = lim

b→∞

∫ b

1

1

xndx = lim

b→∞

(x1−n

1− n

∣∣∣b1

)=

b1−n − 1

1− n.

Der letzte Grenzwert existiert fur n > 1 und hat den Wert 0. Fur n 6= 1 existiert ernicht, also ∫ ∞

1

1

xndx =

1

1− nfur n > 1.

Uneigentliche Integrale erscheinen regelmaßig in Natur und Technik.

7.19 Beispiel

Berechnen Sie die Fluchtgeschwindigkeit der Erde, das heißt die Geschwindigkeit, die einGeschoss haben muss, um das Gravitationsfeld der Erde verlassen zu konnen....

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7 GRUNDZUGE DER INTEGRALRECHNUNG 81

7.20 Beispiele

(a) Berechnen Sie folgendes Integral: ∫9x2 + 2

3x3 + 2xdx

(b) (Klausuraufgabe vom 25.7.2008)Bestimmen Sie mit den Integrationsmethoden und Grundintegralen der Vorlesung (ohneVerwendung von Integraltafeln) eine Stammfunktion von∫

1

x+√xdx.

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7 GRUNDZUGE DER INTEGRALRECHNUNG 82

(c) (Klausuraufgabe vom 25.7.2008)Bestimmen Sie mit den Integrationsmethoden und Grundintegralen der Vorlesung (ohneVerwendung von Integraltafeln) das bestimmte Integral∫ 2

0

x(1− x)40 dx.

(d) (Klausuraufgabe vom 25.7.2008)Bestimmen Sie mit den Integrationsmethoden und Grundintegralen der Vorlesung (ohneVerwendung von Integraltafeln) den exakten Wert des uneigentlichen Integrals

I =

∫ ∞0

e−x · sin(π(1 + e−x)

)dx.

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7 GRUNDZUGE DER INTEGRALRECHNUNG 83

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8 Determinanten und quadratische lineare Gleichungs-

systeme

Determinanten spielen eine große Rolle in der Volumenberechnung und sind auch hervorragendgeeignet, quadratische lineare Gleichungssysteme zu losen.

8.1 Matrizen

Ein quadratisches Schema der Form

A =

a11 · · · a1n...

. . ....

an1 · · · ann

mit komplexen Zahlen aij nennt man eine komplexe (n× n)-Matrix, oder kurz eine(n× n)-Matrix.Sind alle aij ∈ R, so kann man auch von einer reellen (n × n)-Matrix sprechen, was aberwegen R ⊂ C uberflussig ist.Fur ein A der obigen Form sind auch die Schreibweisen

(aij)ni,j=1, (aij)1≤i≤n,1≤j≤n oder auch (aij)

ublich.

8.2 Die Adjungierte

Ist A eine (n × n)-Matrix (mit n > 1), so bezeichnet Aij die aus A durch Weglassen deri-ten Zeile und der j-ten Spalte entstehende

((n− 1)× (n− 1)

)-Matrix. Man nennt Aij die

adjungierte Matrix oder auch einfach die Adjungierte von A bzgl. des Indexes ij.

8.3 Beispiel

...

84

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8 DETERMINANTEN UND QUADR. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME 85

8.4 Determinanten und ihre Spalten-Entwicklung

Ist n = 1, so wird die Determinante detA einer (1× 1)-Matrix A = (a11) definiert durch

det(a11) = a11.

Sei nun n ≥ 2 und j ∈ {1, . . . , n} beliebig, aber fest gewahlt, so wird fur eine (n× n)-MatrixA die Determinante detA definiert durch

detA =∑n

i=1(−1)i+jaij detAij.

Die Berechnung der Determinante einer (n × n)-Matrix wird also zuruckgefuhrt auf dieBerechnung von

((n− 1)× (n− 1)

)-Determinanten. Durch wiederholtes Anwenden dieses

Verfahrens kann man schließlich jede Berechnung einer (n×n)-Determinante auf das Berechnenmehrerer (1× 1)-Determinanten zuruckfuhren.Man nennt die Formel detA =

∑ni=1(−1)i+jaij detAij auch die Laplace-Entwicklung nach

der j-ten Spalte.

8.5 Wohldefiniertheit der Determinante

In der Definition der Determinante konnte das j beliebig gewahlt werden. Es konnte alsodurchaus passieren, dass man bei Wahl von zwei verschiedenen j auch zwei verschiedeneDeterminantenwerte erhielte, was naturlich außerst unerwunscht ware. Jedoch kann das nichtpassieren. Man sagt, die Determinante detA einer Matrix A ist wohldefiniert.

8.6 Die transponierte Matrix

Sei A = (aij) eine (n× n)-Matrix. Dann heißt AT = (aji) die zu A transponierte Matrix.Sie entsteht aus A durch Spiegelung an der Hauptdiagonalen, wobei die Hauptdiagonale ausden Elementen aii von A besteht.Die Zeilen von A werden also zu den Spalten von AT und die Spalten von A werden zu denZeilen von AT .

8.7 Beispiel

...

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8 DETERMINANTEN UND QUADR. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME 86

8.8 Die Determinante der transponierten Matrix

Es ist grundsatzlichdetA = detAT .

Diese Tatsache ermoglicht es auch, die Definition von A wie folgt festzulegen:

detA =∑n

j=1(−1)i+jaij detAij.

Dabei ist nun — im Unterschied zu 8.4 — i ∈ {1, . . . , n} beliebig wahlbar. Man spricht dannauch von der Laplace-Entwicklung nach der i-ten Zeile.

8.9 Beispiel

...

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8 DETERMINANTEN UND QUADR. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME 87

8.10 Beispiel

Wenn moglich, entwickelt man stets nach Zeilen oder Spalten, die moglichst viele Nullenenthalten. ...

8.11 Dreiecksmatrizen

Eine (n× n)-Matrix vom Typ

A =

a11 ∗ . . . . . . ∗0 a22 ∗ . . . . . . ∗0 0 a33 ∗ . . . . . . ∗...

. . . . . . . . ....

0 . . . . . . 0 an−2,n−2 ∗ ∗0 . . . . . . 0 an−1,n−1 ∗0 . . . . . . 0 ann

=

a11 ∗. . .

0 ann

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8 DETERMINANTEN UND QUADR. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME 88

heißt obere Dreiecksmatrix. Die rechte Matrix ist sozusagen die Kurzschreibweise derlinken; dabei soll die fette 0 andeuten, dass unterhalb der Hauptdiagonalen nur Nullen stehen.Der fette Stern bedeutet, dass uber der Hauptdiagonalen beliebige komplexe Zahlen stehenkonnen. Entsprechend steht ein ∗ in der linken Matrix fur einen beliebigen komplexen Eintrag.Eine (n× n)-Matrix A heißt untere Dreiecksmatrix, wenn AT eine obere Dreiecksmatrixist.

8.12 Determinanten von Dreiecksmatrizen

Fur eine obere oder untere Dreiecksmatrix A gilt

detA = a11a22 . . . ann.

8.13 Lineare Gleichungssysteme

Sei A = (aij) eine (n×n)-Matrix, b = (b1, . . . , bn)T eine (n× 1)-Matrix, auch Vektor genannt,und x1, . . . , xn Unbestimmte.

a11x1 + a12x2 + . . . a1nxn = b1

∧ a21x1 + a22x2 + . . . a2nxn = b2...

......

...

∧ a11x1 + a12x2 + . . . annxn = b1

(∗)

heißt quadratisches lineares Gleichungssystem in n Unbekannten.Ist b = (0, . . . , 0)T der Nullvektor, so heißt das System homogen, fur b 6= (0, . . . , 0)T heißtes inhomogen. Die Matrix

A =

a11 . . . a1n...

...an1 . . . ann

heißt Koeffizientenmatrix des linearen Gleichungssystems.

Anstelle der Schreibweise (∗) schreibt man auch haufig Ax = b. Diese Schreibweise, genauer:der Ausdruck Ax, erhalt Sinn, sobald man die Multiplikation zweier Matrizen definiert:

8.14 Matrizenmultiplikation

Sei A = (aij) eine (m × n)-Matrix und B = (bij) eine (n × p)-Matrix. Das Produkt ABdieser beiden Matrizen ist definiert durch

AB = (cij)1≤i≤m, 1≤j≤p mit cij =∑n

k=1aikbkj.

Beachte: Die Spaltenanzahl der ersten Matrix muss mit der Zeilenanzahl der zweiten Matrixubereinstimmen, sonst ist die Produktbildung nicht moglich. Daher kann es vorkommen, dasses zu zwei Matrizen A und B zwar das Produkt AB gibt, jedoch nicht das Produkt BA. Undauch wenn sowohl AB als auch BA existieren, ist im Allgemeinen AB 6= BA.

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8 DETERMINANTEN UND QUADR. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME 89

8.15 Beispiel

...

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8 DETERMINANTEN UND QUADR. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME 90

8.16 Losungen einer linearen Gleichung

Anhand des einfachsten linearen Gleichungs“systems”, der linearen Gleichung

ax = b (a, b ∈ C),

sieht man bereits, dass fur die Struktur der Losungsmenge

L := {x ∈ C | ax = b}

genau vier Falle in Frage kommen:

1. Fall: a = b = 0 ⇒ L = C

2. Fall: a = 0, b 6= 0 ⇒ L = ∅

3. Fall: a 6= 0, b = 0 ⇒ L = {0}

4. Fall: a 6= 0, b 6= 0 ⇒ L = { ba}

Dabei lassen sich naturlich der dritte und der vierte Fall zusammenfassen zu a 6= 0⇒ L = { ba}.

Ein lineares Gleichungs“system” in einer Unbekannten hat also entweder eine unendlicheLosungsmenge oder genau eine Losung oder uberhaupt keine Losung. Es ist in gewisser Weiseerstaunlich, dass dieses auch fur lineare Gleichungssysteme in n Veranderlichen gilt.

8.17 Losungen eines linearen Gleichungssystems

Ein quadratisches lineares Gleichungssystem Ax = b hat entweder

– eine unendliche Losungsmenge,

– genau eine Losung oder

– uberhaupt keine Losung.

In der Technik interessiert man sich uberwiegend fur eindeutige Losungen.

8.18 Zusammenhang zwischen der Losbarkeit eines LGS und derDeterminante der Koeffizientenmatrix

Ein quadratisches lineares Gleichungssystem Ax = b ist genau dann eindeutig losbar, wenndetA 6= 0 gilt.Ist detA = 0, so kann zunachst nur gesagt werden, dass Ax = b entweder gar keine Losungbesitzt — das ware zum Beispiel bei

A =

0 . . . 0...

...0 . . . 0

und b 6=

0...0

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8 DETERMINANTEN UND QUADR. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME 91

der Fall — oder dass Ax = b unendlich viele Losungen besitzt, was zum Beispiel bei

A =

0 . . . 0...

...0 . . . 0

und b =

0...0

der Fall ware. In letzterem Fall kann man namlich x1, . . . , xn ∈ C beliebig wahlen.Zuruck zum interessanten Fall der eindeutigen Losung. Diese Losung kann mittels Determi-nantenrechnung ermittelt werden.

8.19 Definition

Seien A = (aij) eine (n× n)-Matrix und b = (b1, . . . , bn)T , außerdem i ∈ {1, . . . , n} beliebig.Mit Ai bezeichnen wir die Matrix, die entsteht, wenn man in der Matrix A die i-te Spaltestreicht und durch b ersetzt, d. h.

Ai =

a11 . . . a1,i−1 b1 a1,i+1 . . . a1n...

......

......

an1 . . . an,i−1 bn an,i+1 . . . ann

.

8.20 Die Cramersche Regel

Sei Ax = b ein quadratisches lineares Gleichungssystem mit detA 6= 0. Dann ist die eindeutigbestimmte Losung (x1, . . . , xn)T gegeben durch

xi =detAidetA

fur alle i ∈ {1, . . . , n}.

8.21 Beispiel

...

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8 DETERMINANTEN UND QUADR. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME 92

8.22 Matrixumformungen zur Berechnung der Determinante

Es wurde erwahnt, dass man bei der Berechnung von Determinanten moglichst nach Zeilenoder Spalten entwickelt, die viele Nullen enthalten (siehe auch Beispiel 8.10). Leider gibt essolche Zeilen oder Spalten nicht immer.Jedoch kann man sich die Berechnung der Determinante einer Matrix durch Umformenteilweise sehr erleichtern, solange man dabei folgende Regeln beachtet. Speziell Regel (3)kann dabei dazu dienen, Nullen zu “erzeugen”.Sei A eine (n× n)-Matrix.

(1) Verwandelt man A durch Vertauschen zweier Zeilen in eine Matrix B, so giltdetA = − detB.

(2) Verwandelt man A durch Multiplikation einer Zeile mit λ ∈ C, λ 6= 0 in eine Matrix B,so gilt detA = 1

λdetB.

(3) Verwandelt man A durch Addition eines Vielfachen einer Zeile zu einer anderen Zeilein eine Matrix B, so gilt detA = detB.

(4) Die Regeln (1)-(3) gelten auch, wenn man jeweils das Wort “Zeile” durch “Spalte”ersetzt.

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Verzeichnis

[1] D. F. Anderson, S. Eberhardt: “Understanding Flight”, McGraw-Hill, 2001

[2] Bartel, H. J.: “Mathematische Formeln”, VEB Fachbuchverlag, Leipzig, 1973

[3] Duma, A.: “Rechenpraxis in der hoheren Mathematik”, Kurs an der FernuniversitatHagen, 1984

[4] Haußmann, W., und andere: “Mathematik fur Ingenieure”, Vorlesungsskript Duisburg2006

[5] Humbs, W.: “Fehlertolerierende Rechensysteme”, in: “LOG IN”, Heft 6, 1993

[6] Humbs, W.: “Fehlertolerierende Systeme im Sonderschulunterricht”, in: “LOG IN”,Heft 2, 1997

[7] Lindner, H.: “Elektroaufgaben, Band III, Leitungen und Vierpol”, Vieweg-Verlag 1977

[8] Moeschlin, O.: “Anmerkungen zu Ubungsaufgaben”, Fernuniversitat Hagen, 2000

[9] Tietze, J.: “Einfuhrung in die angewandte Wirtschaftsmathematik”, Vieweg-Verlag, 6.Auflage 1996

[10] Unger, C.: “Kommunikations- und Rechnernetze”, Kurs an der Fernuniversitat Hagen,2002

[11] Rade L., Westergren, B.: “Springers Mathematische Formeln”, 3. Auflage, Springer-Verlag 2000

[12] “Bionik - Lernen von der Natur”, Broschure des Siemens-Museums Munchen, Bestell-nummer A19100-F1-A26-V1

[13] “Bionik - Biologie und Technik”, Broschure des Siemens-Museums Munchen, Bestell-nummer A19100-F1-A137

[14] Graphik erstellt mit gnuplot. gnuplot ist Freeware, Copyright 1986 - 1993, 1998, 2004by Thomas Williams, Colin KelleyNahere Infos unter www.gnuplot.info

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